Peter Iljitsch Tschaikowsky
Francesca da Rimini
Orchesterfantasie nach Dante op. 32
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Werkhintergrund:
Das Stück entstand im Oktober des Jahres 1876 und basiert auf dem 5. Gesang (2. Höllenkreis) der Göttlichen Komödie des italienischen Dichters Dante Alighieri. Nach drei Wochen der Komposition schrieb Tschaikowski seinem Bruder Modest: „Ich schrieb es mit Liebe, und es ist mir geglückt“.
Die von Tschaikowski gewählte Szene aus dem Dante-Werk schildert die unglückliche Liebe von Francesca da Rimini (einer Patriziertochter aus Ravenna) zu Paolo, dem Bruder ihres ungewollt und durch Täuschung geehelichten, ungeliebten und zu allem auch noch hässlichen Ehemannes Gianciotto Malatesta, der beide auf frischer Tat ertappt und ermordet. Für diese Schuld werden die beiden in die Hölle geschickt. Dagegen wird die Schuld des beteiligten Mörders nicht in unseren Focus gerückt, seine Handlung scheint sogar möglicherweise zu Dantes Zeiten opportun gewesen zu sein. Zumindest hat sie Tschaikowsky im Zusammenhang mit seiner sinfonischen Dichtung nicht weiter interessiert.
Wie oft bei diesem Komponisten wird so eine unmögliche Liebe ins Zentrum gestellt. Wie schon bei „Romeo und Julia“ und wie bei „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“. Unmöglich deshalb, weil sie in Verbindung mit Sünde steht. Das ist symptomatisch für das Leben Tschaikowskys, da er selbst unter dem idealistischen Verlangen nach der Liebe einer Frau litt, die ihn von der, wie er es selbst sah, Verworfenheit seiner Homosexualität erlösen konnte. Mehr noch, seit er in seiner Kindheit von der geliebten Mutter getrennt worden war und seit ihrem frühen Tod, hatte er ein qualvolles Empfinden von einem verlorenen Glück, von dem er für alle Zeiten ausgeschlossen war.
Wie der Begriff „Fantasie“ bereits suggeriert gibt es hier keine genaue Entsprechung zwischen der musikalischen Struktur und dem Handlungsverlauf der literarischen Vorlage. Auch übernimmt die Musik hier eine eher illustrierend-gefühlsorientierte Aufgabe, weniger eine formbewusste.
Ganz zu Beginn in einer Einleitung begibt sich Dante und in seiner Nachfolge der Komponist und der Hörer in seiner Fantasie in die Hölle. Wir stehen an Dantes Höllentor mit der Inschrift: „Lasst jede Hoffnung, die ihr mich durchschreitet“. Das Werk ist danach wie ein Triptychon dreigeteilt: Der dunkle erste Teil sowie der noch etwas dissonant gesteigerte dritte Teil sind sich überaus ähnlich und schildern den Höllensturm, der diesen Höllenkreis beherrscht, währenddessen Francesca und ihr geliebter Paolo auf ewig umhergewirbelt werden. Für den mittleren Teil, ein Andante cantabile, das die Liebe der beiden zueinander ausdrückt und zwar auf die für den Autor typische sowohl die zartesten Regungen wie auch heftigsten Aufschwünge einschließenden Art. Lyrisch und dramatisch, beides wie bereits von den Symphonien (1-3 waren bereits geschrieben) und Balletten bekannt, aber doch noch einmal intensiviert. Der Komponist öffnet hier – wenn man das so sagen darf - seine beste Ader der Erfindung. Francescas Thema gehört zu den schönsten und ausdruckvollsten Melodien Tschaikowskys. Es dehnt sich ohne Atempause über viele Takte und wird in seinen späteren Ausarbeitungen von kaum weniger reizvollen Nebenthemen bereichert. Darüber hinaus kann man auch gut hören, wie sich der Mörder nähert und mit einem einzigen Stich seine Tat vollzieht. Dieser Stich beendet nicht nur das Leben Francescas sondern auch ihre Erzählung und den Mittelteil des Stückes. Danach erhebt sich erneut der Höllensturm und trägt das Liebespaar auf ewig mit sich fort.
Dass dem Werk bisweilen eine auffällige Wagner-Nähe eigen ist, verwundert nicht (der Bläsersatz könnte bisweilen auch im „Ring“ Verwendung finden), war Tschaikowsky doch kurz zuvor Premierengast bei der Uraufführung des Rings in Bayreuth. Ein Werk, das er allerdings nicht besonders mochte. Trotzdem und seltsamerweise hat es massiv Einlass in diese Komposition gefunden.
Nikolai Rubinstein dirigierte am 24. Februar (Julianischer Kalender) bzw. 8. März 1877 (gregorianischerKalender) die erfolgreiche Uraufführung in Moskau. Und so schreibt etwa Camille Saint-Saëns in seinem Buch "Portraits et Souvenirs": „...der zarteste, der freundlichste aller Menschen hat hier einem wütenden Sturm freien Lauf gelassen und ebenso wenig Mitleid für seine Interpreten und Zuhörer an den Tag gelegt wie Satan für die Sünder. Aber das Talent und die erstaunliche Technik des Autors sind so groß, dass die Verurteilten nur Vergnügen empfinden werden...“ (Zitat der Rowolth-Monographie über Tschaikowsky von Everett Helm entnommen)
Randnotizen beim Vergleich der verschiedenen Aufnahmen:
- Als Hilfestellung zur Beurteilung der verschiedenen CDs wurde die Studienpartitur von Eulenburg (Nr. 840) genutzt. Bedauerlicherweise wurden die Takte nicht durchgezählt, was die genaue Angabe der diversen Vergleichsstellen erschwert. So muss man diesmal mit der Angabe der betreffenden Seite vorlieb nehmen.
- In der Partitur findet man zu den einzelnen Tempi keine Metronomangaben. Der Komponist ließ so seinen Interpreten größere Freiheit bei der Wahl, das richtige Tempo zu finden. Die Schwankungsbreite hierbei reicht so – wenn man von den Versionen mit Kürzungen absieht - von etwas über 22 bis über 27 Minuten.
- Das Becken (Piatti) wird in den beiden Sturmteilen recht häufig eingesetzt, generell hört man in den älteren (guten) Aufnahmen eher mehr von den einzelnen Einsätzen, während sie in den neueren fast bis zur Unhörbarkeit beinahe schamhaft versteckt werden. Dabei mag sich Tschaikowsky dabei einen Blitz oder ein Wetterleuchten vorgestellt haben. Da die optische Komponente bei der Darstellung der Musik weitgehend fehlt (beim Hören der CD sowieso), sollte man diese Komponente des Sturmes keinesfalls ganz unterschlagen. Mag die exzessive Verwendung auch einen geschmackvollen Umgang nahelegen.
- Das große Solo für die Cellogruppe ab S. 75 wird in nahezu allen Aufnahmen auf das Schönste vorgetragen. Wen wundert es, wird es doch keine Cellistin und keinen Cellisten kalt lassen und jede(r) wird sein bestes geben wollen.
- Bei Dirigenten die zwei oder mehrere Aufnahmen des Werkes vorgelegt haben, ist die jüngere Aufnahme (also die des mehr oder weniger reifer gewordenen Orchesterleiters) immer die langsamere. Ausnahme: Leopold Stokowski, der als 92jähriger noch seine Version, die er mit jugendlichen 77 einspielte locker und hinreißend um fast eine Minute unterbietet.
Der Verfasser dankt Herrn Bernd Stremmel ganz herzlich dafür, dass das Spektrum an verschiedenen Aufnahmen ganz entscheidend vergrößert werden konnte und Herrn Jörg Staub ebenso herzlich, dass er die vorhandenen alten, verstaubten LPs gereinigt und in eine zeitgemäße, digitale Form transferiert hat.
zusammengestellt 20.12.2019

Tschaikowsky in etwa um die Zeit der Komposition von "Francesca da Rimini".
Vergleichende Rezensionen:
5
Jewgenij Svetlanov
Staatliches Sinfonieorchester der Russischen Föderation
Svetlanov Foundation (wahrscheinlich übernommen von Canyon)
2005
25:50
Svetlanov heizt das Orchester schon beim Betreten der Hölle mächtig auf. Er ist schroffer Akzentsetzung nicht abgeneigt. Das zunächst ruhige Grundtempo erfährt ein zugespitztes Accelerando. In der Dynamik scheut er keine Extreme. Das Orchester hat gegenüber der älteren Einspielung noch an Qualität gewonnen, was für alle Gruppen gilt. Es spielt absolut sicher und mit durchaus brillanter Tongebung.
Francescas Erzählung (der Mittelteil, ab Andante cantabile S.64) ist (auch gegenüber der älteren Aufnahme) im Tempo zurückgenommen, was schon für das sensibel und tonschön geblasene Klarinettensolo zu Beginn gilt. Das Unisono von Flöte und Oboe (S. 68) erfährt eine sehr schöne Verschmelzung der beiden so unterschiedlichen Klänge. Sämtliche Soli klingen voller und runder als in der alten Aufnahme. Svetlanov gestattet sich trotz der sensibleren Gestaltung wie bereits 1968 keine rubatoseligen Eskapaden.
Die Technik verfährt sehr hellhörig, kein Detail geht verloren. Sie lässt das Stück voller und runder erklingen als zuvor. Pauke und Gran Cassa sind hervorragend durchgezeichnet. Die beiden Violinengruppen sitzen sich hier, wie sonst nur noch bei der Mrawinsky-Aufnahme von 1981 und bei Pappano rechts und links, auch ein markanter Unterschied zur alten Aufnahme.
Was die Aufnahme auszeichnet ist zudem der extrem zugespitzte dramatische und furiose Verlauf der Stürme, insbesondere des finalen. Es werden hier die übermächtigen Elemente geweckt und man wird gewahr, dass das verurteilte Paar keine Chance hat, jemals zu entkommen. Gerade so wie es Tschaikowsky vom übermächtigen Schicksal annahm, dem der Mensch (und besonders er selbst) nicht entrinnen kann. Das alles hören wir hier in einer zeitgemäßen, meisterhaften Aufnahmequalität.
5
Jewgenij Mrawinsky
Leningrad PO
EMI
1983, live
24:04
Diese Aufnahme wird auch von Denon (im Netz) vertrieben ist jedoch hier um den Schlussapplaus gekürzt, klanglich diffuser, dynamisch eingeschränkter, blasser und etwas eingedunkelt, was die Klangfarben betrifft. Die Spielzeit ist exakt die gleiche und alle Beiträge des Publikums kommen präzise an der gleichen Stelle.
Die EMI-Version ist demgemäß klarer und offener im Klang, etwas voller und runder. Jedoch ebenfalls noch etwas verhalten, was die tatsächliche Dynamik angeht. Die gefühlte Dynamik dagegen ist immens, was auf den erreichten Grad an Intensität zurückzuführen ist. Zum Unterschied zur gleich im Anschluss beschriebenen Erato-Version sitzen hier alle Geigen links. Das Orchester spielt hier sicherer als zwei Jahre zuvor, es passieren jetzt fast gar keine kleineren Malheurs.
Was alle Mrawinsky-Aufnahmen des Stückes eint, ist der harte unvermittelte Zugriff mit erregenden Crescendi, heftigen Akzenten und dramatischer, mitreißender Zuspitzung in den Sturmszenen. Der Ausdruck wird hier jederzeit vor den Schönklang gestellt. Das unterscheidet sie auch von der vorgenannten Version Svetlanovs markant, die zusätzlich auch noch eine volle und einfach noch schöner klingende Klangtechnik verfügt.
Das Klarinettensolo ist aber, nur um ein Beispiel zu nennen, dennoch sehr gut phrasiert und einfühlsam geblasen. Im Unisono dominiert die Oboe ein wenig die Flöte. Das Englischhorn ist gegenüber den alten Aufnahmen von 1948 und (weniger) 1972 deutlich verbessert und passt klanglich nun gut zur Oboe. Die Celli spielen ihr großes Solo in einem idealen Verhältnis zu den umspielenden Flöten. Der dynamische Ambitus der Violinengruppe ist immens. Die Erzählung Francescas ist spannend und auf eine sehr partiturnahe Weise auch gefühlvoll und völlig unsentimental. Der zweite Sturm reißt unwiderstehlich mit. Wäre der Gesamtklang balsamischer, müsste diese Aufnahme wohl ganz oben stehen.
5
Jewgenij Mrawinsky
Leningrad Philharmonic Orchestra
Erato
1981, live
24:08
Auch hier erlebt man wieder die exakte herbe Artikulation, größte Deutlichkeit, klare Verläufe auch bei den Nebenstimmen, die deutlich abgegrenzt werden, heftige Akzentuierung, sehr hohe Präsenz der Holzbläser, schneidende Blechattacken und herausragende Steigerungsverläufe. Hier wird deutlich gemacht, dass es um existenzielle Erfahrungen geht, die man darzustellen hat. Das Orchester spielt nicht ganz perfekt, was zum größten Teil der Live Situation geschuldet ist, gewährleistet aber größten Ausdruck.
Das große Klarinetten Solo zu Beginn von Francescas Erzählung könnte den Unterschied zwischen f und pp durchaus noch deutlicher machen. Das Holz klingt „russisch“ aber noch recht geschmeidig. Im Unterschied zur EMI-Aufnahme sitzen sich 1. und 2. Violinen hier gegenüber, was der Transparenz sehr zugute kommt. In Leningrad ist die Bühne relativ wenig tief, sodass sich diese Aufstellung als die bessere erwiesen hat. Die Kantilene der Celli erklingt inbrünstig aber dennoch denkbar weit weg vom Kitsch. Der dynamische Spielraum der Violinen ist ganz enorm, dynamische Spitzen erhalten eine ganz besondere Strahlkraft.
Das Blech in den Sturmszenen erklingt mit dem für dieses Orchester typischen mehr weißen als goldenen durchdringenden Ton. Hier entfesselt es gemeinsam mit dem gesamten Orchester die Elemente.
Die Aufnahme ist der EMI-Version gleichwertig aber doch markant verschieden. Es wird eine sehr gute Staffelung in der Breite, weniger in der Tiefe erzielt und die Durchhörbarkeit ist frappierend, kein Detail geht verloren. Es geht aber leider nicht ohne die Effekte ab, die von der Kompression der Dynamik herrühren. Laute Stellen werden um ein Übersteuern zu vermeiden etwas zurückgeregelt. So ist die Gran Cassa als das dynamischste Instrument des Orchesters mehr erahnbar als erfahrbar.
5
Gennadi Roshdestwensky
Leningrad Philharmonic Orchestra
BBC Live, live und Mono aus Edinburgh
23:07
Roshdestwensky war zu jener Zeit der zweite Dirigent des Leningrader Spitzenorchesters hinter Mrawinsky und somit auch oft auf den Tourneen des Orchesters mit unterwegs. So entstand auch diese Aufnahme, die eine große Ähnlichkeit mit den Aufnahmen des Chefs nicht verbergen kann.
Hier hört man ein absolut sicheres homogenes Orchester, das die Live-Situation zur grandiosen Entfesselung seiner Leistungsfähigkeit nutzt. Der ein oder andere Kiekser kann man in diesem Zusammenhang als völlig unbedeutend erachten. Die Darbietung wirkt nicht – wie bei Mrawinsky – wie in Stein gemeißelt, sondern flexibler und mit etwas mehr Rubato gespielt. Auffallend ist der unbedingte Vorwärtsdrang, besonders natürlich in den beiden Sturmszenen. Auch die Erzählung Francescas (Mittelteil) ist spannend. Die Soli klingen etwas weicher als in Leningrad. Das Klarinettensolo ist vorzüglich, klagend und anrührend geblasen. Die Violinengruppe klingt ausgesprochen homogen und frei, aber zeitgemäß immer noch leicht angerauht, was wohl besonders der Aufnahmesituation geschuldet ist (wie die Studioaufnahme aus demselben Jahr bei der DG auch beweist). Auch Englischhorn und Oboe klingen etwas weicher und runder als bei Mrawinsky. Becken und sogar die Gran Cassa sind im Monoklang gut heraushörbar. Das Blech intoniert sehr genau, kraftvoll und mächtig. Ab poco piu mosso (S.136) wird eine fabelhafte alles mitreißende Orkanböe hingelegt, bei der kein Auge mehr trocken bleibt. Leider muss man mit dem im vorliegenden Vergleich lebendigsten Monoklang, der ziemlich gut durchhörbar ist und sogar etwas Räumlichkeit suggeriert, vorlieb nehmen. Die Stereo-Aufnahme (DG auch 1960) verschiebt die Qualitäten in andere Bereiche.
5
Jewgenij Mrawinsky
Leningrad Philharmoniv OOrchestra
Brilliant
1972, live und Mono aus Leningrad
22:36 MONO
Gleich zu Beginn wirkt der Einsatz des Tamtam unheimlich und furchteinflößend, im Accelerando wird das Tempo unwiderstehlich angezogen. Auch hier hört man eindrückliche Phrasierungen und die meisten Qualitäten der anderen Einspielungen Mrawinskys. Die Holzbläser klingen hier dem PO (siehe unten) nicht unähnlich. Die Streicher (insbesondere die Violinen) intonieren wie auch das übrige Orchester rhythmisch sehr prononciert. Die Erzählung strebt unbeirrt ihren Höhepunkten entgegen, die zweite Sturmszene erhält wieder ihre strettaartige mitreißende Steigerung. Dennoch sei diese Aufnahme nur der Vollständigkeit halber erwähnt, denn die Klangqualität steht sogar noch hinter der von 1960 aus Edinburgh zurück. Naturgemäß hört man keine Staffelung. Der Gesamtcharakter ist trocken und dynamisch stark eingeschränkt. Immerhin ist sie noch recht präsent. Verblüffend ist, dass das machtvolle Spiel des Orchesters trotzdem erfahrbar bleibt.
5
Carlo Maria Giulini
Philharmonia Orchestra London
EMI
1959
24:51
Es gibt wohl kaum eine zweite Aufnahme des ehrwürdigen Philharmonia Orchestra in der es so aus der Reserve gelockt wird, wie in dieser. Dabei ist es lange nicht perfekt, was auch die bekannten Untugenden der allzu dünnen und wenig flexiblen Tongebung von Oboe und Englischhorn angeht. Auch die Klarinette beginnt um noch ein weiteres Beispiel zu nennen ihr Solo viel zu laut. Trotzdem gelingt das Unisono von Flöte und Oboe im gewünschten dolce sehr gut gemischt, was angesichts des spitzen Oboen-Tones überrascht. Was die Giulini-Version jedoch auszeichnet ist ihre Hochspannung und dass der Hörer vom aufgepeitschten Duktus vor allem in der zweiten Sturmmusik mitgerissen wird. Einen großen Teil tragen die schneidigen scharfen Akzente und die Präsenz des Blechs, das um sein Leben zu spielen scheint, dazu bei. Aber auch das restliche Orchester und hier besonders die Spieler von Pauke und großer Trommel, die kurz vor dem Ende des Stückes einen Takt für sich ganz alleine haben, währenddessen man sie besonders gut verfolgen kann, gehen bis an die Grenze des Machbaren. Die Aufnahme rauscht ob ihres Alters vernehmlich, ist aber transparenter und klarer als die zehn Jahre jüngere Barbirolli-Version. Darüber hinaus verfügt sie auch über eine höhere Durchschlagskraft im Dynamischen. Gut dass man ihr das gelassen hat, denn durch ein schlechtes Remastering verabschiedet sich mit dem Rauschen mitunter auch die Lebendigkeit. Die Aufnahme war die große Überraschung des Vergleiches, denn Giulini war nicht gerade als Tschaikowsky-Spezialist bekannt. Es gibt ansonsten nur noch Aufnahmen der 2., der 6. Symphonie und von „Romeo und Julia“ mit ihm.
Übrigens wurde auch eine Seraphim-Version der Aufnahme abgehört, die wesentlich zahmer aber auch ein wenig klarer klang.
5
Antal Dorati
Minneapolis Symphony Orchestra
Mercury
22:43
Auch Doratis Aufnahme ist von Beginn an ausdrucksvoll, hoch konzentriert und dramatisch. Sie entfaltet ab dem Accelerando einen sogartigen Impetus. Einen großen Anteil daran hat auch die überaus präsente, allerdings vernehmlich rauschende Aufnahmetechnik, die den Hörer hautnah ins Geschehen involviert.
Dabei hat man das Gefühl, dass hier nichts aufgebauscht oder subjektiv vergrößert wird, ganz im Gegenteil, man bleibt objektiv und befolgt minuziös die Partituranweisungen.
Die orchestertechnische Realisierung wirkt dabei wie ein Tanz auf dem Vulkan, denn das MSO wirkt wie ein ungeschliffener Rohdiamant. Man spürt, dass es bis an seine Grenzen gefordert wird. So fehlt es dem Klarinettensolo nicht an Ausdruck aber an der Geschmeidigkeit des Legato und auch an klanglicher Substanz. Die Klangverschmelzung beim Unisono von Flöte und Oboe will sich nicht einstellen, die Oboe dominiert hier durch ihren recht dünnen, vibratoreichen Ton. Die Liebesszenen (Mittelteil) in Francescas Erzählung erscheint durch das temperamentvolle, etwas forsche Tempo und den stets vorwärtsdrängenden Duktus bisweilen etwas flüchtig. Das Englischhorn mit seinen zahlreichen Einwürfen klingt sehr starr. Das hört man alles wie auf dem Präsentierteller, weil gerade der Holzbläsersatz besonders im hautnahen Focus steht, was wiederum die intensive Teilnahme des Hörers fördert. Der tödliche Messerstich sitzt hier mit ausdrucksstarker Perfektion. Überhaupt ist in dieser Aufnahme der Rhythmus besonders prononciert.
Einziges kleines Manko am Klangbild sind die gegenüber dem übrigen Blech etwas entfernt klingenden Hörner. Ansonsten hat es ordentlich Biss, bei einer etwas verdichteten Räumlichkeit. Die Gran Cassa ist gut vernehmlich
Diese Aufnahme realisiert das Werk von Beginn an vorwärtstreibend quasi unter einem großen Bogen gespannt und völlig unsentimental. Das Orchester sitzt dabei auf der vordersten Stuhlkante und wird bis an seine Grenzen gefordert.
5
Charles Munch
Royal Philharmonic Orchestra London
Chesky
1963
23:32
Dies ist die zweite Aufnahme Munchs. Sie ist der weiter unten beschriebenen vorzuziehen, weil sie von einem erstklassigen kultiviert klingenden Orchester gespielt wird und zudem über einen weiträumigeren, weicheren aber auch klareren und volleren Klang verfügt als die frühere aus Boston. Das Blech ist dabei nicht mehr so präsent und erscheint mehr in den Gesamtklang integriert. Besonders die Erzählung gewinnt durch den weicheren Klang an emotionalem Gehalt. Die Celli spielen ihre schöne Kantilene superb und in perfekter Balance zu den umspielenden Flöten. Man vernimmt ein deutliches Tamtam, eine profunde Gran Cassa und ein viel besseres Englischhorn. Die interpretatorischen Qualitäten kann man uneingeschränkt von der Bostoner Aufnahme übernehmen.
5
Leopold Stokowski
London Symphony Orchestra
Philips, Pentatone
1974
22:30
Zum Zeitpunkt der Aufnahme befand sich der Dirigent im biblischen Alter von 92 Jahren.
Er legt dabei eine Interpretation vor, die seiner Version von 1959 in nichts nachsteht, sie nicht zuletzt durch die noch bessere Klangqualität noch etwas übertrifft. Der „jugendliche“ Impetus ist geradezu unglaublich. Den Sturmmusiken wird mächtig eingeheizt. Dabei wird keine Show inszeniert, sondern die Partitur befolgt. Er lässt zudem Details hören, die man in dieser Deutlichkeit auf keiner anderen Aufnahme hören kann. Es gibt z.B. eine Sequenz in der Sturmmusik in der sich 3. und 4. Horn abwechseln und dabei unisono mit den Streichern spielen. Hier hört man sie und sie werden nicht zugedeckt. Es ergibt sich so eine durchaus dramatischere Gesamtsituation, denn die Hörner ergeben einen zusätzlichen Eindruck von Gefahr und Drama.
Die Erzählung Francescas bleibt stets bewegt. Das Tempo wird durchgezogen, es gibt kein Verweilen. Aber höchste Kantabiliät. Das LSO zeigt sich übrigens von seiner besten Seite.
Stokowski wäre nicht Stokowski, wenn er aber nicht noch einen kleinen Einfall zum gelungenen Gesamtbild hinzufügen würde: Das Tamtam am Schluss wird so mächtig angeschlagen und nicht am Ausschwingen gehindert, dass es noch sehr lange nachschwingt, auch als der Orkan schon beendet ist. Sinnfälliger kann man das Entschwinden des Liebespaares in die Ewigkeit nicht darstellen. Das Vorgehen ist durch die Fermate übrigens durch die Partitur gedeckt. Stokowski kommt als erster auf diese Idee und findet auch keine echten Nachahmer.
Die Aufnahme ist noch etwas hellhöriger als die schon sehr gute Everest-Aufnahme, sehr geschmeidig und voll klingend. Gran Cassa und die Becken werden gut hervorgehoben.
Für Freunde des Mehrkanalklanges bietet die SACD die Möglichkeit die Aufnahme auch im originalen 4-Kanal-Klang der Zeit der Quattro-Aufnahmen zu hören.
5
Mikail Pletnev
Russian National Orchestra
DG
1996
23:52
Pletnev bietet in seiner ersten Aufnahme des Stückes unter den 5-Sterne-Einspielungen die erste Hochglanzproduktion. Dem Orchester hört man sein Herkunftsland nicht mehr an. Das ausgezeichnete Orchesterspiel punktet mit größter Perfektion. Die Aufnahmequalität gehört zu den besten des gesamten Vergleiches. Gegenüber seiner zweiten Aufnahme, die ebenfalls perfekt gespielt wird, wirkt die ältere weniger distanziert und lebendiger. Die Hochspannung der zuvor genannten Einspielungen erreichen aber beide nicht ganz.
Auch die Akzente werden nicht mehr so hart herausgestellt wie bei den weiter oben genannten beiden Landleuten. Die Sturmszenen sind bei aller gebotenen Kraftentfaltung nicht mehr so ungebändigt und orkanartig.
Dafür hat das Orchester hervorragende Solisten, die klanglich und artikulatorisch kaum zu überbieten sind. Die Klarinette verfügt über ein geschmeidiges Legato, wird sehr weich und ausdrucksvoll geblasen. Während die neuere Aufnahme den Mittelteil in einem ziemlich nachgiebigen Tempo darstellt, bekommt dem Stück das hier gewählte zügigere Tempo sehr gut, gelassen wirkt es immer noch aber immer schön fließend. Ab Poco piu mosso überrumpelt die Aufnahme mit schierer Klanggewalt, weniger durch „Windgeschwindigkeit“.
Diese Wirkung rührt unter anderem auch daher, dass Blechbläser, die Trommel und vor allem die Gran Cassa in ihrer ganzen Kraft und Größe erfahrbar werden.
Ganz zu Beginn, als der Partitur gemäß eigentlich keine Gran Cassa mitwirken dürfte, erreicht diese Aufnahme schon eine Klanggewalt, die ohne dieses Instrument (d.h. im Wesentlichen nur mit dem auch äußerst präsenten Tam Tam) nicht erreichbar wäre. Hat man hier retuschiert? Generell liegt hier die weitaus bassstärkste Aufnahme vor, die auch durch schöne Klangfarben, größte Dynamik und hervorragender Klarheit für sich einnimmt.
5
Igor Markevitch
Lamoureux Orchester Paris
DG
1959
23:15
Auch Igor Markevitch legt eine ausgesprochen spannende, hochkonzentrierte Wiedergabe vor. Das Orchester spielt in Topform. Ab Accelerando beginnt ein sogartiger Sturm. Das Klarinettensolo gelingt überraschend weich und differenziert. Das Unisono von Flöte und Oboe ist sehr ausgewogen. Nur das Englischhorn klingt merkwürdig schnarrend. Die anderen Holzbläser klingen viel klangschöner. Die Celli spielen ihre Kantilene in bester Abstimmung mit den umspielenden Flöten. Francescas Erzählung ist im Ganzen anschaulich, geradezu bildhaft gelungen. Der Sturm wirkt aufgepeitscht. Die fff Stellen wirken wie entfesselt. Die Gesamtwirkung mitreißend
Besonderheit bei der Aufnahmetechnik ist die große Entfernung bei der Positionierung der Violinen und Celli bzw. Bässe. Gefühlt liegt zwischen ihnen ein riesiges Dirigentenpult. Den Bässen ihrerseits fehlt es an Wucht. Die Staffelung in der Breite ist ausgezeichnet, weniger die in der Tiefe. Für die Aufnahmezeit ist sie ausgesprochen transparent und klar. Die Gran cassa muss ohne jeden Tiefgang und Volumen auskommen. Dafür ist die Aufnahme sehr farbig. Insgesamt ist die Aufnahme ausgewogener als die Living Stereo von Charles Münch. Der Autor darf gestehen, dass hier die beste Leistung eines französischen Orchesters zu hören ist, die er je gehört hat.
5
Riccardo Chailly
Cleveland Orchestra
Decca
1985
22:56
In dieser Aufnahme wird vorbildliches geleistet, dennoch erreicht sie nicht ganz den emotionalen Siedepunkt wie die vorherigen. Dafür leistet sie sich keinerlei ernsthaften Schwachpunkt. Das Orchester ist als Perfektionsensemble bekannt und diesem Ruf wird es auch in dieser Darbietung gerecht. Der Dirigent beflügelt es zu einer jugendlich dramatischen Darstellung in der jedoch die Extreme der besten russischen Einspielungen vermieden werden.
Im Einzelnen: Die Violinen klingen ausgesprochen geschmeidig und homogen, die Gran Cassa wird gut eingefangen, das Klarinettensolo ist ebenfalls gut gelungen. Die Celli phrasieren ihre Kantilene makellos. Holz und Horn klingen angenehm und in sich sehr homogen abgestimmt. Die Liebesszenen sind leidenschaftlich dargestellt. Der tödliche Stich, der Francesca tötet, ertönt ausgesprochen prägnant. Beim abschließenden Poco piu mosso gewinnt man jedoch den Eindruck, das Orchester könnte noch etwas mehr geben, man fühlt die Grenzen des Machbaren sind hier noch nicht erreicht um das unentrinnbare brutale Schicksal erfahrbarer zu machen. Man wird dessen vielleicht auch nur gewahr, weil man um die außergewöhnlichen Qualitäten des Orchesters weiß.
Die frühe Decca – Digital -Aufnahme klingt relativ kompakt, hat aber dennoch eine sehr gute Transparenz und einen weiten dynamischen Ambitus. Die Klangfarben sind natürlich zu nennen.
5
Jewgenij Svetlanov
Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija-Eurodisc, neu aufgelegt von Scribendum
1968
23:05
Die alte Svetlanov-Aufnahme steht der ersten insbesondere in der Klangqualität merklich nach. Auch diese ist von Beginn an aufgeheizt, wie man sich einen Gang in der Hölle auch vorstellt, was sich im Verlauf des ersten Sturmes noch steigert. Das Orchester agiert ausgesprochen souverän und sicher. Die Erzählung wird ohne Sentimentalität, aber doch gefühlvoll und mit einem nachdrücklichen Steigerungsverlauf dargestellt. Der Dolchstoss ist dynamisch. Der zweite Sturm ist extrem zugespitzt. Mehr Dramatik wäre aber noch möglich gewesen, wenn Pauke und Gran Cassa besser aufgenommen und ins Klangbild gekommen wären. Sie bleiben so nur Randnotizen des Geschehens. Der gesamte Bassbereich bleibt unterbelichtet. Die Klangfarben wirken nicht sonderlich voll und natürlich sondern etwas dünn und metallisch belegt
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1956
23:02
Die Interpretation und auch der Klang dieser Aufnahme ist derjenigen von Antal Dorati nicht unähnlich. Auch sie wirkt hoch konzentriert und beschwört unnachgiebig und feurig die Elemente. Wirken die Violinen zu Beginn noch etwas spitz, steigern sie sich im weiteren Verlauf deutlich und sind (besonders con sordini) zu einem hellen Leuchten fähig. Die Holzbläser dieses Orchesters hat man jedoch schon kultivierter gehört: Das Klarinettensolo klingt nicht gerade vollmundig, man bemüht sich aber um dynamisch exakte Phrasierung. Das Unisono muss mit einem großen Anteil Oboe auskommen und das Englischhorn schließlich klingt nasal, hart und dünn. In den meisten Orchestern der 50er Jahre scheint dieses Instrument – ob der nur sporadischen Einsätze? - eher stiefmütterlich behandelt worden zu sein. Die Cellokantilene klingt sehr schön und wird von den Flöten angemessen zurückhaltend umspielt. Die Harfe ist gut hörbar. Das Blech ist präsent hat eine erstklassische Durchschlagskraft. Der Dolchstoß wird rhythmisch und dynamisch auf den Punkt gebracht. Kein Beckenschlag wird unterschlagen. Der finale Sturm erklingt transparent aber nicht ganz so mitreißend wie bei Dorati oder Giulini. Der Klang ist knackig und frisch, dabei sehr lebendig aber nicht frei von leichten Verzerrungen, als ob man ein Übersteuern nicht verhindern konnte oder wollte. Er neigt ein klein wenig zur Schärfe. Die Präsenz ist nicht ganz so haunah wie bei Dorati. Dafür das Orchester im Gesamterscheinungsbild dem MSO gegenüber etwas kultivierter.
5
Gustavo Dudamel
Kinderorchester Venezuela
HoMe Music Production
2000, LIVE in München
22:12
Diese Aufnahme lässt das Simon Bolivar Youth Orchestra of Venezuela noch in seinen Kinderschuhen hören. Es sind zwar einige ältere Jugendliche mit von der Partie, aber die meisten Spieler dürften den Bildern im Beiheft zu urteilen, noch fast im Kindesalter stecken oder die Pubertät gerade eben erreicht haben. Das Orchester spielt mit ca. 200 Spielern und zumeist auf Lern-Instrumenten. Man hört durchaus noch ein klein wenig die fehlende Reife in den Soli und die ein oder andere Phrasierung wirkt noch etwas verhuscht. Aber dieses kleine Manko wird durch jugendliches Ungestüm mehr als wettgemacht. Man hat das Stück vollends verinnerlicht und scheint es weitgehend auswendig in einer Art und Weise zu spielen, vor der sich die meisten Profiorchester ruhig ein paar Scheiben abschneiden könnten. Voller Leichtigkeit aber auch ansatzloser Dynamik. 200 Musiker klingen eben doch gewaltiger, wenn sie gut zusammensind als 80.
Das Klarinettensolo wird schön geblasen und auch wenn noch etwas Volumen fehlen sollte, bleiben wie bei den anderen Solisten kaum Wünsche offen. Das konzentrierte und spannende Spiel gipfelt im abschließenden Sturm, der sich vor den besten hier bereits genannten Versionen nicht zu verstecken braucht – ganz im Gegenteil: Er bricht überfallartig, mit größter Intensität, einem mörderischen Tempo und mit großer Wucht über den Hörer herein. Das Besondere an dieser Aufnahme ist, dass sich diese Intensität mit einem so starken Sog auf den Hörer überträgt, dass er sich der Wirkung kaum entziehen kann. Man traut seinen Ohren kaum. Bravissimo! Der Jubel in der Münchner Philharmonie kann man als orkanartig bezeichnen. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass man zugleich beseelte Kindergesichter dabei sah. Man traut es ihnen einfach nicht zu und der Verblüffungseffekt teigert das Erlebnis nochmals. Kann man da von einem Wunder reden?
Die klare Aufnahme entstand im Münchner Gasteig. Die Präsenz könnte etwas höher sein und sie wirkt auch nicht ganz ausgewogen und leicht hallig, was auch am Konzertsaal selbst liegen kann. Aber die Begeisterung überträgt sie trotzdem vollends.
4-5
Leopold Stokowski
Stadium Orchestra of New York
Everest
1959
23:23
Stokowski bietet hier eine Aufnahme wie aus einem Guss. Da das Stück sowieso schon reich an Effekten komponiert wurde, braucht der Maestro keine mehr dazu zu erfinden. Auch die Klangtechnik bleibt natürlich, nicht wie die späteren Decca Aufnahmen der Phase 4 Zeit.
Das Orchester – hinter dem Namen verbergen sich, teils aus vertragsrechtlichen Gründen, teils weil sie damals im Stadium Sommerkonzerte veranstaltete, die New Yorker Philharmoniker – spielt auf hohem Niveau aber nicht ganz so kultiviert wie das LSO in Stokowskis späterer Aufnahme. Aber geschmeidiger als bei der Bernstein-Aufnahme ein Jahr später.
Die Holzbläser klingen leicht nasal. Das große Klarinettensolo wird intensiv und differenziert geblasen (ohne Vibrato), das Unisono von Flöte und Oboe mischt sich gut. Die Kantilene der Celli lässt keine Wünsche offen. Die Erzählung wird unsentimental und luzide gestaltet, es gibt keine nachteiligen Temposchwankungen.
Die Aufnahmequalität wird im Tutti ein wenig dicht und kompakt. Klanglich ist sie natürlich und ausgewogener und voller als die bereits erwähnte Bernstein Version ein Jahr später. An die Philips – Pentatone - Aufnahme mit dem LSO reicht sie jedoch nicht heran.
4-5
Gustavo Dudamel
Simon Bolivar Youth Orchestra of Venezuela
2008, Live in Caracas
25:33
Der zweiten Aufnahme Dudamels hört man den Zugewinn an Reife gegenüber der ersten deutlich an. Die Intonation ist genauer, das Zusammenspiel perfektioniert. Die Phrasierungen der Solisten sind nun etwas differenzierter, sicherer und klangvoller. Nebenstimmen kommen noch besser zur Geltung, was auch an der besseren Aufnahmequalität liegt.
Francescas Erzählung im Mittelteil wirkt nun intensiver und bewusster, wird jedoch in einem ziemlich nachgiebigen Tempo vorgetragen. Ein flexibles Rubato ist jetzt möglich. Die Harfe wird nun schön herausgestellt. Die Erzählung enthält große Steigerungen, erscheint aber in der Gesamtanlage als etwas zu langsam. Der Dolchstoß könnte etwas intensiver sein. Die zahlreichen Einsätze der Becken kommen geschmackvoll und geschmeidig und sind keinesfalls lästig. Die Sturmmusiken erhalten eine hohe Windstärke und intensive Kraft, sind aber nicht mehr ganz so überragend ungestüm und bezwingend wie noch 2000 in München.
Klanglich kann sich die Aufnahme mit den besten messen. Sie verfügt über ein hohes Maß an Klarheit und sehr hohe Durchschlagskraft. Nicht zuletzt durch die dynamisch ins Klangbild kommende Gran Cassa.
4-5
Maris Jansons
Oslo PO
EMI
1987
22 :27
Diese Aufnahme wird ähnlich derjenigen von Chailly vom jugendlichen Impetus getragen. Das zeigt sich in den im flotten Tempo vorgetragenen Sturmmusiken und auch in exakter rhythmischer Ausführung. Die Gesamtanlage wirkt dynamisch. Dem schlanken Orchesterklang fehlt es gegenüber dem CO jedoch noch an Perfektion und am letzten Glanz.
Die Erzählung des Mittelteils wird konzise aber auch etwas nüchtern durchgezogen. Die Holzbläser sind zuverlässig, das schon oft erwähnte unisono von Flöte und Oboe erreicht nicht ganz die gewünschte Verschmelzung, mal ist die Oboe, mal die Flöte zu stark heraushörbar. Die Harfe wird klanglich etwas zu weit nach hinten versetzt. Die Hörner verdienen sich ein Sonderlob. Der Schluss gelingt wesentlich packender als später in der Aufnahme mit dem SO des BR. Die Aufnahmequalität erreicht eine gute Transparenz, kann sich aber nicht mit der Perfektion der später entstandenen BR Aufnahme mit dem eigenen SO messen.
4-5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Baverischen Rundfunks
BR Klassik
2009, LIVE
23:33
Hier gelingt Jansons ein durch und durch exzellenter, ausdrucksgeladener Vortrag. Das Orchester ist durchweg hervorragend besetzt. Die Violinen zeigen ihre Klasse durch tollen vollen dynamikreichen flexiblen Klang. Besonders mit der Surdine begeistert er. Lediglich das Klarinettensolo könnte dynamisch besser abschattiert sein. Das Unisono gelingt perfekt. Die Kantilene der Celli klingt toll. Die Harfe ist nun viel präsenter als in Oslo. Auch hier begeistern die Hörner besonders, aber auch Fagott, Oboe und Englischhorn gefallen durch schönen Klang und herausragendem Ausdrucksvermögen. Weshalb diese souveräne Version keine 5 bekommt und sogar hinter der Osloer steht ist der zu vorsichtigen und bedächtigen Gangart zum Schluss ab Poco piu mosso. Hier fehlt es an Windstärke und -geschwindigkeit.
Die moderne Aufnahme (die als SACD auch über die Möglichkeit der 5-kanaligen Wiedergabe verfügt) ist deutlich transparenter und offener als die Osloer EMI-Aufnahme. Sie verfügt über exzellente Räumlichkeit und gute Dynamik. Noch zu steigern indem man die SACD mehrkanalig abspielt.
4-5
Mikail Pletnev
Russian National Orchestra
Pentatone
24:18
2010
Auch die zweite Aufnahme Pletnevs zeichnet sich durch ausdrucksvolles Spiel aus. Gleichzeitig wirkt es auch gegenüber der ersten Aufnahme 14 Jahre zuvor noch gelassener und teilweise akribisch genau, beinahe etwas distanziert. Das Orchester hat von seiner Klasse nichts eingebüßt. Das Klarinettensolo klingt erneut klangschön und rund mit sehr flexibler intensiver Gestaltung. Das Unisono von Flöte und Oboe ist erneut dolce cantabile und sehr schön. Auch das Englischhorn klingt sehr gut und wird wie die Oboe sehr flexibel geblasen. Die Celli könnten kaum schöner klingen. Die große Trommel kommt sehr gut heraus, der Bassbereich wird generell gut wiedergegeben, aber nicht so prononciert herausgestellt wie noch auf der DG-Aufnahme. Die Becken sind aber bisweilen unhörbar. Die Sturmmusik bleibt ähnlich wie die BR-Aufnahme Jansons´ seltsam gebremst. Die Aufnahme kann man als super transparent, dreidimensional und ausgesprochen klangschön bezeichnen. Auch sie könnte als SACD 5-kanalig abgespielt werden.
4-5
Gennadi Roshdestwensky
Leningrad PO
DG
1960
25:06
In dieser Studioproduktion präsentiert Roshdestwensky sowohl das Werk als auch das Orchester auf andere Art als in der Live-Produktion der BBC. Hier wird das Orchester als Mittler des Schönklangs und der Perfektion dargestellt. Das gelingt vortrefflich. Man verzichtet auf jedes Risiko und wählt ein deutlich bedächtigeres Tempo. Das bringt einen Zugewinn an Genauigkeit und Deutlichkeit der Partitur gegenüber. Aber das spontane und ungestüme der Live Aufnahme geht weitestgehend verloren. Die Klarinette (mit einem leichten Vibrato geblasen) zeigt dafür jedoch ein einfühlsames Solo. Das Unisono gelingt nun perfekt. Aus der Erzählung Francescas, bzw. aus der Fantasie, die Tschaikowsky daraus gemacht hat, wird nun eine hochsensible Sache gemacht, das Tempo ist ziemlich langsam, gerade noch nicht schleppend. Die Geigen intonieren jetzt perfekt, Englischhorn und Oboe viel klangschöner. Es fehlt hier auch nicht an Dramatik und alles klingt fantastisch ausbalanciert.
Der Sturm tobt jedoch im Vergleich zur BBC-Aufnahme nur noch mit halber Windstärke, es fehlt nun an Biss Brio. Perfektion stand im Studio bei der Aufnahme für die „Ewigkeit“ im Vordergrund.
Die für damalige Verhältnisse ausgezeichnete Aufnahme bringt die immer noch vorhandene Gewalt dynamisch nahezu ungeschmälert ans Ohr des Hörers.
Man glaubt hier fast ein anderes Orchester und einen anderen Dirigenten zu hören als in der Einspielung der BBC. Diese Studio-Version ist deutlich nachgiebiger und gefühlvoller aber auch weit weniger stürmisch und mitreißend als die Live-Version. Wie schön wäre es gewesen die Live Situation unter Studiobedingungen einzuspielen.
4-5
Seiji Ozawa
Berliner Philharmoniker
EMI
1985
22:57
Hier vernimmt man eine ausgewogene Darstellung eines gut aufgelegten Spitzenorchesters. Mit vollen samtweichen Violinen, einer guten Grundierung durch die Bässe, gut herausgearbeiteten Nebenstimmen (die Fagotte können hier einmal richtig brillieren) und einer angemessen in Bild genommenen Gran Cassa. Das Klarinettensolo ist zwar samtweich, aber nicht sonderlich dynamisch abschattiert, das Unisono von Flöte und Oboe wird leicht von der Flöte dominiert. Akzente werden eher behutsam und weich gesetzt. Die Celli bieten vorzügliche Homogenität und Gesanglichkeit. Englischhorn und Oboe zeigen ihren bekannt vollen Ton. Die Harfe ist präsent und gut abgebildet. Ozawa stellt die Erzählung drängend und expressiv dar, die Sturmmusiken sind angemessen wild, die gute Gran cassa und das prominente Tamtam lassen sie auch bedrohlich erscheinen, aber nicht urgewaltig.
Die Klangtechnik stellt das Orchester recht tief gestaffelt in den Raum. Es ist aber nicht so weit entfernt wie in der unten aufgeführten Muti-Aufnahme desselben Labels. Nur das Holz könnte etwas mehr Präsenz vertragen, eine leichte Halligkeit ist nicht zu überhören.
4-5
Riccardo Muti
Philadelphia Orchestra
EMI
1992
23:15
Auch Mutis Einspielung ist spannend und temperamentvoll gestaltet. Die Orchesterqualität ist hervorragend. Die Violinen intonieren absolut homogen und verfügen über einen fabelhaft weichen, wenn gefordert auch zarten Ton. Das Klarinettensolo ist wunderbar dynamisch abschattiert. Obwohl auch die übrigen Holzbläser über eine sehr gute Qualität verfügen und klanglich sehr gut miteinander abgestimmt sind, ist das schon oft zitierte Unisono von Flöte und Oboe nicht gut gemischt, hier hört man beide Instrumente deutlich heraus, es ergibt sich kein harmonischer Gesamtklang von beiden. Die Celli intonieren ihre Kantilene traumhaft schön. Das Blech bleibt leider sehr in den Gesamtklang integriert. Das mag ein hehres Ziel sein, mitreißender wäre es aber wenn man es mit mehr Präsenz hätte agieren lassen. Beim Becken geht kein Einsatz verloren, es agiert ebenfalls keineswegs aufdringlich. Der Dolchstoss aus Händen des mordenden Ehemannes kommt dagegen mit explosiver Kraft.
Die Sturmmusik ist temperamentvoll und bleibt sehr transparent ist aber nicht von existenzieller Kraft.
Die etwas entfernte Aufnahmetechnik mit schönen, weichen und vollen Klangfarben ist dreidimensional. Dass die Gran Cassa nur hinlänglich präsent klingt, unterstreicht das schön klingende und auch Wohlbehagen auf hohem Niveau verbreitende Gesamterlebnis, das diese Aufnahme verbreitet. Erschüttern wollte man hier nicht.
4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic
CBS
1960
24:30
Von Leonard Bernstein sind mir drei Aufnahmen bekannt. Zwei mit dem New York, eine mit dem Israel Philharmonic Orchestra. Die beiden ersten von 1960 und 1979 erscheinen beinahe gleichwertig. Bernstein lässt 1960 den Hörer mit etwas zu viel Tamtam die Hölle betreten. Schon oft fiel bei den New Yorker CBS – Aufnahmen jener Zeit auf, dass insbesondere den Holzbläsern kein echtes pp abverlangt wurde. So auch hier wieder. Die Streicher aus New York aber sind den Kollegen aus Israel deutlich überlegen, was Homogenität und Glanz betrifft. Die Große Trommel erscheint wiederum viel zu schwach. Die Klarinette ist gut aber klanglich nicht überragend. Das Unisono der beiden Bläser gelingt und die Celli klingen sehr ausdrucksvoll.
Die Gesamtdarstellung gelingt sehr gut. Die Dramatik und Stimmung wird voll getroffen, die Liebeserzählung Francescas wird mit erregendem Rubato versehen, die Stürme werden gut aufgeheizt. Der Gesamtklang wirkt transparent und klar, ist aber nicht ganz frei und wirkt leicht gepresst.
4-5
Leonard Bernstein
Israel Philharmonic Orchestra
DG
1979
23:41
Bernstein lässt uns hier noch stärker als in New York eine Welt des Leidens betreten. Er wird dabei deutlicher als andere Dirigenten. Da es sich um die Hölle handelt, kann er hier nicht irren. Ausdrucksvolle Artikulation unterstreicht seine Absicht. Der Sturm erfährt keinen echten Unterschied zwischen ff und fff. Die Violinen klingen matt und wenig körperhaft.
Das Unisono von Flöte und Oboe wird hier von der Flöte dominiert. Das Englischhorn klingt etwas besser als das New Yorker. Die Gran Cassa ist jetzt besser hörbar, aber nicht prononciert. Ab dem Allegro vivo peitscht Bernstein dem Tempo ordentlich ein. Der Todesstoß gelingt spitz. Die Becken werden nicht vergessen. Die Schlusstakte werden angemessen zugespitzt. Die Aufnahme klingt recht dynamisch. bei den ganz lauten Abschnitten wirkt sie etwas eingeschränkt. Sie ist weitgehend transparent, recht gut durchhörbar und recht farbig aber nicht sonderlich räumlich.
4-5
Antonio Pappano
Orchestra dell´ Accademia Nazionale di Santa Cecilia
EMI
2006
23:26
Auch hier wird eine hochrangige ziemlich bewegte Darbietung geboten. Es gibt einige besonders gelungene Details. So stellt Pappano zu Beginn sehr schön die Bedrohlichkeit der Bassfigur heraus. Von Beginn an treibt er die Musik voran. Im Orchester gibt es Gelungenes wie auch weniger Gelungenes. Die Klarinette klingt kantabel, die Hörner gegenüber den anderen Blechbläsern und generell auch im Tutti zu schwach. Die Geigen können im Vergleich zum – nur um ein Beispiel zu nennen – SO des BR nicht bestehen, weder was die Klangschönheit noch die Homogenität anlangt. Hier war die Positionierung der Geigen rechts und links vielleicht nicht förderlich. Einen schönen Effekt und Auflichtung des Gesamtklangs bringt es aber auch mit sich. Dagegen verschmelzen Flöte und Oboe ausgezeichnet in ihrem Unisono. Die Celli wiederum könnten durchaus etwas homogener sein (S. 73). Die des BR klingen deutlich samtiger. Die Trompeten (incl. Pistons) sind durchschlagskräftig. Der finale Sturm lässt die letzte elementare Naturgewalt vermissen. Die Aufnahmequalität könnte für das junge Datum lebendiger klingen.
4-5
Vladimir Ashkenazy
Royal Philharmonic Orchestra London
Decca
1989
23:26
In dieser Aufnahme werden die Hörner gegenüber dem anderen Blech bevorzugt. Die Holzbläser spielen klangschön, die Streicher agieren breitbandig, weich und voll. Ashkenazy legt eine gelungene Interpretation der Mitte vor, es wird nichts vernachlässigt, aber auch nicht besonders tief nach Ausdruck geschürft, zugespitzt geschweige denn existentielle Fragen aufgeworfen.
Sie profitiert aber vom farbigen Klangbild und den klangschönen Soli. Sehr prominent donnert die Gran Cassa und verleiht so den Stürmen Mächtigkeit. Der finale Sturm windet zwar recht stark, ihm fehlt aber die atemlose und die infernalische Komponente. Das Klangbild ist gut in der Breite gestaffelt, die Tiefendimension kommt dagegen weniger gut zur Geltung.
4-5
Sian Edwards
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
EMI
1989
23:12
Auch Sian Edwards gelingt eine ausgewogene auf eine kontrollierte Art schwungvolle Auslegung des Werkes auf hohem Niveau. Alle Holbläser intonieren klangschön und ausdrucksstark. Die Kantilene der Celli wird eher sachlich mit zurückhaltendem Espressivo angegangen. Die Gran Cassa wird gut ins Klangbild integriert. Die Violinen klingen nicht ganz frei, was aber auch an der Technik liegen kann. Steigerungen erscheinen akribisch genau nachgezeichnet, aber ohne den letzten Nachdruck.
Die Aufnahme ist nicht ganz offen (d.h. der Hochtonbereich wirkt im Frequenzgang beschnitten) aber gut gestaffelt.
4-5
Sir John Barbirolli
New Philharmonia Orchestra London
EMI
1969
24:12
Beim Philharmonia Orchestra hat sich durch den Namenszusatz “New” am Klang nichts geändert, weshalb die Bemerkungen nicht mehr wiederholt werden müssen (siehe Giulini und Markevitch). Gegenüber Markevitch und noch mehr Giulini entwickelt Barbirolli nicht die gleiche Sogkraft beim Accelerando. Die derbe klangliche Entgleisung des Englischhorns bei Markevitch unterbleibt hier. Das Tamtam und die Gran Cassa sind hier ebenso wie das Becken gut hörbar, letzteres wird aber auf eine auffallend monotone Art angeschlagen. Die an sich beeindruckende Schlusssteigerung wird durch die Klangtechnik fast entwertet, denn um die Bänder nicht zu übersteuern wurde massiv mit dem Kompander eingegriffen. Ab Seite 139 Poco piu mosso wird runtergeregelt. So wird vom infernalischen Sturm wie mit einem Ventil einfach der Druck abgelassen. Fast bleibt nur eine Sommerbrise übrig. Ansonsten wird die Interpretation dem Idiom Tschaikowskys sehr gut gerecht.
4-5
Rico Saccani
Budapest Philharmonic Orchestra
BPO Live
P 2003
23:35
Saccani war von 1997 -2005 Chef dieses Orchesters. Ihm sowie dem Orchester unterlaufen trotz der Live-Situation keine Fehler. Beide sind hierzulande zwar kaum bekannt, man weiß aber durchaus mit Qualtat zu überzeugen. Die Temponahme ist ziemlich rubatofrei und geradlinig. Auf eine besondere Zuspitzung in diesem Bereich wird verzichtet. Die Erzählung erfolgt unter einem weit gespannten Bogen mit nachhaltig wirkender Steigerung. Auch die abschließende Sturmszenerie zeigt beträchtliches Steigerungspotential, beim letzten Ton mit Fermate wird diese mit Abstand am längsten ausgehalten (nicht nur das Tamtam, wie bei Stokowski). Dabei wahrt man die höchstmögliche Intensität. Es ist gut möglich, dass Saccani die Londoner Stokowski-Aufnahme kannte und das nachwirkende Tamtam nur noch um die zusätzlichen Instrumente ergänzte. Durch die Partitur wäre das Vorgehen gedeckt. Die Wirkung des Entschwindens ins Nichts (oder in die Ewigkeit) ist durchaus nicht nur die eines Effektes. Sie wirkt nachhaltig.
Die Aufnahme ist weiträumig und dreidimensional mit sehr guter Transparenz und weiter Dynamik, der Frequenzbereich wirkt breitbandig. Der Klang ist klar, es fehlt aber etwas an Wärme.
4-5
Semyon Bychkov
Tschechische Philharmonie
Decca
2017
24:14
Diese Interpretation lebt vor allem von der ausgezeichneten Qualität des Orchesters, dem Bychkov seit einigen Jahren als Chef vorsteht. So sind die Violinen sehr homogen, üppig, weich und rund. Der warme vollmundige Grundton liegt über dem ganzen Orchester. Jede Gruppe ist im Gesamtklang integriert und spielt rund und perfekt. Das Klarinettensolo klingt traumhaft schön. Auch die Kantabilität der Holzbläser überzeugt. Das Unisono gelingt perfekt. So ist der Francesca gewidmete Mittelteil besonders schön gelungen.
Die Kehrseite sind softe Akzente und fehlende Zuspitzung, besonders auch der Außenteile. Ihnen fehlt es so am nötigen Aus- und Nachdruck. Alles wirkt kontrolliert und fein ausbalanciert. Auch könnten diese Abschnitte dynamischer ausfallen. Der Sturm wirkt domestiziert.
Die Aufnahme hat eine solide Bassgrundierung und klingt ausgesprochen dreidimensional und schön.
4-5
Oscar Danon
Brünn PO
Supraphon
1976
25:16
Einen ziemlich eigenständigen Klang präsentiert das Brünner Orchester. Auffallend ist zuerst das aufgeweckte Blech, das seinerseits von den überaus motivierten Piston-Spieler überstrahlt wird.. Auch die Klarinette unterscheidet sich stark von allen anderen. Sie pflegt einen ausgesprochen individuellen, farbigen Klang mit vielen Facetten, mit leichtem Vibrato und einem Hauch Klezmer in der Tongebung. Der Spieler scheint in sein Instrument hineinzusingen. Sie scheint auch der Anführer im Holzbläsersatz sein zu wollen und dominiert ihn ein wenig. Das Unisono von Flöte und Oboe ist nicht sonderlich homogen, die Flöte gebärdet sich etwas vorwitzig. Die Geigen spielen sehr homogen, klingen aber auch etwas kompakt. Die Celli spielen in bestem Einvernehmen mit den umspielenden Flöten ihre herrliche Kantilene.
Interpretatorisch fällt die gute Durcharbeitung auf, der Vortrag wirkt auch frischer als der der „Prager Konkurrenz“ und ausdrucksvoller und intensiver als der der Nachbarn aus Bratislava. Das Accelerando ist spürbar, verursacht aber keine Sogwirkung. Francescas Erzählung erhält ein behutsames Rubato. Der Sturm braust tüchtig auf, ohne aber die Orkanstärken der Aufnahmen der 5er-Gruppe zu erreichen. Eine sympathische Einspielung, fernab der globalisierten Vereinheitlichung.
4-5
Igor Markevitch
New Philharmonia Orchestra
Philips
1967
23:03
Gegenüber der Pariser Aufnahme Markevitchs wird die Londoner klanglich etwas voluminöser und mit etwas mehr natürlichem Raumklang ausgestattet. Die Becken sind deutlicher, die Gran Cassa besser vernehmbar. Die Interpretation fängt die düstere Grundstimmung sehr gut ein und ist spannend, sie verfügt aber nicht über die Unerbittlichkeit und fff-Gewalt der Giulini Aufnahme und gegenüber der Pariser Version muss man diesmal das rücksichtslose Hineinblöken des Englischhorns in die liebevolle Szenerie der Franzisca-Erzählung heftig bemängeln. Es macht hier nachhaltig die ganze Stimmung kaputt. Dies führt zur Abwertung bis ans Ende der erreichten Bewertungskategorie. Man fragt sich, wer die Aufnahme vor der Veröffentlichung kontrolliert hat. Bei der Klangqualität fehlt es an beiden Enden des Frequenzspektrums, es fehlt also etwas an Höhenbrillanz und an Bassvolumen.
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic
DG
1989
27:35
Interpretatorisch ist diese wohl die individuellste der drei vorgestellten Aufnahmen Bernsteins. Unter ihnen verfügt sie auch mit Abstand über das beste Orchesterspiel und die beste Klangtechnik. Vor allem die beiden Höllenstürme profitieren immens davon. Sie geraten mächtig und bedrohlich, dabei auch sehr plastisch und gut durchgezeichnet. Die heftig donnernden Einwürfe der prominent ins akustische Bild gerückten Gran Cassa unterstützen diesen Eindruck noch. Auch die Liebesszenen im Mittelteil werden bis zum äußersten dynamisch aufgeladen. Man hört auch das mit großem Abstand beste Englischhorn der drei Aufnahmen und das Unisono gelingt perfekt abgestimmt. Die Celli spielen ihr Thema sonor und glänzend. Problematisch hingegen erscheinen die im Mittelteil gewählten extrem verlangsamten Tempi. Die Gefühle erscheinen so zwar tief ausgelotet, aber der Fluss der Musik gerät ins Stocken und die Spannung hängt ein ums andere Mal durch. Vom Hörer und vom beteiligten Orchester wird hier ein langer Atem verlangt.
Der Klang ist sehr breitbandig und dynamisch. Er verfügt über eine sehr gute Staffelung sowohl in der Breite als auch in der Tiefe des Raumes.
4
Vladimir Fedoseyev
Tschaikowsky Symphony Orchestra Moskau
Relief
1998
25:22
Schon der Einstieg klingt engagiert und ernsthaft. In der Folge bleiben die Steigerungsverläufe auffallend transparent und dynamisch, sie wirken aber statisch. Als ob der Sturm nur mit geringer Windstärke blasen würde. Das Orchester hört sich international an, d.h. ein von früher bekannter typisch russischer Klang gehört auch bei diesem Orchester wohl der Vergangenheit an. Der ganzen Wiedergabe hätte nur etwas mehr Lebendigkeit nicht geschadet. So ist das Klarinettensolo weich und dynamisch differenziert, das Unisono von Flöte und Oboe gut gelungen. Alle Holzbläser klingen erstaunlich voll und rund. Die Celli glänzen. Das Becken wird differenziert angeschlagen. Die Gran Cassa wird voll einbezogen. Der Mittelteil klingt gefühlvoll. Beim abschließenden das Schicksal des Liebespaares endgültig besiegelnde Sturm nimmt man das nicht ab. Auch hier könnte man sich - so wird dem Hörer nahegelegt – durchaus noch irgendwo festhalten um dem Schicksal zu entgehen.
Die Aufnahme wirkt etwas entfernt. Das Holz ist sehr weit hinter positioniert. Die weichen Töne dominieren. Transparenz und Dynamik sind gut.
4
Neeme Järvi
Göteborg SO
BIS
2003
25:17
Järvi folgt hochkonzentriert einer großformatigen Disposition. Dazu legt er seine Tempi eher breit an und folgt ihnen auch sorgfältig. Lebendigkeit steht nicht im Zentrum der Interpretation. Die stürmischen Außenteile kommen so nicht richtig in Fahrt. Der Mittelteil gerät aber - auch dank der differenzierten, klagfarbenreichen Bläserstimmen und fein klingenden Streicher – liebe- und ausdrucksvoll. Die Celli singen wunderbar. Überhaupt präsentiert sich das ganze Orchester in Topform. Einzig am im Schlussteil besonders gebotenen Brio mangelt es.
Die Aufnahme ist weiträumig, klar und sehr differenziert. Das Klangbild fußt auf einem satten und recht tiefen Fundament.
4
Ondrej Lenard
RSO Bratislava
Naxos
1988
24:37
Wie schon bei der Sinfonietta hören wir auch hier einen sehr engagierten Vortrag. Er wirkt detailreich und keineswegs glatt. Akzente werden hervorgehoben. Die Präzision ist nicht ganz so hoch wie im damaligen Vergleich. Die Becken sind jederzeit hörbar und werden auffallend hart und kurz angeschlagen. Die Gran Cassa wird heftig genutzt und ist auch kräftig hörbar. Die Hörner fallen wieder durch ihren schönen, kräftigen Ton auf. Das Unisono könnte ausgewogener sein. Die Cellokantilene wird im richtigen Verhältnis zu den Flöten intoniert. Die Holzbläser sind gut besetzt. Die Violinen sind diesmal die Schwäche des Orchesters.
Der Sturm ist angemessen wild. Der Erzählung fehlt es ein wenig an Spannung.
Die Technik ist solide, transparent und durchaus auch farbig. Im Fortissimo engt sie die Dynamik etwas ein.
4
Kurt Masur
Gewandhausorchester Leipzig
Teldec
1990
23:54
Zu Beginn sehr farbig und nachdrücklich, das Moderato wirkt aber zäh und das Accelerando ist kaum spürbar. Ein vorwärtstreibender Gestus ist aber noch vorhanden. Der wünschenswerte „Siedepunkt“ wird nicht erreicht, dazu bleibt man zu kultiviert und zahm. Dem abschließenden Sturm fehlt bis zur geforderten Orkanstärke deutlich an Kraft.
Dem Klarinettensolo fehlt es etwas an Geschmeidigkeit, das beobachtete Unisono leidet unter dem Zuviel an Vibrato seitens der Flöte. Die Gran Cassa wird zwar von der Technik gut ins Bild gesetzt, aber um die Kraft des Sturmes zu steigern, müssten sie deutlich mehr gefordert werden.
Die Aufnahme ist ziemlich offen, gut bassfundamentiert, dynamisch und transparent, deutlich transparenter als etwa diejenige Marriners.
4
Bernard Haitink
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1972
24:34
Eine insgesamt recht temperamentvolle Version mit sehr gutem Blech und guten Streichern. Am Ende fehlt ihr aber der letzte Nachdruck.
Klarinettensolo: nicht sonderlich differenziert, recht schnell, ohne Rubato, wirkt nicht sonderlich inspiriert. Die Violinen sind klangschön. Unisono: zunächst deutliche Dominanz der Oboe, später homogener. Englischhorn klingt mehr schnarrend als sehnsüchtig, erreicht bei weitem nicht das Niveau der anderen Holzbläser und das von heute. Celli spielen ihr Thema toll, aber die Flöten umspielen zu laut und vordergründig. Das schmälert die Gesamtwirkung. Das Orchester erreicht bei weitem noch nicht das Klangvolumen und die Geschmeidigkeit von heute, woran allerdings auch die Aufnahmetechnik ihren Anteil hat. Die Holzbläser erscheinen auch zu weit entfernt. Transparenz und Dynamik sind auf einem mittleren Niveau.
4
Neville Marriner
Academy of the Martin in the Fields
Capriccio
1992
24:03
Die Academy ist zum Zeitpunkt der Aufnahme längst nicht mehr nur ein Kammerorchester, hier spielt sie durchaus in Sollstärke. Auffallend ist hier die akribische Beachtung der Vortragszeichen. Im Großen und Ganzen wird auch differenziert und präzise gespielt. Dass die Nebenstimmen nicht besser hörbar werden, liegt an der nicht sonderlich transparenten Aufnahmetechnik. Den beiden Stürmen fehlt es an Kraft. Das Spiel wirkt hier etwas steif und überkorrekt. Das Klarnettensolo beginnt zunächst untypisch schnoddrig dahingeworfen, später dann intensiver. Die Holzbläser agieren ansonsten tonschön und phrasieren sinnfällig. Das Unisono ist ausgezeichnet gelungen. Die Celli (S.75 – 78) spielen sehr schön, auch bleibt die Relation zu den umspielenden Flöten, die in anderen Aufnahmen bisweilen viel zu laut sind, gewahrt.
Die Gran Cassa geht völlig unter. Die Erzählung bleibt brav. Größter Nachteil der Darbietung ist aber der allzu gemütliche Sturm. Marriner bleibt zu sachlich und nüchtern.
Für eine Aufnahme der 90er Jahre könnte die Technik mehr Transparenz und Farbigkeit bieten.
4
Mstislav Rostropowitsch
London Philharmonic Orchestra
EMI
1977
25:24
beginnt ausdrucksvoll und energisch. Deutliche und nachdrückliche, energische Abschnitte wechseln mit leicht verschleppten, beinahe „zelebriert“ wirkenden Abschnitten ab. Bisweilen lässt er Dirigent nur noch säuseln.
Das Klarinettensolo ist ebenso in Ordnung, wie die anderen Bläsersoli. Die Violinen des LPO klingen hier wesentlich weicher und voller als z.B. das RPO in der Version Temirkanovs. Die Cellokantilene, die R. sicher besonders am Herzen lag, weist eine sehr weit gespreizte Dynamik auf. Die Wiedergabe erweist sich also als ziemlich heterogen. Sehr gelungene, neu beleuchtete und spannende Abschnitte wechseln sich mit spannungsarmen ab. Langweilig wird es jedoch nicht, weil man sich kaum vorzustellen vermag, wie es nun wohl weitergehen könnte?
Klanglich ist die Aufnahme weich, ziemlich dynamisch und ausgesprochen räumlich. Im Tutti und Forte wirkt die Aufnahme ausgesprochen großformatig. Sie ist sehr weit in die Breite gezogen. Die Holzbläser sind recht weit entfernt. Man merkt ihr ihre Vergangenheit als Quattro-Aufnahme durchaus an.
4
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montreal
Decca
1989
23 :01
Diese Wiedergabe wirkt ziemlich routiniert. Das Orchester spielt zwar relativ virtuos, aber der rechte Schwung fehlt, sein Spiel wirkt ein wenig wie abgespult. Obwohl die Violinen ziemlich zurückhaltend agieren, dominieren sie über weite Strecken den Gesamtklang.
Klarinettensolo: schöner Ton, aber dynamisch wenig differenziert. Die Kantilene der Celli ist aus der Balance geraten: Die Flöten übernehmen hier die Hauptrolle (sind in der Relation viel zu laut) und degradieren die Celli fast zu Statisten. Die Holzbläsersoli wirken sehr klangschön, insbesondere Englischhorn, Oboe und Fagott. Die Erzählung Francescas bleibt trotz der schönen Soli etwas blass und pauschal, eine besondere Spannung kommt nicht auf.
Dem Sturm geht jeder existentielle Anspruch ab da das Blech akustisch viel zu weit hinten positioniert ist und lediglich in den Gesamtklang integriert wird. So fehlt es ihm an Biss.
Der finale Sturm erklingt mit halber Kraft. Die Aufnahme ist farbig, für eine Aufnahme von 1989 aber relativ wenig dynamisch.
Gesamteindruck: professionell aber geglättet und wenig inspiriert. Wollte man hier nur die CD füllen?
4
Konstantin Ivanov
Staatliches SO der UdSSR
Melodija
AD ist unbekannt
24:07
MONO
Iwanov (der Vorgänger Svetlanovs als Chef des Sowjetischen Staatsorchesters) nähert sich dem Werk auf eine direkte, geradlinige Weise. Er erreicht eine bewegte, objektiv wirkende Darbietung mit guten Steigerungsverläufen aber ohne Besonderheiten oder eine persönliche Färbung. Die Orchesterqualität erscheint recht ausgewogen, wichtige Soli fallen aber nicht sonderlich differenziert aus. Die Einsätze des Beckens sind zum Teil unhörbar. Die Klangqualität ist nicht gut, auf einen Raumeindruck muss man naturgemäß gänzlich verzichten, die Dynamik ist relativ weit eingeebnet, der Klang leicht verfärbt aber noch ganz gut durchhörbar.
4
Lorin Maazel
New Philhamonia Orchestra London
Decca Phase 4
1971
23:07
Maazel bietet ebenfalls eine geradlinige Deutung in jeweils fest beibehaltenen Tempi. Insgesamt wirkt sie etwas flott und unbeteiligt. An die glänzenden Aufnahmen der Sinfonien aus Wien reicht sie in keiner Beziehung heran. Der typische Philharmonia - Sound erscheint gegenüber den Aufnahmen der 60er Jahre nur leicht angemildert. Vor allem aber die Klangqualität stellt einen Rückschritt dar. Soloinstrumente bleiben nicht an ihrem einmal definierten Ort, sondern werden bisweilen akustisch an die Rampe geholt. So wird die Klarinette raumfüllend nach vorne gezogen. Auch die übrigen Soli (auch die Harfe), erscheinen als „Schaulaufen der Giganten“. Währenddessen wird das übrige Orchester nach hinten verschoben und dynamisch abgesenkt.
Die Erzählung wird zwar klar und unter einem Bogen durchgezogen, eine liebevolle Gestaltung wird aber durch das Auf und Ab im Orchestergewebe von der Technik erschwert. Die Stürme wirken dynamisch eingeschränkt, die leisen Stellen dafür hoch geregelt, die Lauten Stellen abgeregelt. Ein natürliches Klangbild stellt sich nur selten ein.
Der instrumentale Blow-up (eigentlich eine Technik der Filmemacher) stört den Hörer heute mehr, als dass es zur Erhellung oder zum Verständnis der Musik beitragen würde.
3-4
Juri Temirkanov
Royal Philharmonic Orchestra London
RCA
1991
26:49
Temirkanov legt seine Wiedergabe ziemlich breit, fast behäbig an. Sie wirkt sorgfältig und gut durchstrukturiert, Nebenstimmen wirken sehr gut ausgehört. Manche Tempi erscheinen allerdings verschleppt und die Temposchwankungen wirken nicht gerade förderlich auf den Spannungsverlauf.
Klarinettensolo: sehr langsam und mit ziemlich dünnem Ton, aber dynamisch und differenziert. Das Andante cantabile ist sehr langsam wie sonst nur bei Bernstein (1989). Die Violinen klingen beim Thema leicht uneins und klanglich etwas gepresst, nicht voll, fast schon dünn. Der Schluss wirkt wiederum verschleppt und versucht mit buchstäblich viel Tamtam noch zu retten, was zu retten ist. Ashkenazy gelang mit dem gleichen Orchester eine ausgewogenere, bewegtere und ungleich wärmere Wiedergabe des Stückes.
3-4
Silvio Varviso
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
P 1968 2
25 :10
Hier wird eher eine Szenerie beschrieben, als eine Fantasie durchlebt. Sowohl die stürmischen Außensätze, als auch die Erzählung in der Mitte des Stücks erreichen nur eine durchschnittliche Intensität. Auch das Orchester vermag keine Glanzlichter zu setzen. Das Fagott klingt unkultiviert schnarrend, das Unisono von Flöte und Fagott mischt sich nicht, die Flöte vibriert dafür zu stark, die Oboe klingt zu dünn und beide sind zudem nicht ganz synchron. Der gesamte Holzbläsersatz intoniert unstet. Der Streichersatz wird von der Technik gut eingefangen, ist gut durchhörbar, voll, weich und rund. Der Gesamtklang erscheint dicht und dynamisch nicht gerade ausladend. Eine lediglich solide Version.
3
Daniel Barenboim
Chicago Symphoy Orchestra
DG
1981
25:27
Gäbe es eine eigene Bewertung für die orchestrale Leistung und den Klang, so müsste diese Version mit ganz oben stehen. Das Orchester spielt auch unter Barenboim sehr präzise, intensiv und klangschön. Das Klarinettensolo erfreut mit der Realisierung der vorgegebenen dynamischen Bandbreite und Kantabilität. Die Streicher klingen (gerade auch mit Dämpfer) ausgezeichnet. Der Dolchstoß gelingt messerscharf. Die Celli klingen superb, ihr schwelgerisches Thema irritiert jedoch mit einem gewollt wirkenden Accelerando.
Schon das Moderato zu Beginn gerät schleppend, das große Accelerando ab S. 9 zäh.
Immer wieder gibt es unmotivierte, starke Rubati. Im Mittelteil droht der erzählerische Gestus durch die starke Verlangsamung des Tempos ins Stocken zu geraten. Das Orchester macht das alles mit stoischer Gelassenheit bei Wahrung von Klangschönheit und Präzision mit. Eine unorganisch wirkende Darbietung mit Hochglanz – Klang. Man bestaunt bei dieser frühen Digitalaufnahme nämlich die breitbandige Dynamik mit vollen leuchtenden Klangfarben bei sehr guter Transparenz, besonders die Streicher werden sehr gut aufgefächert.
3
Antoni Wit
Nationales RSO Kattowitz
Naxos
1999
25:26
Diese Einspielung ist betulich und spannungsarm. Generell scheint der ersten Violinstimme das Hauptaugenmerk zu gelten. Dieser wiederum fehlt es an Rundung und Wärme. Die Akzente sind z.T. ausgesprochen flau. Die Gran cassa ist kaum hörbar. Flöte und Oboe werden im Unisono erheblich von den zu lauten Klarinettentriolen gestört. Später dominiert dann die Flöte. Englischhorn und Oboe passen dagegen klanglich sehr gut zusammen. Steigerungen orientieren sich ebenfalls an der Stimme der ersten Violine. Erst ganz am Ende wird in Form einer Stretta noch Sturmkraft erzeugt, viel zu spät, um die Einspielung noch zu retten. Die Gesamtwirkung bleibt matt, wenig begeisternd, geradezu langweilig.
3
Serge Koussevitzki
Boston S<mphony Orchestra
RCA-History
25:41
MONO
Nähme man nur die musikalische Qualität der Darbietung, müsste sie erheblich weiter oben platziert werden. Sie ist nämlich lebendig und intensiv. Und erheblich spannender als die Beecham-Aufnahme und weit weniger individuell und sprunghaft als die von Coates.
Außerdem bietet Koussevitzki fast alle Noten der Komposition. Die Abstriche rühren von der Aufnahmetechnik her, die verhindert, dass man das komplette Instrumentarium hören kann. Die Gran cassa scheint nicht einmal mitzuwirken. Die Klangqualität ist es also zu verdanken, dass diese Version lediglich dokumentarischen Wert erhält.
3
Albert Coates
London Symphony Orchestra
EMI-History
1930
18:00
MONO
Ähnlich verhält es sich mit dieser Einspielung. Musikalisch ist sie packend. Die Erzählung ist bewegt und sehr rubatoreich. Die Tempodehnungen und -stauchungen erreichen fast schon den Charakter einer Karikatur, aber nur fast. Dass das Orchester, das sich in guter Verfassung zeigt, dabei zusammenbleibt muss extra gewürdigt werden. Der große Nachteil ist diesmal, dass die Version viele z.T. auch ausladende Striche aufweist, die aus heutiger Sicht nicht mehr hinnehmbar sind.
Die Striche beziehen sich auf folgende Seiten der Partitur: S.22 – 27, S. 37 – 57, S.103 – 122.
Der Sturm entfaltet rohe Naturgewalt, bis zu den letzten Takten, bei denen plötzlich nur noch die Blechbläser spielen. Die Holzbläser und Streicher scheinen zu schweigen. Pauke und Gran Cassa, die hier ein Inferno entfachen müssten, sind fast unhörbar.
Eine höchst individuelle, von der Romantik geprägte Interpretation, die durch gravierende Schnitte entwertet wurde.
3
Thomas Beecham
London Philharmonic Orchestra
EMI-History
1939
19:20
MONO
Auch diese Einspielung leidet unter gravierenden Kürzungen (von S.17 – 64). Überraschend für den noch jungen Dirigenten ist das durchweg langsame Tempo, als ob es seinem vor sieben Jahren gegründetem Orchester noch nicht trauen würde. Dabei macht es einen durchweg kultivierten Eindruck. Es erstaunt die weiche Tongebung bei den Streichern. Die Phrasierung der Holzbläser wirkt bisweilen jedoch ungelenk. Ab S. 136 gibt es eine mächtige Tempoverschärfung um dann für die letzte Seite wieder voll auf die Bremse zu treten.
Die Aufnahme ist deutlich besser durchhörbar als die Mrawinsky-Version von 1948 aber immer noch historisch. Sie wird durch gravierende Striche entwertet und die gemütliche Herangehensweise des Dirigenten, der – bis auf diese eine Stelle ab S. 136 - die Ruhe selbst ist, irritiert.
2-3
Jewgenij Mrawinsky
Leningrad PO
Melodija - BMG
1948
22:36
MONO
So weit erkennbar hat das Orchester noch nicht die Qualität der späteren Jahre, es mangelt an Homogenität bei den auch verfärbt klingenden Violinen, die Flöte klingt mitunter untypisch für dieses Instrument, das Englischhorn wäre ohne Kenntnis des Stückes nicht als solches identifizierbar. Pauke und Gran Cassa fehlen ganz. Die Becken werden kaum hörbar. Die Darstellung des Werkes ist gegenüber den neueren Einspielungen noch viel weniger zugespitzt. Die Aufnahmetechnik ist extrem frequenzbeschränkt, matt und flach, die schlechteste in diesem Vergleich. Da Mrawinsky weitaus besseres zu bieten hat, ist diese Version allenfalls noch von historischem Interesse. Sie scheint aber seine einzige Aufnahme zu sein, die ohne Anwesenheit von Publikum entstanden ist. Man hört jedenfalls nichts von ihm.
2-3
Maurice Abravanel
Utah Symphony Orchestra
Vanguard - Große Komponisten
1972
24:48
Abravanel ist als durchaus inspirierter Dirigent bekannt, diese Darbietung stand jedoch unter keinem guten Stern. Sie wirkt von Anfang bis zum Ende durchbuchstabiert. Steigerungen wirken zaghaft. Das große Accelerando verpufft völlig, d.h. es gibt eigentlich gar keins. Steigerungsverläufe wirken vorsichtig und zaghaft. Die Violinen klingen leicht gepresst, teilweise wimmernd und ohne Intensität. Phrasierungen wirken verunsichert. Die Sforzati erklingen ohne jeden Nachtruck. Das Klarinettensolo ist langweilig, das große Unisono von Flöte und Oboe noch nicht einmal fehlerlos. Der ganze Vortrag scheint an den Noten zu kleben und wirkt subjektiv viel langsamer als er tatsächlich ist, geradezu lähmend.
Die Tontechnik bietet eine geringe Tiefenstaffelung und Räumlichkeit zudem keinen natürlichen Nachhall. Die Pauken klingen erbärmlich winzig.
Eine Francesca en Miniature ohne jede Intensität, geradezu läppisch. Vielleicht hat man versehentlich das Band der ersten Durchspielprobe veröffentlicht? Und keiner der Beteiligten hat es danach bemerkt. Auch darin hätte man dann keinerlei Affinität zur Komposition gezeigt.
Vergleich fertiggestellt am 20.12. 2019