Reinhold Glière
Russischer Seemannstanz aus „Der rote Mohn“
(Russischer Matrosentanz, Russian Sailor´s Dance)
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Werkhintergrund:
Reinhold Moritzewitsch Glière ist ein russischer Komponist. Er wurde 1875 in Kiew, Ukraine, damals Russisches Zarenreich, geboren und wuchs in einer Familie auf, die sich über mehrere Generationen hinweg dem Bau von Blasinstrumenten widmete.
Er war der zweite Sohn des aus Untersachsenberg im Vogtland, Königreich Sachsen, stammenden Blasinstrumentenmachers Ernst Moritz Glier, der zunächst 1854 als Geselle nach Warschau gegangen war, dann seit den 1860er Jahren in Kiew als Meister in der Fabrik seines späteren Schwiegervaters Vincenz Kortschak arbeitete und 1869 dessen Tochter Josephine Thekla heiratete. In Glières Geburtsurkunde steht Reinhold Ernest Glier. Gegen 1900 änderte er die lateinische Schreibweise seines Familiennamens in „Glière“, woraus das hartnäckige Gerücht resultierte, dass er belgischer oder französischer Abstammung sei. Diese falsche Information wurde zum ersten Mal von Leonid Sabanejew im Jahr 1927 verbreitet.
Ab 1891 erhielt er bei Otakar Ševčík Violinunterricht an der Kiewer Musikschule, bevor er 1894 seine Studien am Moskauer Konservatorium begann – unter anderen bei Anton Arenski und Sergei Tanejew. Dieser war seinerseits Schüler und guter Freund des damals schon bekannten russischen Komponisten Pjotr Tschaikowsky. Die großen russischen Romantiker wie eben dieser, aber auch Alexander Borodin oder Nikolai Rimsky-Korsakov, hatten großen Einfluss auf Glières musikalisches Schaffen. Er war ein Traditionalist, was keinesfalls despektierlich gemeint ist. So schrieb er, während Zeitgenossen wie Arnold Schönberg oder Maurice Ravel völlig neue Klangsprachen erfanden, bis an sein Lebensende sinnliche, lebhafte, spätromantische Musik mit Spuren russischer Volksmusik.
1901, ein Jahr nach dem äußerst erfolgreichen Abschluss seiner Studien, erhielt Glière eine Lehrstelle am Gnessin-Institut Moskau, die er bis 1913 beibehielt. Eine Unterbrechung fiel allerdings in die Jahre 1905 bis 1908, als er in Berlin bei Oskar Fried Dirigieren studierte. 1913 wechselte er an das Konservatorium in Kiew, wo er 1914 zum Direktor ernannt wurde. Von 1920 bis 1941 unterrichtete Glière Komposition am Moskauer Konservatorium. Viele seiner Schüler, zu denen Nikolai Mjaskowski und Sergei Prokofjew gehören, entwickelten sich zu namhaften Komponisten. In der Sowjetunion war Glière vielfach öffentlich tätig. In den 1920er Jahren engagierte er sich zum Beispiel im Volkskommissariat für Bildung, 1938 bis 1948 hatte er den Vorsitz des Organisationskomitees des sowjetischen Komponistenverbandes inne. Auch unternahm er Reisen durch Sowjetrepubliken wie Usbekistan und Aserbaidschan, um die dortige Folklore zu sammeln und so die Musikkultur dieser Gegenden zu unterstützen.
Glière war in der Sowjetunion eine hoch angesehene Persönlichkeit und erhielt etliche Orden und Auszeichnungen, so zum Beispiel dreimal den Leninorden und einmal den Orden des Roten Banners der Arbeit. Er war Volkskünstler der UdSSR und ihrer Sowjetrepubliken Russland, Aserbaidschan und Usbekistan. Auch erhielt er dreimal den Stalinpreis (1946, 1948, 1950) und wurde 1941 zum Doktor der Kulturwissenschaften ernannt. Von Repressionen ihm gegenüber, wie sie einen großen Teil des Lebenslaufs von Dmitri Schostakowitsch durchsetzen, ist bei unserer kurzen Recherche nichts offenbar geworden.
Glières Stil war zunächst in hohem Maße der nationalrussischen Bewegung verpflichtet. Seine Melodik orientierte sich an folkloristischen Wendungen, die Harmonik präsentierte sich ausgesprochen „russisch“. Angeregt durch seine Studien bei Oskar Fried bezog er seit seinem Aufenthalt in Berlin impressionistische Klangfarben in sein Schaffen mit ein, die sogar zeitweilig das nationale Element in den Hintergrund rücken ließen. Auch perfektionierte er in diesen Jahren seine Fähigkeiten als Orchestrator, wodurch seine Werke an Farbe und Raffinement gewannen. In dieser Phase schrieb Glière seine „modernsten“ Werke. Schon bald jedoch bemühte er sich um eine Synthese von russischem Tonfall und impressionistischen Einflüssen. Nach der Oktoberrevolution wandte sich Glière wieder eher seinem früheren Stil zu und räumte dem nationalen Idiom wieder uneingeschränkte Priorität ein. Besonders seine erwähnten Forschungen in (musikalisch) entlegeneren Gebieten der UdSSR beeinflussten sein Schaffen. Auch orientierte sich Glière am sozialistischen Realismus, ein Berührungspunkt mit Schostakowitsch, dem ansonsten eine ganz andere Vita beschieden war.
Sein Ballett „Der rote Mohn“ galt zum Beispiel als das Musterbeispiel für ein Bühnenwerk, das propagandistische Ausrichtung mit einem volkstümlich-eingängigen Idiom verbindet. Insgesamt muss Glière als äußerst traditionsverbundener Komponist angesehen werden. Auch seine letzten Werke sprechen – ungeachtet aller musikalischen Umwälzungen der vorangegangenen Jahrzehnte – wie bereits erwähnt noch die kaum abgeänderte Sprache der russischen Nationalromantik.
Von seinen Werken haben es allenfalls die Konzerte für die eher selten zu Ehren kommenden Instrumente Horn und Harfe ins Repertoire der jeweiligen Solisten geschafft. Noch seltener anzutreffen ist das Konzert für Koleratur-Sopran und Orchester. Von seinen drei Sinfonien spielt man allenfalls die dritte, „Ilya Murometz“ genannt ab und an einmal. Bei dem hier nun zum Vergleich der diversen Aufnahmen anstehenden Stück handelt es sich um den „Russischen Seemannstanz“ (oder auch „Russischen Matrosentanz“ genannt), einem kurzen ca. 3 ½ Minuten dauernden Charaktertanz aus dem Ballett „Der rote Mohn“, einem Ballett, das außerhalb der ehemaligen Sowjetunion höchst selten aufgeführt wird, wenn überhaupt. Man kann bei diesem Stück von einem One-Hit-Wonder sprechen, also eigentlich dem einzigen Stück, das man noch landläufig von Glière kennt. Ähnlich dem „Zauberlehrling“ von Paul Dukas, „Espana“ von Emanuel Chabrier oder dem Violinkonzert Nr. 1 g-Moll von Max Bruch.
„Der rote Mohn“ wird als das erste sowjetische Ballett mit modernem, damals revolutionärem Thema angesehen. In der Zeit nach der Oktoberrevolution 1917 wurde in der Sowjetunion heftig um den Fortbestand der Kunstgattung „Ballett“ diskutiert. Während sich Anatoli Lunatscharski, der Volkskommissar für kulturelle Fragen, für das Ballett einsetzte, sahen andere Parteifunktionäre in dieser Kunstform lediglich ein überlebtes höfisches Relikt. Es habe wegen der Unvereinbarkeit mit den ideologischen Prinzipien der Demokratie und des Proletariats keine Existenzberechtigung mehr.
Eberhard Rebling („Ballett, Gestern und Heute“, Henschel Verlag, 1957) beschreibt die Diskussion der Zeit treffend: „Andere fragten, wie ein sowjetisches Ballett, besonders über ein Thema aus der Gegenwart, eigentlich aussehen sollte? Manche meinten, die klassische Technik sei völlig unbrauchbar, um Menschen der Gegenwart tänzerisch zu gestalten, sodass also für ein sowjetisches Gegenwartsballett auch eine ganz neue Technik geschaffen werden müsse. Andere wiederum verneinten überhaupt die Möglichkeit, zeitgenössische Stoffe tänzerisch darzustellen. So herrschte noch die Meinung vor, dass sich das Ballett auf Märchenstoffe und Themen aus der fernen Vergangenheit beschränken müsse.“
„Der rote Mohn“ hatte dann bei Publikum und auch bei der Partei großen Erfolg, worüber man sich heute, zumindest von der Musik her betrachtet doch eher wundert. Nach eineinhalb Jahren, am 23. Dezember 1928, ging bereits die 100. Vorstellung über die Bühne. In diesem Jahr überflügelte „Der rote Mohn“ mit 69 Aufführungen alle anderen klassischen Ballette wie Dornröschen und Schwanensee. 1957, in der dritten Revision, erhielt es den neuen Titel „Die rote Blume“, da man das kommunistische China nicht mit der Bedeutung des Mohns als Rauschmittel in Verbindung bringen wollte.
„Die Handlung spielt in einer großen chinesischen Hafenstadt in den zwanziger Jahren. Ein sowjetisches Schiff ist vor Anker gegangen. Der Kapitän bemerkt eine Gruppe von halbverhungerten, überarbeiteten Kulis, die von dem Hafenmeister brutal zur Arbeit angetrieben werden. Des Nachts, als sie für die Seeleute an Bord des Schiffes tanzt, bemerkt die schöne Tao-Choa, dass der Kapitän versucht, die armen Kulis vor dem Hafenkommandanten in Schutz zu nehmen. Beeindruckt durch die Tat des Kapitäns, schenkt sie ihm eine rote Mohnblume als Zeichen ihrer Liebe. Als Tao-Choas Arbeitgeber Li-Schanfu davon hört, wird er eifersüchtig und verlangt, sie solle den Kapitän töten. Sie lehnt ab. Li-Schanfu, rasend vor Zorn und Eifersucht, ersticht das Mädchen. Sterbend reicht sie Kindern roten Mohn als Zeichen von Liebe und Freiheit.“ (Wikipedia)
Dort steht weiter: „Diese Handlung gab den Choreographen die Möglichkeit, das heldenhafte chinesische Mädchen und den sowjetischen Kapitän mit den Mitteln des klassischen Tanzes zu charakterisieren. Die ausdrucksstarke Gestaltung Tai-Choas, erst durch Jekaterina Geltzer, später besonders durch Galina Ulanowa, trugen viel zu der großen Popularität des Stückes damals bei. Matrosentänze verschiedener Nationen, besonders der russische „Jablotschko“, Charaktertänze chinesischer Kulis, Tao-Choas Traumbild des alten legendären China im zweiten Akt und die abschließende Zukunftsvision boten viel tänzerische Abwechslung. Die Massenszenen, das leidende und später rebellierende Volk darstellend, sind dabei Ausdrucksmittel, die man später als „sozialistischen Realismus“ bezeichnete. Glière griff für die Gestaltung der Solonummern zum Teil auf eigene Werke zurück. So ist das Adagio am Ende des zweiten Aktes im Werkverzeichnis schon als op. 3 von 1902 vermerkt. Glières großes Interesse für Volksmusiken vor allem Mittelasiens drückt sich in der Vielfalt der folkloristischen Tänze aus, von denen manche noch heute zu populären, immer wieder aufgeführten Stücken gehören.“
Dem kurzen Tanz, den wir für unseren Vergleich ausgewählt haben, liegt also ein sogenannter „Jablotschko“ (russisch: Яблочко, auf Deutsch „kleiner Apfel oder Äpfelchen“) zugrunde. Dies ist ein russisches Volkslied das im Chastushka-Stil und als Tanz, traditionell als Matrosentanz, präsentiert wird. Der Chastushka ist ein traditioneller kurzer russischer humorvoller Volksliedtyp mit hoher Taktfrequenz, der aus einem vierzeiligen Vers voller Humor, Satire oder Ironie besteht. Normalerweise werden viele Chastushki nacheinander gesungen. Chastushki nutzen ein einfaches Reimschema, um humorvolle oder ironische Inhalte zu vermitteln. Das Singen und Rezitieren solcher Reime war sowohl vor als auch nach der bolschewistischen Revolution von 1917 ein wichtiger Bestandteil der bäuerlichen Populärkultur. In unserem Vergleich hat jedoch ausschließlich das Orchester das Wort, es wird also nicht gesungen. Die choreografierte Version des Tanzes erschien erstmals 1926 im Ballett „Die rote Mohnblume“ und ist im Westen als „Russischer Matrosentanz“ bekannt. Das Lied selbst hat nichts mit Äpfeln zu tun, da sein Vers häufig mit den politischen Themen der Zeit in Verbindung gebracht wird. Es ist in diesem Fall unseres Tanzes lediglich eine kräftige Assoziation, die beim sowjetischen Publikum damals und sicher auch heute noch mit dem Tanz einwirkt(e).
Forscher glauben, dass sich der „Yablochko“-Tanz (so die zweite gebräuchliche Schreibweise, eine dritte wäre „Yabloko“) als eine Synthese des britischen und irischen Hornpipe-Tanzes und des traditionellen russischen Tanzes entwickelt hat. Ähnlich wie Trepak oder Kasatschok steht er im 2/4 - Takt und geht richtig in die Knie, da er teils auch in der Hocke getanzt werden kann. Dann wäre er nicht mehr für die älteren Semester unter uns geeignet. Zum Mitmachen, zum Hören jedoch umso mehr, denn er bringt einen so richtig in Schwung.
Es gibt einen Springbass, slawisch eingefärbte Rhythmen, den volltaktigen Anapäst. Wie sich das für einen ordentlichen schnellen Tanz mit Anspruch gehört, gibt es über den Gesamtverlauf eine ekstatische Steigerung zu erleben. Kompositorisch „hergestellt“ durch Steigerungen in der Lautstärke, Verschärfungen im Tempo, zunehmende Perkussivität in der Instrumentierung, zunehmende „Verwirbelungen“ in der Melodik und einer zunehmenden Synkopierung des Rhythmus. Anspruchsvoll erscheinen bei dem Stück, das in etwa 3 ½ Minuten dauert, vor allem die vielen verschiedenen Tempi, die präzise realisiert werden wollen. Dem eröffnenden Allegro folgen in schneller Folge ein Pesante, dann Moderato, Animato, Sostenuto poco, Piu tranquillo, Piu mosso, Presto, Piu mosso und schließlich das finale Prestissimo. Das wären neun Tempi für 204 Takte, da braucht es schon die volle Aufmerksamkeit seitens der Mitwirkenden. In der Partitur sind bei jedem Tempo Angaben für das Metronom vermerkt, was die Interpreten jedoch nicht daran hindert, eigene Nuancen einzubringen.
Ganz nebenbei gibt es seit der Perestroika unter dem Namen „Yabloko“ auch eine kleine politische Partei in Russland. Man kann sie als demokratisch bezeichnen. Sie kommt seit langem und bei den derzeitigen politischen Gegebenheiten ganz besonders bei Wahlen bei weitem nicht über die erforderliche Mindeststimmenanzahl um in die Duma einzuziehen.
zusammengestellt am 10.1.2024

Reinhold Glière um 1915.
Vergleichende Rezensionen der wenigen gefundenen Einspielungen:
5
Frederick Fennell
Eastman-Rochester Pops (heute: Rochester Philharmonic bzw. Rochester Pops Orchestra)
Mercury
1959
3:28
Das Orchester aus dem Bundesstaat New York wurde in der Anfangszeit seines Bestehens noch von Fakultätsmitgliedern der Eastman School of Music ergänzt, daher der Doppelname. Heute nennt es sich Rochester Philharmonic Orchestra und es wird neuerdings von Andreas Delfs geleitet. Frühere Dirigenten waren immerhin unter anderen Eugene Goossens, Erich Leinsdorf, Walter Hendl, David Zinman, Jerzy Semkov und Mark Elder. Sie sprechen allesamt für die Qualität des Orchesters, sodass man sich vielleicht gar nicht über die Positionierung innerhalb unseres kleinen Vergleiches wundern muss. Mercury kam neben den für das klassische Repertoire zuständigen Orchestern (London und Minneapolis Symphony (meistens mit Antal Dorati) und Detroit Symphony (mit Paul Paray, meistens zuständig für das französische Repertoire) immer wieder auf dieses Orchester zurück, besonders wenn es darum ging, kleinere Showstücke und Werke amerikanischer Komponisten (z.B. Howard Hanson) aufzunehmen.
Der für seine lebhafte Dirigierweise bekannte Frederick Fennell gelingt hier eine ungemein pointierte, spritzige Wiedergabe, die von Anfang an große Spannung aufbaut und bei der keine noch so unbedeutend scheinende Stimme verloren geht. Der Beginn wirkt sogar richtig aufbrausend, als ob sich die Matrosen noch auf hoher See befänden und sich gegen eine tückische Gischt zu behaupten hätten. Sie sind aber tatsächlich bereits im Hafen und haben Zeit für einen Charaktertanz, wenn man der Choreographie glauben darf. Man bringt viele Nuancen ein (wenn man die kurze Spieldauer betrachtet ganz enorm) und das Spiel ist besonders straff und rhythmisch. Der Gestus fetzig und bissig. Das Orchester verfügt nicht über die Klangfülle des Philadelphia Orchestra mit Ormandy (vor allem 1957) und zeigt auch nicht dessen freche Grandezza-Virtuosität in Presto und Prestissimo, spielt aber am Ende tänzerisch noch etwas herausfordernder und bleibt vor allem noch pointierter und was ganz entscheidend ist, erheblich transparenter.
Der Klang ist typisch für das Label superpräsent, superklar, superdynamisch, enorm deutlich, trocken und knackig. Auch die Bässe kommen enorm plastisch zur Geltung, genau wie Blech und Schlagwerk. Auffallend hingegen sind die im schlanken Gesamtklang fast schon ein wenig dünn wirkenden Streicher (Violinen), denen man gerade im Vergleich zu den damaligen amerikanischen Top-Adressen aus New York, Chicago oder Philadelphia einen Hang zum Anämischen attestieren muss. Sie machen nur einen ungewohnt kleinen Teil am Gesamtklang aus. Trotz dieses kleinen Mankos, das man jedoch unterschiedlich bewerten kann, hören wir hier einen referenzverdächtigen Top-Klang aus der Anfangszeit der Stereophonie. Wir sitzen in der allerersten Reihe und die Musik geht ohne Umwege sofort ins Blut und wallt dort mächtig auf.
5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1957
3:22
Das Philadelphia Orchestra hat das Werk häufiger eingespielt als jedes andere Orchester, zumindest was unseren Vergleich angeht. Es ist hier gleich viermal beteiligt, davon zweimal mir seinem langjährigen Chef Eugene Ormandy. Orchestrale Showpieces waren schon seit Leopold Stokowskis Zeiten eine der Domänen des Orchesters. Von den beiden Einspielungen Ormandys gefällt uns die erste von 1957, noch für das alte Label CBS eingespielt, musikalisch viel besser, da sie mehr Schwung, mehr Virtuosität und mehr Ekstase investiert. Klanglich zieht hingegen die 15 Jahre später aufgenommene Einspielung für RCA davon. 1957 war Mister Ormandy mit seinen 58 Jahren im besten Dirigentenalter, während er mit seinen 73 Jahren 1972 schon etwas gebremster zu Werke geht.
1957 kennzeichnet seine Aufnahme ein stürmisch-aggressiver Grundton, sehr virtuos und fast schon ein wenig einschüchternd. Es wird hier ein ungeheures Steigerungspotential ausgeschöpft, bei dem der ekstatische Aspekt der schnellen Zeitmaße besonders energiereich ausgereizt wird. Wir hören einen tatsächlich hinreißenden Schwung. Das Prestissimo wird zu einem Solitär und Schlusspunkt, nachdem es im Ballett eigentlich gar nicht mehr weitergehen könnte.
Der Klang wirkt ein wenig wie die musikalische Darbietung: großräumig, jedoch zugleich immer noch sehr präsent und sehr dynamisch. Fast wirkt die eingefangene Halligkeit schon verunklarend auf die Transparenz, man findet gerade noch so einen akzeptablen Kompromiss. Das Schlagwerk steht ziemlich im Vordergrund, weshalb der höhenreiche und fast schon überbrillante Klangcharakter betont erscheint. Ausgewogen hört sich anders an. Es gibt die Einspielung mittlerweile in allerlei verschiedenen digitalen Überarbeitungen. Das auf der günstigen Essential Classics-CD gefällt uns gut, es klingt recht räumlich, recht wenig hallig und recht harmonisch. Das neuste Remaster (z.B. in der neuen dicken Kiste mit Ormandy-CDs zu finden) wirkt dagegen noch etwas besser gestaffelt und klarer, aber tonal nicht so ausgewogen, weil etwas „dünner“. Der stürmisch-aggressive Grundcharakter ist bei beiden leicht und unvermittelt herauszuhören.
5
Yuri Fayer
Orchester des Bolshoi-Theaters, Moskau
Olympia, Melodija
1963
3:04
Vom 1890 geborenen Dirigenten sind heute nicht mehr viele Einspielungen verfügbar. Ab 1916 dirigierte er für das Bolschoi-Theater, beginnend mit dem Ballett Coppélia. Von 1923 bis 1963 war er Chefdirigent der Ballettaufführungen am Bolschoi-Theater. Mit dem Bolschoi-Ballett reiste er für Auftritte nach Frankreich, England, USA und Belgien und kam immer wieder zurück. Zu seinem Repertoire gehörten mehr als 50 klassische und zeitgenössische Ballettstücke. Er arbeitete eng mit Komponisten wie Reinhold Glière (Der rote Mohn) und Sergei Prokofjew (Cinderella), die ihre Werke am Bolschoi-Theater zum Teil erstmals aufführen ließen, zusammen. Wenn man bei so einem kurzen Ausschnitt eines Ballettes überhaupt so weit gehen darf, diese Vertrautheit hört man dem „Russischen Seemannstanz“ auch durchaus an.
Im Vergleich zu den bereits genannten amerikanischen Einspielungen neigt Yuri Fayers Einspielung ganz deutlich dem schlanken Stil Frederick Fennells zu. Sein Orchester spielt noch leichtfüßiger und charmanter als das Eastman-Rochester Pops. Im Bolshoi war der „Rote Mohn“ vielleicht gerade langjährig auf dem Spielplan und der Tanz konnte bereits auswendig hoch und runter gespielt werden. Zum leichtfüßigen Spiel geht man zudem ein deutlich verschärftes Tempo. Der Tanz wirkt gar nicht mehr so stampfend und grob wie bei Ormandy, sondern fast schon schwerelos. Elegant wäre jedoch schon zu viel gesagt. Das Blech klingt so leicht und locker, als würde es mit Blockflöten spielen. Der ganze Orchestersatz wirkt licht und leicht, viel weniger massiv als bei Ormandy oder auch Slatkin, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber auch am Ende nicht mit derselben „anmachenden“ Ekstase wie bei Ormandy. Diese russische Aufnahme wäre dazu eine unbedingt hörenswerte Alternative.
Wir haben ja schon viele russische Einspielungen aus den frühen 60er gehört und ihre Qualität reicht von grottenschlecht bis durchaus hörenswert. Diese gehört zu den besten. Sie wirkt sehr transparent und auffallend gut gestaffelt, auch nach hinten. Sie klingt sehr brillant und perkussiv, ohne je lästig zu werden (lästig zu werden kann auch auch bei 3½ Minuten durchaus gelingen). Dynamisch hat sie leider gegen Ende nicht mehr viel zuzusetzen. Trotzdem eine gute Aufnahme, einer tollen Darbietung würdig.
5
Dmitri Mitropoulos
Minneapolis Symphony Orchestra
Columbia-Sony
1941
3:16
MONO Mister Mitropoulos hat einen Plan, so glaubt man schnell, wenn man seiner Einspielung zuhört. Er plant die Steigerungswellen strategisch und vergisst es nicht, die Übergänge zwischen den zahlreichen Tempowechseln auch noch zu gestalten. Das Blech wird bei ihm herausragend akzentuiert. Der Verlauf wirkt ähnlich ekstatisch wie bei Fennell, Fayer und Ormandy 1957, nur nicht so wuchtig wie bei letzterem. Dafür wirkt es jedoch schlanker und spritziger. Wäre der Klang der Aufnahme etwas opulenter, wärmer oder voller, die Einspielung wäre ein heißer Kandidat auf den Thron.
Wie alle alten CBS-Aufnahmen, die in letzter Zeit in Massen und zusammengepackt in dicken Boxen auf den Markt geworfen werden, hat auch diese Aufnahme 2022 eine neue digitale Überarbeitung erfahren. Wie sonst könnte man sich auch diese tolle Transparenz bei einer so alten Aufnahme erklären? Die Abmischung (oder die Original-Aufnahme) zeigt ein in der Relation zu den Streichern stark dominantes Blech und dieses klingt ganz erstaunlich plastisch. Die Streicher wirken dagegen klein abgebildet und beinahe „punktuell“. Bei uns überwog die Freude am knackigen Blech deutlich gegenüber dem Verlust im Bereich der Streicher.
5
Felix Slatkin
Hollywood Bowl Symphony Orchestra
EMI
1956
3:32
Die ursprünglich auf einer LP erschienene Aufnahme (bereits in Stereo) erfuhr ihre Wiederveröffentlichung in der EMI-Reihe „Classical Music Reference Recording“. Immer skeptisch gegenüber diesen reißerischen Marketing-Methoden eingestellt, muss man dieser Aufnahme attestieren, dass nicht zu viel versprochen wurde. Hinter dem Namen des Orchesters verbirgt sich übrigens das Los Angeles Philharmonic Orchestra, wenn es ein Freiluftkonzert in der Hollywood Bowl gibt. Die kann man sich so ähnlich vorstellen wie die Berliner Waldbühne.
Die Einspielung verbindet die mehr gesanglichen, ruhigeren und die mehr perkussiv vorantreibenden Partien des Tanzes (tänzerisch ist er natürlich immer) auf eine besonders harmonische Art und Weise. Sie wirkt sogar gedankenvoll und das Temperament erscheint bissig und schmissig.
Sehr gelungen auch der Klang. Der Raum in dem das Orchester spielt wirkt recht weit aufgespannt, die Transparenz erscheint für die Aufnahmezeit superb und das bei einer fast schon hautnahmen Präsenz und einer knackigen Dynamik. Die tiefen und bei den sich bietenden Gelegenheiten stampfenden Bässe erstaunen ebenfalls. Der Raum wirkt dreidimensional ausgeleuchtet, der Klang brillant, breitbandig und plastischer als bei den beiden Aufnahmen des Sohns, Leonard Slatkin. Und die wurden 25 bzw. 35 Jahre später aufgenommen. Die 56er EMI klingt auch besser als die 57er Ormandy. Die Aufnahme Felix Slatkins gibt es auch in Form einer digitalisierten LP von der Bibliothèque National de France, die jedoch gegen die originale EMI-CD keinen Stich bekommt.
4-5
Arthur Rodzinski
Columbia Symphony Orchestra
CBS-Sony
1950
3:03
Mehr oder weniger scherzhaft wird von Arthur Rodzinski behauptet, dass er immer einen Revolver bei sich gehabt hätte. Auch wenn er auf dem Podium stand. Und zwar geladen. Das bestätigte seine Frau Halina Rodzinski in ihren Memoiren, fast zwei Jahrzehnte nach dem Tod ihres Mannes in den 70er Jahren. Für wen die bestimmt war, blieb jedoch offen, vielleicht für Orchestermusiker, wenn sie nicht ganz mitkamen? Nachdem wir nun mehrfach mit seinem Stil in Kontakt gekommen sind, könnte man auf diese Idee kommen. Denn ähnlich wie bei Fritz Reiner oder George Szell spielen die von ihm dirigierten Orchester immer besonders präzise, besonders flink aber auch besonders gedrillt. Seine Frau schreibt weiter: „Für diejenigen, die mit dem Konzertleben der Vereinigten Staaten in den 1930er und 1940er Jahren zur musikalischen Reife gelangten, hat sein Name möglicherweise immer noch eine Aura, für die Jüngeren“, klagte sie weiter, und wir alle dürften mittlerweile zu dieser Generation gehören, „ist mein Mann eine trockene Referenz in einer Musik-Enzyklopädie oder ein Name auf einem Plattencover im Billigregal eines Discounters.“ Und die Jahrzehnte danach waren nicht gerade freundlich zu Rodzinski und ließen ihn, wenn überhaupt, in Erinnerung, weil er „alles verkörperte, was ein echter Maestro sein sollte“, schrieb ein Kritiker einmal: „protzig, willkürlich, diktatorisch, unvorhersehbar, von Ehrgeiz getrieben.“ Wie das Time Magazine berichtete, verfügte Rodzinski über ein „enormes Vokabular polnischer Obszönitäten“, das er auf Musiker ausübte. Kein Wunder also, dass er einerseits wegen seiner Kompetenz als Dirigent zwar beste Positionen erhielt, aber nicht sonderlich lange darauf verblieb. Er war der Vorgänger von George Szell in Cleveland und der Nachfolger des damals dort wenig geschätzten (!) John Barbirolli bei den New Yorkern, also Vorgänger von Mitropoulos und Bernstein.
In unserem kleinen Stückchen ist er wieder einmal der Tempo-Rekordhalter. Keiner spitzt den Tanz von Anfang an so dramatisch zu wie er. Seine Tempi lassen einem keine Zeit Atem zu holen, ein Glück, dass man die New Yorker Elite-Musiker zusammentrommelte um in diesem Fall ein Orchester zu haben, dass mitkam. Es hat trotzdem sogar noch genug Power um im Prestissimo noch zuzulegen. Alle Achtung und Hut ab! Da verschlägt es einem fast selbst den Atem. Und eigentlich wäre eine Eingruppierung in die 5 eine Pflicht, wenn die langsamen Abschnitte nicht so wenig kontrastierend zu den schnellen Passagen wirken würden. Alles wird fast gleichermaßen unter Hochspannung gesetzt und durcheilt. Das hielte die beste Ballettkompagnie kaum durch. Man bedenke die Schweißausbrüche.
Auch diese Einspielung wurde kürzlich neu digital überspielt und abgemischt. Sie klingt sehr präsent, sehr dynamisch und sagenhaft brillant. Wäre sie nicht monaural aufgenommen, man würde sie viel später in der Aufnahmegeschichte verorten.
4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1964
3:24
Mister Bernstein, den man nun wirklich nicht vorstellen muss, gelingt eine ausdrucksvolle Einspielung des kurzen Stücks. Das Orchester spielt erstklassig, sehr dynamisch und effektvoll. Die Steigerungen sind geschickt aufgebaut, die Synkopen kommen exakt und kräftig. An den ekstatischen Höchstlevel von Ormandy (nur 1957) und der Konkurrenz aus Philadelphia kommt man jedoch nicht ganz heran.
Der Klang hingegen gefällt etwas besser als der aus Philadelphia sieben Jahre zuvor. Er wirkt transparenter und recht räumlich, trotz einer leichten Tendenz zum Halligen hin. Das ausgewogen abgemischte Schlagwerk passt gut. Die Dynamik ist in Ordnung, auffallend ist der relativ gering gewichtete Bass.
4-5
Maurice Abravanel
Utah Symphony Orchestra
Vanguard, Alto
P 1982
3:26
Der Name Maurice Abravanel (zuerst noch Maurice de Abravanel) ist uns bisher in unseren Vergleichen noch nicht gerade häufig begegnet. Er erblickte im sonnigen Griechenland 1903 das Licht der Welt, wanderte jedoch bereits 1909 mit seiner Familie nach Lausanne aus. Und wie der Zufall es nun einmal wollte, wohnte man (und sein Vater arbeitete in der Apotheke) genau in demselben Haus in dem auch Ernest Ansermet wohnte. Der erkannte und förderte das Talent des kleinen Maurice und spielte mit ihm vierhändig Klavier. Durch Ansermet lernte Maurice bereits früh Milhaud und Strawinsky persönlich kennen. Monsieur Abravanel studierte jedoch zunächst Medizin, ging dann aber dem Rat Busonis folgend zum Studium nach Berlin um dort Musiktheorie bei Kurt Weill zu studieren. Dort wiederum lernte er Bruno Walter kennen, auch Paul Hindemith und Bert Brecht. Walter machte ihn mit dem Dirigieren vertraut und mit der Musik Gustav Mahlers bekannt, sicher nicht zuletzt ein Grund dafür, dass Abravanel die erste Gesamtaufnahme der Sinfonien Mahlers vorlegte, noch vor Leonard Bernstein. Walter wurde ein Fürsprecher Abravanels, der unterdessen eine besonders klare Schlagtechnik entwickelte für die ihn Musiker auf der ganzen Welt lobten. Die Geschichte ging natürlich noch weiter, denn die Zäsur durch die Machtergreifung durch die NSDAP (1933) erfolgte jetzt und zeigte sich auch bei Maurice durch die Emigration zunächst nach Paris, später in die USA. Von da an erzählen wir die Geschichte weiter, wenn wir erneut eine Einspielung des Dirigenten vorliegen haben, vielleicht bei Mahlers 5. Sinfonie.
Beim „Russischen Seemannstanz“ spürt man durchaus etwas von der klaren Schlagtechnik des Dirigenten. Obwohl das Orchester vielleicht nicht ganz zur Crème de la Crème gehört, kann es dieses Mal den Vertretern der Big Five sehr gut Paroli bieten, spielt mit viel Schwung und Dynamik. Tänzern würde diese klare Spielweise wahrscheinlich sehr gefallen.
Der Klang wirkt großformatig und räumlich, klar und offen, nur etwas hallig. Die Dynamik liegt auf dem Niveau der Bernstein-Einspielung. Insgesamt wirkt das Orchesterhalbrund aus Salt Lake City sogar noch etwas übersichtlicher und transparenter als das aus New York bei Bernstein. Das Schlagwerk kommt präsent zur Geltung.
4-5
Stanley Black
Royal Philharmonic Orchestra London
Decca
1967
3:21
Die Decca-Aufnahme wurde im speziellen Phase-4-Verfahren aufgenommen. Sie kann dafür sogar als prototypisch gelten. Mit einem natürlich wirkenden Klang, wie man ihn in einem guten Konzertsaal schätzt, hat der Decca-Klang jedoch nicht mehr viel zu tun. Die solistisch tätigen Instrumente oder Instrumentengruppen werden sozusagen unter akustische Spotlights gesetzt und man scheut dabei auch vor einer mitunter monströsen Vergrößerung nicht zurück. Man ersetzt die fehlende Bildaufzeichnung, bei der die gerade zentral wirkenden Instrumente eben auch in Großaufnahme erscheinen, indem man akustisch kräftig Nachhilfe leistet. Das kann durchaus einen didaktischen Auftrag erfüllen, um dem ungeübten Hörer die Feinheiten der Partitur deutlicher zu machen, den geübten Hörer oder den „Kenner“ kann das Verfahren jedoch auch belustigen oder je nach Standpunkt auch nerven oder verzweifeln lassen.
Zu Beginn klingt das ganze Orchester superpräsent, beim Pesante klingen die Bässe so schwer, als ob sie Unterstützung von einem Sattelschlepper bekommen hätten, sie klingen dabei genauso laut wie zuvor das ganze Orchester. Später kommen die Hörner in den Genuss der akustischen Vergrößerung, sodass das „Horn Gondors“, das in dem bekannten Fantasiefilm „Der Herr der Ringe“ ganze Landschaften fluten konnte, wirkt wie ein Spielzeuginstrument. Das jeweilige Hauptinstrument, oder das was die Techniker dafür halten, wandert so immer präsent an die akustische Rampe. Das Hauptproblem ist dann ziemlich häufig das ambitionierte Tutti. Da weiß man plötzlich nicht mehr was das Wichtigste sein soll und die Transparenz leidet spürbar, da kann auch mal ein akustisches Tohuwabohu dabei rauskommen.
Dass die Aufnahme viel Spaß macht, liegt nicht unbedingt an den „Spezialitäten“ der damaligen Decca-Technik (man konnte den Errungenschaften des großen Mischpultes mit den vielen Mikrophonen, es sollen 20 Stück gewesen sein, nicht immer widerstehen), sondern am mitreißenden Schwung und am Hochdruck, die vom Orchester und seinem Dirigenten entfaltet werden. Durch das bisweilen von uns dann doch als aufdringlich empfundene „Mächtigmachen“ der Soli, fehlen die kurzen, aber für den Gesamtverlauf wichtigen kleinen Ruheepisoden. Wie bereits erwähnt: es wirkt so fast alles gleich laut. Die Spannungskurve wird zu einer, allerdings hoch liegenden, „Spannungsgeraden“. Ein Verflachen auf hohem Niveau also. Das Spiel des Orchesters wirkt recht präzise und virtuos, rhythmisch jedoch weniger geschärft. Insgesamt doch eher eine seltsame Kuriosität.
4-5
Edward Downes
BBC Philharmonic, Manchester
Chandos
1992
3:51
Als einer der wenigen Dirigenten hat es sich Edward Downes, der von 1980 – 1991 Chef des Orchesters war, nicht nehmen lassen von der Ballettmusik zu „Der rote Mohn“ eine Suite einzuspielen. Vielleicht ist es dem neuen Zusammenhang geschuldet in dem der Tanz nun steht (sonst sind es fast immer Best of „Lollipops“-Sampler wo der „Russische Seemannstanz“ als ein Bonbon unter vielen zu finden ist), dass unser Tanz hier so wenig reißerisch wirkt. Es wird betont sorgfältig und gewissenhaft phrasiert, fast möchte man schreiben liebevoll, mit poetischen Untertönen bei den kurzen langsamen Passagen. Da liegt es auf der Hand, dass es einige dann besser ins Ekstatische gesteigerte Einspielungen gibt. Diese wirkt so aber besonders ausgewogen und im positiven Sinne gefällig und seriös.
Der Klang der Aufnahme wirkt voll, plastisch, farbig, rund und voluminös. Die Dynamik ist gut, der Gesamtklang wirkt etwas distanziert.
4-5
André Anichimov
St. Petersburg State Symphony Orchestra
Naxos
1994
3:27
Dieses Mal ist der „Russische Seemannstanz“ sogar Teil der einzigen uns bekannten Gesamtaufnahme des Ballettes „Der rote Mohn“.
Gegenüber der Vorgänger-Einspielung des Tanzes bei Naxos mit Anthony Bramall wirkt er nun temperamentvoller. Zudem sehr exakt und besonders kantabel gespielt und über weite Teile dynamisch auffallend zurückhaltend. Der Spannungsbogen wird jedoch nie aus den Augen verloren, die Tempi wirken stark kontrastierend, das Spiel ziemlich rhythmusbetont.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr sauber und deutlich, was erfreulicherweise auch für das ff im Tutti gilt. Zu den besten fehlt es noch etwas an Präsenz und aufregender Dynamik. Gegenüber der Bramall-Aufnahme stellt sie hingegen auch klanglich eine Verbesserung dar.
4-5
Erich Kunzel
Cincinnati Pops Orchestra
Telarc
2003
3:31
Erich Kunzel, der uns schon oft als ein ziemlich bedachter (um nicht zu schreiben bedächtiger) Dirigent begegnet ist, wirkt in dieser Einspielung temperamentvoller als zumeist. Auch das Orchester präsentiert sich in sehr guter Form, spielt wie eigentlich immer klar und deutlich, aber dieses Mal mit einem gewissen Mehr an Engagement. Der Tanz wird trotzdem nicht zu einer hitzigen oder feurigen Angelegenheit, wenn man sich an Rodzinski, Fennell oder Fayer und Ormandy (1957) erinnert, aber man wäre im Konzert ziemlich begeistert.
Der Klang gefällt dieses Mal besonders. Analog zum Orchesterspiel wirkt auch er sehr klar und deutlich mit einem gut hervortretenden Bass. Die Staffelung ist hervorragend, man genießt einen ausgezeichneten „Panoramablick“ über das ganze Orchester. Der Orchesterklang wirkt dabei voll, rund und brillant. Die Dynamik hinkt jedoch der quicklebendigen Mercury von 1959 deutlich hinterher. Dennoch wäre dies eine der „Referenzaufnahmen“, wenn es dem Hörer oder der Hörerin nur um den zeitgemäßen Digitalklang gehen würde.
4-5
Leopold Stokowski
and his Orchestra
EMI, IMG-Artists, Cala Records
P 1954
3:20
MONO Angesichts des zumeist bei diesem Tanz gebotenen Spiels (geradeaus und auf Tempo und weniger auf Nuancen bedacht oder versessen), nimmt Stokowskis zweite Einspielung mit ihrer Genauigkeit und Flexibilität für sich ein. Stokowski ist nun, 20 Jahre nach seiner ersten Aufnahme in Philadelphia viel mehr an sonst nicht so sehr beleuchteten Details interessiert. Sie wirken fast wie „Schlaglichter“. Das Spiel „seines“ Orchesters wirkt geschmeidig und die Steigerungen wirken voll ausgereizt. Die Schlusssteigerung ist gut, kommt aber an die entsprechenden Gestaltungen von Ormandy, Fennell, Fayer oder auch Slatkin (sen.) nicht ganz heran.
Der Klang wirkt naturgemäß wenig räumlich, aber bereits recht dynamisch und transparent.
4-5
Leopold Stokowski
Philadelphia Orchestra
Biddulph
1934
3:11
MONO Dies scheint die erste Aufnahme des Philadelphia Orchestra zu sein, die es von dem kleinen Stück gemacht hat. Stokowski geht dabei geradliniger und noch beschwingter zur Sache als in der 20 Jahre jüngeren. Stokowski ist in jüngeren Jahren noch mehr an der Rasanz des Werkes gelegen, während er später mehr eigene Einfälle und Betonungen mit einbringt (dieses Mal ohne das Werk zu verfälschen). Obwohl seine Darstellung schneller über die Bühne geht, verfügt das Orchester noch nicht über die überbordende Virtuosität der Ormandy-Einspielung von 1957.
Dies ist eine alte Aufnahme und sie klingt auch so und trotz aller Bemühungen seitens des Anbieters Biddulph bleibt es dabei. Von klanglichen Meriten können wir leider nicht schreiben.
4-5
Anatole Fistoulari
London Philharmonic Orchestra
RCA, Decca, Parnassus
1956
3:37
Gegenüber seiner älteren Einspielung von 1944, die auf Dutton wieder erhältlich ist, legt Anatole Fistoulari etwas beschwingtere Tempi vor und schärft die Tempokontraste. Auffallend ist bei ihm die ganz besonders tänzerische Motorik, bei der man sich die Bewegungen der Balletttänzer besonders gut vorstellen kann. Gerade auch die Sprungelemente. Die Darbietung wirkt so sehr effektvoll, das Orchester macht einen sehr guten Eindruck und das abschließende Prestissmo gelingt ihm virtuos. Erneut spürt man die große Affinität Fistoularis zum Ballett.
Der Klang ist leider ziemlich mau. Zwar insgesamt deutlicher und transparenter als in der 44er und nicht muffig aber doch auch nicht gerade brillant. Man darf nicht zu viel erwarten. Das AD ließe eigentlich schon besseres vermuten.
4-5
Saul Caston
Philadelphia Orchestra „Pops“
Columbia
Ca. 1947
3:09
Über Saul Caston ist heute nicht mehr viel in Erfahrung zu bringen. Er lebte von 1901 – 1970 und war von 1945 – 1964 Leiter des Denver Symphony Orchestra (heute: Colorado Symphony), lange Zeit war er Gastdirigent in Philadelphia. Sein Stil scheint dem Arthur Rodzinkis verwandt. Es sind die straffen Zügel spürbar, die das flotte Tempo ohne viel „unnötiges“ Beiwerk und ohne viel „Federlesens“ ermöglichen. Bei diesem kurzen Tänzchen passt das gut, denn die Wirkung ist durchaus tänzerisch und beschwingt bis rasant, die Spielweise sehr rhythmisch.
Für ihr Alter wirkt die Aufnahme erstaunlich transparent (wie alle CBS-Sony Aufnahmen in letzter Zeit wurde auch diese einem neuen Remastering unterzogen). Die Dynamik wirkt geweitet, sodass man sie diesbezüglich zehn Jahre jünger einschätzen würde. Objektiv wirkt sie jedoch ziemlich grob, d.h. die feinen Zwischenwerte fehlen. Ziemlich „burschikos“ trifft sie genau das, was man vielleicht klischeehaft unter „russisch“ verstehen mag. Die CD teilt sich Saul Caston übrigens mit Eugen Ormandy. Erstaunlich, dass Ormandy den effektvollen „Seemannstanz“ nicht wie später selbst dirigiert hat.
4-5
Leonard Slatkin
Saint Louis Symphony Orchestra
Telarc
1981
3:35
Auch Leonard Slatkin hat das Stück zwei Mal eingespielt. Das zweite Mal für seine neue Firma RCA. Seine erste ist etwas spritziger, tänzerischer und sie gibt bei den Synkopen etwas mehr Pfeffer hinzu. Das Prestissimo könnte noch leichtfüßiger und zugespitzter klingen.
Der Klang ist hingegen schon eher die Attraktion der Einspielung, denn er wirkt sehr dynamisch, farbig und präsent. Obwohl dies eine sehr frühe Digitalaufnahme ist, klingt sie bereits recht frei und ohne die gefürchtete „Digitalitis“ der Anfangszeit. Telarc setzte damals mit Recht auf das bessere Soundstream-Aufnahmeverfahren. Ziemlich fulminanter Bass.
4-5
Leonard Slatkin
Saint Louis Symphony Orchestra
RCA
1991
3:47
Zehn Jahre später klingt der „Russische Seemannstanz“ bei Leonard Slatkin nicht mehr so spritzig und drängend-ungeduldig. Er legt nun mehr Wert auf einen erzählenden Ton, was ihm gut gelingt, denn der Gestus wirkt sogar noch etwas spannender als zuvor. Die Tempokontraste wirken nun verschärft.
Der Klang wirkt nun transparenter als zehn Jahre zuvor und besser durchhörbar, weist auch die bessere Tiefenstaffelung auf. Dynamik und Druck bleiben hingegen hinter der älteren Telarc-Einspielung zurück.
4
Anatole Fistoulari
National Symphony Orchestra
Dutton
1944
4:05
Gegenüber den Einspielungen von Mitropoulos, Saul Caston oder Rodzinski wirkt die erste Einspielung Fistoularis wie in Zeitlupe musiziert. Hier werden klangliche und rhythmische Valeurs hörbar gemacht, die bei den „Brio only“-Dirigenten kaum auffallen. Das Spiel des Orchesters wirkt durchaus genau und die Steigerung wirkt wie ein langsames Wachsen nicht nur in Tempo und Lautstärke, sondern auch im Brio. Der Überschwang bleibt hörbar, die Ekstase jedoch bleibt aus. Das wirkt tänzerfreundlich gedacht und auch so musiziert. Da wir als Tänzer sowieso raus sind, setzen wir beim Hören jedoch lieber auf das ultimative Brio und empfehlen dann doch lieber die neuere Einspielung, wenn es Fistoulari sein soll.
Auch diese Einspielung wurde von Dutton neu digital überspielt, sie wirkt nicht nur recht voll, sondern auch schon klangfarbenreich und auch diese Aufnahme zeigt bereits eine beträchtliche Dynamik. Erstaunlich, wie gut man die historischen Einspielungen heutzutage vitalisieren kann.
4
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
RCA
1972
3:46
Nach seinem Wechsel von CBS zu RCA in den 70er Jahren (selbstverständlich gemeinsam mit „seinem“ Orchester) hat Eugene Ormandy sein einschlägiges Repertoire erneut eingespielt. Heute gehört übrigens das gesamte Vermächtnis an Einspielungen Ormandys bei CBS und RCA zu Sony, es fehlen dabei nur die wenigen allerletzten Aufnahmen, die er am Ende seiner Karriere für EMI gemacht hat.
Auch Glières „Seemannstanz“ wurde zu einem Remake auserkoren. 15 Jahre nach der Darbietung von 1957 bei CBS ist Ormandy bereits 73 Jahre alt. Das merkt man der Einspielung dieses Mal durchaus an. Die Tempi wirken spürbar zurückgenommen, die Tänzer, sofern man sie sich vorstellt, wirken nicht mehr so angetrieben und ultimativ kraftvoll, haben es nicht mehr so eilig und wirken verhaltener, jedenfalls nicht mehr so explosiv. Man könnte das unter Umständen sogar sympathischer finden, denn den 1957er Seeleuten möchte man nachts nicht unbedingt auf der Straße begegnen, den 72ern schon eher. Aber an die Ekstase des Prestissimo kommt man 1972 einfach nicht mehr heran. Insgesamt wirkt sie gegen die 57er Version braver.
Diese Einspielung von RCA fand damals auf einer High-Performance-CD Platz. Dem audiophilen Anspruch wird sie durchaus auch heute noch gerecht. Sie wirkt besser gestaffelt (auch in der Tiefe) und erheblich transparenter als die 57er. Also viel besser aufgeräumt und sortiert. Sie ist auch nicht mehr so hallig und aufgeblasen-großräumig. Im Gegenzug wirkt sie aber nicht mehr ganz so präsent.
4
Siegfried Landau
Music of Westchester Symphony Orchestra
Vox, Menuetto Classics
P 1968
3:38
Der deutsche Dirigent wurde nicht im pfälzischen Landau geboren, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern in Berlin. Und zwar am 4. September 1921.
Sein Vater, Ezekiel Landau, war ein orthodoxer Rabbiner. Er war Musikstudent am Stern- und Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Deutschland. Seine Familie emigrierte 1939 zwangsläufig wegen der katastrophalen Verhältnisse in Deutschland nach London. Wie viele solcher Schicksale haben wir mittlerweile innerhalb der kurzen Zeit, in der wir unsere Vergleiche anstellen schon aufzeigen müssen! 1940 kam Landau nach New York City und wurde Schüler von Pierre Monteux. 1943 wurde er bereits Fakultätsmitglied des New York College of Music (nach 1968 Aufnahme in die Steinhardt School of Culture, Education and Human Development der New York University). Landau trat 1955 dem Brooklyn Philharmonic (damals Brooklyn Philharmonia genannt) als Chef bei, einem Orchester, das damals aus freiberuflichen Musikern im Raum New York City bestand und sich auf zeitgenössische oder selten gespielte klassische Musik konzentrierte. Seine Amtszeit als Musikdirektor des Orchesters dauerte von 1955 bis 1971, als er zurücktrat, nachdem das Orchester in einer Zeit finanzieller Schwierigkeiten seine Spielzeiten und Programmmöglichkeiten eingeschränkt hatte. Von 1961 bis 1981 war er zudem Dirigent der „Music for Westchester Symphony“ (was für ein seltsamer Name für ein Orchester), später White Plains Symphony genannt, bis er das Orchester (beheimatet im Bundesstaat New York) wegen Streitigkeiten mit dem Vorstand bezüglich der Programmgestaltung verließ. Von 1960 bis 1973 leitete er die Chattanooga Opera Association. In Europa war er von 1973 bis 1975 Generalmusikdirektor des Westfälischen Symphonieorchesters in Recklinghausen.
Als die LPs von Vox damals in den 60ern und 70ern verstärkt, zumeist als US-Import, auf den deutschen Markt kamen, waren sie meist mit einer grauenhaften Pressqualität gesegnet. Man munkelte, dass sie während der Verschickung via Schiff Schaden genommen hätten. Rückstände vom Pressvorgang hätten sich in die Rillen gedrückt. Wir sind der Sache nicht weiter nachgegangen, denn damals verzichtete man lieber gleich auf den Kauf dieser kaum mit Genuss abspielbaren Produkte. CDs oder Streamings der Vox-Aufnahmen klingen heutzutage sauber, da einer nonchalanten Pressqualität enthoben und auch sonst klingen sie gar nicht mal so schlecht, wie man sie zu LP-Zeiten bewertete. Dennoch klingen in unserem Fall die Celli und Bässe so rau und ungehobelt, dass man ihren Ursprung in einem Sinfonieorchester kaum vermuten würde. Absicht um das klischeehaft „Russische“ und das raue „Seemännische“ darzustellen? Das ganze Orchester ist nicht von höchster Qualität, jedoch sehr engagiert bei der Sache, was sich durchaus auf die Hörerschaft überträgt. Das Klangbild ist percussionbetont, was bei diesem Stück nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, wenn man es nicht übertreibt. Das Orchester ist großzügig in die Breite gestaffelt und transparent aufgenommen. Trotz einer Tendenz zum Halligen ist die Transparenz des Orchestersatzes gewährleistet. Mitunter kann ein leicht lärmender Gesamtklang nicht verhindert werden.
4
Nicolai Malko
Philharmonia Orchestra London
His Masters Voice, RCA, BnF
1948
3:32
MONO Dieser Einspielung aus London wurde kein aufwändiges Remastering zuteil, man überspielte ohne Bearbeitung von einer historischen LP aus den Beständen der Bibliothèque Nationale de France. Auf diese Weise sind dem Sammler und Entdecker viele Aufnahmen auch heute noch verfügbar, die von den großen Labels bisher vergessen oder absichtlich ignoriert wurden. Die Kehrseite der Medaille ist der Klang, originalgetreu, wie es damals bei Opa und Oma geklungen haben muss. Mit allen möglichen Schleif- und Poltergeräuschen des analogen Abtastvorgangs. Wärmende Nostalgiegefühle kommen da selten auf.
Malko, der damals fest in Kopenhagen engagiert war, nahm viel mit dem Philharmonia Orchestra in London auf, damals wie heute eine der ersten Adressen. Es wird mit Spannung musiziert, die Tempi sind kontrastreich und die stetige Beschleunigung wird schön deutlich gemacht.
Die Abspielgeräusche der digitalisierten Platte sind in diesem Fall ziemlich stark und störend, das Orchester klingt auffallend präsent, aber gerade wenn man das AD und die Quelle mit in Betracht zieht auch erstaunlich transparent. Nur die Streicher wirken entfernt, entfernter als die Bläser. Die Dynamik ist bereits ordentlich.
3-4
Zdenek Macal
New Jersey Symphony Orchestra
Delos
P 1996
3:43
In New Jersey spielt man Glières Tanz ziemlich wenig akzentuiert und tendenziell lahm. Allerdings betont man die kantablen Passagen gut. Über diese Abschnitte legt sich sogar eine gewisse Melancholie, die in den allermeisten Einspielungen kaum auffällt. Die Steigerungen erscheinen jedoch wie die Akzentsetzung eher schwach ausgeprägt in Tempo und Dynamik.
Der Klang der Aufnahme ist transparent und farbig, insgesamt wirkt das Orchester ein wenig zu weit entfernt was einer gewissen Glätte Vorschub leistet.
3-4
Arthur Winograd
The Virtuoso Symphony Orchestra of London
Audio Fidelity
1958
3:23
Arthur Winograd ist wahrscheinlich als Kammermusiker bekannter geworden denn als Dirigent. Er war Gründungsmitglied des Juilliard String Quartett und als Cellist von 1946 – 1956 dort tätig. Zuvor war er bereits Cellist im NBC Symphony Orchestra unter Toscanini und Stokowski. Danach nahm er seine Karriere als Dirigent ins Visier. Er war dann von 1960 – 1964 Musikdirektor in Birmingham (allerdings nicht in England sondern in Alabama) und 1964 – 1985 Musikdirektor des Hartford Symphony Orchestra im Bundesstaat Connecticut.
Auffallend an dieser Einspielung ist der zurückhaltende Schlagzeugeinsatz, was die Musiker jedoch nicht daran hindert ihren Sinn für die Rhythmik zu schärfen. Hauptmangel dieser Einspielung ist die weitgehend fehlende Stimmentransparenz. Diesbezüglich ist sie sogar noch schlechter als die Malko-Aufnahmen von 1948, die noch mit Mono-Technik auskommen musste. Das setzt die eigentlich schwungvolle und temperamentvolle Einspielung deutlich herab. Zudem wird das Blech zu weit hinten platziert, das reduziert den „Anmachfaktor“ ebenfalls. Die Streicher sind hingegen präsent zu hören. Insgesamt klingt die Aufnahme hell und im ff mulmig.
3-4
Anthony Bramall
Slowakisches Radio-Sinfonieorchester, Bratislava
Naxos
1987
3:38
Anthony Bramall ist in Deutschland kein Unbekannter, seine Beschäftigungsverhältnisse lesen sich wie eine Deutschland-Tour. Nach ersten Aufgaben in Pforzheim nahm er verschiedene Positionen in Augsburg, Coburg, Hannover, Krefeld-Möchengladbach, Karlsruhe, an der Oper in Leipzig und zuletzt in München (Theater am Gärtnerplatz) wahr.
In der ersten Einspielung, die Naxos vom „Russischen Seemanntanz“ gemacht hat, hören wir ein zwar exaktes, aber auch ziemlich anämisch wirkendes Spiel des slowakischen Orchesters. Statt mit leuchtenden Farben und kräftigen Pinseln gemalt zu werden, wirken die Linien hier wie mit dem Zirkel gezogen. Der Tanz wirkt so nahezu emotionslos. Nur die Noten, ohne den rechten Schwung. Da nutzt sogar das ordentliche Tempo im abschließenden Prestissimo nicht mehr viel. Wahrscheinlich war die Probenzeit recht schmal bemessen, um so eine randvoll gefüllte CD mit den verschiedensten Werken mit dem größtmöglichen Erfolg zu erstellen.
Der Klang wirkt sauber und fast klinisch rein. Er wirkt sehr transparent, dass man den Eindruck gewinnt, dass jede Gruppe zwar gleichzeitig und recht präzise aber doch für sich alleine musiziert. Das Orchester wirkt so jedoch äußerst übersichtlich und räumlich, fast so, als könne man hindurchspazieren. Die Dynamik verdient hingegen ihre Bezeichnung kaum.
10.1.2024