Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 5
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Werkhintergrund:
"Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie!" Dies notierte Mahler 1905 nach einer von ihm geleiteten Aufführung der Symphonie in Hamburg. Die Uraufführung in Köln am 18. Oktober 1904 lag gerade ein halbes Jahr zurück. Der Erfolg war jedenfalls nicht der gewünschte, wenngleich Mahler nicht so schlimm „auseinandergenommen“ wurde, „blutrünstig abgeschlachtet“, wie er selbst es in einem Brief von 1903 formuliert wie bei den Berliner Aufführungen der Sinfonien 1, 2 und 3.
„Meine Zeit wird kommen“ war der Stoßseufzer, aber auch die innere Gewissheit des Komponisten, der als Dirigent zu seiner Zeit überaus geschätzt und berühmt war, dem man als Komponisten aber bloße „Kapellmeistermusik“ vorwarf.
Dabei wissen wir nicht, ob er nicht absichtlich mit verschleierten musikalischen Spuren und "raffinierten Codierungen" spielte, wie der Kontrabassist Frank Reinecke im Programmheft zu den Aufführungen der Fünften des BRSO 2016 vermutet und Möglichkeiten einer Entschlüsselung aufzeigt. "Verflucht" war die Symphonie jedenfalls nicht nur für Mahlers Zeitgenossen, sondern auch für ihn selbst. Bei keiner anderen seiner Symphonien hat er so um die endgültige Gestalt gerungen wie bei der Fünften. Drei Druckfassungen liegen vor, und für nahezu jede Aufführung instrumentierte Mahler sie neu. Noch im Winter 1910/1911, knapp ein Jahrzehnt nach der Entstehung, unterzog er die Partitur einer letzten Revision und resümierte anschließend: "Die 5. habe ich fertig – sie musste faktisch völlig um-instrumentiert werden. Es ist unfassbar, wie ich damals wieder so völlig anfängerhaft irren konnte. Offenbar hatte mich die in den ersten 4 Symphonien erworbene Routine hier völlig im Stich gelassen – da ein ganz neuer Stil eine neue Technik verlangte." Dass Mahler mit seiner Fünften einen neuen Weg beschritt, darüber herrschte früh Einigkeit. Schon für Zeitzeugen wie den Dirigenten Bruno Walter oder den Musikkritiker Paul Bekker, Verfasser der ersten großen Mahler-Monographie, markierte die Symphonie eine Wende.
Im Frühjahr und Sommer 1901, kurz vor und während der ersten Arbeiten zur Fünften, beschäftigte sich Mahler intensiv mit der Musik Bachs. "Eine größere Polyphonie war nie da! Unsagbar ist, was ich von Bach immer mehr und mehr lerne", äußerte er gegenüber seiner Vertrauten Natalie Bauer-Lechner, und auch im Sommer des folgenden Jahres – in der Zwischenzeit war die blutjunge Alma Schindler stürmisch in sein Leben getreten – beobachtete die frisch gebackene Gemahlin, dass in Mahlers Komponier-Häuschen im Feriendomizil in Maiernigg am Wörthersee "an Noten nur Bach" vorzufinden waren. Vielleicht war es jene Auseinandersetzung mit Bach, die den tiefgreifenden Stilwandel zwischen der Vierten und Fünften Symphonie auslöste, und weniger – wie Paul Bekker annahm – eine "von Grund auf erschütternde Krisis". Fest steht, dass in Mahlers Fünfter in einem bei ihm bis dahin nicht gekannten Maß polyphone Satztechniken zur Verwendung kommen, die zu einer deutlich komplexeren Textur, zu einer "Vorliebe für Klanghärten und lineare Reibungen" (Constantin Floros) führen. Diese neue Schreibweise lässt sich nicht nur an den ausgedehnten fugierten Abschnitten im Schlusssatz beobachten, sondern zieht sich – bis auf das traumverlorene Adagietto, das in jeder Hinsicht ein Ausnahmestück ist – durch die ganze Symphonie. Mahler selbst sprach von einer "Durchknetung" der Stimmen. Diese neue kontrapunktische Faktur, die Gleichzeitigkeit höchst unterschiedlicher motivischer Prozesse, war auch einer der Gründe, warum Mahler bei seiner Fünften so unerbittlich um die optimale Instrumentation rang. "Niemals verführt von seiner großartigen Klangphantasie, der Farbe wesentliche Bedeutung zu geben, benützte er seine Spezialbegabung für orchestrale Klangwirkungen vor allem in Dienste der Deutlichkeit." (Bruno Walter)
Ein weiteres Novum der Fünften ist, dass Mahler auf die Verarbeitung bereits bestehender Liedvorlagen verzichtet, auf den Bezug zu den Wunderhornliedern (Zweite, Dritte und Vierte Symphonie) bzw. den Liedern eines fahrenden Gesellen (Erste) ebenso wie auf die menschliche Stimme, die in der Zweiten bis Vierten Symphonie eine wichtige Rolle spielt. Stattdessen "tritt der Instrumentalcharakter der Sinfonie als Orchesterform schärfer hervor" (Bekker), wobei vor allem die Blechbläser eine neue Bedeutung erhalten. Mit deren "schweren, glänzenden, metallharten Klängen spielt Mahlers Fantasie jetzt" (Bekker), sie sind für den oft beißenden, quälend aggressiven Ton (vor allem in den ersten beiden Sätzen), ebenso aber im letzten Satz für die überwältigende Leuchtkraft des Schluss-Chorals verantwortlich.
Auch nahm Mahler bei der Fünften davon Abstand, der Öffentlichkeit erläuternde Programme mitzuteilen. Die Sprache, sei es in Form vokaler Passagen, sei es in Form erklärender Texte, war für ihn entbehrlich geworden. "Es bedarf nicht des Wortes, alles ist rein musikalisch gesagt." Freilich ist Mahler viel zu sehr Bekenntnismusiker und musikalischer Weltenschöpfer, als dass es möglich wäre, ein Werk wie die Fünfte ohne semantische Assoziationen zu hören. "Aber Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen", lautete einer seiner zentralen Glaubenssätze. Das bedeutet nichts weniger, als dass Mahler mit jeder seiner Symphonien einen ganz eigenen Kosmos entwarf, der im Kleinen stets alles enthält, was an menschlichen Grunderfahrungen zwischen Leid und Trost, Verzweiflung und Verheißung, Angsttraum und Euphorie, eruptiver Kraftentfaltung und seliger Entrückung denkbar ist.
Wie alle Symphonien Mahlers ist auch die Fünfte eine "Finalsymphonie", das heißt der innere Gedankengang zielt in einer großen zwingenden Form auf den Schlusssatz. Er führt von der Klage des Anfangs (1. Satz, Trauermarsch), über den schmerzgepeinigten Aufschrei des zweiten Satzes (Stürmisch bewegt) in eine Welt des absoluten Friedens (4. Satz, Adagietto) und schließlich zur erlösenden Choral-Apotheose des Rondo-Finales. Dazwischen steht als dritter Satz und Mittelachse ein ausgedehntes Scherzo, das eine eigene Abteilung bildet und von der Moll-Sphäre (Satz 1 und 2, Erste Abteilung) in die Positivität der Dritten Abteilung (Satz 4 und 5) führt. Ob solche Lesarten aber tatsächlich so eindeutig sind, wie sie sich den Anschein geben? Die Fülle an motivischen Anspielungen, die ungeheure Komplexität der Vorgänge im Inneren der einzelnen Sätze ebenso wie die subtilen Verbindungen und Transformationen über die Satzgrenzen hinweg jedenfalls gemahnen zur Vorsicht vor einfachen Erklärungen. Die Konzeption der Symphonie ist zu vielschichtig, als dass eine kohärente Betrachtung überhaupt möglich wäre, und vielleicht liegt die Größe eines Werkes wie der Fünften gerade darin, dass man sie niemals gänzlich "capiert".
Mit einem der fünf Sätze hingegen verband sich aber wohl doch eine eindeutige Botschaft. Das Adagietto schrieb Mahler wohl im November 1901 als wortlose Liebeserklärung an Alma. "Statt eines Briefes sandte er ihr dieses im Manuskript, weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden und schrieb ihm: Er solle kommen!!!", so ist es durch den niederländischen Dirigenten und engen Freund der Familie Willem Mengelberg glaubwürdig überliefert. Später, wenn wir zu den einzelnen Sätzen kommen, noch genaueres dazu.
Ob wir die 5. Sinfonie heute besser kapieren, sei dahingestellt, Tatsache ist, dass diese Sinfonie, die so einsam und düster mit einem Trompetensignal beginnt, heute eines der populärsten Werke Gustav Mahlers ist. Dazu hat besonders Viscontis Verfilmung von Thomas Manns „Tod in Venedig“ beigetragen, die das Adagietto aus Mahlers Sinfonie ausgiebig nutzt – in einer Art und Weise, die der Dirigent Michael Gielen als „genial-pervers“ bezeichnet. Da war der Weg zur spätromantischen Edelschnulze nicht mehr weit. Und spätestens, seitdem die Dresdner Philharmonie mit Cate Blanchett diese Musik für den Film TÁR eingespielt hat, gehört sie für viele zu den Klassikern der spätromantischen Sinfonik schlechthin.
Die tiefen inneren Abgründe, die das Werk Gustav Mahlers auszeichnen, die schnellen inneren Brüche, die oft wie scharfe filmische Schnitte wirken, haben Mahlers Musik seit den 1960ern eine große Renaissance beschert. Der ursprüngliche Vorwurf des Trivialen wurde in sein Gegenteil verkehrt, das scheinbar einfache als besondere Qualität wahrgenommen und die extremen Stimmungswechsel immer stärker als zeitdiagnostisch gehört. Es ist wohl kein Zufall, dass viele Menschen, die mit klassischer Musik kaum etwas am Hut haben, gerade zu seiner Musik spontan Zugang finden. Insbesondere auch jüngere Menschen.
Vor allem aber ist die 5. Sinfonie von Gustav Mahler ein großartiges, ausuferndes und ungemein polyphon gearbeitetes Werk, das Orchester und Dirigenten jedes Mal neu vor große Herausforderungen stellt, was Klangbalance, Klarheit und Emotionalität angeht.
Bevor wir uns den einzelnen Sätzen beschreibend widmen wollen, erscheint es angemessen den Begriff „Welt“ in Mahlers Sinn genauer zu beleuchten, denn es erscheint sinnstiftend für das Verständnis gerade der Fünften. Dazu greifen wir zurück auf Mahlers Briefe, die er in der Zeit von 1879 bis zu seinem Todesjahr 1911 geschrieben hat. Natürlich bieten die Briefe keine philosophisch-systematische Abhandlung über Fragen der Kunst, aber sie vermitteln laut Hans Heinrich Eggebrecht über alle Zufälligkeiten der Entstehungsanlässe und des Erhaltenen und Veröffentlichten hinweg ein geschlossenes Bild über seine Auffassung von Kunst (speziell natürlich Musik), die im ganzen Zeitraum im Kern konstant geblieben ist und die in Mahlers Schaffen vollkommen analog in Erscheinung tritt. Wir fischen uns aus der Veröffentlichung Eggebrechts „Die Musik Gustav Mahlers“ (Serie Piper) dazu die vielleicht treffendsten Bemerkungen heraus, nicht zuletzt, um unseren Text nicht über Gebühr aufzublähen.
Die „Welt“ (und Mahler zeigt in seinen Sinfonien immer „die ganze Welt“, wie er sie sieht) ist ein zunächst durch und durch negativ bewerteter Begriff. Es ist die „ekelhafte Realität des alltäglichen Trotts“, die gesellschaftliche Schein- und Lügenwelt, das Weltgetümmel, „der scheußliche Zwang, unsere moderne Heuchelei und Lügenhaftigkeit“ (1879).
Oder: „Überall ist das Elend zu Hause und es legt die seltsamsten Kleider an, um die armen Menschenkinder zu verspotten. Kennst Du einen glücklichen Menschen auf dieser Erde, so nenne ihn mir schleunigst“ (1880).
„Jammerleben“ und „Gekreisch“ (1908) oder der „brutale Lebensstrudel“ (1909) sind ihm auch Synonyme für die „Welt“.
„Welt“ bedeutet also zugleich Leiden an ihr, im Sinn von Verwundung nach Kampf: „Ich bin so zerrissen. Aus vielen Wunden blutet mein Herz“ (1885) oder „Ich schlage mich jetzt in der Welt herum. Ich versichere Dich, es ist ein Kampf, ein rechter, in dem man gar nicht merkt, dass man aus tausend Wunden blutet. In den Pausen allerdings fühlt man plötzlich etwas Nasses und gewahrt erst, dass einem das Blut rinnt…“ (1896).
„Welt“ im Sinne von irre werden an ihr, sie fliehen und sich vor ihr verstecken wollen oder nichts von ihr wissen wollen: „Ich komme immer mehr dazu, nur die Tauben und Blinden für glücklich zu halten, denen diese elende Welt verschlossen ist, und ich könnte einen Musiker begreifen, der sich des Gehörs beraubt, wie sich Demokrit geblendet haben soll“ (1900). Oder „Ich bin nun ganz irre an mir und an der Welt, wenn ich so was immer wieder auf´s Neue erlebe! Sind denn die Menschen aus einem anderen Stoff als ich? Donnerwetter, man möchte sich da rein in das Dickicht zurückziehen und überhaupt nichts mehr von der Welt wissen (1907, anlässlich eines Zusammenseins mit dem Ehepaar Richard und Pauline Strauss in Berlin).
Von der Welt als Weltgetümmel sieht sich Mahler gefangen, in ihr zappelt er „wie eine Mücke im Spinnennetz“ (1879). Sie ist (wie er 1896 im Hinblick auf den Fischpredigt-Satz seiner 2. Sinfonie schreibt), das „unaufhörlich bewegte, nie ruhende, nie verständliche Getriebe des Lebens…ein grauenhafter Spuk.“
Diesem negativen Begriff der Welt steht in Mahlers Auffassung der Begriff einer „anderen Welt“ gegenüber. Sie erscheint innerhalb der unmittelbar anschaulichen Wirklichkeit als die von Menschenhand, von Zivilisation unberührte Natur. Dieser in Wirklichkeit existierende Gegenbereich ist verbunden mit Hinausgehen (Alleinsein), mit Traum (und mit Traurigkeit), und als das Versinken in diese Naturwelt, das sinfonisch als Episode erscheint. Also ein eher unvermittelt eintretender und ein vorübergehender Zustand, innerhalb des Weltlaufs also so etwas wie ein extraterritoriales Feld.
Jetzt wird es noch differenzierter, denn die sichtbare und hörbare Natur, dieses gegenüber der Zivilisationswelt Andere, ist selbst diese andere Welt noch nicht. Sie ist nur ein Symbol für das Andere der anderen Welt, das Unberührte und Zeitlose, und im „Hinausgehen“ und „Alleinsein“ löst sie die Sehnsucht aus über diese andere Welt hinaus, das Träumen, das Kommen zu sich selbst, das Versinken in die Wesentlichkeit.
„Wenn wir längere Zeit allein sind, so gelangen wir zu einer Einheit mit uns und der Natur, die allerdings eine bequemere Umgebung ist als die gewohnten Menschen. Dann werden wir positiv (statt wie sonst in der Negation stecken zu bleiben) und schließlich produktiv. Dies ist der gewöhnliche Weg; dieser führt uns von uns, das Alleinsein zu uns selbst, und von uns zu Gott ist nur ein Schritt“ (Sommer 1899).
Die andere Welt ist jene eigentliche, höhere und wahre, deren Präsenz allein die Innerlichkeit, das Empfinden, das Gemüt zu leisten vermag. In diesem Sinne gilt, „dass die einzige wahre Realität auf Erden unser Gemüt ist – dass alle Wirklichkeit für den, der dies erfasst hat, nur ein Schema, ein nichtiger Schatten ist“ (1901).
Aus dem Gemüt entstehen das Bedürfnis und die Fähigkeit zur Kunst; die „dunkeln, nicht die rationalen, nicht durch Begriffe zu erschöpfenden Empfindungen öffnen die Pforten zu der anderen Welt, die als Musik Gestalt gewinnt. „Ich weiß für mich“, schrieb Mahler 1898 an Max Marschalk (ein früher „Fan“, wenn man so will) in Abwehr einer zu engen programmmusikalischen Deutung seiner 1. Sinfonie, „dass ich, solange ich mein Erlebnis in Worte zusammenfassen kann, gewiss keine Musik hierüber machen würde. Mein Bedürfnis, mich musikalisch-sinfonisch auszudrücken, beginnt erst da, wo die dunklen Empfindungen walten, an der Pforte, die in die „andere Welt“ hineinführt; die Welt, in der die Dinge nicht mehr durch Zeit und Ort auseinanderfallen.“ Beide Welten, die des Alltags mit ihrem Wirrwarr und Lärm und die andere Welt, bedingen sich gegenseitig in ihrer Existenz und stehen doch im Leben des Menschen getrennt gegenüber. „Leider kommt einem diese wundervolle Besitzergreifung seiner selbst (die sich zum Beispiel dann einstellt, wenn man Novalis liest) sofort abhanden, sowie man in den Lärm und Wirrwarr des Alltags zurückkehrt. – Da heißt es dann, sich gut zurückerinnern an diese Seligkeit, und sich darin zu üben, so oft als möglich, wieder einen Blick und einen Athemzug aus dieser Welt zu thun“ (1908). Diese Rückerinnerungen sind immanenter Bestandteil der Sinfonik Mahlers. „Kunst,“ schreib Mahler im Rückblick auf ein Zusammensein mit Richard Strauss, sollte einen frei machen…vom Alltag, nicht aber mitten in den Dreck hineinführen…wie ein Gespräch über Tantièmen und Kapitalien“ (1902).
Sinfonie heißt für Mahler „Weltensinfonie“ (1908). In der 2. „klingt alles wie aus einer anderen Welt herüber“ (1895). Die 3. Sinfonie ist ein „Werk, in welchem sich in der Tat die ganze Welt spiegelt“ (1896), und die dem 1. Satz folgenden Sätze sind so „mannigfaltig wie die Welt selbst“ (1896); „Sinfonie heißt mir eben: mit allen vorhandenen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“ (1895). Seine Sinfonien gleichen „Sternkarten, um den Nachthimmel mit seinen leuchtenden Welten zu erfassen“ (1896).
„Auf diesem Schuttkegel“, klagte Mahler im Oktober 1901 über die Wiener Philharmoniker nach einer Leseprobe der 4. Sinfonie, „muss ich eine blühende Welt entstehen lassen!“
Ein Werk, das den Namen Sinfonie verdient, „muss etwas Kosmisches an sich haben, muss unerschöpflich wie die Welt und das Leben sein“ (ebenfalls 1901).
Ein Aspekt kommt dann noch hinzu, denn Mahler liebt diese Welt der Heuchelei und Lügenhaftigkeit, liebt sie weinend, wie wiederum Hans Heinrich Eggebrecht schreibt. „…mein Hohnlachen löst sich in das Weinen der Liebe auf. Und ich muß sie lieben, diese Welt mit ihrem Trug und Leichtsinn…“ (1879).
Und für diese Welt, zu ihrem Heil, ihrer Erlösung im Schauen einer anderen Welt, schafft er seine Werke, und er will, dass sie verstanden werden; die Welt hat es nötig, wie er meint: „Ich glaube“, so schreibt er an den Wiener Musikschriftsteller Rudolf Kastner (1904, ebenfalls ein „Fan“ der ersten Stunde), „Sie verstehen mich wie nur ganz Wenige und ich wünschte, Sie schrieben einmal mehr über meine ganze Art (und Weise). Die Welt hat´s nötig!!“
Aber auch Mahler selbst hat es notwendig: „sie machen mir eine solche Freude durch ihr Verstehen und „Mitgehen!“, schrieb er an Max Marschalk (1896). „Wenn Sie erst noch wüßten, wie notwendig ich, fahrender Gesell, es habe…“ „Wenn ich ein Werk geboren habe, so liebe ich es zu erfahren, welche Saiten es im Anderen zum Tönen bringt“ (ohne Datum). „…denn das Wichtigste ist bei einem Künstler…das Echo, das seine Kunst weckt“ (1908).
Aber die Welt versteht Mahlers Musik nicht, jedenfalls noch nicht: „Ich erlebe den Sieg meiner Sache nicht mehr! Zu fremd und neu ist alles, was ich schreibe…“ (1896). „…ach Gott, wie lange wird es dauern, bis die Menschen das zu hören imstande sind!“ (1903, über die 4. Sinfonie). „…ich habe manchmal die Empfindung, dass ich meine Zeit nicht erleben werde“ (1904). Und schließlich: „O könnt ich meine Sinfonien fünfzig Jahre nach meinem Tode uraufführen!“ (1904, das war direkt auf die Fünfte gemünzt).
Trotz dieses Missverhältnisses kann sich Mahler seiner Mitwelt nicht anbequemen; unbeeinflusst durch „Erfolge, Anerkennung und wie alle diese bedeutungslosen und im wahren Sinne des Wortes nichts sagenden Dinge heißen“, muss er seine Musik so schaffen, wie sie durch ihn Gestalt gewinnen will: „Die Hauptsache ist, dass man im Leben wie Schaffen seinen Weg unbeirrt geht und sich weder durch Misserfolge herabziehen noch durch Beifall lenken lässt“ (1901). „Menschen wie wir sollten nie Concessionen machen“ (1894, an Richard Strauss).
Es entwickelt sich ein augenscheinlich unentrinnbares Leiden an der Welt (er fühlt sich nirgendwo zugehörig, hat fast alle Geschwister sterben sehen, später auch noch eigene Kinder), sodass sich Mahler schließlich als Opfer sieht (durchaus auch im christlichen Sinn, denn man spürt schon, dass sich Mahler als Gesandter begreift), gepackt von „Seelenangst“ wie er es selbst formuliert. Die Zahl seiner Briefe ist sehr groß, wir können Sie leider in unserem kleinen Hintergrundbericht nicht ausgiebiger zitieren, wenn wir noch etwas eingehender auf die Struktur und das besondere „Wesen“ der Fünften eingehen wollen. Die Fünfte ist jedoch so komplex, wie allenfalls noch die Neunte, sodass wir da ebenfalls eine textgebundene Erhellung vertragen könnten. Die Briefe sind jedenfalls ein Fundus aus erster Hand, allein die Korrespondenz mit Richard Strauss. Es wäre eine große Verlockung auf das Verhältnis der beiden so wesensfremden Komponisten einzugehen, dem wir jedoch bereits im Ansatz widerstehen müssen. Auf weitere biografischen Notizen wollen wir auch verzichten, obwohl sich Biographie und Werk selten einmal so gegenseitig bedingen wie bei Gustav Mahler, allenfalls noch bei Hector Berlioz?
1. Satz: Trauermarsch In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt.
Constantin Floros schreibt im 3. Band seiner Abhandlung über Gustav Mahler bei Breitkopf und Härtel (1985) zum ersten Satz der 5. Sinfonie: „Gustav Mahler hatte eine Vorliebe nicht nur für Märsche, sondern auch für trauermarschartige Musik. Der Typus der Marcia funebre ist in seinem Schaffen mehrfach vertreten. Schon das vierte Gesellenlied ‚Die zwei blauen Augen von meinem Schatz‘ ist anfangs im Tempo eines Trauermarsches gehalten. Der ‚Todtenmarsch in Collots Manier‘ aus der ersten vereinigt den Marcia funebre-Charakter mit einem Grundzug des Andante marziale. Trauermarschartige Partien spielen im Kopfsatz der 3. Sinfonie eine wichtige Rolle, und im Sommer 1901 vertonte Mahler den ‚Tambourg´sellen‘ einen trauermarschartigen Gesang für eine Stimme und Orchester, in dem die Violinen und die Violen merkwürdigerweise ausgespart sind. Mahlers erster, groß ausgeführter Trauermarsch ist freilich der wohl gleichzeitig entstandene Kopfsatz der 5. Sinfonie." Dem Vernehmen nach wohnte der kleine Mahler als Kind in unmittelbarer Nähe einer Kaserne und hörte die Appelle. Es ist zu lesen, dass er einmal, noch lediglich mit dem Nachthemd bekleidet, einem Zug von Soldaten nachgelaufen sei.
"Mahlers kompositorisches Vorgehen erscheint weniger wagemutig, wenn man bedenkt, dass ein Werk von Berlioz ähnlich beginnt (Marche funebre in der Symphonie funèbre et triomphale). Ob er Berlioz´ Werk gekannt hat ist nicht geklärt, mit ihm teilt er sich jedenfalls die Vorliebe für den spezifischen Bläserklang, der an mehreren Stellen den Trauermarsch dominiert. Bezeichnenderweise hebt der Satz mit einem Appell (einer Militärfanfare) der Solotrompete an, die an mehreren Stellen führend hervortritt. Zu diesem Appell vermerkt Mahler in der Partitur: „Die Auftakt-Triolen dieses Themas müssen stets etwas flüchtig (quasi accel.) nach Art der Militärfanfaren vorgetragen werden“.
Der Satz weist eine klare fünfteilige Anlage nach dem Schema Hauptsatz (Teil A) – Trio 1 (Teil B) – Hauptsatz (Teil A´) – Trio 2 (Teil B´) – Koda (Teil A´´) auf. Grundidee des Satzes ist der Kontrast zwischen der gleichsam zeremoniellen Strenge der Hauptteile und der Ausdruckssteigerung in den Trios. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt: so charakterisiert Mahler das Grundtempo des Satzes. Er verzichtet auf Metronom-Angaben, was seinen Interpreten eine gewisse Freiheit lässt. Ansonsten gilt: Kontrast, Kontrast, Kontrast. Wuchtige Blechbläserklänge, stockende Rhythmen, aber auch elegische Partien geben den Hauptteilen das Gepräge. In den Trios, in denen mehr Subjektivität durchbricht, wird das Tempo beschleunigt. Im ersten Trio steigert sich der Ausdruck bis zur Leidenschaftlichkeit und Wildheit (das sind Mahlers Vortragsbezeichnungen).“ Da trennt sich bei den Dirigenten und den Orchestern schnell die Spreu vom Weizen. „Schmerz und Klage sprechen aus dieser Musik mit solcher Eindringlichkeit, dass die Bezeichnung klagend auf dem Höhepunkt des Satzes (Ziffer 18) fast überflüssig anmutet.“ Mahler möchte mit seinen Vortragsbezeichnung Klarheit bei den Musikern schaffen, dass damit folgerichtig eine Vereinheitlichung der Darbietungen einherginge, lässt sich jedoch nicht behaupten.
Jede Wiederkehr eines Teils erfolgt im Zeichen stärkster Veränderung. Beispiel: Die Solotrompete intoniert ihre Fanfare viermal: Bei jeder Intonation nimmt die Fanfare eine andere Gestalt an. Der Anfang bleibt oft unverändert, die Fortführung verläuft anders, sodass man von vier verschiedenen Versionen sprechen muss.
Dem zweiten Trio liegt zwar größtenteils die thematische Substanz des erstem zugrunde, Mahler macht jedoch aus dem vorhandenen Material etwas völlig anderes. Das erste Trio steht in b-Moll, das zweite in a-Moll, die Begleitfiguren sind anders, die Gestalt der thematischen Gedanken ebenfalls. Gemeinsam sind ihnen die Steigerungswellen mit Kulminationspunkten, die dann jedoch schnell an Intensität verlieren. Die Übergänge werden sehr kunstvoll gestaltet.
Die Anlage ist streng symmetrisch. Der Trauermarsch hebt leise an mit dem Trompetensolo und er schließt auch ganz leise mit Signalen der gedämpften Solotrompete und der ersten Flöte. Der Schluss suggeriert den Eindruck, als rücke die Musik in die Ferne und gerate schließlich ganz aus der Hörweite. Dieses Vorgehen übernahm Prokofiev übrigens 30 Jahre später im ersten Satz seiner „Lieutenant Kije“-Suite. Mahlers Fünfte sollte ihm bekannt gewesen sein. Der Solotrompete kommt im ersten Satz eine herausragende Bedeutung zu. Es ist zum Gelingen des Gesamtergebnisses förderlich, wenn die Solotrompete gut geschlafen hat und einen guten Tag erwischt. Selbst die ausgebufftesten Profis zeigen hier Nerven.
Der erste Satz ist untrennbar mit dem zweiten verbunden und bildet eine dialektische Einheit mit dem zweiten. Trotz seines Umfanges verhält er sich zum ersten wie eine langsame Einleitung in den Sinfonien Haydns oder Beethovens zum Hauptsatz. Der eigentliche erste Satz erscheint hier also als der zweite. Es gibt eben um das Jahr 1900 kein verbindliches Vokabular des Komponierens mehr, wie Attila Csampai in seinem Konzertführer (Wunderlich-Rowohlt, 1987) schreibt. „Das Arsenal von Floskeln und Wendungen, das bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts jedem Komponisten gleichsam als Grundvokabular, als Ausgangsmaterial zur Verfügung stand, hatte infolge des romantischen Gedächtnis- und Traditionsverlustes und der Literarisierung der Musik“, wie Csampai weiterschreibt, „im 19. Jahrhundert seine sinnstiftende Kraft verloren und war vom musikalischen Einfall, der kapitalisierten musikalischen Wendung und der Melodie verdrängt, überwuchert worden. Mahler musste nun, um die Objektivität seines Ausgangsmaterials zu sichern, auf Gebrauchsmusik seiner Zeit, die inzwischen in die Niederungen des Vulgären herabgesunken war, zurückgreifen, um sein Komponieren vor sich selbst und der Welt rechtfertigen zu können.“ Daher die Vorliebe für Märsche, Ländler, Walzer, Zigeunermusik, Volkslieder, Kuhglocken und Trauermärsche, Typen und Signale einer weitgehend beschädigten musikalischen Welt. Der Trauermarsch wird also, nach Csampai im ersten Satz auch deshalb zitiert, um im zweiten Satz verarbeitet, „komponiert“ zu werden.
2. Satz: Stürmisch bewegt. Mit grösster Vehemenz.
Paul Bekker (1921) scheut bei seiner Besprechung des zweiten Satzes vor Superlativen nicht zurück. Er zählte den Satz zu den großartigsten Konzeptionen Mahlers und nannte ihn „ein Stück von so eruptiver Kraft der Leidenschaft und inhaltlicher Steigerung, dass man es zu den gewaltigsten Leistungen sinfonischer Kunst rechnen muss“. „Auf formale Bedeutung und gedankliche Wucht angesehen, überragt der Satz – so fand er – den Trauermarsch „erheblich“. Er sei nicht nur in größeren Umrissen angelegt, sondern auch – gleich sonstigen Anfangssätzen – im reichgegliederten Sonatenschema gebaut. Die „Semantik“ des Satzes wollen wir jetzt, um unseren Rahmen nicht zu sprengen, nicht haarfein entschlüsseln. Erwähnt werden sollte des Überblicks wegen, den wir bei der außerordentlich umfänglichen Sinfonie auf keinen Fall verlieren wollen, dass dieser Satz formal (nach alter Väter Sitte) eine Exposition, eine breit angelegte Durchführung (hochgradig dramatisch), eine Reprise und eine Koda beinhaltet. Sein Aufbau entspricht also der Norm, wenngleich innerlich reich gegliedert. Am Anfang jedes Teiles steht gleichsam als Wahrzeichen ein verminderter Septakkord. Die Verarbeitung des musikalischen Materials erfolgt außerordentlich kunstvoll, wenngleich Mahler diese nicht ausstellt, wie in einem Schaufenster. Sie ist eher Mittel zum Zweck.
Der Satz weist indessen auch Besonderheiten auf, die nicht mit dem „Sonatenschema“ in Einklang zu bringen sind. Unter anderem greift der 2. Satz thematisch auf die Trios des Trauermarsches zurück, allerdings im Sinne einer quasi Neukomposition, wörtliche Zitate gibt es jedoch ebenfalls. Adorno sprach dabei (1960) von „Einschiebseln“ und „Interpolationen“ aus dem Trauermarsch. „Elegie, die nun in Leidenschaft umschlägt“, meinte Constantin Floros dazu. Des Weiteren ertönt am Ende der Reprise ein glanzvoller Choral der Bläser in D-Dur (Pesante T. 464-519), der inmitten der düsteren Umgebung wie ein Fremdkörper wirkt (Bekker sprach von „Choralsonne“, Adorno von „Choralvision“, beides empfinden wir als sehr treffend), denn man findet zuvor nichts, woraus sich dies ableiten könnte. Der Durchbruch, der sonst mit kraftvollen und im Glauben fest verankerten Chorälen in der christlichen Musik oft erfolgt, bleibt uns hier noch versagt. Mahler kommt im letzten Satz wieder auf einen Choral zurück, dann aber geradezu sieghaft und kaum strahlender möglich. Aber wir wollen noch nicht zu viel verraten. Floros meint übrigens noch eine Peripetie-Anlage in diesem Satz zu erkennen, die die Sonatensatzanlage überlagert. Dieser Peripetie-Vorgang ginge in mehreren Phasen vor sich. Dabei wäre der Choral nichts anderes als der Zielpunkt der Peripetie, der „Durchbruch“ sozusagen. Wie gesagt, Mahler hat es seinen damaligen Zuhörern (und uns auch heute noch) nicht gerade leicht gemacht, sein Werk zu durchschauen. Es ist aber ebenso ohne jegliche Kenntnisse gefühlshaft zu ergründen. Niemand sollte verzweifeln, wenn er das liest, denn die Musik ist darüber hinaus suggestiv und eingängig und entfaltet einen sagenhaften Drive, der sich im 3. Satz noch beträchtlich steigert. Aber, was der moderne Hörer genauso spürt und darin mag die besondere Anziehungskraft liegen, die die Musik auf uns heutige Hörer ausübt, sie wirft immer wieder neue Fragen auf, sie verhält sich nicht wie ein „offenes Buch“. Auf uns wirken gerade die beiden ersten Sätze emotional geradezu erschlagend, aber doch unglaublich sinnlich, ein Eindruck, der alle fünf Sätze vereinnahmt. Die Musik wirkt noch spätromantisch, aber zugleich auch polyphon und ebenso auch durch die extrem geschärfte Harmonik bereits modern. Die Summe der Eigenschaften wirkt überwältigend. Nun wollen wie uns aber nicht zu sehr treiben lassen, denn es folgt ja jetzt erst der dritte Satz der fünf, das Scherzo. Zusammenfassend ergibt sich also bisher (nun wieder frei nach Floros): Die Gegenüberstellung von Inferno (erster Satz) und Paradiso (im Choral des zweiten), von Realität und Utopie, von grenzenloser Verzweiflung und Verheißung einer anderen, besseren Welt ist, wie bereits im Finale der Ersten die programmatische Grundidee. Anders als in der Ersten wird die Ebene des Paradiso hier nicht endgültig erreicht. Der Choral wirkt nur wie eine Vision einer anderen Welt und vermag eine wirkliche Wendung nicht herbeizuführen. Ein katastrophenartiger Höhepunkt (T. 544 ff.) bestimmt den geisterhaften Ausgang des Satzes. Der zweite Satz ist, nach dem Hören von 134 Aufnahmen erheblich schwieriger zu realisieren als der erste. Der erste duldet zum Beispiel durchaus noch differierende Tempi, beim zweiten ist die Balance zwischen den musikalischen Parametern sehr viel heikler um den rechten Ausdruck zu treffen. Auch die Stimmentransparenz stellt sich offensichtlich nur sehr viel schwieriger ein.
3. Satz: Scherzo Kräftig, nicht zu schnell.
Nun zum Scherzo, übrigens der erste Satz Mahlers, der diese Bezeichnung bekommen hat. Das Scherzo ist als Abkömmling des haydnschen Menuetts musikgeschichtlich gesehen eigentlich ein Stellvertreter des höfischen Tanzes, ein Überbleibsel aus der barocken Suite, ein heiteres Zwischenspiel vor dem Kehraus, gerät hier aber in Mahlers zeitgemäßer Aufarbeitung zu einer, wie Attila Csampai schreibt „apokalyptischen Vision, zum Alptraum und zum Hauptsatz der ganzen Sinfonie“, zu ihrer Achse, wie wir bereits einleitend erwähnten. Mahler erreicht in über 800 Takten gegenüber den ersten beiden Sätzen eine weitere Steigerung der Komplexität und eine Aufhebung der zweigeteilten „Schizophrenie“, wie wieder Csampai meint, zuvor. „Schizophrenie“ ist übrigens ein Lieblingswort von ihm, wenn es um Mahler geht. Ihre Aufhebung oder Durchbrechung würde er durch Lebenskraft und gedankliche Stärke erreichen. (Wobei uns in den ersten beiden Sätzen an gedanklicher Stärke absolut nichts gefehlt hat, das nur mal nebenbei. Wir wissen trotzdem, wie Herr Csampai es gemeint hat.) Der seelische Zwiespalt (indem sich Mahler ohne Zweifel befunden haben muss, wenn man seine Briefe noch besser kennen würde, als wir sie zitieren konnten, wäre es noch klarer geworden) des Subjekts wird nun, nicht ohne Gewalt, zur sinfonischen Identität gezwungen, meint Csampai. Dies wird möglich, weil beide Themen, ein „wild-übermütiges Scherzo-Thema“ und ein „wienerisch verträumter Walzer“ (W. Dömling) – von vornherein Zitatcharakter, „Weltcharakter“ haben. Mahler selbst hielt den Satz für den wichtigsten der Sinfonie: „Das Scherzo ist ein verdammter Satz! Der wird eine lange Leidensgeschichte haben! Die Dirigenten werden ihn fünfzig Jahre lang zu schnell nehmen (Metronom-Angaben hätten hier geholfen, Herr Mahler, ergänzen wir hier einmal nur ein klein wenig aufmüpfig) und einen Unsinn daraus machen, das Publikum – o Himmel – was soll es zu diesem Chaos, das ewig auf´s Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu Grunde geht, zu diesen Urweltsklängen, zu diesem sausenden, brüllenden, tosenden Meer, zu diesen tanzenden Sternen, zu diesen verathmenden, schillernden, blitzenden Wellen für ein Gesicht machen?...O, könnt ich meine Sinfonien fünfzig Jahre nach meinem Tode uraufführen!“ Wir werden sehen, dass die prognostizierten 50 Jahre insgesamt nicht ganz ausgereicht haben, das Verständnis, oder sagen wir mal die Akzeptanz mit ständig wachsender Begeisterung setzte eigentlich erst während der 60er Jahre ein, beginnend mit der Stereophonie und ersten Gesamtaufnahmen. Solange Mono herrschte blieben die Kompositionen Mahlers noch in einer Art Dornröschenschlaf. Aber gut geschätzt hat Gustav Mahler trotzdem. Eine prophetische Ader hatte er also auch.
Formal ist das Scherzo, wie sollte es angesichts der Länge bei gleichzeitigem überbordendem Kostrastreichtum anders sein, erneut recht komplex geraten. Im beginnenden Hauptsatz lassen sich sage und schreibe sieben verschiedenen „Perioden“ erkennen, wir verzichten bewusst auf eine Nennung der jeweiligen Taktzahlen. Das folgende Trio 1 zeigt zwei Perioden. Ihm folgt erneut der Hauptsatz auf zwei Perioden verkürzt, gefolgt von einem Fugato. Das Trio 2 zeigt sechs verschiedene Abschnitte mit neuen Versionen der Themen und diversen Reminiszenzen. Es folgt eine ungefähr 60taktige Durchführung mit einer stark variierten Reprise mit dem Hauptsatz (in vier Perioden) und den beiden verkürzten Trios. Es folgt abschließend eine Koda, die als Stretta zu verstehen ist. Es gibt bei Mahler keine Wiederholungen desselben mehr, wie das noch bei Haydn war und was für heutige Ohren doch manchmal ermüdend wirken könnte. Das Verbot von Wiederholungen hat Schönberg in seine 12-Ton-Musik übernommen. Nach anfänglicher Distanz schätzte Schönberg Gustav Mahler, man kann wohl sogar sagen: schließlich über alle Maßen.
Constantin Floros meint dazu (etwas verkürzt dargestellt): „Das Scherzo erinnert an die Anlage eines Scherzos Schumanns mit den zwei verschiedenen Trios und lässt wie bei ihm auch sonatensatzförmige Züge erkennen und Adorno traf genau das Richtige indem er von einem „Durchführungsscherzo“ sprach. Er rühmte übrigens auch die „orchestrale Meisterschaft“, die volle „Setzweise“, die polyphone Faktur und die Dynamisierung der Form als das Ergebnis kunstvoller Verzahnungen zwischen den Teilen. Kein Zweifel, Mahler hat den Höhepunkt seiner Kunst erreicht.“ Tonal wird es bei der Neunten allerdings noch weitergehen mit der Auflösung der Harmonik. Mahler selbst verglich das Scherzo in einem Gespräch mit seiner Muse Nathalie Bauer-Lechner im Sommer 1901, die er bereits vor seiner großen Liebe Alma Schindler (kurze Zeit später Alma Mahler) kannte mit einem „Kometenschweif“ und sagte: „Es ist durchgeknetet, dass auch nicht ein Körnchen ungemischt und unverwandelt bleibt. Jede Note ist von der vollsten Lebendigkeit und alles dreht sich im Wirbeltanz.“ Diese Beschreibung passt vor allem auf den Hauptsatz, der in der Tat einem Wirbeltanz gleicht.
Gibt sich der Hauptsatz kraftstrotzend, so hat das erste Trio den Charakter einer zarten Valse in B-Dur, während das zweite Trio einen reichgegliederten Moll-Komplex darstellt. Aus seinem liedartigen Trio-Modell gewinnt er in den sechs Abschnitten immer neue Versionen (nach Floros). Mahler meinte in dem bereits erwähnten Gespräch mit Bauer-Lechner: „Romantisches und Mystisches kommt nicht vor, nur der Ausdruck unerhörter Kraft liegt darin. Es ist der Mensch in vollem Tagesglanz, auf dem höchsten Punkte des Lebens. So ist es auch instrumentiert: keine Harfe, kein Englischhorn.“ Diese Äußerung fiel anscheinend als der Satz noch nicht vollendet war. In der Endfassung enthält der Satz sehr wohl „romantische“ und „mystische“ Partien Und bezeichnenderweise wird das seufzerartige Motiv zu Beginn des zweiten Trios vom Englischhorn vorgetragen. Das zweite Trio muss erst im Sommer 1902 geschrieben worden sein. (Mahler komponierte eigentlich nur im Sommerurlaub, sonst ließen ihm seine Anstellungen keine Zeit dafür, was für ein Jammer.)
Hinzuweisen wäre noch auf die große Bedeutung des Solo-Horns in diesem Satz, ähnlich der Trompete im ersten. Analog gilt hier: Das Solo-Horn sollte vor der Aufführung bzw. der Aufnahme gut geschlafen haben, hellwach und am besten in bestechender Form sein. Dann wird der Satz, wenn die Kolleg/innen aus der Horngruppe mitmachen, eine unvergessliche Angelegenheit. Bei den Live-Mitschnitten wird wieder schnell klar, warum die Hornisten und natürlich auch die Hornistinnen bei ihrem Instrument „liebevoll-hasserfüllt“ von einer „Glücksspirale“ sprechen. Bruno Walter (wie wir wissen ein langjähriger Weggefährte und Freund Gustav Mahlers) hat auf die Ähnlichkeit des Grundtons des Scherzos mit dem Gedicht Goethes „An Schwager Kronos“ hingewiesen, ein Hinweis, der womöglich auf Mahler selbst zurückgeht, das weiß man nicht so genau. Mahler-Enthusiasten und ganz spezielle Fans der Fünften mögen der Sache auf eigene Faust nachgehen. Nachzulesen ist der Sachverhalt bei Constantin Floros im dritten der drei genannten Bände über „Gustav Mahler“, übrigens die Pflichtlektüre schlechthin, wenn es um Mahler geht.
4. Satz: Adagietto.
Wir kommen nun, manche seufzen sicher schon erleichtert „endlich“ zum vierten Satz, dem „Adagietto“. Wie bereits erwähnt wurde er zum bekanntesten und wahrscheinlich auch beliebtesten Satz Mahlers überhaupt. Das ist schon allein daran abzulesen, dass es mittlerweile beinahe unzählige Aufnahmen dieses Satzes allein gibt und daran, dass es ihn in allerlei Bearbeitungen bis zur Version für Chor gibt, was (bisher) noch keinem anderen der Sätze aus Mahlers Sinfonien widerfahren ist.
„Die menschliche Stimme“, die Mahler absichtlich in dieser Sinfonie ausklammerte, wir erwähnten es bereits, kehrt jedoch vermittelt als „Lied ohne Worte“, wie man den Satz seit Mendelssohn vielleicht bezeichnen könnte in diesem vierten Satz dann doch irgendwie wieder. Und er bildet zu den Ausbrüchen an Vitalität und schierer Kraft des Scherzos einen denkbar starken Kontrast. Er ist die Ausflucht aus der „Welt“ in die andere Welt. Er klingt friedlich, idyllisch, schön und wenn möglich noch nicht sentimental. Die richtige Balance zu finden ist für den Dirigenten eine heikle Entscheidung. Das Tempo differiert in den einzelnen Einspielungen extrem. Attila Csampai schreibt zu diesem Satz: „Mit dieser sanft über der Grundtonart (D-Dur!) schwebenden F-Dur Idylle aus puren Saitenklängen (Anm.: Mahler verwendet ausschließlich Streicher und Harfe) hat Mahler doch seinen Liedsatz in die Sinfonie eingeschmuggelt. Er nimmt stellvertretend für ein richtiges Lied den Platz ein: ‚Ich bin der Welt abhandengekommen‘ aus dem Zyklus der ‚Rückert-Lieder‘ hätte an dieser Stelle ebenso gut von Mahler eingefügt werden können und auch die Fünfte wäre eine Liedsinfonie geworden. Dieselbe Tonart, das gleiche Bild, eine ganz ähnliche Melodie, die Harfe, die sanften, behutsamen, ausweichenden Bassschritte.“
Aber Hand auf´s Herz ein Lied ohne Worte ist als Liebeserklärung doch um so viel reizvoller als eines mit. Allerdings nur, wenn die Angebetete in der Lage ist, den Inhalt zu dechiffrieren. Alma war musikalisch äußerst gebildet, was Mahler natürlich wusste. Sie komponierte selbst, was ihr von ihrem späteren Ehemann aber verboten wurde. Sie kopierte dann vieles von der Fünften ins Reine. Sie erwähnte später, dass sie manch eine Stimme, die Gustav nicht hinschrieb, eigenhändig in seinem Sinn ergänzen konnte.
Wozu aber dieser Rückzug überhaupt?“ Rückzug aus der Welt des Scherzos. Nur weil jede Sinfonie einen langsamen Satz braucht wie der Fisch das Wasser? Attila Csampai fragt weiter: „Ist es die depressive Melancholie des Erfolgreichen oder einfach nur die Sehnsucht nach ein wenig Ruhe und Frieden, das Ausruhen-Wollen einer bedrängten, zerrissenen, heimatlosen Seele? Und wo befindet sich dieser Ort des Friedens, der Idylle, wenn nicht mehr in der wirklichen Welt? In der Fantasie flüchtiger Tagträume? Nein. Es ist der Blick auf die Welt aus der Höhe der Berge. Eine Wiese, ganz hoch oben in den Alpen, menschenleer. Das Liegen im Gras. Das Flimmern der Luft. Eins mit der Natur. Eine kurze Rast der Seele. Die Nähe der Geliebten. Die Wärme. Das Schweben im Traum. Das Fallenlassen. Und das sanfte Erwachen.“
Die Bezeichnungen „seelenvoll, mit innigster Empfindung“ und „mit Wärme", die Mahler für den Vortrag des Adagiettos vorschreibt, vermitteln nur einen blassen Eindruck von der Beseelung und Innigkeit der Musik. Manche finden den Satz süßlich und Richard Strauss hielt nicht viel von ihm. Vielleicht wusste Strauss nicht das was Willem Mengelberg wusste. Der schrieb nämlich in seine Partitur: „Dieses Adagietto war Gustav Mahlers Liebeserklärung an Alma! Statt eines Briefes sandte er ihr dieses im Manuskript; weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden und schrieb ihm: er solle kommen!!! Beide haben mir dies erzählt!“ Auf den linken Rand trug er ein Gedicht ein, dessen Worte als nicht unterlegter Text zu dieser Melodie der ersten Violinen gedacht sind. Dieses „Gedicht“ lautet:
Wie ich dich liebe,
Du meine Sonne,
ich kann mit Worten Dir´s nicht sagen
Nur meine Sehnsucht
Kann ich Dir klagen
Und meine Liebe
Meine Wonne!
Und auf dem unteren Rand steht gleichfalls von Mengelbergs Hand eingetragen: „Wenn Musik eine Sprache ist, so ist sie es hier – er sagt ihr alles in Tönen und Klängen, in Musik.“
Man muss wissen, dass Alma ein exzellentes Verständnis für Musik hatte, selbst komponierte (bis sie Mahler kennenlernte, dann musste sie seinetwegen damit aufhören) und eine gute Musikerin war. Das hatten wir zwar gerade erst, aber so prägt es sich besser ein.
Constantin Floros ergänzt dann noch weiter: „Man hört auf, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, spätestens wenn man registriert hat, dass Mahler im Mittelteil des Adagiettos das „Blick-Motiv“ aus Wagners „Tristan und Isolde“ zitiert und mehrfach paraphrasiert. Alma sollte diese Anspielung verstanden haben. Mahler lernte Alma übrigens am 7. November 1901 bei einer Gesellschaft kennen. In einem Brief vom 5. Dezember siezte er sie noch, am 8. Dezember 1901 duzte er sie. Am 7. Dezember verlobte er sich heimlich mit ihr. Der Generalintendanz der Wiener Hofoper teilte er erst am 28. Dezember die Verlobung mit.“
Diejenigen, die den „Tristan“ nicht kennen, mögen sich daran erinnern, wie es war, als man sich das „erste Mal“ tief in die Augen „geblickt“ hat, dann kann man sich das „Blick-Motiv“ gut vorstellen und auch das Adagietto vielleicht schon ganz gut verstehen. Auch Mariss Jansons empfahl „seinem“ BRSO, um die passende Stimmung für diesen Satz hervorzurufen, sich daran zu erinnern, wie es denn gewesen sei, als man sich das erste Mal verliebt habe. Mehr brauchen wir nun nicht mehr zu dem Satz zu schreiben. Man muss ihn einfach wirken lassen und sich wieder an das „erste Mal“ zurückerinnern. Allerdings darf der Satz nicht zu langsam gespielt werden, die Geliebte soll ja nicht bereits wegnicken, bevor die Liebeserklärung zu Ende ist. Die Ansätze der verschiedenen Dirigenten sind enorm unterschiedlich, manche werden des Dehnens nicht müde, getreu dem Motto: „Bleibe doch, du schöner Augenblick.“ Sie folgen den z.T. extrem langsamen Tempoanweisungen und wissen nichts von Mengelbergs Insiderwissen. Pariturgenauigkeit kann man Ihnen eigentlich nicht absprechen und eigentlich nicht vorwerfen. Zwischen Mengelberg und Walter (die schnellsten) und Haitink (in seiner zweiten Einspielung der langsamste), der jedoch noch von Provokateur Scherchen, live in Philadelphia, getoppt wird, gibt es jede Menge Mittelwege.
Nach dem Hören so vieler Darstellungen des „Adagiettos“ sind wir zur Überzeugung gekommen, dass das Tempo gar nicht einmal so ultimativ wichtig ist, wie man heutzutage oft lesen kann. Es gibt überzeugende Darstellungen auch im langsameren Tempo, das langsame Extrem sollte man allerdings meiden. Liebe kennt zwar kein Alter, aber Mahlers Geliebte zählte gerade einmal 21 Jahre, er selbst zwar schon 41, aber eine gewisse Jugendlichkeit sollte doch erkennbar bleiben. Liebe hält jung, wie wir ja wissen. Vielleicht kommt es beim Übereinstimmen mit dem gebotenen Tempo auch auf die eigene Verfassung des Hörers oder der Hörerin an um nacherleben zu können, was Mahler mit dieser Musik transportieren wollte. Dem Glücklichen schlägt dabei eigentlich keine Stunde. Wir empfanden die tendenziell schnelleren Einspielungen jedoch meist überzeugender.
Der Vollständigkeit halber noch ein paar Worte zur Form: Mahler hat die dreiteilige Liedform gewählt: A – B – A‘. Während die Eckteile beide in F-Dur stehen, wird im Mittelteil ständig moduliert. C-Moll, Ges-Dur, Des-Dur, E-Dur und D-Dur. Das wirkt dann schon leidenschaftlich und aufgewühlter.
5. Satz: Rondo-Finale.
Nach dem Idyll (in der abgeschiedenen Bergwelt, um einmal im Bild zu bleiben) folgt nun im Rondo-Finale gleichsam der gestärkte Abstieg zurück ins Tal, die Rückkehr ins Leben, seelisch wieder wohlauf, gesundet. Die Sonne noch im frisch verliebten Herzen erwacht gleichsam nicht nur die Natur, bzw. sie wächst und gedeiht weiter, sondern auch unser imaginärer Held (kein Zweifel, es ist ähnlich wie bei Berlioz oder Richard Strauss selbstverständlich in erster Linie der Komponist selbst gemeint, wir bewegen uns zwar in der sehr späten, aber immer noch in der Romantik) zu neuem Leben. Frisch verliebt fällt auch das Alltagsleben doch um so viel leichter, das weiß jeder. Ein Kehraus im Freien, meint dagegen Attila Csampai zu hören: „Was man auf dem Berg hört oder: was da alles kreucht und fleucht in Wiese, Fluss und Wald. Der Einklang mit der Natur als höchste Form menschlicher Erfüllung? Mahler als einer der ersten Propheten „grüner“ Weltanschauung? Warum nicht.“ Er meint, dass sich auch darin Mahlers unverbrauchte Modernität zeige.
Der Schusssatz der Fünften lässt sich in jeder Hinsicht als Gegenpol zum Trauermarsch und zu seinem Folgesatz bezeichnen. Dessen Schmerz und Klage wird hier eine bis zum Übermut gesteigerte Heiterkeit gegenübergestellt. Erinnerungen an Beethovens Fünfte werden wach und das scheint uns kein Zufall zu sein, denn die Anlage (per astra ad aspera) ist beiden Sinfonien eigen, wenn auch die Mittel denkbar verschieden klingen. Richard Specht (1913) griff zu Parolen Friedrich Nietzsches und sprach beim letzten Satz vom „klingenden Willen“ und „Willen zur Macht“. Ähnlich sah Paul Bakker (1921) in dem Satz ein „krönendes Bekenntnis zum Leben“. Dika Newlin (1954) sah es ähnlich und hob den „geschäftigen Optimismus des fugierten Rondos“ hervor. Rudolf Mengelberg (1923, Neffe von Willem Mengelberg) apostrophierte ihn als „Jubelhymne auf das irdische Leben“. Heinrich Kralik (1968) charakterisierte ihn als „musikalische Freudenkundgebung“. Adorno meinte, der letzte Satz wiege gegenüber den drei ersten zu leicht. Und Bernd Sponheuer (1978) schließlich meinte Mahler den Vorwurf des „ungebrochen Affirmativen“ machen zu müssen. Adorno (1960), um dem Miesepeter unter den philosophierenden Musikwissenschaftlern ein zweites Mal das Wort zu geben, befand (sinngemäß), dass Mahlers vergebliche Jubelsätze den Jubel entlarven und dass seine subjektive Unfähigkeit zum Happy End dasselbe gerade eben selbst denunziert. Wenn er meint… Es kommt doch immer auf den Blickwinkel an. In dem Werk und zu dieser Zeit war es doch für Mahler ein echtes Happy End. Es kommt natürlich auch darauf an, welche Darbietung des Rondos der Frankfurter Professor (Adorno) kannte, uns scheint wohl, dass es eine jämmerliche gewesen sein musste.
Auch im letzten Satz der Sinfonie „mischt“ Mahler den Sonatensatz, dieses Mal mit einer Rondoform. Constantin Floros spricht von einem „sonatierten Rondo“, das zahlreiche fugierte Abschnitte enthält. Das Studium Bachs macht sich also abermals bemerkbar.
Zunächst gibt es eine Introduktion, in der einige Motive vorgestellt werden, die später in den fugierten Partien eine Rolle spielen. Dann folgt die Exposition, die das Rondothema in D-Dur enthält. Es wird zwei Mal fugiert, wobei es dazwischen nochmals erklingt. Dann folgt ein Seitensatz (Grazioso) und ein Epilog.
Die Durchführung beginnt fließend. Dann folgt der dritte fugierte Teil. Man kann daraus schließen, vor allem weil noch weitere „Fugen“ im letzten Satz der Sinfonie folgen werden, dass es nur durch die Beschäftigung mit der Musik Bachs für den Komponisten Mahler zum sieghaften Finale kommen kann und ebenso für den Menschen Mahler zu einem (bei einem Alter von 41 wohl nur zwischenzeitlichen) Befreiungsschlag aus den Ängsten und Wirrnissen des Lebens kommen kann. Ähnliches ist uns bereits im Finalsatz der Eroica begegnet und auch Strauss geht, um bei seinem „Zarathustra“ zu einem Ende zu kommen, durch die Fugenbildung, die Schule der „Wissenschaften“ symbolisierend, hindurch. Allerdings führt sie da noch nicht zum Ziel, sondern ist nur eine Zwischenstation auf dem Weg.
Es wird im „Rondo“ dann, wie es sich für eine Durchführung gehört, kräftig durchmoduliert. Auffallend ist dabei, dass Mahler jede Wendung in den Moll-Bereich, die man eigentlich erwarten würde, vermeidet. Alles, das heißt, lassen wir die Katze schon jetzt aus dem Sack, der ganze Satz steht ausnahmslos in Dur. Sowas gab es wahrscheinlich noch nie. Auch in der Durchführung gibt es einen Seitensatz (erneut Grazioso zu spielen), teils imitatorisch, teils mit kontrapunktischen Gegenstimmen versehen. Nach dem Epilog der Durchführung folgt erneut ein fugierter Teil. Wohlgemerkt alles in Dur.
In der Reprise wird wie erwartet der Hauptsatz variiert. Es schließt sich der fünfte fugierte Teil an. Danach folgt eine dieses Mal kürzere (es sind aber immer noch mehr als 100 Takte!) Durchführung. Nach Seitensatz und einem als Übergang zu wertendem Teil folgt schließlich der abschließende Choral in D-Dur, den man sich glanzvoller und jubelnder kaum vorstellen kann. Dieses Mal entlässt uns Gustav Mahler aber nicht ohne eine Koda, die er als mitreißende Stretta auslegt.
Rondohaft mutet also, wie erneut Constantin Floros bemerkt, das dreimalige Auftreten des Hauptsatzes an, den man als Refrain verstehen kann und die Herausbildung von formal und tonartlich in sich geschlossenen Abschnitten an, die die Funktion der Couplets übernehmen. Sonatenhaft sind unter anderem die vielen durchführungsartigen Passagen und die elaborierte Verarbeitungstechnik. Die Durchführung ist durch kühne Modulatorik gekennzeichnet. Liedhafte und spielerisch-virtuose Stellen wechseln sich auf ganz eigene Art miteinander ab.
Constantin Floros hat den Satz herausragend analysiert, denn er fand darin die Verwendung mehrerer eigener Themen Mahlers, die wenn man sie erkennt, durchaus zum tieferen Verständnis des Satzes beitragen, weshalb wir besonders eines gerne noch erwähnen möchten, wohl wissend, dass wir schon wieder über Gebühr „expandieren“.
Er schreibt: „Das vom Fagott intonierte Motiv (T. 3 - 5) stimmt wörtlich mit dem Anfangsmotiv des 1896 entstandenen Wunderhornliedes „Lob des hohen Verstandes“ (damit waren die Kritiker gemeint, die er mit Eseln vergleicht, Anm. des Verfassers) überein. Er verknüpft es jedoch zugleich mit dem zweiten Satz und dem Adagietto.“ Das Choralthema das dort zwar auch schon prachtvoll und pesante intoniert wurde (aber doch als Vision des Paradiso gemeint war, manche Einspielungen bekommen diesen besonderen Eindruck sogar vermittelt), erscheint hier in Diminution und in einer beispiellosen rhythmischen Umbildung, die Adorno an die Filmtechnik erinnerte, denn er sprach von „kompositorischer Zeitraffer“. „Es ist so, als ob das Choralthema seiner ganzen Schwere und Würde beraubt worden wäre (ähnlich wie Wagner in seinem Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg“ verfährt. Dort wird aus dem gewichtig vorgetragenen Meistersinger-Thema durch Diminution eine Karikatur Beckmessers).“ Manche Einspielungen legen da den ganzen Glanz und die Glorie des riesenhaft besetzten Sinfonieorchesters hinein. Dafür hören wir Mahler und nicht zuletzt dafür lieben wir diese Sinfonie. Und dann wieder Floros: „Weit weniger radikal ist die Metamorphose, die das Thema aus dem Mittelteil des Adagiettos im Seitensatz des Rondo-Finales erfährt. Immerhin verliert er seinen hochexpressiv-sehnsüchtigen Charakter und nimmt jetzt graziöse Züge an.“
Am Anfang der Exposition überschieb Mahler das Hauptthema mit Allegro giocoso. Frisch. Die Vortragsbezeichnung charakterisiert treffend den Stimmungs- und Gedankengehalt des ganzen Satzes. Wir erinnern daran, dass selbst in der Durchführung keine Moll-Eintrübungen vorkommen. Es herrscht eine „Durseligkeit ohnegleichen“ (Floros) und Mahler setzt nirgends unheimliche Akzente. „Das Tamtam, das typische Klangsymbol des Schreckens, des Entsetzens und des Todes (oder der Todesverkündung, Anm.), das in den ersten beiden Sätzen mehrmals ertönt, wird hier ganz ausgespart. Die Stimmung des Satzes erinnert bisweilen an das zweite Gesellenlied und dessen heile Welt sowie an den Kopfsatz der Vierten, mit der das Rondo-Finale manche kinderliedartige Wendung teilt. “ Könnte es sein, dass Mahler uns auch dieses Mal verschaukeln will und er es doch „uneingentlich“ meint? In unserem Ranking haben wir jedenfalls den Aufnahmen den Vorzug gegeben, die Mahler, sagen wir einmal „beim Wort nehmen“ und dem Ankommen im Licht eine freie Bahn und freie Sicht bereiten. Da sind Ironie und Sarkasmus beiseite zu lassen (Adorno hin oder her).
Noch ein paar musikwissenschaftliche Bemerkungen, gerne wieder von Constantin Floros zitiert: „Bei aller ausschließlichen Verwendung des Durgeschlechts ist die an koloristischen Valeurs reiche Musik nicht spannungsarm. Mahler versteht es, durch überraschende Wendungen den Hörer stets in Spannung zu halten. Die Kunst des ‚Imprévu‘, des Trugschlusses feiert in diesem Satz wahre Triumphe.“
Floros schreibt weiter: „In den fugierten Abschnitten erfährt das Choralthema – wie ausgeführt – eine Umbiegung ins Leichte und Spielerische. Am Schluss der Reprise (T. 711-748) ertönt der Choral in seiner ursprünglichen, prächtigen Gestalt. Alma Mahler berichtet in ihren Memoiren, dass sie unmittelbar nach der Vollendung der Fünften in einem Gespräch mit Mahler Bedenken wegen dieses ‚kirchlichen, uninteressanten‘ Chorals geäußert habe. Mahler beschied sie mit einem Verweis auf Bruckner, worauf sie antwortete: ‚Der darf das, du nicht!‘“ Leider teilt uns Alma später nicht mit, worin ihrer Einschätzung nach der Wesensunterschied zwischen den beiden Komponisten bestand, der dies verbieten würde. Wir können es uns allerdings denken: Da der tiefgläubige unerschütterlich katholische Bruckner und hier der zweifelgeplagte zum Christentum mehr oder weniger zwangskonvertierte Jude Mahler, der dies bei aller Faszination für das Christentum doch nur tat, damit er die wichtigste Hürde nehmen konnte, die es ihm verwehrte Chef der Wiener Hofoper zu werden. Damals wie heute der Traumjob vieler Dirigenten, aber auch ein „Schleudersitz“.
Apropos Wesensunterschied zwischen Mahler und Bruckner: Bruckner hat keine seiner Sinfonien mit einer virtuos-übermütigen Koda strettaartig beschlossen, und er hätte niemals daran gedacht, eine Choralmelodie derart spielerisch zu behandeln!
Gebrochenheit war wohl der „Erfahrungskern“ des reflektiven Mahler. Gleichwohl gibt es noch Sätze von ihm, die von Gebrochenheit nichts ahnen lassen. Als er im Sommer 1902 das Rondo-Finale der Fünften komponierte, befand er sich in einer ausgesprochen euphorischen Stimmung: glaubte er doch fest daran, das größte Glück seines Lebens gefunden zu haben. Dass Alma einmal zu seinem Unglück betragen würde, konnte er damals noch nicht wissen.
Also doch, wir fühlen uns bestärkt: Freie Fahrt ins Licht.
Diskographische Entwicklung:
Die Diskographie des Werkes ist zunächst geprägt von allgemeinem Desinteresse, ja Ablehnung. In Deutschland und Österreich waren Einspielungen während der Nazi-Diktatur ganz unmöglich, aber auch im freien Ausland war das Interesse ausgesprochen gering. Dass schon die einzelnen Sätze die Spieldauer der damaligen Tonträger bei weitem überforderte, mag dabei zusätzlich eine Rolle gespielt haben. Die Spieldauer einer Schellack-Platte war bei dem größeren Modell (12 Zoll) auf pro Seite max. 4 1/2 Minuten begrenzt. Bei schätzungsweise 13-15 einzelnen Seiten hätte die 5. Sinfonie bei der Anschaffung ein mittleres Vermögen verschlungen. So wird es plausibel, dass die Geschichte der Aufnahmen mit dem kürzesten Satz, dem „Adagietto“ alleine beginnt.
Mahler selbst bespielte allerdings beim allerersten Dokument dabei mit einem Klavier eine sogenannte „Klavierrolle“ mit dem ersten Satz. Ein wichtiges Dokument zweifellos, aber ein Klavier ist eben kein Orchester. Man erkennt zumindest (unter anderem) das Tempo, das Mahler vorschwebte, das er jedoch bei verschiedenen Konzertsälen den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen pflegte.
Das „Adagietto“ wird 1928 erstmals von Willem Mengelberg eingespielt, eine Einspielung mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam. Die erste Einspielung eines Teiles der Fünften mit einem Orchester. Mengelberg selbst war nur zehn Jahre jünger als Mahler und einer seiner glühendsten Bewunderer und Verfechter seiner Werke. Er lernte ihn gerade kennen, als Mahler die 5. Sinfonie komponierte. Schon zu Lebzeiten Mahlers, der dann selbst häufiger das Concertgebouw-Orchester dirigierte, wurde also bereits die Amsterdamer Mahler-Tradition begründet. Von Mengelberg stammt auch die Behauptung, dass Mahler den 4. Satz, das „Adagietto“, als Liebeserklärung an Alma verstanden wissen wollte. Die 7:04 Minuten, die Mengelberg für den Satz brauchte, entsprachen Mahlers Wünschen. Nichtsdestotrotz blieb dieser Wert in der gesamten nachfolgenden Diskographie unerreicht. Bei Mengelberg wird nichts verschleppt, die Musik (zeitverhaftet) noch mit Drückern und Schwellern versehen. Die Musik spricht gleichsam aus sich selbst. Der Satz hat so nichts trauriges, er bleibt in diesem raschen Tempo gesanglich. Eher ein „Ständchen“, im Gesamtzusammenhang eher ein „Intermezzo“ und keine Elegie und schon gar keine Musik zu einem Staatbegräbnis. Schade, dass wir von Mengelberg keine Gesamtaufnahme der Sinfonie überliefert bekamen. Man kann es drehen und wenden wie man will, der Satz ist so eigentlich lang genug, es braucht nicht mehr. Obwohl man, nach heutigen Kriterien beurteilt, dem Amsterdamer Orchester mit dem ans „Schmieren“ und „Schleifen“ grenzenden Spiel mit voll ausgespielten Glissandi eigentlich ein Versagen allerdings auf höchster musikalischer Ebene attestieren müsste, transportiert die Aufnahme viel Wärme. Puristen stellen sich sicher die Haare zu Berge. Völlig unabhängig vom sehr starken Rauschen, das genauso laut ist wie die Musik. Die hat nichts Düsteres und wirkt doch noch irgendwie geschmackvoll und sehr gefühlvoll, aber eben nicht sentimental. Das klingt sinfonisch und nicht nach Filmmusik. Nach in Musik verwandelte Sprache. Wenn man die späteren Eskapaden mit den gedehnten Tempi dagegen hört, wäre die Musik nicht mehr singbar. Nicht zuletzt daher sollte man Mengelbergs Tempo wenn nicht als das Richtige so doch als ein richtiges ansehen. Ganz abgesehen von den Wünschen Mahlers, die Mengelberg in seiner Partitur aufschrieb (siehe oben). Der Visconti-Film „Tod in Venedig“ hat der Musik durch unmäßige (auch visuelle) Sentimentalisierung einen Bärendienst erwiesen, war als späte Promotion für die Musik Mahlers aber sicher nicht unwichtig. Man kann es heute noch daran sehen, wie viele Covers von Einspielungen der 5ten Gemälde oder Fotos von Venedig zeigen.
Das „Adagietto“ wurde und wird auch bis heute vielfach alleine aufgenommen oder als Seitenfüller verwendet. Auf diese Einspielungen sind wir mit Ausnahme der Mengelberg-Aufnahme nicht eingegangen.
Auch die zweite Einspielung (mit Orchester) mit dem zweiten „Leuchtturm“ der Mahlerinterpretation, Bruno Walter von 1938 (Wiener Philharmoniker) umfasst lediglich das „Adagietto“. Bruno Walter war es dann auch vorbehalten, die erste vollständige Aufnahme der Sinfonie zu veröffentlichen. 1947 mit den New Yorker Philharmonikern.
Solange es nur Mono-Aufnahmen gab, führten die Werke Mahlers weiterhin ein Schattendasein. Leonard Bernsteins Aufnahme 1963 repräsentiert zwar nicht die erste Stereo-Einspielung (das war die mit Rudolf Schwartz in London) und mit der Stereo-Technik allgemein beginnt zunächst noch zögerlich dann immer vehementer eine wahre Hausse an Einspielungen. Die ersten Gesamtaufnahmen aller Sinfonien wurden erstellt und dabei lieferten sich die Plattenfirmen einen echten Wettlauf, wer als erster ans Ziel kommt. Es bewarben sich Leonard Bernstein (CBS), Rafael Kubelik (DG), Bernard Haitink (Philips), Maurice Abravanel (Vanguard) und Georg Solti (Decca). Als erster durchs Ziel ging Bernstein, was heute allerdings keine Bedeutung mehr hat, der kommerziell erfolgreichste Zyklus wurde hingegen der von Georg Solti. Weitere Aufnahmen von Dirigenten auch von hohem Rang, die ihre Einspielungen nicht zu Gesamtaufnahmen runden konnten oder wollten (Klemperer, Walter, Leinsdorf oder Barbirolli um nur ein paar zu nennen) schossen in dieser Zeit wie Pilze aus dem Boden. Mit der vorübergehenden Einführung der Mehrkanaltechnik (auf der SACD) war das eigentlich adäquate Medium für die Musik Mahlers entwickelt, die schwierigen Partituren konnten nun in prächtiger Klangqualität noch transparenter offengelegt werden, die ungebremste Dynamik half noch besser dabei die Hörer/innen in den Bann der Musik Mahlers zu ziehen. Die Diskographie wuchs immer weiter an und man kann sie heute fast als einen undurchdringlichen Dschungel bezeichnen. Von der 5. Sinfonie muss es wohl inzwischen mehr als 200 Einspielungen geben. Ein Teil davon (exakt 134) haben wir vergleichend gehört und mit unserem bescheidenen Hintergrundwissen mehr oder weniger nach den Erfordernissen der Partitur und, wie sollte es auch anders sein, nach dem eigenen Geschmack sortiert, um einen gewissen Überblick zu erhalten. Über die fast schon inflationäre Überproduktion. Bei vielen neueren Einspielungen ist leider eine Verflachung des Tiefgangs und ein kaum mehr hinnehmbares Abschleifen der Ecken und Kanten der Musik Mahlers zu beobachten. Die enorm gesteigerte Spielfähigkeit der Orchester macht es möglich auch komplexe Passagen stromlinienförmig zu verflachen. Die Transparenz der Stimmen vollkommen darzustellen ist heute ebenfalls kaum noch ein technisches Problem, wenn man auf einen guten Aufnahmeraum und kompetente Techniker zurückgreifen kann.
Seit den 90er Jahren scheinen die wahren Mahler-Enthusiasten übrigens in Fernost zu leben, besonders in Japan. Was alleine das Label Canyon, das später von Exton übernommen wurde oder in Exton aufging an Einspielungen veröffentlicht hat, lässt alle westlichen Firmen erblassen. Viele davon sind Eigenproduktionen, ein paar wurden auch „nur“ in den Katalog übernommen, weil die Nachfrage, gerade nach der Fünften anscheinend kaum zu befriedigen ist. Nach unserer Beobachtung beginnt der Katalog mit der Einspielung von Michiyoshi Inoue (1990 mit dem Royal Philharmonic Orchestra London), 1991 folgt bereits Ken-Ichiro Kobayashi (Japan Philharmonic), 1993 Vaclav Neuman (Tschechische Philharmonie), 1997 erneut Ken-Ichiro Kobayashi (erneut mit der Tschechische Philharmonie), dann bereits wunderlich genug 1999 die dritte Einspielung (?) mit diesem Dirigenten, der die Sinfonie anscheinend besonders liebt (übrigens schon wieder mit den Tschechen). Dann erlaubt man sich eine vierjährige Pause oder es gibt noch weitere Aufnahmen, die wir, weit, weit weg vom Produktionsrausch in Japan, nicht bemerkt haben. Dann aber erscheint die Einspielung mit Gerd Albrecht (Yomiuri Nippon Symphony Orchestra), im gleichen Jahr Zdenek Macal und es bedarf fast keiner Erwähnung, schon wieder mit der Tschechischen Philharmonie. 2010 dann Vladimir Ashkenazy, den man wohl vergessen hatte, als er noch Chef in Prag war, mit dem Sydney Symphony Orchestra. Stattdessen darf dann Eliahu Inbal schon wieder mit der Tschechischen Philharmonie noch im gleichen Jahr ran. Zur gleichen Zeit, wir schreiben übrigens in diesem Jahr den 150. Geburtstag des Komponisten, was den nochmals gesteigerten Bedarf, wenn auch nur teilweise, erklären könnte, nimmt Martin Sieghart die Sinfonie mit dem Het Gelders Orkest in den Niederlanden auf. 2011 (jetzt mag vielleicht der 100. Todestag des Komponisten eine Rolle gespielt haben) ist Manfred Honeck mit seinen Pittburghern zur Aufnahme zur Stelle. Einen vorläufigen Abschluss unserer Beobachtung macht dann wieder Herr Inbal, der die Sinfonie wahrscheinlich am häufigsten überhaupt eingespielt hat, 2013, dieses Mal mit dem Tokyo Metropolitan Orchestra.
Wohlgemerkt das sind nur die Einspielungen eines einzigen Labels und es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Aufgrund der hohen Kosten, da meist ein Eigenimport vonnöten wäre, konnten wir längst nicht alle Exton-Aufnahmen hören. Verständlich, dass der Importeur nicht alle nach Deutschland schaffen kann, wer sollte sie hier kaufen wollen? Wir müssen nicht eigens darauf hinweisen, dass es weitere Label in Japan gibt, die ebenfalls die Fünfte Mahlers aufnehmen, wahrscheinlich weil sie sich dort auch in dieser Fülle von Aufnahmen sehr gut verkaufen lässt. Erinnern wir nur an Denon…
Noch eine Bemerkung zu den musikalischen Interpretationen: Es ist ungewöhnlich schwierig, die Partitur in überzeugender interpretatorischer Ausgewogenheit zusammenzuhalten. Die fünf Sätze schwanken radikal zwischen schier unerträglicher Düsternis und um etwas zu übertreiben elefantöser Fröhlichkeit. Wenn diese beiden Stimmungen wirklich „ausgewogen“ sind, läuft der Dirigent Gefahr, die Intensität beider zu beeinträchtigen. Doch wenn beide Seiten bis zu ihrem emotionalen Extrem ausgereizt werden, können Stimmung und Wirkung dieser Symphonie einfach auseinanderfallen. Da ist die Quadratur des Kreises gefragt, eine Aufgabe, die auf vollkommene Weise wahrscheinlich gar nicht gelingen kann. So finden wir letztlich nur gelungene Verwirklichungen von Teilen des erforderlichen Ganzen, das Utopie bleibt. So passt sich die Diskographie der Fünften selbst schließlich dem Lebensgefühl Mahlers an, einer Utopie nachzujagen, wenn man so will.
Dennoch übt die Sinfonie offensichtlich einen magischen Reiz auf die Dirigent(innen) aus. Oft wird sie als musikalische Visitenkarte genutzt, um sich oder ein neues Projekt vorzustellen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit scheint das so in folgenden Fällen gewesen zu sein: Karajan nahm als erste Mahler-Sinfonie die Fünfte auf, Fabrice Bollon wählt sie zum Antrittskonzert als neuer Chef in Halle aus, Simon Rattle anlässlich seines Antrittskonzerts als neuer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kahchun Wong als erste Aufnahme beim Japan Philharmonic, dessen Chef er erst später werden wird, Semyon Bychkov beginnt seinen Mahler-Zyklus bei der Tschechischen Philharmonie mit ihr, Rafael Payare wählt sie als erste Einspielung überhaupt als neuer Chef in Montréal beim seinem neuen Label Pentatone und beginnt gleichzeitig mit ihr einen Mahler-Zyklus. Shi Yeong Song macht mit ihr ihre einzige uns bisher bekannt gewordene Einspielung. Markus Stenz beginnt mit der Fünften seinen Mahler-Zyklus in Köln und Giuseppe Sinopoli den seinen in London. Man kann vortrefflich Eindruck mit ihr machen und sämtliche Live-Mitschnitte unseres Vergleiches beweisen es, das Publikum ist beim Schlussbeifall geradezu aus dem Häuschen. Man kommt ja auch aus der Dunkelheit gerade noch rechtzeitig im Licht an. Beim Nachhören der Aufnahmen ging die Erstbegegnung jedoch nicht immer glücklich aus. Manchmal aber schon. In einem Fall aber war sie ein echter Glücksfall für die Mahler-Diskographie: Georg Solti war gerade neuer Chef in Chicago geworden und er nahm sie als erste Einspielung dort mit einem eigens aus England angereisten entdeckungsfreudigen Aufnahme-Team von Decca auf. Es kam eine Einspielung dabei heraus, an der bis heute keine andere so richtig heranreicht und die unter anderem ein Erdbeben bei anderen Plattenfirmen auslöste. Für uns realisiert sie die Erfordernisse des Werkes auf ganz besondere Weise, an die auch der Dirigent selbst in späteren Einspielungen nicht wieder herangekommen ist. Doch davon gleich mehr in unserem Vergleich.
zusammengestellt bis 2.6.2024


Gustav Mahler um 1892 und Alma Schindler um 1900, also zur Zeit kurz vor der der Komposition der 5. Sinfonie. Die Größe der Bilder ist technisch bedingt und soll keinesfalls eine Wertung ausdrücken. Gustav war also ein paar Jahre älter als auf dem Foto, als er Alma kennenlernte. Bei Alma stimmt das Datum des Fotos mit dem gemeinsamen Kennenlernen ziemlich genau überein. Beide Fotos sind gemeinfrei, daher fiel unsere Wahl letztlich auf sie.
Überblick über die zum Vergleich herangezogenen Aufnahmen:
Der detailierte XXL-Vergleich in Textform folgt im Anschluss
5+
Georg Solti
Chicago Symphony Orchestra
Decca
1970
11:52 13:46 16:37 9:50 13:57 65:42
5
Kyrill Kondraschin
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija, Eurodisc, Denon
1974
11:03 12:47 16:59 8:12 13:49 62:50
5
Kirill Petrenko
Bayerisches Staatsorchester, München
Aufnahme und Sendung des BR, unveröffentlicht
2017, live
12:35 13:59 16:44 8:24 13:28 65:10
5
Rudolf Barshai
Junge Deutsche Philharmonie
Laurel, Brilliant
1999, live
11:51 14:26 18:25 8:16 15:45 68:43
5
Claudio Abbado
Lucerne Festival Orchestra
Euroarts
2004, live
12:38 14:23 16:24 8:24 14:58 66:57
5
Leonard Bernstein
Wiener Philharmoniker
DG, nur als Video erhältlich
1972, live
12:21 13:21 17:58 12:00 13:34 69:14
5
Klaus Tennstedt
Concertgebouw Orchester Amsterdam
RCO
1990, live
14:28 15:47 18:30 12:11 14:44 75:40
5
Francois-Xavier Roth
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Aufnahme und Sendung des SWR, unveröffentlicht
2012, live
12:15 13:43 16:22 9:37 14:46 66:43
5
Markus Stenz
Gürzenich Orchester Köln
Oehms
2009
12:04 14:50 17:05 8:37 14:40 67:16
5
Mariss Jansons
Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam
RCO Live
2007-2008, live
12:22 14:58 18:38 9:16 15:45 70:59
5
Leonard Bernstein
Wiener Philharmoniker
DG
1987, live
14:30 14:57 18:58 11:11 14:58 74:31
5
Paavo Järvi
HR-Sinfonieorchester
Aufnahme und Sendung des HR, unveröffentlicht
2011, live
2012, live
12:16 14:53 17:33 9:52 14:07 68:37
5
Robin Ticciati
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Aufnahme und Sendung des RBB, unveröffentlicht
2023, live
11:42 13:54 16:45 8:30 14:30 65:21
5
Riccardo Chailly
Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam
Decca
1997
12:50 14:55 17:42 10:16 15:22 71:05
5
Klaus Tennstedt
London Philharmonic Orchestra
EMI
1988, live
13:31 15:13 17:53 11:21 14:33 72:31
5
Francois-Xavier Roth
Gürzenich Orchester, Köln
Harmonia Mundi
2017
12:14 14:12 17:58 10:43 15:05 70:14
5
Jonathan Darlington
Duisburger Philharmoniker
Acousense
2010, live
12:00 14:26 17:49 8:55 15:40 68:50
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München (neuerdings gerne BRSO genannt)
BR Klassik, damals auch live gesendet
2016, live
12:45 15:31 19:13 8:51 16:31 72:51
5
Hans Rosbaud
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR Sinfonieorchester Köln)
ICA, Hänssler
1951
11:55 13:49 15:47 8:53 14:53 65:19
5
Bruno Walter
New York Philharmonic Orchestra
CBS, Membran, Naxos
1947
11:33 12:37 15:17 7:41 14:04 61:15
5
Vaclav Neumann
Gewandhausorchester Leipzig
Eterna, Berlin Classics, Edel Classics, Philips
1965
11:19 13:15 16:18 9:40 14:42 65:14
5
Kahchun Wong
Japan Philharmonic Orchestra
Denon
2021
12:43 14:59 16:56 10:05 14:54 69:37
5
Rafael Kubelik
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München
Audite
1981, live
12:39 14:52 17:53 10:26 14:58 70:48
4-5
Gustavo Dudamel
Berliner Philharmoniker
BP Recordings, auch Live vom RBB übertragen
2018, live
12:35 14:45 18:07 9:30 15:00 69:57
4-5
Alain Lombard
Orchestre National de Bordeaux Aquitaine
Forlane
1991
12:06 13:44 16:26 9:55 13:07 65:18
4-5
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
EMI
2002, live und
Deutschlandfunk, unveröffentlicht
2011, live
13:00 14:17 16:51 9:32 14:50 68:30
13:04 14:14 17:18 9:35 15:01 69:12
4-5
Benjamin Zander
Philharmonia Orchestra London
Telarc
2000
12:14 13:55 16:56 8:32 15:56 67:33
4-5
Christoph von Dohnanyi
Cleveland Orchestra
Decca
1988
12:07 12:52 15:29 10:18 14:00 64:46
4-5
Andris Nelsons
WDR Sinfonieorchester Köln
Aufnahme und Sendung des WDR, unveröffentlicht
2010, live
12:06 13:43 16:07 8:30 14:28 64:54
4-5
Yutaka Sado
Tonkünstler-Orchester
Eigenlabel des Orchesters
2019, live
11:35 13:56 17:03 10:13 14:12 66:59
4-5
Michael Gielen
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Hänssler, SWR-Music
2003
13:06 14:50 16:08 8:29 15:32 68:05
4-5
Erich Leinsdorf
Boston Symphony Orchestra
RCA
1963
11:32 12:58 17:22 8:29 14:04 64:25
4-5
Eiji Oue
Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt (heute HR-Sinfonieorchester)
Denon, als DVD nur mit Tonaufnahme
1997, live
12:40 14:05 17:30 10:40 14:42 69:37
4-5
Christoph Eschenbach
Philadelphia Orchestra
Phi (Eigenlabel des Orchesters)
2008, live
12:37 15:04 17:54 11:49 14:25 71:49
4-5
Rafael Payare
Orchestre Symphonique du Montréal
Pentatone
2022
12:00 13:55 17:34 8:56 14:58 67:23
4-5
Emil Tabakov
Sofia Philharmonic Orchestra
Capriccio, Delta
1988
11:33 14:53 17:53 10:41 14:17 69:17
4-5
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Orchestra
IMG, NAR, Music and Arts, Musica Viva, Music Web International
1960, live
12:29 13:27 15:36 10:50 16:13 68:35
4-5
Andrea Battistoni
Tokyo Philharmonic Orchestra
Denon
2022
12:44 14:11 17:32 10:49 14:16 69:32
4-5
Pierre Boulez
Wiener Philharmoniker
DG
1996
12:47 14:51 18:06 10:56 15:05 71:45
4-5
Jonathan Nott
Bamberger Symphoniker
Tudor
2003
13:37 14:38 17:23 10:58 15:03 71:39
4-5
Gabriel Feltz
Stuttgarter Philharmoniker
Dreyer Gaido
2009, live
12:47 s 17:19 12:27 13:55 71:29
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
PHI, Eigenlabel des Orchesters
2010, live
13:10 14:55 17:40 10:32 15:13 71:13
4-5
Myung Whun Chung
Seoul Philharmonic Orchestra
DG
2014, live
12:45 15:16 17:29 11:27 15:05 72:02
4-5
Vaclav Neumann
Tschechische Philharmonie
Canyon-Emergo-Pony, Exton
1993
11:20 13:29 18:56 10:27 16:06 70:18
4-5
Markus Stenz
Melbourne Symphony Orchestra
ABC Classics (Australian Broadcasting Cooperation)
2002
13:28 15:53 17:37 9:46 14:26 71:10
4-5
Sakari Oramo
City of Birmingham Symphony Orchestra
Warner
2004, live
11:52 13:40 17:24 10:07 14:11 67:14
4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1963
12:24 14:12 17:34 10:59 13:42 68:52
4-5
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
DG
1973
12:59 15:01 18:01 11:52 15:19 73:12
4
Zubin Mehta
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Decca
1976
11:19 14:42 17:06 9:39 13:56 64:43
4
Zubin Mehta
New York Philharmonic Orchestra
Teldec
1989
11:34 14:03 17:58 10:50 14:46 69:11
4
Zubin Mehta
Bayerisches Staatsorchester, München
Farao
2008, live
12:22 14:38 18:21 10:05 15:26 70:52
4
Günter Herbig
Berliner Sinfonie-Orchester (heute: Konzerthausorchester Berlin)
Edel Classics, Corona, Eterna
1980
11:17 13:20 17:56 9:54 14:22 66:49
4
Michael Stern
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio Philharmonie)
CD herausgegeben vom SR, anl. des 60jährigen Orchesterjubiläums
1997, live
11:37 12:59 16:04 11:20 14:15 66:15
4
Sir Georg Solti
Tonhalle Orchester Zürich
Decca
1997, live
12:20 14:38 16:39 9:59 14:22 67:58
4
Jaap van Zweten
London Philharmonic Orchestra
LPO
2008, live
12:56 14:11 17:29 9:53 14:40 69:09
4
Ivan Fischer
Budapest Festival Orchestra
Channel Classics
2009
12:50 14:48 19:25 10:26 15:39 73:08
4
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
DG
1993, live
12:35 14:40 17:20 9:01 15:15 69:10
4
Andrés Orozco-Estrada
HR-Sinfonieorchester
Aufnahme des HR, gesendet im ARD-Nachtkonzert vom BR, unveröffentlicht
2017, live
12:25 14:43 16:52 10:29 14:46 69:15
4
Krzysztof Urbanski
NDR Sinfonieorchester Hamburg (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester)
NDR, unveröffentlicht
2011, live
13:26 14:31 17:33 10:50 14:30 70:50
4
Alan Gilbert
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR, unveröffentlicht
2023, live
13:18 14:58 17:15 10:04 15:18 70:53
4
Antoni Wit
Polnisches Nationales Radio-Sinfonieorchester, Kattowitz
Naxos
1990
12:56 14:54 19:32 12:03 14:53 74:18
4
Daniele Gatti
Royal Philharmonic Orchestra, London
1997
Conifer, Musical Hertiage Society, RCA, Henry Wood Hall
13:04 14:12 17:22 10:11 14:49 69:38
4
Daniele Gatti
Wiener Philharmoniker bzw.
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
WDR bzw. ORF
und BR, jeweils unveröffentlicht
2010, live
2011, live
12:48 15:23 17:46 10:02 14:41 70:40
4
Otmar Suitner
Staatskapelle Berlin
Berlin Classics
1984
10:45 12:49 15:51 10:01 13:44 63:10
4
Roger Norrington
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
2006, live
11:24 14:18 17:11 8:50 15:23 67:06
4
Semyon Bychkov
Tschechische Philharmonie
Pentatone
2021
13:01 15:21 17:379:09 15:43 70:51
4
Seiji Ozawa
Boston Symphony Orchestra
Philips
1990, live
12:40 14:52 17:43 11:56 15:00 72:11
4
Lorin Maazel
New York Philharmonic Orchestra
Eigenlabel des Orchesters
2003, live
13:32 14:50 17:40 10:56 15:10 72:08
4
Jukka-Pekka Saraste
Finnisches Radio-Sinfonieorchester, Helsinki
Virgin
1990
11:42 13:36 18:31 9:22 14:30 67:41
4
Zdenek Macal
Tschechische Philharmonie
Exton
2003, live
11:53 14:32 19:01 10:25 14:05 69:56
4
Daniel Harding
Schwedisches Radio-Sinfonieorchester, Stockholm
Harmonia Mundi
2016
13:58 15:17 18:18 10:27 14:51 72:51
4
Frank Shipway
Royal Philharmonic Orchestra, London
Membran, RPO Records, Centurion, Tring, Classical.com
1996
13:11 15:27 17:36 12:24 14:40 73:18
4
James Levine
Philadelphia Orchestra
RCA
1977
12:52 14:47 17:32 12:00 14:50 72:01
4
Gustavo Dudamel
Simon Bolivar Youth Orchestra of Venezuela
DG
2006
12:37 14:18 17:15 10:44 14:05 68:59
4
Sir John Barbirolli
New Philharmonia Orchestra London
EMI
1969
13:42 15:09 17:58 9:50 17:25 74:03
4
Michael Tilson Thomas
San Francisco Symphony Orchestra
SFS Media
2005
12:34 15:01 19:09 10:44 15:10 72:38
4
Sir Georg Solti
Chicago Symphony Orchestra
Decca
1990, live
12:32 14:28 16:56 9:40 14:05 67:41
4
Eliahu Inbal
Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR-Sinfonieorchester)
Denon, Brilliant
1986
13:26 14:05 18:44 11:31 14:23 72:09
4
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR Live
2006, live
12:35 15:13 18:40 9:24 14:50 70:42
4
Pietari Inkinen
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
SWR, unveröffentlicht
2010, live
12:42 14:31 17:03 11:00 15:40 70:56
4
Pietari Inkinen
Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern
SWR-SR, unveröffentlicht
2018
12:58 15:19 18:31 11:46 16:16 74:50
4
Tomomi Nishimoto
Royal Philharmonic Orchestra, London
King Records
2009, live
13:01 15:03 17:31 10:38 14:17 70:30
4
Sakari Oramo
BBC Symphony Orchestra, London
Aufnahme der BBC, vom WDR gesendet, unseres Wissens unveröffentlicht
2023, live
13:41 15:28 18:15 9:48 14:48 72:00
4
Bernard Haitink
Berliner Philharmoniker
Philips
1988
13:31 15:45 19:14 13:54 15:50 78:14
4
Vaclav Neumann
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1977
11:01 13:36 18:35 10:03 16:05 69:19
4
Rafael Kubelik
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München
DG
1971
11:36 13:47 17:17 9:44 15:23 67:47
4
Bernard Haitink
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1970
12:16 13:59 17:56 10:36 15:43 70:30
4
Maurice Abravanel
Utah Symphony Orchestra
Vanguard
1974
10:52 12:27 15:47 8:07 14:10 61:23
4
Klaus Tennstedt
New York Philharmonic Orchestra
NYP Live
1980
13:41 14:30 18:24 11:34 14:27 72:06
4
Jascha Horenstein
Berliner Philharmoniker
Altair, Pristine
1961, live
13:09 16:05 18:57 9:37 16:18 74:06
3-4
Jewgeni Swetlanow
Russian State Symphony Orchestra (vormals Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR)
Warner, Chant du Monde, Harmonia Mundi
1995, live
14:36 14:38 19:22 9:50 14:11 72:37
3-4
Alexander Sladkowsky
Tatarstan National Symphony Orchestra
Melodija
2016
12:56 14:10 17:43 11:27 14:45 71:01
3-4
Leif Segerstam
Danish National Radio Symphony Orchestra, Kopenhagen
Chandos
1994
13:06 14:26 19:29 11:44 16:05 74:50
3-4
Adam Fischer
Düsseldorfer Symphoniker
Cavi
2017, live
12:09 14:22 17:42 10:06 15:05 69:24
3-4
Gerard Schwarz
The Colburn Orchestra
Yarlung Records
2011, live
10:57 12:54 17:20 9:13 13:40 64:04
3-4
Rudolf Schwarz
London Symphony Orchestra
Everest, Beulah
1958
12:49 14:05 18:10 7:32 16:43 69:19
3-4
Osmo Vänskä
Minnesota Orchestra
BIS
2016
13:06 15:36 17:38 12:37 16:23 75:20
3-4
Neeme Järvi
Scottish National Orchestra
Chandos
1989
13:03 14:05 18:09 10:44 14:02 70:03
3-4
Klaus Tennstedt
London Philharmonic Orchestra
EMI
1978
13:49 15:11 18:02 11:55 16:14 75:11
3-4
Adrian Leaper
Orquestra Filarmónica de Gran Canaria
Arte Nova
1996
12:11 13:42 17:08 9:28 15:21 67:50
3-4
Vladimir Ashkenazy
Sydney Symphony Orchestra
Sydney Symphony Live, Exton
2010, live
12:51 14:22 18:03 11:15 14:52 71:23
3-4
Hartmut Haenchen
Nederlands Philharmonisch Orkest
Pentatone
2001, live
12:24 14:40 17:05 8:54 14:24 67:27
3-4
Jukka Pekka Saraste
WDR-Sinfonieorchester, Köln
Hänssler
2014, live
12:06 15:53 18:29 9:43 15:28 71:49
3-4
Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra
Teldec
1997, live
12:36 14:21 16:36 9:42 16:36 69:51
3-4
Valery Gergiev
London Symphony Orchestra
LSO Live (Eigenlabel des Orchesters)
2010, live
13:18 14:35 17:20 10:33 14:36 70:22
3-4
Leon Botstein
American Symphony Orchestra
ASO (Eigenlabel des Orchesters)
2010, live
11:12 12:46 16:32 7:28 14:32 62:30
3-4
Yakov Kreizberg
Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo
OPMC (Eigenlabel des Orchesters)
2010, live
12:55 16:14 18:41 9:36 16:24 73:50
3-4
Paul Daniel
Orchestre National Bordeaux-Aquitaine
Actes Sud (Harmonia Mundi)
2015, live
13:10 14:51 17:00 10:00 15:15 70:16
3-4
Tadaaki Otaka
Tokyo Philharmonic Orchestra
Camerata
1984, live
12:03 14:21 17:45 10:59 14:55 71:03
3-4
Giuseppe Sinopoli
Philharmonia Orchestra, London
DG
1985
12:06 13:35 17:16 10:26 15:05 68:28
3-4
Hermann Scherchen
Orchester der Wiener Staatsoper
Westminster, Urania, Intense Media, Documents, MCA, Palladio
1952
11:17 13:28 18:00 9:10 15:10 67:05
3-4
David Zinman
Tonhalle Orchester Zürich
RCA
2007
13:16 15:18 18:38 10:43 15:11 73:06
3-4
Lorin Maazel
Philharmonia Orchestra, London
Signum
2011
14:03 15:36 18:25 11:14 16:13 75:31
3-4
Andrew Litton
Dallas Symphony Orchestra
Dorian
1993, live
12:43 14:28 18:19 9:59 14:20 69:49
3-4
Yoel Levi
Atlanta Symphony Orchestra
Telarc
1995
12:50 14:50 17:50 11:05 15:41 72:36
3-4
James de Preist
London Symphony Orchestra
Naxos
2005
12:04 14:48 19:30 10:37 15:21 72:20
3-4
Michiyoshi Inoue
Royal Philharmonic Orchestra, London
RPO Records, Canyon Classics, Exton
1990, live
13:17 14:52 18:03 11:36 15:39 73:27
3-4
Simon Gaudenz
Jenaer Phiharmonie
Odradek
2022
12:23 14:48 16:53 8:50 15:00 67:54
3-4
Wyn Morris
Symphonica of London
IMP, Collins
1974
14:21 17:17 20:08 8:11 16:55 76:52
3-4
James Conlon
Gürzenich Orchester Köln
EMI
1994, live
12:42 14:10 18:27 10:28 14:58 70:45
3-4
Claudio Abbado
Chicago Symphony Orchestra
DG
1980
12:53 15:07 17:31 11:54 14:39 72:04
3-4
Lorin Maazel
Wiener Philharmoniker
Sony
1982
13:57 14:55 17:30 10:33 15:11 72:07
3-4
Fabrice Bollon
Staatskapelle Halle
MDR, unveröffentlicht
2022, live
13:50 15:20 18:18 12:00 15:05 74:33
3-4
Fabio Luisi
MDR-Sinfonieorchester, Leipzig
G.L.B. Classics, Querstand
1997, live
12:40 15:33 19:28 12:32 15:28 75:41
3-4
Heiko Mathias Förster
Neue Philharmonie Westfalen
Solo Musica
2011
12:56 14:57 17:07 10:38 15:20 70:58
3-4
Shi Yeong Sung
Gyeonggi Philharmonic Orchestra
Decca
2016
12:38 15:19 19:03 10:43 15:27 73:20
3-4
Hans Swarowsky
Wiener Symphoniker
Berlin Classics
1971
13:22 15:43 19:09 10:32 18:40 77:26
3-4
Harold Farberman
London Symphony Orchestra
Vox
1980
14:10 15:32 19:53 12:02 16:43 78:20
3
José Maria Moreno Valiente
Orquesta Filarmonica de Málaga
IBS Classical
2020
12:36 15:36 17:15 12:01 14:47 72:15
2-3
Hermann Scherchen
Philadelphia Orchestra
Tahra
1964, live
12:30 13:42 5:36 15:10 9:13 56:11
2-3
Hermann Scherchen
Orchestre National de l´ORTF, Paris (heute: Orchestre National de France)
Harmonia Mundi
1965, live
10:46 13:11 5:34 13:04 9:12 51:47
2-3
Hermann Scherchen
Orchestra Sinfonica della RAI di Milano
Living Stage, Paragon
1962, live
11:18 13:22 5:26 13:16 9:11 52:33
Die Rezensionen im detailierten Vergleich:
5+
Georg Solti
Chicago Symphony Orchestra
Decca
1970
11:52 13:46 16:37 9:50 13:57 65:42
Als frisch ernannter Chef des CSO geht Georg Solti, bereits 58 Jahre jung, hochmotiviert an sein allererstes Aufnahmeprojekt in Chicago heran. Die ersten vier Sinfonien und die Neunte hatte er zuvor bereits mit dem London Symphony Orchestra für Decca aufgenommen. Es gibt noch zwei weitere Einspielungen der Fünften mit Herrn Solti, 1990, erneut mit Chicago, dieses Mal live und 1997 (seine letzte Aufnahme überhaupt) mit dem Tonhalle Orchester Zürich, die jedoch nach unserem Dafürhalten beide an die erste nicht heranreichen.
Das hochemotionale Potential der beiden ersten Sätze wird von ihm unter Hochspannung gesetzt wie nie zuvor (und danach bisher auch nicht wieder) und bis zum Aggressiven hochgepeitscht. Es sind die rhythmischen Explosivkräfte, die den Hörer aufschrecken lassen und, wie es Attila Csampai einmal formulierte, „weit in Mahlers Orchesterpandämonium blicken lassen“. Und damit, so wäre zu ergänzen, womöglich in seine Psyche selbst. Die Darstellung ist schroff und ungeschminkt wie keine andere. Solti folgt unerbittlich den Vorgaben des Notentextes, wobei man den sehr schnell zur Seite legt, wenn man der Musik zuhört. Leider klingen die Violinen etwas hart, teils schroff, mitunter fast blechern, was man von den Aufnahmen der Decca aus London, Genf oder auch Los Angeles (da war man nämlich zuvor schon in den USA aktiv) zu dieser Zeit nicht gewöhnt ist. Es war die erste Aufnahme der Decca-Techniker in Chicago, sie wussten also nicht genau, was sie dort erwarten würde. Vielleicht hatte man die falschen Mikros für die Violinen eingepackt? Und so schnell wären andere damals nicht eben mal schnell aus London nachgesendet worden, die Aufnahmetermine waren ja fest fixiert.
Ansonsten hat man seitens der Technik spürbar viel experimentiert, um die Vielfältigkeit der Stimmen und die weit ausgefahrene Dynamik des Riesenorchesters Mahlers möglichst gut einzufangen. Wäre der Klang der Violinen besser, man könnte von einer audiophilen Aufnahme schreiben. Obwohl man hörbar mit der enorm geweiteten, wie entfesselten Dynamik der Chicagoer, die ohne Abstriche an die Glanzzeit mit Fritz Reiner anknüpfen konnten, zu kämpfen hatte. Gegenüber den Aufnahmen mit Reiner muss man den merklichen Zuwachs an Emotionalität sogar besonders herausstellen.
Das Spiel des Orchesters (nur in seiner Besetzung von 1970) ist an Plastizität und „anmachender“ Verve bisher nie mehr wieder erreicht geschweige denn überboten worden. Auch nicht die Schärfe der Aussage.
Im zweiten Satz ist dies (erneut) exemplarisch nachzuerleben. Die Satzbezeichnung „Stürmisch bewegt. Mit größter Vehemenz.“ wird vollumfänglich umgesetzt. Einige zartbesaitete Hörer und auch Hörerinnen meinten dazu, Solti hätte das kompositorisch Gemeinte wohl noch verdoppelt, was als negative Kritik verstanden werden sollte, dabei lässt „Mit größter Vehemenz“ eigentlich gar keinen anderen Ansatz zu, wie wir meinen. Solti standen eben bessere Ressourcen zur Verfügung als anderen oder er konnte sie damals besser zum Leben erwecken. Und man muss sich eher fragen, warum andere dagegen so schlaff und unmotiviert daherkommen. Solti duldet keinerlei Sentimentalität und entgeht jeder Versuchung zu beschönigen oder theatralisch aufzubauschen. Der Operndirigent Solti steht hier zurück. An Stringenz und atemloser Strenge ist diese Einspielung des ersten und zweiten Satzes bis heute der Maßstab. Was für ein Impetus! Solti lässt in Abgründe blicken. Man muss es eigentlich gehört haben, Worte können nur versagen.
Auch im Scherzo begegnet uns leidenschaftlicher Totaleinsatz. Wir hören einen Tanz wie auf einem brodelnden Vulkan. Der Tod tanzt bei Mahler in den entsprechenden Sätzen seiner Sinfonien ja immer mehr oder weniger getarnt und mehr oder weniger sarkastisch-fröhlich mit. Da wird der Walzer und der Ländler gleich (bereits 20 Jahre vor Ravels „La valse“) zu einem Stück der Endzeit mit Auflösungserscheinungen. Der ganze Satz wird unter Hochspannung gesetzt, sodass selbst die so gemeinten Ruhepole, die zum Verschnaufen einladen sollten und bei denen viele Dirigenten später das Tempo zu vergessen scheinen, nicht mehr so recht dazu dienen wollen. Das Orchester spielt auf der vordersten Stuhlkante, bestens vorbereitet und entflammt, wie man es nach Solti eigentlich nicht mehr gehört hat. Das ganze Orchester spielt wie entfesselte Derwische und dazu mit einer damals fast unheimlich wirkenden Präzision. Man braucht sich nur die zeitlich benachbarten Einspielungen der Fünften von Kubelik (BRSO), Haitink (Concertgebouw) oder Barbirolli (New Philharmonia London) anzuhören um dieses Phänomen damals ermessen zu können. Selbst gestandene Orchestermusiker mussten, als sie das Orchester auf der zeitlich benachbarten Europa-Tournee hörten, einräumen, dass sie sowas noch nie zuvor gehört hätten. Eine glückliche Beziehung fand mit dieser Einspielung ihre erste weltweit nachzuhörende Bestätigung. Das schreckte die Produzenten der Decca-Konkurrenz nachhaltig auf. Davon mehr bei der Karajan-Einspielung, die dann drei Jahre später erfolgte.
Der vierte Satz, das Adagietto, könnte man (abgesehen von den seltsam spröde klingenden Violinen) als einzigen kleinen Makel in dieser Jahrhundert-Einspielung bezeichnen. Das Spröde wirkt zwar abgemildert, da die Violinen zumeist nur sehr leise zu spielen haben, aber sie bleiben eine kleine „Hypothek“ für Mahlers Liebeserklärung an seine Almschi. Wenn man bedenkt, dass die langsamen Sätze bei Solti nicht immer die Klasse der rhythmisch betonteren Sätze erreichen, könnte man dieses Mal jedoch zufrieden sein. Nach heutigen Erkenntnissen und heutigem Ermessen klingt es sicher durchweg zu kraftvoll bei Solti, zu wenig zärtlich. Viele der Dirigenten (sagen wir mal vor Mitte der 80er Jahre) haben vielleicht von Mengelbergs Anmerkungen in seiner Partitur noch gar nichts gewusst. Die Einspielungen Walters und Mengelbergs selbst sollten gewissenhaften Dirigenten jedoch bekannt gewesen sein. Solti hat jedoch so oder so das Thema „Liebeserklärung“ nicht verfehlt, ihm wird vielleicht ein allzu glühender Liebesbeweis daraus. Eine sehr junge Geliebte könnte sich vielleicht überfordert fühlen. Etwas zu schnell wird das Trackende erreicht. Der Ton, der laut Partitur im Nichts verschwinden soll, war noch nicht vollends entschwebt, da setzt bereits das Rondo ein. Da hat der oder die Mitarbeiter(in) beim „Schnitt“ nicht richtig hingehört.
Im Rondo kommt das Verspielte nicht zu kurz oder sagen wir besser, es wird nicht ganz überspielt, denn Soltis Erzählung bleibt auch im letzten Satz spannend und auch hier wird mit unerbittlicher Dramatik zugespitzt. Solti wird sozusagen eins mit seinem Orchester und mit dem Geist des Werkes. So erfrischt und gestärkt kam wohl noch nie ein Held aus der Sommerfrische zurück in die „Welt“. So sehr gestärkt um sie aus den Angeln zu heben. Genau dieses Lebensgefühl hatte Mahler auch, als er diesen Satz schrieb. Der genaue Wortlaut ist uns zwar entfallen aber er meinte sinngemäß, dass ihm gerade jetzt alle seine Mittel vollends zu Gebot stünden und er das untrügliche Gefühl hätte, dass sie ihm noch lange erhalten bleiben würden. Das typische Lebensgefühl eines Mannes in seinen besten Jahren. Das Blatt hat sich gegenüber den ersten beiden Sätzen nun total gewendet und Solti macht dies mit seinem fast schon bedingungslosen Positivismus deutlich. Gerade nachdem er uns zuvor in die Abgründe der Existenz hat blicken lassen wird bei ihm die Trendwende ganz besonders deutlich, der abschließende Jubel wirkt fast schon überbordend oder gar grenzenlos. Genauso sollte sich Mahler die Katharsis vorgestellt haben. Hier kann man sie exemplarisch nachempfinden. Aber auch für Fans des ausdrucksvollen, feurigen Orchesterklangs mit Schmackes, die sich nicht der Mahler´schen Katharsis unterwerfen wollen, bleibt hier wahrlich kein Auge trocken. Das Orchester und besonders sein Leiter hatten sich bei der Aufnahme anscheinend direkt an das größte Chicagoer Kraftwerk angeschlossen, das würde wenigstens die unerschöpfliche Energie der Darbietung erklären. Die obligatorischen Kleinigkeiten, die Differenzen des Gehörten zur Partitur, die man immer nur mit dem Auge in der Partitur so richtig mitbekommt sind uns hier sicher entgangen, denn vom Gehörten gebannt haben wir von den ersten Tönen einmal abgesehen kein einziges Mal in die Partitur gesehen.
Der Klang der Aufnahme ist gekennzeichnet von einer sagenhaften Präsenz. Sie ist räumlich gut und präzise umrissen, das Instrumentarium gut gestaffelt. Blech und auch das Holz (bei vielen Einspielungen der Fünften der Verlierer) wirken ganz besonders plastisch und farbecht. Die Streicher fallen wie bereits erwähnt dagegen ab. Der Bassbereich ist superb gelungen, ebenso eine bis dahin noch nie und danach höchst selten wieder gehörte lebendig-brachiale Dynamik. Wir hörten eine japanische SHMCD mit messerscharfen Konturen, die die Grenzen der deutschen CD-Pressung und auch der deutschen LP deutlich verschiebt. Ein Glück, dass Decca damals über geniale Techniker verfügte. Dieses Mal war es jedoch (leider) nicht Kenneth Wilkinson, sondern Gordon Parry. Dass man die falschen Mikros für die Chicagoer Violinen mitgenommen hat, ist nur eine Vermutung von uns. Vielleicht war es auch ganz anders.
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5
Kyrill Kondraschin
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija, Eurodisc, Denon
1974
11:03 12:47 16:59 8:12 13:49 62:50
Diese Einspielung ist offensichtlich neben soliden Anbietern auch in die Hände von zweifelhaften Firmen geraten. Man kann sie bei Denon vom Moscow RTV Symphony Orchestra gespielt hören, bei Entertain Me Europe ebenfalls. Bei Melodija selbst spielt das Moscow Philharmonic Symphony Orchestra. Auf der LP-Veröffentlichung aus den 70ern, auf die wir zu Testzwecken ebenfalls zurückgegriffen haben, spielte seinerzeit das Svetlanov-Orchester, d.h. die Staatlichen Symphoniker der UdSSR. Die Spielzeiten sind bei allen Veröffentlichungen gleich, sodass wir in allen Fällen von derselben Aufnahme ausgehen dürfen, zumal stichprobenartige Hörproben dies bestätigt haben. Überprüfungen der angegebenen Aufnahmedaten ebenfalls. Der Hinweis, dass die angebliche Einspielung mit Moskaus Philharmonikern bereits 1967 stattgefunden haben soll, erwies sich als nicht haltbar, da andernorts 1974 angegeben wurde. Wer will nun bestimmen, welches Orchester tatsächlich gespielt hat? Lassen wir es einfach mal offen. Eines ist schon einmal klar, an die Chicagoer kommt es nicht heran und das Spiel weist allerlei Ecken und Kanten auf, woran man erkennen kann, dass das Orchester mit der Musik der Fünften noch nicht gänzlich vertraut war. Die Ecken und Kanten sind uns aber viel lieber als das glatte, klanggesättigte, widerstandslose Spiel vieler Orchester von heute, austauschbar und im Ausdruck verflacht. Mahlers V als Repertoire-Klassiker, den man mal eben so runterspielt. Applaus gibt es ja sowieso, dank des erlösenden Lichteinfalls im Rondo und natürlich der genialen Komposition, egal wie man sich bei der Aufführung angestrengt hat. Von dieser Haltung ist Kyrill Kondraschin denkbar weit entfernt.
Kyrill Kondraschin war von 1960 bis 1976 künstlerischer Leiter der Moskauer Philharmoniker, weshalb man diesem Orchester vielleicht einfach mal auch diese Einspielung zugesprochen hat. Im Jahr der Aufnahme, vielleicht sogar direkt für diese Aufnahme, das haben wir nicht mehr herausbekommen, bekam er 1974 die goldene Mahlermedaille verliehen. Er konnte bei der Aufnahme auf 60 Lebensjahre zurückblicken.
Schon die Trompetensignale zu Beginn erklingen mit militärischer Verve, nicht unbedingt als ob sie zu einem Trauermarsch rufen würden. Nicht einmal perfekt geblasen wirken sie schauerlich und beängstigend. Die von Mahler gewünschten „flüchtigen“ Auftakttriolen hören wir hier mit am besten realisiert. Der Marsch selbst könnte transparenter klingen, die Crux der frühen Aufnahmen, auch manch einer späteren noch. Das Orchester wird bis zu seinen Leistungsgrenzen gefordert (manchmal auch darüber hinaus) und klingt sehr ausdrucksvoll und dramatisch geschärft. Sein Klang wird nicht unwesentlich vom speziell klingenden russischen Blech geprägt (Posaunen!), das per se schon durchdringend klingt, dieses Mal mitunter wie mit einer silbrigen Klinge schneidend und gesteigert bis zur Brutalität. Wenn Kondraschin die Solti-Aufnahme gekannt hätte, würde das vieles erklären, denn die beiden Einspielungen ähneln sich durchaus. Beide versuchen das Ausdruckspotential der ersten beiden Sätze bis zur Neige auszureizen und stehen damit fast singulär (kann man das sagen, wenn es zwei sind?) in der Diskographie da. Diese hat eher noch mehr Ecken und Kanten als die Soltis (1970), was aber aus der etwas geringeren Spielfähigkeit des russischen Orchesters im Virtuosen und aus dem eher noch raueren Klang herrührt.
Zu der voll ausgespielten dynamischen Vehemenz (soweit es die russische Aufnahmetechnik damals darzustellen vermochte) gesellt sich im zweiten Satz eine auf die Spitze getriebene Dringlichkeit nicht nur zu Beginn, die die menschliche „Totalkrise“ nachvollziehbar werden lässt. Sie ist von Mahler mit seinen Mitteln in Musik übersetzt worden und Kondraschin folgt dem Komponisten kompromisslos. Selbst die melancholischen Rückblicke in eine andere (bessere) Zeit (vielleicht als die mittlerweile toten Geschwister noch gelebt haben?) werden bei ihm von Unruhe gequält. Der Durchführungscharakter ereilt sozusagen auch schon die Abschnitte zuvor. Die Durchführung selbst wird ganz besonders dramatisch geschärft, die Verzweiflung und Wut sind mit Händen zu greifen. Das Blech greift dabei zu drastischen Mitteln. Ihm ist es auch zu verdanken, dass der Choral als eine Vision des Paradiso (d.h. das was der Mensch eigentlich sein könnte, so wie es Mahler sich ersehnte) zu einem ganz besonderen Erlebnis wird.
Das Scherzo wirkt zwar tänzerisch angetrieben aber auch stark ironisch gebrochen wie in kaum einer anderen Einspielung. Das Holz artikuliert heftig, mitunter schrill, das Blech poltert ungeniert, die Phrasierung ist mehr als lebendig. Mahler wird hier als Vorläufer Schostakowitschs erlebbar. Das ganze Orchester schont sich nicht und langt ordentlich zu. Der Ländler wirkt durch eine Überbetonung der Eins besonders täppisch und derb. Die Chicagoer kamen bei ähnlicher Beanspruchung souveräner durch diesen spieltechnisch ganz besonders anspruchsvollen Satz. Ganz nebenbei: Am elegantesten und gesegnet mit einer geradezu schwerelosen Virtuosität ist dabei das Lucerne Festival Orchestra unter Abbado (2004).
Es folgt eine der zügigsten Darstellungen des Adagiettos der gesamten Diskographie. Kondraschin kennt „seinen“ Mengelberg und „seinen“ Bruno Walter. Der Satz erhält so einen besonders frischen, jugendlich-leidenschaftlichen Charakter, der wenig mit abgehobenen Träumereien zu tun hat. Streicheln, Küssen, Leidenschaft und Verzückung, das ganze Programm also, das alles liegt hier eng beisammen. Mahler wirkt so als Vorbereiter der „Verklärten Nacht“. Der „Intermezzo“-Charakter wird gewahrt, der Ausdruck zugleich intensiviert. Deutlicher als üblich hören wir die Harfe heraus. Auch in dieser Einspielung wird der Satz vor dem endgültigen Morendo von den Techniker(innen) gekappt. Also kein Verschwinden im pppp, wie Mahler das vorsah. Da waren mal wieder echte „Spezialist(innen)“ am Werk, die beim Schnitt auf ihren Ohren gesessen haben müssen.
Das Rondo gelingt wunderbar temperamentvoll, impulsiv und spritzig, wie ein Feuerwerk an Lebensfreude. Unser imaginärer Held sprüht nur so vor Tatkraft und scheint die Welt umarmen zu wollen. Diese Einspielung kommt im Gestus der 1970er Solti am nächsten. Trotz kleinerer spieltechnischer und aufnahmetechnischer Mängel ist diese Einspielung ein unverzichtbarer Bestandteil der Diskographie des Werkes.
Die Klangqualität ist im Solistischen sehr plastisch geraten, ebenfalls bei leisem Spiel von einzelnen Gruppen oder auch des Tutti, im lauten Tutti geht die Räumlichkeit geradezu ein, besonders die Perspektive in die Tiefe. Die Transparenz ist beim Blech sehr gut, bei den Streichern und beim Holz nicht. Da wird es teils mulmig. Teils klingt es aber auch erstaunlich plastisch, die Lautstärke und die Besetzungsstärke der Passage entscheidet. Es gibt ausgeprägte Stereoeffekte und die Streicher wirken mitunter etwas gepresst, die Dynamik hat mit dem entfesselten Mahler-Orchester stark zu kämpfen und weiß sich nur durch Kompression zu retten.
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5
Kirill Petrenko
Bayerisches Staatsorchester, München
Aufnahme und Sendung des BR, unveröffentlicht
2017, live
12:35 13:59 16:44 8:24 13:28 65:10
Kirill Petrenko war von 2013 bis 2020 GMD der Bayerischen Staatsoper, seit 2019 dann Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis es auch eine Aufnahme der Fünften mit seinem jetzigen Orchester auf Tonträger zu hören gibt, vielleicht ist ja unterdessen bereits eine zumindest in der Digital Concert Hall des Berliner Orchesters gelandet? Der Dirigent war bei der Direktübertragung aus dem Münchner Nationaltheater 39 Jahre alt.
Die Solo-Trompete erwischt, wenn nicht einen rabenschwarzen, so doch ziemlich schwarzen Tag. Sie patzt schon ziemlich am Anfang bei ihrem Solo kräftig. Und auch später immer mal wieder. Damit ist sie jedoch nicht allein, denn bei vielen echten Live-Aufnahmen, die man meist ja nur bei Direktübertragungen am Radio hören kann, passieren kleine oder größere Missgeschicke bei der Solotrompete oder (noch häufiger) beim Corno obligato im Scherzo. Man kann daran erkennen, dass auch die ausgebufftesten und besten Instrumentalisten bei den Soli in der Fünften nervös werden können. Wir weisen nur nebenbei darauf hin und nennen konsequent keine Namen. Im Studio sind die Bedingungen für Trompete und Horn ganz andere und nicht vergleichbar. Und auch wenn drei oder vier Mitschnitte einer Konzertreihe zusammengeschnitten werden, hört man immer saubere Soli. Das zusammengeschnittene Endprodukt wird dann von den Firmen immer noch als live verkauft.
Gegenüber dem Orchesterklang der Aufnahme von Zubin Mehta 2008 klingen die Bayern dieses Mal schlanker und leichter, was nicht nur an der datenreduzierten Rundfunkaufnahme gegenüber der klangsatten SACD von Farao liegen kann. Er wirkt mit Petrenko keineswegs dünner oder substanzloser, weniger homogen oder glanzloser. Er wirkt vielmehr frischer und lebendiger. An Spannung mangelt es bei Petrenko nicht. Von den neueren Aufnahmen tritt Petrenko am ehesten in die Fußstapfen von Walter, Solti und Kondraschin ohne dabei von einer „Reinkarnation“ sprechen zu wollen.
Beim zweiten Satz spürt man die Vehemenz des Spiels der Münchner eher als dass man sie tatsächlich hören kann. Die Rundfunkübertragung schiebt der entfesselten Vehemenz und dem Sturm der Verzweiflung gewissermaßen einen Riegel vor. Sie geht aber über das vom BRSO unter Jansons (ebenfalls live) gelieferte Maß hinaus, sodass wir das Gehörte mit dem richtigen Partner in Vergleich setzen können.
Das Scherzo wird emotional ziemlich aufgeladen, wirkt wie durchleuchtet und tänzerisch sehr inspiriert. Es wird beherzt gespielt und auffallend drastisch artikuliert. Der Spannungsbogen wird sehr gut gespannt, wie man es nur selten zu hören bekommt. Das Orchester zeigt sich, jetzt auch solistisch, in Bestform.
Im Adagietto stimmt einfach alles, auch das Tempo. Es fügt sich bestens zwischen Scherzo und Rondo ein und wirkt sehr inspiriert und inspirierend.
Entschlossen und „freudig“ wirft sich unser Held im Rondo ins wiedererlangte neue Leben. Der Gestus wirkt außerordentlich drängend, der Finalcharakter stark betont. Der Choral ragt erhaben aus dem besonders bewegten Umfeld hervor und wirkt majestätisch. Die Coda wirkt spritzig und scheint vor Lebendigkeit geradezu zu bersten. Frenetischer Beifall in München, wo man seinen Chef nicht gerne nach Berlin gehen ließ.
Die Darstellung wirkt im Ganzen frisch und unverbraucht. Leider wird die Liveübertragung von einer in den ersten beiden Sätzen nahezu indisponierten Trompete in Mitleidenschaft gezogen, sodass man wohl auf eine Veröffentlichung auf CD nicht zu warten braucht, obwohl die nächsten drei Sätze umso mehr begeistern. Sicher liefert man uns irgendwann eine Fünfte mit Petrenko aus Berlin nach.
Die 5.1. Übertragung des BR in Dolby Digital wirkt sehr transparent und wohlgeordnet, recht dynamisch und farbig.
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5
Rudolf Barshai
Junge Deutsche Philharmonie
Laurel, Brilliant
1999, live
11:51 14:26 18:25 8:16 15:45 68:43
Rudolf Barshai war Student bei Schostakowitsch, ein bedeutender Bratscher und Gründer und langjähriger Dirigent des Moskauer Kammerorchesters. Wie Kyrill Kondraschin (1979) emigrierte auch er in den Westen (1977). Als Mahlerdirigent ist er auf Tonträger wenig hervorgetreten, es gibt allerdings eine Einspielung der selbst von ihm erstellten Komplett-Fassung der unvollendeten Zehnten Sinfonie mit ihm und der JDP von 2001.
Der Trauermarsch ist geprägt von einem flüssigen Tempo in Solti-Manier bei dem der Kondukt sehr zügig voranschreitet. Das Orchester wirkt außerordentlich aufmerksam, mögliche Unerfahrenheit und fehlende Routine wird durch äußerst engagierten Enthusiasmus ersetzt. Nicht nur das Blech spielt außerordentlich zupackend und kraftvoll, auch das vollmundige Holz und die großartig spielenden (und sehr stark besetzten) Streicher. Den ersten Satz hört man höchst selten so mitreißend, katastrophisch zugespitzt und mit solchen sagenhaften Entladungen im dreifachen fff an den Höhepunkten, die selten einmal so gut getimt werden wie hier.
Auch im komplexeren zweiten Satz staunt man vor dem ganz erstaunlichen Selbstbewusstsein des jungen Blechs und die sonoren Streichergruppen überzeugen durch Fülle, Wärme, Präzision und Wucht. An stürmischer Wildheit mangelt es nicht. Zugleich wirkt der Orchesterklang immer noch entspannt, die Detailarbeit ganz ausgezeichnet was beides für die hervorragende Probenarbeit genauso spricht wie für die Qualität der jungen Musiker. Der Gestus erreicht beinahe den Hitzegrad der Solti-Einspielung (1970) ebenso wie der Spannungsverlauf. Das Orchester klingt tatsächlich noch ausgewogener als das CSO. Die exzeptionelle Stimmentransparenz erreicht man hingegen nicht, man spielt ja auch live in der Berliner Philharmonie und die Technik folgt dem Aufnahmeideal der 90er Jahre. Man will den großen Raum abbilden und verzichtet dafür auf die (hautnahe) Präsenz. Demoreif sind hingegen die Durchschlagskraft von Gran Cassa und vor allem auch des Tamtams. Als Instrument der Todesverkündung kommt insbesondere letzteres in vielen Aufnahmen definitiv viel zu kurz, was man als großes Manko verbuchen muss. Hervorzuheben ist auch der endlich einmal vollumfänglich hörbare Einsatz bei T. 545 im fff.
Im Scherzo bringt sich das Holz nachhaltig mit seiner zauberhaften Klangqualität in Erinnerung. Auffallend ebenso der sinnliche Klang der Violinen. Barshai nimmt den Seufzer Mahlers nachdem er befürchtet, dass die Dirigenten sein Scherzo viel zu schnell spielen lassen werden sehr ernst und drosselt sein Tempo gegenüber Solti und Kondraschin deutlich. Wir hören ein exzellentes Corno obligato, das bei seinem fff die ganze Philharmonie zu fluten scheint. Beide Solisten (auch die Trompete im ersten Satz) haben absolute „Sahnetage“ erwischt. Obwohl nur an einem Abend aufgenommen werden konnte, denn das Konzert in Berlin war eine einmalige Angelegenheit. Alle Achtung! Das Zusammenspiel des Orchesters wirkt kammermusikalisch, teils filigran oder intim, wie man es auch bezeichnen möchte. Es ist von äußerster Präzision und Geschmeidigkeit geprägt. Wir hatten übrigens den Eindruck, dass die Qualität des Gesamtklangs mit zunehmender Aufführungsdauer immer transparenter wird. Einzig bei Zi. 30 hören wir eine kleine Nachlässigkeit beim Holz. Die Stretta gelingt zum Niederknien.
Herr Barshai entscheidet sich beim Adagietto für die Mengelberg-Geschichte und Bruno Walters Tempogestaltung. Das bedeutet auch immer, dass der Dirigent sich gegen die notierten Tempobezeichnungen in der Partitur entscheidet. Die fordern eigentlich ein sehr langsames Tempo. Diesem Zwiespalt muss sich jeder Dirigent stellen. Manche entscheiden sich für das eine, andere für das andere Extrem, die meisten wählen mehr oder weniger unentschlossen ein Tempo zwischen den Extremen. In Berlin geht es dieses Mal zügig voran, lebendig mit recht gut hörbarer Harfe und einem eher herb-expressiven Klang, den wir aufgrund der vorangegangenen Sätze nicht unbedingt von den Streichern erwartet hätten. Trotzdem ist man dem CSO (noch mehr den Russen Kondraschins) hinsichtlich eines warmen Violinen-Klangs weit überlegen. Die nicht zuletzt wegen des Tempos relativ kurzhubige Phrasierung wirkt unruhig, drängend und ein wenig nervös und ungeduldig. Da spielen junge Musiker, und es geht um eine junge Liebe, das merkt man. Die wunderbare Homogenität bleibt jedoch unangetastet. Der Satz wirkt kontrastreicher als sonst und man dreht im Forte ungeniert auf. Wir hören mächtige Bässe, die sonst kaum einmal auffallen.
Im Rondo trifft man den Giocoso-Charakter vortrefflich. Der Satz erhält eine vorbildliche Transparenz und einen wunderbar expansiven Klang. Wie bereits erwähnt wirkt die Aufnahme nun noch transparenter als am Anfang. Und das bei einem fast schon lässig wirkenden locker-befreitem Spiel. Der Jubel wirkt auch in einem eher moderaten Tempo sehr befreiend, besonders wenn die kontrapunktische Klarheit so deutlich wird. Das Orchester zeigt ein fantastisches Durchhaltevermögen und erscheint bis zur Stretta völlig frei von Ermüdungserscheinungen. Das ist umso bewunderungswürdiger, wenn man bedenkt, dass es keine Korrekturmöglichkeiten gab (es sei denn man hätte die Generalprobe mitgeschnitten oder andere Probenmitschnitte gemacht, die man verwerten konnte). Orchester und Dirigent waren allerdings mit dem Werk noch auf einer kleinen Tournee, es ist jedoch nicht bekannt, dass dort wieder mitgeschnitten wurde. Alle Soli sind herausragend gelungen und auch die Gruppen spielen nahezu makellos.
Der Klang der Aufnahme erscheint offen und mit guter Transparenz (die sich sogar noch während des Konzertes zu steigern scheint), großräumig und mit einer guten Raumtiefe. Es gibt allerdings einen relativ großen Anteil an Schmelzklang. Der Orchesterklang ist auch dunkel-sonor und voluminös zu nennen. Bei der Besetzungsstärke hat man definitiv nicht gespart. Mahler wollte ja „alle Streichinstrumente in möglichst zahlreicher Besetzung“. Der Klang der Violinen (viel schöner als beim CSO 1970) ist hervorragend weich und homogen, der Zusammenklang sehr ausgewogen. Die Techniker (Jürg Jecklin als Aufnahmeingenieur und Bernie Grundman beim Mastering) haben sehr gute Arbeit geleistet.
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5
Claudio Abbado
Lucerne Festival Orchestra
Euroarts
2004, live
12:38 14:23 16:24 8:24 14:58 66:57
Nach den Einspielungen von 1980 in Chicago und 1993 in Berlin ist dies die dritte und letzte Einspielung der Fünften mit Claudio Abbado. Unserer Meinung nach ist sie die gelungenste. Musikalisch, orchestral und klangtechnisch. Leider ist sie nur als DVD und Blu-Ray erschienen, aber der von uns gehörte 5.1. DTS Master Audio Klang der Blu-Ray schlägt die beiden Vorgänger CDs klanglich locker aus dem Feld. Pikanterweise hat man sich im Rahmen der geplanten Gesamteinspielung aller Mahler-Sinfonien in Luzern für die Aufführung der Fünften den 100. Jahrestag der Uraufführung (1904) ausgesucht.
Anders als in Chicago und auch in Berlin macht das Orchester nun einen völlig auf den Dirigenten eingeschworenen Eindruck. Man erkennt viele bekannte Gesichter aus Berlin z.B. Albrecht Mayer, Stefan Dohr, Wolfram Christ, Stefan Schweikert, ein paar ehemalige Berliner z.B. Kolja Blacher oder Sabine Meyer mit Klarinettenensemble aber auch Antonello Manacorda als zweiten Konzertmeister, das gesamte Hagen Quartett und nicht zuletzt Natalia Gutman bei den Celli und für die Fünfte besonders wichtig: Reinhold Friedrich als Solotrompeter. Als Kern des Ganzen wirkt das gesamte Mahler Chamber Orchestra mit. Man darf also sagen: Das Luzerner Orchester spielt in absoluter Topp-Besetzung, wie man es später nicht mehr oft hören konnte. Die von Mahler gewünschte und als nötig erachtete solistische Exzellenz an allen Pulten ist gewährleistet und sie steht nicht nur auf dem Papier, man hört sie auch vom ersten bis zum letzten Ton. Der von schwerer Krankheit gezeichnete Maestro hatte sichtlich (diesmal sieht man ja sogar auch noch was beim Hören) seine Freude dran.
Wir hören Orchesterspiel vom Allerfeinsten mit einer ganz seltenen Brillanz, Homogenität, Sanftheit und einer fulminanten Durchschlagskraft wie aus dem Nichts heraus. Schon das Trompetensolo wird makellos und ausdrucksvoll mit einer seltenen Noblesse und Genauigkeit gespielt. Dass da einmal eine Militärtrompete Vorbild gewesen sein soll, müsste man sich dieses Mal vorher anlesen, man käme niemals auf die Idee. Der Satz wirkt auch weniger gedrückt und schicksalsschwer getragen als bei dem in dieser Hinsicht „führenden“ Leonard Bernstein (1987).
Ähnliches hören wir im zweiten Satz. Der Klang wirkt allgemein viel schlanker als z.B. in der 93er Berliner Einspielung, vom verunglückten Klang in Chicago wollen wir in diesem Abbado-Vergleich lieber gar nicht schreiben. Abbado gestattet sich nun als 71jähriger keine Übertreibungen mehr, nichts Überflüssiges und der Satz wirkt so in sich konsequent und schlüssig. Jeder Ton scheint dem vorherigen in absoluter Logik zu folgen als könne er gar nicht anders. Die Soli sind von bestechender Klarheit und Eleganz und besonders wo Mahler es fordert mit Wärme vorgetragen. Schockiert angesichts der persönlichen oder auch allgemeinmenschlichen Katastrophe, die Mahler in diesem Satz vor uns ausbreitet, ist man jedoch weniger als bei Solti, Kondraschin, Barshai oder Petrenko. Ob es daran liegt, dass man angesichts der gebotenen strahlenden, eleganten Virtuosität und der instrumentalen Eloquenz gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommt? Man müsste sich die Darbietung vielleicht noch einmal anhören und das Bild dabei ganz abschalten, um dem Grund genauer auf die Spur zu kommen. Aber als vorletzte von 134 Aufnahmen gehört haben wir darauf verzichtet. Perfekt ist übrigens auch bei Abbado nicht alles, denn das Tamtam, das auch ein wenig zaghaft angeschlagen wird, dämpft zu früh ab. Mahler schreibt hier explizit: „Klingen lassen“ und fff hört es sich auch nicht an.
Im Scherzo spielt derselbe Hornist wie bei Simon Rattle (2002), dieses Mal allerdings nicht vorne in der Position eines Solisten, sondern stehend an seinem Platz in der Horngruppe, wie es wohl meistens praktiziert wird. Er macht wie 2002 seine Sache vorzüglich, musikalisch und mit einem ehrwürdigen fff. Das konzertante Element, dass diesem Solo des Corno obligato hier innewohnt, wird so nicht zur Schau gestellt. Das ganze Orchester spielt ohnehin riesenhaft besetzte Kammermusik auf höchstem Niveau. Die Phrasierung wirkt ungemein schlüssig, die Tempi werden haarscharf aufeinander abgestimmt und sind lebendig ausgeformt. Die Stimmentransparenz ist absolut vorbildlich. Die verschiedenen in diesem Satz so schnell wechselnden Charaktere werden exemplarisch in bestechender Klarheit herausgestellt. Es fehlt weder an Anmut noch an Sentiment. Die Musik wirkt hier als wäre sie von ihren Erzeugern enthoben. Selten klang das Scherzo so wenig dunkel und so strahlend hell, ohne das Rondo stimmungsmäßig gleich vorwegzunehmen. Wir hören Perfektion auf allerhöchstem Niveau.
Abbado hat seine Tempi beim Adagietto von Aufnahme zu Aufnahme gesteigert und in Luzern wirkt es am schönsten. Vorgetragen mit einem richtig „singenden“ Cantabile (bei anderen wirkt es mitunter durchbrochen) gefühlvoll und sehr bewegt. Klanglich sehr sinnlich bis sanft entrückt. Die Liebeserklärung wirkt hier nicht so körperlich wie z.B. bei Barshai sondern eher geistig-transzendent. Die Liebe hat viele Gesichter, warum also nicht? Es gibt keine Dehnungen, keine Rührseligkeit, keine dynamischen Exzesse und schon gar kein Klagegesang wie bei einem Staatsbegräbnis.
Beim Rondo wacht Herr Abbado jederzeit hochkonzentriert aber gelöst über das mannigfache Treiben in seinem fabelhaften Orchester. Er genießt es sichtlich, Hochspannung und pure Spielfreude mitzuerleben. Den Choral hat man selten, wenn überhaupt, so krönend oder gar triumphaler gehört. Völlig zurecht gab es in Luzern Ovationen für Dirigent und Orchester. Selbst wenn es bei den zuvor gelisteten Versionen in den beiden ersten Sätzen dramatischer und schwärzer geklungen hat und vielleicht das schicksalhafte Inferno gerade des zweiten Satzes (das Pandämonium Mahlers) vehementer, so kann man mit Abbados drittem Streich sehr zufrieden sein. Dies ist die am besten gespielte (im Sinne von Schlackenlosigkeit) Einspielung überhaupt, wahrscheinlich aller Zeiten, aber genauso sind auch bei ihr nicht alle Dimensionen des Werkes restlos ausgelotet Aber kann man das überhaupt in einer Aufführung oder Einspielung? Wir meinen, hier ist man schon ziemlich nah dran. Das generell etwas sanftmütigere Konzept Abbados geht jedenfalls voll auf und wird - wie gesagt - von der ersten bis zur letzten Note stringent durchgezogen.
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5
Leonard Bernstein
Wiener Philharmoniker
DG
1972, live
12:21 13:21 17:58 12:00 13:34 69:14
Wie Claudio Abbado hat auch Leonard Bernstein Mahlers 5. Sinfonie dreimal eingespielt. In seiner nun vor uns liegenden mittleren Einspielung von 1972, die nur als Videoproduktion veröffentlicht wurde, befolgt er noch eher seine Tempovorstellungen, die er bereits in seiner ersten Einspielung von 1963 (New York) als richtig ansah. Bis auf das Adagietto, das seltsamerweise noch langsamer gespielt wird als in seiner Spätaufnahme von 1987 in der er seinem allgemein (auch bei anderen Komponisten) zu bemerkenden Drang zu bedeutungsschweren Tempi nachgab. Uns gefiel diese erste Aufnahme mit den Wienern, die ihm noch nicht so bedingungslos folgen wollten wie 1987, am besten. Da der Klang aber, wie es bei Videoproduktionen in jener Zeit oft zu beobachten ist, anscheinend auf die bescheidenen Möglichkeiten der damaligen Fernseher zugeschnitten war und man keine höchstwertigen Bandmaschinen mitlaufen lassen wollte, wie bei den LP-Produktionen, muss man gehörige Abstriche bei der Klangqualität in Kauf nehmen. Davon später mehr.
Bei seiner mittleren Einspielung, bei der der Dirigent 54 Jahre zählte, war viel Überzeugungsarbeit und Durchsetzungsvermögen zu investieren, um den Wiener Philharmonikern die immer noch wenig bekannte und wahrscheinlich noch weniger beliebte Fünfte schmackhaft zu machen. Dass man sie mit Bernstein nicht in der legeren Komfortzone wird runterspielen können, wurde den Musikern erst nach und nach klar, wie man den Probenmitschnitten entnehmen kann, die der Produktion beigegeben wurden.
Der Gestus wirkt vom Adagietto einmal abgesehen durchweg lebendiger als in der späteren Einspielung von 1987. Sehr eindrücklich und kompromisslos und immer noch mit den Mühen der Probenarbeit im Hinterkopf wirkt der erste Satz kompromisslos. Der Trauermarsch erhält ein betontes Schlagwerk und scheint in besonderem Maß vom jüdischen Trauergesang inspiriert zu sein. Immer wieder tritt die hell herausstrahlende Wiener Oboe mit ihrem Gesang hervor. Die Wiener spielen insgesamt besser als die New Yorker Kollegen 1963, anscheinend hat die tiefgreifende Probenarbeit letztendlich doch gefruchtet.
Drastisch und extrem aufgewühlt im Tempo mitreißend und geschärft dann der zweite Satz. Extrem gespannt, bissig und bis zum äußersten gesteigert. Interessant, dass „Lennie“ in dieser Einspielung sogar noch das Tempo von Solti (1970) unterbietet.
Im Scherzo hören wir ein sehr gutes Corno obligato, das sitzend aus der Horngruppe herausspielt. Die Wiener mit ihrem damals noch besonders kläglichen Oboenklang wirken für diesen Satz besonders authentisch. Kläglich meint dieses Mal sowohl schmal und hart aus heutiger Sicht gesehen, als auch besonders klagend. Es wird offenkundig, um wieviel deutlicher sich die damalige Wiener Oboe aus dem heute homogeneren Orchesterklang löst und auf sich aufmerksam macht als heute und besonders als bei anderen Orchestern. Im Scherzo tauen die Philharmoniker immer mehr auf und spielen sich sozusagen frei, ein Verlauf den man auch der nun viel entspannteren Mimik Bernsteins ansehen kann. Das Scherzo klingt vielgestaltig und wird in seinen Eigenheiten plastisch modelliert. Man hört trotz der antiquierten Klangtechnik viele Details und eine wie zusammenfassende atemlose Spannung. Es wird von einem starken rhythmischen Impuls getragen und wirkt wie das pralle Leben selbst. Grandiose Stretta.
1972 bietet das langsamste Adagietto der drei Einspielungen mit Bernstein. Es klingt innig und versunken, sehr melancholisch und expressiv, auch ungeheuer leidenschaftlich im Mittelteil. Bernstein lässt sich viel Zeit dafür, was durch die Tempoangaben Mahlers in der Partitur gedeckt ist. Er hält sich daran und übergeht die überlieferten Tempi der beiden Gewährsmänner Mahlers der ersten Stunde, Mengelberg und Walter. Auf der Habenseite steht, dass die Philharmoniker berückend schön spielen. Dies ist also eine ziemlich heftige Liebeserklärung, wenn man sie denn überhaupt für eine solche halten soll, vor Intensität berstend. Eine einfache Seele wäre wohl davon eingeschüchtert worden, wäre sie damit konfrontiert worden.
Im Tempo des Rondos trifft sich Mr. Bernstein wieder mit Herrn Solti (1970). Unser Held ist vom frisch gewonnenen Enthusiasmus beseelt und stürzt sich mit enormem Antrieb in die Welt hinaus. Die Philharmoniker artikulieren recht drastisch und der Gestus geht deutlich über ein unverbindliches Beschwingtsein hinaus. Mahler könnte genauso gut (bildlich gesprochen) Bäume ausreißen. Fast mit dem Feuer des Herrn Solti. „Die Welt gehört mir“, könnte sich unser Held sich gesagt haben. Bernstein bringt viele sinnstiftende Nuancen mit ein. Der Choral ist mehr als nur das i-Tüpfelchen. Hier wird ein Tor in eine andere Welt aufgestoßen.
Die so wichtigen Violinen in dieser Aufnahme erklingen nicht mit dem Glanz, den man von LPs oder CD-Umschnitten von Aufnahmen der frühen 70er Jahre, auch der DG, kennt. Der Klang von Video-Aufnahmen folgte lange anderen Prioritäten, so war es oft wichtiger, dass das Mikro nicht gesehen werden konnte, als dass es an der akustisch bestmöglichen Stelle steht. Wir hörten den 5.1. DTS Klang der DVD, aber nur kurz, denn es stellte sich heraus, dass der PCM-Klang in Stereo weniger hart und flächig war und sogar eine etwas bessere Tiefenstaffelung bot. Dynamisch wirkt die Aufnahme an den Höhepunkten eingebremst, man wollte die Bänder wohl vor einer frühzeitigen Sättigung bewahren bzw. ein Übersteuern verhindern. Die Gran Cassa findet sozusagen gar nicht statt. Klanglich wäre sowohl die 64er und besonders die 87er Aufnahme mit Bernstein deutlich vorzuziehen. Die 87er bietet einen in die Breite gezogenen Cinemascope-Klang, der nicht jedermanns Sache sein dürfte, aber in den Kerndisziplinen wie Stimmentransparenz, Frequenzbereich, Dynamik usw. deutlich überlegen ist. Klanglich fehlt es der 72er Produktion also an vielem, musikalisch ist sie interessant bis großartig, je nachdem was einem bei dem Werk am wichtigsten ist.
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5
Klaus Tennstedt
Concertgebouw Orchester Amsterdam
RCO
1990, live
14:28 15:47 18:30 12:11 14:44 75:40
Von Klaus Tennstedt existieren insgesamt vier Aufnahmen der Sinfonie, die uns bekannt sind. Zwei davon mit dem London Philharmonic (1979 und 1988, live) und zwei weitere Live-Aufnahmen (1980 in New York und als letzte die hier vorliegende aus Amsterdam. Eine weitere (also fünfte) gibt seit kurzem auch noch bei Hänssler mit dem Sinfonieorchester des NDR, Hamburg.
Herrn Tennstedt eilte schon zu Lebzeiten der Ruf voraus, er sei ein „Live-Dirigent“. Gewarnt vor Etikettierungen jeder Art hat sich sein Ruf jedoch auch in unserem Vergleich eindrucksvoll bestätigt, zwei seiner Live-Aufnahmen haben Einlass in unseren „Mahler-V-Olymp“ gefunden, wobei uns die Live-Performance mit dem Mahler-Orchester schlechthin, dem COA, am besten gefallen hat. Ihr größter Nachteil ist, dass man sie bisher nur im 14-CD-Set „Anthology oft the Concertgebouw Orchestra 1990-2000“ finden kann.
Dies ist eine Aufnahme des Niederländischen Rundfunks RNN. Einen Sender, den man inzwischen nur noch im Internet findet. Das Orchester befand sich seit zwei Jahren unter der Leitung von Riccardo Chailly und Herr Tennstedt stand vier Jahre von dem Abschied vom Dirigentenpult. Seinen Posten beim LPO musste er schon aus Krankheitsgründen beenden. Er ist 1990 gerade einmal 64 Jahre alt.
Die Sinfonie erklingt durch und durch emotionalisiert und profitiert in hohem Maß von der Mahler-Kompetenz des Dirigenten und des Orchesters und nicht zuletzt von dessen fantastischen Klang. Das Orchester klingt, obwohl es sich „nur“ um eine Rundfunkaufnahme handelt noch besser, gehaltvoller und dynamisch saftiger als das LPO in der Live-Aufnahme von EMI 1988. Es wurde aber auch präsenter abgebildet. Es geht schon mit einer bestechend körperhaft abgebildeten Solo-Trompete los, es schließen sich ein sehr glanzvolles Blech und der typische üppige Streicherklang des COA, besonders wenn das Orchester in großer Besetzung spielt, an. Die Höhepunkte werden noch intensiver ausgelebt als bei allen anderen Tennstedt-Einspielungen. Das Schluss-Pizzicato (des ersten Satzes) lässt Tennstedt dieses Mal viel kräftiger spielen als in London und New York. Trotz des recht langsamen Tempos wird Hochspannung erreicht und, wir dürfen es vorwegnehmen, die fast 76 Minuten vergehen wie im Flug.
Sehr stürmisch und vehement geht es auch im zweiten Satz zu, dabei ist es verblüffend, dass das Orchester niemals in irgendeiner Stimmgruppe auch nur ein Jota seines üppigen Klangs verliert, ein Phänomen, das wir auch etwas später in den Einspielungen mit Chailly und Jansons beobachten konnten. In der Einspielung mit Haitink (1970) war das noch anders. Das Spiel, obwohl außerordentlich intensiviert, klingt immer bestechend schön, was den extrem ausgekosteten und dadurch langsamen lyrischen Passagen der Reminiszenzen besonders bekommt. Der Spannungsfaden reißt nicht. Die drastischen Passagen der Wut werden hingegen mächtig aufgeladen, mit dem Furor, wie man ihn bereits ähnlich von Solti (1970) oder Kondraschin kennt. Das Ganze wirkt wie aus der Ich-Perspektive eines Bernsteins, besonders aus der 87er-Aufnahme bekannt, erzählt. Mit dieser Aufnahme Bernsteins haben die beiden späten Live-Einspielungen Tennstedts viel gemeinsam. Ob er sie gekannt hat? Die qualvolle Erschütterung der ganzen Existenz kann man in dieser Einspielung mit am besten nachempfinden. Wir verspürten eine starke Sogwirkung, die uns ins Geschehen hineinzog, obwohl wir eigentlich die langsamen Grundtempi gar nicht so schätzen.
Auch im Scherzo wähnten wir uns „tief drin“ in der Musik. Das Spiel des Orchesters wirkt höchst konzentriert, traumwandlerisch sicher und kammermusikalisch sprechend, blendend virtuos, strahlend brillant, ohne dass die Virtuosität veräußerlichen würde. Das langsamere Tempo wird gut genutzt. Die tief verwurzelte Mahler-Tradition scheint sich dem Orchester über die Jahrzehnte erhalten zu haben. Die besonders brillante Stretta heizt Tennstedt wild ein. Eine der besten und schnellsten überhaupt.
Im Adagietto wird das „Intermezzo“, so mittlerweile die „Lehrmeinung“ vom langsamen Satz der Fünften, bei Tennstedt zu einer weiteren Hauptsache, denn alle fünf Sätze erhalten einen tiefen Wert. Noch langsamer als in London und New York, scheint sich Tennstedt zeit seines Lebens den Aufnahmen Mengelbergs und Walters gegenüber verwahrt zu haben. Einen „Lernvorgang“ ist bei ihm nicht zu beobachten, eher noch eine Intensivierung des einmal als richtig erkannten. Wir erinnern uns, die Tempoangaben Mahlers hat Tennstedt auf seiner Seite. Ihm gelingt das Adagietto besonders schwelgerisch, nicht zuletzt wegen der Amsterdamer Streicher. Die Harfe ist gut hörbar und klingt auch ganz gut. Sie wird auch nicht überprominent abgebildet.
Sehr beschwingt, sogar fast überschwänglich lässt Tennstedt die Fugati des Rondos spielen z.B. ab Zi. 2. Perfektion und Homogenität des Orchesters sind für einen echten Live-Mitschnitt frappierend. Es darf gestaunt werden. Hier werden wir Zeuge einer echten Sternstunde. Das Juwel unter den Tennstedt-Einspielungen. Es wäre ein Gewinn, wenn man die Aufnahme separat veröffentlichen könnte und so einem größeren Interessentenkreis zugänglich machen würde.
Der Klang des niederländischen Mitschnitts ist erheblich dynamischer als bei EMI 1988, der schon nicht von schlechten Eltern war. Wir hören sogar eine echte Tiefenstaffelung, einen sehr tiefen Bass. Das Orchester wirkt sehr präsent. Sie wirkt nicht zuletzt dadurch packender als alle übrigen Tennstedt-Aufnahmen, der New Yorker Mittschnitt wird deklassiert und die 1979er EMI-Aufnahme unter Studiobedingungen erscheint aufnahmetechnisch und musikalisch dagegen als nicht einmal halbgar. Und das ist schon aufgerundet. Die Techniker haben sich in die Erfordernisse der Sinfonie sehr gut eingedacht und konnten ihre Erkenntnisse auch umsetzen.
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5
Francois-Xavier Roth
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Aufnahme und Sendung des SWR, unveröffentlicht
2012, live
12:15 13:43 16:22 9:37 14:46 66:43
Monsieur Roth war von 2011 bis 2016 Musikdirektor des Orchesters, also der letzte Chef bis zur Zwangsfusionierung mit der RSO Stuttgart. Danach wurde er GMD der Stadt Köln und damit auch Chef des Gürzenich Orchesters mit dem er die Sinfonie für Harmonia Mundi eingespielt hat. Nach Beendigung dieser Tätigkeit 2025 kehrt er sozusagen zurück zu einem Teil seines „alten Orchesters, das es dem Namen nach nicht mehr gibt. Er wird dann Chef des fusionierten RSO Stuttgart des SWR.
In diesem leider bisher unveröffentlichten Konzertmitschnitt aus dem Freiburger Konzerthaus handelt es sich um ein Benefizkonzert zur Sanierung des Freiburger Münsterturms. Man wollte der Aufnahme mit Michael Gielen, einer Ikone des Orchesters, anscheinend keine Konkurrenz machen. In Japan hätte man sie in jedem Fall ebenfalls veröffentlicht, wie wir am Label Exton sehen konnten.
Bereits ein Jahr zuvor, also im Jubiläumsjahr 2011 war das Orchester mit der Fünften beschäftigt, der Mitschnitt aus Mainz mit Pietari Inkinen liegt im Vergleich ebenfalls vor. Die Unterschiede sind subtil aber gut zu fassen.
Sehr ausdrucksvoll und mit sprechendem Gestus, warmer Tongebung, hohem Detailreichtum und höchstem Potential bei den Violinen wirkt das Spiel des Orchesters etwas spontaner und „abenteuerlustiger“ als bei Gielen. Bei den depressiven Passagen des Trauermarsches hängt die Spannung nie durch wie bei so vielen anderen Aufnahmen, die zu sehr ins Schleppen geraten.
Der Gestus im zweiten Satz wirkt wie auch in Köln sehr aufgewühlt und mit hoher Vehemenz. Man musiziert stark gestisch orientiert und entsprechend plastisch. Es fallen Details auf, die zuvor gar nicht oder nicht in dieser Deutlichkeit zu hören waren, weil sie in einen neuen Kontext gestellt werden. Trotz des Nuancenreichtums wird die große Linie nicht aus den Augen verloren. Die auffallend prominent eingesetzte Gran Cassa und das Tamtam machen den Satz noch dunkler und bedrohlicher als bei anderen Aufnahmen. Man öffnet beim ersten Auftreten des Chorals (hier noch als Vision des Paradiso) ein Tor mit einem Blick ins strahlende Licht. Leider wackelt es am Schluss ein wenig bei den „Glücksspiralen“, wie die Hörner in solchen Fällen gerne genannt werden.
Das Scherzo profitiert von einem teilweise turbulenten Tempo, wirkt wunderbar wechselhaft und rastlos, wie das Weltengetriebe nach Mahler eben so dargestellt werden sollte. Das Corno obligato steigert sich nach anfänglichen kleinen Problemen zu einer großen Leistung. Abenteuerlustig und frisch werden die Gefahren des Daseins unter vollen Segeln auch dank einer begeisternden Dirigentenleistung sicher umschifft. Uns gefällt der Live-Mitschnitt des Scherzos noch besser als die Aufnahme für Harmonia Mundi aus Köln.
Sehr kantabel und geradezu zärtlich abgestimmt und abgestuft wird das Adagietto gegeben, ohne die Leidenschaft ganz zu vergessen. Dem etwas schnelleren Tempo ist es zu verdanken, dass es in Freiburg ein wenig weniger melancholisch wirkt als in Köln.
Im Rondo greift Roth die Stimmung, den abenteuerlustigen Schwung und die Detailakkuratesse des Scherzos wieder auf. Das liebevolle Spiel, das sich in besonderer Nuancierungskunst niederschlägt, begeistert immer wieder. Der Verlauf innerhalb des Schlusssatzes wird stringent gesteigert. Wir hören einen relativ flotten, ungemein strahlenden Choral, der die gewonnene Lebensfreude zu krönen scheint.
Der Klang ist ausgewogen und mit einem satten Bassfundament versehen. Die Gran Cassa tönt mächtig wuchtig. Das Klangbild wirkt sehr breit und tief. Damals übertrug man im 5.1. Dolby Digital-Format. Rundfunktypisch wirkt die Dynamik ein wenig nivelliert.
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5
Markus Stenz
Gürzenich Orchester Köln
Oehms
2009
12:04 14:50 17:05 8:37 14:40 67:16
Nun sind wir beim Orchester der Uraufführung (1904) angelangt. Es hatte als „Aushilfe“ bereits die Uraufführung der Dritten Mahlers in Krefeld als Verstärkung des Krefelder Orchesters maßgeblich mitgetragen und Mahler war von ihm, wie wohl auch von der rheinischen Lebensart begeistert. Er hätte es sich vorstellen können in Köln zu bleiben. Es schrieb nach Wien: „Das Orchester ist entzückend, es ist eine wahre Freude.“ Später wollte er zumindest einige Kölner Musiker nach Wien zur Hofoper locken, was aber nicht gelang, denn die Rheinländer waren bodenständig und blieben lieber da, wo sie sich wohl fühlten, hielten dem Rheinland also die Treue.
Die Fünfte war für Markus Stenz seine Debut-Aufnahme bei Oehms zu zugleich der Startschuss für eine Gesamtaufnahme aller Sinfonien Mahlers. Er war von 2003 bis 2014 Gürzenich Kapellmeister, die letzten zehn Jahre davon GMD der Stadt Köln. Er hat die Fünfte bereits zuvor mit dem Melbourne Symphony Orchestra eingespielt, die ebenfalls gelungen ist, der wir die Kölner-Einspielung aber musikalisch und nicht zuletzt wegen des fulminanten 5.1.-Klangs der SACD vorziehen.
Denn alleine die kräftig zupackende, energische Dynamik des Uraufführungsorchesters, das sich hoch motiviert zeigt, geht weit über die des australischen Orchesters hinaus. Ebenso wirken das Tempo und die Gangart dramatischer, bewegter, denn das Tempo nimmt dem Trauermarsch die so oft anzutreffende Lethargie. In Melbourne muss man sich auch auf die zwei Kanäle der Stereo-CD bzw. des entsprechenden Downloads oder Streams beschränken. Die Dynamik wirkt entscheidend weniger wuchtig und vorantreibend. Die gut exponierte Trompete setzt sich übrigens gut gegen den entfesselten Kang des riesigen Orchesterapparats durch. Das Orchester präsentiert sich in sehr guter Form, um nicht zu schreiben Top-Form und empfiehlt sich so für die weiteren Aufnahmen des Mahler-Zyklus. Die Pilot-Folge ist bei Serien immer von besonderer Wichtigkeit. Wie 2002 in Melbourne erscheint das Schluss-Pizzicato erneut sehr sanft.
Den ersten Satz an Vehemenz noch übertreffend stürzt man sich in den stürmisch aufgewühlten 2. Satz. Das Orchester tritt dabei in die Fußstapfen des Concertgebouw und lässt an Wohlklang nichts zu wünschen übrig. Durch die transparente Technik bleibt der Klang auch im größten Getümmel glasklar. Das erlebt man so vor allem bei den guten SACDs und nicht zu vergessen bei der Blu Ray aus Luzern mit Herrn Abbado. Wiederum ist das Tempo um ein entscheidendes Maß schneller als in Melbourne, was die Dramatik und das Drängen noch steigert, da es in beiden Fällen durchaus an Vehemenz nicht mangelt. Mitunter führt ein schnelles Tempo besonders bei schwieriger Textur zum Verschleifen der Konturen und die Präzision lässt nach. Das ist dieses Mal in Köln nicht der Fall. In den lyrischen Passagen wird weniger gedehnt und spannender, sprechender phrasiert. Die Cellomonodie klingt fast gleich, in Köln hat sie jedoch mehr Bass-Anteile, was auch am mitschwingenden Subwoofer liegen dürfte. Der Choral wirkt bereits als Vision des Paradiso monumental, aber nicht statuarisch. Man kann durchaus einen signifikanten Unterschied zu seinem Wiedererscheinen im Rondo erkennen. Darum bemühen sich längst nicht alle am Vergleich beteiligten Dirigenten.
Im Scherzo hingegen ist uns kaum eine Änderung gegenüber der Melbourner Einspielung aufgefallen. Man ist nun etwas schneller und fideler. Das reicht schon, um aus dem gelassenen Eindruck einen drängenderen zu machen. Die Soli von Blech und Holz werden hervorragend geblasen und schließt das Corno obligato mit ein. Stenz gelingt eine gute Steigerung über den Satz gesehen.
Für seine Neuaufnahme in Köln schlägt sich Herr Stenz beim Adagietto nun eindeutiger ins Lager der Mahler-Pioniere Mengelberg und Bruno Walter. Trotzdem wirkt das Spiel der Kölner gebührend zart, sinnlich und schwärmerisch. Und dieses Mal noch leidenschaftlicher und verführerischer als in Melbourne. 4:0 für Köln.
Auch im Rondo gelingt dem Orchester eine virtuose, geschmeidige Darstellung. Den Stand der Dinge hat man gegenüber der Einspielung mit James Conlon deutlich verbessert. Die Lebensfreude wirkt in dieser Darbietung zunächst eher schwärmerisch als mitreißend. Aber man steigert sich diesbezüglich noch. Wird immer heiterer und lustvoller bis zur ausgelassenen Stretta. Diese Einspielung erinnerte uns an die von Christoph von Dohnanyi aus Cleveland, da klang es im Rondo ähnlich sonnendurchflutet. Wenn man eine 5.1. SACD abspielen kann ist die Aufnahme ein besonders empfehlenswerter Tipp, denn die gelungene Technik ist ein besonderes Pfund mit der die Einspielung wuchert. Ob sie zweikanalig ebenso überzeugen kann, haben wir nicht überprüft.
Die 5.1. SACD klingt sehr weiträumig und hervorragend gestaffelt und verfügt über einen enorm tiefreichenden Bass (dank Woofer auch voluminös), eine bärenstarke Dynamik und eine grandios mächtige Gran Cassa. Der Gesamtklang wirkt glasklar. Ein besonderer Bonus der Einspielung ist die gewählte deutsche Sitzordnung, wodurch dieses Werk noch transparenter wirkt als bei der amerikanischen. Nur wenige Dirigenten scheinen das erkannt zu haben.
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5
Mariss Jansons
Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam
RCO Live
2007-2008, live
12:22 14:58 18:38 9:16 15:45 70:59
Von Maris Jansons, der von 2004 bis 2015 Leiter des Amsterdamer Elite-Orchesters war, liegen uns drei Einspielungen vor. Alle sind mehr oder weniger live aufgenommen worden. Zwei Aufnahmen entstanden mit dem BRSO (2006 und 2016), dem er noch länger verbunden war, nämlich von 2002 bis zu seinem Tod 2019, und reihen sich für unsere Ohren deutlich (2006) bzw. minimal (2016) hinter der Amsterdamer Aufnahme ein. Dabei wäre bei dieser Amsterdamer Einspielung Skepsis ob ihres Gelingens angebracht, denn wir hören einen Zusammenschnitt von vier verschiedenen Konzertabenden, zwei fanden im Oktober 2007, zwei weitere im Januar 2008 statt. Nun, bei einer Studioproduktion macht man es ja auch so, dass man die gelungensten Partien aneinanderfügt und die misslungenen herausnimmt. Die Solotrompete und das Corno obligato konnten so mit mehr Ruhe an die Sache herangehen, obwohl man natürlich bei jedem Konzert sein Bestes gibt. Bei den echten Live-Aufnahmen, bei denen nur an einem Konzertabend aufgenommen wurde oder sogar direkt im Radio übertragen wurde, sieht das schon wieder anders aus. Die Gefahr bei einem Zusammenschnitt ist jedoch, dass sich der Gesamteindruck eines Satzes als ein akustisches Puzzele zeigt. Das wird richtig übel, wenn der Schnitt nicht perfekt arbeitet. Eine Kompromisslösung ist es, einen besonders gelungenen Mitschnitt eines Abends komplett als Vorlage zu nehmen und nur die unliebsamen Missgeschicke zu ersetzen. So scheint man hier vorgegangen zu sein, denn Brüche oder Nahtstellen sind uns nicht aufgefallen. Allerdings hat uns der Klang und das unerreicht farbenprächtige Spiel dieses fabelhaften Orchesters in dieser exzellenten Klangqualität der 5.0 SACD sofort in ihren Bann gezogen und wir wurden von seiner Sinnlichkeit verführt.
Das Tempo wirkt fließender als bei Tennstedt, der Gestus nicht so mit dem ungeniert herausgehauenen Wehklagen Soltis (1970) beladen. Die Innenbalance des Orchesters kann man nur als fantastisch bezeichnen, Opulenz und Farbenpracht sind konkurrenzlos, da kommen selbst die anderen Aufnahmen der Amsterdamer mit Tennstedt und sogar Chailly nicht ganz heran. Von Haitink (1970) ganz zu schweigen. Das Orchester präsentiert sich erneut in Bestform, spielt ungleich zügiger als bei Tennstedt aber genauso dringlich. Die Polyphonie wird in allen Sätzen hervorragend ausgeleuchtet und bestens zur Geltung gebracht. Jedoch nie trocken oder analytisch, sondern ähnlich wie bei Tennstedt und besonders wie bei Chailly sehr warmherzig, suggestiv und involvierend. Jansons ist kein Freund von extremer Gestaltung, nach unserer Beobachtung geht er von den drei Aufnahmen hier in Hinsicht auf dynamische Grenzerfahrung am weitesten. Der erweiterte Dynamikumfang der SACD unterstützt diesen Eindruck zusätzlich. Als CD abgespielt wirkt sie dagegen eher wie „eingeschlafene Füße“. Da wäre die Aufnahme mit dem BRSO von 2016 deutlich vorzuziehen.
Im zweiten Satz wirkt das substanzeiche, äußerst feine Spiel für manch einen Zeitgenossen vielleicht ein wenig glatt, die Vehemenz der wilden Eröffnung könnte tatsächlich ein wenig heftiger sein. Nur wer über SACD-Equipment verfügt, weiß den Dynamikgewinn der fünf gegenüber den zwei Lautsprechern gerade in diesem wild zerklüfteten Satz zu schätzen. Der Überfluss gegenüber dem Mangel, wenn man es einmal überspitzen will. Die vermeintliche Glätte ist so einem atemberaubend kontrastreichen, detaillierten Farbenrausch gewichen. Die Wiedergabe einer realistischen Klangfülle ist bei Mahlers Orchestergröße von extremer Wichtigkeit. Da ist die SACD, wenn sie gut gemacht wurde, einfach überlegen. Die Ästhetisierung wirkt bei Jansons nicht so sehr auf die Spitze getrieben wie bei Chailly, stattdessen gibt so etwas wie eine Kombination von Chaillys ungebremsten Schönklang, Soltis (1970) zehrender Leidenschaft und Bernsteins Psychoanalyse (1987). Die Choral-Vision wird voll ausgespielt, als könne sie bereits der Triumph sein, die Dekomposition am Satzende entlarvt sie endgültig als Trugbild.
Im Scherzo lässt Jansons und sein Orchester Einfühlsamkeit und Leidenschaft verschmelzen. Der Walzer erklingt mit höchster Sinnlichkeit, einer „Fin de Siècle – Stimmung“ ähnlich, das Dunkle mit der fast mysteriösen Herzensglut, die die Musik Mahlers bei ihren besten Stellen so besonders macht. Bei Jansons viel weniger als Albtraum als bei Chailly oder Bernstein. Die kämpferischen Auseinandersetzungen erinnern etwas an „Don Quixote“ von Richard Strauss. Sicher haben sie sich (argwöhnisch) beobachtet, die beiden größten Exponenten der „deutschsprachigen“ Musik jener Zeit. Das Corno obligato spielt fantastisch, ob es den vier zusammengeschnittenen Konzertabenden gedankt sei, ist für uns genießende Hörer/innen letztlich zweitrangig. Das Scherzo bietet auch ungebremste Volksfeststimmung. Im technisch vielleicht schwierigsten Satz auf höchstem Niveau dargeboten. Erneut untermauert das COA seinen Ruf das beste Mahler-Orchester zu sein, zumindest wenn solche Kaliber wie Jansons, Chailly oder Tennstedt am Pult stehen.
Im Adagietto dringt man tief ins Klanggewebe ein, glutvoll und leidenschaftlich, aber wie meist bei Jansons mit Maß und Ziel. Wenig serenadenhaft oder intermezzohaft aber auch kein Klagegesang. Erotisches könnte man sehr wohl heraushören, wenn man es darauf anlegt. Die Stimmenpräsenz und -transparenz ist herausragend. Wir hören einen Streicherklang der Extraklasse, leuchtend, klar, weich, körperhaft mit sattem Bass und in die Relationen zu den anderen Sätzen gesehen mit einem stimmigen Tempo. Es ist bei aller Sinnlichkeit nicht das reine Glückserlebnis, eine schmerzliche Tönung bleibt. So soll es wohl auch sein.
Beim Rondo haben wir uns auf ein sprachloses Zuhören beschränkt und keine Notizen gemacht. Besser geht es eigentlich nicht, denkt man währenddessen, wenn man überhaupt etwas denkt, nur anders. Wenn man Solti danach wieder ein paar Sekunden hört, werden die Relationen allerdings wieder zurechtgerückt. Am Ende der Darbietung hört man grenzenlosen Jubel, wie ihn auch das altehrwürdige Concertgebouw nur selten erlebt.
Der Klang der Aufnahme ist noch etwas besser durchhörbar als bei der audiophilen Decca-Aufnahme mit Chailly. Das voll besetzte Concertgebouw wirkt noch etwas weniger hallig bei hervorragender Stimmentransparenz und schön ausgeleuchteter Raumtiefe. Im Stereomodus wirkt die Aufnahme weniger dynamisch und der Bassbereich klingt weniger mächtig als bei Chailly. Als CD gehört wirkt der Gesamtklang leicht distanziert und letztlich ist er in fast allen Belangen der Decca-CD mit Chailly unterlegen. Als SACD bietet sie jedoch noch mehr Pfeffer im Dynamischen, einen größeren, noch besser ausgeleuchteten Raum, eine „anmachendere“ Präsenz und ein noch besseres Mittendrin. Farbiger kann man ein Orchester nicht präsentieren und die Transparenz ist als SACD exemplarisch. Bass und Gran Cassa sind exzeptionell. Glanz und Gloria aus fünf Lautsprechern statt aus zwei.
Als SACD ein Klangjuwel, als CD gehört leider nicht einmal erste Wahl.
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5
Leonard Bernstein
Wiener Philharmoniker
DG
1987, live
14:30 14:57 18:58 11:11 14:58 74:31
L.B. war nicht unwesentlich an der postumen Mahler-Renaissance in den 60er Jahren beteiligt. Er wurde sozusagen postum zu einem Förderer des Komponisten. 1960 begann er als erster Dirigent mit der Einspielung seines ersten Mahler-Sinfonien-Zyklus. Er begann mit der Vierten. Er fühlte sich Werk und Person Mahlers eigenen Aussagen zufolge geradezu existenziell verbunden. Die „Seelenverwandtschaft“ (beide waren zumindest einmal komponierende jüdische Dirigenten, die zwischen Judentum und Assimilierung standen mit allen Problemen, die sich daraus ergeben konnten und, dies nur eine äußerliche Verwandtschaft, beide waren Chef der New Yorker Philharmoniker) ging schließlich so weit, dass er sich als Nachfolger Mahlers auf Erden sah. In Wien besuchte er, nicht zuletzt um Mahler noch näher zu kommen, Psychoanalytiker, die man als Nachfolger Siegmund Freuds bezeichnen kann, da Mahler ebendiesen selbst konsultierte. Übrigens wegen seiner Eheprobleme mit Alma. Wenn wir uns recht erinnern stand das in einer Biographie Bernsteins.
Die Aufnahme entstand anlässlich einer Tournee des Orchesters durch Europa in der Alten Oper Frankfurt. Der Dirigent war nun 69 Jahre alt und wird mit dieser Einspielung zu einem Antipoden zu Soltis 1970er Einlassung. Während Solti der unerbittlich feurige Dramatiker ist, wird Bernstein mehr noch als in den älteren Einspielungen von 1963 und 1972 zu einem Ich-Erzähler.
Sehr langsam aber außerordentlich atmosphärisch klingt der erste Satz nun bei Bernstein. Das Tamtam kommt als Instrument der Todesverkündung (Bernstein weiß das) trotz des pp sehr gut durch, oft hört man es in anderen Aufnahmen gar nicht. Die Trompete hat einen guten Tag erwischt, klingt strahlend hell, wirkt aber nicht über Gebühr erhaben, was auch an der weit klingenden großen Bühne der Alten Oper Frankfurt liegen mag, die betont räumlich abgebildet wirkt. Die Phrasierung wirkt allenthalben schmerzlich und stechend, aufgewühlt, voller Trauer, schluchzend und erschütternd, auch da, wo andere scheinbar gleichgültig drüber hinweg musizieren, Der Klang der Violinen ist, wenn man das leicht Glasige und Kühle noch ein wenig vom relativ frühen Digitalklang in Abzug bringt, über jeden Zweifel erhaben und bringt hier noch einen gewissen morbiden Unterton mit ein. Man vergleiche damit nur die nur einige Jahr später erfolgte Aufnahme mit Boulez, so ist die frühdigitale Hypothek beim Franzosen zwar verschwunden, das speziell Morbide aber auch. Bei Zi. 18 wird der Höhepunkt als Zusammenbruch plastisch herausgearbeitet, der sensible Hörer oder die Hörerin könnte „Gänsehaut“ bekommen.
Beim zweiten Satz ist das langsamere Grundtempo Bernsteins mittlerweile längst zum „Mainstream“ geworden. Er verschleppt aber nicht und lässt die schnellen Passagen der Auflehnung (und der „Wutausbrüche“) denkbar schroff dazu kontrastieren, Elemente der Trauerbewältigung (Schluchzer oder Seufzer) werden bei ihm drastisch herausgestellt. Das Tamtam ist auch in diesem Satz ein gut hörbarer Begleiter, man wird viel bewusster darauf aufmerksam gemacht als bei anderen Darstellungen. Ein hartnäckiges Omen. Vom ersten bis zum letzten Takt wird die Hochspannung mit einem großen Bogen gespannt., was dem Detailreichtum keinen Abbruch tut. Das Orchester macht live im bei einem einzigen Konzert in Frankfurt aufgenommenen Mitschnitt einen ausgezeichneten Eindruck. Sehr plastisches Auflösungsfeld am Ende des zweiten Satzes.
Die Dauer, die Bernstein dieses Mal für das Scherzo braucht wäre normalerweise als grenzwertig zu bezeichnen. Er hält es durch starke Akzentuierung, hohe Detailfülle und den spannungsreichen Duktus gut in Bewegung. Hinzu kommt die dieses Mal eher wohlig warme Tongebung der Wiener Streicher. Der Walzer taumelt und scheint Ausdruck einer untergehenden Welt zu sein. Als ganzes versteht Bernstein den Satz nun doppelbödiger als zuvor und er macht ihn plastischer. Das Horn hat einen Glückstag erwischt, spielt allerdings, wie die Trompete im ersten Satz, von weit hinten aus der Gruppe heraus, sodass man kleinere Ungenauigkeiten gar nicht so bewusst wahrnehmen würde. Übrigens hat man die nun klanglich nicht mehr so wie noch 1972 aus dem Holzbläsersatz herausknallende Oboe selten tatsächlich so schüchtern bei T. 329 hervorspitzen gehört. Die disparaten Stimmen werden glasklar offengelegt und sind bestens verfolgbar. Trotz aller Leidenschaft hätten wir uns das Tempo im Scherzo etwas schneller gewünscht. Das gesamte Blech spielt zum Niederknien, besonders die Trompeten wirken ungeheuer strahlkräftig. Die Wiener legen sich nicht für jeden Dirigenten so sehr ins Zeug wie für Bernstein. Die Zeiten haben sich in Sachen Mahler auch ei den Wiener Philharmonikern gewandelt.
Beim Adagietto erreicht Mr. Bernstein fast wieder das Tempo von 1963. Auf jeden Fall hat er den langen Atem dafür. Die Harfe wirkt bestens in den luxurösen Wiener Streicherklang eingebettet. Er folgt auch 1987 den Tempoangaben Mahlers („Sehr langsam, Molto Adagio, wieder etwas drängend, wieder äußerst langsam zurückhaltend, morendo“) weniger den Vorstellungen von Mengelberg und Bruno Walter. Innerhalb der dritten Abteilung hat Mahler das Adagietto als Vorspiel konzipiert. Hier ist es ein Ruhepol der wahrlich noch bedrängten Seele. Die Traumwelt wird durch die Tempowechsel im Mittelteil stark untergraben. Das Spiel der Streicher, insbesondere der Violinen und ihr Klang kann als beispielhaft gelten. Der Tempowechsel in die reiche Welt der Natur im Rondo gelingt ihm schlüssig, es wird so ein Tor in eine andere Welt geöffnet.
Die Artikulation im Rondo wirkt dann sehr deutlich und bewusst. Zumal für eine Live-Aufnahme erreicht man ein sehr hohes Präzisionsniveau. Bei Bernstein findet ein allmähliches Erwachen und eine sukzessive aber stetige Steigerung der Kräfte statt. Schließlich wirkt der Gestus herrlich impulsiv und vorantreibend. Die polyphonen Strukturen sind „sonnenklar“ und die Tiefe dieses Satzes, der oft überspielt und lediglich vordergründig wirkt, wird voll ausgelotet. Im Choral geben besonders die Wiener Trompeten ihr allerbestes.
Der Klang der Aufnahme ist von allen drei Einspielungen Bernsteins der beste. Breitbandig, strahlend, wuchtig, sehr klar und recht ausgewogen. Leider krankt es noch ein wenig an den Kinderkrankheiten der frühen Digitaltechnik. Dennoch wird der Klang der Violinen ganz gut wiedergegeben. Das Tamtam und die Gran Cassa werden sehr gut exponiert und musikalisch sinnvoll ins Klangbild aufgenommen. Man hört kaum Geräusche vom Publikum, wenn überhaupt dann nur gedämpft und leise.
Ein Phänomen zeigt sich bei fast allen Dirigenten, auch bei Mr. Bernstein: Sie werden mit zunehmendem Alter immer langsamer bei Mahler V.
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5
Paavo Järvi
HR-Sinfonieorchester
Aufnahme und Sendung des HR, unveröffentlicht
2011, live
2012, live
12:16 14:53 17:33 9:52 14:07 68:37
Von Paavo Järvi hatten wir zwei Live-Übertragungen zur Auswahl beim Vergleich vorliegen. Die eine stammt aus dem Kloster Eberbach aus dem Mahler-Ehrenjahr zum 150. Geburtstag, die andere wurde ein Jahr später (im Mahler-Gedenkjahr zum 100. Todestag) in der Alten Oper ausgestrahlt. Wir entschieden uns, um den Vergleich nicht noch weiter aufzublähen, nur die Aufnahme aus der säkularisierten Klosterkirche zu hören, da sie den geringfügig besseren Klang bot. Da wundert man sich schon, dass die Akustik in einer Klosterkirche besser klingt als im angestammten und fest verkabelten Konzertsaal des Orchesters, in dem die Techniker Konzert nach Konzert aufnehmen. Vielleicht lag es daran, dass man in Eberbach zugleich für eine Produktion aufnahm, die später auch auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht werden sollte und man sich deshalb besonders viel Mühe gab. Mönche scheinen in Eberbach übrigens nicht mehr zu wohnen, die Baulichkeiten werden nur noch weltlich genutzt. In den Jahren von 2008 bis 2013 wurde das Rheingau Musik Festival in Kloster Eberbach als Haupteinspielort für Paavo Järvis Mahler Sinfonien Zyklus herangezogen. Nur „aushilfsweise“ ging man auch in die Alte Oper oder ins Kurhaus zu Wiesbaden.
Paavo Järvi war von 2006 – 2013 Chefdirigent des HR-Sinfonieorchesters. Dazu in der Saison 2010/11 dann auch noch des Orchestre de Paris und 2012 sogar des japanischen NHK Symphony Orchestra. Heute ist er künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Tonhalle Orchesters Zürich. Und last but not least ist er der langjährige Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, eine Position, die ihm besonders am Herzen zu liegen scheint.
Wie in fast jeder echten Live-Aufnahme klingt die Solo-Trompete nicht ganz sauber. Dieses Mal jedoch nur beim ersten Ton. Sehr bewegt und aufgewühlt lässt Paavo Järvi das Tempo auch nicht in den betont depressiv-trauernden Passagen schleppen. Das Tempo erscheint konsistent. Das Orchester spielt sehr aufmerksam, sehr zuverlässig und sinnlich, was auch in einem Trauermarsch nicht verkehrt sein muss, wenn der Gestus stimmt. Das Schluss-Pizzicato der Streicher klingt bei Herrn Järvi sehr kräftig. Mahler schreibt nur sf dabei und verzichtet auf eine Lautstärkeangabe, weshalb der Satz auf völlig unterschiedliche Weise zu Ende geht.
Wild und aufgewühlt mit kräftigem Blech beginnt auch der zweite Satz, stark gespannt von A bis Z und mit Biss artikuliert, auch noch späterhin. Die traurig singenden Celli im Seitensatz und bei ihrer Monodie ab T. 188 verlieren sich nicht im Raum, obwohl sie nur pp zu spielen haben. Järvi achtet auf plausible Relationen und bringt das ebenfalls im pp gewünschten espressivo nachhaltig zu Gehör. Meist hört man nur das pp und das espressivo muss man sich selbst dazu denken. Und überhaupt wirken auch die Details nuancenreich durchgeformt und artikuliert. Dabei schießt man jedoch nie über das Ziel hinaus. Das Tritonusmotiv und die „Infernofiguren“ des Holzes werden angesichts der Kirchenakustik, die die Techniker des HR allerdings vorbildlich im Griff haben, bestmöglich herausgebracht. Es wird sprechend artikuliert und man achtet auf einen zugleich ziemlich vorantreibenden, drängenden Gestus. Das Blech ist beim Choral sehr standhaft, es erhält auch die vom HR fast schon gewöhnte kräftige Unterstützung von allem was im Bass spielt. Sehr eindringlich.
Das Scherzo wird spielerischer und viel differenzierter (auch in der Dynamik) gespielt als ein paar Jahre später unter Järvis Nachfolger Orozco-Estrada, der das Werk 2017 erneut (in der Alten Oper) zur Aufführung brachte. Das hervorragend spielende Corno obligato wird zudem bei Järvi besser aus der Horngruppe herausgelöst. Järvi lässt sich auch gefühlt mehr Zeit für die einzelnen Abschnitte und verleiht ihnen ein charakteristisch gezeichnetes Gesicht. Er lässt Melodien besser erblühen, nutzt ein eindringliches Rubato und das Orchester spielt unter ihm in diesem Satz empathischer. Bei ihm wirkt auch der Klang der dafür besonders empfänglichen Violinen sinnlicher. Alles wirkt so, als hätte es Hand und Fuß bei einer sehr guten Stimmentransparenz.
Das Adagietto wird bei Järvi mit feinerem Pinsel gemalt, recht flott und ziemlich aufgeregt, aber nicht allzu aufgewühlt im Mittelteil. Insgesamt ziemlich leidenschaftlich gar liebesentbrannt, mit großer Erwartung. Insgesamt gefühlvoller als bei Orozco-Estrada.
Das Rondo klingt angetrieben und gut gelaunt, geschmeidig-frisch und abenteuerlustig. Sehr gute Tempowahl garniert mit einem freudig-triumphalen Ende.
Wie bereits erwähnt klingt die Direktübertragung etwas plastischer und räumlicher als ein Jahr später in der Alten Oper (beides 5.1-Übertragungen). Das Orchester wirkt bassstark und erneut mit einer kräftigen Gran Cassa ausgestattet. Der Raum öffnet sich stark nach hinten, was wahrscheinlich dem Kirchenschiff geschuldet ist. Es gibt keinerlei Probleme mit zu viel Hall. Unser Mitschnitt klingt zugleich etwas fülliger, wärmer und luftiger als die Aufnahme mit Orozco-Estrada von 2017, die wir allerdings „nur“ in Stereo beim ARD-Nachtkonzert mitgeschnitten haben. Nur in leisen Passagen sind Geräusche vom Publikum zu hören.
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5
Robin Ticciati
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Aufnahme und Sendung des RBB, unveröffentlicht
2023, live
11:42 13:54 16:45 8:30 14:30 65:21
Robin Ticciati ist seit der Saison 2017/18 künstlerischer Leiter und Chefdirigent des DSO. Er war bei der Aufnahme 40 Jahre alt.
Der Trauermarsch wird relativ stark rhythmisiert und bleibt immer im Fluss, die starken Kontraste, die Dirigent und Orchester bei den Schmerzensschreien der Verzweiflung setzen, werden von der Rundfunkübertragungstechnik nur unzureichend transportiert, wie bei BR und HR bisher auch schon. Ansonsten hätte wohl fast die Intensität eines Georg Solti (1970) erreicht werden können. Wir hören eine sehr gute Solotrompete mit Nerven aus Drahtseilen und einen ausgezeichneten Orchesterklang, sämig, weich und voll, denn auch bei der Besetzung hat man sich nicht lumpen lassen. Das Podium der Philharmonie ist bis auf den letzten Platz besetzt, eine Info, die der Moderator der Sendung verlauten lässt. Insgesamt wirkt der erste Satz weniger mit militärischem Drill ausgeführt als allgemeinmenschlich durchdrungen und musikalisch sehr bewegt.
Der musikalische Fluss bei der Gestaltung des zweiten Satzes wird anscheinend als etwas wichtiger angesehen, als extreme Werte bei der Vehemenz aufzusuchen, nichts wird überzeichnet oder so scharf gezeichnet wie bei Solti oder Bernstein. Das hindert das DSO jedoch nicht daran seine ganze Wucht in die musikalischen Turbulenzen hineinzuwerfen. Sein Klang wirkt dunkel und zeichnet sich durch eine hervorragende Stimmentransparenz aus. Der Choral wirkt noch ein wenig zurückhaltend, man hat ihn als „Vision des Paradiso“ erkannt, was man bei seinem erneuten Auftauchen gegen Ende des Rondos dann auch bestätigt sieht.
Dem Scherzo wird in Tempo und Artikulation eine gute tänzerische Bewegung mitgegeben. Die Hörner sind, wie so oft bei echten Live-Aufnahmen, nicht ganz perfekt, auch nicht das Corno obligato. Es wird durchweg die Spannung gehalten, was bei dem vielgestaltigen, langen Satz gewiss nicht einfach ist. Der Vortragsstil wirkt besonders nuanciert und recht leichtfüßig.
Das Adagietto profitiert vom dunklen, warm getönten, „fruchtigen“ und farbigen Klang der Berliner Streicher. Man spielt entspannt, aber ausdrucksvoll, ohne „Endzeitstimmung“ hervorzurufen, sondern leidenschaftlich und jugendlich. Die Kantabilität bleibt trotz des flotten Tempos gewahrt.
Im letzten Satz findet Ticciati zu einer leichten Rondo-Eleganz, dargeboten mit einer unaufdringlich wirkenden, aber de facto eben doch bestechenden Virtuosität. Es wird pointiert phrasiert, aber eher subtil als grob. Die Darbietung wirkt schlüssig und überzeugend, vielleicht weniger überrumpelnd als viele andere und dadurch auch versehen mit einem die „Uneigentlichkeit“ dieses Satzes unterstreichenden Understatement. Bestechend auch in diesem Satz ist die warme Strahlkraft der Violinen, aber auch auf die wohlklingenden, brillanten Bläser ist Verlass.
Der Dirigent meinte im Pausengespräch, dass Mahler das „Licht“ durch die Freude am Kontrapunkt findet, deshalb erscheint der Choral auch nur so kurz als ein flüchtiger Blick auf Utopia (als das, was wir Menschen sein könnten). Deshalb wäre er auch so schnell wieder verschwunden.“ Das sehen wir genauso. Die Stretta in dieser Aufführung klingt dann eher deutlich als exaltiert, vielleicht doch eher als Frage- denn als Ausrufezeichen.
Die ganze Darbietung hinterließ bei uns einen sehr gut durchdachten und stringenten Eindruck. Partiturgenau (wenn man einmal vom flotten Adagietto absieht) und mit eigenen, schlüssigen Gedanken, die meisterhaft verwirklicht werden. Man muss also keineswegs mindestens 60 sein, um ein guter Mahlerinterpret zu sein.
Der Klang der Aufnahme suggeriert einen warmen, üppigen Streicherklang. Wir hören eine sehr gute Transparenz und eine für Rundfunksendungen klassischer Konzerte gute Dynamik. Die Aufnahme des RBB wirkt ausgewogen und natürlich.
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5
Riccardo Chailly
Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam
Decca
1997
12:50 14:55 17:42 10:16 15:22 71:05
Von 1988 bis 2004 war Riccardo Chailly Chef in Amsterdam, bevor er den Stab an Mariss Jansons weiterreichte und sich selbst zum Gewandhaus nach Leipzig verabschiedete. Zur Zeit der Aufnahme war er 44 Jahre. Es gibt mit ihm und den Leipzigern auch noch eine Videoeinspielung der Fünften aus dem Jahr 2013. Auf sie hatten wir leider keinen Zugriff.
Wir hören erneut ein äußerst subtiles, hochdifferenziertes und extrem kultiviertes Orchesterspiel. Kein auch noch so kleines Detail des vielschichtigen Orchestersatzes geht dabei verloren. Notengenau und sehr ausdrucksvoll wird das tiefe Gefühl des schmerzhaft Zerrissenen ausgelotet. Als Ergebnis lösen Interpretation, Spiel und Aufnahme zumindest einmal bei uns tiefe Betroffenheit aus, ähnlich wie bei der 1970er Soltis.
Besonders im zweiten Satz kommt es im leeren Concertgebouw zu einem minimalen Nachlassen der Stimmentransparenz, nicht zuletzt auch weil das Orchester ordentlich zulangt. Dieses Nachlassen war bei den Live-Aufnahmen im voll besetzten Raum bei Jansons und Tennstedt nicht zu beobachten. Wir hören alle Orchestergruppen im besten Zusammenspiel mit den anderen und jede für sich mit einem geradezu verschwenderisch schönen, sinnlich-lukullischen Klang. Das ist, gerade wenn es um die Abgründe menschlicher Existenz geht immerhin schon ein kleiner Trost, der da mitschwingt. Das äußerst einfühlsame Spiel, empathisch-mitleidsvoll wirkt im Gestus bedächtiger als bei Solti oder Barshai und ähnlich tiefschürfend wie bei Bernstein (Wiener, 1987), jedoch nicht weniger dringlich. Die Vision des Paradiso klingt großartig und erhaben, aber nicht mit dem gleißenden Glanz wie bei Solti.
Im Scherzo macht in einer teilweise albtraumhaften Atmosphäre ein hervorragendes Corno obligato auf sich aufmerksam. Es spielt entsprechend gespenstisch sicher und wie das ganze Orchester auf fast schon magische Art und Weise klangvollendet. Es wird sehr vorteilhaft hervorgehoben, ohne zu dominant zu werden. Die Hörner in dieser Aufnahme entwickeln eine phänomenale Durchschlagskraft. Das Scherzo wirkt sehr gewichtig, ohne dass es schwer gespielt wäre, es wird zum Zentrum der Sinfonie, als welches es ja auch komponiert wurde. Innerhalb der Geschichte ist es jedoch nur eine Zwischenstation. Die Stretta hüllt jedoch „die Welt“ in ein so helles Licht, dass sie die Sinfonie auch schon beenden könnte. Das hätte, wenn es sich um eine Live-Einspielung handeln würde, zumindest Zwischenapplaus gegeben, wie er bei einigen Rundfunkübertragungen zu hören ist.
Chailly nutzt anscheinend nicht die Partitur seines früheren Amtsvorgängers Willem Mengelberg, sein Tempo passt aber im Adagietto ganz gut zu dem der anderen Sätze und vor allem zu den Klangeigenschaften seines Streichorchesters, was natürlich nicht heißen soll, dass dieses nicht auch in einem anderen Tempo super klingen würde. Es scheint aber auch wichtig zu sein, dass das Verhältnis der Sätze untereinander passt. Vor allem könnte es kaum schöner klingen. Wer könnte dem Satz den Titel „Idyllischer Liebestraum“ verweigern? Schön ausdrucksvoll und tiefgründig zugleich.
Die in fast allen Einspielungen mitunter ins Positivistische gedrehte Heiterkeit im Rondo wird von Chailly und seinem Amsterdamer Elite-Orchester durch das makellos schöne und zugleich auch seriös und ernst wirkende Spiel ein wenig konterkariert. Durch das leicht reduzierte Tempo und größtmögliche Sorgfalt wird ein hohes Maß an Dignität erreicht. Der Satz wirkt kurzweilig und erscheint durch Chailly, darin Mahler nur folgend, spannend auf das Ende hin angelegt zu sein. Im Choral ist Kantabilität der größte Trumpf. Er klingt ganz und gar nicht gewaltig und schon gar nicht gewalttätig. Eine friedliebende Vision des Paradiso, die für dieses Mal Zielpunkt geworden ist. Mahler ästhetisch schön und zugleich tiefgründig wie selten.
Der Klang der Aufnahme wirkt voluminös, sehr klar und körperhaft, sehr räumlich und wunderbar warm, weich wie Samt und Seide. Wir hören eine verschwenderische Opulenz und eine seltene Farbenpracht. Der Bassbereich ist fulminant und die Dynamik hat eine satte Durchschlagskraft. Grob- und feindynamisch der Maßstab für die normale CD. Referenzverdächtig aufblühender Violinenklang.
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5
Klaus Tennstedt
London Philharmonic Orchestra
EMI
1988, live
13:31 15:13 17:53 11:21 14:33 72:31
In den angelsächsischen Ländern wurde dieser Maestro stets hoch gelobt („High-Voltage-Maestro“). In Deutschland wurde ihm kaum ähnlicher Erfolg zuteil. Wie so oft gilt der Prophet nichts im eigenen Lande. Dieser Mitschnitt, ca. zehn Jahre nach der Studioeinspielung mit demselben Orchester, entstand in der Royal Festival Hall (nicht zu verwechseln mit der Royal Albert Hall, dem Ort der alljährlich im Sommer stattfindenden Proms). Herr Tennstedt war schon nicht mehr offiziell Chefdirigent des Orchesters, dem Posten von dem er 1987 aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war. Aus Respekt nahm man sich aber einige Jahre keinen Nachfolger bis man 1990 Franz Welser Möst ernannte.
Obwohl man sich gegenüber dem Tempo der Studioeinspielung 1978 nicht viel nimmt, erzielt man nun live einen höheren Spannungsfaktor. Das Orchester spielt mindestens eine Klasse besser als damals, vor allem homogener und ausdrucksvoller. Man ist offensichtlich mit den Wünschen und Eigenheiten des Dirigenten mittlerweile viel besser vertraut, hat man die Sinfonie in den vergangenen Jahren doch auch auf manche Gastspielreise mitgenommen. Zupackend und hoch emotional kann die Musik direkt, ungefiltert und suggestiv ihre fesselnde Wirkung auf die Hörerschaft ausüben.
Auch im zweiten Satz tangiert uns die Musik besonders stark, aufgepeitscht und wild führt sie uns in die existenzbedrohte Künstlerseele. Man meint, Tennstedt hätte sich die Aufnahme Bernsteins von 1987 sehr gut angehört, denn die 1988er Version Tennstedts gleicht ihr mehr als der 1978er Eigenaufnahme im Studio. Das Orchester spielt nun hochkonzentriert, recht präzise und prägnant und vor allem wie besessen. Oder ist es die Live-Situation, die die Spannung über den ganzen Satz hinweg ohne Schnitte einfangen kann gegenüber der an vier Tagen entstandenen Studioeinspielung, die den Unterschied macht? Die Atmosphäre wirkt wie zum Zerreißen gespannt. Es brennt lichterloh auf der Bühne. Es versteht sich, dass man in diesem Zusammenhang Dehnungen als Spannungsgewinn empfindet und nicht als Tempoverlust.
Auch im Scherzo bleibt sich Tennstedt gegenüber dem Tempo von vor zehn Jahren treu. Ein Tempo, das klare Deutlichkeit und einen enormen Detailreichtum erlaubt. Das Corno obligato wächst unter diesen Umständen (Gott sei es gedankt) über sich hinaus. Besonders die lyrischen Passagen werden wundervoll erzählt. Uns erscheint das Tempo dabei mitunter zu statisch, wie auch schon 1978 im Studio oder live in New York. Die dramatischen Passagen wirken hingegen lebendig, ja wild und gepfeffert. Sie bringen die nötige Strahlkraft mit, genau wie die für diesen Satz so kennzeichnenden Kontraste. Typisch für Tennstedt: Die überaus temperamentvolle, fetzige Stretta. Höchster Adrenalinpegel bei dieser Stretta.
Auch im Adagietto hören wir kein anderes Tempo als bereits 1979, nur klingen die Streicher (insbesondere die Violinen) des LPO nun viel weicher, runder, wärmer und mit etwas mehr Tiefen- und Konturenschärfe. Und was noch entscheidender wiegt: mit mehr Sinnlichkeit. Schließlich geht es in diesem Satz ganz besonders um ein sinnliches Erlebnis, das dem Menschen doch nähersteht als das ätherische, das manch ein Dirigent bei diesem Satz versucht darzustellen. Der ganze Satz wirkt positiver gestimmt und der irdischen Melancholie oder Elegie weiter enthoben. Dieses Mal ist es ein Bad in zarten und innigen Gefühlen. Dass die sich etwas in die Länge ziehen bemerkt man eigentlich nur, wenn man selbst nicht genug Ruhe mit ins Hörerleben einbringt.
Im Rondo hält Tennstedt am „New Yorker Tempo“ (live, 1980) fest und das ist auch gut so. Mit Verve und Elan sehr bildhaft und schließlich überschwänglich und mit viel „Schmackes“. Wunderbarer Choral und brillant-beherzte Stretta. Obwohl die schwere Krankheit bereits auf dem Dirigenten lasten musste, hören wir eine grandiose Darstellung, der schließlich enthusiastischer Jubel des Londoner Publikums entgegenbrandet.
Der Klang der Live-Aufnahme wirkt natürlicher, deutlich klarer und präziser als in der Aufnahme unter Studiobedingungen zehn Jahre zuvor. Zudem dynamischer, wuchtiger, viel besser gestaffelt, körperhafter und „saftiger“. Sie stellt in jeder Hinsicht eine klare Verbesserung dar. Von den anwesenden Zuhörern nimmt man so gut wie nie Notiz. Umso erstaunlicher, dass die niederländischen Rundfunktechniker diese gute Aufnahme in mancher Hinsicht sogar noch toppen konnten.
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5
Francois-Xavier Roth
Gürzenich Orchester, Köln
Harmonia Mundi
2017
12:14 14:12 17:58 10:43 15:05 70:14
Nach der Einspielung mit James Conlon und der bereits besprochenen mit Markus Stenz ist dies die dritte und vorläufig letzte Aufnahme mit dem Orchester der Uraufführung 1904, die ja bekanntlich in Köln stattfand. Es ist heute vielleicht gar nicht mehr bekannt, dass in jener Zeit einige Uraufführungen bedeutender Werke in der Domstadt stattfanden. Obwohl das nichts mit unserem Vergleich zu tun hat, wollen wir erwähnen, dass auch das Doppelkonzert von Johannes Brahms, Richard Strauss´ Till Eulenspiegel und Don Quixote mit diesem Orchester uraufgeführt wurden. Und nicht verschweigen wollen wir, dass auch Mahlers Dritte zwar in Krefeld uraufgeführt wurde, aber auch dort ging es nicht ohne die maßgebliche Verstärkung der Krefelder Musiker durch das Gürzenich Orchester.
Nach der Auflösung „seines Orchesters“ in Baden Baden bzw. Freiburg heuerte Francois-Xavier Roth in Köln an, wo er seinen Vertrag nach zehn Jahren nicht mehr verlängert hat. Danach kehrt er 2025 zum SWR zurück und übernimmt von Herrn Currentzis das Stuttgarter SWR-Flaggschiff, wo er sein wegfusioniertes Orchester vielleicht noch in Teilen wiederfindet. Diese Einspielung sollte eigentlich der Startschuss zu einer Gesamtaufnahme aller Mahlersinfonien sein. Ob das Projekt noch verwirklicht wird?
Auch mit den Kölnern erreicht Monsieur Roth einen hoch expressiven und leidenschaftlich bezwingenden Gestus mit einer bedrohlichen Gran Cassa. Die Kraft kommt wie im zweiten Satz auch aus der Ruhe heraus und fußt auf eher konstanten Tempi. Sehr aufgewühlt und darin kaum nachlassend. Der von der Einspielung Markus Stenz´, dem direkten Vorgänger Roths auf der Chefdirigenten-Position, her bereits bekannte Orchesterklang wirkt sinnlich-warm und eher noch etwas feiner gezeichnet. Schlanker aber keineswegs dünn, der Bass hat dagegen etwas pralles. Der Klang der EMI-Aufnahme mit Conlon wird geradezu deklassiert, dazu später mehr. Die lyrischen Passagen wirken „selbstverloren“ und gequält, aber nicht träge. Das Musizieren wirkt dennoch spontan, was in diesem Satz unserer Meinung nach besonders wichtig ist.
Im Scherzo kombiniert Roth den analytisch-präzisen und brillanten Klang der Boulez-Aufnahme (DG, 1996, Boulez war einer der Lehrer Roths) mit dem prachtvoll-warmen Klang mit Gewicht und Farbenreichtum des Kölner Orchesters. Sehr plastisch und farbenfroh führt Roth durch den Reigen der verschiedenen Stationen, die das pralle Leben mit der Zerrissenheit der Weltsicht Mahlers kombinieren. Ohne Zeigefinger und hoch kompetent. Das eher moderate bis kommode Tempo fällt zu keiner Sekunde negativ auf. Es wirkt energisch und bewegt und die Mahler´sche Polyphonie wirkt plastisch und klar. Das Finale des Scherzos klingt ganz besonders glanzvoll.
Seltsam ist es, dass im Adagietto der Klang ein wenig zu rauschen beginnt, als ob wir es hier wieder mit einer Aufnahme in analoger Aufnahmetechnik zu tun hätten. Roth ist einer Dirigenten, die in einer späteren Aufnahme langsamer geworden sind als in einer früheren (bei Haitink ist dies noch auffallender). Der Satz wirkt innig und zeigt sich „rätselhaft lächelnd“. Bei aller Leidenschaft ist er uns ein wenig zu langsam geraten.
Das Orchesterspiel wirkt im Rondo eher noch detailreicher als bei Markus Stenz, immer gut grundiert oder besser fundamentiert mit einer klaren Basslinie. Leidenschaftlich und spannend. Das Blech könnte dabei noch etwas offener herauskommen. Das hat aber auch den Vorteil, dass man beim Choral einmal die kunstvollen Streicherfigurationen hören kann, die sonst immer unter der Blechglocke verschwindet oder zumindest von ihr zurückgedrängt wird.
Es liegt hier eine ausgezeichnete Einspielung der Fünften vor, die uns plastisch durch die Stationen der Todessehnsucht, des verzweifelten Kampfes, des prallen Lebens, Liebesglücks und ausgelassener Heiterkeit dieser Sinfonie führt. Bis auf das Adagietto übertrifft das Orchester sogar eher noch die hoch gelegte Messlatte der Vorgänger-Aufnahme mit Markus Stenz. Diese beiden Kölner Produktionen können gemeinsam und besonders mit der Duisburger, da sie abseits der großen Musikmetropolen entstanden sind, als die Geheimtipps der Diskographie gelten.
Diese beiden Kölner Einspielungen ehren den Uraufführungsort auf besondere Weise.
Der Klang der Aufnahme ist großräumig, jedoch präsent genug und meist klar. Die Staffelung des Orchesters gelingt bestens, die Dynamik sehr gut. Der Orchesterklang wirkt natürlich und warm und bestens ausbalanciert. Das Bassbereich wirkt mächtig, was der Plastizität der Basslinie sehr guttut. Beim Einsatz der Gran Cassa wird er allerdings fast übermächtig. An Brillanz mangelt es nicht. Im Getümmel des Tutti könnten sich die einzelnen Instrumentengruppen noch ein wenig besser voneinander abheben. Das klingt bei Stenz konturenschärfer.
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5
Jonathan Darlington
Duisburger Philharmoniker
Acousense
2010, live
12:00 14:26 17:49 8:55 15:40 68:50
Von Jonathan Darlington sind bisher eher wenige Einspielungen ins Bewusstsein der entsprechenden Hörerschaft geraten, was vielleicht auch mit dem eher provinziellen Renommée der beteiligten Orchester zu tun haben mag. Dabei ist das Duisburger ein sogenanntes A-Orchester, von dem man eine gute Qualität erwarten kann. Es blickt auch auf eine große Geschichte zurück, waren doch Eugen Jochum, dessen Bruder Georg Ludwig Jochum, Walter Weller, Lawrence Foster, Alexander Lazarev und Bruno Weil bereits Leiter dieses Orchesters. Bis 2001 nannte sich das städtische Orchester, das eines von zwei Orchestern der Deutschen Oper am Rhein ist, übrigens noch Duisburger Symphoniker. Diese Aufnahme sollte jedenfalls gründlich bei dem mehr oder weniger fiktiven „Ranking“ des Orchesters in der deutschen Orchesterlandschaft aufräumen helfen. Der Dirigent der Aufnahme, von 2002 bis 2011 GMD der Duisburger, war zur Zeit der Einspielung 54 Jahre alt. Derzeit ist er Nachfolger von Kahchun Wong (auf den wir auch noch zu sprechen kommen wollen) bei den Nürnberger Symphonikern. Die Einspielung entstand während zweier Konzerte in der Philharmonie Mercatorhalle.
Der erste Satz beginnt sehr gut akzentuiert mit einer stimmigen Tempowahl, ungeduldig und bereits im ersten Satz mit der wilden Vehemenz, die man sonst eher im zweiten Satz erwartet. Das Seitenthema wirkt sehr kontrastierend dazu, träumerisch, was jedoch nicht zum Spannungseinbruch führt. Die Trompete klingt butterweich, nur ganz zu Beginn klingt sie etwas ungelenk und plump, was vielleicht noch gar nicht mal unbeabsichtigt war, soll die Solotrompete doch durchaus nach Militär klingen und da ist man ja früher schon sehr früh morgens zum Appell aktiv gewesen. Der Satz wirkt fesselnd und rhetorisch eloquent. Wer hätte das aus Duisburg ohne weiteres erwartet?
Genau wie Mahler es wollte, nämlich mit größter Vehemenz und stürmisch wild, wird der zweiten an den ersten angeschlossen. Dass die beiden zusammengehören wird in Duisburg sehr deutlich gemacht. Im Tempo nicht gerade sportlich und schnell unterwegs wäre die Interpretation wohl eher auf der empathisch-mitleidvollen Seite angesiedelt, wenn die wilden Akzente nicht so ausgeprägt gelungen und die Spannung nicht so gut durchgehalten wären. Es ist eine hohe Dringlichkeit spürbar. Da ist gehörig Wut im Bauch. Dabei wirkt der Klang besonders natürlich und warm, wie man es eigentlich nur von den besten hören kann und den man in einem Blindvergleich eher den Philharmonikern einer erheblich größeren Stadt (z.B. München) zugeordnet hätte. Die Duisburger spielen mit einer sehr gut dosierten Dynamik, intensiv, homogen und brillant. Wäre das Tempo noch ein wenig in Richtung schneller intensiviert, man könnte ihnen eine gewisse Besessenheit attestieren. Die Choralvision (des Paradiso) klingt so schön, dass es einem die Tränen der Rührung in die Augen treibt.
Mit festem Impetus und recht tänzerisch geht man das komplexe Scherzo an. Die retardierenden Passagen kommen dabei ebenso plastisch zur Geltung. Im Scherzo hätten wir uns ebenfalls noch ein wenig stärker angeschärftes Tempo und etwas mehr Drive gewünscht, die Transparenz der Stimmen ist geradezu gespenstisch gut gelungen. Sonorität und Spielperfektion sind für eine Live-Einspielung ausgezeichnet. Gegenüber Solti (1970) wirkt der Ritt durch das pralle Leben fast schon genießerisch und deutlich weniger wild. Der ist aber diesbezüglich die sozusagen entflammte Messlatte.
Im Adagietto hat man das Tempo sehr geschickt gewählt. Zwischen den sehr zum langsamen tendierenden Partitur-Angaben Mahlers und den Überlieferungen Mengelbergs und Walters findet man eine sehr gute Balance und erreicht den gewünschten „Intermezzo-Charakter“. Genug Ruhe, genug Süße im Klang, genug Wärme und vor allem genug Leidenschaft und es wird nichts übertrieben. Die Glissandi, die man heutzutage oft gar nicht mehr hört, so unscheinbar werden sie gehandhabt, werden in Duisburg immerhin noch angedeutet.
Auf zum letzten Satz, dem Rondo. Aufbruchsstimmung auch bei Darlington. Man spart nicht mit kräftigen Akzenten und auch der letzte Satz wird exzellent gespielt. Lebendig und trotz des gelassenen Tempos kurzweilig. Immer wieder findet man auf der Wegstrecke interessante Details, die aufhorchen lassen. Locker und geläufig präsentieren sich die Duisburger mit ihrem damaligen GMD als ein Mahler-Orchester von hohem Rang. Am Ende steht ein befreiender Choral voller Glanz und Gloria.
Der Klang besticht mit einer für heutige Hörgewohnheiten erstaunlichen Präsenz. Er ist auch ungeheuer dynamisch. Das Orchester wird perfekt und mit einiger (nicht übertriebener) Tiefe in den Raum gestellt. Der Sound wirkt voll, weich und rund, gesegnet mit einer prall und reichhaltig wirkenden Klangfülle und viel Brillanz. Der Bassbereich ist bestens konturiert und wuchtig, Das ganze Orchester klingt sehr sinnlich, sehr plastisch und besonders körperhaft. Ein audiophiler Traum. Eine hervorragende Arbeit der Techniker. Wieso ist das Label nicht viel bekannter?
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5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München (neuerdings gerne BRSO genannt)
BR Klassik, damals auch live gesendet
2016, live
12:45 15:31 19:13 8:51 16:31 72:51
Zehn Jahre nach der ersten Live-Aufnahme der Fünften in der Philharmonie am Gasteig kam es erneut zu einer Einspielung, die man dann, weil sie musikalisch und vor allem aufnahmetechnisch und damit klanglich viel besser gelungen ist, zur Komplettierung der Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien mit Mariss Jansons und dem BRSO ausgewählt hat. Wie 2006 hat man auch 2016 zwei Konzerte im März aufgezeichnet, verarbeitet und zur Veröffentlichung herangezogen. Wie bei vielen anderen Dirigenten werden Mariss Jansons´ Tempi über die Jahre, er ist nun 73 Jahre, langsamer. Und wie bei vielen anderen auch wird das Adagietto im Gegensatz dazu schneller. Es hat sich über die Jahre bei vielen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Mengelberg und Walter zumindest in der Tendenz in die richtige Richtung wiesen.
Im ersten Satz spielt das Münchner Orchester nur einen Hauch langsamer als 10 Jahre zuvor an gleicher Stelle. Aber, was wichtiger ist, spannender und „tiefgründiger“. Es wirkt (wahrscheinlich von einer verbesserten Klangtechnik entscheidend befördert) klangvoller, will sagen reichhaltiger, die Violinen blühen viel besser auf und wirken sinnlicher. Dagegen erscheinen sie 2006 matt und abgeschlagen. Da könnte man nun einwenden, dass das für einen Trauermarsch doch eine vorzügliche Disposition wäre, aber die Klangeigenschaft ändert sich in allen Sätzen gleichermaßen. Der Satz erklingt auch so voller Ernst, aber inbrünstiger. Wir empfanden die Veränderung in diesen zehn Jahren als eine verblüffende Vervollkommnung. Bestechend nun die Verbindung der formalen Schnittstellen, das Orchester wirkt erheblich souveräner und bildet mit seinem Dirigenten nun eine noch fester gefügte Einheit. Das Zusammenspiel wirkt nun traumhaft sicher.
Zwar durchaus vehement und stürmisch beginnt man den zweiten Satz, der Eindruck ist jedoch relativ, so werden die beispielgebenden Windstärken Soltis bei weitem nicht erreicht. Das nun eher unheimlich-lauernde Spiel kann man aber als mirakulös bezeichnen. Fehlende Power wird sozusagen durch anrührendes Spiel ersetzt. Es wirkt viel wärmer als 2006 und es gelingt das Leiden am Leben und besonders an der Vorstellung des „wartenden“ sicheren Todes mit geschickt eingesetztem Vibrato und einem Plus an Valeurs auszudrücken. Das ist wirklich bestechend. Um es bildhaft auszudrücken könnte man sich vorstellen, dass Jansons nun viel tiefer auf den Grund der Seele Mahlers blickt als zuvor. Dabei muss man konstatieren, dass die 2016er BR-Aufnahme der Einspielung mit dem Concertgebouw Orchester viel ähnlicher ist, als der BR-Aufnahme von 2006. Die Intensität ist höher, die Spannung geht mehr in Richtung „tragisch“, die Höhepunkte werden mit mehr Hingabe angesteuert und verwirklicht. Lange nicht so extrovertiert wie bei Soltis vor Spannung berstender erster Einspielung, die die Grenzen des orchestral Möglichen voll auslotet, aber fast genauso anrührend. Sogar an die von Mahler gewünschte lange Satzpause zwischen dem 2. Und dem 3. Satz wird gedacht und sogar, wenn auch verkürzt auf dem Tonträger implementiert.
Im Scherzo steht die Subtilität des Ausdrucks ganz oben. Das Tempo würde man bei geringeren Interpreten schon als grenzwertig, wenn nicht als lahm bezeichnen. Das Spiel überzeugt jetzt voll, wie auch beim Concertgebouw. Der Ländler wirkt nun tapsiger, der Walzer wienerischer. Es ist der Sinn für die morbiden Untertöne des vergänglich-melancholischen das bis ins Bizarre hin geweitet wird. Solti hat gerade im Scherzo die Nase noch weiter vorne. Bei Jansons besteht die Gefahr, dass man sich im Detail verliert und der Blick fürs Ganze getrübt wird. Wie bereits in Amsterdam spielt das Corno obligato eindrucksvoll, von träumerisch bis markig schmetternd sind alle Valeurs vertreten.
Das Adagietto wird nicht wie die anderen Sätze verlangsamt, sondern wirkt gegenüber 2006 und 2007/8 weniger getragen. Ohne viel Druck, mit viel Zurückhaltung und einer gewissen introvertierten Bescheidenheit. Die Violinen bezaubern nicht ganz mit dem Schmelz der Amsterdamer (nur im SACD-Modus), klingen aber sehr schön und luzide. Bei aller „Unaufdringlichkeit“ des Gestus kommt die Harfe sehr gut zur Geltung, viel besser als 2006.
Sehr transparent wird im Rondo die polyphone Struktur durchleuchtet, recht langsam kommt unser offensichtlich nicht mehr ganz junger Held der Geschichte in die Gänge. Jansons vermeidet aber das Statuarische, das andere Einspielungen befällt, die mit diesem Tempo im Rondo arbeiten. Bei ihm gewinnt die Musik ständig an Intensität und die Übergänge an den einzelnen „Nahtstellen“ gelingen hervorragend. Schließlich scheint die Musik dann doch zu „glühen“. Der Choral strahlt sieghaft, die Stretta jubelt gebührend. Frenetischer Applaus in der Philharmonie.
Der Klang der Aufnahme ist nun erheblich präsenter, saftiger, offener, voluminöser, kraftvoller und brillanter als im Pendant von 2006. Der gleiche Raum wirkt nun großzügiger dimensioniert, auch in die Tiefe hinein. Das Orchester wirkt luftiger aber auch körperhafter. Der Klang wirkt reichhaltiger und farbiger, der Bass tiefer, mächtiger und besser dimensioniert. Die BR-Aufnahme von 2006 wird also in allen Bereichen aus dem Feld geschlagen.
Gegenüber der Amsterdamer Einspielung erreicht man nicht ganz die Qualitäten der SACD, wenn man diese im High-Res-Modus abspielt, man übertrifft sie aber deutlich, wenn man auf die CD-Wiedergabe derselben angewiesen ist.
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5
Hans Rosbaud
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (heute: WDR Sinfonieorchester Köln)
ICA, Hänssler
1951
11:55 13:49 15:47 8:53 14:53 65:19
MONO Hans Rosbauds Aufnahme der Fünften ist interpretationsgeschichtlich gesehen gerade einmal die vierte Aufnahme der ganzen Sinfonie. Sie folgt auf die 47er mit Bruno Walter, der zweiten mit Rudolf Kempe und dem Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester 1948 und der dritten mit Rafael Kubelik und dem Concertgebouw Orchester Amsterdam, ebenfalls 1951, nur ein paar Monate früher. Auch Nummer zwei und drei sind also Mitschnitte des Rundfunks.
Diese Aufnahme entstand als eine der ersten überhaupt im gerade frisch eröffneten Großen Sendesaal im Funkhaus Köln, der damals als akustische Sensation bezeichnet wurde.
Es ist eine engagierte und atmosphärisch wirkende Darbietung geworden, die den typischen angstvollen und ebenso wild herausfahrenden Mahler-Klang bereits authentisch verwirklicht. Im Trauermarch wirkt der Kondukt „angemessen“ traurig, die Ausbrüche vehement und stürmisch. Man merkt, dass Rosbaud die beiden ersten Sätze als Ganzes begreift und den Gestus des zweiten bereits im ersten aufgreift. Das Spiel des Kölner Orchesters ist bereits hochklassig und intensiv, wie man es Jahrzehnte später mit Jukka Pekka Saraste in dieser Form nicht mehr findet. Bei Rosbaud gibt es keinerlei unverbindliche Glätte.
Dass Hans Rosbaud ein ausgezeichneter Mahler-Dirigent gewesen sein muss, offenbart sich noch mehr im zweiten Satz, denn da kommt zum ohnehin schon stürmisch-bewegten und vehementen Gestus, auch noch das Wilde, Geschärfte und nochmals gesteigerte Dringliche hinzu. Bei aller kraftvollen Intensität wirkt der Satz bereits aufgelichtet. Er brachte den nötigen Respekt vor dem Notentext genauso mit wie ihm die nötige Information über den Werkhintergrund eine Selbstverständlichkeit war. Er hält uns den ganzen zweiten Satz über mächtig in Atem. Wir können einen der besten zweiten Sätze überhaupt hören. Das Orchester tobt sich geradezu aus und wirkt bestens vorbereitet. Der Choral treibt einem (warum auch nicht) sogar die Tränen der Rührung in die Augen. Eine echte Vision ins Paradiso also?
Man erkennt es schon an der benötigten Zeit, die Rosbaud für das Scherzo benötigt um zu erkennen, dass es im Gegensatz zu Jansons (2016) richtig tänzerisch und schwungvoll zugeht, der Walzer hebt geradezu ab. Ganz im beethovenschen Sinn erklingt das Scherzo mit einem gewissen humoristischen, aber geschärften Impetus. Bei Mahler ist die Welt aber nur „tragikomisch“ zu ertragen. Diese Einspielung könnte Solti (1970) als Vorbild für seine eigene Deutung dieses Satzes gedient haben. Ob er sie wohl gekannt hat? Er war damals in München engagiert oder gerade auf dem Sprung nach Frankfurt und selbst oft bei den Kölnern zu Gast. Warum also nicht?
Das Adagietto wird angemessen leicht und mit wenig Vibrato gespielt. Man geht dem möglichen Drama geschickt aus dem Weg ohne auch nur ansatzweise zu leichtgewichtig zu wirken oder gar ins Sentimentale abzudriften. Sehr bewegt um nicht zu sagen aufgeregt kann man sich jugendliche Liebesgefühle durchaus zu dieser Musik vorstellen. Da „funkt“ es. (Wir sind ja auch in einem Funkhaus!) Die Harfe kommt exzellent durch und klingt auch wie eine.
Der Beginn des Rondos ist klanglich etwas unausgewogen, beinahe hätte man das Fagott gar nicht gehört, so leise kommt es ins Klangbild. Rosbaud meistert es mit einem ungeheuren Impetus, freudig erregt, dass es sogar die Aufnahme mit Mitropoulos in diesem Satz erblassen lässt. Das Orchester spielt geschmeidiger als bei seinen Mendelssohn-Aufnahmen jener Zeit (siehe Vergleich zu Mendelssohns 5. Sinfonie) oder der ersten Sinfonie Webers (siehe Vergleich dazu). Da scheint angesichts einer so komplexen Textur ein Wunder passiert zu sein. Offensichtlich gab es bei den Kölner Musikern auch keinerlei Ressentiments gegenüber der Fünften. Sie legen sich ungebremst und mit Hingabe ins Zeug.
Von den alten Mono-Aufnahmen gefällt uns diese mit Hans Rosbaud am besten. Sie bietet Hochspannung pur und sie bringt auch sonst alles mit, was eine vorzügliche Mahler-Einspielung ausmacht. Schade, dass sie nicht bereits zumindest in Stereo oder noch besser in High-Resolution-Audio aufgenommen werden konnte, dann kämen auch noch die audiophil angehauchten Hörer(innen) auf „ihre Kosten“. Jedem anderen Mahler-Enthusiasten und an der diskographischen Entwicklung der Fünften interessierten sei sie ans Herz gelegt, um alle anderen besser einordnen zu können. Unserer Einschätzung nach hätte Rosbaud dann das Zeug dazu gehabt, ähnlich wie Bruno Walter oder Otto Klemperer, die Mahler-Begeisterung bereits zehn Jahre früher einzuläuten.
Die Aufnahme aus Köln, es scheint eine Studio-Produktion ohne Publikum gewesen zu sein, klingt viel besser als die Live-Mitschnitte von Mitropoulos oder Horenstein. Sie klingt distanzierter (also weniger präsent) als die 47er Bruno Walters, aber besser durchgezeichnet. Anscheinend wurde sie bereits mit Hilfe der Tonbandtechnik aufgezeichnet. Sie war frei von den Störungsgeräuschen einer Abtastung von einer Platte. Der Klang wirkt lebendig und bereits recht farbig und natürlich, weist allerdings eine ziemlich begrenzte Dynamik auf. Gegenüber den Aufnahmen von Mitropoulos oder Horenstein wirkt sie jedoch geradezu abenteuerlich geweitet. Im lauten Bereich kann es auch einmal leicht blechern klingen. Für das Aufnahmedatum klingt es sehr zufriedenstellend.
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5
Bruno Walter
New York Philharmonic Orchestra
CBS, Membran, Naxos
1947
11:33 12:37 15:17 7:41 14:04 61:15
MONO Dies ist die erste Gesamtaufnahme der fünften Sinfonie Gustav Mahlers in der Schallplattengeschichte. Sie entstand in der Carnegie Hall und wurde von einem der engsten Vertrauten und Mitstreiter Gustav Mahlers geleitet, seinem ehemaligen Schüler Bruno Walter. Sie wirke stilbildend zumindest einmal bis in die nächste Generation der Mahler-Dirigenten hinein. Manche behaupten indes, die schnellen Tempi wären nicht zuletzt von der geringen verfügbaren Maximalspielzeit (max. 5 Minuten bei den größeren Platten, 4 Minuten bei den normalen) des damaligen Speichermediums, der Schellack-Platte, induziert. Die Kosten hätten sich bei einer noch längeren Spielzeit natürlich weiter erhöht, weil weitere der teuren Platten nötig geworden wären. Ein damaliger durchschnittlicher Monatslohn wäre so locker fällig gewesen. Wir glauben jedoch, dass sich ein Bruno Walter von einem Zwang Platten einzusparen nicht in seiner Tempowahl hätte beeinflussen lassen. Eine Neuaufnahme war geplant, das fortschreitende Alter und schließlich der Tod des Dirigenten verhinderten das Projekt. Bei der vorliegenden Einspielung war der Dirigent bereits 71 Jahre.
Mit schlankem Klang, zügig und konzise treibt Herr Walter den ersten Satz (und alle weiteren) voran. Er schlägt dabei exakt das gleiche Tempo an, das Mahler selbst bei seiner Aufnahme vom Klavier auf Welte-Mignon-Klavierrollen wählte, einer Aufnahme von 1905. Leider hat Mahler nur den ersten Satz eingespielt. Walter meidet eine Überdramatisierung genauso wie ein Aufweichen der Tempi. Sentimentalisierung ist ihm fremd. Er bleibt hart an der Partitur und wirkt mit unerbittlichem Zugriff auf deren Realisierung ein. Völlig überraschend war für uns der erstaunlich klare Klang. Das Orchester macht damals bereits einen mit der schwierigen Partitur völlig vertrauten Eindruck, erinnern wir uns doch daran, dass Gustav Mahler selbst für ein paar Jahre sein Chefdirigent gewesen war. Das von Roger Norrington reklamierte völlig vibratofreie Spiel vermochten wir in dieser Einspielung des Mahler-Gewährsmanns der ersten Stunde nicht zu erkennen und was noch wichtiger wiegt, Bruno Walter erzielt mit einer deutlich unterlegenen Klangtechnik einen viel authentischeren Mahler-Klang als der Brite und die richtige Mahler-Atmosphäre.
Die tatsächlich entfachte dynamische Vehemenz ist im zweiten Satz nur zu erahnen. Selbst durch die simplifizierende Monotechnik sind zumindest die Hauptstimmen immer gut hörbar, um die relevanten Nebenstimmen bemüht man sich redlich. Jeder Anflug von Weinerlichkeit oder rührseligem Pathos wird im Keim erstickt. Der dramatische Zugriff erfolgt unmittelbar und drastisch. Mahler wird noch nicht unbedingt als ein Patient mit bipolarer Störung dargestellt wie man sich das in vielen späteren Einspielungen leicht vorstellen kann. Bedauerlich bleibt natürlich neben der geringen Transparenz die Reduktion der Klangfarben auf einen Schwarz-Weiß-Effekt. Die beiden ersten Sätze wirken bei Walter ganz besonders als eine Einheit. New Yorks Philharmoniker opfern sich auf.
Wen könnte Mahler denn gemeint haben, als er sagte, die Dirigenten werden das Scherzo alle viel zu schnell spielen? Dachte er etwa an Bruno Walter? Zügiger, ja rasanter ist es wohl nie vorangetrieben worden. Unmittelbar tänzerisch wirkt es viel weniger verkopft oder versonnen wie später bei so vielen anderen, die sich wahrscheinlich durch das langsame Tempo in erster Linie vor Fehlern schützen wollen. Es ist ja langsamer auch viel komfortabler. Hier hören wir das pure Leben mit seiner ganzen Großstadt-Hektik, die für die Menschen von damals bereits geherrscht haben mag.
Auf das schnelle Tempo des Adagietto, das Bruno Walter hier anschlägt haben wir schon sehr häufig hingewiesen. Es wird nur noch von Mengelberg unterboten. Das Adagietto wirkt so unaufgeregt, klar, klanglich erstaunlich rund und weich. Wenn es nur um die Streicher geht, wie in diesem Satz, so klingt die Aufnahme tatsächlich recht warm. Vielleicht hat man da beim Remastering nachgeholfen? Es wird mit Vibrato gespielt, sonst würde sich die Wärme in dieser Form gar nicht einstellen. Ein Intermezzo, zweifellos, aber ein sehr reichhaltiges.
Frisch, tatkräftig, fidel und impulsiv geht es im Rondo hinaus in die Welt, mit vollgeladenem Akku oder „mit Liebe im Tank“. Das Rondo wirkt weder gehetzt, noch zu schnell. Viele neue Aufnahmen wirken übrigens kaum transparenter. Ein Makel ist es, dass der Choral als Höhepunkt naturgemäß in Dynamik und Strahlkraft zurückbleibt, er wird ziemlich schnell, aber mit viel Emphase gespielt.
Diese Einspielung sollte in keiner Mahler Diskothek fehlen. Zweifellos kann man sie als authentisch bezeichnen.
Wir haben in die originale CBS-CD und in eine Ausgabe von Membran hineingehört. CBS bietet stärkeres Rauschen und die Abspielgeräusche der alten Schellack-Platten. Es ist mitunter von Plattenseite zu Plattenseite unterschiedlich ausgeprägt aber beständig vorhanden. Die Membran-Ausgabe klingt dumpfer, aber immer noch mit ausreichendem Höhenklang und ohne die Abspielgeräusche der alten Platten. In beiden Fällen heißt das Ergebnis: immer noch gut anzuhören. Vor allem die Dynamik (ein Vehikel des interpretatorischen Impetus) überrascht angesichts des Aufnahmedatums positiv. Die Membran überrascht mit einer erstaunlich körperhaften Pauke. Im ersten Satz zeigen sich seltsame Zischlaute, die wir nicht zuordnen konnten. Insgesamt bevorzugen wir jedoch die originale CBS-Ausgabe. Trotz des sehr trockenen Klangbildes wirkt sie einheitlicher. Sie scheint weniger oder behutsamer bearbeitet worden zu sein.
Eine dritte Ausgabe von Naxos konnten wir nicht vergleichen. Sie soll, so ist zu lesen gewesen, wärmer klingen und im Bass besser definiert sein. Insgesamt wirkt der Klang beider gehörter Versionen wenig sinnlich und der originalen Dynamik nicht wirklich angemessen, trotz der guten Überarbeitungen in beiden Fällen.
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5
Vaclav Neumann
Gewandhausorchester Leipzig
Eterna, Berlin Classics, Edel Classics, Philips
1965
11:19 13:15 16:18 9:40 14:42 65:14
Von Vaclav Neumann existieren zur Leipziger Aufnahme noch zwei weitere Einspielungen der Fünften mit der Tschechischen Philharmonie, die erste wurde 1977 für Supraphon eingespielt, sie krankt leider an einer schlechten Aufnahmequalität, die auf der LP sogar noch besser ist, als auf CD. Die zweite wurde 1993 für das japanische Label Canyon eingespielt und später auf Exton wiederveröffentlicht. Wir berichteten bereits in unserem „Hintergrund“ darüber. Auf beide Einspielungen kommen wir später noch zurück.
Mahler selbst war bereits in jungen Jahren eine recht kurze Zeit allerdings (von 1886 bis 1888) in Leipzig beschäftigt, wobei es jedoch zu Rivalitäten mit dem dortigen Chef Arthur Nikisch kam, die das Beschäftigungsverhältnis überschatteten. Vaclav Neumann war auch nicht lange Chefdirigent des Gewandhausorchesters (1964-68). Er verließ das Orchester wegen des Einmarsches der Armeen des Warschauer Paktes (da war die Volksarmee der DDR auch beteiligt) in die damalige CSSR. Wieso er dann ausgerechnet Chef der Tschechischen Philharmonie wurde, der ihr Chef (Karel Ancerl) gerade durch Zwangsemigration in den Westen abhandengekommen war, und weiterhin in einem Land ebendieses Warschauer Paktes diente, bleibt sein Geheimnis. Herr Neumann war bei der Aufnahme 45 Jahre alt.
Das Gewandhausorchester hat zu Beginn noch ein wenig vom Klang einer echten Militärkapelle, zumindest was die Solotrompete betrifft. Das stört gar nicht, ganz im Gegenteil. Der Trauermarsch wirkt flüssig musiziert, wobei der Akzent bei Neumann in dieser Aufnahme deutlich mehr auf Marsch liegt als auf „Trauer“. Aus dem Marsch heraus treffen uns ungeheuer expressive Aufschreie. Er übertrifft die gerade einmal ein, zwei Jahre alte erste Bernstein-Aufnahme darin beträchtlich. Das druckvolle Leipziger Blech rüttelt nachhaltig auf, auch das Holz wird klanglich stark gefordert, die Streicher klingen wirklich eindrucksvoll.
Auch im zweiten Satz wird uns ein „Solti-Tempo“ schon vor Solti geboten. Neumann orientiert sich anscheinend durchaus an Bruno Walter. Sehr aufgewühlt wird das damals mitunter etwas bieder klingende Gewandhausorchester an seine Ausdrucksgrenzen geführt. Das Stimmengeflecht wirkt noch nicht so durchleuchtet wie bei vielen neueren Einspielungen und die Violinen klingen noch ziemlich hell, aber der Impetus stimmt, ja begeistert. Er wird der zerrissenen Persönlichkeit bzw. der Erlebniswelt Mahlers außerordentlich gerecht. Da ist viel Aufruhr, viel Drängen und viel Verzweiflung drin. So sollte es klingen: Dringlich. Das Orchester gibt alles und macht keine halben Sachen. Die Choral-Vision des Paradiso wird nicht groß aufgebaut, sondern entsteht wie aus dem ein wenig noch Diffusem heraus und konkretisiert sich erst nach und nach. Beeindruckend.
Vaclav Neumann gibt dem Scherzo echten Scherzo-Charakter. Scharf umrissene Rhythmik, stark bewegt und feurig. Die Liebe zum Detail (exemplarisch ausgeprägt z.B. bei Jansons 2016 oder Nott) wird nicht übertrieben, sondern stärker dem Gesamtbild untergeordnet. Einem Zerfall des Satzes in einzelne Episoden wird so wirksam vorgebeugt. Ein einheitlicher Fluss sogt auch für mehr Sogkraft. An Grimassenhaftigkeit mangelt es dieser Einspielung nicht, da wird nichts geglättet. Das Musizieren mutet sehr direkt an. Ähnlich wie bei Kubelik, musikantisch und nicht skrupulös „zerhackt“. Den Schmelz der Wiener bei Boulez und vor allem bei Bernstein bieten die Leipziger nicht auf, hier klingt es ein wenig rauer und diabolischer und weniger verführerisch. Es fehlt auch die letzte Perfektion im Zusammenspiel der Violinen. Das Spiel wirkt erneut sehr dringlich und zugespitzt. Der Einfluss von Bruno Walter ist irgendwie noch spürbar.
Das Adagietto wirkt durch den etwas raueren Klang nicht so zuckrig-süß wie so oft. Das Tempo wäre uns hier zügig genug. Dass es sich beim Adagietto um einen Trauergesang handeln könnte, auf diese Idee käme man hier nicht. Durchaus expressiv, aber nicht so zärtlich und liebevoll wie z.B. bei Abbado (Luzern).
Das Rondo nimmt Neumann mit Tatkraft und frischem Schwung in Angriff. Es wirkt temperamentvoll und eruptiv. Man vermisst erneut ein wenig die Stimmentransparenz, vielleicht auch, weil die ersten Violinen etwas dominant klingen. Es wird aber mit Herz und Verstand gespielt. Das „Per aspera ad astra“ wird anscheinend gelebt und somit gut nachempfindbar. Der Choral strahlt toll und wirkt auch noch recht erhaben, obwohl er im Sauseschritt vorbei ist. Völlig pathosfrei und erneut musikalisch ins Herz treffend.
Das Blech kommt in dieser Aufnahme des VEB Deutsche Schallplatten nicht zu kurz und wirkt zurecht durchdringend und ein wenig dominierend. Es gelingt, das Orchester bereits mit einiger Tiefenstaffelung einzufangen. Ansonsten ist die Aufnahme ausgewogen und sie verfügt über eine gute, wenn auch nicht aufsehenerregende Transparenz und eine sehr gute Dynamik. Der Bass fehlt allerdings weitgehend, die Gran Cassa ist uns nicht weiter aufgefallen. Insgesamt klingt es für heutige Ohren ein wenig hell und die Violinen zudem ein wenig hart. Klanglich bewegt sich die Aufnahme näher an Kondraschin als an Solti (1970).
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5
Kahchun Wong
Japan Philharmonic Orchestra
Denon
2021
12:43 14:59 16:56 10:05 14:54 69:37
Diese Einspielung entstand mit Hilfe der Mitschnitte aus mehreren Konzerten. Auch das japanische Label Denon scheint die Fünfte zu lieben, denn im gleichen Jahre, nur ein paar Monate später, nahm es sie auch noch mit dem Tokyo Philharmonic Orchestra unter Andrea Battistoni auf und veröffentlichte beide. Das Japan Philharmonic unterhält übrigens Konzertreihen in Tokyo, Yokohama und Saitama.
Kahchun Wong, zur Zeit der Aufnahme gerade einmal 35 Jahre alt, gewann 2016 als erster Asiate (er kommt aus Singapur) den Mahler Dirigenten-Wettbewerb in Bamberg. Um nicht über Gebühr abzuschweifen empfehlen wir es, dort nachzulesen, warum Herr Wong die ganze Jury hinter sich gebracht hat und der Preis an ihn und niemand anders ging. Diese Geschichte lesend wird schon klar, dass es sich nach Herrn Dudamel 2004 um ein weiteres dirigentisches Groß-Talent, wenn nicht sogar Genie handelt, das durch diesen Wettbewerb entdeckt werden konnte. Er lernte bei Christian Ehwald in Berlin und war auch Assistent von Kurt Masur. Von 2018 bis 2022 war er Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker. Ab 2023, also zwei Jahre nach Einspielung der Fünften, wurde er als Nachfolger Pietari Inkinens Chef des Japan Philharmonic Orchestra und zudem erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie. Er ist oder wird in Kürze auch der Nachfolger von Sir Mark Elder als Chef des Hallé Orchestra in Manchester sein.
Der sagenhaft klare und räumliche Klang der Aufnahme verleiht dem Orchester sozusagen Flügel. Schon die Trompete zu Beginn (der Solist erfüllt alle Anforderungen des heiklen Solos) klingt unheimlich präsent und das erste Tutti des Orchesters lässt die Hörer erbeben. Die Dynamik ist geradezu berstend, bringt also gemeinsam mit den anderen Parametern des Klangs die allerbesten Voraussetzungen mit, um dieses in allen Bereichen fordernde Meisterwerk Mahlers in allen Facetten wiedergeben zu können. Glücklicherweise können Orchester und Dirigent musikalisch ähnlich hervorragendes hinzufügen. Das Musizieren wirkt ausdrucksvoll und hoch spannend, geradezu elektrisierend. Das Orchester präsentiert sich auf internationalem Spitzenniveau. Der Trauermarsch erhält existenzbedrohendes Potential. Das Orchester gefällt noch besser als das schon sehr gute Tokyo PO unter Battistoni. Auf diese Einspielung kommen wir später noch zu sprechen.
Im zweiten Satz werden Mahlers Forderungen nach größter Vehemenz und stürmisch-intensiver Bewegung voll eingelöst. Wong verliert nach der Eingangssequenz nicht wie so viele andere Einspielungen an Spannung, er hält sie hoch. Das Orchester spielt den komplexen Satz mit makelloser, sprechender Diktion und „blitzgescheit“, perfekt ausbalanciert. Herr Wong beweist, dass er den 2016 gewonnenen Preis zurecht erhalten hat. Er kommt mit seinen jungen Jahren den Mahler-Cracks Solti und Kondraschin sehr nah, bei noch besserer Klangtechnik. Das Blech ist bestens exponiert und ungeheuer strahlkräftig, der Streicherklang wirklich hervorragend und das Holz steht dem nicht nach.
Im Scherzo zeigt das Orchester, dass es über ganz hervorragende Solisten verfügt und das Corno obligato gehört auch dazu. Bravo dem ganzen Orchester, Bravo dem hervorragenden Dirigenten. Es klingt druckvoll, tänzerisch, vielgestaltig, kontrastreich und mitunter sogar ein bisschen schräg. Absolut begeisternd.
Den ersten Violinen fehlt allenfalls noch etwas Schmelz und Fülle zur absoluten Crème de la Crème. Ansonsten einfach super gespielt mit einer bestechenden Streichertransparenz. Unaufdringlich und „passgenau“.
Das Rondo klingt energisch, abenteuerlustig, tatkräftig, neugierig und frisch. Absolut weltoffen.
Der Klang ist klar wie Quellwasser, die Präsenz hervorragend, eher hautnah als räumlich ausladend. Die Dynamik ist saftig bis zum Abwinken. Es klingt extrem transparent, die Balance ist perfekt. Der Gesamtklang super brillant. Auch der Klang gefällt uns noch besser als der ebenfalls von Denon verantwortete ein paar Monate später aufgenommene der Battistoni-Einspielung. Eine aufnahmetechnische Meisterleistung. Eine klare audiophile Empfehlung.
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5
Rafael Kubelik
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München
Audite
1981, live
12:39 14:52 17:53 10:26 14:58 70:48
Von Rafael Kubelik sind drei Aufnahmen der Fünften bekannt geworden. Auf die älteste von 1951, aufgenommen live mit dem Concertgebouw Orchester Amsterdam konnten wir leider nicht zugreifen. Auf die Aufnahme der DG mit seinem BRSO von 1971 kommen wir später noch einmal zurück. Diese Live-Aufnahme des BR von 1981 gefällt uns jedoch erheblich besser. Sie wirkt musikalisch ausgereifter, spieltechnisch perfektioniert und klanglich verbessert. Kubelik war bei der Aufnahme 67 Jahre alt. Die Aufnahme des BR wurde von Audite aufbereitet.
Das Orchester spielt 1981 und live mit noch mehr „Schmackes“ und viel atmosphärischer als 1971 bei der DG. Der Marsch kommt nun im Ausdruck fast an die 70er Solti-Aufnahme heran. Er wirkt charaktervoll und sehr akzentuiert, aber nicht mehr so zackig. Sehr bewegt und bewegend durch die eindringliche Gestaltung.
Die existenzbedrohende Zerrissenheit wird live mit aller Heftigkeit und eruptiv umgesetzt. Kubelik ist leider im Tempo verhaltener geworden, der Gestus nicht mehr so dramatisch aufgeladen. Von fließendem, natürlich wirkenden Durchmusizieren ist nun auch keine Rede mehr. Bei Kubelik ist jedoch das Bestreben spürbar beide „Welten“ zu vereinen. Das Orchester (natürlich inspiriert von seinem Dirigenten) ist nun zu mehr Wärme, Kantabilität und einem großzügigeren Spannungsaufbau in der Lage und verbindet dies mit einer großen Detailfülle. Die Stimmentransparenz ist nicht immer top.
Für das Scherzo wählt Kubelik ein immer noch vital wirkendes Tempo, das auch durchaus ins Wilde gesteigert wird. Für kurze Momente ist man auch mal nicht ganz zusammen. Der Walzer klingt sehr rhythmisch, die Diktion ist immer klar, der Gestus spannend und dringlich. Die nachdrückliche Phrasierung macht auch auf Formzusammenhänge aufmerksam oder weist auf Reminiszenzen hin. Das Corno obligato (Johannes Ritzkowsky) spielt wundervoll und auch die anderen Solisten können vollends überzeugen. Der Satz wirkt verbindlich und charaktervoll. Einnehmend.
Das Adagietto wirkt vom Klang her ziemlich hell, gar ätherisch und sehr gesanglich. Es geht eine recht intime Wirkung von ihm aus. Man könnte meinen, dass es bereits über ein Intermezzo hinausgewachsen ist. Nicht vom Gewicht her, eher von der Gedankentiefe, die es vermitteln möchte.
Das Rondo erscheint hell gestimmt und lässt wie bereits 1971 viel Detailarbeit erkennen. Es ist der einzige Satz, den Kubelik nun etwas schneller nimmt als 71. Klanglich wirkt er nun erheblich luzider, nicht mehr so blechgepanzert, weicher, geschmeidiger und offener. Er wirkt nun mit mehr positiver Tatkraft ausgestattet, pointierter, sogar mit etwas Witz dürfen wir rechnen. Der Choral wirkt unpathetisch, da ziemlich flott. Dass hier live musiziert wird drückt zu keiner Zeit auf die künstlerische Qualität. Das unmittelbar Mitreißende der Solti-Aufnahme von 1970 fehlt auch ihr, aber nicht mehr so sehr wie noch 1971. Der Rest von eiliger Betriebsamkeit wurde hingegen abgelegt und die Darbietung wirkt generell „atmungsaktiver“ und „durchglühter“.
Der Klang der 71er Studioeinspielung wird deutlich übertroffen. Er wirkt dynamischer, er hat mehr räumliche Tiefe und eine gesteigerte Transparenz anzubieten. Das Orchester klingt nun weicher, runder und besser gestaffelt. Auch die Violinen klingen nun körperhafter. Anscheinend hat Audite wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Die Klangqualität gefällt sogar besser als die des Mitschnitts mit Jansons von 2006 (nicht wie der von 2016).
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4-5
Gustavo Dudamel
Berliner Philharmoniker
BP Recordings, auch Live vom RBB übertragen
2018, live
12:35 14:45 18:07 9:30 15:00 69:57
Gustavo Dudamels erste Einspielung von 2006 spielte er mit seinem Orchester aus Caracas für die DG ein. Damals war er 25 Jahre jung. Der jüngste Dirigent in unserem Vergleich. Als er die Berliner Philharmoniker 2018 dirigierte und der RBB das Konzert live übertrug, war er dann 37. Die Darbietung wurde dann möglicherweise mit den beiden anderen Konzertabenden kombiniert bei BP Recordings innerhalb der Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien veröffentlicht.
Herr Dudamel dirigierte 2008 erstmals die Berliner Philharmoniker, seit 2009 ist der Chef des Los Angeles Philharmonic Orchestra, seit 2023 ist er designierter Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker (ab 2026). Er hat seit 2017 Auftrittsverbot in seinem Heimatland Venezuela, als er nach jahrelangem Stillhalten dem autokratischen Staatsoberhaupt Maduro die Stirn bot.
In den zwölf Jahren seit der ersten Einspielung hat der Dirigent an Reife gewonnen. Die Ausdrucksdichte der 2018er Darbietung hat sich intensiviert, wobei der größere Erfahrungsschatz der Berliner gegenüber seinem Jugendorchester sicher keine zu unterschätzende Rolle spielt. Schon der Beginn wirkt dunkler, schmerzlicher, gepeinigter. Es klingt nun einfach selbstverständlicher und bedarf keiner Inszenierung mehr. Das Spiel ist immer noch effektvoll, dient aber in höherem Maß der Ausdrucksdichte. Es wird dann doch, bei allem Respekt für die fantastische Leistung der jungen Musiker, eine andere Orchesterqualität erreicht und noch eindringlicher musiziert. Auch dieses Mal finden wir minutiöse Detailperfektion, aber genauso betörende Farbenpracht. Es wird sehr eindringlich musiziert mit einer ganz vorzüglichen Solotrompete. Der leuchtende Orchesterklang gefällt besser als bei den zurückliegenden Aufnahmen der Berliner mit Simon Rattle oder Claudio Abbado.
Der zweite Satz trennt bei den Orchestern noch deutlicher die Spreu vom Weizen als der erste. Das Orchester präsentiert sich sehr gut vorbereitet auf einem herausragenden Niveau. Es spielt homogener als bei Abbado (1993) und erreicht mindestens das Niveau der Einspielung mit Simon Rattle (2002), zeigt einen bestechend sonoren, dunkel leuchtenden Klang, den es bei Rattle noch nicht (oder nicht mehr) so deutlich produzierte. Es ist mehr Tiefe im Klang wie bei kaum einem anderen. Das Spannungsniveau wird hochgehalten. Ausweglosigkeit, Trauer und Verzweiflung verlieren das theatralische Moment, das man 2006 in Caracas noch raushören konnte. Dagegen erscheint das Geschehen wie gerade frisch durchlebt. Mit größter Vehemenz und viel Leidenschaft, wobei wir beides dem jungen Orchester aus Caracas ebenfalls in hohem Maß bestätigen wollen. Die beiden ersten Sätze werden wie bei Rattle als Einheit erkennbar.
Im Scherzo wird da Tempo gegenüber 2006 spürbar reduziert, die Phrasierung wirkt tänzerisch, die Zusammenhänge zwischen den eigentlich teilweise völlig disparaten Teilen bleiben gewahrt, die Bögen gespannt. Das Orchester wirkt höchst konzentriert, uns kam es so vor: sogar mehr als bei Abbado. Wir können einer fantastischen Perfektion lauschen. Wenn man zu den Spitzenorchestern in Sachen Mahler gehören will, geht es heute gar nicht mehr anders. Die Musiker spielen mit traumwandlerischer Sicherheit. Den Walzer spielt den Philharmoniker so schnell kein anderes Orchester nach. Trotz der recht langen Spieldauer verspürten wir zu keiner Sekunde einen Durchhänger. Dass das herausragende Corno obligato (wie bereits in den Aufnahmen von Simon Rattle, 2002 und dem Mitschnitt vom Deutschlandfunk 2011) von Stefan Dohr geblasen wurde, sollte ausnahmsweise erwähnt werden.
Das Adagietto nimmt Dudamel nun in einem entscheidenden Maß schneller als 2006. Der Spagat zwischen den langsamen Tempoangaben und der „akustischen Liebeserklärung“ gelingt nun besser. Schlank, aber doch in völlig warm getönten Wohllaut. So könnte die Liebe klingen, wenn sie aus Musik bestünde. Zum Dahinschmelzen.
Im Rondo klingt die Solo-Oboe ganz nebenbei noch viel schöner als bei Rattle 2002, sie hat wieder das Karajan-Niveau von 1973 erreicht. Das Rondo gerät Dudamel und den Philharmonikern zu einem echten Glanzstück. Man hört die Philharmoniker entfesselt wie seit der Aufnahme mit Karajan (1973) nicht mehr. Allerdings wirkt die Musik jetzt viel polyphoner durchgezeichnet als damals. Die Beweglichkeit und Präzision der Streicher (die haben wir uns dieses Mal ganz genau angehört) und die Homogenität ist sagenhaft.
Die ganze Sinfonie wirkt bei Dudamel nun wie unter einen Bogen gespannt, das gelang ihm 2006 bei weitem noch nicht. Sie wirkt dabei wie hoch erhitzt. Während bei BP Recordings der Schlussapplaus herausgeschnitten wurde, hört man bei der Live-Übertragung des RBB den frenetischen Jubel, den diese Darbietung zurecht erhielt.
Der Klang zeigt eine hohe, aber unaufdringliche Transparenz, d.h. die Musik wirkt nicht wie durchleuchtet, sondern wirkt natürlich. Er wirkt breitbandig und satt, sehr dynamisch und mit einem sehr guten Fundament unterlegt. Die warm vermittelnde Aura, die der Klang des Orchesters ausstrahlt, schmeichelt den Ohren.
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4-5
Alain Lombard
Orchestre National de Bordeaux Aquitaine
Forlane
1991
12:06 13:44 16:26 9:55 13:07 65:18
Französische Orchester scheinen kein großes Faible für die Sinfonik Gustav Mahlers mitzubringen, denn man trifft sie in der Diskographie nur selten an. Das Orchester von der Atlantikküste ist bei der Fünften erstaunlicherweise sogar zwei Mal vertreten, wobei uns die ältere mit Alain Lombard viel besser gefallen hat als die neuere mit Paul Daniel von 2015. Auf letztere kommen wir später noch zu sprechen.
Alain Lombard war von 1987 bis 1995 Chefdirigent des Orchesters bis er aus finanziellen Gründen entlassen wurde.
Anscheinend war er zu teuer, das Orchester dankte ihm seine Leistung jedoch mit einer großartigen Leistung. Es scheint uns sogar den Pariser Orchestern der damaligen Zeit überlegen gewesen zu sein, jedenfalls haben wir die auf Tonträgern, soweit erinnerlich, nie so gut gehört. Heutzutage ist das leider anders geworden, wie uns die Aufnahme von 2015 lehrt.
Die direkt eingefangene Solotrompete lässt den Zuhörer sofort die Ohren spitzen und tatsächlich: Das Orchester wirkt sofort geschärft und lässt mit drastischen Entladungen aufhorchen. Impulsiv und aufgewühlt gelingt bereits die Wiedergabe des ersten Satzes.
Vehement, mit viel Biss stürmisch und mit recht viel spannungsförderndem Rubato stürzt man sich in den zweiten. Er überrascht dann mit den dramatisch geschärften Verläufen, wobei Lombard in den lyrischen Passagen nicht zu schleppen beginnt. Der ganze Satz wird mitreißend gestaltet. Die grandiose Choral-Vision wirkt durchzugsstark, die Kraftentfaltung des damals durchweg hervorragend besetzten, hochanimierten Orchesters begeistert. Alain Lombard scheint sich die Aufnahme des Herrn Solti sehr gut angehört zu haben.
Die Wiedergabe des Scherzos stand ebenfalls unter einem glücklichen Stern. Es wirkt sehr atmosphärisch, tänzerisch beschwingt und zeigt den Stimmenverlauf hellhörig auf. Die Kontrapunktik offenzulegen ist kein Problem für das Ensemble. Die Musik wirkt inspiriert und pulsierend, das Lyrische nicht überdehnt. Das Blech begeistert durch Impulsivität. Das spezifisch Französische hört man ihm nicht an. Es klingt sonor und brillant zugleich. Sein knorriger „Akzent“ scheint mehr nach Russland zu weisen als nach Paris. Nur der Holzblock klingt nicht nach dem Knochengeklapper von Freund Hein. Und eines bemerkt man schon vor dem Adagietto, die Streicher klingen nicht nach den Wiener oder Berliner Philharmonikern und auch nicht nach Concertgebouw Orchester.
Die Tempowahl des Adagietto vermittelt wie bei Dudamel ganz gut zwischen den Tempoangaben Mahlers und dem Anspruch an ein „Intermezzo“ und einer Liebeserklärung, bei der die Angebetete nicht einschlafen soll, bevor sie zu Ende ist. Die Harfe klimpert etwas zu sehr im Hintergrund und hat wenig Edles im Klang. Bei den Violinen vermissen wir etwas Körper, sie klingen eher ätherisch als sinnlich-verführerisch.
Das Rondo geht man nicht nur mit frisch aufgeladenem Akku an, er hält auch frisch gefüllt durch bis zum Schluss durch. Schwungvoll, tatendurstig und abenteuerlustig geht es durch den Satz, der bei vielen Dirigenten zu Längen neigt. Hier bleibt er spannend und sehr gut gesteigert. Man denkt oft an Solti (1970) und Kondraschin. Alain Lombard hat, Kostenfaktor hin oder her, zumindestens großstädtisches Flair und Mahler-Kompetenz in die französische Provinz gebracht.
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4-5
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
EMI
2002, live und
Deutschlandfunk, unveröffentlicht
2011, live
13:00 14:17 16:51 9:32 14:50 68:30
13:04 14:14 17:18 9:35 15:01 69:12
In Berlin gab es, obwohl die Uraufführung der Zweiten mit den Philharmonikern stattfand, keine große Tradition wie z.B. in Amsterdam oder später beginnend in New York. Die Kritik damals zeigt, welcher Wind Mahler damals in Berlin um die Ohren pfiff. Die Berliner Allgemeine Musikzeitung schrieb bei der Teilaufführung von drei Sätzen aus der Dritten, die 1895 der Uraufführung im Dezember um ein paar Monate, zuvorkam: „Die Philharmonie sonst eine Stätte des edlen und hohen Geistes, wurde zu einer Stätte gräulicher Verwüstung und zum Tummelplatz der Pygmäen. Das hohle Nichts endete in einem hohlen Chaos von Nichtdissonanzen, von lärmenden Misstönen sich bewegender Orchestermassen, die Trivialität der Melodik und vor allem die Geschmacklosigkeit des dritten Satzes ist über alle Maßen hinaus, ist nicht Musik, sondern ist Lärm, Unfug und Stolz.“ Mahler hatte damals die Chöre und die Philharmoniker selbst bezahlt, dass es überhaupt zu einer Aufführung kam. Nikisch, Fried (hatte Mahlers Zweite als erste komplette Mahler-Sinfonie überhaupt eingespielt), Walter, Klemperer und Horenstein führten Mahler als Gäste bereits vor dem Krieg auf, Furtwängler war kein Mahlerianer und führte nur sporadisch die ersten Sinfonien (1,3,4) und Lieder auf. Unter den Nazis litten dann alle Mahler-Traditionen, in Deutschland ganz besonders. Erst Klemperer und Horenstein, mit dem wir den Mitschnitt der Fünften und den Philharmoniker anlässlich des Edinburgh-Festivals 1961 im Vergleich haben, animierte die Philharmoniker nach dem Krieg wieder dazu, Mahler aufzuführen. 1964 kam es unter Barbirolli zur ersten Studioproduktion (die Neunte). Selbst damals soll es gegenüber Mahler noch antisemitische Vorurteile (im Orchester) gegeben haben und viele dachten, es handele sich bei seiner Musik nur um „Nachschöpfung“ und „Kapellmeistermusik“, denn Juden wären zu originärer Schöpfung nicht fähig! Karajan war sehr zögerlich und kam erst spät zu Mahler und überließ ihn bis 1973 den Gastdirigenten. Auch er begann mit der Fünften. Zu einer Zusammenarbeit der Philharmoniker mit Bernstein kam es nur einmal, obwohl sich Karajan und Bernstein musikalisch durchaus schätzten, wollte Karajan den direkten Vergleich nicht (genauso verhielt es sich bei Solti). Bei seinem Gastspiel hat Bernstein den Philharmonikern viel erklären müssen! Erst mit Abbado kam es zur ersten Mahler-Blüte bei den Philharmonikern und bei Rattle wurde Mahler endgültig zum Hausgott. Rattle debütierte bereits 1987 mit der Sechsten. 2002 kam es dann zu seinem ersten Konzert als Chefdirigent. Der 47jährige wählte dazu die Fünfte. Es war ein hoffnungsvoller Einstand, flankiert von viel Medienrummel (die Stadt war plakatiert mit Rattles Konterfei und es war zu lesen: „Simon kommt!“ Oder: „Welcome Simon!“) Das erste Konzert wurde in ganz Deutschland (und darüber hinaus) im Fernsehen übertragen und schon bald kamen die CDs der Fünften und die Videos und DVDs des ganzen Konzertes in die Plattenläden (die gab es damals noch) und Kaufhäuser (die hatten damals noch klassische CDs und Videos im Angebot).
Im ersten Satz hat „Simon“ der Ernst eingeholt. Die spielerische Unmittelbarkeit, wie man sie noch in Birmingham erleben konnte, war verschwunden. Hier ging es jetzt ums Ganze. Das Orchester steht voll hinter ihm, zumindest in diesem Konzert konnte man das sehen und hören. Die Trauer des ersten Satzes kommt unvermittelt durch. Rattle lässt die Spannung nicht abreißen. Die Violinen klingen jedoch schlanker und weniger farbkräftig als noch bei Abbado. Das Spiel wirkt sehr detailreich, fast schon detailaffektiert. Das sf der Streicher am Ende des Satzes klingt schwach und entkräftet (Mahler verzichtete auf eine Lautstärkeangabe, weshalb ganz verschiedene dabei herauskommen).
Weniger stürmisch und vehement als bei Karajan gibt es bei Rattle auch weniger eruptive Gewaltausbrüche als bei dem Vorvorgänger. Die Musik klingt jedoch detailreicher, die Polyphonie viel klarer durchgezeichnet. An die Dramatik Soltis oder an das Bedrohungspotential Bernsteins kommt Rattle nicht ganz heran. Es gibt kein Zerfall des Satzes in Episoden, wie das noch bei Abbado 1980 in Chicago der Fall war.
Im Scherzo erklingt das Corno obligato außerordentlich klar und deutlich. Rattle lässt es vorne auf der Solistenposition spielen, was den konzertanten Charakter gerade für das Publikum vor Ort und die Video-Seher besonders deutlich macht. Es spielt unglaublich schattierungsreich und sauber, was allerdings auch für das übrige Orchester gilt. Die dunkel klingenden Holz- und Blechbläser zeigen eine gute Feinarbeit, die Walzereinlage gelingt. Seit der Aufnahme mit Abbado (1993) hat man sich eine neue Holzklapper angeschafft, Sie klingt jetzt härter und nicht mehr so voll und rund, ja warm wie bei Abbado und nicht so knochendürr wie bei Abbado in Chicago (1980). Es wird spannend musiziert.
Innerhalb des „Weltenlaufs“ der Sinfonie gelingt das Adagietto als träumerisches „Intermezzo“. Es wirkt schlicht und unprätentiös, schlank und klar. Die Balance der Streichergruppen untereinander ist sehr gut. Es wird nicht auf Streicherglanz verzichtet, wobei die EMI-Aufnahme dabei selbst nicht gerade glänzt, sondern sagen wir mal: eher matt-glänzend verfährt. Die Harfe wird goldrichtig ins Klangbild integriert. Das Tempo bleibt im Fluss, wird noch nicht verschleppt. Der Expressivität werden Zügel angelegt, gerade wenn man Karajan noch im Ohr hat, der übers Ziel hinausschießt. Es wird bei Rattle sogar eine Art bescheidenes Gegenbild erzeugt, das viel mehr überzeugt.
Im Rondo herrscht lichte Transparenz vor. Rattle macht aus unserem Helden kein Übermensch wie Karajan. Es herrscht ein freundlicher, gut gelaunter Ton, eine sonnige Atmosphäre vor. Die Polyphonie wird sehr gut hörbar gemacht. Das Fugato wirkt sehr gut als Energiequelle. Es wird weniger auf den Effekt hin dirigiert als bei Karajan. Dieser wollte noch überrumpeln. Rattle ist da schon moderner und hat das nicht mehr nötig. Bei längst gesichertem Kulturgut braucht man keine Überzeugungsarbeit mehr zu leisten. Das alleine erklärt schon die leichtere Gangart. Das hindert aber nicht an einem herausragend gestalteten Choral und an einer sehr wirkungsvollen Stretta.
Von der 2002er Einspielung lag uns eine CD und eine DVD vor. Damals wollte EMI noch die DVD-Audio am Markt durchsetzen, weshalb dem Video ein solche beilag. Die Musik klingt von ihr abgespielt ungleich klarer, dynamischer, sehniger, plastischer und - ob es wohl Einbildung ist – spannender. So klingt die Aufnahme exzellent und das glühende Engagement des Dirigenten und des Orchesters wird hautnah spürbar. Schade, dass sich diese Disc nicht als neue Norm durchgesetzt hat. Die entsprechende CD klingt dagegen schlaff und langweilig. Dabei ist sie unter ihresgleichen zwar rund, aber nicht füllig, recht offen und noch transparent klingend. Die Abbildung bringt eine gewisse Tiefe mit, die Bässe sind recht tief, dunkle Farbtöne herrschen vor, die Brillanz ist nicht gerade ihre Stärke.
Gegen beide (DVD-A und CD) gehört fällt der Mitschnitt der Übertragung des Deutschlandfunks Kultur von 2011 deutlich ab. Es klingt besonders dumpf, wie wattiert, als ob man es vergessen hätte gerade bei den Streichern (Violinen) die Mikrophone anzuschalten und man von ihnen nur den indirekten Klang aus den Bläsermikrophonen hören würde. An Dynamik fehlt es auch und natürlicher Klang kommt nur bei den Bläsern vor. Indiskutabel. Damals sendete der Deutschlandfunk noch mit schmaler Bandbreite, heute hat er dagegen diesbezüglich die meisten ARD-Sender überholt. Nach Abschluss der Übertragung hat sich jedoch niemand für den miesen Klang entschuldigt. Aus klanglichen Gründen erübrigt sich eigentlich ein Eingehen auf Rattles fast zehn Jahre jüngere Sichtweise. Nur ein paar Worte dazu. 2010-2011 gab es (wegen der beiden Mahler-Gedenkjahre 2010 und 2011) in der Philharmonie alle Mahler-Sinfonien zu hören. Alle waren Chefsache, d.h. Rattle dirigierte alle selbst. Ursprünglich hieß es, dass alle als CD veröffentlich werden sollte. Es reichte aber nur für einige wenige, z.B. die Zweite und die Neunte. Die Tonträger-Krise hatte auch die EMI und damit die Philharmoniker erwischt. Oder reichte es sogar nur für die Zweite?
Aufgrund der indiskutablen klanglichen Disposition der Übertragung herrschen im Trauermarsch deutlich dunklere Töne vor, lastend und fahl wirkt er. Der Gestus wirkt nicht mehr so detailaffektiert. Die Musik bleibt besser im Fluss. Die Trompete macht ihre Sache gut, wenn auch nicht perfekt. Spannung und Dramatik haben etwas an Bedeutung verloren, Trauer setzt sich noch mehr durch.
Im zweiten Satz wirkt die Darbietung introvertierter. Sie erinnert noch mehr an einen Albtraum, was vielleicht auch an der seltsamen Aufnahme liegt. Im Scherzo wird der Solist erneut nach vorne beordert, entsprechend deutlich und groß ist er zu hören. Ganz so souverän wie 2002 wirkt das Spiel dieses Mal nicht. Seine Dynamik, wenn es denn derselbe Solist war, ist nach wie vor einfach erstaunlich. Wenig Unterschiede bei den beiden verbleibenden Sätzen.
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4-5
Benjamin Zander
Philharmonia Orchestra London
Telarc
2000
12:14 13:55 16:56 8:32 15:56 67:33
Benjamin Zander, Jahrgang 1939 war bei seiner Einspielung 61, nach Meinung nicht weniger „Kenner“ der Materie, das beste Alter für einen guten Maher-Dirigenten. Wir haben, hoffentlich, dieses Klischee, das auch besagt, dass ein guter Mahler-Dirigent 60 Jahre sein muss, durch unseren Vergleich bis hierhin bereits hinlänglich widerlegt. Was selbstverständlich nicht heißen soll, dass Benjamin Zander kein guter Mahler-Dirigent wäre. Ganz im Gegenteil.
Er trifft die Ausdruckswelt eines Trauermarsches traumwandlerisch sicher. Er wirkt ungleich dunkler, sorgenschwerer, trauriger als z.B. bei Christoph von Dohnayi, der mit „seinem“ Cleveland Orchestra seinen Trauermarsch um es einmal meteorologisch zu formulieren bei schönstem sommerlichem Sonnenschein und einer lauen Brise marschieren lässt. Das Philharmonia aus dem trüben und wolkenverhangenen London spielt zwar auch prima aber gedeckter im Klang und lange nicht so spritzig. Die dynamischen Abstufungen werden akribisch umgesetzt, die Klangfarbenmelodie (eigentlich erst von der neuen Wiener Schule gebracht), d.h. wenn eine Melodie von einem anderen oder mehreren anderen übernommen und weitergesponnen wird, sind bei Mr. Zander mit am besten verfolgbar. Gleichzeitig ablaufende Prozesse werden regelrecht durchleuchtet. Der zusammenbruchähnliche Höhepunkt bei Zi. 18 bekommt nicht das geforderte fff. Dadurch wirkt es matter als z.B. bei Dohnanyi. An dieser Stelle tun sich übrigens sehr viele Orchester schwer. In dieser Einspielung klingt das sf der Streicher am Ende des Satzes sehr heftig.
Im zweiten Satz wirkt vor allem die Phrasierung enorm plastisch. Da wurde alles bestens durchdacht und nichts dem Zufall überlassen. Ein Beispiel ist die Monodie der klagenden Celli, die auf diese Weise besonders eindringlich gerät. Auch in diesem, noch komplexeren Satz werden die disparaten Stimmen vorbildlich herausgearbeitet. Der Choral hervorragend aufgebaut (Pesante: plötzlich etwas anhaltend). Bei Zander hört man diese Angaben alle problemlos heraus. Der ganze Satz lässt sehr viel hören, ohne je didaktisch zu wirken. Der Vortrag bleibt Musik und wird nicht zur Vorlesung. Das Tragische tritt ganz im Gegenteil deutlich hervor, wobei auch das Ironische oder gar Groteske nicht unterdrückt wird. Pathetik wird weitgehend vermieden.
Im Scherzo wird das Corno obligato lange nicht so exponiert wie bei Solti (1970) oder Dohnanyi, nur selten tritt es prominent hervor (z.B. Bei Zi. 10 oder Zi. 28). Ähnlich wie es im ersten Satz schon mit der Solotrompete war. Hervorstechend ist erneut der äußerst plastische Stimmenverlauf. Die Partitur wirkt wie durchleuchtet. Bei der Stretta, „sehr wild“, kommt Zander nicht an die unmittelbare Vehemenz von Solti (1970) heran. Bei Zander findet man keine Sentimentalitäten.
Im Adagietto gelingt Mr. Zander, so kam es uns jedenfalls vor, trotz des recht zügigen Tempos der Eindruck großer Langsamkeit. Die Diktion wirkt schlank und zart. Die Harfe erhält nur eine untermalende Rolle. Die Aufteilung der ersten und zweiten Geigen nach links und rechts hat große Vorteile für die Transparenz. Das hätte man schon in den Sätzen zuvor loben müssen, jetzt ist es besonders auffällig. Der Satz, das wird hier besonders deutlich, braucht definitiv kein langsameres Tempo als dieses. So wirkt er immer noch leicht und frei von jeder Art von Pathos.
Im Rondo muss unser imaginärer Held erst wach werden, er braucht etwas Anlauf um Mut zu schöpfen und sich stark genug zu fühlen, um hinaus in die „Welt“ zu wandern. Zander verzichtet völlig auf vordergründige Effekte, hat trotz herausragender Detailarbeit immer das Große und Ganze im Auge. Die Vielstimmigkeit ist ausgezeichnet durchzuhören. Seine Interpretation entspricht wohl dem damaligen Stand der musikwissenschaftlichen Ermittlungen. Insgesamt fehlt vielleicht der musikantische Geist, der feurige Impetus. Aber das ist ja Geschmacksache.
Die Aufnahme erscheint sehr transparent, jedoch nicht mit der Präsenz von Solti (1970) oder Dohnanyi. Sie wirkt dennoch dreidimensional ausgeleuchtet und gut in die Tiefe hinein gestaffelt (auch in der Breite und Höhe). Die Ortbarkeit der einzelnen Instrumente und -gruppen gelingt leicht. Der Klang ist voll, dynamisch und farbig. Er wirkt deutlich dunkler gefärbt als bei Solti oder Dohnanyi und weniger brillant, also gedeckter. Die Balance ist sehr ausgewogen, keine Instrumentengruppe stiehlt der anderen die Show.
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4-5
Christoph von Dohnanyi
Cleveland Orchestra
Decca
1988
12:07 12:52 15:29 10:18 14:00 64:46
1982 wurde Christoph von Dohnanyi zum Nachfolger Lorin Maazels bestellt und wurde somit auch Erbe von George Szell. 1984-2002 war er dann Chef des Orchesters. Die Trompete und das Blech generell fallen schon sofort als herausragend auf, auch wie gut das Orchester eingestimmt ist. Das ungeheuer dynamische, intonationssichere und sinnlich schöne Spiel begeistert ungemein. Emotional wirkt das Spiel jedoch ein wenig reserviert, wenngleich es doch in eine ganz andere Richtung tendiert als bei Boulez und den Wienern, von denen bald noch die Rede sein wird. Der Trauermarsch verliert den dicken Trauerrand, klingt immer noch leidenschaftlich aber nicht so wild hochgepeitscht in den aufgewühlten Passagen, immer ein wenig distinguiert und beherrscht. Durch die bestechend klare Artikulation (rhythmisch und überhaupt spieltechnisch) und das extrem klare Stimmengefüge fallen sozusagen bereits ein paar Sonnenstrahlen ins trauernde Herz hinein. Ohne dass man daraus Trost schöpfen könnte.
Der zweite Satz klingt energisch, dramatisch-zugespitzt und durchaus intensiv. Bei der Monodie der klagenden Celli (fast nicht leise genug) entscheidet sich Herr von Dohnanyi tendenziell mehr zum Espressivo als zum pp, versucht aber prinzipiell beides zu beherzigen. Detailreich wird jeder Anweisung Folge geleistet. Ab T. 266 erklingt der Rückgriff auf den Hauptsatz des Trauermarsches nun sehr gefühlsintensiv. Die Gran Cassa klingt mächtig und bedrohlich. Jedes Schleppen wird vermieden. Der Choral wird als Vision erkennbar (starke Streicherumspielungen). Alles glasklar und trotzdem erhaben. Eine durchdringende Gestaltung des Höhepunkts.
Im Scherzo bleibt der Wiener Schmäh beim Walzer diskret, das Glissando sehr unauffällig. Durch die fantastische Innenbalance des Orchesters werden die sich ständig variierenden Lautstärkeverhältnisse exakt vermittelt. Die Durchführung wird mit viel Drive und kraftstrotzend gegeben, fast als ob Walzer und Ländler gegeneinander kämpften. Das Corno obligato ist perfekt durchtrainiert, sehr differenziert und kraftvoll. Ob es auch das Ausdruckvollste ist? Die Stretta drängt sehr stark und beschließt ein bestechend gespieltes Scherzo.
Dohnanyi sucht einen akzeptablen Kompromiss zwischen den Tempovorschriften (molto Adagio, sehr langsam usw.) und dem Charakter eines musikgewordenen Liebesgedichts zu finden. Er schafft das mit flexibler Temponahme und leichter Diktion, Jedenfalls gibt es hier ganz sicher kein Staatsbegräbnis zu belauschen. Die Harfe wird nicht als sprudelnder Quirl herausgestellt (wie bei Gielen), sondern dezent integriert. Glissandos haben wir keine gehört.
Im Rondo hält der Dirigent alles in Bewegung ohne auf die Befolgung der disparaten Anweisungen Mahlers zu verzichten. Beim Fugato kann man den bestechend klaren Streichersatz einfach nur bewundern. Das Orchester setzt alle Akzentuierungen makellos und auch mühelos um. In den anderen Sätzen konnte das Mühelose bisweilen irritieren, denn alles wirkte so leicht und ungezwungen, was bei Trauermarsch und zweitem Satz den seltsam sonnigen Eindruck noch verstärkte, wo doch alles auf dunkel, tief und schicksalhafte Schwärze geschaltet zu sein scheint (von der Choralvision einmal abgesehen). Im Rondo irritierte das nicht mehr, ganz im Gegenteil. Das Blech spielt voller Saft und Kraft und so leicht und locker wie andere ihre Blockflöten, wieselflink und trotzdem bei Bedarf urgewaltig. Glanz und Glorie des Chorals wirken echt und glaubhaft, anscheinend versucht man in Cleveland keine Ironie hinzu zu mixen. Die sieben letzten Takte hört man nur ganz selten als Presto so leichtgängig und supervirtuos hingelegt. Die Einspielung kommt in Hinsicht auf schwerelose Virtuosität der Aufnahme Abbado mit dem Luzerne Festival Orchestra sehr nah. Ein minimaler Schönheitsfehler ist das Nachschwingen des letzten Akkords, da wurde das Nachschwingen des Schlagwerks schnell unterbunden, während die anderen Instrumente alle unterschiedlich lange nachschwingen dürfen. Das hört man so nie. Normalerweise würde ja auch schon ungebremster Jubel losbrechen, aber dies ist eine Studioeinspielung.
Eine eigentlich fast perfekte Einspielung, höchstwahrscheinlich exakt durchgearbeitet und penibelst geprobt. Sie macht zwar aus der Fünften keine Serenade, so hell und strahlend wirkt aber keine andere Einspielung, die wir gehört haben. Vielleicht klingen die zwei ersten Sätze dann doch zu schön und leicht um so gemeint gewesen zu sein. Die Einspielung ist eine sehr willkommene Ergänzung zu jeder Sammlung der Fünften mit eigenem Profil.
Der Klang der Aufnahme ist sehr präsent, tendenziell trocken, der Gesamtklang aber rund und offen. Er gewährleistet eine bestechend klare Sicht auf das ganze Orchester. Die Bässe sind tief und kräftig, der Gesamtklang voll und saftig. Das fantastische Orchester wird gebührend brillant und tiefengestaffelt wiedergegeben und befindet zurecht auf dem akustischen Präsentierteller. Strahlend und lichtdurchflutet. Mahlers Fünfte ist zumindest orchestral und aufnahmetechnisch auf dem Olymp angekommen. Zu einer Zeit, als andere Labels noch mit den Kinderkrankheiten der Digitaltechnik gekämpft haben. Der Tonmeister war James Lock im Masonic Auditorium zu Cleveland.
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4-5
Andris Nelsons
WDR Sinfonieorchester Köln
Aufnahme und Sendung des WDR, unveröffentlicht
2010, live
12:06 13:43 16:07 8:30 14:28 64:54
Noch eine Sendung der Fünften aus dem Mahlerjahr 2010. Andris Nelsons war von 2006-2009 Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford. 2010 war dann aber bereits Nachfolger Sakari Oramos beim City of Birmingham Symphony Orchestra. Derzeit (2024) ist er Chef des Gewandhausorchesters Leipzig und des Boston Symphony Orchestra. Damals, als gerade einmal 32jähriger, hatte er die Sinfonie zuvor bereits in Riga und Herford geleitet. Das Sinfonieorchester des WDR hatte er schon mehrmals zuvor dirigiert, man kannte sich also bereits. Und auch heute noch geht man sich nicht aus dem Weg. Er lernte, wie er selbst meint, viel von seinem Landsmann Mariss Jansons, den er auch als seinen Mentor bezeichnet. Die Tempi für Mahlers Fünfte hat er allerdings nicht von ihm übernommen. Inzwischen hat er, selbst zum Weltstar geworden, die Fünfte als Videomitschnitt aus dem Jahr 2015 mit dem Lucerne Festival Orchestra veröffentlicht.
Der Trauermarsch klingt langsam, schleppend, gramgebeugt und mit energischen, höchst dynamischen, zupackend-nervösen, schmerzlich aufgewühlten Passagen durchsetzt. Generell wird stark akzentuiert und keinerlei Weichzeichnung geduldet. Das Orchester spielt entschieden leidenschaftlicher als später mit seinem Chef Jukka-Pekka Saraste. Nelsons lässt das Schluss-Pizzicato ganz leise und sachte intonieren.
Das Tempo im zweiten Satz wirkt dagegen angezogener, fast rasant, zumindest einmal zu Beginn. Der Gestus erfüllt die geforderte Vehemenz, wie auch das Realisieren hochgepeitschter Erregung. Das Orchester spielt die ersten beiden Sätze ganz hervorragend homogen und klangschön mit butterweichen Streichern und sonorem Blech. Das reichhaltige Nuancieren gefällt. Man legt sich bei den wie rasenden Ausbrüchen von Wut und Verzweiflung in der Dynamik keinerlei Fessel an. Der Verlauf wirkt dramatisch zugespitzt. Der Choral wirkt als Ergebnis kämpferischer Auseinandersetzungen bereits voll ausgespielt. Atemlose Stretta.
Das Scherzo wird wie zuvor bei Rattle als konzertanter Satz für Horn und Orchester ausgeführt. Nelsons fragt den Solo-Horninsten vor dem Konzert, ob er vorne auf der Solistenposition stehen möchte und wo er sich am wohlsten fühlt. Das war wohl der Fall. Wenn der Solist vorher gewusst hätte, was ihm an Kicksern unterläuft, hätte er sich vielleicht anders entschieden. Das Horn zeigt sich erneut, wie in fast allen echten Live-Konzert-Einspielungen als launische Diva, als kein Instrument für schwache Nerven (das zurecht den Spitznamen „Glücksspirale“ erhalten hat). Kickserzähler sind unbeliebt, aber dieses Mal kamen sie überaus reichlich. Das Tempo Nelsons ist angetrieben und flott, man könnte es kaum noch als locker bezeichnen. Man spielt tänzerisch und durchaus inspiriert. Die Darstellung erscheint heiter, zugespitzt und doppelbödig wie das Leben selbst und wird vollendet mit einer überschwänglichen Stretta. Die anderen Mitglieder der Horngruppe ließen sich anscheinend noch vom Corno obligato infizieren, während sich die anderen Musiker standhaft zeigten.
Das Adagietto lässt Nelsons sehr zart und weich spielen, nicht ohne genug Leidenschaft besonders im Mittelteil zu zeigen. Generell eher bescheiden und zurückhaltend findet er durch das recht zügige Tempo zu einem jugendlich-frischen Gestus, der wenig von Wehmut, Abschied oder gar Todessehnsucht vermittelt.
Im Rondo patzt dann mal die Klarinette. Nelsons schlägt erneut ein frisches Tempo an, das dieses Mal lockerer als im Scherzo wirkt, jedoch wie im Scherzo durchaus auch drängende Züge annimmt und kokett oder skurril klingen kann. Da will unser Held voller Abenteuerlust und frisch gestärkt hinaus in die Welt und zeigt uns dabei, was er kann. Auch die WDR-Symphoniker zeigen, was sie können, spielen meist sehr geschmeidig, aufmerksam und mit seltener Spontaneität. Leider waren an diesem Abend nicht alle Hornist(innen) „Glücksspiralen-Bezwinger“, auch nicht im Rondo. Schade, aber an der letztlich großartigen Gesamtwirkung ändert das auch nicht viel. Frenetischer Jubel auch in Köln. Heute würde Herr Nelsons wahrscheinlich zehn Minuten mehr für die Sinfonie brauchen.
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4-5
Yutaka Sado
Tonkünstler-Orchester
Eigenlabel des Orchesters
2019, live
11:35 13:56 17:03 10:13 14:12 66:59
Yutaka Sado ist seit 2015 Chef des Tonkünstler Orchesters, das sich seit einiger Zeit den Zusatz „Niederösterreichisches“ schenkt. Vielleicht will man dadurch von einer gewissen Regionalität wegkommen. Das gelingt ihm mit seiner Leistung in diesem Konzert zumindest auf ganzer Linie. Eigentlich ist es nämlich in der Landeshauptstadt Sankt Pölten beheimatet, einem Ort, den man wahrscheinlich nicht überall auf der Welt kennt. Es kommt aber regelmäßig zu Konzerten nach Wien und ist nach Kenntnis dieser Aufnahme im Ranking der Wiener Orchester, für uns jedenfalls, beträchtlich nach vorne gerückt. Es gibt aus dem Jahr 2005 noch eine weitere Einspielung der Fünften mit Sado. Sie entstand mit dem RSO Stuttgart des SWR und ist bei Avex Classics erschienen.
Sado war Assistent bei Bernstein und Ozawa und kennt „seinen“ Mahler, was man dieser Aufnahme sogleich anmerkt. Sie entstand während eines Konzertes am 20.9.2019 während einer Gastspielreise in der Hamburger Elbphilharmonie. Wenn wir schon gerade beim Aufnahmeort sind kommen wir doch schnell zur Klangqualität: Das Klangbild ist frei, hell, offen, plastisch, sehr transparent mit guter Staffelung und sehr genauer Ortbarkeit und guter Brillanz. Nur dynamisch könnte es noch stärker zur Sache gehen, was aber durchaus an unserem Streaming liegen könnte. Wenn man die Art und Weise nimmt, wie vorzüglich der Klang dieses Orchesters zur Geltung gebracht wird, so müsste die Klangcharakteristik der „Elbphi“ für große Orchester geradezu prädestiniert sein.
Musikalisch hat man ebenfalls sehr viel zu bieten. Das recht bewegte Tempo im Trauermarsch zeitigt eine sehr hohe Emotionalität. Das Orchester präsentiert die Musik sehr bildgewaltig und sich selbst von der besten Seite, mit sehr genauem Zusammenspiel. Jeder Instrumentalist zeigt sich als guter Solist, genau wie Mahler das vorschwebte. Kleine Wackler sind der echten Live-Situation geschuldet und können ignoriert werden. Besonders anrührend gelingen die zarten Passagen des Trauermarsches. Ein wirklich gutes Mahler-Orchester!
Der Gestus im zweiten Satz wird vom raschen Tempo begünstigt. Aufgewühlte, stürmische Wildheit gelingen zunächst vorzüglich. Danach fällt man jedoch in ein Loch der Spannungslosigkeit, das zweifellos so beabsichtigt ist. Mangelnde Spannung kann das Orchester mit inniger Phrasierungskunst ganz gut auffangen. Das Spiel wirkt „sprachbegabt“ wie selten. Bisweilen hätten wir uns etwas mehr „Attacke“ im Klang gewünscht. Die womöglich von der „Elbphi“ noch begünstigte Transparenz ist vorbildlich. Um an die Solti-Einspielung (1970) heranzureichen, wären die „angriffslustigen“ Passagen, in denen unser Held versucht gegen sein Schicksal anzugehen, noch erheblich zupackender und erlebnisreicher zu gestalten. So ergibt sich immer noch ein recht zugespitzter Verlauf. Plastischer Zerfall der Komposition am Satzende.
Das Tempo im dritten Satz ist eines echten Scherzos würdig, tänzerisch -beschwingt, immer spannend und ausdrucksvoll. Auch im dritten Satz gefällt die sprechende Artikulation ganz besonders.
Im Adagietto wird der Klang womöglich vom Saal noch zusätzlich „aufgehübscht“. Es wird mit Empathie sehr behutsam und klangschön gespielt. Für unseren Geschmack hätte das Tempo ein wenig schneller sein können, dann hätte es auch noch besser zu den Nachbarsätzen gepasst. Die Harfe klingt in dieser Einspielung besonders gut.
Das Tempo im Rondo wirkt sehr bewegt. Bei vielen der gegenwärtigen Mahler-Dirigenten scheint die Tendenz zum Langsamen hin zu tendieren. Nicht so bei Sado. Es klingt wunderbar beschwingt und locker. Da schläft „unterwegs“ nichts ein, das Orchester bleibt an diesem Abend hellwach und spielt artikuliert und kontrastreich bis zum Finale.
Wie schon in der Einspielung der 5. Sinfonie Schostakowitschs erweist sich Yutaka Sado als Temperamentsmusiker von hohen Graden und beweist hohe Mahler-Kompetenz. Frenetischer Applaus auch in Hamburg.
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4-5
Michael Gielen
SWR Sinfonieorchester Baden Baden und Freiburg
Hänssler, SWR-Music
2003
13:06 14:50 16:08 8:29 15:32 68:05
Michael Gielen hat lange in Wien gelebt und gearbeitet, musste er doch 1937 von Berlin in die österreichische Hauptstadt fliehen, wo die relative Sicherheit allerdings nur bis zum Anschluss Österreichs 1940 währte. Die Flucht führte daher weiter nach Argentinien, nach dem Krieg ging es wieder zurück nach Wien, wo er von 1950 bis 1960 Korrepetitor an der Staatsoper war.
Von Michael Gielen gibt es außer der hier vorliegenden Einspielung unter Studiobedingungen aus dem Konzerthaus in Freiburg auch noch eine Live-Aufnahme mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, die, wo auch sonst, in Japan beim Label Altus erschienen ist. Sie stammt aus dem Jahr 1971, als man sich in Saarbrücken nach einem neuen Chefdirigenten umsehen musste. Bei Michael Gielen handelte man sich einen Korb ein, aber immerhin gab es davor und danach noch einige Gastspiele beim saarländischen Orchester, bevor er (sehr viel später) in Baden-Baden Fuß fasste. Er war zwischen 1986 und 1999 Chefdirigent des Orchesters, anschließend dann noch Ehrendirigent bis 2014, bis zu dem Jahr, als er sich aus gesundheitlichen Gründen ganz von seiner Tätigkeit als Dirigent zurückziehen musste.
Den zweiten Satz der Saarbrücker Einspielung kann man immerhin auch auf der Jubiläumsaugabe 60 Jahre RSO Saarbrücken finden (ein Set bestehend aus drei CDs), wenn man die Ausgaben eines Japan-Direktimportes scheuen sollte. Er zeigt ein erheblich schnelleres Tempo (nur knapp über 13 Minuten) als 2003 in Freiburg, wirkt sehr wild, aufgepeitscht und von kompromisslosem Ausdruckswillen getrieben. Das Orchester musste sich richtig anstrengen um vor dem damals 44jährigen strengen Dirigenten zu bestehen und die Klangqualität erreichte damals noch lange nicht die Fülle und Transparenz der heutigen Live-Mitschnitte. Trotzdem schade, dass der Mitschnitt in Deutschland oder Europa unseres Wissens nicht erschienen ist.
Mittlerweile 76 Jahre zählend wirkt der Zugriff des Dirigenten 2003 auf die Musik des ersten Satzes in Freiburg immer noch kraftvoll und direkt. Die Unerbittlichkeit des Todes dem Leben gegenüber wird überzeugend in Ausdruck übersetzt. Das Orchester erreicht dabei dieses Mal nicht ganz die Qualität der Wiener oder Amsterdamer, es fehlt aber nicht viel. Rhythmisch wird der Trauermarsch sehr gut akzentuiert, die Transparenz der Stimmen und die Phrasierung sind klar und deutlich.
Der zweite Satz wirkt hinreichend wild und stürmisch, wer wollte es hier mit Solti (1970) aufnehmen? Gielen lässt die Spannung nicht abflauen, wenn die lyrisch geprägten Passagen der Erinnerung folgen. Der ganze Satz bleibt ausdrucksvoll. Existenzielle Angstattacken ersparen uns Dirigent und Orchester. Dazu wäre die Aufnahmetechnik auch einfach nicht nah genug dran. Die lange Pause, die Mahler zwischen 2. und 3. Satz wünschte, wird in die Spielzeit des Tracks mit aufgenommen. Bei uns zählt wie immer nur die reine Spielzeit.
Das Scherzo erhält einigen Wiener Charme, vielleicht spiegeln sich die Wiener Jahre des Dirigenten ein wenig wider. Beim Walzer gibt es sogar Schmäh, aber sonst gestattet sich Gielen keine Sentimentalitäten. Man ist immer nah am Notentext dran. Man spielt leicht und mit Witz, auch drängend und angriffslustig, sogar frech, je nachdem wie es Notentext oder Hintergrundwissen erlauben. Das Corno obligato überzeugt voll und ganz, es scheint aus der Gruppe heraus zu spielen, man hört jedoch trotzdem viel Poesie und tolle Crescendi und vor allem auch Decrescendi.
Beim Adagietto scheint Gielen den Intermezzo-Charakter anzustreben. Man spielt zwar mit Empfindung, aber nicht flüchtig und erneut unsentimental ohne trocken zu werden. Mit etwas mehr Wärme im Klang gerade der Violinen wäre uns der Satz sicher noch nähergekommen. Das Glissando hebt Gielen überraschend deutlich (wie nur ganz selten) heraus. Die Harfe ist deutlich wie selten zu hören. Sie wirkt fast wie ein Sprudler im Saft oder Wasserbehälter, sie bringt jedenfalls reichlich Bewegung in den sonst so kantablen Satz.
Im Rondo wird recht virtuos und entschlossen auf die Höhepunkte hingelenkt. Man wird jedoch das Gefühl nicht ganz los, dass der luzid gelungenen Polyphonie das Hauptaugenmerk gilt. Dass das Orchester „wie ein Mann“ oder besser wie aus einem Geist heraus spielt, sorgt durchaus für Hochgefühle beim Hören. Der triumphale Choral wird schnell genommen und wirkt so unpathetisch.
Der Klang der Aufnahme setzt das Orchester etwas weit nach hinten, es könnte etwas präsenter und brillanter klingen. Die Transparenz ist dennoch sehr gut, auch die räumliche Darstellung wirkt überzeugend.
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4-5
Erich Leinsdorf
Boston Symphony Orchestra
RCA
1963
11:32 12:58 17:22 8:29 14:04 64:25
Dies ist erst die fünfte Einspielung (Rundfunkmitschnitte zu Sendezwecken einmal außen vor) einer Plattenfirma überhaupt und erst die dritte Einspielung in Stereo (nach Rudolf Schwarz 1958 und Leonard Bernstein ebenfalls 1963, nur ein paar Monate vor Leinsdorf). Die Mono-Aufnahmen davor waren die von Bruno Walter (47) und Hermann Scherchen (51). Fast gehört sie damit noch zu den Pionieren. Erich Leinsdorf, Österreicher von Geburt, und Assistent bei Bruno Walter und Arturo Toscanini, wurde 1962 als Nachfolger von Charles Munch Chefdirigent in Boston. Zur Zeit der Aufnahme war er 51 Jahre alt. Er nahm zwar schon früh einige Sinfonien Mahlers auf, die Aufnahmen wollten sich aber nicht zum Zyklus runden.
Bei den älteren Aufnahmen des BSO schwankt die Qualität teilweise beträchtlich. Von Feuerwehrkapelle (wir übertreiben) bis Weltklasse. Diese befindet sich etwa dazwischen. Insbesondere das Blech wirkt schneidig und rau. Der Solo-Trompete hat man anscheinend wenig Aufmerksamkeit geschenkt(!). Dennoch vereinigt die Einspielung viele Eigenschaften einer guten Mahler-Einspielung auf sich. Das Tempo im ersten Satz wirkt fest im Sinne von konzise, weniger im Sinne von unflexibel und rasch, der Gestus zugespitzt und unmittelbar. Wenn man einmal von der ein wenig hemdsärmeligen Herangehensweise absieht, scheint das Orchester keine Reserviertheit gegenüber der Musik Mahlers mitzubringen. Das wirkt unprätentiös und ist in unseren Ohren vielen der neueren Einspielungen, die langweilig, gelackt und fade wirken, vorzuziehen, denn man fühlt sich sogleich in die Musik hineingeworfen. Der Verlauf ist zugespitzt. Und der Klang der Violinen ist dem der Chicagoer unter Solti 1970 sogar vorzuziehen. Dabei liegt man bei der Klangqualität bei Leinsdorf noch ein gutes Stück unterhalb einer guten „Living-Stereo“.
Im zweiten Satz stürzt sich das Orchester wild und ungebremst ins Geschehen. Im Gestus lässt das den ganzen Satz nicht nach. In den Tempi orientiert sich Leinsdorf an Bruno Walter. Das wirkt sehr spannend, sehr angetrieben und stößt sicher in die Grenzbereiche des Machbaren vor. Die heftigen Ausbrüche werden ungeschönt „herausgehauen“, heraustrompetet und herausposaunt. Voller Tatendrang, Biss und aufgestauter Wut hört sich der Choral und seine Umgebung so intensiv an, dass die Diskographie kaum vergleichbares kennt.
Im Scherzo scheint Leinsdorf Bernsteins Tempo zu übernehmen, sehr bewegt, klanglich mit vielen Valeurs und vor allem kontrastreich. Die dramatische Seite des Satzes wird deutlich hervorgehoben. Das Corno obligato klingt etwas dumpf, lässt aber an Musikalität nichts zu wünschen übrig. Das Knochengeklapper, wenn Freund Hein aufspielt, hört sich an wie Musketen-Salven. Immer wieder wartet Leinsdorf mit interessanten Rubati auf. Die Virtuosität wirkt dann immer wieder erstaunlich. Sie hat nichts von oberflächlicher Brillanz. Die Stretta klingt wild.
Das Adagietto klingt schnörkellos und erhält den Intermezzo-Charakter lediglich wegen der relativ gerafften Spieldauer. Das ausdrucksvolle Spiel geht hingegen mehr in die Tiefe. Sehr gute Violinen. Leinsdorf bezieht sich deutlich, wenn auch nicht unbedingt im Tempo, so doch im Gestus ziemlich klar auf Bruno Walter, weniger auf Mengelberg.
Das Rondo wird nicht ganz so entschieden angepackt wie bei Solti (1970) oder Kondraschin wirkt aber im Geiste eng verwandt. Beweglich, abenteuerlustig, kontrastreich und tatendurstig. Der Satz wird in keinem Moment heruntergehudelt. Man ließ sich drei Tage Zeit für die Aufnahme der Sinfonie. Einerseits hört man das auch, denn interpretatorisch hat alles Hand und Fuß, spieltechnisch erscheint nicht jedes Problem bis zur völligen Auflösung geprobt worden zu sein. Es gab also in Sachen Mahlers Fünfter viel Arbeit zu leisten in Boston, anno 1963. Wir grundverschieden klingt dagegen die Einspielung mit Seiji Ozawa 27 Jahre später!
Die Aufnahme vermittelt einen guten Überblick über das Orchesterhalbrund. Die Präsenz ist gut. Der Streicherklang wirkt über weite Passagen weich und rund. Das Blech knackig, etwas ungehobelt und tendenziell spitz, ungeschliffen und rau, was aber noch nicht einmal schlecht zur Sinfonie passt. Denn Glätte bleibt gänzlich außen vor. Leider wirkt die Staffelung noch ziemlich reduziert und die Transparenz erfüllt nicht die höchsten Erwartungen. Leider hatte man anscheinend bei RCA gerade den „goldenen Pfand“ der „Living Stereo“ Ära verlassen. Die Aufnahme von Solti (1970) klingt außer bei den Violinen in allen Belangen deutlich besser. Unsere CD stammt allerdings aus der Remastering-Frühzeit Anfang der 80er Jahre. Eine neue Überspielung nach audiophilen Gesichtspunkten könnte die Interpretation klanglich sicher besser dastehen lassen.
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4-5
Eiji Oue
Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt (heute HR-Sinfonieorchester)
Denon
1997, live
12:40 14:05 17:30 10:40 14:42 69:37
Diese Aufnahme entstand in der Alten Oper Frankfurt und wurde von Denon mehr oder weniger vom HR übernommen. Das Orchester befand sich am Ende der Ära Kitaenko, hatte also bereits mit Eliahu Inbal ordentlich Mahler-Erfahrungen sammeln können. Eiji Oue war bei der Aufnahme 40 Jahre alt und zu Zeit der Aufnahme (von 1995 bis 2002) Musikalischer Direktor des Minnesota Orchestra und ab 1998 bis 2009 Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover. Er ist seitdem Ehrendirigent dort und begleitet in der Stadt seit 2000 auch noch eine Professur für Dirigieren an der Musikhochschule. Es gibt auch noch eine Einspielung der Fünften mit ihm und dem Hannoveraner Hochschulorchester, die wir leider nicht in unseren Vergleich einbeziehen konnten.
Dies ist eine der wenigen Aufnahmen der Fünften, in der das Orchester von einem Gast und nicht von seinem Chefdirigenten geleitet wurde.
Beim sehr dramatisch und aufgewühlt gestalteten ersten Satz glaubt man zu hören, dass Oue Assistent von Bernstein war. Das Frankfurter Blech hinterlässt einen sehr guten Eindruck. An der makellos geblasenen Trompete könnte noch Reinhold Friedrich gewesen sein.
Auch im zweiten Satz wirkt die Darstellung sehr bewegt und scheut die äußerste Dynamik im Sinne des Werkes nicht.
Beim Scherzo lautet die Anweisung Mahlers: „Kräftig, nicht so schnell“. Voilá. Das hören wir auch so. Es gibt ein exzellent geblasenes Corno obligato zu hören. Angeblich wurde nur an einem Abend aufgenommen… Das wäre sehr beachtlich. Die Pizzicati der Solo-Streicher (im 4.Abschnitt des Trio II) wirken in dieser Aufnahme gespenstisch nahe. Luftig und weit entfernt dagegen die voll und warm klingende Solo-Oboe. Für die pastoralen Passagen lässt sich der Dirigent genügend Zeit. Eine gewisse poetische Seite, wie sie der Welt der „Wunderhorn-Lider“ eigen ist, wird so durchaus heraufbeschworen.
Das Adagietto wirkt zwar innig und konzentriert, erscheint uns aber etwas zu ernst. Man merkt, wie heikel das scheinbar einfache Stück eigentlich zu spielen ist. Eiji Oue nimmt vielleicht das „Sehr langsam“ der Tempoanweisung ein wenig zu wörtlich.
Das Rondo geht indes impulsiv und recht flott von der Hand. Aufgeweckt blickt unser Held neuen Taten entgegen. Ein kontinuierlicher Spannungsbogen hilft dabei. Das Frankfurter Orchester zeigt erneut seine Mahler-Kompetenz.
Diese Einspielung erschien damals nicht auf CD, sondern auf einer DVD-Video-Disc. Es war die Zeit, als man das neue Video-Format auf dem Markt lancieren und besonders im Heimkino promoten wollte. Da hat es auch viel besser geklappt als bei der Anwendung nur für Musik, also ohne gleichzeitig vorhandenes Video. Das Tonformat war sogar wählbar. In diesem Fall lag der Ton im 5.1 Dolby Digital Sound vor (wie damals für die Filme in Kino und Heim-Kino bereits üblich) als auch im PCM-Format, das man auch auf der CD findet. Der HR sendete in diesem 5.1.-Format die Konzerte seines Orchesters. Trotz der Datenreduktion klingt diese Version nicht schlecht, sehr transparent, sehr räumlich und ziemlich dynamisch. Vom Tonträger klingt es besser als im Radio gesendet. Der Klang könnte präsenter sein und wirkt eine Spur zu hallig und wuchtig. Den Bassanteil kann man sich jedoch über den eigens vorhandenen Subwoofer-Kanal selbst so dosieren, wie es genehm ist.
Der Stereo-Klang in CD-Qualität wirkt natürlicher, erheblich wärmer und tiefer gestaffelt. Der Gesamtklang wirkt dunkler und „edler“. An Präsenz mangelt es jedoch ebenfalls.
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4-5
Christoph Eschenbach
Philadelphia Orchestra
Phi (Eigenlabel des Orchesters)
2008, live
12:37 15:04 17:54 11:49 14:25 71:49
Die Fünfte begleitet Christoph Eschenbach schon eine lange Zeit. Die erste Aufnahme erstand in Houston 1992 für UNS im Wiener Musikvereinssaal. Dann folgten auch noch eine Videoaufzeichnung 2009 mit dem Orchestre de Paris und bisher abschließend 2016 mit dem Orchestra Sinfonica de Galizia. Die Aufnahme für das orchestereigene Label Phi erfolgte gerade noch in seiner Zeit als Chefdirigent 2003-2008. Er war damals 68 Jahre. Und obwohl er diskographisch als Mahlerdirigent (es ist uns nur eine Aufnahme der Sechsten tiefer im Bewusstsein geblieben) wenig hervorgetreten ist, kann diese Aufnahme überzeugen.
Die Stimmung im ersten Satz wirkt bereits eher dramatisch aufgeheizt als resignativ, gleichwohl plastisch von Klagen und Trauer durchzogen. Der Orchesterklang wirkt schlank aber dennoch reichhaltig. Es wird ausdrucksstark marschiert.
Auch der zweite Satz erklingt ernsthaft und intensiv, sehr detailreich und plastisch musiziert. Der Spannungsbogen wird allerdings stark dehnend strapaziert. Wenn man bedenkt, dass es sich um eine echte Live-Aufnahme handelt, ist das Orchester nahe dran an der Perfektion, es klingt exzellent, höchstens das etwas stumpfe Blech könnte man monieren. Das könnte aber genauso an der Aufnahmetechnik liegen.
Die wechselnden Welten, die das Scherzi immer wieder gebiert werden sehr gut charakterisiert. Es wird für den scheidenden Chef noch einmal mit Hingabe gespielt, recht rubatoreich und frei, dabei höchst konzentriert zeigt man, wozu man fähig ist. Das Corno obligato spielt exzellent, leider wird es etwas zu hintergründig aufgenommen. Das Scherzo geht dieses Mal richtig unter die Haut.
Durch den dunkel schimmernden Klang, der im Adagietto vorherrscht geht der Satz sehr in die Tiefe und tendiert hin zum Elegischen (nach dem Vorbild Bernsteins?). Da ändert der leidenschaftliche Verlauf im Mittelteil nicht viel daran. Es ist erstaunlich, auf wie viele Arten sich eine Liebe „erklären“ kann. Manch eine Angebetete wäre vielleicht schon leicht eingenickt, bevor das Wichtigste gesagt wurde. Trotz einer gewissen „Überlänge“ und leicht gedehnt wirkt der Satz gelungen. Es ist eben immer eine Gradwanderung. Es wird einfach toll gespielt. Von einem „Intermezzo“-Charakter möchte man nicht mehr reden.
Stark davon abgesetzt wird der schwungvolle, zielstrebige und freudig-bewegte Gestus im Rondo. Das Spiel wirkt enorm geschmeidig, hochvirtuos und brillant. Nach einem eher zurückhaltenden Choral folgt eine exaltierte Stretta. Das Orchester kannten wir in Sachen Mahler V bisher nur durch die Aufnahme mit James Levine von 1977 (RCA). Eugene Ormandy hielt sich hingegen all die Jahre bedeckt. Bei Eschenbach wirkt die Musik viel besser durchgearbeitet und detailreicher als beim Amerikaner. Das Orchester spielt auch noch souveräner.
Der Klang der Aufnahme wirkt ausgewogen und natürlich, sehr transparent und eher schlank als saftig. Es könnte etwas mehr Fülle und Körper vertragen. Die Streaming-Qualität spielt dabei selbstverständlich auch eine große Rolle. Das Orchester wirkt gut gestaffelt und sehr dynamisch. Der Bass klingt gut, die Gran Cassa kommt prominent ins Bild. Wenn man die Lautstärke etwas über das gewohnte Maß erhöht, wirkt das Orchester schön präsent. Die Störgeräusche durch das Publikum sind minimal. Es folgt mit dem Orchester aus Philadelphia etwas weiter unten auch noch eine Aufnahme mit dem gegenwärtigen Chef, Yannick Nézet-Seguin.
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4-5
Rafael Payare
Orchestre Symphonique du Montréal
Pentatone
2022
12:00 13:55 17:34 8:56 14:58 67:23
Der bei der Aufnahme 42jährige Dirigent venezolanischer Herkunft war zuerst Hornist im Simon Bolivar Youth Orchestra und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er bei der Aufnahme der Fünften durch Gustavo Dudamel 2007 mit dabei war. Er wechselte 2013 das Horn mit dem Taktstock und war zunächst Chef in Belfast (2014-2019, Ulster Orchestra), dann in San Diego. Mit seiner ersten Einspielung bei Pentatone gibt er nun weltweit seine Visitenkarte mit Mahlers Fünfter ab. Er gilt als Charismatiker und die Los Angeles Times meint, dass er ein Orchester auf Anhieb elektrisieren könne. Das Orchester in Montréal ist exzellent besetzt und auch stattlich, denn es sind alleine 67 Streicher mit von der Partie. Vielleicht hört man bei Newcomern besonders genau zu, jedenfalls fällt auf, dass nicht alle der zahllosen Anweisungen Mahlers umgesetzt werden. Das aber ist bei fast allen Einspielungen der Fall. Wir denken, es würde einfach zu lange dauern, wenn man alle penibel umsetzen würde, nicht nur die Proben, auch die Aufführung selbst. Der Zugriff ist leidenschaftlich, geht aber auch in die Tiefe. Nicht ganz so weit wie bei Solti (1970) oder Bernstein vielleicht.
Die Vehemenz des Beginns des zweiten Satzes verpufft ziemlich schnell und changiert ziemlich schnell ins reine Schönspiel. Das Bedrohungspotential wird jedoch bei Bedarf sehr schnell wieder aufgebaut. So spielt man Mahler heute vielerorts. Die Orchester haben keinerlei Probleme mehr mit den spieltechnischen Anforderungen der Partitur. Das Wechselspiel von polyphoner Mehrstimmigkeit und wechselnden Klangfarben und die Dramaturgie der Kontraste, das alles sitzt und wirkt ausbalanciert. Darin ist diese Einspielung der Dudamel-Aufnahme aus Berlin 2018 sehr ähnlich. Der Choral kommt gut zur Geltung, jedoch kaum mit dem Glanz und der Wucht der Berliner unter Dudamel oder gar Karajan.
Im Scherzo wird das gute Corno obligato in der Horngruppe belassen, es kommt dadurch viel weniger gut zur Geltung wie z.B. in den Berliner Aufnahmen unter Dudamel oder Rattle. Die Streicher gefallen besonders durch ihren vollen, runden und glanzvollen Klang, besonders die Violinen. Das Holz klingt sonor, das Blech wird leider ein wenig zurückgesetzt. Die zahlreichen Tempo- und Artikulationsanweisungen werden meist gut umgesetzt. Das „wild“ bei Zi. 8 wäre für einen Hörer ohne Partitur nicht nachvollziehbar, genau wie das „drängend“ 5 Takte vor Zi. 22. Die Balance unter den einzelnen Instrumenten ist nicht immer von Mahler so gedacht, z.B. ist die Solo-Violine mit ihrem Pizzicato mf lauter als das Horn mit seinem f. Die Staccati der Streicher (bei T. 760) sollten nur nicht eilen, aber eben auch nicht schleppen. Mit der Vielstimmigkeit kommt die Einspielung gut zurecht.
Im Adagietto findet Herr Payare durch das Tempo zu einem guten Ton, den er auch noch durch das zarte Spiel unterstreicht. Liebesschmerz wird nicht überspielt. Sehr gut immer wieder (leider viel zu selten praktiziert) die Entscheidung die 2. Violinen rechts zu positionieren. Die Violinen sind leider nicht immer ganz zusammen, das klingt bei Dudamel 2018 in Berlin noch schöner (und homogener). Die Glissandi lässt Payare deutlich hören, die meisten finden sie heutzutage nicht mehr wichtig oder verstecken sie verschämt. Seltsamerweise gefällt der Klang der Violinen in diesem Satz nicht mehr so gut wie in den drei Sätzen zuvor.
Das Rondo ist positiv gestimmt und baut schön auf dem Scherzo auf. Der Seitensatz Grazioso wirkt etwas schwerfällig (ab T. 191). Die Fugati sind schön transparent gehalten. Nur beim Seitensatz in D-Dur, erneut Grazioso, gehen die tiefen Streicherlinien gegenüber der 1. Violine unter. Schade ist es, dass ausgerechnet im Choral das Blech vom Streicherheer regelrecht in die Zange genommen wird und so sein erhabener Glanz ausbleibt. Das ist aber eher ein Problem der klangtechnischen Disposition als der Interpretation.
Der Klang der Aufnahme ist offen, voll, mit viel Bassfundament ausgestattet, viel Brillanz und ordentlich Schmackes. Die Transparenz ist meist bestechend. Das Klangbild wirkt, darin der Einspielung Dohnanyis und der ersten Dudamels von 2007 ähnlich, eher leichtgewichtig, hellhörig und lichtdurchflutet. Die SACD gehört offensichtlich nun auch bei Pentatone endgültig der Geschichte an. Wie bei Bychkov in Prag ist auch dieser Tonträger nur als CD zu erwerben.
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4-5
Emil Tabakov
Sofia Philharmonic Orchestra
Capriccio, Delta
1988
11:33 14:53 17:53 10:41 14:17 69:17
Emil Tabakov war von 1988 bis 2000 Musikdirektor des bulgarischen Orchesters, bei dem er zuvor bereits Dirigent und später Hauptdirigent war. Das Orchester kann sowohl im Solistischen (auch die Solo-Trompete nicht) auch als Ensemble nicht mit den Besten mithalten.
Die Musik klingt jedoch geschärft und leidenschaftlich, manches allerdings plump und ungeschliffen, was sich jedoch im Laufe der Einspielung bessert.
Im zweiten Satz klingt es richtig stürmisch und vehement leidenschaftlich, leider weniger transparent, sodass die Stimmenvielfalt weniger deutlich wird. Der Dirigent hält die Musik fließend und lässt den Spannungsbogen nicht abbrechen. Er bringt ein sehr hohes Maß an Feuer in die komponierte Dramatik mit ein, incl. einige schlüssige Rubati. Der Weg zum Choral gelingt nicht ganz ohne Intonationstrübungen, wird aber beherzt gespielt. Der draufgängerische Steigerungsverlauf überzeugt vollends, auch weil er sich durch die Leistungsgrenzen des Orchesters nicht bremsen lässt.
Auch im Scherzo gelingt das Solistische des Corno obligato nicht ganz so geschliffen und eloquent wie bei den besten „Mitbewerbern“. Aber als Ganzes wirkt auch der dritte Satz stimmig und vor allem musikantisch empfunden, also nicht verkopft. Die Darbietung wirkt spannend und substanzreich, über kleinere Missgeschicke kann man getrost hinwegsehen. Tabakov gelingt es, die Musik sehr gut zu beleben. Die Steigerungen haben Drive, die „Lyrik“ schleppt nicht, es pulsiert. Herr Tabakov, zur Zeit der Aufnahme 41 Jahre alt, hatte offensichtlich eine klare Vorstellung davon, wie die Musik zu klingen und zu wirken hat. Transparent wirkt das Orchester nicht immer, aber man bleibt emotional immer „am Ball“, was angesichts der zu diesem Zeitpunkt 94 gehörten Aufnahmen ein Sonderlob verdient, denn auch prominente Besetzungen versagen hier gerne mal. Der Geist Soltis (1970) lebte anscheinend in Sofia 1988 wieder auf.
Im Adagietto klingen die Streicher alleine klangschön und weich. Kleine Abstriche muss man (wo auch sonst bei diesem Satz?) bei der Homogenität der Violinen hinnehmen. Sie ist heikel. Wahre Leidenschaft kennt keine Zeit.
Viel Schwung und Tatkraft auch im Rondo. Spielerisch, bewegt, akzentuiert, deftig und mit viel Drive. Respektabler Choral, orgiastisch jubelndes Finale.
Das Orchester wird in dieser Einspielung (übrigens Teil einer Gesamteinspielung aller Sinfonien Mahlers) relativ leise aufgenommen und wirkt nicht sonderlich transparent, konturenscharf oder dynamisch aufgenommen. Das Orchester wirkt zudem entfernt. Es ist erforderlich, den Poti etwas aufzudrehen, um der Aufnahme Leben einzuhauchen. Brillant, voll, tiefenscharf oder rund klingt sie dann aber immer noch nicht, sondern immer noch etwas flach und minimal dumpf. Insgesamt jedoch ganz natürlich und ganz gut anzuhören. Musikalisch ist sie besser als klangtechnisch. Die Interpretation selbst ist sogar ein Ereignis.
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4-5
Dmitri Mitropoulos
New York Phiharmonic Orchestra
IMG, NAR, Music and Arts, Musica Viva, Music Web International
1960, live
12:29 13:27 15:36 10:50 16:13 68:35
Dieser Mitschnitte entstand im Januar 1960 innerhalb eines Mahler-Festes anlässlich des 100. Geburtstages des Komponisten. Dmitri Mitropoulos war 63 Jahre alt und befand sich bereits erkrankt in seinem letzten Lebensjahr. Leonard Bernstein hatte schon, nicht ganz fair, wie man lesen kann, 1958 von ihm Position des Chefdirigenten übernommen.
Mitropoulos dirigiert den Beginn der Sinfonie mit viel Feuer und leidenschaftlicher Hingabe bereits einige Jahre bevor der Mahler-Hype einsetzte. Es ist denkbar, dass sich Bernstein bereits früh in seiner Karriere viel von dem von ihm damals noch bewunderten Dirigenten abguckte. Später war das komplizierte Verhältnis zumindest von Seite Bernsteins von Rivalität geprägt.
Auch im zweiten Satz, spannungsreich und hoch konzentriert, lässt der Dirigent kaum einmal Momente der Entspannung zu. Er lässt jedoch die lyrischen Passagen etwas mehr durchatmen als Bruno Walter 1947. Die dramatischen hören sich dagegen an wie Stärke 12 auf der Windstärken-Skala an. Also Orkanstärke. Mitropoulos nimmt bereits den geschärften Gestus von Solti 1970 vorweg. Das Orchester zeigt sich virtuos und tut offenkundig sein allerbestes. Als Hörer nimmt man daran eher intellektuell teil, denn körperlich erfahrbar wird die entfachte Windstärke leider wegen der sehr schlechten Klangtechnik nicht.
Ganz und gar nicht „Nicht schnell“, wie Mahler es wünschte, geht der Grieche das Scherzo an. Der Puls von Mitropoulos schlägt hier einfach schneller als bei den allermeisten anderen Dirigenten. Das Spiel ist von mitreißender Intensität, ganz und gar nicht gemütlich, sondern furchtlos vorantreibend. Das Orchester muss kämpfen, dass es damit zurechtkommt. Es klappt, da man sich aus einem prächtigen Fundus an Spielfähigkeiten bedienen kann. Da ist auch eine stupende Virtuosität mit dabei. Der Antrieb des Tempos scheint im Verlauf des Satzes jedoch etwas nachzulassen, kommt aber ganz ohne Durchhänger aus. Immer bleibt die Musik fließend, immer wieder wird sie jedoch feurig angetrieben, wo das geboten scheint. Das klingt mitunter wie buntes Jahrmarktstreiben. Damit ist Mitropoulos in guter Gesellschaft (Bruno Walter), nur wirkt es beim Griechen noch ein wenig schriller und überspitzter. Ob Mahler so ein ähnlich geartetes Spiel vorschwebte, als er befürchtete, dass die Dirigenten den Satz alle zu schnell spielen lassen würden? Und wenn man dann den Vergleich zu den 19 bis 20 Minuten-Versionen heranzieht? Wessen Herz sollte dann nicht für Walter oder Mitropoulos schlagen? Das Tempo passt so jedenfalls sehr gut zu den übrigen Sätzen, wenn einmal vom Rondo absieht. In New York gab es „Szenenapplaus“ vom verwöhnten Publikum in der Carnegie Hall nach dem Satz. Vielleicht kannte es die Sinfonie noch nicht besonders gut und dachte, sie wäre nun beendet?.
Im Adagietto verlässt Mitropoulos die Spuren Bruno Walters und gibt dem Ausdruck mehr Zeit zu wirken. Leider geht der intensiv gespielte Satz im Husten des Publikums und im Rauschen der Aufnahme fast ganz unter. Trotz klangschönem Spiels und gefühlstiefem Ausdruck geht dieser Satz ganz klar an den fließender intonierenden Bruno Walter.
Dem Rondo gibt Mitropoulos ein erstaunlich ruhiges Tempo mit auf den Weg. Es gibt ein paar Durchhänger, Intonationstrübungen und das Blech hat sich anscheinend auch ein wenig verausgabt. Diesen Satz haben wir schon mitreißender gehört, vielleicht war der angeschlagene Dirigent auch mit seinen Kräften am Ende? In dieser Einspielung beeindrucken besonders die ersten beiden Sätze nachhaltig.
Der Klang ist etwas besser als bei Horenstein, der sich ein Jahr später mit den Berlinern beim Edinburgh-Festival vorstellte. Das ist aber kein echter Trost, denn er ist weit davon entfernt zufriedenzustellen. Das Orchester klingt weit entfernt wie aus einer „Guckkastenbühne“ und ohne echte Dynamik. Für audiophile Hörer dürfte diese Einspielung wertlos sein. Für an der Aufnahmegeschichte der Fünften interessierte Hörer ist diese Aufnahme immerhin ein Beweis dafür, dass es bereits vor Bernstein, Solti, Kubelik, Haitink oder Abravanel bedeutende Mahler-Dirigenten gab.
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4-5
Andrea Battistoni
Tokyo Philharmonic Orchestra
Denon
2022
12:44 14:11 17:32 10:49 14:16 69:32
Andrea Battistoni, seit 2016 Chefdirigent des Orchesters war zur Zeit der Aufnahme 36 Jahre jung. Er war von 2014-2016 Gastdirigent und von 2017-2019 Chefdirigent beim Teatro Felice in Venedig.
Das Orchester wirkt in dieser Einspielung nicht so klangsatt wie die Koreaner aus Seoul unter Myung Whun Chung oder das Japan Philharmonic unter Kahchun Wong. Die Unterschiede sind jedoch gering.
Der Beginn der Sinfonie wirkt sehr impulsiv, die Dynamik wird voll ausgelotet, sodass die Wände wackeln. Der Trauermarsch wirkt nicht statuarisch, eher sanguinisch. Die Anforderungen werden mit italienischem Temperament ausgeformt. Das Orchester wirkt wie entfesselt, von asiatischer Zurückhaltung findet man keine Spur. Inbrünstig und voller Anteilnahme wird das Stimmengeflecht sehr gut herausgearbeitet. Die Artikulation erscheint kontrast- und nuancenreich. Dieser Satz vermittelt nach Solti und einigen wenigen die höchste Emotionalität aller Einspielungen. Was für ein Klagegesang! Die nächste Generation der Mahler-Dirigenten sitzt also schon nicht mehr nur in den Startlöchern. Ganz selten hörten wir ein asiatisches Orchester mit dieser Leidenschaft spielen. Ohne die Patina des übermäßig Edlen klingt es offen und „ungeschminkt“.
Im zweiten Satz entfacht das Orchester einen ehrfurchtsgebietenden Sturm an Leidenschaften. Man lässt sich kaum einmal Zeit zu verweilen, dazu scheint man viel zu sehr von verzehrender Ungeduld und besessenem Vorwärtsdrang beseelt. Man fragt sich, ob sich der junge Dirigent als Vorbild Landsmann Daniele Gatti oder doch gleich Georg Solti (1970) gewählt hat. Wenn diese Schicksalsschläge die Existenz nicht gefährden, welche dann? Solti wirkte jedoch noch etwas ultimativer.
Den Hörnern fehlt noch ein wenig das Volumen der Kollegen in den besten europäischen oder amerikanischen Orchestern, dagegen klingt die Tuba sehr substanzreich. Beides kann man besonders gut im Scherzo hören. Das Corno obligato macht einen hervorragend differenzierten Job. Es fehlt lediglich noch ein wenig Poesie und Wärme im Klang, wenn man an die Darbietungen der Berliner oder des BRSO zurückdenkt. An Maximallautstärke fehlt es hingegen beileibe nicht. Der Gestus des Satzes wirkt sehr energisch und kämpferisch. Was für eine Stretta! Da fliegen die Funken und die Fetzen. Super.
Im Adagietto wird es viel ohrenfälliger als in den draufgängerisch geschärften Sätzen zuvor, dass die Violinen des japanischen Orchesters den besten in westlichen Orchestern nachstehen, was sanften Glanz und cremige Klangfülle anlangt. Die Harfe klingt deutlicher als in den meisten anderen Aufnahmen. Statt romantischer Zartheit ist in Tokyo dieses Mal eher verzehrende Sehnsucht höchster Trumpf.
Im Rondo herrscht impulsives jugendliches Giocoso vor. Im Fugato hören wir einen plastischen, klaren Stimmenverlauf. Bei allem ungestümen Schwung erklingt die Musik nicht ohne Raffinement, aber nicht mit dem inneren Leuchten von Concertgebouw-Orchester, BRSO oder der Wiener Philharmoniker. Freie Fahrt den Berg hinunter mitten ins Leben hinein heißt die Devise. Es wird eine sehr optimistische Sicht auf das Leben vermittelt. Der Spannungsverlauf gemahnt erneut an Solti (1970). Wenn man außeracht lässt, dass das Holz bei pp meist zu laut spielt, ist der Vortrag auch partiturgenau! Die Impulsivität sitzt hingegen passgenau, sf, ff und schnelle Wechsel werden hervorragend umgesetzt. Schon der Choral erklingt im Stretta-Format. Ein „mediterranes“ Feuerwerk mitten in Japan also. Ohne Längen fliegt man einfach so dahin, mit dieser Musik.
Der Klang der Aufnahme ist sehr offen, optimal ausbalanciert und brillant. Er bietet beste Raumanmutung, ist enorm klar, recht voll, recht voluminös, enorm präsent, sonor und extrem dynamisch. Da haben die japanischen Klangtechniker dem Rest der Welt gezeigt, was heutzutage aufnahmetechnisch möglich ist. Auch die Klangfarben wirken bestechend, auch die der Violinen. Die Musik platzt förmlich vor Energie und bildet ein Klangbild der Superlative. Der Bass ist sehr plastisch und auch das ff des Tutti wirkt immer noch unkomprimiert und plastisch. Einziger kleiner Wermutstropfen: Die ersten Violinen wirken oft etwas vorlaut. Ansonsten ein audiophiler Hochgenuss.
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4-5
Pierre Boulez
Wiener Philharmoniker
DG
1996
12:47 14:51 18:06 10:56 15:05 71:45
Gegenüber der Aufnahme der Wiener Philharmoniker zuvor (das war die mit Bernstein 1987) wirkt diese wie in grelles Scheinwerferlicht getaucht. Der Orchesterklang wirkt nun bestechend schön, noch etwas geschmeidiger und vor allem heller. Diese Einspielung mit dem 71jährigen Boulez ist aber auch keine Live-Aufnahme. Der Trauerkondukt wirkt nun viel leichter und eben heller als bei Bernstein und lässt die echte, tiefe Trauer sogar vermissen. Die Attitüde wirkt im Vergleich eher larmoyant und unecht. Die dramatischen Aufwürfe kommen hingegen durchdringend und mit niederknüppelnder Wucht, wobei die exponierte und extrem wuchtige Gran Cassa nicht schuldlos ist. Eine Wucht, die vom leichten, lockeren Marsch wieder aufgefangen aber nicht ganz neutralisiert wird. Karajan versah dieses Satz mit spitzeren Stacheln. Boulez will sich von allem Pathos möglichst weit entfernt halten. Er ist weder der emotionale Ich-Erzähler wie Bernstein, noch der „existenziell bedrohte“ Vollblutdramatiger Solti. Die Musik soll bei Boulez quasi aus sich selbst sprechen und außermusikalische Konnotate außen vorlassen. Diesen Eindruck gewannen zumindest wir beim Hören des ersten Satzes. Die folgenden Sätze konnten an diesem Eindruck nicht viel ändern. Legitim ist dieser Ansatz in jedem Fall.
Ein Glück ist es, dass die Philharmoniker dieses Mal von sich aus so viel Schmelz und eigene Wärme mit einbringen (verbunden mit einem Schuss Morbidität, das alles Wienerische zu umgeben scheint), sonst würde einen womöglich frösteln. Ein Segen auch, dass der Klang der DG-Aufnahme so frisch und lebendig klingt als hätte er sich in der Zeit geirrt und wäre eigentlich von Decca aus den Sechzigern.
Der zweite Satz schreitet mitunter träge voran. Mit der höchsten Notentreue als oberste Richtschnur lässt sich nichts aufbauschen, sodass wir emotional eher ernüchtert sind, aber doch den Eindruck von Glaubwürdigkeit erhalten, zumindest in den leisen, lyrischen Passagen. Die stürmischen zünden ganz gut, gerade wenn man mit einrechnet, dass der Dirigent nicht gerade ein Ausbund an Temperament ist.
Im Scherzo ist die Transparenz ganz hervorragend, die Musik wirkt fast wie durchleuchtet, der Biss dagegen fehlt. Schon das ländlerartige Scherzothema erhält eine gewisse Walzerseligkeit, so als könnten die Wiener einfach nicht anders. Der Tod ist in dieser Wiener Atmosphäre des Morbiden immer präsent. Bei Boulez untergründiger als bei Bernstein, gerade mal angedeutet und gegenüber Solti nur halb so wild. Die Oberfläche wirkt poliert und dadurch etwas zu glatt. Das soll vielleicht sogar so sein, gibt es dem ganzen Satz etwas Uneigentliches.
Im Adagietto kann der notentreue Boulez natürlich nicht achtlos an Mahlers Tempovorschriften vorbeigehen. Hier trifft er sich bis auf ein paar Sekunden mit Bernstein (1987), wobei Bernstein viel expressiver spielen lässt. Die Harfe bleibt sehr zurückhaltend, auch wenn sie f oder ff zu spielen hat. Bei Boulez klingen die Philharmoniker schlanker und viel distanzierter (emotional, nicht aufnahmetechnisch, da klingen sie präsenter) als bei Bernstein.
Der Beginn des Rondos ist bei Boulez wunderbar sanft, das Grazioso wird beherzigt. Das bleibt so bis weit in den Satz hinein. Das Rondo schmiegt sich so besonders schlüssig an das Adagietto an, zumal die beiden Sätze attacca ineinander übergehen, was übrigens längst nicht immer beherzigt wird, obwohl es in der Partitur steht. Der Steigerungsverlauf ist gut, das Spiel sehr sauber, differenziert und mit einer gewissen entspannten französischen Élégance versehen. Der Choral klingt zwar recht energisch aber wenig triumphal. Schade, dass die Hörner etwas zu schwach ins Bild kommen.
Mahler wird bei Boulez eher aus der Moderne heraus rückblickend betrachtet, denn als letzter Romantiker. Was ist schon von Schönberg oder Berg bei Mahler enthalten, fragt sich Boulez eher, als was kommt von Schubert, Brahms oder Bruckner. Hier ist Klarheit oberstes Gebot. Gegenüber Solti oder Bernstein wirkt die Einspielung nüchtern, sie profitiert aber vom fabelhaften Spiel der Wiener Philharmoniker.
Und der offenen, sehr transparenten, sehr dynamischen, dreidimensionalen und körperhaften Aufnahmequalität. Sie ist sehr gut konturiert und wuchtig. Insgesamt liegt ein prächtiger Hochglanz-Klang vor. Plastischer und besser konturiert als bei Bernsteins Live-Aufnahme aus Frankfurt von 1987.
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4-5
Jonathan Nott
Bamberger Symphoniker
Tudor
2003
13:37 14:38 17:23 10:58 15:03 71:39
Auch Jonathan Nott entschied sich für die Fünfte, um seinen Zyklus aller Mahler-Sinfonien effektvoll beginnen zu lassen. Die Aufnahme fand unter Studiobedingungen in der Sinfonie an der Regnitz statt. Mr. Nott war von 2000 – 2016 Chef der Bamberger Symphoniker, bevor er zum Orchestre de la Suisse Romande wechselte.
Der Trauermarsch erfolgt im Tempo konzise, gemessenen Schrittes, in größtmöglicher Klarheit und liebevoll-detailgenauer Phrasierung. Der Ausdruck wirkt trostlos. Das Orchester kann klanglich zumeist mit den allerbesten mithalten. Es ist in der Lage seinen Ton so zu wandeln, dass es so zurückgenommen erscheint, dass die Klangfarben blass und fahl wirken. Unwillkürlich muss man an den Tod denken, was ja angesichts des Sujets nicht weit hergeholt ist. Was bei einem anderen Stück Unvermögen wäre, nämlich der Musik Leben einzuhauchen, muss man dieses Mal als großes Plus verbuchen. Das wirkt alles sehr ausgefeilt und präzise geprobt. Weiterhin fällt die ganz besonders ausgewogene Balance des Orchesters auf, da haben Dirigent, Orchester und Aufnahmeteam bestens zusammengearbeitet. Wir meinen, dass man bewusst auf einen durchgehenden Spannungsbogen verzichtet hat.
Im zweiten Satz wirkt das Spiel angemessen wild, vehement und stürmisch, aber wie beim BRSO (und dutzenden anderen Einspielungen auch) fehlt dem Orchester hier der letzte Biss. Das mag daran liegen, dass das Blech etwas zu weit entfernt zu hören ist (wie hörten die Mehrkanal-Version der SACD). Die Streicher fahren ihr ganzes Potenzial an schönstem Spiel auf, was fast des Guten schon zu viel ist, in diesem Satz der uns in die letzten Abgründe der menschlichen Existenz (Mahlers Existenz) führen möchte. Die Bamberger trösten dann bereits durch ihren schönen Klang. Extrem detailreich und subtil wird da gespielt. Da steckt hörbar beste Probenarbeit dahinter. Es besteht jedoch die Gefahr, sich im Detail zu verlieren, zumal man den straff gespannten Bogen auch in diesem Satz vermisst. Zumindest drängt er sich nicht auf. Die Linie wird zwar gehalten, aber nicht besonders straff. Man arbeitet mit einigem Rubato und geht sozusagen empathisch auf kleinste Gefühlsregungen ein. Wenn langsam aber sicher die Vision des Paradiso (der Choral) entsteht, fehlt es indes nicht an dramatischer Zuspitzung.
Das Scherzo klingt so klar, dass man schon an die völlige geistige Durchdringung glaubt. Die Tempi wirken nicht besonders angetrieben, aber stimmig, da das Verhältnis untereinander bestens abgestimmt wird. Zu schnell wollte es Mahler ja gar nicht haben. Die Höhepunkte wirken etwas verträumt und könnten nach unserem Dafürhalten etwas mehr Durchschlagskraft haben, sie wären dann immer noch nicht übertrieben. Da der Dirigent und sein Orchester minutiös dem Notentext folgen, wirkt die enghubige Artikulation mitunter ein wenig abgehackt. Das „kraftvolle Leben“ kommt nicht zu kurt, aber es sich die gekonnten Decrescendi, die staunen lassen.
Im Adagietto tendiert Nott mehr zu den langsamen Zeitmaßen der Partitur. Er versucht aber doch die Anmerkungen Mengelbergs mit in seine Darstellung aufzunehemn. Das Ergebnis wirkt traumverloren, aber noch intensiv, weniger leicht und auf dem Weg zum Ätherischen. Den Eindruck einer intimen Äußerung gelingt, womit schon viel erreicht ist. Uns ist der Gestus ein bisschen zu sehr vom Langsamen geprägt. Daher ziemlich introvertiert, aber den „Intermezzo-Charakter“ schon etwas hinter sich lassend. Die Balance zwischen Streicher und Harfe ist sehr gut.
Das Rondo erklingt ebenfalls klar mit recht scharfen Rhythmen und durchgängig versehen mit leichtem Schwung. Oft wirkt der Gestus jedoch bedächtig, als ob gerade im Rondo ein wenig der Impetus nachgelassen hätte. Da wirkt nichts vordergründig aber doch mitunter ein wenig zu bedächtig. Der „süße“ Streicherklang ist absolute Spitze, aber das Finale erschien uns dynamisch doch etwas enttäuschend.
Der Ansatz dieser Interpretation wirkt enorm gefühlvoll und konsequent durchgehalten. Insgesamt noch empathischer als Chailly jedoch bei weiten nicht so ungehemmt und glutvoll als bei Solti (1970). Sowas kommt wohl nicht wieder, aber man soll die Flinte nicht ins Korn werfen. Auf seine Art beweist Jonathan Nott und sein fränkisches Orchester eine erstaunlich hohe Mahler-Kompetenz, an der sich manch ein Hauptstadt-Orchester kaum messen kann.
Wir haben die Aufnahme wie bereits erwähnt im Mehrkanal-Modus der SACD gehört für uns der bestmögliche der drei bereitstehenden Modi. Wir sitzen mit der Dirigentenperspektive mit auf dem Podium und können plastisch und präsent in das Orchester um uns herum hineinhören. Sehr transparent wird es bestens in Breite und Tiefe gestaffelt. Die dynamische Palette wirkt natürlich und ausgewogen. Minimale Wackler sind wahrscheinlich des langen Takes wegen stehen geblieben, gut so. Es gibt keine oberflächliche Brillanz, der Klang zeigt innere Tiefe und Glut. Die Gran Cassa enttäuscht, da sie in diesem Umfeld schwach ausgeprägt erscheint. Eine Darstellung von großer Sorgfalt und eigenem Profil.
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4-5
Gabriel Feltz
Stuttgarter Philharmoniker
Dreyer Gaido
2009, live
12:47 s 17:19 12:27 13:55 71:29
Gabriel Feltz war von 2004 – 2013 Chef der Stuttgarter Philharmoniker. Während dieser Zeit begann er mit einer Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien, die er nach seinem Wechsel zu den Dortmunder Philharmonikern komplettierte. Zugleich ist er heute Chefdirigent der Belgrader Philharmoniker. Zur Zeit der Aufnahme der Fünften war er 38 Jahre alt. Demnächst wird er von Dortmund als GMD nach Kiel wechseln.
Der Trauerkondukt kommt im ersten Satz maßvoll schreitend voran, die Gangart würden wir im Vergleich zum bereits gehörten eher als sanft-gelassen denn als tief-traurig bezeichnen. Die Dynamik bei den Passagen der schier ausweglosen Verzweiflung dringt nicht ganz in die schön gehörten Grenzbereiche vor. Vielleicht packt sie uns deshalb nicht vollends. Das A-Orchester aus Stuttgart präsentiert sich hochklassig besetzt und leistungsfähig.
Auch im zweiten Satz (Duplizität der Ereignisse) wird nach stürmischem Beginn durch ein langsam voranschreitendes Tempo die Spannung des Beginns fast völlig herausgenommen. So ähnlich muss sich wohl in Musik gefasste Depression anhören. Das Orchester spielt diese Passagen sehr schön, fast traumverloren, aber das Drama hängt durch bis zum nächsten Aufbäumen gegen das Schicksal, das nun schon weniger kraftvoll und wütend wirkt wie zuerst. Mit dem erreichten ziemlich niedrigen Spannungsniveau trifft sich Herr Feltz mit Kollegen vieler neuerer Einspielungen, nur um einige zu nennen: Gebrüder Fischer (Adam und Ivan), Osmo Vänskä, die späte Aufnahme von Saraste usw. Schön klingend und wohlig im Klang aber wenig „Thrilling“. Um ein Bild entstehen zu lassen: Mahler befindet sich bei einer Selbstreflektion in der gut gewärmten Stube und neben einem gut gefüllten Kühlschrank, er fühlt sich zwar nicht wohl, aber er leidet keine Ängste, die ihn im Mark seiner Existenz treffen. Sein Urvertrauen hat ihn nicht verlassen. Die Artikulation ist so vorsichtig, dass man teils an eine Zeitlupe denken miss. Die Zuspitzungen gelingen ordentlich. Die Choralvision wird kraftvoll herausgearbeitet.
Im Scherzo wird tatsächlich ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Tempi wirken nun lebendig, das Spiel dringlich. Die Soli gelingen exzellent (Holz, Blech und an erster Stelle zu nennen: das Corno obligato). Das stimmige Konzept überzeugt beim „Tanzsatz“, der flexibel und stimmungsvoll keine Sekunde langweilt. Das Spiel des ganzen Orchesters ist hervorragend, besonders wenn man bedenkt, dass nur bei einem Konzert aufgezeichnet wurde. Vorm Orchester ziehen wir jetzt mal den Hut. Bisher der beste Satz dieser Aufführung.
Im Adagietto nimmt Herr Feltz die beiden Vorbilder Mengelberg und Bruno Walter nicht als verbindlich wahr. Er hält sich lieber an die Tempoanweisungen der Partitur. Er lässt die Streicher ganz langsam und sehr zart spielen. Die Harfe ist zudem sehr gut durchhörbar und gut ins Klangbild integriert. Für eine „junge Liebe“ mag der Ausdruck so ein wenig zu elegisch wirken oder sogar sehr sublimiert. An ein Staatbegräbnis denken wir jedoch keinen Augenblick.
Beim Rondo werden die letzten Zweifel an der kraftspendenden Genesung schnell beiseite geräumt. Freudig-erregt und mit viel Spannung strebt man auf einen flott-befreienden Choral zu, der viel Glanz und Gloria verbreitet. Dies alles mit temperamentvollem Zugriff und leidenschaftlichem Spiel des nun durchzugsstarken Stuttgarter Orchesters. Auch in dieser Einspielung erfreut die segensreiche Wahl der deutschen Sitzordnung, nicht nur bei den glasklaren Fugati.
Fazit: Eine kundige Interpretation, bei der das „Durch die Nacht zum Licht“ prima herausgearbeitet wird. Das Stuttgarter Orchester kann durchaus mit den besten mithalten. Die A-Orchester können sich übrigens meistens von den B-Orchestern in unserem Vergleich abgrenzen.
Der Klang der Aufnahme ist recht präsent, farbig, voll und prall, fast opulent-voluminös. Das Orchester wirkt gut gestaffelt, ausgewogen und dynamisch. Die Bässe reichen tief in den Frequenzkeller hinab und oberherum klingt es brillant. Die Violinen bringen viel Glanz mit. Eine Aufnahmequalität, die audiophilen Ansprüchen genügt. Die Aufnahme gefällt uns deutlich besser als die der Nachbarn aus derselben Stadt RSO Stuttgart des SWR mit Roger Norrington.
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4-5
Yannick Nézet-Seguin
Philadelphia Orchestra
PHI, Eigenlabel des Orchesters
2010, live
13:10 14:55 17:40 10:32 15:13 71:13
Diese Aufnahme entstand im Krisenjahr des Orchesters, als das Orchester von Insolvenz bedroht war, die dann 2011 angemeldet werden musste, zu der Zeit als das Orchester Charles Dutoit als Chefdirigenten hatte (2008-2012). 2012/13 wurde Yannick Nézet-Seguin dann Chef des Orchesters mit einem Vertrag, der bereits zwei Mal vorzeitig verlängert wurde. Zur Zeit der Aufnahme war der Kanadier 35 Jahre jung. Die Fünfte war das Schwergewicht seines ersten Konzertes als designierter neuer Musikdirektor.
Diese Aufnahme lädt natürlich zum direkten Vergleich mit der gerade einmal zwei Jahre zuvor entstandenen Aufnahme mit Christoph Eschenbach ein. Der erste Satz wirkt beim Kanadier desillusionierend, aber nicht kraftlos. Der Marschcharakter wird weniger deutlich und das Tempo wirkt etwas langsamer. Es wird weniger deutlich an Details modelliert, dafür werden die ff noch heftiger herausgehauen. Die Basslinie wirkt weniger deutlich, die „Aufschreie“ kommen vehement und wuchtig. Das Orchester spielt mindestens genauso engagiert wie bei Eschenbach, das Tamtam als Instrument der Todesverkündung (man wird bei einer Beerdigung an den eigenen Tod gemahnt) kommt deutlich heraus, die Gran Cassa wirkt gefahrvoll. Als Resümee ein Patt, jedoch bleibt die sprechende Artikulation mit den liebevoll ausmodellierten Details bei Eschenbach deutlicher in Erinnerung.
Nun zum zweiten Satz. Die sf der Posaunen in der Exposition werden nun weniger exponiert, die Cello-Monodie ab T. 188 klingt hier matter. Insgesamt wirkt der Satz bei Eschenbach drängender und wuchtiger, es ist mehr Kampf in der Auseinandersetzung. Beim Choral wird „Nicht schleppen“ mit eiliger werden verwechselt. Das Accelerando erfolgt dann mit stärkerer Beschleunigung als bei Eschenbach.
Das Orchester klingt auch 2010 im Scherzo sehr gut, es hat das Stück in den zwei Jahren sicher nicht verlernt, aber mit dem 68jährigen Deutschen wirkte es noch plastischer. Und “sprechender“. Gekonnt wirkt es auch mit dem Kanadier.
Im Adagietto wird etwas weniger Vibrato aufgelegt, es wirkt etwas weniger warm, ohne jedoch kühl zu werden. Die zügigeren Tempi evozieren bei aller Zärtlichkeit bei Eschenbach nun einen mehr jugendlichen-schwärmerischen Drang. Das Dialogische kommt besser zum Tragen. Beim Adagietto wäre Nézet-Seguins Aufzeichnung unserer Ansicht vorzuziehen, es wirkt etwas frischer und weniger elegisch.
Im Rondo wird der Choral bei Nézet-Seguin stärker betont, oder anders herum, bei Eschenbach ist das Streichermeer, das um das Blech herum tobt viel deutlicher. Die Stretta ist weniger aufgeregt und wirkt als stringentes Finale. Dem Jubel nach zu urteilen, hat dem Publikum die Sinfonie mit Nézet-Seguin noch etwas besser gefallen, er wirkt noch etwas begeisterter. Vielleicht lag es aber auch daran, dass im Konzert 2010 etwas Neues begann, während 2008 mit Eschenbach etwas zu Ende ging. Und nicht im Guten, wie man hören konnte. Dagegen „wohnt jedem Anfang ein Zauber inne“ (Hermann Hesse).
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4-5
Myung Whun Chung
Seoul Philharmonic Orchestra
DG
2014, live
12:45 15:16 17:29 11:27 15:05 72:02
Nach unserer Zählung sollte dies die zweite Einspielung der Fünften von Herrn Chung sein. 2002 entstand ebenfalls live bereits eine mit dem Orchestra dell´Academia di Santa Cecilia aus Rom für das bei uns wenig bekannte Label Musicom. Das koreanische Orchester aus Seoul präsentiert sich als Orchester von Weltklasse-Format und deutlich besser als das aus der koreanischen Provinz Gyeonggi, dessen Aufnahme erst weiter unten Im Vergleich erscheint. Es wurde auch besser aufgenommen. Chung war von 2006-2015 Chefdirigent des Orchesters. Innerhalb der fünf Jahre von 2011-2015 nahm man vertragsgemäß zehn Einspielungen für die DG auf. Da waren auch zwei Sinfonien Mahlers dabei, die Zweite und die Fünfte.
Der Trauermarsch wirkt sehr dunkel und sehr aufgewühlt. Bei aller Qualität des Orchesters muss man das exponierte, geschärfte und zupackende Blech besonders loben. Als Trompeter wirkt der sehr gute Alexandre Baty vom Pariser Conservatoire, der eine Zeit in Seoul wirkte. Danach wechselte er zum Concertgebouw, anschließend ging er zu den Münchner Philharmonikern.
Der zweite Satz wirkt energisch und zupackend, die Passagen der Trauer klingen innig und ausdrucksvoll, das Verlorensein wird durchaus plastisch spürbar. Das Spiel wirkt emotional und spontan, die Choral-Vision wird glänzend herausgearbeitet.
Das Scherzo erklingt als schöner Kontrast dazu im Walzer anmutig, im Ländler eher derb-vulgär, scherzohaft bis karikierend. Immer spannend und zugespitzt dargeboten. Das Corno obligato und das übrige Orchester bieten hohe bis höchste orchestrale Brillanz.
Das Adagietto wird vom herrlichen Streicherklang getragen. Für manch einen Geschmack zu gedehnt, aber so schön wie hier gespielt wird, sicher trotzdem mit Gewinn zu hören. Eigentlich sollte niemand dabei einschlafen.
Im Rondo bestätigt sich der rundum stimmige Gesamteindruck. Das Orchester hinterlässt einen ganz ausgezeichneten Eindruck ist hoch konzentriert und engagiert dabei. Schwungvoll enthusiasmiert vom zupackenden, hellsichtigen und zielstrebigen Dirigat des Myung Whun Chung.
Der Klang der Aufnahme ist präsent, voll, kräftig und saftig. Er ist breitbandig und sehr dynamisch, Das Orchester wirkt gut durchgezeichnet, die Räumlichkeit ausladend. Sehr tiefer, mächtiger Bass, grollende Gran Cassa. Die Klangfarben wirken lebendig. Exzellenter Gesamtklang. Eine auch audiophilen Ansprüchen genügende Aufnahme.
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4-5
Vaclav Neumann
Tschechische Philharmonie
Canyon-Emergo-Pony, Exton
1993
11:20 13:29 18:56 10:27 16:06 70:18
Von den drei uns bekannten Einspielungen Vaclav Neumanns ist die die letzte. Herr Neumann war nun 73 Jahre alt. Im ersten Satz legt er immer noch das gleiche zügige Tempo vor, das er bereits in Leipzig 1965 als richtig erachtete. Der dramatische Zugriff wirkt nur ein wenig gezügelt. Das tschechische Vorzeigorchester klingt nun deutlich besser als in der Supraphon-Einspielung von 1977. Die Blechbläsergruppe klingt ganz vorzüglich, die Streicher ganz hervorragend. Der Satz ist durchzogen von tiefer Trauer und von einem gelungenen Spannungsaufbau. Trotzdem wirken die Klangfarben nicht kreidebleich, sondern farbig und dem Marsch ist immer noch ein gewisser Schwung eigen, schließlich ist ja auch der Marsch eine (spezielle Art der) Tanzform.
Der zweite Satz erklingt vehement und stürmisch bewegt, fast mit der „Leipziger Glut“ von 1965. Er wirkt dynamisch weit ausgefahren (erheblich weiter als 1977), das Orchester wirkt noch souveräner und unendlich besser klingend als 1977. Die Choral-Vision klingt enorm „saftig“ mit einem Klang des Blechs, das wohl kaum zu übertreffen ist. Da öffnet sich schon im 2. Satz für einen kurzen Moment der Himmel und lässt durchblicken, was der Mensch sein könnte. Doch sogleich ziehen wieder düstere Wolken auf. Da wird die ganze Erfahrung Neumanns spürbar,
Leider hat Neumann im Scherzo gegenüber 1977 Schwung verloren, noch mehr gegenüber 1965. Da musizierte man vielleicht noch über das eine oder andere Detail hinweg, man vermisste sie jedoch kaum, denn das Feuer brannte bereits sehr hell. 1993 klingt es böhmischer und sicher schwerfälliger aber immer noch mit einer imponierenden Spannkraft. Es gibt fantastische Entladungen im ff und fff zu hören. Und das Corno obligato ist ein echter Genuss. Das Spiel des Blechs muss man als sagenhaft lebendig bezeichnen. Spritzig und rhythmisch geschärft.
Das Adagietto erklingt nochmals etwas langsamer als 1977. Ausgerechnet im langsamen Satz klingen die Violinen erstaunlich hart, wie in den Sätzen zuvor nie. Da wurde der Ausdruck übermäßig forciert. Der Klang der Harfe ist hingegen sehr gut. Das Warmherzige von 1977 ist zumindest für unsere Ohren verlorengegangen.
Auch im Rondo ist Neumann langsamer geworden. Sehr schön gelingt das duftige und luftige Fugato. Es klingt nun alles lockerer und gemächlicher. Der freche, ungestüme Charme aus Leipzig ist verloren gegangen. Ein Gewinn ist jedoch die verbesserte Stimmentransparenz. Der Impetus von 1965 und auch von 1977 scheint jedoch (nur in den letzten Sätzen) abgemildert.
Das japanische Aufnahmeteam reiste eigens nach Prag an und erreicht, dass die Sinfonie jetzt dunkelschimmernd und brillant statt dünn und schrill klingt wie 1977 bei Supraphon. Es klingt sonorer, natürlicher, sehr dynamisch, körperhaft, breitbandig und sehr präsent. Die Staffelung ist ausgezeichnet. Die Streicher klingen jetzt wie Samt und Seide (außer beim Adagietto). In Punkto Transparenz, Bass, Brillanz wird auch die Leipziger Einspielung übertroffen. Klanglich ist dies eine der besten Aufnahmen überhaupt, ganz bestimmt die Beste von den drei mit Vaclav Neumann.
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4-5
Markus Stenz
Melbourne Symphony Orchestra
ABC Classics (Australian Broadcasting Cooperation)
2002
13:28 15:53 17:37 9:46 14:26 71:10
Markus Stenz war von 1998-2004 Chefdirigent des australischen Orchesters, bevor er von 2003 bis 2014 Gürzenich-Kapellmeister und GMD der Stadt Köln wurde.
Die Darbietung wirkt durch und durch klar, wohl durchdacht und atmosphärisch. Der erste Satz wirkt jedoch noch eher langsam und entspannt, um nicht zu sagen spannungsarm. Die Steigerungen der Verzweiflung verfehlen ihre Wirkung jedoch nicht. Insgesamt gibt es jedoch nicht viel Neues vom ersten Satz zu berichten. Man lässt sich genug Reserven um den zweiten Satz richtig voll auszuspielen. Das Orchester verfügt über blühende Violinen und sehr gute Bläser. Die Solotrompete wirkt eher unauffällig und weit ins Klangbild integriert. Das Schluss-Pizzicato ist ganz schwach geraten, also weit von der Wucht der Axt entfernt, die Bernstein, Barbirolli oder andere da fallen lassen.
Erheblich aufgewühlter und stürmischer als der erste wirkt der zweite Satz. Die leisen Passagen klingen zwar wieder langsam, aber einfühlsam und ausdrucksvoll, es ist kein Scheinstillstand wie bei vielen anderen neueren Produktionen. Das wirkt episch. Der Choral klingt toll, aber auch hier verspielt Stenz nicht die letzten Körner, sondern hebt sich das für sein Wiedererscheinen im fünften Satz auf, wie wir noch hören werden. Ein sehr guter Stratege. Die Cellomonodie klingt übrigens ausdrucksvoll, obwohl sie ganz zurückhaltend intoniert wird. Insgesamt kommen uns Tempo und Spiel fast schon zu schön und genießerisch vor.
Im Scherzo wird uns wieder ein hervorragendes Corno obligato geboten, das trotz der stattlichen Entfernung und des Verbleibes in der Horngruppe stets gut durchkommt. Die Darbietung des Satzes wirkt gelassen, ohne Hektik, aber auch ohne gravierende Längen. Insgesamt vielleicht etwas zu sanftmütig, ohne die gewisse Ironie durchschimmern zu lassen. Die Streicher sind nicht immer ganz durchhörbar, besonders die tiefen. Es fehlt dem Scherzo nicht an Kraft.
Klangschon gespielt wird das Adagietto, mit einem mittleren Tempo, das niemandem weh tut und gut zum Ziel führt. Der Klang der Streicher ist sanft und zart, hat aber noch genug Kern und Substanz nicht ins Ätherische abzugleiten. So lässt sich sowohl zärtliche Liebe als auch das von Melancholie durchzogene Verlangen gut ausdrücken. Zwischen 4. und 5. Satz wird von Stenz eine Pause von 13 Sekunden eingelegt. Mahler wünschte den Übergang attacca. In der Realität der Aufnahmen sind es meist nur ein bis 2 Sekunden, die tatsächlich spürbar sind sodass man schreiben kann: Mahlers Wunsch an dieser Stelle wird meist umgesetzt. Dieses Mal allerdings nicht.
Das Rondo wirkt lebhaft und wird recht frisch und temperamentvoll gespielt. Bis zum Einsetzen des Chorals wirkt das Orchester geradezu entfesselt. Der Choral erstrahlt glanzvoll und wird als Durchbruch empfunden. Die Stretta wirkt sehr temperamentvoll und lärmend.
Der Klang des Orchesters erscheint reich und voll. Es wird eine weite Räumlichkeit erreicht, ohne die Präsenz zu vernachlässigen. Es werden keine einzelnen Gruppen bevorzugt, der Klang ist ausgewogen und natürlich. Die Totale wird bevorzugt. Erneut darf man auf die deutsche Sitzordnung aufmerksam machen, die sich bei der Transparenz wie in bisher allen Fällen günstig bemerkbar macht, bei der sie Berücksichtigung fand. Die Streicher klingen so einfach „trennschärfer“. Eine klangschöne Aufnahme aus Melbourne, die nicht zuletzt durch die Mehrkanaltechnik der SACD in Köln nochmals übertroffen werden konnte.
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4-5
Sakari Oramo
City of Birmingham Symphony Orchestra
Warner
2004, live
11:52 13:40 17:24 10:07 14:11 67:14
Sakari Oramo leitete das CBSO von 1998 bis 2008 als Chefdirigent. Zur Zeit der Aufnahme war er 39 Jahre. Wir haben mit ihm auch noch einen echten Live-Mitschnitt der BBC aus London mit dem sendereigenen Orchester in den Vergleich aufgenommen. Dort ist Oramao mittlerweile Chef, genau wie bei den Stockholmer Philharmonikern.
In diesem Mitschnitt aus Birmingham wirkt die Musik (und der Klang des Orchesters) leichter und schlanker als gewohnt. Detailreich und wenig lastend und den Marsch recht flott als Tanz verstanden, was er ja ursprünglich einmal gewesen sein mag. Nicht unbedingt ein Trauermarsch, wie ihn so viele andere Dirigenten zu Gehör bringen und nicht unbedingt genauso wie es Mahler über den Satzbeginn schreibt: „Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng wie ein Kondukt.“ Er erlangt, etwas überspitzt gesagt, schon beinahe ballettähnliche Züge. Das Orchester spielt sehr gut, besser eigentlich als bei den uns bekannten Mahler-Aufnahmen mit Simon Rattle. Insgesamt ergibt sich ein dramatisch zugespitzter Verlauf mit zupackendem, fetzigem Blech und mächtig aufwallenden Streichern. Insgesamt erscheint uns der Satz dem Anspruch gegenüber als zu leichtgewichtig und zu tänzerisch, wobei uns die zupackend-dramatischen Passagen schon sehr gut gefielen. Die Solotrompete klingt etwas blechern.
Im zweiten Satz trifft die Welt des bissigen Dramas, der Wut und des kämpferischen Aufbegehrens auf die klangschönen, aber seltsam neutral klingenden lyrischen Abschnitte des Bedauerns und Weinens. Bei ähnlichen Tempi wie bei Solti (1970) liegen Welten zwischen beiden Einspielungen. Bei Oramo ergibt sich ein Aspekt des unechten, oberflächlichen, vielleicht auch ironisch überhöhten. Das Orchesterspiel ist durchaus temperamentvoll und zupackend. Im Choral verbreiten besonders die Trompeten brillant glänzenden Hochton-Strahl, während das tiefere Blech dem gegenüber zurückbleibt. Die ersten beiden Sätze wirken klar und eher zu hell als zu dunkel, es geht von ihnen kaum eine spürbare Bedrohung aus. Bei hochgradig virtuosem Spiel fehlen seltsamerweise weitgehend die dunklen Töne.
Im Scherzo kommt Oramo mit dem recht schrillen und knackigen Klang seines Orchesters Soltis Aufnahme (1970) noch etwas näher. In Sachen Dringlichkeit und Spannung klafft jedoch ein großer Abstand. Erneut sehr sauberes, reaktionsschnelles und animiertes Spiel seiner Engländer mit knackigem Blech, denen man keine Mühen mit dem komplexen Satz anmerkt.
Das Adagietto wirkt klanglich aufgelichtet, recht sanft und zurückhaltend, bei einem mittleren Tempo, das sich ebenfalls wieder an Solti anzulehnen scheint. Die Harfe ist gut zu hören, aber nicht überprominent. Der Gestus wirkt weniger leidenschaftlich als nordisch-kühl.
Das Rondo erschien uns der beste Satz der Aufführung zu sein. Er erklingt temperamentvoll, lebhaft, fröhlich, gut akzentuiert und vorantreibend-pulsierend. Die Stimmen werden sehr gut durchgezeichnet. Der Choral wirkt glanzvoll und druckvoll-majestätisch. Es folgt eine wie toll jubelnde Stretta.
Der Klang der Aufnahme ist eher kompakt als räumlich oder tief gestaffelt. Er wirkt fast ein wenig synthetisch, also weniger natürlich. Allerdings sehr sauber und dynamisch. Den Bass haben wir weitgehend vermisst. Es ergibt sich so ein Klang ohne echte sinnliche Ansprache. Die Trennschärfe könnte für eine so moderne Aufnahme deutlicher sein. Es gibt kaum Störgeräusche vom Publikum.
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4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1963
12:24 14:12 17:34 10:59 13:42 68:52
Diese für die Mahler-Rezeption richtungsweisende Aufnahme Bernsteins wurde in der damals so genannten Avery Fisher Hall des Lincoln Centers eingespielt, die für eine Spende von Avery Fisher von 10,5 Mio Dollar umbenannte wurde. Nachdem David Geffen 100 Mio. Dollar spendete, wurde sie in David Geffen Hall umbenannt. Für den Verlust des Namens Avery Fisher Hall erhielten dessen Kinder 15 Mio. Dollar als Entschädigung. Da soll mal jemand behaupten, Geld regiere nicht die Welt. Aber wir schweifen vom Thema ab.
Leonard Bernstein war nicht unwesentlich an der Mahler-Renaissance in den 60er Jahren beteiligt und wurde so zu einem postumen Förderer. 1960 begann er die Einspielung seines ersten Zyklus der Mahler-Sinfonien und er fühlte sich nach und nach dem Werk und der Person Mahlers immer mehr verbunden. Geradezu existenziell verbunden. Die Seelenverwandtschaft ging für ihn so weit (wie er war ja auch Mahler ein komponierender jüdischer Dirigent in einer christlich dominierten Welt zwischen Judentum und Assimilierung stehend, mit all den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben), dass er sich als Nachfolger Mahlers auf Erden sah. Wenn wir uns erinnern: Bernstein reiste eigens nach Wien, um sich bei den Nachfolgern von Siegmund Freud in psychoanalytische Behandlung zu begeben, denn bei Siegmund Freud war auch Mahler wegen seiner Depressionen in Behandlung, die unter anderem auch aus den Eheproblemen mit seiner Frau Alma herrührten.
Die Mahler-Aufnahmen in New York entstanden jedoch mit Bernstein nicht in einer mahlerfreien Zone, waren die Musiker doch bereits durch die Exegesen von anderen Mahler-Fanatikern vorbereitet. Erinnern wir doch nur an Bruno Walter und Dmitri Mitropoulos. Letzterer hatte die Fünfte 1960 in der Carnegie Hall dirigiert und die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung. Leider ist uns der Mitschnitt dieses Konzertes nur in der damaligen Qualität eines Telefonats überliefert worden. Wie schade. Trotzdem haben wir ihn in unseren Vergleich aufgenommen (siehe oben).
Bernstein nähert sich dem Notentext respektvoll. Die Darbietung wirkt zunächst den Erwartungen entgegenstehend etwas verhalten, reserviert und streng. Einen ganz anderen Eindruck erhält man durch die letzte Einspielung Bernsteins mit den Wiener Philharmonikern von 1987. Die Trompete spielt wie verlangt mit den flüchtigen Triolen. Den typischen Bernstein-Zug nach vorne vermisst man 1963 noch ein wenig. Im Trauermarsch herrschen eine gewisse Leere und Ratlosigkeit, der Sarg will gewissermaßen nirgendwo hin. Ein Gestus, der nicht unbedingt einem Trauermarsch zuwiderläuft. Die Trompete tremoliert noch, entweder um das Vulgäre der Musik noch zu betonen oder noch stärker auf ihre Herkunft aus der damaligen U-Musik hinzuweisen. Das Holz der New Yorker quäkt, so wie man es sich in einer anderen Komposition kaum vorstellen könnte. Soll es der jüdischen Klezmer-Musik nahekommen? Das wäre plausibel. Das Schneidige und Militärische wird gut wiedergegeben. Das Orchesterspiel als Ganzes kommt an das pralle, viel souveräner mit der Musik zu werke gehende CSO Soltis (1970) nicht heran. Es wirkt vergleichsweise erschöpft und kraftlos, was selbstverständlich auch glaubhafter Teil der Interpretation sein könnte. Das Pizzicato am Ende wird als einziges eingehallt, warum?
Der zweite Satz beginnt durchaus stürmisch bewegt und vehement. An Dynamik hören wir, was die Technik damals so hergeben konnte. Das Spiel wirkt sehr ausdrucksvoll, man spürt in diesem Satz die besondere Leidenschaft des Dirigenten viel mehr als im ersten Satz, wenn auch noch nicht alles vom Orchester umgesetzt werden kann. Bernstein ringt um größtmöglichen Ausdruck und bestmögliche Stimmentransparenz.
Das Scherzo wirkt ein wenig statisch, wobei die trockene Akustik der Aufnahme einen gewissen Teil dazu beiträgt. Den Streichern scheint der Ton an den Saiten hängen zu bleiben. Er löst kaum eine richtige Bewegung aus. Das Tempo erscheint stimmig, viele andere Dirigenten wählten es auch. Die langsamen, retardierenden Passagen fehlt es nicht an Ausdruck, ganz im Gegenteil. Der Ländler hat das Derbe, das er braucht, der Walzer die gebrochene Seligkeit, die Mahler vorgeschwebt haben mag. Die Stretta hat gehörigen Biss (ab T. 764).
Beim Adagietto erscheint uns das Tempo als nicht zu langsam. Es wird sehr intensiv und klangschön gespielt. Bernstein bauscht das Adagietto lange nicht so auf wie Karajan in seiner Aufnahme zehn Jahre später.
Bernstein versteht die Fünfte (natürlich) als Finalsinfonie. Zügiges Tempo und stark drängender Impetus verdeutlichen dies. Er fordert die Virtuosität des Orchesters stark. Der Choral wirkt triumphal. In Hinsicht auf die Spielqualität der beiden Orchester (1963 und 1987) geht die Wiener Aufnahme deutlich als Sieger hervor, in Hinsicht Klangqualität ebenso. Die Bedeutung der Aufnahme von 1963 mag für Bernstein selbst größer gewesen sein. Nicht ohne Grund hat man ihm eine CD dieser Einspielung mit in sein Grab gegeben. Die Angehörigen werden die tiefere Bewandtnis dafür gekannt haben, warum man genau diese Aufnahme gewählt hat.
Der Klang der Aufnahme macht die Musik bereits recht transparent, besonders, wenn man die wenigen zuvor entstandenen Einspielungen dagegen nimmt. Dann wird der damalige Rang der Aufnahme deutlicher. Das Orchester wird schon gut im Raum gestaffelt. Gleichwohl wird der Klang im Tutti ziemlich dicht. Der Gesamtklang ist recht trocken. Die Violinen klingen besser als bei Solti (1970), da gehört allerdings nicht viel dazu und es bleibt der einzige Vorteil in der Klangqualität gegenüber der Solti-Aufnahme. Die Aufnahme wurde recht leise überspielt. Man muss also den Regler bemühen, um der Aufnahme die gebührende Präsenz zu geben. Das ist lohnend. Die Soli von Trompete und Corno obligato werden von den Plätzen aus der Gruppe heraus gespielt, also tief in den Gesamtklang integriert. Sie sind trotzdem gut zu verfolgen. Wir hörten ein Exemplar der Royal Edition. Ein noch älteres Remaster klang schlechter.
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4-5
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
DG
1973
12:59 15:01 18:01 11:52 15:19 73:12
Karajan beschäftigte sich erst sehr spät in seinem Dirigentenleben mit der Musik Mahlers. Vom Mahler-Virus infiziert wurde er erst ganz spät, wenn überhaupt, also nicht bereits als Jugendlicher, wie bei den meisten Mahler-Infektionen. Als erstes Werk studierte er „Das Lied von der Erde“ ein, ganz früh in den sechziger Jahren. Da die Altpartie nicht adäquat besetzt war, kam es zu keiner Einspielung auf LP. Erst 1970, als Christa Ludwig die Partie im Konzert sang, war er zufrieden und er beschäftigte sich langsam auch mit dem sinfonischen Werk Mahlers.
Viscontis berühmter Film von 1971 ließ gleichzeitig bei den Plattenfirmen den Wunsch nach Neueinspielungen wachsen. Karajan wurde von seiner Firma bekniet, da man wohl bemerkte, dass die damals neue Aufnahme der Fünften mit Kubelik gegen die Solti-Aufnahme keinen guten Stand haben würde. Da bangte man um Absatzzahlen und man wollte den amerikanischen Markt nicht den Mahler-Jüngern Solti und Bernstein überlassen. Das unterbreitete man Karajan und da er auf seinen bisherigen Erfolg in Amerika stolz war, muss dieses Argument überzeugend auf Karajan gewirkt haben, denn er studierte sie dann schließlich ein. Möglicherweise war ihm Soltis Aufnahme dabei eine Hilfe. Zuerst gab es Konzerte in Berlin, dann Salzburg. London und Paris. Die Schallplattenproduktion durfte dann natürlich nicht fehlen. Karajans Debut als Dirigent einer Mahler-Sinfonie wurde zu einem Triumph beim Publikum, weniger bei den Kritikern. Heute, über 50 Jahre nach der Aufnahme hört sich manches anders an als damals, besonders wenn man einen so reichen Vergleich anstellen kann wie wir, denn wie man sieht sind die Aufnahmen seitdem „ins Kraut“ geschossen. Da die Philharmoniker die Sinfonie zuvor mangels Tradition kaum gespielt hatten (eine Ausnahme war das Gastspiel mit Horenstein in Edinburgh 1960 und vielleicht noch wenige andere) war es kein Repertoire-Stück. Es musste erst aufwändig eingeübt werden, was für den Dirigenten ohne Zweifel ebenfalls zutraf. Karajan konnte als Chef jedoch nahezu beliebig über die Probenzeit bestimmen. Das hört man dem Orchesterspiel auch an. Es wirkt noch ein wenig gedrillt, aber in Hinsicht auf Perfektion braucht man sich nicht zu verstecken, wenngleich die Sinfonie bei Abbado, Rattle und Dudamel noch geschliffener und „leichter“ klingt. In Hinsicht auf expressiven Ausdruck und Mut zur exzessiven Gestaltung der Dynamik als Vehikel zur Darstellung menschlicher Extremsituationen wurde sie jedoch von seinen Nachfolgern nicht annährend erreicht, geschweige denn übertroffen. An einigen Stellen mag sich jedoch der spezifisch Mahler´sche Tonfall nicht so recht einstellen und mit der Stimmentransparenz ist es manchmal nicht weit her.
Die Trompete spielt zu Beginn extrem glanzvoll, ihre Triole klingt weder „flüchtig“ und schon gar nicht schnoddrig-militärisch. Es wird ihr eine eindeutige Solisten-Rolle zugebilligt. Die Hörner klingen enorm glanzvoll und reizen ihre komplette Bandbreite voll aus. Letztlich hat das Orchester bei dem für ihn ziemlich unbekannten und auch heute noch unbequemen Stück ein ausgezeichnetes Niveau erreicht. Der Impetus ist überwältigend. Ab Zi. 7 „plötzlich leidenschaftlich, wild“ wird das sehr gut herausgebracht, um nicht zu schreiben spektakulär. Das leidenschaftliche Spiel wirkt gut akzentuiert. Allerdings, das ist in diesem Fall die Kehrseite der Medaille, ist dies auch der erste Abschnitt bei dem die Darstellung der Vielstimmigkeit nicht mehr gerecht wird. Karajan stürzt sich auf die Höhepunkte und treibt sie ins Exzessive. Die lautesten Stimmen scheinen ein Dominanzrecht zu erhalten und bewirken ein Abgleiten in die Homophonie, tendenziell natürlich nur, denn der Rest ist schon zu hören, aber nicht gerade klar und deutlich. Tendenz: Nebenstimmen werden zu Füllstimmen degradiert. Dies war auf der alten LP viel deutlicher als auf der CD der „Originals“-Serie, die deutlich klarer wirkt.
Der zweite Satz treibt die Tendenz noch weiter. Einerseits lässt es Karajan und die Philharmoniker nicht an größter Vehemenz fehlen und stürmischer klang die Musik allenfalls bei Solti (1970). Da kann man schon fast von einer Brutalisierung des Klangs sprechen, gerade wenn man diese Einspielung mit den vielen gesofteten der neueren Zeit vergleicht. Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Bei diesen Passagen verliert der Klang in noch deutlicherem Maß an Transparenz als im ersten Satz. Die Details muten daher nicht immer lupenrein an, die Stimmengewichtung vielleicht nicht immer ganz ausbalanciert. Die Kirche in Berlin-Dahlem, die von der DG vor der Nutzung der Philharmonie als Aufnahmestudio in allererster Linie für die Einspielungen mit den Philharmonikern diente, kommt hörbar an ihre Grenzen. Wahrscheinlich auch das technische Equipment. Beileibe nicht alles wird auf Hochglanz poliert, die Monodie der klagenden Celli wirkt zurückhaltend und grau. Die Violinen der Philharmoniker klingen mitunter einfach phantastisch. Der drängende Gestus bei den Steigerungen wird voll ausgespielt, der Choral ist an Glanz nicht zu überbieten. Höhepunkte werden auf außerordentliche Weise ausgekostet.
Absichtlich oder nicht wird die aufgesetzte Heiterkeit im Scherzo gut herausgearbeitet, mitunter spielen die Philharmoniker aber doch zu preußisch-zackig. Karajan scheint der scheinbaren Heiterkeit nicht zu trauen, geht aber nicht den nächsten Schritt zur Ironie. Deshalb wirkt der Tanz auch nicht als Totentanz, der Ballsaal bei Kerzenschein, bei der die alte Walzer-Seligkeit bereits gestört ist, kommt jedoch irgendwie schon durch. Vielleicht kann man sich auf das Bild einigen, dass Gevatter Tod noch nicht mit an der Tafel sitzt oder mittanzt, aber doch schon an der Tür steht. Mahler immerhin schon recht nahegekommen, auch wenn der spezifische Tonfall, der sich kaum beschreiben lässt, nicht völlig getroffen erscheint. Das Corno obligato bekommt das Prädikat Sonderklasse. Das derbe sf der Pauke ebenfalls. Wo hört man das je so prall rausgehauen? Die Stretta kann ebenfalls nur selten so wild und mitreißend gehört werden. Unserer Einschätzung nach trotz allem mehr Licht als Schatten bei Karajans wahrlich virtuoser Darstellung des Scherzos.
Als unbelesener Hörer würde man „Karajans“ Adagietto nicht unbedingt mit einer Liebeserklärung in Verbindung bringen. Er ist vielleicht auf die „sachfremde Verwendung“ der Musik in Viscontis Film reingefallen. Nun klingt sie, für unsere Ohren wenigstens, selten einmal zart und innig, sondern wird mit hoch gespannter Expressivität aufgeladen. Als Liebeserklärung gehört geradezu erdrückend. Gewogen und insgesamt für zu schwer befunden und etwas zu dick aufgetragen. Als junge Frau würde man vielleicht eher zurückschrecken oder sogar weglaufen. Aber bei Alma haben ja nicht Karajans Philharmoniker aufgespielt, ihr reichte ein Blick in die Noten.
Das Rondo ist dann wieder sehr ansprechend gestaltet, schreitet im guten Impetus voran und zeigt eine begeisternde orchestrale Bravour und Wucht. Sieghafter und prachtvoller ist der Choral kaum je zu hören. Noch ein Beispiel einer einzigartig gelungenen Passage: Mahlers Wunsch, gerichtet an die Posaunen „Schalltrichter auf und alles übertönend!“, versehen mit einem Ausrufezeichen bei 10 Takte nach Zi. 34 bekommt man genau so (also mit dem Ausrufezeichen!) nur bei Karajan und den Philharmonikern serviert. Gänsehautgarantie!
Den Klang dieser Einspielung kann man wohl als mächtig bezeichnen. Die Dynamik erscheint extrem ausgereizt, die Gran Cassa grollt massiv. Der Klang ist jedoch nicht immer transparent genug, ab dem zweiten Satz mitunter gepresst. Auf einer zum Vergleich gehörten High-Resolution Überspielung auf Blu-Ray (leider nicht die neue Quadro-Version, ja die Aufnahme erfolgte damals im Quadro-Format), klang es leider genauso. Der Klang ist farbig, teilweise bei den Violinen übersteuert, gegenüber der LP merklich aufgelichtet.
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4
Zubin Mehta
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Decca
1976
11:19 14:42 17:06 9:39 13:56 64:43
Von Zubin Mehta existieren drei Einspielungen, die sich relativ deutlich voneinander unterscheiden. Zubin Mehta eröffnete seine Mahler-Einspielungen übrigens nicht mit der Fünften, denn ein Jahr zuvor erschienen bereits die erste mit dem Israel Philharmonic und die zweite Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern. Er war von 1962 bis 1978 Chef im Los Angeles, ein Job, der damals eigentlich Georg Solti zugedacht war. Es kam bekanntlich anders und Solti heuerte am Royal Opera House Covent Garden in London an. Die erste Einspielung Mehtas gefällt uns am besten, obwohl bei den beiden folgenden vieles verbessert wurde. Anderes gelang dagegen nicht mehr so gut.
Schon die beginnende Trompeten-Fanfare wirkt drängend und fast verhetzt, in jedem Fall gefahrverheißend. Es klingt mehr nach Alarm in der Kaserne als der Startschuss für einen Trauermarsch. Dessen Tempo gerät ungewöhnlich schnell. Uns schien es an dieser Stelle schon, dass Mehta versucht, Solti von 1970 zu übertreffen, ein Eindruck, der sich in den anderen Sätzen wiederholte. Das Unterfangen, um das Ergebnis vorwegzunehmen, misslang. Das Stürmische im Gestus aus dem zweiten Satz erscheint bereits im ersten. Drängend und ungestüm klingt es dabei. Als großer Mangel der ersten Einspielung Mehtas erscheint es, dass die Vielstimmigkeit nicht ansatzweise genügend hörbar gemacht wird. Da waren die Techniker in Chicago sechs Jahre zuvor erheblich sorgsamer. Vielleicht wird die Transparenz auch einfach vom Orchester nicht gebracht? Diesen Verlust verbindet Mehta mit Karajan, nur klingt es bei Mehta noch „verkleisterter“. Andererseits vergeht der Satz wie im Flug. Noch schneller als Solti fordert Mehta die Virtuosität des Orchesters über Gebühr. Eine andere Erklärung wäre: Man hat nicht genug geprobt, um das komplexe Werk schon einzuspielen.
In den Strudel des zweiten Satz wirft Mehta das Orchester anscheinend ebenfalls hinein. Es wird zwar nicht zermalmt, aber man kann es sich vorstellen wie ein Schiff auf stürmischer See. Die Vehemenz nutzt sich angesichts des schnellen Tempos ab, verliert dadurch an intendierter Schärfe. Ähnliches wird auch Daniele Gatti noch einmal unterlaufen, in seiner Aufnahme mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Mehta wird seine Tempi, reifer geworden, in den späteren Einspielungen in New York deutlich in und noch deutlicher in München verlangsamen. Er berichtet selbst einmal, dass ihn Leonard Bernstein, der immer noch eine Wohnung in NY hatte einmal darauf aufmerksam machte. In dem Interview sagte er jedoch nicht, dass es voll darauf einging. In Los Angeles gewinnt jedoch noch nicht die depressive Langsamkeit, wie bei so vielen späteren Aufnahmen, sondern der anscheinend unaufhaltsame jugendliche Vorwärtsdrang. Zubin Mehta war zur Zeit der Aufnahme übrigens gerade 40 Jahre alt. Er kommt uns vor wie Alexander der große, der einen unentwirrbaren Knoten (die Komplexität des Satzes) mit einem oder mehreren Schwerthieben „entwirrt“. Von seiner draufgängerischen Haltung wird in New York viel weniger und in München nichts mehr übriggeblieben sein.
Im Scherzo drückt Mehta in den tänzerisch geprägten Passagen ebenfalls mächtig und energisch aufs Tempo, während die lyrischen Abschnitte dagegen stark abgebremst erscheinen. Das Orchester wirkt erneut nicht immer ganz souverän (das Corno obligato allerdings schon), denn die sonst so löbliche Wärme im Klang wird in den komplexeren Passagen spürbar härter. Es gibt viel Einspielungen, die mehr von der komponierten Musik hören lassen (einschließlich Mehtas beiden späteren Aufnahmen), der mitreißende Schwung jedoch stimmt und das ist viel mehr als viele andere Produktionen zu bieten haben.
Das Adagietto erklingt in einem guten Tempo, denn es erklingt expressiv aber auch warmherzig und wenn nötig mit der erforderlichen Zartheit oder leidenschaftlich ohne zu klotzen, wie wir das bei Karajan hören konnten. Ein großer Pluspunkt dieser Einspielung ist das Adagietto.
Ganz im Diesseits, flott und draufgängerisch, überhaupt wieder richtig „da“ zu sein. An Lebensfreude mangelt es diesem Rondo gewiss nicht. Der Choral erklingt als schnelle Hymne, unpathetisch aber nicht unterspielt.
In der ersten Einspielung des noch jungen Zubin Mehta klingt noch viel von den Einspielungen der ersten Generation der Mahlerdirigenten auf Platte mit. Allzu unbekümmert und frisch lotet Mehta das Werk jedoch nicht voll aus, es fehlen ihm noch eine Menge Zwischentöne und alle Stimmen kann man auch nicht jederzeit hören. Die sehr frische, nonchalante Herangehensweise ist den vielen Langweilern im Mahler-Business jedoch deutlich vorzuziehen.
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4
Zubin Mehta
New York Philharmonic Orchestra
Teldec
1989
11:34 14:03 17:58 10:50 14:46 69:11
Mr. Mehta wechselte 1978 vom Los Angeles PO zum New York Philharmonic bei dem er bis 1991 Chefdirigent, bei den Amerikanern nennt sich diese Position übrigens Music Director, blieb. Bisher länger als jeder andere.
13 Jahre nach der Decca-Einspielung wirkt der Trauermarsch gemessener. Der jugendliche Übermut ist gewichen, er war auch für Zubin Mehta selbst dann doch nicht die richtige Herangehensweise an den Trauermarsch. Der Satz wirkt nun strenger, bleibt aber noch kantabel. Die Trauergemeinde bleibt jedenfalls bildlich gesprochen vor lauter Antriebslosigkeit im Morast stecken. Bei vielen Aufnahmen, nicht nur bei Zubin Mehta, sind, um im Bild zu bleiben, die Wege auf dem Friedhof vom vielen Regen stark aufgeweicht, sodass der Kondukt kaum vorwärts kommt. Das Orchester spielt erheblich sauberer als das LAPO und hat jederzeit genügend Kraft für die Ausbrüche. Man merkt die reichere Tradition und die tiefere Bindung des NYPO zur Musik Mahlers gegenüber den Westküstern aus LA ziemlich deutlich. Auch die bessere Spielkultur, zumindest einmal in den beiden in Rede stehenden Einspielungen. In New York ist der Gang über den Friedhof immer noch dramatisch bewegt, aber nicht erschütternd wie bei den besten.
Der zweite Satz klingt interpretatorisch nun mehr nach Mainstream, erneut kantabel, nicht so aufgeregt wie in LA und mit einem sehr schönen, leuchtenden Klang der Violinen. Die Präzision der Bläser gehört mit zum Besten was bisher zu hören war (Einspielung Nr. 72 und diese Einschätzung hielt sich bis zum Schluss). An manchen Stellen bekommt das Spiel einen Anflug von Flüchtigkeit, aber insgesamt wirkt die Darbietung erheblich nachhaltiger als noch vor 13 Jahren. Das Stimmengeflecht wird gegenüber ´76 aufgelichtet. Die Choral-Vision des Paradiso wirkt nun konkreter und stärker als Hymnus ausgeprägt, fast so, als ob wir uns schon im letzten Satz befänden.
Das Corno obligato wirkt leider sehr weit entfernt und klingt aus der ohnehin schon weit entfernt klingenden Hörnergruppe. Durch die wenig präsente Aufnahmetechnik und induziert vom eher langsamen Tempo wirkt das Scherzo weniger wirbelnd als 1976 in LA. Den lyrischen Momenten wird mehr Raum gegeben, bisweilen bis hinein in die Versenkung. Sehr schöne Walzer-Anklänge. Sehr sauberes Orchesterspiel. Man hat das Gefühl, dass Mehta und das Orchester tiefer in die musikalische und geistige Substanz der Komposition eingedrungen wären. Man verbucht das als Verbesserung, obwohl die jugendliche Unbekümmertheit in LA auch was für sich hatte.
Ein „Stückchen“ sentimentaler als 1976 ist das Adagietto geworden. Es klingt aber immer noch zart und zurückhaltend. Die Harfe klingt sehr gut. Die Gesamtwirkung erscheint feiner und ziselierter.
Das Rondo bekommt nun einen „Schuss“ Gemütlichkeit und Behaglichkeit mit. Die Transparenz ist deutlich verbessert, die Fugati sind nun Leckerbissen geworden. Der ganze Satz wirkt genussvoller ausgespielt. Die frische Tatkraft aus LA fehlt leider weitgehend. Mehta ist in den 13 Jahren fast schon in die nächste Generation der Mahler-Dirigenten gerutscht. Die Erinnerung an die Pioniere, wie Bruno Walter scheint nun schon zu verblassen. Man wird langsamer, deutlicher, die Orchester besser, die Aufnahmetechnik hellhöriger. Diese Einspielung hat ihre Meriten, aufregend ist sie aber nicht.
Der Klang der Aufnahme ist präzise und räumlich, sogar luftig. Gegenüber LA wirkt das Orchester in NY nach hinten gerückt. Obwohl ihm weniger Präsenz zugestanden wird, klingt es transparenter und besser gestaffelt und besser aufgefächert, ohne jedoch in diesen Disziplinen Bestnoten zu erreichen. Die Violinen klingen in NY viel seidiger. Der Klang ist erheblich besser ausbalanciert als in LA. Man kann sich eine Akustik wie im großen Konzertsaal vorstellen, auf einem Platz von der Mitte eher noch ein wenig weiter nach hinten gerückt. Der typischen Ästhetik der späten 80er und 90er Jahre folgend. Es gäbe also genug Gründe, die New Yorker Einspielung der aus LA vorzuziehen. Wer die Wahl hat, hat die Qual.
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4
Zubin Mehta
Bayerisches Staatsorchester, München
Farao
2008, live
12:22 14:38 18:21 10:05 15:26 70:52
An der Bayerischen Staatsoper war der Dirigent aus Indien von 1998 bis 2006 Generalmusikdirektor. Die Aufnahme entstand in der Bayerischen Staatsoper (auch Bayerisches Nationaltheater genannt), also bereits zwei Jahre nach seinem Festengagement. Er zählte zur Zeit der Aufnahme 72 Jahre. Er und das von ihm geleitete Orchester haben nun im Umgang mit dem Werk einen nochmals gesteigerten Grad an Selbstverständlichkeit erreicht. Eine Entwicklung, die sich schon bereits von LA nach NY abzeichnete.
Der Klang des Münchner Orchesters beeinflusst die Wirkung der Interpretation nicht unwesentlich. Der reichhaltige beinahe schon ins Üppige gehende Klang wirkt zwar noch gut durchhörbar, aber an die Transparenz der New Yorker-Aufnahme kommt die Münchner nicht heran. Die Wechsel von ohrenbetäubender Dramatik und schwerer Melancholie erhält nun einen erheblich tragischeren Subtext als in LA oder auch in NY.
In München wirkt die stürmische Vehemenz zu Beginn des zweiten Satzes noch ein wenig mehr domestiziert. In LA ging es noch deutlich stürmischer zu. Das ist dem weichen Gesamtklang genauso geschuldet wie dem rücksichtsvollen Tempo und dem weniger scharfkantigen Spiel. Die desillusionierte Gefühlswelt wird durch den erwärmenden bayerischen Luxusklang eher konterkariert als bohrend vertieft. Schöner kann Verzweiflung eigentlich kaum noch klingen. Alles wirkt weich und mild und einfach zu langsam. Der Choral bleibt in seiner Strahlkraft zurück, da das Klangbild relativ streicherlastig ist, was gerade an dieser Stelle selten vorkommt. So bietet sich jedoch eine Möglichkeit, ihn als Vision des Paradiso plastisch zu machen und ihn deutlich von seiner Wiederkehr am Ende des Rondos zu unterscheiden.
Das Scherzo wird souverän dirigiert und gespielt. Eigentlich perfekt wie in einer Studioaufnahme, aber doch etwas betulich und wenig zugespitzt. Von einer ironischen Brechung ist Mehta weiter entfernt als je zuvor. Sämtliche solistischen Leistungen gefallen sehr gut und das Corno obligato steht keinesfalls zurück. Das muss besonders gelobt werden, denn es wurde angeblich nur an einem Konzertabend mitgeschnitten.
Für das Adagietto wählt der Dirigent nun wieder ein etwas zügigeres Zeitmaß. Die Zeit scheint dennoch stehen zu bleiben, vor allem wegen des herrlichen warmen Klangs, der keine Wünsche offenlässt, wenn man ihn etwas substanzreicher als üblich mag. Es ist ein leisestes pp möglich. Darin wollen sich die Orchester gerne gegenseitig übertreffen, nur ganz selten gelingt es so tiefgründig und substanziell im Klang wie hier. Schweben wie im Siebten Himmel also, klangschön und der Glückseligkeit nah wie selten. Der volle Klang der SACD befördert diese Wirkung nachdrücklich. Auf der Kehrseite ist wenig jugendliche Leidenschaft spürbar.
Das Rondo wirkt bedacht und bedächtig, sehr deutlich und nachdrücklich im Gestus, mit feinstem Orchesterspiel und nicht ganz ohne Schwung. Gelassen und sagen wir mal, die Fröhlichkeit wirkt dieses Mal eher innerlich. Vom forschen Auftreten in LA 1977 ist nicht mehr viel übrig. Die Höhepunkte erhalten viel Glanz und Gloria. Nur beim finalen Choral dreht das Orchester richtig voll auf. Ein großes Plus dieser letzten Einspielung Mehtas ist es, dass die Vielstimmigkeit auf das Schönste hörbar gemacht wird. Die dritte Einspielung mach die Qual der Wahl, wenn es um eine Aufnahme mit Zubin Mehta geht, nicht gerade leichter.
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4
Günter Herbig
Berliner Sinfonie-Ochester (heute: Konzerthausorchester Berlin)
Edel Classics, Corona, Eterna
1980
11:17 13:20 17:56 9:54 14:22 66:49
Mit Günter Herbig existieren außer der uns vorliegenden ältesten noch zwei neuere Aufnahmen der Fünften. Die zweite entstand mit dem BBC Philharmonic in Manchester, eine Veröffentlichung der BBC und eine letzte mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken von 2000. Beide lagen uns zum Vergleich leider nicht vor. Herbig war von 1977 bis 1982 Chefdirigent des Ost-Berliner Orchesters. Bei der Einspielung in Ost-Berlin war Herbig 49 Jahre alt.
Im ersten Satz dominiert eine äußerst strenge und ernste Grundhaltung bei einem recht flüssigen Tempo. Der Ton bleibt gesanglich, der Gestus keineswegs flüchtig, was man bei dem flotten Tempo vielleicht annehmen könnte. Der Vorwärtsdrang ist für einen Trauer-Kondukt ganz enorm. Das Orchester schlägt sich wacker bringt seine Holzbläser deutlich und klanglich ausgewogen und mit schönem Klang gut zur Geltung.
Der zweite Satz wirkt sehr aufgewühlt und wird mit höchster Dringlichkeit intoniert. Die Verzweiflung wird sehr deutlich, das Orchester geht dazu bis an seine Grenzen. Manche Phrase gelingt gerade noch so. Das zügige Tempo und der Impetus schützt vor Spannungsabfall und trotz des „geladenen“ Spiels bemüht man sich sehr um Gesanglichkeit. Der vorgelegte Impetus lässt an Solti und Kondraschin denken. Das Orchester mit seinem unvermittelten und spontan-feurig wirkenden Musizierstil lässt jedoch eher an Kondraschins Moskauer denken als an Soltis Präzisionsfanatiker aus Chicago. Herbig hält des ersten und den zweiten Satz sehr gut zusammen. Bei der Choral-Vision lässt Herbig noch Reserven für seine Wiederkehr im Rondo.
Das Scherzo klingt lebendig, nichts überstürzend stellt sich jedoch alsbald der Eindruck ein, unser Held wolle vor irgendwas weglaufen. Ein Eindruck, der über den ganzen Satz hinweg erhalten bleibt. Kämpferische Töne werden mit angemessener rhythmischer Schärfe umgesetzt. Auch beim Walzer, der schon fast so klingt wie Ravels „La valse“ kurz vorm Kollaps. Gevatter Tod tanzt mit, mit deutlichem Knochengeklapper. Das Stimmengeflecht klingt transparent, die kontrapunktischen Linien sauber aufgelöst. Sehr gutes Corno obligato. Es entsteht keine Sekunde Langeweile. Bis hierhin muss man schreiben, dass die Einspielung bisher stark unterschätzt war und in unserem Ranking viel weiter vorne stehen müsste. Vor allem das Rondo kann das Niveau jedoch nicht halten.
Im Adagietto wird das recht zügig erscheinende Tempo gut mit den ebenfalls flotten Tempi abgestimmt. Die Romantik wirkt nicht übertrieben, sachlich oder neutral wäre jedoch schon zu viel gesagt. Vielleicht etwas nüchtern, aber noch überzeugend. Den Violinen würde man etwas mehr zarten Schmelz wünschen. Die Harfenstimme wird deutlich gemacht. Auf uns wirkt der Satz ein wenig zu keusch.
Im Rondo lässt die Tatkraft wenig zu wünschen übrig. Das Tempo wirkt jedoch stets etwas zu sehr abgespult und wird den lyrischen Passagen nicht ganz gerecht. Der Choral wird im Tempo leicht verlangsamt, um ihm die gemäße Majestät zu verleihen. Die relativ starke Verlangsamung kann man fast als eine Spezialität Herbigs bezeichnen.
Insgesamt scheint uns diese Einspielung mit sehr guten Anlagen gesegnet zu sein, vor allem der vermittelte Schwung oder auch Elan gefällt uns sehr, im Detail wirkt die Einspielung jedoch noch nicht ganz ausgereift auf uns. Daher würde uns insbesondere die 2000er Einspielung sehr interessieren um zu sehen, was aus den guten Ansätzen geworden ist.
Der Klang ist präsent mit deutlich geführten, wuchtigen Bässen. Die Transparenz ist in Ordnung. Die Räumlichkeit und Tiefenstaffelung erreicht dieses Mal nicht die Bestnoten, die man für Eterna bereits vergeben durfte. Die Dynamik wirkt geweiteter als sie ist, denn ein echtes pp bekommen wir nicht zu hören. Die Violinen erklingen nicht immer mit der wünschenswerten, weichen Geschmeidigkeit, besonders im 4. und 5. Satz).
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4
Michael Stern
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio Philharmonie)
CD herausgegeben vom SR, anl. des 60jährigen Orchesterjubiläums
1997, live
11:37 12:59 16:04 11:20 14:15 66:15
Der Sohn des berühmten Geigers Isaac Stern war von 1996 bis 2000 Chefdirigent des RSO Saarbrücken. Danach wirkte er von 2004 bis 2024 beim Kansas City Symphony Orchestra im US-Bundesstaat Missouri.
Die Einspielung des zur Zeit der Einspielung 38jährigen Amerikaners gleicht der von Günter Herbig, seinem Nachfolger in Saarbrücken ziemlich deutlich. Auch Stern legt ein flottes Tempo vor, wobei ihm jedoch weniger Günter Herbig als Georg Solti als Vorbild gedient haben könnte. Es fehlt gegenüber dieser Einspielung von 1970 jedoch an Intensität und die orchestrale Qualität ist ebenfalls nicht ganz dieselbe. Es fehlt aber weniger als man annehmen würde, denn das Orchester aus dem Saarland spielt sehr engagiert, gerade das bei Mahler so exponierte Blech erweist sich als bombensicher. Für Transparenz ist ebenfalls gesorgt, jedoch hat man das Gefühl, dass die untersten Ausdruckstiefen des Satzes nicht ganz ausgelotet werden.
Im zweiten Satz geht es mit großer Vehemenz und wenn man so will hoher Windstärke los und auch im weiteren Satzverlauf hat das Schiff des Lebens richtig mit den sich auf hoher See auftürmenden Wellenbergen zu kämpfen. Das Orchester geht bei den kämpferischen Passagen sehr gut aus sich heraus, den lyrischen Passagen wird jedoch weniger Nachdruck verliehen. Ohne dass man den Ausdruck als oberflächlich bezeichnen könnte, erlaubt man sich doch nur wenig Sentiment. Der Satz hört sich ziemlich entschlackt an, wenngleich die geringe Schwere gerade bei diesem Satz ein wenig irritiert. Der Sturm wirkt eben doch sehr in die lyrisch-melancholischen Passagen des Bedauerns und der Erinnerung hinein, sodass unser Held (bzw. die Psyche des Komponisten) kaum zur Ruhe kommt. Intensive Selbstbeschau unterbleibt. Wir hören eine ausgezeichnete Choralvorbereitung voller Intensität und Inbrunst. Der Choral selbst wird ebenfalls mit mehr Lebendigkeit dargeboten als gewohnt. Und erneut sind wir deshalb etwas irritiert. Das Orchester spielt sehr präzise und mit sehr guter Homogenität.
Das Scherzo wirkt lebendig, denn Stern wandelt erneut auf Soltis Spuren. Jedoch klingt es bei ihm wie zuvor oberflächlicher als bei dem Ungarn. Stern erliegt quasi den Fliehkräften des hohen Tempos. Es kann so nicht jeder Figur hinreichend Nachdruck verliehen werden, wie dies bei den vielen chronisch-langsamen Einspielungen zu hören ist. Nur den besten gelingt es, hohes Tempo mit liebevoller Detailakribie zu verbinden. Insgesamt erleben wir Sterns Tempo jedoch als wenig nachteilig, gerade weil das tänzerische ganz gut rüberkommt. Dann vermittelt die Darbietung einiges an Sogkraft. Erneut hören wir einen Solisten am Corno obligato, der über sich hinauswächst, denn aufgezeichnet wurde nur während eines Konzertes.
Im Adagietto weicht Stern erheblich von seinem vermuteten Vorbild Solti ab, auch endet die Ähnlichkeit mit Herbigs Einspielung. Bisher passte Sterns Tempowahl auch gut zum hektischen Weltgetümmel der ersten Sätze, vielleicht sucht er deshalb einen starken Kontrast dazu im langsamen Satz. Die Streicher des RSO spielen den Satz sehr schön, dennoch wirkt ihr Spiel etwas zu sachlich aber auch ohne den großen Herzschmerz, den so ein eigentlich getragenes Tempo oft mit sich bringt.
Im Rondo zeigt sich das Orchester erneut von seiner besten Seite: Hellwach, gut akzentuiert und mit ungebremster Virtuosität. Erneut erfreut die unverminderte Standfestigkeit des knackigen Blechs, das einen wirklich guten Tag erwischt hat bis zum drängenden und jugendfrisch anmutenden Abschluss der Sinfonie. Das Orchester gefällt sogar besser als die New Yorker in der legendären Aufnahme Bernsteins von 1963. Ein alles andere als langweiliger Beitrag zur Diskographie des Werkes, der aber nicht alle Nuancen des Werkes auslotet, vor allem die dunklen Seiten wirken wenig dunkel, während die positiven Seiten stärker ins Rampenlicht rücken. Da die „dunklen Sätze“ eins und zwei bereits ziemlich hell wirken (wie bei Dohnanyi), wird der kathartische Verlauf bis zur Erlösung auch nicht so deutlich spürbar. Das Publikum im Konzert jubelte dennoch begeistert. Das Verhältnis Dirigent/Orchester, am Anfang noch von großer Begeisterung geprägt, kühlte später merklich ab.
Die Aufnahme des SR klingt direkt und präsent, lebendig und dynamisch. Es gibt jedoch keine ausgeprägte Tiefenstaffelung. Der Gesamtklang ist aber erheblich besser als bei den live übertragenen Konzerten am Radio. Das Publikum ist nur in den Satzpausen zu hören und natürlich beim Schlussapplaus.
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4
Sir Georg Solti
Tonhalle Orchester Zürich
Decca
1997, live
12:20 14:38 16:39 9:59 14:22 67:58
Sir Georg muss die Sinfonie geliebt haben oder zumindest doch sehr geschätzt, denn auch seine letzte Einspielung galt ihr. Allerdings wusste der 84jährige nicht, dass es seine letzte Aufnahme werden sollte, denn es sollte noch eine ganze Reihe von Aufnahmen mit dem schweizerischen Orchester erfolgen, die Fünfte sollte eigentlich nur der Startschuss gewesen sein. Gerade hatte man allseits bemerkt, wie gut die Chemie zwischen Dirigenten und Orchester stimmt. Die Einspielung fällt in unseren Ohren zwar gegenüber seiner Jahrhundertaufnahme von 1970 ab (alle fallen irgendwie gegen sie ab), gefällt uns aber besser als der Konzertmitschnitt aus Wien von 1990, den er mit den Chicagoern auf Gastspielreise, ebenfalls für Decca (Solti nahm nur für Decca auf) einspielte.
Die Trompete hebt bereits sehr präsent mit ihrem Solo an und es stellt sich sofort wieder der typische Mahlerklang ein. Die Transparenz der Stimmen wird viel besser gewahrt als 1990 in Wien, währenddessen die Trompete stets sehr gut hervortreten kann, wie im Übrigen auch die gesamte Trompetengruppe. Ähnliches wünschte man sich von der Hörnergruppe auch. Der schwache Hörnerklang zieht sich leider durch die ganze Sinfonie. Die Klangtechnik hätte der indirekten Schallabstrahlung dieses Instrumentes entgegenwirken sollen. Das gelang 1970 viel besser. Der Gestus wirkt gegenüber 1970 merklich abgekühlt. Solti zeigt sich nun viel mehr an Detailarbeit und Klangfülle interessiert, 1970 war beides nur Mittel zum Zweck, den Ausdruck und die Brisanz zu steigern. Das Orchester schlägt naturgemäß in die gleiche Kerbe. Man merkt: Hier zieht ein gereifter Dirigent die Summe seiner Erfahrungen und das Orchester zieht aufmerksam mit.
Im zweiten Satz erscheint die stürmische Vehemenz zurückgefahren, die ultimative Hochspannung von 1970 erreichen Dirigent und Orchester nicht mehr. An Ausdruckstiefe fehlt es der Darbietung nicht, gerade wenn man sie mit der mittleren von 1990 vergleichen möchte. Das wild Zerklüftete wirkt nun jedoch nicht mehr mit größter Leidenschaft durchlebt, sondern eher plastisch nachgezeichnet, eben deutlich maßvoller. Den Violinen fehlt bisweilen die Homogenität der Chicagoer 1990 und sie wirken mitunter etwas forciert. Bei den Violinen hat die 1970er Aufnahme, wie bereits dort erwähnt, ihren Makel.
Das Corno obligato im Scherzo wirkt nun ein wenig präsenter und leicht der Hörnergruppe enthoben, befindet sich jedoch bei weitem nicht auf der klanglichen Präsenzstufe der Solotrompete. Nur wenn es seinen Schalltrichter aufsteckt gelingt die Präsenz gut. Da hätte die Klangtechnik erneut aufmerksamer sein müssen, der „Besetzungscoup“ des Satzes erscheint so unter Wert verkauft. Der Solist hätte übrigens mehr Präsenz verdient. Das kecke, angeschärfte, mit einem unbändigen Vorwärtsdrang gesegnete Spiel der Chicagoer von 1970 will sich nicht mehr einstellen. Da fehlte dem Dirigenten wahrscheinlich dann doch der erforderliche ultimativ-energetische Impetus. Wer will es ihm verdenken? Das Orchester spielt den diffizilen Satz nicht ganz untadelig, da wurde wohl auch nicht viel geschnitten. Den Schweizern gelingt jedoch eine detailreichere Spielweise als den Chicagoern 1990, die vielleicht damals von ihrer anstrengenden Reise durch die Sowjetunion ermüdet waren.
Im Adagietto bleibt Solti dem einmal für diesen Satz gewählten Tempo auch in seiner letzten Einspielung treu. Die Violinen wirken oft forciert, „zärtlich“ klingen sie nur selten. Die Harfe gibt in Zürich nur eine spärliche Hintergrundbeleuchtung ab.
Im Rondo bewegen wir uns trotz des eigentlich flotten Tempos viel weniger zielstrebig voran. Erst ganz spät lässt Sir Georg den Zürichern freien Lauf.
Das Konzert wurde vom Schweizerischen Rundfunk mitgeschnitten, was vielleicht darauf hinweisen könnte, dass ursprünglich gar keine CD-Produktion geplant gewesen sein könnte. Die Schweizer haben jedoch eine gute, konkurrenzreife Aufnahme hingekommen, viel klarer, offener und plastischer als es Decca in Wien 1990 gelang. Die Präsenz erscheint deutlich verbessert, die Tiefenstaffelung ebenso, die Dynamik des Zürcher Orchesters wirkt ungleich reichhaltiger als die der Chicagoer in Wien.
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4
Jaap van Zweten
London Philharmonic Orchestra
LPO
2008, live
12:56 14:11 17:29 9:53 14:40 69:09
Jaap van Zweten ist einer der wenigen Dirigenten, der eine Einspielung der Fünften als Gast und nicht als Chefdirigent geleitet hat. Zur Zeit der Aufnahme war er Chef bei Niederländischen Rundfunkorchester und beim Dallas Symphony Orchestra. Wie heutzutage üblich handelt es sich um eine Live-Aufnahme. Und wie es immer häufiger anzutreffen ist, um eine Live-Aufnahme eines orchestereigenen Labels.
Die Trompetenfanfare zu Beginn, die ja in Anlehnung an das Eröffnungsmotiv von Beethovens 5. Sinfonie wie das Schicksal anklopft, klingt in der Royal Festival Hall butterweich und geradezu antimilitärisch. Da nahmen wir schon an, dass alles außermusikalische Konnotat bei van Zweten womöglich wenig Beachtung findet. Auch das übrige Orchester klingt weich, substanzreich und klangvoll. Da hört man keinen Trauerrand mit, nicht grambebeugt und schon gar nicht tragisch in den Grundfesten des Lebens erschüttert. Die Musik wirkt in der erzeugten Atmosphäre stark abgedämpft, gut gespielt aber wenig durchdringend, seltsamerweise jedoch klanglich und dynamisch nicht eingeebnet. Das heißt nicht über das bei Tonträgern übliche Maß. Das Spiel des Orchesters, das die Sinfonie seit den Tagen Tennstedts sehr gut kennen sollte, wirkt fein und schlackenlos. Insgesamt nicht unsympathisch, aber von einer vollständigen Auslotung spürbar entfernt. Unsere Hoffnung war, dass man sich vielleicht die tragischen Kämpfe für die Fortsetzung im zweiten Satz aufgespart hat.
Jedoch gibt es auch in diesem keine Exzesse in dynamischer, tempomäßiger oder emotionaler Hinsicht. Dennoch ist Dramatik spürbar, allerdings nicht sonderlich geschärft, dazu wirken die Kontraste einfach nicht stark genug. Damit eckt man sicher nirgendwo und bei niemandem an. Niemand wird enttäuscht sein, kaum jemand wird mehr erwartet haben. Das Tempo wird immerhin fließend gehalten, mehr traurig-lamentierend im Gestus als von aufrüttelnder Tragik gezeichnet. Bis auf das Satzfinale, wo es etwas härter zur Sache geht, hören wir technisch ausgezeichnetes aber doch nur komfortabel-geläufiges Orchesterspiel. Die Spitzenorchester sind heute in der Lage auch eine Fünfte Mahler nur so aus dem Ärmel zu schütteln. Leider hört es sich auch genauso an. Hohes Niveau, keine musikalische Offenbarung.
Das Scherzo wirkt tänzerisch-elegant. Eine solide Darstellung, die uns keine neuen Erkenntnisse oder Spielarten offeriert.
Das Adagietto wirkt zart und fließend, recht bewegt und flexibel gespielt. Sehr sympathisch umschifft diese Darbietung die bei Anderen so gerne aufgesuchte tragisch angehauchte Melancholie. Dieser Satz gefällt uns in dieser Einspielung sehr gut.
Im Rondo erzeugt diese Darbietung immerhin eine gewisse Aufbruchsstimmung. Locker, erwartungsvoll, recht frisch und tatkräftig. Die Darbietung wirkt im gefühlt gemessenen Tempo geschmackvoll, fällt weder besonders positiv, noch negativ auf. Sie wirkt auf uns großzügig und mild, aber mit wenig geschärftem Eigenprofil. Der Dirigent bleibt im übertragenen Sinn unsichtbar im Hintergrund. Das Live-Spiel ist exzellent und insgesamt wirkt die Einspielung gekonnt und stimmig, Sie ist nicht elementar packend, aber auch nie beiläufig oder gar langweilig.
Der Klang der Aufnahme wirkt warm, weich, geschmeidig und abgerundet. Er bietet eine gute Übersicht über das Orchester. Die Konzertsaalakustik der recht trocken klingenden Royal Festival Hall scheint natürlich abgebildet, zumindest wenn wir das Ergebnis mit unserem einzigen Konzertbesuch dort vergleichen. Die Dynamik wirkt jedoch ein wenig zu zurückhaltend. Bis auf den Schlussapplaus hört man vom Publikum nichts.
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4
Ivan Fischer
Budapest Festival Orchestra
Channel Classics
2009
12:50 14:48 19:25 10:26 15:39 73:08
Ivan Fischer leitet das BFO seitdem er es gemeinsam mit Zoltan Kocsis 1983 gegründet hat bis heute (5/24) als Musikdirektor. Er war zur Zeit der Einspielung 58 Jahre alt. Hier hört man eine phänomenale Spielkultur, die sich, nur um ein Beispiel zu nennen, deutlich von der der Düsseldorfer Symphoniker in der Einspielung mit Ivan Fischers Bruder Adam abhebt. Das enorm präzise Spiel der Budapester bringt zudem eine stark sinnliche Komponente mit in die Darbietung ein. Gerade die Streicher und dabei die Violinen spielen mit großem Sanftmut. Der Trauermarsch wirkt besonders kantabel gesungen und „besungen“. Dabei erscheinen die gewaltigen Ausbrüche von Fischers Landsmann Georg Solti (1970) zwar erheblich abgemildert, gehen aber dennoch unter die Haut. Der Trauermarsch wirkt enorm detailreich und nuanciert. Besonders das Holz brilliert mit nie gehörten Nuancen besonders beim Ausformulieren der Melodien, gerade um das jüdische Idiom zu prononcieren. Laut Ivan Fischer wäre die Fünfte Mahlers „jüdischste Sinfonie“. Auf ihre Art ist der erste Satz in dieser Einspielung, die ihren Fokus mehr auf den lyrischen Erzählton als auf die dramatische Zuspitzung legt, beeindruckend.
Der zweite Satz klingt deutlich weniger vehement als bei unserer Referenz, der fiebrigen Darstellung Soltis von 1970. Ivan Fischer zeigt Mahler auch hier als Lyriker, der behutsam ausformuliert und singt. Zudem auf besonders ästhetische Art und Weise, die insbesondere an die Einspielung Chaillys und die beiden Jansons-Versionen aus Amsterdam und München 2016 denken lässt. Es gibt keine drastischen Zuspitzungen, jederzeit, d.h. auch im größten Tumult bleibt die Musik bestechend transparent, im Erzählton jedoch immer ausdrucksvoll wie bei den genannten Aufnahmen von Jansons, der insbesondere in München ebenfalls zugespitzte Lautstärke und schroffe Kontraste eher meidet. Man gewinnt den Eindruck, dass unserem Protagonisten die Lebenskämpfe sehr schwerfallen, er verfügt zudem beileibe nicht über die titanischen Kräfte, die uns Georg Solti 1970 zu vermitteln versteht. Fischers Choral-Vision wirkt unforciert und unspektakulär und scheint fast ihrer hymnischen Majestät beraubt, wird also als Vision besonders deutlich. Die Dekomposition am Satzende, das Auseinanderfallen der der (musikalischen) Substanz wird plastisch gemacht.
Im Scherzo scheint die Musik regelrecht durchleuchtet, der Stimmenverlauf erscheint besonders transparent. Das Grundtempo erscheint uns bereits als gewagt langsam. Es dient Fischer zur aufmerksamen, gestenreichen Herausarbeitung der zahlreichen Charaktere, die Mahler an uns vorbeiziehen lässt. Ein größerer Gegensatz zur Einspielung mit Norrington, der eine ähnliche Absicht verfolgt, lässt sich kaum denken, wenn man Fischers Klangsinnlichkeit gegen Norringtons kühle Schroffheiten ins Bild setzt. Von Norringtons Aufnahme später mehr. Beide offerieren größtmögliche Klarheit, bei Fischer wirkt sie gespenstischer. Gevatter Tod tanzt natürlich auch bei Fischer mit, bei Fischer jedoch mit einem gesunden, runden Ton, was sogar für sein Knochengeklapper gilt. Seine Grimasse wirkt sozusagen audiophil verkleidet. Das langsame Musizieren lässt zwar das liebevolle Musizieren, das sich in keiner Weise antreiben lässt, richtig zur Entfaltung kommen, eilig darf man es beim Hören jedoch nicht haben.
Beim Adagietto wählt Fischer hingegen ein mittleres Tempo, wie es bei all jenen zum „Mainstream“ geworden ist, die sich nicht so recht zwischen dem „Intermezzo-Charakter“ und den Hinweisen von Mengelberg und den vorbildhaften Einspielungen der ersten Stunde (Mengelberg und Walter) einerseits und den sehr langsamen Tempoanweisungen Mahlers entscheiden können. Hier wird daraus, nicht zuletzt durch die elaborierte Klangkultur des Budapester Elite-Orchesters ein fast meditativ-spirituelles Ereignis. Schöner geht es wohl kaum.
Das Rondo wirkt dann doch etwas flügellahm auf uns. Wo bleibt die frische Tatkraft nach der Erquickung durch das Erlebnis von Liebe und Natur? Fischer und die Seinen bietet eine Kaleidoskop-ähnliche Fülle von Eindrücken und Klangfarben, aber der leidenschaftliche Zug und der jugendliche Ungestüm fehlt. Der Choral wirkt jetzt besser als Hymne als im zweiten Satz, aber nicht majestätisch oder gar statuarisch.
Eine besonders liebevoll ausformulierte Einspielung, der es ein besonderes Anliegen zu sein scheint, jede Stimme plastisch, farbig und sinnlich fassbar zu machen. Dem schönen Klang fehlt jedoch über weite Strecken der dramatische bzw. vorantreibende Aplomb.
Der Klang der auch im Mehrkanalton der SACD verfügbar ist, aber nur im Stereo-Download von uns gehört wurde, zeigt bestechende Transparenz und Luftigkeit. Das Orchester wird tief gestaffelt und verleiht einer guten Dynamik Ausdruck. Das Klangbild wirkt eher fein und zerbrechlich als prall und saftig. Der Bass wirkt differenziert, auch druckvoll. Die Violinen wirken in unserer Quelle leicht wattiert und leicht distanziert. Der Klang ist durch und durch ästhetisch und sinnlich ansprechend. Ähnlichkeiten ergeben sich mit der Aufnahme von MTT aus San Francisco. Insgesamt ein Klang wie aus Samt und Seide.
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4
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
DG
1993, live
12:35 14:40 17:20 9:01 15:15 69:10
Dies ist die mittlere Einspielung Claudio Abbados, bei der er 60 Jahre alt war. Gegenüber der ersten, die er 1980 in Chicago einspielte, wird nun mehr Wert auf den Spannungsbogen gelegt, der über den ganzen Satz gespannt wird. Eine gewisse Sogkraft wird durchaus dabei erzielt. Das Orchester klingt viel besser als das CSO 1980, eine Aufnahme, die man technisch als misslungen bezeichnen muss. In Berlin klingt es voluminöser, farbiger, sonorer und die Vielstimmigkeit wird man viel besser gerecht als 1980, aber auch 1973 in Berlin mit Karajan. Das Berliner Orchester wirkt nun gelassener und nicht mehr so aufgeregt wie noch mit Karajan, aber auch nicht mehr so unter Spannung gesetzt. Die Präzision und Ausdruckskraft der Karajan-Einspielung unter Studiobedingungen (bei der auch nicht alles stimmte) wird live mit Abbado nicht erreicht. Mahlers Fünfte spielt sich eben nicht von alleine, auch wenn es die Berliner heutzutage noch besser, d.h. schlackenloser hinbringen, wie die Aufnahme mit Dudamel zeigt.
Im zweiten Satz wird anfänglich hohe Spannung und eruptive Vehemenz erreicht, die jedoch schon bald in Larmoyanz umschlägt. Das schmerzliche Nebenthema wirkt so schon fast idyllisch oder zumindest nostalgisch-beschaulich. Die Monodie der klagenden Celli wirkt sehr introvertiert, „man weint nach innen“. Besonders schön gelingt das kleine Solo der Violine. Im Verlauf wird die Vehemenz von Solti, Bernstein oder auch Karajan nie erreicht. Die Durchführung klingt turbulent aber kaum existenziell bedrohlich. Die Vision des Paradiso (Choral in D-Dur) wirkt strahlend-schön.
Der Scherzo-Charakter wird gut herausgearbeitet, erklingt jedoch nicht mit dem ultimativ drängendem, vollem Einsatz Soltis 1970) und anderer. Die Soli sind herausragend gelungen, sogar die Holzklapper klingt voll und sonor und kann sich so deutlich vom dürren (aber ambitionierten) Geklapper in Abbados Chicagoer Einspielung absetzen. Gevatter Tod klopft in Berlin ungleich kultivierter an die Tür.
Abbado hat sein Tempo im Adagietto von Aufnahme zu Aufnahme gesteigert. Nun erscheint das Tempo, genau wie der Charakter einer in Musik gefassten Liebeserklärung, sie hätte allerdings noch etwas klarer klingen können. Besser getroffen als in Chicago ist sie in jedem Fall. Die Streicher spielen homogener als in Chicago 1980, hätten aber noch präziser klingen können. Man hat nicht das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen. Da fehlt noch die klare Linie bei allen Musikern. Tolles Morendo am Ende des Satzes bis ins verschwindende Nichts. Die Harfe ist dezent, aber gut hörbar.
Das Tempo im Rondo wird nun deutlich langsamer gewählt als in Chicago 1980, der Held zeigt sich zunächst noch als Bedenkenträger, er scheint sich seiner Sache noch nicht so ganz sicher zu sein. Nach und nach stellt sich das Giocoso jedoch immer besser ein. Dennoch, so richtig frisch und befreit wirkt der Satz bei Abbado 1993 noch nicht. In Luzern geht er darin einige Schritte weiter. Erst ab Zi. 31 ist mehr Zug dahinter. Den Choral hat man von Karajan noch viel imposanter und großartiger in Erinnerung, dafür klingt es bei Abbado transparenter,
Der Klang der Aufnahme ist erheblich klarer, voller, wärmer, runder, transparenter, plastischer, farbiger, sonorer, körperhafter und dynamischer als 1980 bei Abbados Einspielung mit dem CSO. In Chicago klang es lediglich räumlich etwas großzügiger gegenüber der tendenziellen Kompaktheit in Berlin 1993. Eine deutliche Verbesserung ergibt sich im Gesamtklang auch gegenüber der Karajan-Aufnahme von 1973, die jedoch ihrerseits erheblich expressiver und dynamischer wirkt.
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4
Andrés Orozco-Estrada
HR-Sinfonieorchester
Aufnahme des HR, gesendet im ARD-Nachtkonzert vom BR, unveröffentlicht
2017, live
12:25 14:43 16:52 10:29 14:46 69:15
Der Dirigent aus dem kolumbianischen Medellin war 2014-2021 Nachfolger von Paavo Järvi in Frankfurt, zur Zeit de Aufnahme war er zudem (von 2015 bis 2021) Music Director beim Houston Symphony Orchestra. Seine Zeit als Chef der Wiener Symphoniker währte nur kurz; 2025 wird er, das nur noch der Vollständigkeit halber, Francois-Xavier Roth als GMD in Köln nachfolgen. Zur Zeit der Aufnahme war er 40 Jahre alt. Diese Aufnahme aus der Alten Oper Frankfurt befindet sich auch in der ARD-Mediathek.
Nur fünf bzw. sechs Jahre nach den Aufführungen mit Paavo Järvi hat das Orchester nicht viel verlernt. Der Trompeter zeigt sich fast völlig sicher, das Tempo wirkt ebenfalls bewegt und konstant. Auf ein übermäßiges Schleppen wird verzichtet. Kraftvoll und konsistent geht es eher noch ein wenig temperamentvoller zu als bei Järvi. Das Blech klingt sehr gut und wirkt sehr sicher, das Holz eloquent und dass die Streicher ausgezeichnet klingen, braucht bei dem Orchester, bei der technischen Ausstattung des HR und der Exzellenz der Techniker kaum noch betont zu werden. Die Phrasierung wirkt etwas fester (will heißen weniger flexibel und sprechend) als zuvor bei Paavo Järvi. Orozco-Estradas Schluss-Pizzicato ist weit weniger kräftig als bei Järvi, fast flüchtig.
Ähnlich wie bei Paavo Järvi wirkt der Beginn des zweiten Satzes aufgewühlt und stürmisch. Die „Inszenierung“ wirkt spannend, sogar noch ein wenig brillanter und kraftvoller. Auf der Kehrseite bohrt der Kolumbianer lange nicht so tief und reißt auch keine so großen Wunden auf. Insgesamt wirkt der Satz oberflächlicher gestaltet.
Im Scherzo hören wie ein sehr gutes kickserfreies Corno obligato. Der Satz wirkt kammermusikalisch differenziert, das Spiel des HRSO sehr sicher und eloquent. Des eigentlich begrüßenswerten lebendigen Tempos wegen allerdings weniger nuancenreich und mit weniger Feinschliff und Feingefühl.
Das Adagietto gerät deutlich „schmachtender“ und ernster als bei Järvi, robuster gestaltet und weniger „zärtlich“. Der Satz wirkt zudem etwas steifer und klanglich weniger sinnlich. Pluspunkt ist die sehr deutliche Harfe.
Wie Paavo Järvi ist Orozco-Estrada im Rondo kein Freund von Traurigkeit. Beim Kolumbianer wirkt es jedoch weniger nuanciert und nicht so lebendig-vorantreibend in Richtung Finale. Das Orchester spielt nach wie vor exzellent und ohne hörbare Ermüdungserscheinungen. Stärker animiert oder besser: inspirierter und daher auch jeder Blässe enthoben, wirkt es bei Paavo Järvi.
Leider haben wir diese Aufnahme nicht am Tage des Konzertes bei der Direktübertragung mitschneiden können, denn somit haben wir auch die 5.1. Klangqualität verpasst. Im ARD-Nachkonzert, währenddessen wir die Sinfonie aufzeichnen konnten, wird leider nur in Stereo gesendet. Der Klang ist jedoch ebenfalls plastisch, dynamisch und transparent, jedoch nicht so glasklar wie bei Paavo. Die Staffelung wirkt im Stereo-Format wie üblich weniger breit und nicht so tief gestaffelt. Erneut klingt das HRSO bassstark, jedoch ohne die Subwoofer-Unterstützung des 5.1-Formates weniger beeindruckend. Das merkt man auch an der Gran Cassa. Das Holz klingt wie üblich bei den beiden verschiedenen Settings bei Stereo näher und etwas deutlicher.
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4
Krzysztof Urbanski
NDR-Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester)
NDR, unveröffentlicht
2011, live
13:26 14:31 17:33 10:50 14:30 70:50
Auch diese Aufführung der Sinfonie erfolgte zu Ehren des 100. Todesjahre des Komponisten in der Hamburger Laeiszhalle. Die Elbphilharmonie war noch lange im Bau und wurde erst 2016 eröffnet. Der Dirigent dürfte nach Gustavo Dudamel der zweitjüngste unseres Vergleiches sein, denn er war gerade einmal 28 Jahre jung. Zur Zeit der Aufnahme war er Chefdirigent des Trondheimer Sinfonieorchesters in Norwegen und stand gerade am Anfang seiner Zeit als Direktor in Indianapolis (2011-2021). Beim NDR war er 2015-2021 Erster Gastdirigent. Der Vollständigkeit sei es erwähnt, dass er mittlerweile Chef des Berner Sinfonieorchesters ist. Um die Chronologie noch kurz auf das Orchester auszuweiten: 2011 wurde der Dirigierstab des Chefs gerade von Christoph von Dohnanyi an Thomas Hengelbrock weitergereicht.
Urbanski probte und dirigierte das Werk in Hamburg auswendig, was er übrigens immer so zu tun pflege, wie der Moderator der Übertragung ausplauderte. Er habe diese Praxis von seinem Lehrer Antoni Wit übernommen.
Der Trauermarsch hebt sehr langsam an und man kann sagen, es fehlt ihm während des Marschierens jede Intensität, d.h. der Kondukt wirkt depressiv und kraftlos. Die Aufwallungen von Schmerz und Trauer werden dramatisiert und schlüssig gesteigert, die Trompeten zeigen dabei Intonationsschwächen, wie auch die Soltrompete.
Gefühlt sehr langsame Bewegungsabläufe schließen sich im zweiten Satz an. Sie gefährden mitunter die durchgehende Spannung. Die Temporelationen werden beachtet, aber das zu Beginn eingeschlagene Tempo erweist sich als zu langsam und da Mahler alle weiteren vom ersten Tempo abhängig macht, kommt es sozusagen zu einem „Folgefehler“ oder einem Fehler mit Folgen. Der Zugriff erfolgt jedoch absolut ernst- und gewissenhaft, ohne Wenn und Aber, sodass dem jungen Dirigenten beim Tempo sicher kein Missgeschick unterlaufen ist, sondern er es mit voller Absicht wählt. An zartem Klang mangelt es dem guten Orchester nicht, wohl aber an der von Mahler geforderten existenziellen Härte. So fehlen der Darbietung auch die erforderlichen schroff zerklüfteten Gegensätze in ihrer ultimativen Form. Mahler wünschte sich eine lange Pause zwischen dem zweiten und dritten Satz. Das Hamburger Orchester nutzt sie um sich neu einzustimmen, während der Dirigent sich kurz erfrischt (oder sich hinter der Bühne abtrocknet, das sieht man ja am Radio leider nicht).
Das Scherzo atmet mehr Ruhe als Lebendigkeit, verzichtet jedoch nicht auf eine leichte Diktion. Sehr angenehm überrascht waren wir von der herausknallenden Holzklapper, die nur Teil einer im Ganzen durchaus pointierten Darstellung war. Dem Corno obligato hörte man die Anstrengung stärker an als üblich.
Das Adagietto wird empathisch und sensibel gespielt, mit relativ viel Vibrato und viel Wärme. Das Tempo wirkt wenig „intermezzohaft“ sondern die Melancholie verstärkend, sodass der Satz viel eher nach Liebeskummer als nach Liebesglück klingt. Die homogenen Streicher erfreuen mit einem sehr schönen, weichen Klang, wie man ihn längst nicht alle Tage zu hören bekommt.
Das Rondo gefällt mit lebendigem Tempo und jugendlich-frischem Charme. Schade, dass das Orchester so distanziert aufgenommen wurde. Der Klang in 5.1 Dolby Digital ist dennoch sehr gut, besonders die Streicher des Orchesters klingen gut. Die Hörner nehmen dieses Mal nicht an der „Glücksspirale“ teil und wirken sehr sicher. Steter Blick nach vorne, sanftes und umsichtiges Spiel auch in diesem Satz. Der junge Dirigent überrascht mit einer frühen Reife. Reicher Applaus mit vielen Bravos.
Der Klang profitiert noch von einer hohen Datenrate, die die meisten ARD-Sender mittlerweile abgesenkt haben, angeblich ohne Klangverlust, was wir jedoch nicht bestätigen können. Er könnte etwas transparenter sein. Die Tiefenstaffelung ist gut, ebenso der Klang der Gran Cassa. Das Orchester klingt brillant, weich und warm, jedoch dynamisch etwas nivelliert.
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4
Alan Gilbert
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR, unveröffentlicht
2023, live
13:18 14:58 17:15 10:04 15:18 70:53
Alan Gilbert ist dem Orchester bereits lange verbunden, von 2005-2015 als Erster Gastdirigent und seit 2019 als Chefdirigent bis vorerst 2029. Er war zur Zeit der Einspielung 56 Jahre.
“Sein“ Trauermarsch wirkt noch langsamer als der bei Urbanski zwölf Jahre zuvor. Sachte und gravitätisch bewegt man sich hier zum Grab. Gilbert scheut das Schleppende dabei keineswegs. Zarteste Zwischentöne und Passagen heftigen Aufbegehrens wechseln sich ab. Auch dieses Mal geht es bei der Solotrompete nicht ohne Kickser ab, das erinnert daran, dass wir keiner diesbezüglich optimierten CD zuhören. Wie bereits bei Urbanski hören wir Aufschreie des tiefempfundenen Verlustes und eine gewisse Dunkelheit, die sich nachhaltig breit macht, die nicht zuletzt auf die spezifische „Tonalität“ des Orchesters zurückzugehen scheint, das wie erwartet seit der 2011er Darbietung nichts von seiner Klasse verloren hat. Es ist ein erstklassig homogener, weicher Klang von hoher Geläufigkeit, dem das teils sperrig zu spielende Werk keine echten Widerstände mehr in den Weg legen kann, wie wir die von den Einspielungen der ersten 25 Jahre nach 1947 kennen. Die dynamische Spreizung könnte weiter sein, wobei die rundfunktypische Nivellierung bei der Übertragungskette sicher eine große Rolle spielt. Gilberts Schluss-Pizzicato ist ganz leise.
Von der grausamen Vehemenz des übel zuschlagenden Schicksals ist am Ende der Übertragungskette nicht mehr allzu viel übrig. Danach geht es zart besaitet und überaus kantabel, sehr gefühlvoll und überhaupt sehr musikalisch weiter im Satz. Von der Härte des Zugriffs, wie wir ihn seit der 1970er Aufnahme von Georg Solti kennen, ist wenig zu spüren. Sensible Detailarbeit steht wie bei so vielen Aufnahmen neuen und neuesten Datums anscheinend an oberster Stelle der To-Do-Liste. Der Eindruck existenzieller Not und von entsprechend geschärfter Dringlichkeit leidet ganz substanziell darunter. Der seidige Streicherton mit seinem zarten Schmelz und purem Schönklang (die Akustik der Elbphi scheint ihn noch zu begünstigen) trägt das seinige dazu bei, denn Blech und Schlagwerk mühen sich zwar redlich, erreichen jedoch nicht mehr das erforderliche klangliche Übergewicht. So bleibt der Gesamteindruck dieses emotional überbordenden Satzes zu weich, zu getragen und viel zu wenig von fiebriger Dramatik getragen. Der spontane Applaus erscheint in der Satzpause keinesfalls wegen der Leistung der Mitwirkenden als unangebracht.
Im Scherzo bleibt auch in dieser Live-Aufführung das Corno obligato nicht ganz frei von Unsauberkeiten. Der Ruf des Horns als eine „Glücksspirale“ erscheint erneut mehr als gerechtfertigt. Im Verlauf steigert sich der Solist oder die Solistin zwar bravourös, aber wie bereits bei Urbanski merkt man ihm oder ihr die Anstrengung an (Neigung zum Tremolieren beim ff). Ansonsten musiziert das Orchester souverän, sein Vortrag wirkt frei und ungehemmt, plastisch und kammermusikalisch inspiriert. Man folgt der diffizilen Komposition mit aller gebotenen Ausdrucksvielfalt. Das Holz zeigt seine ganze Klasse.
Etwas kräftiger in Ton und Farbe „abgeschmeckt“ als bei Urbanski klingt das Adagietto. Es wirkt etwas langsamer gespielt und mit viel Gefühl. Alan Gilbert „trägt etwas dicker auf“ als Urbanski, der zärter und fragiler spielen ließ. Das Glissando ist zwar deutlich hörbar, aber genauso deutlich spielt man es nicht synchron. Der Satz wirkt eher zögerlich als drängend.
Im Rondo wird große Kammermusik gemacht, die Bewegung wirkt nur leicht beschwingt, das Temperament eher abgemessen als überbordend. Es bleibt genug Zeit zur Selbstreflektion. Die Steigerung wirkt stetig bis zum Choral, der sich majestätisch erheben darf.
Der NDR übertragt weiterhin seine Konzerte in 5.1. Dolby Digital. Aus der Elbphi klingt es nun noch etwas plastischer und transparenter als aus der Laeiszhalle, auch die Tiefenstaffelung wirkt nun noch ausgeprägter. Der Bass ist wohl konturiert, die Gran Cassa kräftig und knackig. Das Holz kommt gut durch. Ob die Verbesserung nun von der Akustik der neuen Konzertraumes herrührt, oder ob der NDR die Technik verbessert hat, lässt sich von dieser Stelle nicht entscheiden. Die Unterschiede sind jedoch markant. Die Übertragung war viel stärker durchhustet als die von Urbanski. Ob die Elbphi auch den Zuhörerraum durchleuchtet?
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4
Antoni Wit
Polnisches Nationales Radio-Sinfonieorchester, Kattowitz
Naxos
1990
12:56 14:54 19:32 12:03 14:53 74:18
Antoni Wit war von 1983-2000 Künstlerischer Leiter des Polnischen Rundfunk-Sinfonieorchesters. Als die Aufnahme entstand war er 46 Jahre alt.
Den Trauermarsch intoniert das Orchester unter seiner Leitung akzentuiert, mit hoher Intensität, sehr kraft- und ausdrucksvoll. Das Tempo erscheint langsam, aber gespannt und nicht gedehnt. Das Orchester bringt einen glühenden Mahler-Klang hervor, den man durchaus in eine europäische Musikmetropole verorten könnte. Man wird sofort ins musikalische Geschehen involviert und bis zum Satzende nicht mehr losgelassen.
Stürmisch und wild spielt das Orchester im zweiten Satz, der exzellente Klang überrascht. Das Blech intoniert fulminant und die Violinen sonor und einschmeichelnd. Die Darstellung gelingt dramatisch geschärft und hält die Spannung den ganzen Satz über aufrecht. Die Stimmen sind sehr gut durchhörbar. Beim hervorragend gelungenen Choral liegt nur ganz kurz eine Posaune leicht daneben, was man leicht hätte korrigieren können, ansonsten hat man das polnische Orchester kaum besser gehört.
Wegen des langsamen, teils sehr langsamen Tempos muss man zum Erleben des Scherzos viel Zeit mitbringen. Unserer Auffassung nach wird man dem Scherzo-Charakter nicht vollständig gerecht. Die „gewonnene“ Zeit wird indes nicht verplempert, sondern für deutliche, fast liebevoll zu nennende Phrasierung genutzt. Der Effekt im emotionalen Bereich ist der des Grüblerischen, Verträumten oder Versonnenen. Ob sich Mahler das Tempo dieses Satzes so vorgestellt hat? Oder vielleicht doch pulsierender. Der Tanz wäre sonst doch allzu bedächtig. Das Corno obligato ist gut ortbar wird jedoch als in seiner Solistenrolle nicht deutlich gemacht.
Das Adagietto wird mit viel Herzblut und Wärme gespielt bis hin zum wabernden Vibrato. Nicht sentimental, aber doch nahe dran. Getreu den Tempoangaben des Komponisten geht der Gestus weit über ein „Intermezzo“ hinaus. Bei einem „Lied ohne Worte“ wären so die Worte kaum singbar. Die Violinen schaffen es jedoch. Gut gespielt und überbordende Melancholie vermeidend. Ein Fall, um den „guten Geschmack“ entscheiden zu lassen. Die Harfe kommt unaufdringlich ins Klangbild.
Im Rondo darf man dann nach dem Adagietto wieder aufwachen. Langsam zwar, aber doch mit guter Laune und mit stetig steigendem Impetus. Locker wird der kräftige Choral hingelegt. Die Stretta hätte noch etwas mehr Pfeffer vertragen.
Der Klang der Aufnahme ist sehr klar, räumlich recht ausladend, aber durchaus noch präsent genug. Die Staffelung ist ebenfalls gut, genau wie die Dynamik. Der körperhafte, weiche, sonore und nuancenreiche Klang liegt weit über dem sonst oft angebotenen Standard bei Naxos. Die Violinen klingen toll, wenn auch etwas entfernt. Incl. Bass wirkt der Klang sehr gut ausbalanciert. Nur Gran Cassa und Tamtam kommen etwas zu kurz.
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4
Daniele Gatti
Royal Philharmonic Orchestra, London
1997
Conifer, Musical Hertiage Society, RCA, Henry Wood Hall
13:04 14:12 17:22 10:11 14:49 69:38
Daniele Gatti leitete die Königlichen Philharmoniker von 1996 bis 2009. Nach diversen anderen Positionen tritt er 2024 seinen Job als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden an. Zur Zeit der Einspielung war er 36 Jahre alt.
Im ersten Satz vermeidet Gatti jedes Schleppen. Das Orchester imponiert mit druckvoll-energischem und dringlichem Spiel. Besonders die Streicher imponieren dabei mit ihrer Geschmeidigkeit. Die turbulenten Steigerungen erreichen fast schon den Durchführungscharakter des zweiten Satzes. Die Momente der Trauer werden dynamisch und im Gestus sehr weit zurückgenommen, sodass sie fast zärtlich wirken. So dramatisch geschärft und kontrastreich gehört der erste Satz ganz deutlich zum zweiten.
Der Beginn des zweiten Satzes wirkt durch das wie rasende Tempo charakterisiert, durchaus vehement, aber man denkt unwillkürlich an eine Opernszene, Verdis Othello beispielsweise. Auf uns wirkte die Szene dann doch eher theatralisch, veräußerlicht und effektorientiert. Überhöhte Geschwindigkeit führt seltsamerweise in diesem Fall zu einer Abschwächung der intendierten Wirkung. Immerhin ist dies eine Erkenntnis, die wir dem jungen Daniele Gatti verdanken. In den späteren Live-Mitschnitten mit den Wiener Philharmonikern und dem BRSO aus den Gedenkjahren 2010 und 2011 hat er die „Eröffnungsszene“ des zweiten Satzes merklich verlangsamt. Die Monodie der klagenden Celli wirkt geschmäcklerisch abgedämpft, auch da will der junge Dirigent etwas zu viel, denn die Celli sind, wenn man den Lautstärke-Poti nicht bemüht, kaum noch klar zu vernehmen. Hier riskiert der Dirigent zudem einen enormen Spannungsabfall. Andere Passagen werden dann wieder so angetrieben, dass sie gehetzt wirken. Diese auffallende Schärfung der Gegensätze könnte man als ein Psychogramm eines kranken Menschen verstehen, nahe am Wahnsinn, Der Choral wirkt dann wieder unpathetisch schnell (nicht schleppen heißt eigentlich nicht, dass beschleunigt werden soll), als Vision des Paradiso verfehlt er jedoch seine Wirkung nicht ganz, auch wenn man darüber durchaus geteilter Meinung sein kann.
Das Scherzo hebt in belebtem Tempo an, beim Trio wird Gatti dann sehr deutlich ruhiger, statt „etwas ruhiger“. Dem jungen Dirigenten will es nicht so recht gelingen, das Scherzo als großen Wendepunkt innerhalb der Sinfonie darzustellen, man fühlt sich bei ihm kaum in eine andere Welt versetzt. Dabei spielt das Orchester ausgezeichnet und sehr emotional (besonders auch das Corno obligato), passagenweise wird mitreißender tänzerischer Drive aufgebaut. Auffallend ist die wild angetriebene Stretta am Satzende.
Schön kantabel fließt das Adagietto in einem Tempo der Mitte, mit dem man nicht viel falsch machen kann.
Das Rondo wird schwungvoll und mit Verve gespielt. Immer wieder fallen die plastisch herausgearbeiteten Passagen der Holzbläser auf. Es fehlt jedoch die Wärme eines Barshai, Jansons, Bernstein oder Chailly.
Der Klang der Aufnahme ist sehr gut strukturiert, offen und dynamisch. Auch die Tiefenstaffelung überzeugt. Dass die Gran Cassa unterrepräsentiert ist, verwundert besonders, da Gatti das ganze Orchester dazu antreibt aufs Ganze zu gehen. Da war die Aufnahmeregie wohl nicht aufmerksam genug.
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4
Daniele Gatti
Wiener Philharmoniker
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
WDR bzw. ORF und BR, jeweils unveröffentlicht
2010, live
2011, live
12:48 15:23 17:46 10:02 14:41 70:40
Innerhalb von zwei Tagen spielten die Wiener Philharmoniker die Fünfte zuerst in der Kölner Philharmonie im Rahmen der Musiktriennale „Musik ohne Heimat“ danach im Wiener Musikverein anlässlich des 150. Geburtstages Mahlers. Das Konzert mit dem BRSO fand ein Jahr später im Gedenkjahr zum 100. Todestages Mahlers statt. Daniele Gatti war anscheinend in jenen Jahren als Mahler-Dirigent ziemlich gefragt.
Alle drei Konzerte zeigen, dass es ein paar Unterschiede beim Umgang der Sinfonie innerhalb der 13 Jahre seit der CD-Einspielung gegeben hat. Wie bei fast allen Dirigenten stellt man eine Verlangsamung der Tempi gegenüber den älteren Einspielungen fest. Im ersten Satz geht es nun deutlich breiter zu, wenn es ums Marschieren geht. Spannung spielt nun nicht mehr die Rolle wie ehedem, Trauer spielt sich nun in einer deutlich resignativeren Form ab. Ohne das Espressivo zu suchen. Die Passagen des Aufbegehrens werden im Tempo beschleunigt und die ganze Dynamik der beiden Toporchester aus Wien und München wird voll ausgefahren zur Darstellung eines wilden, schmerzhaften Trauerns. Bei den Wienern hat die Solotrompete in Köln nicht ihren besten Tag erwischt. Zuhause hat sie anscheinend besser geschlafen, da klappen die Soli viel besser. Überhaupt spielt das Orchester in Wien deutlich homogener als in Köln.
Im zweiten Satz ist vom rasend schnellen Beginn von 1997 nichts mehr spürbar, ohne dass die Vehemenz dadurch gewonnen hätte. Die Wiener Violinen überragen die der beiden anderen Orchester aus London und München ein klein wenig. Die Neigung zum Hetzen ist verschwunden. Das Bestreben den Rhythmus anzuschärfen ist nur noch selten zu spüren. Die Monodie der Celli ist nahezu unverändert erneut sehr leise, sehr versunken und sehr weit weg. Der Klang des Blechs bei Wienern und BRSO ist massiv und sehr sonor. Der Choral erklingt nun langsamer, wirkt nicht mehr so durch die Beschleunigung aus dem „Kontext“ herausgelöst. Gatti versteht die Anweisung Mahlers „Nicht schleppen“ jetzt richtig. Es bedeutet: jetzt nicht langsamer, nicht träger werden und der Versuchung dazu nicht nachzugeben. Gatti legt richtigerweise eine lange Pause zwischen 2. Und 3. Satz ein. Es applaudiert weder in Köln, dem Ort der Uraufführung noch in München irgendjemand. Man kennt hier „seinen“ Mahler anscheinend besser als in Hamburg. In München ein Jahr später wird das Tempo noch weiter verlangsamt. Die Spielzeit steigt auf 16:10. Die Wiener wirken in diesem Satz erheblich dunkler als das BRSO.
Im Scherzo wirken die tänzerischen Passagen rhythmisch gut betont, mitunter mit einem schon fast ironisch übersteigerten Rubato, was einerseits wie in London 1997 belebend wirkt, andererseits nun aber bereits den üblichen Höreindruck aufbricht. Im Trio erfolgt wieder die starke Aufweichung des Tempos, statt nur „etwas ruhiger“ zu werden. Wie bereits 1997 hören wir wieder eine zugespitzte Stretta.
Nach Herr Gattis Meinung ist das Adagietto eine „Insel des Friedens“. Entsprechend sehr kantabel, weich und ausdrucksvoll wird es gespielt. Vom Tempo her gibt es keine Veränderungen. Mit großem, fülligem Klang und ordentlich Vibrato kann man es kaum schöner spielen als die Wiener oder auch das BRSO. Gatti findet einen guten Mittelweg zwischen den Polen Mengelberg und den Tempoangaben der Partitur.
Obwohl sich das Tempo beim Rondo wenig geändert hat, wirkt die Londoner Verve reduziert. Da fehlt jetzt der Feuereifer, innig und beseelt ja, aber nicht mehr. Erneut bestechend schönes Spiel der Wiener Violinen. Sie verleihen dem Satz einen nochmals brillanteren, helleren Charakter. Begeisterter Jubel in Köln, Wien und München.
In Wien spielt das Orchester wie bereits erwähnt, besser als in Köln. Daheim fühlt man sich anscheinend doch am wohlsten. Der erste Satz wirkt akzentuierter, mit etwas mehr Spannung und Drama. Die Trompete hat einen besseren Tag erwischt. Das Scherzo hat viel mehr feurigen Drive. Das Orchester erlangt jetzt in Wien und in diesem Satz eine nochmals gesteigerte Virtuosität, als ob es erst jetzt auf Betriebstemperatur wäre. Im Adagietto spielt man noch etwas souveräner die ganze Klasse aus. Das Rondo wirkt noch etwas lustvoller gespielt und farbenreicher. Dieses Mal geht das Sonderlob für die bessere Aufnahme an das Team des ORF, man hatte allerdings Heimvorteil, während der WDR sich auf ein anderes Orchester einstellen müsste.
Beim ORF klingt es dynamischer und plastischer, breiter gestaffelt und runder im Klang. Zudem präsenter und klarer. Der Surround-Effekt (beide Übertragungen fanden im 5.1. Klang statt) wirkt in Wien besser ausgereizt. Allerdings scheint das Blech im ff nach vorne zu kommen, quasi über die Streicher zu steigen. Diesen Eindruck gab es beim WDR in Köln nicht.
Beim Bayerischen Rundfunk klingt es bassbetonter, sehr transparent, gut gestaffelt und ebenfalls farbig und dynamisch. Die Raumtiefe der Kölner Philharmonie oder des Wiener Musikvereins erreicht man nicht. Im Gegenzug wirkt die Aufnahme des BR praller. Während die gute Klangqualität (nicht zuletzt resultierend aus einer relativ üppigen Datenrate) trotz Sparzwangs beim WDR und ohne Sparzwang beim BR immer noch erhalten geblieben ist, ist beim ORF, zumindest via Satellit, davon heute nichts mehr übrig.
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4
Otmar Suitner
Staatskapelle Berlin
Berlin Classics
1984
10:45 12:49 15:51 10:01 13:44 63:10
Der Österreicher Otmar Suitner war von 1974-1991 GMD der damals noch bis 1989 Ost-Berliner Staatsoper Unter den Linden und damit Chef der Staatskapelle Berlin. Bei der Aufnahme war Herr Suitner 62 Jahre alt. Seine Darbietung ist von den bereits gehörten und gelisteten Einspielungen den von Günter Herbig und Michael Stern geleiteten recht ähnlich.
Der Trauermarsch wirkt geprägt von einem frischen, spontan wirkenden, schnörkellos-direkten Zugriff. Es dominieren heftige Kontraste, ein Schleppen bei den lyrischen Passagen wird vermieden. Der lebhaft-vorantreibende Gestus unterstützt die Spannungskurve beträchtlich. Der Gestus ist packend und emotional. Man eifert der Solti-Aufnahme von 1970 nach. Leider wirkt die Struktur nicht jederzeit völlig transparent, was anscheinend nicht am Raum oder an der Klangtechnik liegt.
Der Gestus des ersten Satzes wird im zweiten noch intensiviert. Mit Biss und Elan lässt Suitner der geballten Energie des Orchesters freien Lauf. Mitunter erschienen uns die die Höhepunkte jedoch nicht in den dramatischen Verlauf integriert, sondern wie „Theaterdonner“. Durch das hohe Tempo wirkt das Spiel des Orchesters fast etwas „schnoddrig“. Letzten Endes bringt es die „Tour de Force“ jedoch unbeschadet zu Ende. In Erinnerung bleibt jedoch der extrem vorantreibende Gestus, der wirkt wie ein „Höllensturm“, wie rasende Wut, kontrastiert mit einer erschöpft wirkenden Klage. Besonders deutlich macht Suitner den Choral als eine Vision des Paradiso, der wie ein zwischengeschalteter Fremdkörper wirkt.
Liebevoll und beschwingt nimmt sich der Österreicher des Scherzos an. Wiewohl es, ob des angetriebenen Tempos teils auch gehetzt wird. Der Satz wirkt wie musikantisch durchgeknetet. Verkopft wirkende Zusammenhänge werden konsequent ignoriert. Einzelne schnell wechselnden Charaktere könnten deutlicher herausgearbeitet werden. Das Orchester wirkt in diesem Satz und leider auch in den beiden folgenden deutlich entfernter als in den beiden ersten. Es büßt ebenfalls an Homogenität ein. Ein Hinweis könnte das Aufnahmedatum geben: Es wurde im September und im Dezember aufgenommen.
Das Adagietto wirkt frei und fließend. Die Harfe wurde recht vordergründig aufgenommen, ganz im Gegensatz zu den Streichern, die definitiv zu weit entfernt sind. Der Satz wallt leidenschaftlich auf, erscheint jedoch aus einer weit entfernten Welt ätherisch zu uns herunter zu klingen. Aus einer anderen „Welt“ kommt er ja auch für Mahler. Die Streicher klingen sehr zart, dürfen aber auch mal leidenschaftlich zupacken. Sehr kurzweilig.
Das Rondo ist leider der schwächste Satz der Einspielung. Er rattert vorbei, ohne Absatz, Punkt und Komma. Wie in einem Schnellzug gibt es kaum ein idyllisches Verweilen. Mit viel Tempo und Entschlossenheit geht es vorwärts, die „Poesie“ kann nicht frei durchatmen. Wie das Scherzo wird das Orchester nur entfernt wiedergegeben und es wirkt etwas diffus, was man exemplarisch am Blech im Choral hören kann. Es sind von Otmar Suitner nur zwei Mahler-Einspielungen bekannt, die Erste (1963) und die Fünfte. In diesem Zeitraum hat man Mahler auch in der DDR entdeckt. Bei der Fünften spielt man die Musik bereits sehr gekonnt, ein „Fremdeln“ ist nicht mehr zu erkennen.
Der Klang der VEB-Aufnahme wirkt voluminös, sehr perspektivisch und mit einer guten Tiefenstaffelung versehen. Das Orchester klingt erfreulich warm. Von frühdigitaler Härte ist nichts zu spüren, vielleicht hat man ja auch noch analog aufgenommen und ein Digitallogo draufgedruckt, weil es der Markt im Westen so erforderte? Es hört sich jedenfalls nach einer Analogaufnahme an. Die Konturen könnte jedoch schärfer gezeichnet sein. Die Dynamik ist gut, die Gran Cassa ziemlich schlank. Das Blech wirkt mitunter zu entfernt. In den drei letzten Sätzen wirkt der Klang wie eine Klangwolke, nicht völlig diffus, aber auch nicht völlig transparent. Da fehlt es besonders an Konturenschärfe. Auch das Orchester war nicht an den beiden Aufnahmeterminen gleich gut vorbereitet und wohlmeinend.
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4
Roger Norrington
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
2006, live
11:24 14:18 17:11 8:50 15:23 67:06
Ab 1998 war der Brite Roger Norrington Chefdirigent beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart. Mit „seinem“ Radio-Sinfonieorchester hat Norrington ein ganz individuelles Klangbild erarbeitet, das von der Fachpresse gerne als „Stuttgart Sound“ tituliert wurde. Gemeint ist damit die Synthese von historisch informiertem Musizieren mit den Mitteln eines modernen und flexiblen Rundfunk-Klangkörpers. Insbesondere macht Norrington sehr spärlichen Gebrauch von Vibrato, verwendet oft sehr zügige Tempi und variiert die Aufstellung der Instrumente auf der Bühne. Sinfonische Zyklen mit Werken von Mozart, Beethoven, Berlioz, Mendelssohn, Schumann, Brahms, Bruckner und Mahler, die Norrington in den letzten Jahren mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart interpretiert hat, haben weltweite Beachtung gefunden. Innerhalb der Stuttgarter Musikerschaft blieb Norringtons Aufführungspraxis jedoch nicht unumstritten. So zeichnete beispielsweise der Bratschist des Melos Quartetts, Hermann Voss, im Jahre 2005 zwei derbe Karikaturen zum vibratofreien Streicherklang Norringtons und schrieb dazu: „Außer im Stuttgarter Feuilleton findet The New Stuttgart Style bloß Hohn und Spott.“ 2011 gab Norrington seinen Posten in Stuttgart auf. Zur Zeit der Einspielung war der Dirigent 72 Jahr alt. Der Mitschnitt erfolgte an zwei Konzertabenden.
Auffallend ist tatsächlich schon beim ersten Hinhören der sehr schlanke, vibratolose Klang, den man jedoch sofort als „abgespeckt“ oder ausgezehrt wahrnimmt. Man spielt schnell und unterläuft auch dadurch eine emotionale Überfrachtung. Da der Klang seltsam leicht und gewichtslos anmutet, wirkt die Musik ebenfalls leichtgewichtig. Dem Gestus eines Trauermarsches scheint das zuwiderzulaufen. Wir erleben also keine Mahler´sche Tragik im gewohnten Sinn, sondern ein leichtgewichtiges Drama fast wie im Komödienformat.
Im zweiten Satz bietet das Orchester zunächst ordentlich Vehemenz und recht stürmisch klingt es auch. Es kommt jedoch wenig Spannung auf. Norrington ist der Meinung, dass auf Bruno Walters Einspielung des Adagiettos von 1938 die Wiener Philharmoniker noch vibratolos gespielt hätten. Dazu kann man nur sagen, dass sehr viele Hörer das nicht bestätigen wollen. Auffallend ist jedoch Norringtons glasklare Transparenz, die jedoch auch von modernen Orchestern erreicht wird, die ein Vibrato nicht verschmähen. Es ist ein interessantes Anders-Hören von Mahlers Fünfter, mehr aber auch nicht. Man spürt beim Orchester Reserviertheit, woraus sie gründet, können wir nur mutmaßen. Beim Choral überzeugt nur die Dynamik des Blechs vollends. Dabei wird das ganze übrige Orchester jedoch völlig ausgeblendet. Für uns wirkt diese Passage äußerlich und sie verkündet: nichts. Ppp und pp werden selten überzeugend umgesetzt.
Beim Scherzo fällt der Mangel an Vibrato und an ansprechender Wärme im Klang weniger schmerzlich ins Gewicht, da die längeren Töne der Streicher, die sich für ein Vibrato anbieten, entfallen bzw. seltener sind. Dem entsprechend könnte man mit dem Scherzo ganz gut leben, was bei den ersten beiden Sätzen ein eher problematisches Miteinander wäre. Das Blech klingt in dieser Einspielung übrigens ebenfalls schlank, auch das Corno obligato. Wenn es um kammermusikalisches Spiel geht, wäre diese Einspielung des Scherzos ganz weit vorne. Und gerade wenn Freund Hein aufspielt spitzt Norrington sehr gut zu. Im Scherzo ist der Dirigent viel eher in seinem Element als in den beiden Sätzen zuvor.
Im Adagietto weiß der spröde und wenig geschmeidige Klang nicht zu gefallen. Da blüht nicht viel auf. Dynamisch bleibt die Darbietung eng bemessen, vor allem gibt es kein Aufwallen im ff. Das pp klingt dagegen schön zart, aber ohne Wärme. Wer sollte auf diese dünne oder gar dürre Liebesbotschaft reinfallen? Da kommt einer nicht wirklich zum Punkt. Es wirkt zu intellektuell und kühl. Das vorbildliche Tempo wird nicht mit Leben gefüllt.
Im Rondo können wir uns mit dem Höreindruck sehr viel besser anfreunden. Mit Schwung und Tatkraft, gleichwohl nicht machohaft, geht es voran. Das Fugato profitiert von der deutschen Sitzordnung bzw. der Modifikation Norringtons davon. Gutes Grazioso. Wie im Scherzo fühlen wir uns im Rondo nicht im falschen Film. Die Streicher unterschlagen mach einen Vorschlag oder spielen ihn so schnell, dass er uns entgangen ist (z.B. bei T. 379 oder bei Zi. 16). Das Spiel ist jedoch meist sehr präzise. Ausnahme: Die Tuba spielt bei T. 582 immer noch f, obwohl es ein p sein sollte. Hier wirkt der Choral stimmig und das Blech darf zeigen, was es draufhat.
Die Sätze 1,2 und 4 wirken sehr gewöhnungsbedürftig (mindestens). Die Sätze 3 und 5 wissen besser zu gefallen, zumindest uns. Norrington scheute bei Mahler nicht die als sicher geltende Kontroverse. Mit Haydn passt seine Ideologie einfach viel besser. Bei Mahler geht sie nur zu einem zu geringen Teil auf. Mutig ist der Mann.
Der Klang der Aufnahme ist insgesamt sehr transparent. Die Tiefenstaffelung könnte angesichts des AD viel besser sein, vor allem im Tutti. Das Klangbild wirkt zu den Bläsern hin verschoben, vielleicht liegt es einfach an den so schlank spielenden Streichern, dass man sie einfach kaum wahrnimmt. Bisweilen denkt man an einen Auftritt eines Kammerorchesters. Wir erinnern uns, dass Mahler die Streicherbesetzung möglichst zahlreich haben wollte und die Folgen davon sind sicher nicht ein dünnerer Klang. Insgesamt wirkt der Klang trocken und tendenziell dünn. Die Bässe sind kaum zu hören, wenn, dann kommen sie von der Tuba. Schlank heißt hier leider auch substanzarm oder anämisch. Die Sitzordnung ist hier: Violinen rechts und links gegenüber, Bässe hinter dem Holz, Hörner links, übriges Blech rechts.
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4
Semyon Bychkov
Tschechische Philharmonie
Pentatone
2021
13:01 15:21 17:379:09 15:43 70:51
Semyon Bychkov leitet das Prager Vorzeigeorchester seit 2018 als Chefdirigent. Zur Zeit der Aufnahme war er 69 Jahre. Seine Sicht auf das Werk mutet recht romantisch an. Dies wird in erster Linie vom warmen, satten und „fruchtigen“ (sozusagen die Spätzeit des „blühenden“) Klangs des Orchesters verursacht aber auch Artikulation und Phrasierung wirken stets besonders kantabel ausmusiziert mit einem leichten Hang zur schwerfälligen Üppigkeit. Härten werden stark abgemindert oder gar nicht erst zugelassen, der Ausdruck nicht gerade expressionistisch geschärft. Man denkt unwillkürlich eher an Bruckner oder Brahms. Auch die Aufschreie der schmerzhaft erlebten Trauer wirken, wenn man Solti (1970) dagegen vergleicht wenig beängstigend, eher besänftigend. Entsetzen stellt sich jedenfalls nicht ein. Das Orchester musiziert mit bestechender Präzision und der Sonorität der Besten und einem erwärmenden, dunkel schimmerndem Schönklang.
Die eruptiven Ausbrüche im zweiten Satz kommen zwar kräftig, es fehlt jedoch an Vehemenz und Unmittelbarkeit, wie sie exemplarisch beim „ätzenden“ Solti oder Barshai aber auch bei Bernsteins weltumspannender Leiderfahrung (1987) oder sogar noch bei Dohnanyi zu hören sind. Irritierend dabei die dumpf klingende Pauke. Das wirkt sehr ausdrucksvoll gespielt, der Vergleich macht jedoch auf die Schwächen aufmerksam. Man geht nicht aus der „Komfortzone“ heraus um die Grenzbereiche aufzusuchen. Um die Grenzbereiche der menschlichen Erfahrung geht es in dem Satz jedoch ganz entschieden. Der Klang wirkt einfach zu kultiviert und gediegen. Bei Bychkov gefällt der melancholisch-einschmeichelnde warme Klang, der sich zwar in die Herzen der Hörer/innen bohrt, aber uns doch nur als die halbe Wahrheit erscheint. Das Tempo scheint den Trauermarsch weiterzuspinnen, sodass es sehr gut gelingt, die Einheit der beiden Sätze zu betonen. Beide Sätze wirken sehr mild.
Auch im Scherzo prägt der schwere, dunkle Klang, der besonders für die ersten beiden Sätze prädestiniert gewesen wäre, den Charakter des Satzes mit aus. Es ist nicht der sich schnell drehende „Totentanz“, nimmt aber durch das nuancenreiche Spiel doch für sich ein. Das Corno obligato spielt sehr subtil aber auch grobdynamisch agil aus der Horngruppe heraus. Ganz ausgezeichnet, aber es muss einen gefühlt sehr langen Weg zurücklegen, um unser Ohr zu erfreuen. Die ausgezeichnet disponierten, sehr schön und ebenfalls warm klingenden Holzbläser beglücken mit ihren Soli. Da sind keine Spuren mehr vom harten Klang der 50er oder 60er Jahre zu hören, aber auch keine Spuren von Ironie. Da ist Schubert viel näher als Schostakowitsch.
Im Adagietto könnte der erstklassige Violinen-Klang kaum noch schöner sein, auch die Harfe gefällt nicht zuletzt durch ihre Dezenz. Das gut gewählte Tempo passt hervorragend zum Klangcharakter und verhilft zu einem zarten, liebevoll gesungenen Eingeständnis. Barshai hat uns bei ähnlichem Ansatz jedoch noch ein wenig besser gefallen.
Im Rondo können wir schön verfolgen, wie die Natur und/oder die Lebenskräfte unseres Helden erwachen. Der Spannungsverlauf wirkt souverän, wohl aus der souveränen Beherrschung des Metiers des Dirigenten resultierend. Es bleibt viel Zeit einzelne Musiker oder Gruppen brillieren zu lassen. Der Gesamtklang verfügt über eine imponierende Geschlossenheit, bei dem die zahlreichen Details immer Teil des Ganzen bleiben. Der Choral erscheint als triumphaler Hymnus und er erscheint durch und durch und ohne doppelten Boden ernst gemeint.
Insgesamt eine orchestral und musikalisch souveräne Gestaltung, die jedoch das Hineinführen in die Grenzbereiche vermissen lässt und dadurch und durch die fast schon süffige Klanglichkeit stark im nur Romantischen verbleibt. Die zahlreichen Wegweiser, die auf das kommende expressionistische Zeitalter hinweisen, bleiben nahezu unbeachtet. Für uns bleibt die Darstellung trotz aller dirigentischer Souveränität und orchestraler Exzellenz zu harmonieorientiert. Mahler für Harmoniebedürftige.
Der Klang wirkt voll und saftig, körperhaft, tendenziell aber füllig. Ein paar Kilo Übergewicht, wenn man so will, immer noch kleidsam, aber doch schon etwas rundlich. Er strahlt viel Wärme aus, ist transparent und gibt das Orchester räumlich wieder. Der Bass ist tief und gut konturiert. Leider ist Pentatone, wie bei der Einspielung von Payare auch, von der SACD abgerückt. So konzentriert man sich ohrenscheinlich besser auf den Stereo-Klang. Die Aufnahme Payares verleugnet die Herkunft aus derselben Familie nicht. Sie war noch etwas dynamischer und klarer, kommt aber nicht an die herzerwärmende Klanglichkeit der Prager heran. In Sachen Brillanz ist die 70er Aufnahme Soltis nicht gefährdet. Die Aufnahme Bychkovs wäre genau das Richtige für den Klang-Gourmet, der sich beim Genuß nicht aufschrecken lassen möchte.
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4
Seiji Ozawa
Boston Symphony Orchestra
Philips
1990, live
12:40 14:52 17:43 11:56 15:00 72:11
Der am 3. Februar des Jahres 2024 in Tokio verstorbene Seiji Ozawa war von 1973 bis 2002 Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra. Er war zur Zeit der Einspielung 45 Jahre alt. Das Orchester wartet in dieser Einspielung im Gegensatz zur rustikal gespielten 63er mit Erich Leinsdorf mit feinem Mahler-Spiel allererster Güte und einem Top-Klang auf.
Beim Trauermarsch wäre die Art der Bewegung ein allerdings noch zügiges Schreiten. Er strahlt Ruhe aus und die disparaten Elemente werden kontrastreich und unvermittelt aneinandergereiht, als ob wie bei einem Film einzelne Szenen aneinandergeschnitten worden wären. Die dynamischen Entladungen sind ein Fest für den audiophilen Hörer. Die letzte Stufe der Entäußerung mag jedoch nicht erreicht werden. Die Abschnitte elegisch-rückwärtsgewandten Charakters wirken geradezu balsamisch und mit viel Vibrato. Trotz geringerer Transparenz bietet Ozawa jedoch in diesem Satz mehr Mahler-Klang und Mahler-Drama als beispielsweise Sir Roger zu Stuttgart.
Eher gefühlvoll, dabei mitunter weniger spannend und dringlich geht es im zweiten Satz zu, d.h. mit anderen Worten nicht immer hinreichend vehement und stürmisch bewegt. Das cholerisch-wütende, wenn man einmal annehmen wollte, auch das wäre ein Teil der hier vorliegenden Zeichnung eines Gemütszustandes wird etwas zu breit aber doch intensiv gezeichnet, der manisch-depressive profitiert eher von der vibratoreich-gefühlvollen Spielweise. Da ist das Drücken auf die Tränendrüse jedoch nicht mehr weit. Das klingt dann eher nach Strauss als nach Mahler und hätte dem Komponisten wahrscheinlich nicht besonders gefallen. Andere Ohren als die unseren könnten mit Fug und Recht behaupten, das Spiel gehe durch empathische Art und Weise unter die Haut. Es fehlt dann immer noch das rückhaltlose Drama. Ozawas Darbietung ist zumindest im klanglichen Resultat der Einspielung Bychkovs nicht unähnlich.
Im Scherzo beschreitet Ozawa einen Mittelweg zwischen feurigem Tanzsatz und bedächtiger Selbstreflektion. Die Musik wird meist fließend gehalten und erleidet keinen großen Spannungsabfall. Immer wieder gelangen Glanzpunkte durch das herrliche Orchesterspiel besonders ins Bewusstsein.
Beim Adagietto tritt Ozawa, Anfang der 60er Jahre Stipendiat Karajans und Assistent Bernsteins in die Fußstapfen der beiden Mentoren, zumindest was das Tempo betrifft. Leicht gedehnt und mit leuchtenden, „romantischen“ Farben und einigem Vibrato, als Liebeserklärung jedoch weder zart-unschuldig noch überschwänglich. Eher elegisch geprägt kommt uns dieser Satz nicht wie ein „Volltreffer“ vor. Aber es klingt außerordentlich voll und rund. Könnte man die Darstellungen Ozawas und Norringtons mendeln, d.h. kreuzen oder rekombinieren, man käme wahrscheinlich der Wahrheit näher als jede einzeln.
Das Rondo gelingt nicht gänzlich unter Spannung gesetzt, wird aber mit einigem „Zug“ und recht eloquent gespielt, mit der nötigen Lockerheit und dem erforderlichen orchestralen Glanz gespielt. Der letzte Satz erscheint zudem als transparenter als die vorherigen. Der Choral wirkt etwas gedehnt.
Wir hörten die günstige, späte AMSI-Pressung, die wie alle CDs in dieser Reihe versucht, eine vergrößerte Raumanmutung zu schaffen, was dieses Mal auch gelingt. Die Präsenz geht dabei nicht verloren, das Orchester rückt nicht zu weit weg. Kraftentfaltung und Dynamik sind erfreulich, die Basswiedergabe stark. Sehr gut lassen sich Tuba, Kontrabässe, Gran Cassa, ja sogar die Fagotte unterscheiden. Der Klang wirkt allgemein weich, offen und voll, ja voluminös und breitbandig, wuchtig und brillant. Die Transparenz ist gut, aber nicht „holographisch“. Das Orchester wirkt sehr groß besetzt. Ein größerer Unterschied zwischen den Einspielungen von Ozawa und Norrington ist kaum denkbar.
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4
Lorin Maazel
New York Philharmonic Orchestra
Eigenlabel des Orchesters
2003, live
13:32 14:50 17:40 10:56 15:10 72:08
Lorin Maazel hat die Sinfonien Mahlers insgesamt drei Mal komplett eingespielt. In den frühen 80er Jahren mit den Wiener Philharmonikern für CBS-Sony, dann mit den New Yorker Philharmonikern in den Jahren 2003-2009 für das Eigenlabel des Orchesters, live und schließlich ebenfalls live im Jahr 2011 mit dem Philharmonia Orchestra London für Signum. Trotzdem ist Lorin Maazel als Mahler-Dirigent kaum nachhaltig in das Bewusstsein der Musikfreunde vorgedrungen.
Lorin Maazel war 2002 bis 2009 Musikdirektor der New Yorker, er war also einer der späten Nachfolger Gustav Mahlers, der das Orchester 1909 bis 1911 leitete, nachdem er bei der Metropolitan Opera 1908 nicht zuletzt wegen Toscanini demissionierte. Die Fünfte entstand in der Avery Fisher Hall, es gibt sie nur als Download oder im Streaming. Maazel war zur Zeit der Einspielung 73 Jahre.
Der Gestus im Trauermarsch wirkt schwer und getragen, da ist sich Maazel treu, denn 1982 und 2011 ist es genauso. Er stimmt ein Klagegesang an, erneut mit den persönlichen Zutaten, die wir von 1982 bereits kennen, erneut mit den herausgehobenen Becken. Obwohl relativ weit vom Zuhörer entfernt ist die Solotrompete gut hörbar und man kann ihren Beitrag nur als hervorragend geblasen bezeichnen. Das Orchester präsentiert sich in hervorragender Verfassung, ist durchweg sehr gut besetzt mit wunderbar klingenden Violinen und brillantem Blech.
Die geforderte Vehemenz im zweiten Satz wirkt gebremst und vor allem wegen des lahmen Tempos kaum stürmisch. Das komplexe Stimmengeflecht wird sehr gut hörbar gemacht, man nimmt sich ja auch genügend Zeit dafür. Die Cello-Monodie erklingt besonders langsam und mit einer auffallend zergliederten Phrasierung. Generell investieren die New Yorker Musiker sehr viel mehr Glut als die Wiener 1982, die der Sinfonie (oder dem Dirigenten) damals wenig Gegenliebe entgegenbrachten, so als hätte es nie einen aufklärerischen Leonard Bernstein in Wien gegeben. Dennoch entfacht Maazel auch in New York kein loderndes Feuer. Imponierender Klang und beispielhafte Live-Perfektion hören wir bei dem Choral, hier als Vision des Paradiso. Immerhin geht es nicht so glatt und unbeteiligt durch wie 1982 in Wien.
Animierter und lebendiger als dien London 2011 geht es 2003 im New Yorker Scherzo zu. Man hört die ausgezeichneten Holzbläser sehr gut heraus, die das Orchester zu den verführerisch weich klingenden Streichern und dem absolut brillanten Blech beisteuert. Der Satz wirkt organisch und gekonnt vorgetragen. Wir hören fein abgestuftes Rubato, das freier wirkt als bei den anderen beiden Maazel-Einspielungen. Das Corno obligato ist eines des besten live gehörten überhaupt. Mit einigem Abstand das beste Scherzo der drei Maazel-Einspielungen.
Das Adagietto klingt viel besser als in den beiden anderen Aufnahmen, was man als ein großes Kompliment an das Orchester verstehen darf. Für eine Liebeserklärung wirkt der Satz recht sublimiert und entrückt. Immerhin wirkt er etwas bewegter und gefühlvoller als in London.
Das Rondo erhält mehr Impetus und Biss als in London und man hört ein wesentlich motivierter aufspielendes Orchester als in Wien. Es wird bis zum Schluss hochkonzentriert aufgespielt und das wunderbare Blech zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen. Wenn man Mahlers Fünfte mit Maazel hören möchte, dann würde sich diese Einspielung empfehlen.
Der Klang bietet eine tiefe Raumdarstellung, wirkt natürlich-ausgewogen und körperhaft. Die Transparenz wirkt bestechend, die Dynamik impulsiv, die Gran Cassa wuchtig. Eine sehr gute Live-Aufnahme.
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4
Jukka-Pekka Saraste
Finnisches Radio-Sinfonieorchester, Helsinki
Virgin
1990
11:42 13:36 18:31 9:22 14:30 67:41
Der Dirigent aus Finnland hat die Sinfonie bisher zwei Mal eingespielt. Zu der hier vorliegenden gesellt sich noch eine weitere mit dem WDR Sinfonieorchester Köln aus dem Jahr 2014, veröffentlich von Hänssler. Saraste war von 1987-2002 Chef des finnischen Orchesters. Seit 2023 ist er wieder verstärkt in Helsinki tätig, allerdings als Chef bei den städtisch getragenen Philharmonikern.
Bei seiner ersten Aufnahme war Saraste 34 Jahre jung. Sie gefällt uns insgesamt besser als die Kölner Einspielung 24 Jahre später, denn sie wirkt wilder, entschlossener, erheblich straffer und stärker dramatisch-aufgewühlt. Da schwingt kein versöhnlich wirkendes Konnotat mit wie in Köln.
Noch deutlicher werden die Unterschiede im zweiten Satz, der wilder und stürmischer wirkt und mit mehr Tempo und Feuer vorgetragen wird. Das Orchester verfügt nicht ganz über die Klangfülle und Perfektion der WDR-Symphoniker. Das Spiel der Finnen wirkt jedoch ungleich kämpferischer, ja aufgebrachter.
Das Scherzo, fast schon im späteren, eher betulich wirkenden Tempo von 2014 wirkt tänzerischer und burschikoser. Im Gegenzug fehlt es ein wenig an der Eloquenz im Solistischen.
Im Adagietto ist der jüngere Saraste etwas zügiger als der ältere. Der Gestus wirkt noch nicht so sanft und abgeklärt, vielmehr unruhiger, vielleicht leidenschaftlicher. Die Wiedergabe der Musik wirkt bodenständig und hat nichts entrücktes oder verklärtes. Den „Intermezzo-Charakter“ macht man deutlich.
Das Rondo wirkt deutlich bewegter, jugendlicher, frischer und weitgehend unbekümmert und abenteuerlustig.
Der Klang der Aufnahme wirkt lange nicht so ausbalanciert wie die Kölner Aufnahme des WDR. Es fehlt ihm im Vergleich auch an Deutlichkeit und Sonorität. Im Gegenzug wirkt sie dynamischer, frischer und brillanter.
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4
Zdenek Macal
Tschechische Philharmonie
Exton
2003, live
11:53 14:32 19:01 10:25 14:05 69:56
Diese Einspielung entstand an zwei Konzertabenden im Prager Rudolfinum. Zdenek Macal war von 2003 bis 2007 Chefdirigent des Orchesters, ein Posten der in Tschechien ganz besonders exponiert ist und schon oft zu einem Politikum wurde. Der 2023 verstorbene Dirigent war zur Zeit der Aufnahme 67 Jahre alt.
Die Einspielung wirkt durchweg klar, nicht besonders emotional, aber auch nicht langweilig. Die Charakterzeichnung wirkt eher moderat als anschaulich oder gar scharf. Die ersten beiden Sätze wirken etwas leicht, etwas zu behutsam und für einen Trauermarsch fast schon beschwingt. Man denkt eher an einen Spaziergang. Ziemlich flott und leichten Fußes ereignen sich dazwischen doch temperamentvoll wirkende energische Aufschwünge. Im Gestus erscheint der Satz insgesamt ein wenig gewöhnungsbedürftig.
Der zweite Satz zeigt wenig von der Wildheit eines Solti oder der Zerrissenheit eines Bernstein, wirkt sogar fast ein wenig flüchtig. Der Spaziergang ist irgendwie noch nicht beendet, sondern weitet sich in den zweiten Satz hinein aus. Da wird auch mal etwas nachgedrückt, insgesamt ist das Spiel des Orchesters wie zuvor bereits bei der letzten Einspielung Vaclav Neumans und der später folgenden mit Semyon Bychkov einfach hervorragend. Bei den Entladungen könnte die Dynamik noch etwas ausladender sein, nicht nur aber vor allem bei den Hörnern. Das Mahler´sche Idiom scheint den Musikern jedoch längst in Fleisch und Blut übergegangen zu sein.
Beim Scherzo überzeugt das wunderbare Spiel der Bläser am meisten. Die sanften Hörner hört man überall im Vordergrund, auch wenn sie nur leise intonieren. Einen gewissen Hang zur Gemütlichkeit ist der Darstellung nicht abzusprechen. Nur selten lässt das Blech das commodo einmal hinter sich. Noch seltener lässt man es mal „schrecklich aufblitzen“, so dass man auch den Totentanz unter der Oberfläche erkennen kann. Das Corno obligato leistet wieder hervorragende Arbeit und kommt sehr gut zur Geltung. Bei aller Gemütlichkeit lässt man es nicht an kammermusikalisch-lichtem und gefühlvollen Spiel fehlen.
Das Adagietto macht Eindruck. Klanglich gehört es zu den besten. Das Streichorchester ergreift sozusagen Besitz vom ganzen Raum (es handelt sich übrigens um eine SACD) und klingt weich, sonor und glanzvoll-homogen. Die Harfe hat dagegen einen eher schweren Stand. Der Satz wäre als eine Art Meditationsmusik gut geeignet, wirkt langsam, zart und behutsam.
Das Rondo erscheint lebhaft und temperamentvoll. Es werden jedoch keine besonderen Wagnisse eingegangen oder gar Grenzgänge versucht. „Es unterhält gut, fasziniert aber nicht,“
Der Klang der Mehrkanal-Aufnahme wirkt räumlich großzügig, präzise und plastisch. Auch die Präsenz ist zu loben, auch wenn sie nicht als „hautnah“ erscheint. Der Klang wirkt fein gestrickt aber sonor, jedoch nicht ganz mit der Fülle und Wärme der Farao-Aufnahme mit Mehta und dem Bayerischen Staatsorchester. Im Gegenzug jedoch schlanker und transparenter. Erneut ein dunkel-schimmernder, recht glanzvoller Gruß aus Prag aus audiophiler japanischer Quelle.
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4
Daniel Harding
Schwedisches Radio-Sinfonieorchester, Stockholm
Harmonia Mundi
2016
13:58 15:17 18:18 10:27 14:51 72:51
Daniel Harding ist seit 2007 Chefdirigent des schwedischen Orchesters. Zur Zeit der Aufnahme war er 41 Jahre alt.
Beim Appell zu Beginn wird die Rührtrommel besonders plastisch gemacht, was den militärischen Charakter der „Eröffnungsszene“ deutlicher als üblich werden lässt. Trotz einiger Rubati wirkt der Trauermarsch streng, die Stimmführung ist klar und deutlich, die Phrasierung plastisch. Im Verlauf fehlt es nicht an Leidenschaftlichkeit, das Orchester zeigt hier hohe Mahler-Kompetenz und setzt hohe Partiturtreue um.
Im zweiten Satz erspart uns das Orchester übertriebene Emotionen, wichtiger scheint den Interpreten eine klare Deutlichkeit und hohe Nuancierungskunst zu sein. Was fehlt ist das Espressivo, das übersteigerte Fin-de-Siècle-Szenario. Es müsste ja nicht in Schwulst enden aber dem miterlebten Kampf sollte man schon anmerken, dass es um Existenzielles geht. So hören wir die Musik ohne die außermusikalischen Konnotate, immer dicht an der Partitur. Über weite Strecken wird die Spannung hochgehalten. In exponierten (Höhen)Lagen klingen die Violinen schnell dünn, man hätte ihnen da noch ein paar Mitspieler mehr zur Verstärkung gewünscht. Auch in Hinsicht auf orchestrale Brillanz fehlt dem Orchester das „gewisse Etwas“, das den Hörer „blenden“ könnte. Auch Harding lässt die Pause zwischen zweitem und drittem Satz auch auf der CD länger währen als üblich.
Das Scherzo wirkt tänzerisch, wobei die unorthodoxen Bewegungsabläufe durch die Melodik und Rhythmik sehr gut herausgearbeitet werden. Spontan entstehen Karikaturen von Tänzern und Tänzerinnen vor dem geistigen Auge. Mit Grimassen. Gevatter Tod tanzt mit, das ist hier keine Frage. Das Spiel des Orchesters ist pointiert und plastisch. Sehr turbulente Stretta. Bisher der beste Satz der Einspielung.
Das Adagietto klingt zurückhaltend, fast introvertiert und innig, mit viel Feingefühl aber auch mit wenig Schmelz.
Im Rondo wird erneut viel Liebe zum Detail investiert und ordentlich Schwung aufgenommen. Es klingt immer spannend und engagiert, klar und deutlich. Der Höhepunkt (der Choral) erklingt mit britischem Understatement. Die Stretta durchaus mitreißend.
Der Klang der Aufnahme ist transparent, präsent und räumlich. Alle Gruppen klingen untereinander gut gewichtet. Das Orchester wirkt sehr schlank, es fehlt ihm an „Saft“. Es wirkt im Vergleich zu vielen anderen etwas unterbesetzt. Die Dynamik ist gut, aber nicht außergewöhnlich.
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4
Frank Shipway
Royal Philharmonic Orchestra, London
Membran, RPO Records, Centurion, Tring, Classical.com
1996
13:11 15:27 17:36 12:24 14:40 73:18
Der Brite Frank Shipway besuchte Kurse bei Barbirolli und Karajan. Seiner eigenen Aussage nach orientierte er seinen Stil an dem Karajans. Er war zur Zeit der Aufnahme Chef des Sinfonieorchesters des Belgischen Rundfunks in Brüssel und 61 Jahre alt. Die Aufnahme entstand im Watford Coliseum.
Der Trauermarsch wirkt recht gravitätisch und schwer. Die ruhigeren Passagen mit den nachdenklicheren Tönen wirken räumlich distanzierter, jedoch dunkel und geheimnisvoll. Die Dynamik wird in die Extreme getrieben und zwar in beide Richtungen, wobei sich darin tatsächlich eine Ähnlichkeit zur Herangehensweise Karajans erkennen ließe. Noch auffälliger wird dies im zweiten Satz. Mahlers Anweisung an die Geigen gerichtet: „So vehement als möglich“ wird so vorbehaltslos wie selten umgesetzt. Das Tempo allerdings wirkt sehr verhalten. Die Höhepunkte erklingen sehr wuchtig. Es wird ein weiter Bogen gespannt von der Cello-Monodie bis zum Schluss. Der Gestus des zweiten Satzes wirkt sehr zugespitzt.
Das Scherzo erfährt eine kontrastreiche Darbietung, tänzerisch beschwingt in den Perioden des Hauptsatzes und herausfordernd im Gestus. Im ersten Trio scheint es dann einen privaten Plausch mit der Tanzpartnerin zu geben, so reduziert ist Dynamik und Bewegung. Das Corno obligato (es ist der gleiche Solist wie in der Aufnahme mit Daniele Gatti) brilliert mit Virtuosität, Kraft und Feingefühl. Den schön geblasenen Holzbläsersoli wird viel luftigen Raum drumherum spendiert. Die Vielstimmigkeit wird gekonnt, aber nicht sezierend umgesetzt.
Das Adagietto erklingt sehr langsam und kontemplativ. Passagenweise fühlt man sich bereits im Gestus an das Adagio der Neunten erinnert. Mitunter nähert man die Musik gar dem Stillstand an. Teilweise wird mächtig gesteigert. Ob das so im Sinne des Erfinders war? Es klingt jedoch sehr gut und wird hervorragend gespielt.
Das Rondo wirkt dann umso kontrastreicher, nämlich unbeschwert und fast schon aufgekratzt. Es strahlt viel Optimismus aus. Nicht ganz mit der Verve von Gatti und insgesamt vielleicht ein wenig zu geradlinig. Der Choral klingt zwar erhaben aber ohne im Tempo nachzulassen ist er nur ein kurzer Moment auf einer Welle der Euphorie.
Wenn man den Klang mit der fast gleichzeitig entstandenen Einspielung mit Gatti vergleicht, so klingt es mit Shipway etwas prägnanter, räumlicher, transparenter, deutlicher und dynamischer. Obwohl der Bassbereich nicht von schlechten Eltern ist, wirkt die Gran Cassa nicht besonders tief und wuchtig. Bei sehr leisen Passagen scheint das Klangbild nach hinten „wegzurutschen“ und wirkt wie in Gaze gehüllt. Sehr gut herausklingende Hörner. Wenn der zweite und vor allem der vierte Satz nicht so langsam geraten wären, wäre ein Höherstufung durchaus überlegenswert.
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4
James Levine
Philadelphia Orchestra
RCA
1977
12:52 14:47 17:32 12:00 14:50 72:01
James Levine war zur Zeit der Aufnahme 34 Jahre alt und bereits seit drei Jahren in Nachfolge des zurückgetretenen Rafael Kubelik Musikdirektor der Metropolitan Opera.
Er lässt den ersten Satz mit einer geradezu „angriffslustig“ blasenden Solotrompete beginnen. Von „beiläufigen“ Triolen ist da jedoch keine Spur zu finden. Der Marschrhythmus wirkt mit einiger Schärfe betont. Der Gestus wirkt für einen Trauermarsch geradezu hitzig. Man möchte fast meinen, nahe dran am „Thema verfehlt“. Im Gegensatz wirken die kantablen Passagen sentimental und weinerlich. Er wirkt in Summe wenig bedrückend und überhaupt nicht trauernd. Der Gestus wäre eher kämpferisch-wütend, würde also eigentlich besser zu Teilen des zweiten Satzes passen. Der erste Satz macht so den Eindruck des Inszenierten und irritiert, man fühlt sich vom Konzertsaal auf die Opernbühne versetzt. Das Orchester spielt sehr gut, jedoch nicht perfekt. Es fehlen wohl noch eine oder zwei weitere Proben. Man kommt weder an die Klangfülle noch an die Farbigkeit der damals gerade erst vier Jahre alten Einspielung mit Karajan heran. Levine lässt eines der heftigsten Schluss-Pizzikati der Aufnahmegeschichte des ersten Satzes spielen.
Im Gestus wird der erste Satz nahezu bruchlos in den zweiten überführt, vehement, brillant und dringlich. Das Orchester spielt sehr virtuos aber nicht schlackenlos, wie das heute fast schon normal geworden ist. Man hört es auch an den späteren Aufnahmen der Fünften des Philadelphia Orchestra, denn da war man live homogener als 1977 im „Studio“. Levine (oder die Aufnahmetechnik) räumt den Holzbläsern die Möglichkeit ein, sehr deutlich herauszukommen. Der Choral als Vision des Paradiso wirkt ziemlich lärmend. Da gab es schon sehr viele verheißungsvollere Visionen von dem, was der Mensch sein könnte oder zu dem er werden sollte.
Das Scherzo gefällt sehr gut. Es lässt viel differenziertes Spiel vom Orchester hören und viel Mahler-Verständnis des damals noch jungen Dirigenten. Man machte sich damals große Hoffnungen, dass da ein Mahler-Dirigent von hohem Rang hervortreten könnte (die Sinfonien Nr.1 und 4 waren bereits eingespielt und wurden sehr begrüßt), die sich jedoch nicht erfüllten. Nun klingt es aber (noch) stimmig, die Tempi angemessen und gut abgestuft innerhalb des Satzes und als ganzes auch zu den anderen Sätzen. Es werden die unterschiedlichen Satzcharaktere gut herausgebracht und gut miteinander verbunden zu einem bruchlosen, gut gesteigerten Ganzen. Da ist er Karajan in seiner vier Jahre älteren Aufnahme überlegen wie auch in der deutlicheren Herausarbeitung der Vielstimmigkeit.
Im Adagietto scheint sich der junge Levine ebenfalls bei Karajans Einspielung inspiriert zu haben. Levine ist auf die Tempoangaben der Partitur fixiert, nicht auf die Tradition der alten Aufnahmen von Mengelberg und Bruno Walter. Er gönnt sich zudem noch geschmäcklerische kurze „Luftpausen“ (die nicht in der Partitur stehen) bei der Phrasierung. Die Violinen klingen für dieses Tempo einfach nicht schön genug. Der Eindruck, der bei uns hervorgerufen wird, ist vor allem Sentimentalität, fast kitschige Sentimentalität. So klingt das Adagietto weder nach einem „Intermezzo“ und kaum nach einer Liebeserklärung. Einfach zu viel des Guten und dafür einfach nicht schön genug.
Nichts Neues beim Rondo. Insgesamt bietet Levine also eine Darstellung mit Höhen und Tiefen.
Der Klang der CD wirkt gegenüber der LP gut aufbereitet. Die Räumlichkeit wirkt großzügig, das Orchester ziemlich tief gestaffelt, sehr transparent, gerade bei den Streichern. Die Streicher klingen so, als ob sie besonders weit auseinandergezogen positioniert wären (recht-links). Trotzdem wirkt ihr Klang präsent. Der Gesamtklang wirkt leider ein wenig hell und „nasal verfärbt“.
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4
Gustavo Dudamel
Simon Bolivar Youth Orchestra of Venezuela
DG
2006
12:37 14:18 17:15 10:44 14:05 68:59
Gustavo Dudamel war zur Zeit der Aufnahme gerade einmal 25 Jahre jung und dürfte somit der jüngste Dirigent unseres Vergleiches gewesen sein, als er die Fünfte ausgenommen hat. Dafür ist die Einspielung, die in der Aula der Universität Caracas aufgenommen wurde, erstaunlich gut gelungen, vor allem wenn man bedenkt, dass das Orchester ebenfalls das jüngste unseres Vergleiches sein dürfte, denn es spielen sogar Kinder mit.
Es werden erstaunlich viele Details hörbar gemacht (z.B. Tamtam), die solistischen Leistungen sind sehr gut, die Spielfähigkeit für ein Jugendorchester herausragend. Wir sind uns einig, dass man sich mit der Fünften einen wirklich schweren Brocken ausgesucht hat, um auf einer weltweit vermarkteten CD seinen Leistungsstand überprüfen zu lassen. Gerade im ersten Satz ist der Grad zwischen durchlitten und inszeniert sehr schmal, wobei wir damit nicht bemerken wollen, die jungen Menschen im Orchester hätten nicht schon (genug) Leid erlebt und dunkle Schatten auf ihren Schultern sitzen gehabt, aber es klingt doch bei den Mahler´schen Wendungen mitunter nicht ganz untheatralisch, nicht ganz ohne Pathos, wobei man letzteres restlos wohl gar nicht herausbekommt. Der Zugriff wirkt jedoch nicht so direkt und unvermittelt wie bei unserer Referenz Solti (1970). Es ächzt und kracht hier nicht so im Gebälk und letztlich läuft die Musik dann doch weitgehend ab, ohne tiefe Trauer, allerdings brillant gespielt und in einem hervorragenden Klanggewand.
Der zweite Satz beginnt wahrlich stürmisch und vehement, was leider nicht lange anhält, die Energie verpufft schnell und die Spannung lässt dann auch nach, sodass im Seitensatz ein Abgleiten ins Beschauliche nicht vermieden werden kann. Das Pochen des Schicksals wirkt nicht so leidenschaftlich, trotz der druckvollen und feurigen Steigerungen. Die Reminiszenzen an den Trauermarsch wirken weich und beliebig wie in einer Filmmusik. Trotz exzellenter Ausführung wirkt der allerdings hoch komplexe Satz doch ein wenig oberflächlich. Beim flott erreichten Choral bleibt dann auch nicht mehr genug Power für den Höhepunkt im fff, damit er sich hinreichend vom vorherigen absetzen kann. Beim zweiten fff (T.544) gelingt das besser. Umgekehrt hätte es Mahler wahrscheinlich besser gefallen.
Auch im schwierigen Scherzo kommt das junge Orchester nicht in Verlegenheit. Volle, schmelzende Violinen, saftiges Blech und geschmeidiges Holz zeigen so manch einem etablierten Orchester wo der Hammer hängt. Vielleicht insgesamt etwas zu sportiv staunt man nicht nur über die solistischen Leistungen. Es wird generell detailliert und partiturnah, stimmungsvoll und mit jugendlicher Kraft gespielt. Freund Hein wird nicht vom Tanz ferngehalten und die Stretta gelingt nur bei wenigen noch mitreißender (z.B. bei Rattle oder Karajan).
Das Adagietto stellt sich für die jungen Leute als erstaunlich schwierig heraus. Es klingt nicht mit der Natürlichkeit Rattles und ist eine zähe, fast weinerliche Angelegenheit ohne den rechten Fluss. Vielleicht fehlt uns da der rechte Zugang zur Spielweise der jungen Leute.
Beim Rondo sieht die Sache dann wieder ganz anders aus. Frisch und wohlgemut stürzt man sich ins Fugato. Drängende Passagen werden oft mal mit Beschleunigungen versehen und bei den leisen droht die Spannung ein klein wenig durchzuhängen, aber letztlich klingt der Satz doch begeisternd und auch der Choral kommt jetzt hervorragend zur Geltung. Insgesamt ein erstaunliches Endprodukt.
Zum Klang der Aufnahme: Es beginnt schon mit einer erfreulich präsenten Trompete und auch im Folgenden enttäuscht die Klangtechnik nicht. Die Dynamik ist weit gespannt und wuchtig. Das Orchester breit und tief aufgestellt. Die Gran Cassa klingt zwar nicht extra tief, aber doch dynamisch. Die Transparenz ist sehr gut, es gibt keine Verdeckungen bei hoher Lautstärke. Der Klang ist offen, breitbandig, voll, frisch und farbig. Der Klang stellt bei den Aufnahmen der DG eine deutliche Verbesserung gegenüber Kubelik, Karajan, Abbado (Chicago) und Sinopoli dar. Die mit Bernstein und Abbado (Berlin) können halbwegs mithalten. Nur die Boulez-Aufnahme steht klanglich auf derselben Höhe. Nach Dudamel kam bis jetzt bei der DG nichts mehr in Sachen Mahler V.
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4
Sir John Barbirolli
New Philharmonia Orchestra London
EMI
1969
13:42 15:09 17:58 9:50 17:25 74:03
Sir John war bereits in den 50er und 60er Jahren ein anerkannter Mahler-Kenner und -Enthusiast, als ihn viele deutsche und österreichische Dirigenten noch mit weitgehender Nichtbeachtung straften. Die erste Einspielung einer Mahler-Sinfonie in Stereo der Berliner Philharmoniker (1964) geht auf ihn zurück und sie genießt heute noch mit nur wenigen anderen Referenz-Status. Die Einspielung der Fünften fünf Jahre später entstand nur ein Jahr vor seinem Tod. Sie stand leider nicht unter einem ebenso hellen Stern wie die Berliner Einspielung der Neunten.
Einen ähnlich liebevollen, warmherzigen und leidenschaftlichen Zugang wie in Berlin bei der Neunten ist sehr wohl festzustellen, aber der Dirigent schlägt im ersten Satz ein dermaßen getragenes Tempo an, als ginge es um ein Staatsbegräbnis. Das wirkt noch langsamer, wenn man einen Schnellgänger wie Maurice Abravanel oder aber Georg Solti (1970) noch im Ohr hat. Barbirollis Schrittfolge ist jedoch prägnant. Das Orchester hat leider nicht seinen besten Tag erwischt. Da passt längst nicht alles zusammen, als ob man eine Probe zur Aufnahme genutzt hätte. Es wirkt unsicher, schwächelt oder fremdelt noch mit dem Sujet. Dies und natürlich die extrem langsame Gangart gibt dem Satz dann doch etwas Erschöpftes, Depressives, Trauriges. Die dynamischen Steigerungen wirken trotz allem dringlich und werden mit großem Enthusiasmus gespielt. Sie durchbrechen dann aber immer wieder den schwerfälligen, gramgebeugten Kondukt. Der bei Solti noch messerscharfe, stechende Schmerz versandet bei Barbirolli in diffuser Traurigkeit.
Auch im zweiten Satz wirkt Barbirollis Grundpuls sehr ruhig. Das Orchester versucht sich in größtmöglichen Dynamiksprüngen, es bleibt davon aber ziemlich viel in der erstaunlich weich und sonor klingenden EMI-Technik hängen. Der Satz wirkt episch, nicht dramatisch. Von der vehementen Schärfe Soltis ist Barbirolli weit entfernt. Von der Partitur ist viel, aber längst nicht alles zu hören. Das lahme Tempo lässt einen Schleier von Larmoyanz über die Musik fallen. Über weite Strecken. Sehr gut gefallen uns die Hörner, die richtig „Stoff“ geben und bei den Höhepunkten packt das Orchester dann auch mal richtig zu um z.B. der Vision des Paradiso glühenden Ausdruck zu verleihen. In keiner anderen Aufnahme haben wir die Harfe als umspielenden, himmlischen Fingerzeig dabei so gut hören können.
Das Corno obligato im Scherzo spielt ausgezeichnet, teils beeindruckend. Es spielt zwar aus der Gruppe heraus, wird jedoch von der Aufnahmetechnik aufmerksam herausgearbeitet. Die Streicher zeigen ihre hohen klanglichen Qualitäten auch beim Walzer, während der Ländler bewusst grobschlächtiger klingt. Dieser Satz wirkt zu keiner Sekunde glatt, scheint vielmehr von tiefer Warmherzigkeit durchzogen, wenngleich uns etwas mehr Drive noch besser gefallen hätte. Barbirolli verquickt seine crescendi nicht mit accerlerandi.
Im Adagietto ist Sir John dem Rubato nicht abgeneigt. Sein Tempo wirkt nicht schleppend aber auch nie zu schnell. Voll und reichhaltig im Klang erfreut er durch seine sinnliche und zärtliche Ausstrahlung. Er wirkt nicht so zergliedert, wie man es in manch anderer Einspielung hört. Das leuchtende Espressivo wirkt lange nicht so dick aufgetragen, wie z.B. bei Herbert von Karajan.
Im Rondo schlägt Barbirollis Puls langsamer als bei anderen. Nie eilig, noch nicht schwerfällig und gerade noch beschwingt und lebendig. Auch im Rondo gefällt die prominent hervorgehobene Horngruppe besonders. Es wird deutlich, dass jetzt 6 Hörner spielen und nicht wie zuvor nur 4+1.
Barbirolli vermeidet jederzeit die neutrale Glätte, die so viel neuere Einspielungen kennzeichnet. Gegenüber Solti und Bernstein wirkt seine Darbietung der Fünften jedoch weicher. An die Stelle von Härte, Feuer und Dunkelheit wirkt sein Verständnis von mehr Gefühl und Wärme getragen. Leider spielt das seinerzeit noch krisengeschüttelte Orchester nicht auf der Höhe der Amsterdamer, Wiener oder des CSO (1970). Wir sind jedoch sicher, dass die Einspielung von vielen Musikfreunden auch in Zukunft noch innig geliebt werden wird.
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4
Michael Tilson Thomas
San Francisco Symphony Orchestra
SFS Media
2005
12:34 15:01 19:09 10:44 15:10 72:38
In San Francisco hat man eigens um alle Sinfonien Mahlers aufzunehmen ein eignes Label gegründet. MTT war von 1995-2020 Musikdirektor des Orchesters und musste krankheitsbedingt von seinem Amt zurücktreten. Zur Zeit der Aufnahme der Fünften war er 61 Jahre alt.
Um den Trauermarsch charakteristisch auszuformen lässt man sich viel Zeit. Die Stimmentransparenz erreicht fast Benjamin Zander-Niveau. Bei Bernstein fühlt sich die Situation noch auswegloser und vereinsamter an, während Solti (1970) oder von Dohnanyi stärker zuspitzen. Tilson Thomas vermeidet jede Brutalität im Ausdruck.
Im zweiten Satz werden ohrenscheinlich nicht alle Reserven mobilisiert, das Orchesterspiel wirkt kultiviert, man hat keine Mühe den typischen Mahler-Klang hervorzurufen. Das Orchester hört sich jedoch kleiner besetzt an als üblich und als es wahrscheinlich in realiter war. Es fehlt einiges an der geforderten letzten Vehemenz des Ausdrucks. Die Choral-Vision des Paradiso erklingt außerordentlich flott, was man gar nicht erwartet hätte. Der drängende Charakter überbleibt.
Dass Mahler sein Scherzo nicht zu schnell gespielt haben wollte, wird beherzigt. Es könnte jedoch kräftiger klingen, das Derbe des Ländlers ist weitgehend verschwunden. Es gibt wunderschön ausgehörte Details, z.B. das Duo von Violine 1 und Celli im Trio, die Hörner hinterlassen auch einen sehr guten Eindruck. Leider klingt das Corn obligato zumindest im CD-Modus nur von weit hinten. Sie haben allerdings mehr Zeit für ihre recht langsame Präzision. Im Trio II hören wir dafür bei Zi. 16 gut gelungene Echowirkungen, eine Reminiszenz an die Gebirgswelt der Alpen (Almhörner). Das Orchester klingt sehr ausgewogen und spielt weitgehend partiturgenau. MTT nutzt nur wenig Agogik und erreicht es nicht, des Satz durchweg spannend klingen zu lassen. Die Stretta ist nur im sehr langsamen Satzzusammenhang wirklich wild zu nennen.
Im Adagietto ermöglicht es der schlanke Streicherklang trotz der recht langsamen Tempi den Ausdruck schlicht zu halten und Pathos weitgehend außen vor zu lassen. Ohne die Bläser wirken die Streicher recht distanziert, teilweise mit einer Tendenz ins silbrig-helle. Das wirkt insgesamt dann doch recht kühl. Der Harfe wird zumindest in der von uns dieses Mal gehörten Stereo-Version (es handelt sich um eine Dual- Layer SACD mit der Option die Musik auch über fünf Kanäle zu hören) in eine unbedeutende Statistenrolle versetzt.
Im Rondo zeigt das Orchester was es in Sachen Präzision drauf hat. Da klingen die Hörner in bester Äquilibristik zu den Posaunen. Die Vorbereitungen zum Choral bringt MTT erneut ziemlich schnell, gerade wenn man den bis hierhin abgelaufenen Satz betrachtet, bei Pesante wird dann aber kräftig gestaut. Vor Zi. 34 gibt es dann kein Accelerando, sondern einen plötzlichen Tempowechsel. Beim letzten Akkord schwingt kein einiges Instrument nach. Insgesamt hat der 5. Satz zu wenig Biss. Und die ganze Sinfonie läuft einfach zu kultiviert ab.
Den Konzertsaal, der akustisch nicht den besten Ruf haben soll, hat man jedoch gut im Griff. Die Transparenz ist bestens. Das gelang den Decca-Technikern bei ihren Aufnahmen mit Herbert Blomstedt jedoch auch schon. Das Orchester wirkt weiträumig, bestens sortiert und „sauber“ mit einem gewissen Hang zum Trockenen. Die Gran Cassa grollte bei Dohnanyi noch tiefer und dramatischer. Die Präsenz wirkt bei Solti (und bei Dohnanyi) ausgeprägter und „angriffslustiger“.
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4
Sir Georg Solti
Chicago Symphony Orchestra
Decca
1990, live
12:32 14:28 16:56 9:40 14:05 67:41
Sir Georg war, wie bereits erwähnt von 1969-1991 Musikdirektor des CSO. 1990 unternahm er mit seinem Orchester noch eine letzte Tournee, die ihn nach Russland und Ungarn brachte. Ihren Abschluss fand sie mit einem Konzert im Wiener Musikvereinssaal, bei dem seine Plattenfirma, der er sein Leben lang die Treue hielt, die Decca, die Fünfte erneut aufnahm.
Im ersten Satz herrscht nun ein einheitliches Grauschwarz mit Trauerrand vor. Das hautnahe, impulsive Miterleben von 1970 scheint nun einer pragmatischen Draufsicht gewichen. So oder so ähnlich hört sich die Fünfte auch bei anderen an. Die Einzigartigkeit der ersten Aufnahme erlangt die zweite nicht mehr.
Im zweiten Satz pochen die ultimative Vehemenz und der orkanartige Sturmwind des Schicksalhaften nicht mehr so unmittelbar an. Die nun aufschimmernde Wärme bei den 1990 viel besser aufgenommenen Violinen mindert die grausen Erscheinungen und zerklüfteten Verwerfungen noch zusätzlich ab. Trotz oder gerade wegen des guten, teils sogar innigen Spiels zwischen den eruptiven Passagen erscheint jetzt nur noch alles halb so schlimm. Das Orchester spielt zwar sicher immer noch engagiert, wirkt aber angesichts der Strapazen der Tournee vielleicht auch ermüdet. Vieles wird auch von der nun im Stile der 90er Jahre auf Distanz gehenden Aufnahmetechnik einfach wegsubtrahiert.
Das „pralle Leben“ im Scherzo stellt sich beim 78jährigen Solti anders dar als beim 58jährigen. Nun, im letzten Jahr seiner 22jährigen Tätigkeit als Chef des Orchesters sind sicherlich einige Feinheiten in der Artikulation dazugekommen, das Spiel erhält eine sanft wirkende Poesie und der Klang wirkt immer etwas wärmer. Drive und Spannung nehmen jedoch gegenüber 1970 spürbar ab. Die Virtuosität ist zwar ebenfalls noch vorhanden, sie blendet jedoch nicht mehr und wirkt jetzt „handzahm“, würde niemanden mehr in Berlin, London oder Amsterdam aufschrecken.
Das Adagietto profitiert als einziger Satz von der 20 Jahre jüngeren Technik. Das Spiel auf Distanz wirkt nun insgesamt verhaltener, introvertierter und anrührender, ja vielleicht sogar liebevoller. Einen Fauxpas gibt es am Ende des Satzes, denn da wird das Morendo vor dem verklingen abrupt abgeschnitten.
Beim Rondo muss die urwüchsige Kraft von 1970 im Digital-Equipment steckengeblieben sein. Es klingt erstaunlich glatt. Der begeisterte Applaus des Wiener Publikums scheint diese Theorie zu bestätigen, denn live muss diese Aufführung wirklich begeistert haben. Von der Tonkonserve lässt sich das vor allem in der Relation zur 1970er Einspielung nicht behaupten. Immer noch gut, aber nicht begeisternd. Die 20 Jahre sind auch am sogar im Seniorenalter noch höchst vitalen Sir Georg nicht spurlos vorbeigegangen.
Der Klang der Live-Aufnahme wirkt immer noch recht dynamisch, Decca hat das Aufzeichnen natürlich nicht verlernt, aber es klingt nun längst nicht mehr so saftig, „blitzgescheit“ aber auch nicht mehr so wuchtig. Vor allem der Verlust an hautnaher Präsenz schmerzt. Der Transparenz ist durch die Weitwinkeloptik die analytische Schärfe abhandengekommen. Die für einen druckvollen Gesamteindruck so wichtige Basswiedergabe muss man mit der Lupe suchen. Und last but not least wirkt das Klangbild nicht mehr so ultimativ offen. Die Klangtechnik hat nur noch das Große und Ganze im Sinn. Der prickelnde Scharfsinn wirkt domestiziert. Nur wenige Geräusche vom Publikum dringen ans Ohr.
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4
Eliahu Inbal
Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR-Sinfonieorchester)
Denon, Brilliant
1986
13:26 14:05 18:44 11:31 14:23 72:09
Wie Leonard Bernsteins Aufnahme für die DG entstand auch diese Einspielung nur ein Jahr zuvor ebenfalls in der Alten Oper. Eliahu Inbal war von 1974-1990 Chefdirigent des Frankfurter Orchesters. Es entstanden noch (mindestens) zwei weitere Einspielungen der Fünften unter seinem Dirgat, 2010 mit der Tschechischen Philharmonie und 2013 mit dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra, beide für Exton und beide derzeit nur über den Direktimport teuer aus Japan zu beziehen.
Die Darstellung des ersten Satzes wirkt detailreich musiziert und im Ausdruck ziemlich deprimiert. Man scheint sich der Trauer hinzugeben, mit klarer Linie, nicht mit dem dicken Pinsel gemalt. Mit dem fragil aber authentischen Mahler-Klang macht die durchdacht wirkende Einspielung einigen Eindruck, ohne den Hörer durch ihre Expressivität umzuhauen. Sehr gute Solo-Trompete.
Im zweiten Satz scheint sich das Orchester zu mühen, große, stürmische und vehemente Dynamiksprünge hörbar zu machen, die Aufnahme setzt sie jedoch nicht völlig um. Das sehr gute Orchesterspiel bleibt bei aller Sorgfalt im Detail und aller Empathie etwas zu “gepflegt“.
Das Scherzo wirkt trotz der langen Spielzeit nicht schwerfällig. Inbal macht sich zu allem seine Gedanken, vielleicht zu viele, denn so richtig frei wirkt das Orchester nicht.
Das Adagietto klingt leicht, schlank, sehr klar. Man genießt sehr schönes Spiel bis zu einem echten pp. Wäre da nicht das langsame Tempo, würde man an ein junges Liebespaar denken. Spannung ist hier nur Nebensache.
Licht und klar wie der Morgentau in der Frühsommersonne beginnt das Rondo. Entspannt und recht locker geht es in den neuen Tag, oder vielmehr: erobert man sich das neu erlangte Leben. Leider nicht durchgehend spannend wird doch mit einiger Kraftentfaltung und immer recht akribisch gespielt. Sicher ist die Fünfte einer der besten Einspielungen im heterogen gelungenen Frankfurter Zyklus mit Inbal.
Der Klang der Einspielung wirkt transparent und gut gestaffelt, leicht distanziert und gut ausbalanciert. Er ist für das AD, das immer noch in den Anfängen der Digitaltechnik liegt schon gut gelungen, jedoch noch nicht völlig frei von frühdigitaler Härte. Dennoch weiß der Klang auch heute noch ganz gut zu gefallen. Die Violinen klingen sogar recht weich, wenn auch nicht warm timbriert. Der Gesamtklang wirkt zwar nicht voll oder gar prall (im Gegenteil eher kalligraphisch), aber doch erfreulich frisch. Der Aufnahmepegel ist ziemlich niedrig, man sollte den Pegelsteller etwas höher drehen als üblich, damit sie lebendig klingt.
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4
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR Live
2006, live
12:35 15:13 18:40 9:24 14:50 70:42
Dieser erste Mitschnitt, noch vor der Gründung des rundfunkeigenen Labels BR Klassik veröffentlicht, wurde an zweit Konzerten im März 2006 in der Münchner Philharmonie aufgenommen. Er ist dem zweiten Münchner Mitschnitt, der zehn Jahre später erfolgte, in erster Linie klanglich erstaunlich deutlich unterlegen, wirkt aber auch musikalisch lange nicht so eloquent und brillant auf uns. Nicht ohne Grund hat man sich entschlossen die 2016er Einspielung in die Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien mit Maris Jansons aufzunehmen und nicht die von 2006. Der Unterschied zur Amsterdamer Einspielung, die nur ein Jahr später entstand ist klanglich ist noch frappierender, denn an die wunderbare Raffinesse, schillernde Farbigkeit und die faszinierende Sinnlichkeit kommt die erste Münchner Aufnahme nicht ansatzweise heran. Dabei spielt das Orchester dynamisch, hoch konzentriert und wild entschlossen, aber man wird vom dramatischen Spiel nicht involviert. Vielleicht hat man einfach zu viel Klangschönheit und ein Mehr an zupackender Durchschlagskraft erwartet. Das gilt sinngemäß für alle Sätze.
Im zweiten Satz trifft die Vehemenz zwar für Blech und Schlagwerk zu, die Streicher erklingen jedoch seltsam unprofiliert. Im Verlauf meidet man die Extreme, auch wenn die Streicher wieder besser hörbar gemacht werden.
Auch der dritte Satz gräbt sich trotz allen Differenzierungsvermögens einfach nicht so tief ins Ohr und vor allem ins Herz der Zuhörer. Der Impetus wirkt ein wenig bedächtiger, der Gestus nivellierter. Immerhin hören wir ein sehr sicheres, ausdrucksstarkes Corno obligato und schneidend strahlenden Trompetenglanz.
Das im Grunde gelungene Adagietto lässt die dunkle Glut des Amsterdamer Ausnahmeklangs aber auch der 2016er Münchner Einspielung vermissen. Die Violinen klingen minimal schärfer, das gesamte Streichorchester etwas brüchiger, rauer und weniger sinnlich anziehend. Wohlgemerkt nur im direkten Vergleich zu den beiden anderen Einspielung mit Mariss Jansons. An der Interpretation vor Ort ändert sich wahrscheinlich nicht viel, man nimmt sie aber von der CD gehört anders wahr.
Das Rondo wirkt noch etwas durchdacht (im Sinne von „verkopft“) und weniger enthusiastisch. Trotzdem erleben wir einen sehr guten Steigerungsverlauf und einen krönenden Choral. Nur im Vergleich mit Jansons selbst fällt auch das Rondo ein wenig ab.
Die Aufnahme wirkt noch relativ dynamisch und relativ offen. Es fehlt jedoch der körperhafte, glanzvolle und sinnliche Klang besonders der Amsterdamer aber auch der 2016er Aufnahme aus München. Die ausladende Breite und verschwenderische, jedoch klare Raumtiefe sind auf ein Normalmaß geschrumpft. In der Relation wirkt das Orchester wie eingepfercht. Die famose Fluktuation und Rundung des Concertgebouw-Klangs wurde sozusagen eigetrocknet. Mit anderen CDs verglichen macht die vorliegende keine schlechte Figur. Sie hat jedoch zwei übermächtige Gegner vom gleichen Vater sozusagen, die weniger steril und lebendiger wirken.
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4
Pietari Inkinen
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
SWR, unveröffentlicht
2010, live
12:42 14:31 17:03 11:00 15:40 70:56
Für Pietari Inkinen ist Mahlers Fünfte ein Repertoire-Stück. Außer dem hier vorliegenden Mitschnitt aus der Mainzer Rheingoldhalle, bei dem er 30 Jahre jung war, gibt es von ihm eine SACD von 2012 mit dem Japan Philharmonic Orchestra, einen Mitschnitt von 2018 mit der Deutschen Radio Philharmonie (ebenfalls in unserem Vergleich) und einen Mitschnitt mit dem KBS Symphony Orchestra Seoul auf YouTube.
In Mainz wirkt die Musik im ersten Satz ernst uns unerbittlich vorandrängend, der weiche Streichersound konterkariert den eher sachlichen als nachgiebig oder ohnmächtig wirkenden Gestus im Trauermarsch. Die dramatisch aufwallenden Passagen des Schmerzes werden geschärft dargestellt und das Orchester zeigt seine ganze dynamische Bandbreite. Wie bei allen neueren Aufnahmen mit kompetenten Mahler-Orchestern wird der Pfad des Schönklangs nicht mehr verlassen. Nur das Holz verlässt in dieser Darbietung ab und an seinen üblichen Klangbereich zwecks Intensivierung des Ausdrucks.
Der zweite Satz erklingt ruhig, diszipliniert und sehr intensiv, nicht bombastisch und nicht dick aufgetragen. Die Dynamik wird stark ausgereizt. Da die Tempi nie schleppen, bleibt der Gestus lebendig, was die kämpferische Atmosphäre gut unterstützt. Der Choral erklingt wunderbar klar mit einem gut ausgewogenen Blech (die Trompeten erringen eine leichte Dominanz). Der Satz wirkt sehr dramatisch bei perfekter Stimmentransparenz.
Das Scherzo zeigt, dass das Orchester auch nach den Jahren mit Sylvain Cambreling als Chef, der Mahler nicht gerade favorisiert hat, von seiner Mahler-Kompetenz nichts verloren hat. Es klingt lebendig und pointiert, an den richtigen Stellen gut zugespitzt. Dem gefühlvollen Corno obligato unterlaufen keine Missgeschicke.
Mit einem bei vielen Dirigenten üblichen, dem Durchschnitt angenäherten Tempo wird das Adagietto in Bewegung gehalten und mit Seele gefüllt.
Das Rondo hält nicht ganz, was das lebenspralle Scherzo versprach. Unser imaginärer Held der Geschichte wirkt zwar bereits gelöst und recht locker, könnte jedoch etwas entschlossener nach vorne blicken. Er wirkt noch etwas verträumt, als ob er dem klaren Blick in die Zukunft noch nicht so recht trauen könnte. Die deftigen, fast prallen Akzente unterwegs zum Ziel hört man nur selten so gut ausformuliert. Beim gloriosen Choral überstrahlen die Trompeten in dieser Aufnahme alles. Anders als es noch im zweiten Satz war legen sie nun noch mehr zu.
Wie bei allen 5,1. Konzertübertragungen der ARD-Sender klingt das Orchester weich, transparent, breit und tief gestaffelt, recht dynamisch und bassstark. Sehr gute Gran Cassa. Der Klang gewährt einen guten „Blick“ auf das Schlagwerk.
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4
Pietari Inkinen
Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern
SWR-SR, unveröffentlicht
2018
12:58 15:19 18:31 11:46 16:16 74:50
Pietrai Inkinen war zur Zeit der Aufnahme, acht Jahre nach der Mainzer Aufführung, in seiner zweiten Spielzeit Chefdirigent der DRP. Zugleich war er auch Chef der Prager Symphoniker (2015-2020), des Japan Philharmonic Orchestra (2016-2023) und leitete die musikalischen Dinge bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen. Ganz schön viel Ämter, die da unter einen Hut zu bringen waren. Zur Zeit des Konzertes war er 38. Das Konzert fand in der Kaiserslauterner Fruchthalle statt.
Im ersten Satz ergeben sich keine großen Unterschiede zur Mainzer Aufnahme. Wie dort bleibt der Gestus dramatisch. Das Orchester steht dem SWR SO in nichts nach, wenn man davon absieht, dass die Violinen nicht so stark besetzt wirken (die Bühne der Fruchthalle ist für eine Mahler-Sinfonie eher klein bemessen, sodass man sich bei den Streichern beschränken muss). Die Solo-Trompete klingt sehr präsent und sie spielt ihren Part sehr gut.
Im zweiten Satz wirft sich das Orchester nicht gerade risikoscheu in die Musik hinein, es macht einen guten, hoch konzentrierten Eindruck, von der Verlangsamung des Tempos nimmt man zwar Notiz, sie fällt jedoch nicht nachteilig auf.
Im Scherzo ist das anders. Auch hier verlangsamt Inkinen das Tempo, wohl kaum seinem Alter geschuldet, eher den Zwängen der Akustik oder neu gewonnener Einsicht folgend. Wir bemerken, dass der Schwung ein wenig gelitten hat und die Zuspitzungen nicht mehr so prickelnd sind.
Im Adagietto erfolgt ebenfalls eine Verlangsamung des Tempos, was am Gestus nicht viel ändert. Es wirkt nicht schleppend. Die Streicher klingen homogen. Die Violinen stehen den Kollegen und Kolleginnen aus Baden-Württemberg jetzt in Hinsicht auf homogenen Gesamtklang ein wenig nach, was erneut an der kleineren Besetzung liegen könnte, aber auch an der präsenteren Aufnahmetechnik. Die Harfe kommt deutlich aber nicht überpräsent ins Bild.
Das Rondo kämpft nun doch mit den langsameren Zeitmaßen. Die Darstellung wirkt souverän, könnte jedoch spannender und zugespitzter sein. Gegenüber 2010 in Mainz hat die Musik an Brisanz eingebüßt.
Die im Prinzip ähnliche Klangcharakteristik wirkt präsenter als in Mainz. Weich, transparent, deutliche Basslinie. Das Orchester wirkt mehr in die Breite als in die Tiefe hinein gestaffelt und noch etwas plastischer. Die Gran Cassa wirkt etwas wuchtiger, als ob ihr ein eigenes Mikrophon zugewiesen worden wäre. Das Orchester klingt deutlich fülliger, fast opulenter als in den üblichen Übertragungen aus der Saarbrücker Kongresshalle, die immer nur im Stereo-Ton erfolgen. Anscheinend bietet der Neorenaissance-Bau mit rechteckigem Grundriss in Kaiserslautern zwar für Mahler eine ziemlich kleine Bühne für, aber trotzdem eine gute Akustik und der 5.1-Klang bietet insgesamt mehr Möglichkeiten.
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4
Tomomi Nishimoto
Royal Philharmonic Orchestra, London
King Records
2009, live
13:01 15:03 17:31 10:38 14:17 70:30
Ungeachtet der Königlichen Philharmoniker aus London handelt es sich um eine Einspielung aus Japan. Sie entstand live in der Suntory Hall in Tokyo. Die Dirigentin Tomomi Nishimoto war dabei 39 Jahre jung.
Das Problem im ersten Satz ist nicht, Spannung zu erzeugen, wohl aber ein durchgehendes Spannungsniveau zu halten. Den Königlichen merkt man ihren häufigen Umgang, den sie die letzten Jahre mit der Sinfonie hatten, deutlich an denn sie bringen ihr hohes Niveau mit in diese Darbietung ein.
Nach dem wahrlich stürmischen Beginn ebbt die Spannung auch im zweiten Satz schnell ab. Der drängende Gestus scheint sich sogar gänzlich zu verlieren. Das Orchester zeigt weiterhin bewundernswerte Live-Präzision, die ohne eine sichere Hand bei so einem komplexen Satz auch für ein Orchester dieses Kalibers kaum möglich wäre. Der Choral steigt wie eine Fata Morgana als Vision des Paradiso hervor, das gelingt ganz selten so anschaulich, rührt aber vor allem daher, dass sein Auftreten kaum richtig vorbereitet wurde. Majestätisch klingt er, als ob wir bereits im Finale des Rondos angelangt wären. Trotzdem klingt es gelungen, ob beabsichtigt oder zufällig.
Das Tempo zu Beginn des Rondos scheint die Dirigentin ein wenig zu eilig gewählt zu haben, denn sie nimmt es alsbald zurück. Der Verlauf ist geprägt vom tänzerischen. Das Trio II ab Zi. 8 klingt in den Streichern viel zu harmlos und dass der Satz eine Welt nach der anderen gebiert (Mahler) wird weniger deutlich, da die Kontraste stärker gezeichnet werden könnten. Immer wieder erscheint die Tempogestaltung nachgiebig (z.B. zwischen Zi. 10 und 11). Rubato zur Unterstützung des drängenden Gestus unterbleibt jedoch. Ab Zi. 26 wird plötzlich verlangsamt, vielleicht sollte auf ein Momentum mori oder ähnliches hingewiesen werden? Uns erschließt sich da leider nichts, was aber nichts heißen soll. Die Stretta gelingt sehr effektvoll. Insgesamt ein ungewöhnliches Scherzo erneut sehr gut gespielt, tadelloses Corno obligato.
Beim durch ein maßvolles Tempo gut ausbalanciertes Adagietto bleibt das große Espressivo aus. Der Dynamikumfang zwischen ppp und ff bleibt gering und sorgt dafür genau wie die geringen Unterschiede in der Tempogestaltung. Da wirkt die Dirigentin ausgleichend, ausgleichender als es dem Komponisten vorgeschwebt haben mag, wir wissen es nicht, wir vermuten es aufgrund der Partituranweisungen. Sie werden zwar beachtet, aber wie gesagt in vermittelnder Art und Weise. Der Gestus ist introvertiert und der Dirigentin gelingt es, ihn etwas zaudernd oder zweifelnd wirken zu lassen. Damit fällt sie aus dem Mainstream heraus. Die große überwältigende Geste und eine erdrückende Leidenschaft bleiben aus. So zart und schüchtern wirkt der Satz nur ganz selten. Trotz der genannten Einschränkungen eine sympathische Auslegung des Satzes, der zu so vielen verschiedenen Deutungen verleitet.
Trotz des sympathischen, aber vielleicht nicht ganz originalgetreuen Adagiettos, gefällt das abschließende Rondo noch besser. Es zeigt einigen Impetus, ein flottes und glasklares Fugato, klingt transparent und luzide, aber auch kraftvoll, entschlossen und abenteuerlustig. Dabei wird eine gewisse spielerische Geste nicht unterschlagen. Hier kommt der drängende Charakter, den man in einigen wenigen, vornehmlich älteren Einspielung auf das ganze Werk (incl. Adagietto) ausbreitet, gut zum Zuge. Der Choral erklingt mit Glanz und Gloria, danach wird gut beschleunigt zu einem effektvollen Finale. Dies ist eine Aufführung, die sich von Satz zu Satz steigert bis zu einem sehr gut gelungenen Rondo, das, isoliert betrachtet, eine höhere Platzierung verdient gehabt hätte.
Dem Klang der Aufnahme ist eine blitzblanke Transparenz zu eigen. Das Orchester zeigt sich bestens gestaffelt, natürlich-warm und brillant zugleich. Die Gran Cassa ist deutlich und kräftig, aber nicht „audiophil“ übertrieben. Die Balance ist ausgezeichnet, die Dynamik ganz hervorragend. Erneut beweisen japanische Klangexperten, dass sie ihr Handwerk von A bis Z bestens beherrschen und einen klaren Blick für die Erfordernisse dieses speziellen Werkes haben und in Klang umsetzen können.
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4
Sakari Oramo
BBC Symphony Orchestra, London
Aufnahme der BBC, vom WDR gesendet, unseres Wissens unveröffentlicht
2023, live
13:41 15:28 18:15 9:48 14:48 72:00
Sakari Oramo haben wir als Chef des CBSO bereits kennengelernt. Seit 2013 ist er Chef des Londoner Orchesters der BBC (darüber hinaus ist er auch seit 2008 Chef der Stockholmer Philharmoniker). Zur Zeit der Übertragung aus der Londoner Barbican Hall war er 58 Jahre alt.
Zu Beginn des ersten Satzes überrascht der Solotrompeter mit den kürzesten Auftakttriolen des gesamten Vergleiches. Da erkennt man die Analogie zum Beginn der 5. Sinfonie Beethovens kaum noch. In der älteren Aufnahme Oramos mit dem CBSO ist von diesem aufmerksamkeitsheischenden Detail noch nichts zu hören. Die Triole nivelliert sich übrigens, wenn das Orchester sie übernimmt zum Normalmaß. Was soll es also, fragt man sich? „Etwas gehaltener“ bei Zi. 2 wird zu viel langsamer. Da fällt der Trauermarsch sofort in die Resignation ab. Vom Marsch als Tanzform ist wegen des langsamen Tempos nicht mehr viel übrig. Die Passagen des Schmerzes werden dagegen enorm geschärft und zugespitzt. Der Satz wirkt jedenfalls sehr kontrastreich, aber den Spannungsbogen der ersten Einspielung von 2004 aus Birmingham erreicht die Aufführung nicht mehr. Wie so viele Dirigenten wird auch Oramo mit den Jahren langsamer (große Ausnahme: Claudio Abbado).
Auch im zweiten Satz geht die Verlangsamung weiter, nun jedoch gegenüber 2004 im Ausdruck intensiviert. Die blassen Farben, die das Orchester in den Momenten der Einsamkeit und Verlorensein findet, sind neu. Die Gestaltung entbehrt nicht der Innigkeit. Der neutral wirkende Eindruck von 2004 ist verschwunden. Am Satzende zur Dekomposition hin wird es extrem langsam, ob man es als quälend langsam empfindet, hängt wohl von der Befindlichkeit der Zuhörenden ab.
Im Scherzo wirkt die Tendenz zum Langsamen allerdings schon behäbig. Das musikalische und sehr sichere Corno obligato ist gut hörbar, aber nicht besonders herausgehoben, was auf ein Spiel aus der Gruppe heraus und nicht in der Solistenposition schließen lässt. Ohne mit Besonderheiten der Gestaltung oder einzelnen solistischen Leistungen aufzufallen plätschert der Satz gemächlich und wenig dringlich dahin. Das Orchester fühlt sich wahrscheinlich in den Schlafwagenmodus versetzt. Der Satz wirkt wenig tänzerisch, scheint der Bewegungsform Tanz abgeschworen zu haben. Die Pizzicato-Stelle der Streicher erscheint ziemlich misslungen.
Im Adagietto bleibt Oramo sich gegenüber 2004 ziemlich treu. Flüssiges Tempo, sanftes Spiel, die Violinen (die Streicher überhaupt) des BBC SO spielen sehr klangschön und homogen. Sie bringen eines der schönsten Glissandi (bei Zi. 3) des gesamten Vergleiches zu Gehör. Dies ist der einzige Satz, der uns eindeutig besser gefällt als 2004.
Aber auch das Rondo steht der fast 20 Jahre älteren Einspielung kaum nach, ansonsten gefallen die wach und frisch wirkenden Tempi des jüngeren Oramo besser.
Die Aufnahme der BBC ist transparent und präsent. Man bekommt von den Dimensionen des Raumes nicht viel mitgeliefert, insgesamt erscheint sie etwas härter als die entsprechenden Aufnahmen der ARD-Sendeanstalten.
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4
Bernard Haitink
Berliner Philharmoniker
Philips
1988
13:31 15:45 19:14 13:54 15:50 78:14
Diese Einspielung der Fünften stammt aus Haitinks zweitem Zyklus, bei dem aus Kostengründen die Achte und Neunte nicht mehr eingespielt werden konnten. Die Krise auf dem Tonträgermarkt für klassische Musik war da schon weit fortgeschritten. Die Tempi des Dirigenten sind gegenüber der ersten Einspielung mit „seinen“ Amsterdamern von 1970 nochmals langsamer geworden. Der Vollständigkeit müssen noch zwei weitere Aufnahmen mit Bernard Haitink erwähnt werden. Eine weitere entstand live 1986 in Amsterdam als Weihnachtskonzert (existiert auf Video und DVD) und die letzte mit dem Orchestre National de France 2004 (bei Naive), ebenfalls live.
Die Berliner Aufnahme, live aus der Philharmonie schrammt nur knapp am Titel „Langsamste Einspielung des Vergleiches“ vorbei. Um sechs Sekunden muss sie sich Harold Farberman und dem London Symphony Orchestra „geschlagen“ geben. Die Tempi sind nun wirklich sehr langsam geworden, was sich auf den Gestus der Musik nicht gerade vorteilhaft im Sinne von Mahlers Absichten auswirkt. Die Berliner lassen sich übrigens dadurch nicht davon abhalten einen überaus farbigen, homogenen und strahlenden Klang hervorzuzaubern, der den Klang der Abbado-Aufnahme fünf Jahre später noch übertrifft. Die Violinen könnten kaum schöner klingen, wenngleich sie von der Aufnahmetechnik ein wenig nach hinten versetzt wurden. Die wundervolle Phrasierung und die Intensität des Spiels wissen sehr wohl zu beeindrucken. Durch das Tempo scheint der Marschcharakter fast schon verloren zu gehen. Falls man sich je eine militärisch geprägte Atmosphäre beim ersten Satz vorgestellt haben mag, bei dieser Einspielung ist das kaum noch möglich. Diese Atmosphäre erscheint komplett versandet. Die Aufschreie entbehren hingegen nicht der peinigenden Kraft.
Auch im zweiten Satz wählt Haitink deutlich langsamere Tempi als 1970 in Amsterdam. Weniger bei den wilden, stürmischen Passagen, sondern eher bei den erzählenden. Die klingen so wunderschön, fast schon schwelgerisch und innig, scheinen sich aber irgendwie selbst im Schönen zu verlieren. Die Kulinariker unter den Hörenden wird es freuen, die Mahler-Enthusiasten hingegen weniger. Der große Bogen verliert immer wieder seine Spannung. Teilweise wirkt der Satz auf uns sogar wie zelebriert und teilweise wie durchbuchstabiert, was Haitinks Art eigentlich gar nicht ist. Die Höhepunkte werden allerdings viel besser herausgearbeitet als 1970 in Amsterdam. Die Philharmoniker kommen richtig zur Sache, was sehr beeindruckend wirkt und über das von Abbado 1993 erreichte Maß hinausgeht. Glänzend gelingt die Choral-Vision. Dies ist bisher eine sehr schwere, dunkel eingefärbte, klanggesättigte Sicht auf die ersten beiden Sätze der Fünften.
Dem Scherzo hätte etwas mehr Drang nach vorne sicher nicht geschadet. Bestechend sicher und virtuos das Orchester, was genauso auch für das Corno obligato gilt, das sagenhaft voll und satt klingt und dann auch noch auf betörende Art und Weise. Wäre doch schön, wenn die Post sich auch heute noch mit so einem Wunderhorn anmelden würde. Da nähme man auch gesalzene Rechnungen gerne in Empfang. Die leichten Passagen des Scherzos klingen etwas erdenschwer, da hätte ein lebendigeres Tempo sicher gutgetan. Der Orchesterklang klingt betörend und gefällt uns besser als bei Abbado und Rattle. Sehr gute Detailarbeit (bei dem Tempo bleibt einem fast nichts anderes übrig) und Stimmentransparenz und viele traumverlorene Momente, außerdem wunderschöne walzerselige Erinnerungen aus vergangener Zeit. Wie schon bei den Sätzen zuvor eigentlich fehlt der durchgehende Zug nach vorn und es droht im Scherzo ganz besonders der Zerfall in einzelne schön anzuhörende Episoden. Am Ende angelangt ist man eher erschöpft, aber nicht berauscht.
Nun zum Adagietto. Die Frage ist eigentlich: Passt in diesem Tempo der Satz noch in die Gesamtarchitektur? Das könnte man noch mit „Ja“ beantworten, denn die drei vorherigen Sätze bereiten sozusagen schon auf eines der langsamsten Adagiettos „ever“ vor. Die Relationen stimmen noch. Für eine Liebeserklärung wirkt der Satz jedoch sehr entrückt und manche Angebetete würde vielleicht den Faden oder sogar die Geduld verlieren. Dann wäre der Satz eher eine Liebesprobe. Schläft die Angebetete nicht ein, muss es echte Liebe sein. Spaß beiseite. Schöner geht es kaum noch, man kann es sich jedenfalls kaum vorstellen. Aber der Satz will einfach kein Ende nehmen.
Auch das abschließende Rondo ist orchestral einfach grandios gelungen und stellt die Abbado-Aufnahme diesbezüglich ziemlich in den Schatten. Das Orchester scheint sich vollkommen hinter dem Dirigenten versammeln zu können. Wo klingt der Choral so hymnisch und glanzvoll? Und abermals hymnischer als bei der Choral-Vision im zweiten Satz. Das ist großes Kino. Wenn die Einspielung als ganzes nur nicht gar so langsam geraten wäre.
Der Klang ist gegenüber der 1970er Philips aus Amsterdam erheblich dynamischer, voller, runder, plastischer, sinnlicher, klarer und ganz entschieden sinnlicher geworden. Die Staffelung ist nur etwas besser geworden. Insgesamt ist er weniger ausladend räumlich als kompakt. Dass der Klang noch einen letzten Hauch Kühle mitbringt, mag an der noch recht frühen Digitaltechnik liegen. Aus den Kinderschuhen war sie bei Philips zu dieser Zeit eigentlich schon weitgehend entwachsen. Der Gesamtklang wirkt denn auch hervorragend und verführerisch und wäre, wenn man den Klang einzeln betrachten möchte, der Abbado-Aufnahme von 1993 vorzuziehen. Musikalisch kann man durchaus andere Prioritäten setzen.
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4
Vaclav Neumann
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1977
11:01 13:36 18:35 10:03 16:05 69:19
Dies ist die mittlere Einspielung von Vaclav Neumann, die erste aus Leipzig und die letzte Einspielung ebenfalls aus Prag wurden bereits weiter oben gelistet. Zur Erinnerung: Neumann war von 1968- 1990 Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie. Die mittlere kommt vor allem in der Klangtechnik bei weitem nicht an die beiden anderen heran. Dabei ist es noch ein Unterschied, ob man die Aufnahme von CD oder LP hört, denn die tschechische CD ist eigentlich klanglich total misslungen, die LP (ebenfalls aus der Tschechoslowakei) immerhin anhörbar. Davon später noch etwas mehr.
Ganz anders als Haitink 1988 lässt Neumann auch 1977 wieder das schnelle Marschtempo hören, behände und wenig lastend. Alle Stimmen sind da, übermäßig transparent wirken sie jedoch nicht. Wir hören sehr intensive „Schmerzensschreie“ durch das Blech (besonders durch die stark exponierten Trompeten). Der Bogen ist bei Neumann wie bereits in Leipzig stark gespannt, was ihm wichtiger zu sein scheint als das ausführlich dargelegte Detail. Der Gestus tritt so deutlich in den Vordergrund, „Kleinigkeiten“ lenken so nicht weiter ab. Dabei helfen die „beseelten“ Trompeten aus Böhmen ganz besonders. Das Holz lässt Neumann spielen, als wäre es von einer Klezmer-Kapelle entliehen, also mit einem gewissen authentisch-jüdischen Akzent. Das wurde in den beiden anderen Einspielungen nicht ganz so deutlich. Die Höhepunkte wirken zugespitzt.
Der zweite Satz wirkt wie bereits in Leipzig 1965 schroff, wild und zugespitzt. Es sind nur geringe Unterschiede zu erkennen (wenn man von der Klangtechnik einmal absieht). Die Stimmen fließen nun mehr ineinander. Das tschechische Eliteorchester zeigt bereits 1977 traumhaft sicheres Zusammenspiel. Es konnte bereits auf eine gewisse lange währende Mahler-Tradition zurückblicken. Wir erinnern: Die Uraufführung der 7. Sinfonie fand mit diesem Orchester 1908 in Prag statt. Die Darbietung wirkt bewegt, das Spiel intensiv. Das sagenhaft druck- und glanzvolle Blech ist gerade beim Choral eine wahre Wonne.
Beim Scherzo wirken die Tänze tapsiger, der Walzer schwerfälliger, der Ländler unbeholfener, was den folkloristischen Bezug deutlicher werden lässt. Das Derbe wird betont, das elegant Wienerische tritt dagegen zurück, an Intensität des beredten Spiels und an der erforderlichen Zuspitzung mangelt es nicht. Das poetische Corno obligato überzeugt eher noch mehr als in Leipzig. In diesem Scherzo gibt es viel aufblitzendes Wetterleuchten.
Leider wurde Neumann auch im Adagietto etwas langsamer. Aber halb so schlimm, denn selbst durch den unglaublich dünnen und harten Klang der tschechischen Original-CD klingt es noch warmherzig und frei von Übertreibungen. Klare Linie, unsentimental.
Auch das Rondo bekommt nun ein langsameres Tempo „verpasst“, es wirkt zudem weniger dringlich aber die Steigerung über den Satz gesehen fängt das wieder ein. Selten wird der Choral mit einer solchen Erhabenheit fast schon zelebriert. Und der Trompetenglanz der Tschechen ist mehr als die Krönung. Fantastisch. Musikalisch wäre diese hochkarätige Darbietung ohne weiteres höher einzustufen, aber vor allem der weniger als bescheidene Klang der CD vermiest das Erlebnis an der Musik nachhaltig. Da macht selbst der Oldie schlechthin, die Einspielung von Bruno Walter von 1947 mehr Spaß. Wohl dem der noch die alte LP sein Eigen nennt.
Die LP birgt sogar noch eine originale Quadro-Aufnahme in ihrer Rille, aber wer kann die heute noch so abspielen? Die LP von 1977 oder 78 ist der CD von 1990 deutlich vorzuziehen. Die CD lässt die tschechischen Violinen untypisch blechern (!) klingen und das ganze Orchester dünn und eng. In der Gesamtausgabe aller Mahler-Sinfonien unter Vaclav Neumann soll das, wie zu lesen ist, deutlich verbessert worden sein. Das Orchester klingt im Tutti deutlich weniger transparent als bei kammermusikalisch besetzten Passagen, die man als klar und gut gestaffelt bezeichnen kann. Die CD entwertet die ganze Aufführung. Die LP ist tonal erheblich ausgewogener, klarer auch im Tutti (!), dynamischer, viel räumlicher und im direkten Vergleich mit einer gewissen Herzenswärme ausgestattet. Musikalisch ist diese Einspielung unserer Ansicht nach in etwa zwischen der Leipziger Eterna-Einspielung von 1965 und Neumanns Exton-Aufnahme von 1993 einzuordnen. Näher an 65 als an 93.
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4
Rafael Kubelik
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München
DG
1971
11:36 13:47 17:17 9:44 15:23 67:47
Kubelik hat die Musik Mahlers durch Dirigenten wie Bruno Walter, Erich Kleiber und Fritz Busch kennengelernt und ließ sich von ihr faszinieren. Er wurde zu einem der Protagonisten der Mahler-Renaissance nach dem 2. Weltkrieg. Seine erste Aufnahme der Fünften stammt von 1951 und entstand in Amsterdam live mit dem Concertgebouw-Orchester. Leider hatten wir darauf keinen Zugriff. Die spätere Live-Aufnahme aus München von 1981 wurde bereits ziemlich weit oben gelistet. Sie ist der älteren, die auch innerhalb der DG-Gesamtaufnahme nicht unbedingt zu den Highlights gehört, überlegen.
Kubelik beginnt mit einem flotten stark akzentuierten Trauermarsch in Soltis Tempo von 1970, rhythmisch betont und fast zackig in der Schrittfolge. Es verbleibt so sicher nicht ungewollt ein „militärischer“ Rest bei allem allgemeinmenschlichen Zuschnitt des Satzes. Der Zugriff wirkt dramatisch und musikantisch. Das Orchester sollte mit dem Mahler´schen Idiom gut vertraut sein, denn die Fünfte war die Sinfonie, die die Gesamtaufnahme Kubeliks abschloss. Kleine Präzisionsmängel im Zusammenspiel sind jedoch nicht zu überhören.
Auch im zweiten Satz scheint sich Kubelik an dem Tempo von Solti zu orientieren. Lebendig, stürmisch und rubatofreudig lässt er das Orchester bis an seine Grenzen gehen, was nach unserem Empfinden der Interpretation sehr guttut. Leider fehlt es der Aufnahmetechnik an den angemessenen Mitteln um das aufgetriebene, wild zerklüftete Orchesterspiel des BRSO adäquat einzufangen. Es klingt fast nach einer Kammerorchesterbesetzung, es fehlt einfach der bestmögliche Ausdruck der Wucht, die ein großes Orchester das aus sich herausgeht hervorbringen kann. An die Realität kommt eine Aufnahme ohnehin nicht heran. Ansonsten erfolgt die Darbietung mit der Inbrunst des Mahler-Pioniers der zweiten Generation. Es fehlt an der bestmöglichen Stimmentransparenz.
Auch das Scherzo wirkt drängend. Trotz des flachen Klangbilds erscheint die Stimmentransparenz hier besser, wahrscheinlich weil das Orchester nicht so sehr bis an die dynamischen Grenzen gefordert wird. Das Spiel zeigt Feingefühl, ohne je schwerfällig zu werden. 1981 wirkt es live jedoch bereits geschmeidiger, auch im Solistischen, und die einzelnen Stimmen haben mehr Bindung zueinander, sind besser miteinander verzahnt. 1971 wirkt das Orchester auch noch nicht so innig mit der Fünften vertraut wie 10 Jahre später. Ein ehrfurchtgebietendes Corno obligato verschafft sich von weit her Gehör. Die Stretta gelingt wirklich wild.
Wie die drei Sätze zuvor wird das Adagietto ebenfalls etwas zügiger gespielt als 1981. Es fehlt insbesondere in den expansiven Passagen das Leuchten und die klangliche Wärme der Live-Aufnahme. Da hat sich die DG, auch wenn man das AD mit in Betracht zieht, nicht mit Ruhm bekleckert. 71 wirkt die Musik etwas drängender, ungestümer, live 1981 wirkt sie zärtlicher. Die Harfe ist gut hörbar, aber ohne jeden Körper sendet sie nur so etwas wie „Klangpünktchen“ aus.
Im Rondo wirkt die Entdeckerfreude reduziert, der Held gibt sich mehr als der Genießer, der zwar noch nicht gerade an jeder Ecke seines Weges stehenbleibt, aber seinen Gang vom Dunkel ins Licht doch hörbar genießt. Es ergeben sich dabei für den Hörer durchaus Längen. Klanglich wirkt der Satz am wenigsten gelungen, was vor allem an der reduzierten Transparenz liegt. Das Klangbild macht einen überfüllten Eindruck.
Der Klang der Aufnahme könnte als sehr präsent gelobt werden, wenn manche Instrumentengruppen nicht gar so dicht wirken würden und das Ganze körperhafter und besser gestaffelt worden wäre. Das Klangbild ist flach wie eine Flunder und sehr wenig plastisch. Es müsste erheblich transparenter und luftiger klingen. Kein Wunder, dass es den Verantwortlichen bei der DG angst und bange wurde, als sie ihre Aufnahme mit dem Konkurrenzprodukt von Decca mit Solti von 1970 verglichen haben. Nur die Violinen klingen bei beiden ähnlich verunglückt, vielleicht in München nicht ganz so rau und etwas weicher bei niedrigen Lautstärken. Insgesamt klingt die DG viel spröder als die Audite zehn Jahre später.
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4
Bernard Haitink
Concertgebouw Orchester Amsterdam
1970
Philips
12:16 13:59 17:56 10:36 15:43 70:30
Nun geht es also um die erste von vier vorhandenen Aufnahmen mit Bernard Haitink. Es kamen im Laufe der Jahre noch die 86er Live-Produktion eines vom Fernsehen zu Weihnachten (auch vom ZDF) ausgestrahlten Konzertes mit dem Amsterdamer Orchester, dann 1988 die bereits vorgestellte mit den Berliner Philharmonikern und noch ein Live-Mitschnitt mit dem Orchestre Nationl de France von 2004 (bei Naive) hinzu, den wir nicht kennenlernen konnten.
Mit dem fabelhaften Klang der anderen Einspielungen (Tennstedt 1990, Chailly 1996, Jansons 2007) des Orchesters ist die 1970er noch nicht ausgestattet. Es klingt weniger ausgewogen, dabei vor allem das Holz und da besonders die Oboe noch erheblich dünner und härter. Der typische Mahler-Klang stellt sich jedoch bei einem Orchester dieser Klasse sofort ein. Die Solotrompete wird nur sehr wenig exponiert. Da haben die späteren Einspielungen einen genaueren, schärferen Fokus darauf. Das COA 1970 spielt jedoch immer noch genauer als das New Philharmonia 1969 mit Sir John Barbirolli. Das nur zur besseren Einordnung.
Der zweite Satz erklingt nicht ganz mit der möglichen Ausdruckstiefe und -kraft. Das Tempo wirkt stimmig, die Choral-Vision wirkt gut herausgearbeitet. Beide ersten Sätze wirken jedoch insgesamt nüchtern.
Das Scherzo erfährt eine insgesamt angemessene Darstellung, die nur vereinzelt etwas ins Stocken gerät.
Das Adagietto klingt gegenüber der Berliner Aufnahme Haitinks noch lange nicht so langsam und traumverloren, die Tendenz dazu ist jedoch bereits zu bemerken. Warum der Dirigent 18 Jahre später so sehr verlangsamt, ist aber noch nicht zu erahnen. Das Vibrato wirkt teilweise etwas forciert. Die Harfe kommt sehr schön heraus.
Das Rondo wirkt nur zu Beginn drängend. Insgesamt zeigt der Satz eher wenig Tatkraft. Die Stimmen werden anders als bei der Kubelik-Aufnahme ein Jahr später transparent gehalten. Der Verlauf zeigt eine gewisse Steigerung. Das Spiel wirkt nun etwas erwärmender, aber wenn man es mit den neueren Aufnahmen des Orchesters vergleicht doch noch ziemlich eckig. Die Höhepunkte könnten vor allem dynamisch erhabener herauskommen.
Immerhin wirkt der Klang der Aufnahme etwas transparenter als die zeitlich Benachbarte der DG mit Rafael Kubelik. Auch sie wirkt jedoch eher flach denn tief gestaffelt und wenig körperhaft. Mit wenig Tiefgang (Bass) ausgestattet wirkt sie recht ausgewogen und etwas weicher als die DG von 1971. Also auch nicht mehr ganz mit der Härte der Philips-Aufnahmen der 50er und früher 60er Jahre. Die Dynamik ist ganz in Ordnung, kommt aber bei weitem nicht an die Solti-Aufnahme des gleichen Jahrgangs heran. Nur der Klang der Violinen wirkt authentischer und angenehmer als bei der Decca-Aufnahme. Die Philips-Aufnahme wirkt noch nicht ganz frei und muss noch auf die pralle Fülle späterer Produktionen verzichten. Gran Cassa und Tamtam sind kaum hörbar. Summa summarum: etwas dünnblütig und karg, wenn man weiß, wie das Orchester (heute) wirklich klingt.
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4
Maurice Abravanel
Utah Symphony Orchestra
Vanguard
1974
10:52 12:27 15:47 8:07 14:10 61:23
1946, sofort nach dem Zweiten Weltkrieg, ging Abravanel nach Australien. Er leitete eine Konzertreihe der Sydney Symphony Society mit zehn Konzerten. Nach einem Jahr entschied er sich wieder nach Nordamerika zurückzukehren. Wieder in New York City wurde er darauf aufmerksam, dass das Sinfonieorchester in Utah einen neuen Dirigenten suchte. Abravanel interessierte sich sofort für die Stelle. Sein Manager Arthur Judson (1881–1975), der auch Arturo Toscanini, Bruno Walter, und Leopold Stokowski vertrat, riet ihm dringend davon ab. Er ging sogar so weit, dass er der Orchesterleitung in Utah mitteilte, Abravanel ginge niemals nach Utah. Andere Freunde wie Kurt Weill versuchten ihn davon zu überzeugen, dass dies keiner guter Plan sei. Judson trat nun mit einem sehr lukrativen Fünfjahresvertrag bei der Radio City Music Hall in New York mit einem jüngst vergrößerten Orchester an Abravanel heran. Das Jahresgehalt dieser Stellung war mit das höchste, was man zu dieser Zeit als Dirigent verdienen konnte. Abravanel lehnte den Vertrag mit der Begründung ab, dass diese Stelle ihm nicht dazu verhelfen werde, die Musik aufführen zu können, die er selbst aufführen wollte. Auf einer Konzertreise nach San Francisco machte er persönlich einen Halt in Salt Lake City und sprach mit den Verantwortlichen des Orchesters. Diese boten Abravanel die Stelle an. Abravanel hatte noch das Angebot, in Los Angeles einen Film mit der Musik Edvard Griegs zu machen und ein gut dotiertes Angebot des Houston Symphony Orchestra anzunehmen. Da er selbst schon von der Stelle in Salt Lake City begeistert war, lehnte er die anderen Angebote ab und nahm die Stelle an. Das war 1946. Er blieb bis 1979 im Amt. Die Einspielung von Mahlers Fünfter ließ der Dirigent im Alter von 71 Jahren vornehmen. Maurice Abravanel vervollständigt das Quintett von Dirigenten, die als erste eine Gesamtaufnahme aller Sinfonien Gustav Mahlers vorlegten. Die anderen waren, wir erinnern uns: Bernstein, Haitink, Kubelik und Solti.
Seine Einspielung der Fünften dürfte noch am ehesten an die flotten Tempi Bruno Walters herankommen. Man hat dabei das Gefühl, dass der Dirigent sehr wohl weiß, was er will, dass ihm dabei das Orchester jedoch nicht bis in jede Nuance zu folgen vermag. Die Triolen der Solotrompete klingen wie von Mahler gewünscht flüchtig. Das gelingt so selten. Der Trauermarsch wirkt erstaunlich flüssig und gesanglich, dabei rhythmisch stark akzentuiert. Das Orchester gehört leider nicht zur Crème de la Crème, zumindest nicht mit Mahlers Fünfter. Es vermag zwar den komplexen Orchestersatz vollgültig wiederzugeben, aber die Art des Vortrags bleibt stets etwas flüchtig. Zwar spontan, aber andererseits auch so, dass man meint, dass es das Orchester nur gerade so halbwegs präzise hinbekommt. Das ist für Abravanel jedoch kein Grund, das Tempi etwas zurückzunehmen. Keine Komfortzone für das Orchester der Mormonenstadt.
Der zweite Satz klingt wohl stürmisch, aber kaum vehement, das Orchester kommt deutlich an seine Grenzen. Besonders bei den Holzbläsern bemerkt man einen gewissen „Wildwuchs“ im Zusammenspiel besonders bei schnellen Passagen. Es erscheint für diesen wild zerklüfteten Satz zu wenig kontrastreich und dynamisch gehemmt, sodass Nachdruck und Wucht aber auch der für diesen Satz ganz besonders typische Kontrastreichtum fehlen. Der Choral wirkt ohne jede Pathetik und ziemlich glanzlos. Wenn die Präzision eine bessere wäre, man könnte (lange vor Roger Norrington) darüber staunen, wie schlank Mahler klingen kann.
Im Scherzo klingt das Holz so urwüchsig-unkultiviert, dass man schon eine gewisse Absicht unterstellen kann (insbesondere bei der Oboe). Dem Ländler wird so eine zusätzliche Derbheit verliehen, die sf wirken ebenso schroff betont. Der Walzer hingegen wirkt so betont geschliffen und elegant, dass sich zum Ländler ein besonders drastischer Kontrast ergibt. Im Scherzo hören wir das Orchester mit einer erstaunlich klaren Transparenz. Drängende Passagen werden sehr gut umgesetzt, die Tänze mit „Begleitung des Todes“ (Knochengeklapper) wirken mysteriös wie selten einmal und wechseln sich mit „Jahrmarktsequenzen“ ab. Schostakowitsch lässt grüßen. Die Kraftentwicklung an den Höhepunkten erscheint eher schwach.
Im Adagietto nähert sich Abravanel auffallend dem schnellen Tempo Bruno Walters an. Leider tut sich der Klang mit der von Mahler an einer Stelle explizit geforderten „Wärme“ sehr schwer. Es fehlt einfach am erforderlichen Schmelz. Es wird uns kein Bad in wohlklingender Kantabilität gegönnt. Vielmehr erscheint dieser Satz von einer brennenden jugendlichen Ungeduld erfüllt. Uns erscheint das sehr passend.
Im Rondo sind erneut nicht alle spieltechnischen Probleme gelöst. Wenn man darüber weghören kann, ergibt sich eine lichte und spannend gehaltene Darbietung des letzten Satzes und beim Choral schwingt sich das Orchester zu einer schönen gemeinsamen Glanzleistung auf.
Ein Hauptproblem der Einspielung sind die hellen, inhomogenen und rauen Violinen und die generell nicht auf dem höchsten Stand befindliche Perfektion, an die man sich heute gewöhnt hat. Großes Plus war die für damalige Verhältnisse weit vorangetriebene Stimmentransparenz, musikalisch und aufnahmetechnisch und wie wir meinen einige eigenständige Lösungen, die aufhorchen lassen und die von einem tiefen Verständnis der Komposition zeugen.
Der Klang der Aufnahme lässt die Streicher (insbesondere die Violinen) ein wenig zurückgesetzt erscheinen, zudem klingen sie etwas spröde. Der Gesamtklang könnte weicher und voller sein und erscheint nicht ganz frei, aber recht luftig. Der Transparenzgrad ist hoch. Der Dynamik des großen Orchesters war die Klangtechnik nicht gewachsen, sie wirkt abgeregelt. Die Ortbarkeit einzelner Instrumente ist sehr gut. Es herrscht allenthalben eine gewisse Trockenheit vor, es klingt also keine Spur „saftig“. Das Orchester wirkt so viel „dünner“ besetzt als es wahrscheinlich tatsächlich war. Trompete und Horn treten in den Sätzen 1 und 2 jeweils kaum als obligate Instrumente in Erscheinung.
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4
Klaus Tennstedt
New York Philharmonic Orchestra
NYP Live
1980
13:41 14:30 18:24 11:34 14:27 72:06
Dies ist der Mitschnitt eines Konzertes in der Avery Fisher Hall. Herr Tennstedt war damals dabei seine Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien für EMI zu erstellen. Die Fünfte hatte er allerdings vor drei Jahren bereits eingespielt. Man bemerkt jedoch einen bereits souveräneren Umgang mit der Musik, was selbstverständlich mit der hohen Mahler-Kompetenz der New Yorker Philharmoniker zu tun haben könnte. Der Mitschnitt, so reduziert er in seiner klangtechnischen Qualität auch sein mag, zeigt doch erneut (schon vor den Mitschnitten in London und Amsterdam) davon, dass und warum Tennstedt in der anglo-amerikanischen Welt ein gefeierter Mahler-Dirigent war.
Wiederum zeigt sich im Trauermarsch ein pietätvolles Schreiten, düster und verhangen, desillusioniert. Die Entladungen kommen bereits genauso emotional und geschärft wie 1988 in London. Das Orchester spielt sehr motiviert, wenn auch nicht so perfekt wie zehn Jahre später später die Amsterdamer. Über ein paar kleinere Patzer im Blech kann man hinweghören, wenn man die erhöhte Spannung der Live-Darbietung gegenüber der zerstückelt wirkenden Studioaufnahme von 1978 dagegen aufwiegt. Das Orchester spielt ansonsten sehr konzentriert und ausdrucksvoll. Die Solotrompete hatte leider nicht ihren besten Tag.
Noch deutlicher heben sich die drei Mitschnitte im zweiten Satz von der Studioaufnahme ab, denn die Darstellung bringt (wie alle drei Live-Darbietungen Tennstedts) ein mehr an fieberhaft aufgewühlter Stimmung. Die Überlegenheit der New Yorker Streicher (Violinen!) gegenüber den Kolleg/innen des LPO wird deutlicher als im ersten Satz. Die aufgebotene Dynamik wird leider von der Technik des Mitschnitts ziemlich deutlich ausgebremst. Der Spannungsbogen wirkt gespannter als im Studio 1978.
Das Scherzo erscheint durchaus mit Elan aufgeladen, wobei uns manch ein Tempo etwas zügiger noch besser gefallen hätte und farbiger klingen könnte. Insgesamt wirkt es 1978 im Studio sogar etwas lebendiger. In New York erscheint der Gestus zwar kraftvoll, aber auch etwas betulich. Die feurige Stretta kann als Markenzeichen Tennstedts gelten (Mahler fordert sie auch „Sehr wild“).
Wie üblich gibt Tennstedt beim Adagietto auf die überlieferten Tempi der vorhandenen Tondokumente Mengelbergs und Bruno Walters nicht viel, sondern hält sich strikt an die Partitur-Anweisungen. Es wird also ziemlich langsam gespielt, traumverloren, man könnte auch schreiben wunderbar realitätsfern, aber nicht ohne Intensität. Elegisch angehaucht und wenig unbekümmert. Weitgehend akzentfrei und ein wenig gezogen wirkt der vierte Satz kantabel. Wenn man es denn noch wirklich singen könnte, aber mit dem Atem würde es schon schwierig werden.
Mit Drive und Elan, fröhlich-angetrieben und mit dem Biss der 1977 in London noch fehlte macht das Rondo viel Freude. Obwohl den Hörnern ein paar Patzer unterlaufen ist dies der beste Satz der Aufführung. Grandioser Jubel in New York, wo man Herrn Tennstedt ganz besonders verehrte.
Der Klang ist erheblich dumpfer als 1978 und in den beiden anderen Mitschnitten. Es klingt also etwas verhangen und weniger voluminös, räumlich kleiner und sehr trocken. Die Instrumente scheinen sehr dicht zusammengerückt zu spielen. Dynamisch ist der Mitschnitt weiter eingeschränkt als 1978 in London, die Violinen klingen im Gegenzug weniger grell. Das Klangbild wirkt noch weniger brillant als 1978, aber doch erheblich natürlicher proportioniert. Leider fehlt es an Volumen und Rundung. Glücklicherweise sind wir auf diesen Mitschnitt, der musikalisch stimmiger wirkt als die Studioaufnahme nicht angewiesen, denn 1988 in London und noch mehr 1990 in Amsterdam übertrifft man die Darbietung musikalisch und vor allem klanglich die New Yorker deutlich. Live scheint Tennstedt zu großer Form aufzulaufen, während die Korrekturmöglichkeiten im Studio seinen Erzählfluss und Spannungsaufbau zu behindern scheinen.
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4
Jascha Horenstein
Berliner Philharmoniker
Altair, Pristine
1961, live
13:09 16:05 18:57 9:37 16:18 74:06
MONO Von den Philharmonikern aus betrachtet könnte das ihre erste Aufnahme mit Mahlers 5. Sinfonie sein, während es vom Dirigenten noch eine frühere Aufnahme von 1958 mit dem LSO und eine spätere von 1969 mit dem Göteborger Sinfonieorchester gibt. Beide Aufnahmen sind ebenfalls bei Pristine erschienen und gehen auf die private Sammlung eines Cousins des Dirigenten zurück. Wir haben uns für unseren Vergleich auf die Aufnahme mit den Berlinern beschränkt, die auf eine Rundfunkausstrahlung vom Edinburgh-Festival zurückgeht, bei der Horenstein den erkrankten Rafael Kubelik vertrat. Der englischen Anmoderation, die sich noch auf dem Tondokument befindet, ist zu entnehmen, dass auch WDR und HR der Live-Übertragung angeschlossen waren.
Während der erste Satz sehr düster, kraftvoll und spannend wirkt, wundert man sich über das bereits ausgefeilt wirkende Spiel des Orchesters, das angeblich noch bei Karajan 1973 einen gewissen „Trainingsrückstand“ aufzuholen hatte. Vielleicht hatte Karajan die Proben nötiger als die Philharmoniker? Widerstände im Orchester sind für uns den Mitschnitt aus Edinburgh hörend nicht erkennbar. Allerdings wirkt die Mono-Technik sehr pauschal. Dennoch gibt es zarte Passagen zu bewundern und die Dramatik wird voller Emphase ausgespielt, wenn sich unsere Ohren nicht täuschen. Leider spielt die Trompete nicht immer ganz perfekt und die Höhepunkte können auch mal ein bisschen verwackelt klingen. Horenstein hatte wahrscheinlich als Einspringer nicht viel Zeit für gemeinsame Proben.
Im zweiten Satz gerät das Tempo etwas zu gedehnt, vor allem, wenn Mahler weitere Verlangsamungen verlangt. Wenn man schon zu langsam anfängt wird es schnell so langsam, dass sich die Satzstruktur aus den Augen verliert. Horenstein orientiert sich offensichtlich nicht an Bruno Walter. Der Choral wirkt ebenfalls langsam, jedoch sehr bewegt. Horenstein hat sich offensichtlich viele Gedanken gemacht, denn die Vision des Paradiso und sein Werdegang sind bei ihm quasi mit Händen zu greifen.
Trotz der langen Spielzeit klingt das Scherzo noch ausgewogen und musikalisch. Das Corno obligato ist klanglich nicht gerade exponiert eingefangen worden, angesichts der überlieferten bescheidenen Klangqualität wäre das auch zu viel verlangt. Das Blech präsentiert sich jedoch in guter Form, klingt sonor, kraftvoll und mit viel Gewicht. Das Orchester präsentiert sich überhaupt auch im Scherzo gut vorbereitet und geht sehr gut auf die Besonderheiten des Dirigats ein. Es wird farbig und pointiert gespielt, weiß Gott nicht gerade schnell, aber detailreich, mit viel Emphase und gekonnten Rubati. Schade, dass Horenstein Mahlers Verlangsamungen hoch 2 nimmt. So kommt auch im Scherzo die Struktur nahe an die Zerreißprobe. Andere „Episoden“ wirken dann wieder forciert. Eine Darbietung mit Ecken und Kanten, interpretatorisch, nicht spieltechnisch.
Das Adagietto wirkt hingegen sehr expressiv, bewegt, vital, rubatoreich und leidenschaftlich. Das aufmerksame, detailreiche Spiel des Orchesters gefällt. Schade, dass gerade im Adagietto die Übertragung gestört wird. Horenstein verliert dankenswerter Weise die Zeit nicht aus den Augen.
Das Rondo erklingt kraftvoll aber nicht gerade entschlossen oder geradlinig auf das Finale zusteuernd. Eilig hat es unser Held in dieser Aufnahme nicht. Horenstein lässt sich nicht zur äußerlichen Brillanz verführen, lässt es zwar langsam, aber immerhin noch pulsieren. Die Berliner spielen so intensiv, als ob sie Mahlers Fünfte bereits liebgewonnen hätten. Gezogener Choral.
Die Aufnahme klingt blechern, sehr wenig präsent, mitunter verzerrt und ziemlich grau in grau. Echte Dynamik darf man nicht erwarten. Die Philharmoniker sind nur mit der akustischen Lupe zweifelsfrei wiederzuerkennen. Klanglich kommt die Aufnahme nicht an die 47er mit Bruno Walter heran. Ziemlich miserabel, aber noch kein völliges Fiasko. Bestimmt aber auch kein Klanggenuss. Rege Publikumsgeräusche vor allem während der Satzpausen unterstützen dieses Mal die Live-Spannung der Sendung mehr als dass sie stören würden. Summa summarum: Eine Darbietung von Rang in einem nahezu unwürdigen, aber historisch interessanten Klangrahmen.
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3-4
Jewgeni Swetlanow
Russian State Symphony Orchestra
Warner, Chant du Monde, Harmonia Mundi
1995, live
14:36 14:38 19:22 9:50 14:11 72:37
Swetlanow leitete das Orchester ab 1965 35 Jahre lang. Die Aufnahme von Mahlers Fünfter machte er recht spät in seinem Dirigentenleben mit 67 Jahren. Nach der Perestroika und dem Zerfall der Sowjetunion wurde das früher Staatliches (Akademisches) Sinfonieorchester der UdSSR genannte Orchester umbenannt. Große Sorgen mussten sich die russischen Orchester damals um ihre Qualität machen, denn viele Musiker nutzen die neuen Freiheiten, um sich eine Stelle im Ausland zu suchen. Das Swetlanow-Orchester klingt jedoch kultivierter als 1974 mit Kyrill Kondraschin, falls es denn tatsächlich dasselbe gewesen sein sollte. Wir mussten da ein kleines Fragezeichen dahinter stehenlassen. Der verbesserten technischem Perfektion steht jedoch ein Nachlassen der besonders spontan und sehr spannend wirkenden Spielweise bei Kondraschin entgegen. Aus dem eruptiv-dynamischen Trauermarsch Kondraschins wird bei Swetlanow ein langsam-deprimierter Marsch, der kaum noch des Jammerns fähig scheint, so wenig Kraft scheint angesichts der Trauer noch übrig geblieben zu sein. In der Entwicklung des Satzes wird er dann langsam kräftiger und wuchtiger. Der Klang des Orchesters wirkt schon gewissermaßen internationalisiert, denn das Blech hat seine typische Ruppigkeit und den silbrig hell-schneidenden Glanz schon fast gänzlich verloren. Der Tuttiklang wirkt nun geradezu einnehmend und nur noch schwach gewürzt mit dem stahlharten Klang von Blech und Holz der vergangenen Jahre. Wir lauschen einer „echten“ Begräbnismusik, nach Kondraschin kommt einem Swetlanows Tempo fast wie eine Zeitlupe vor, ermattet, entkräftet und sehr dunkel. Bei Swetlanow wird die Solotrompete wenig exponiert.
Der tatsächlichen Spielzeit des zweiten Satzes sieht man die gefühlte Langsamkeit der Darbietung nicht an. Sie wirkt auch erstaunlich wenig vehement und dynamisch wenig geweitet. Das Blech erscheint der kräftigen Attacke, die man von früheren Aufnahmen des Dirigenten her kennt und somit erwartet hätte, zwar noch fähig, es wird jedoch kaum dazu aufgefordert. Die Darstellung dieses wild und abgrundtief zerklüfteten Satzes wirkt ziemlich „altersmilde“. Es fehlt an der geforderten Vehemenz des Ausdrucks und stürmisch wirkt der Satz auch nicht. Bei der Choralvision allerdings, die wie aus dem Nichts erscheint, erstrahlt das Blech im alten Glanz und, was wirklich erstaunt, plötzlich in einem hurtigen Tempo. Dabei schreibt Mahler, als ob er eine solche „Entgleisung“ vorhergesehen hätte, extra „Nicht eilen“ hinzu.
Das Corno obligato spielt von weit her aus der Hörnergruppe heraus ohne besonders hervorgehoben zu werden jedoch sehr sauber. Swetlanow siedelt seine Tempi am Rand zur Langsamkeit an. „Nicht zu schnell“ wird in „sehr langsam“ übersetzt. Das Blech klingt nun angemessen derb, jedoch völlig ohne den ironisch-sarkastischen Unterton, den Kondraschin der Musik so überzeugend mitgegeben hat. Das Holz agiert nun bei Swetlanow nur leidlich plastisch und es hat den frechen, aufmüpfigen Unterton bei Kodraschin eingebüßt. Bei „etwas ruhiger“ wird Swetlanow „deutlich ruhiger“. Der Walzer klingt nun süßlich und scheint einer Traumsequenz entkommen zu sein. Das Orchester klingt viel feiner als bei Kondraschin, spielt aber auch so, als ob eine andere Sinfonie auf den Pulten läge. Das Scherzo klingt seltsam uneigentlich, wie entrückt. Erst in der Stretta kommt Swetlanow so richtig zur Sache, wie man ihn von seinen Schostakowitsch- und Tschaikowsky-Aufnahmen her kennt. Dass sich Schostakowitsch gerade für seine Tanzsätze viel bei Mahler abgeschaut hat, macht Kondraschin viel deutlicher. Swetlanows Interpretation des Scherzos spricht für viel Eigenständigkeit, kann uns aber nicht restlos überzeugen.
Das Adagietto haben wir innerhalb unseres Vergleiches schon sauberer gespielt und mit wärmerem Klang gehört. Ansonsten keine weiteren Besonderheiten aus Moskau.
Im Rondo scheint Herr Swetlanow endlich richtig aufgetaut zu sein. Gegen Ende fehlt allerdings die von Mahler geforderte stetige Beschleunigung.
Der Klang der Aufnahme mitspricht weitgehend den Idealen der 90er Jahre. Weiträumig und wie im Konzertsaal gestaffelt. Präsenz ist nicht mehr das zuoberst anzustrebende Gut. Offen, weich und transparent ist die Aufnahme allerdings schon. Dass die Dynamik nur noch mittelmäßig erscheint passt zum großformatig-weiträumigen Grundzug der Aufnahme. Die Gran Cassa klingt nur sehr schwach, das Blech lange nicht mehr so dominant wie bei Kondraschin. Es ist nun in den Gesamtklang integriert. Insgesamt eine ordentliche Klangqualität.
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3-4
Alexander Sladkowsky
Tatarstan National Symphony Orchestra
Melodija
2016
12:56 14:10 17:43 11:27 14:45 71:01
Bis Mitte der 30er Jahre stand Mahler in Russland (bzw. ab 30. Dezember 1922 auch noch zu Beginn der Sowjetunion) noch oft auf den Programmzetteln der avancierten Orchester. Die Aufführung seiner Werke wurde jedoch Mitte der 30er Jahre wie in Nazi-Deutschlang auch hier verboten. Seltsame Duplizität der Ereignisse, die darauf hinweist, wie es damals um den Antisemitismus in der Sowjetunion bestellt war. Im Wesentlichen änderte sich diese Einstellung erst mit Kyrill Kondraschin und seinen Aufnahmen. Nach seiner Emigration in den Westen wurden seine Einspielungen in der Sowjetunion nicht mehr offiziell vertrieben, geschweige denn neu aufgelegt. Sie gerieten dann in seiner Heimat mit Absicht alsbald in Vergessenheit.
Tatarstan liegt übrigens noch in Europa, südwestlich vom Uralgebirge verortet und ist eine der wohlhabendsten und bevölkerungsreichsten Teilrepubliken Russlands. Die große Eigenständigkeit (eigene Wirtschaftspolitik!) wurde durch einen Erlass Moskaus erst vor ein paar Jahren stark eingeschränkt. Die Teilrepublik ist vom Islam geprägt.
Alexander Slatkowsky, von Yuri Temirkanov gefördert und Assistent von Mariss Jansons und Rostropowitsch, wollte Mahler wieder populärer machen. Er war Chefdirigent der Musiker aus Kasan (der Hauptstadt von Tatarstan) von 2010-2016.
Die Qualität des bei uns fast völlig unbekannten Orchesters überrascht. Anscheinend will man es mit den besten russischen Orchestern aus Moskau und St. Petersburg aufnahmen können, was durchaus gelingt.
Ganz entspannt und in sich versunken und kaum unter Spannung gesetzt macht sich im ersten Satz Resignation breit. Damit ist Sladkowsky wesentlich näher bei Swetlanow als bei Kondraschin. Die bisweilen irrlichternden Ausbrüche wollen anscheinend bewusst nicht zum eigentlichen Marsch passen. Das Orchester wirkt von A bis Z hochklassig besetzt, wirkt homogen und ausdrucksvoll. Wir kannten zuvor nur Tschaikowsky-Aufnahmen mit Samuel Friedmann bei Arte Nova und staunten nun nicht schlecht. Anscheinend sind die Probleme durch schlechte Instrumente und der Mangel an Zubehör- und Ersatzteilen (zumindest 2016) behoben.
Im zweiten Satz ist die völlige Transparenz des zweiten Satzes mittlerweile anscheinend auch ganz weit im Osten Europas eine Selbstverständlichkeit. Es fehlt auch nicht an der Vehemenz im Ausdruck und am stürmischen Charakter zu Beginn. Der Ausdruck verflacht jedoch wie im ersten Satz in eine ausweg- und kraftlose Haltung, ohne jede Spannung und mit wenig Aufbegehren gegen das Schicksal. So spannungslos sollte der interne Kampf ums eigene Überleben angesichts des Bewusstseins vom Tod, der nun einmal jedermann lebenslang bedroht und irgendwann heimsucht, sicher nicht stattfinden. Er wird erst spät angenommen und in Ausdruck umgesetzt. Dann aber heftig und kontrastreich. Als vierzigste Aufnahme gehört wirkte die Einspielung des zweiten Satzes ziemlich gewöhnungsbedürftig.
Zum Scherzo: Subtil interpretiert und makellos im Solistischen ist allerdings die Tendenz auffällig, das Tempo anzuziehen, wenn die Dynamik des Orchesters stark gefordert wird. Dass das so gut klappt (es erfordert eine gut trainierte Koordination des Zusammenspiels) deutet sowohl auf eine souveräne Beherrschung des Metiers als auch auf sorgfältige Proben hin. Ob einem diese Art des Rubato gefällt, steht auf einem anderen Blatt. Das Corno obligato könnte in dieser Verfassung eine Zierde in jedem mitteleuropäischen Toporchester sein.
Das Adagietto klingt recht feinsinnig und einfühlsam, wobei es durch das langsame Tempo eine melancholisch-verträumte Aura bekommt. Es wird nahezu hingebungsvoll musiziert, zu einem Intermezzo mag dieses Adagietto allerdings weniger taugen. Uns wirkt es bei aller klanglichen Klasse zu sehnsuchtsvoll-verzehrend. Bruno Walter würde mit dem Kopf schütteln und Willem sowieso. Das Verschwinden der Musik im pppp gelingt sehr gut.
Das Rondo hat ein paar Längen, da hat Herr Sladkowsky sein Vorbild Kondraschin ein wenig aus den Augen verloren und neigt erneut dem Gestus Swetlanows zu (was eigentlich tendenziell für alle Sätze gilt). Die Tempi wirken langsamer und schwerer als es uns die Uhr suggerieren will. Die Höhepunkte wirken gewichtig und man kann keinen Sinn für Kondraschins Ironie oder gar Sarkasmus erkennen. Orchestral ist diese Einspielung top.
Während bei Kondraschin ein Spiel auf Messers Schneide und mit einer auf die Spitze getriebenen Ausdruckshaftigkeit vorherrscht, bietet die vorliegende Einspielung nur an den Satzenden etwas Nervenkitzel. Die Darstellung hat sich dem internationalen Mainstream weitgehend angenähert. Es ergeben sich wenig Unterschiede zu den Aufnahmen von Ivan und Adam Fischer oder Osmo Vänskä, nur um ein paar Beispiele von sehr vielen möglichen zu nennen.
Der Klang ist transparent und räumlich, hat eine gute Tiefenstaffelung und ist im Dynamischen gut, aber nicht überragend. Wo ist eigentlich die Gran Cassa geblieben? An sie können wir uns nicht erinnern.
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3-4
Leif Segerstam
Danish National Radio Symphony Orchestra
Chandos
1994
13:06 14:26 19:29 11:44 16:05 74:50
Leif Segerstam war von 1988 bis 1995 Chefdirigent des Kopenhagener Orchesters; er war zur Zeit der Aufnahme 50 Jahre alt.
Das Orchester verfügt über einen sehr transparenten, plastischen Bläsersatz bei dem allenfalls die Hörner etwas zu hintergründig klingen. Die Dynamik in den aufgewühlten Passagen ist sehr gut, der Marschcharakter wird deutlich gemacht aber nicht ausgewalzt. Insgesamt wirkt der erste Satz ausdrucksvoll und keinesfalls nordisch unterkühlt.
Zu Beginn des zweiten Satzes wirkt der Gestus wild und stürmisch, im Verlauf wird es jedoch immer wieder zu statisch. Dabei werden die Tempoanweisungen sehr sorgfältig unterschieden, bisweilen allerdings zum Langsamen hin übertrieben. Bei der Hinleitung zur lebendiger wirkenden Choral-Vision wählt der Finne ein recht hohes Tempo und die Vision wirkt selbst wenig pathetisch und kaum aufgebauscht.
Zu Beginn des Scherzos wirkt der Satz noch recht lebendig, bald wird jedoch im Tempo stark nachgegeben. Immer wieder werden jedoch kräftige Akzente gesetzt, sodass der Tanzcharakter immer noch ein bisschen lebendiger herauskommt als beim spannungslosen Zinman. Nicht zuletzt durch das präsentere Blech. Sehr genussvoll darf sich das Orchester bei den lyrisch geprägten Passagen aussingen. Dabei lässt man sich viel Zeit. Insgesamt wirkt der Satz trotz des wirklich langsamen Tempos nicht statisch und langweilig. Das liegt am sehr schönen, atmenden Spiel des Orchesters mit seiner sprechenden Phrasierung und seiner lebendigen Artikulation.
Wie bereits bei Sladkowsky zuvor und bei vielen anderen Dirigenten auch stellt Segerstam im Adagietto die Partiturangaben bezüglich des Tempos in den Vordergrund. Die Plattenpioniere Willem Mengelberg und Bruno Walter, die Mahler noch persönlich gekannt haben, interessieren ihn nicht oder er kennt sie gar nicht. Demgemäß wirkt es im Ausdruck wieder sehnsuchtsvoll-melancholisch und im musikalischen sämig. Der gute Harfenklang steht in einer plausiblen Relation zum Streichorchester. Uns geht der Hang zum Schmerzlichen allerdings ein bisschen zu weit. Trotz des gemeinhin trennenden Altersunterschiedes von 20 Jahren zwischen Alma und Gustav oder der Skepsis Gustavs, seine Alma vielleicht doch nicht für sich gewinnen zu können, hört es sich doch zu sehr nach einer „Abschiedsmusik“ an. Die Glissandi klingen nicht gerade synchron. Seltsamerweise klingen die Streicher alleine weniger natürlich, als wenn man sie mit dem kompletten Orchester gemeinsam hört.
Das Rondo wirkt allerdings viel zu beschwerlich und lahm um die frisch hinzugewonnenen Lebenskräfte anschaulich werden zu lassen. Das Orchester ergeht sich nun in schulmeisterlichem Schönspiel (und das beherrscht man gut, denn die Dänen sind mittlerweile in Europas Spitze vorgedrungen). Es gibt sozusagen einen Kurs in „Eleganz bei langsamem Tempo“. Liebevoll aber ohne Verve und Drang nach vorne. Breiter ganzvoll-triumphaler Choral. Die Stretta klingt viel zu gemütlich, wie eine Beschleunigung mit angezogener Handbremse.
Der Klang der Chandos-Aufnahme wirkt warm, weich, bassstark und satt. Die Staffelung erfolgt klar und deutlich in einer großzügig anmutenden Räumlichkeit. Die Aufnahme ist gerade noch präsent genug, um den Bläsersatz gut hervorzugeben. Die Dynamik wirkt recht lebendig, reißt aber keine Bäume aus. Die Gran Cassa wurde nicht vergessen.
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3-4
Adam Fischer
Düsseldorfer Symphoniker
Cavi
2017, live
12:09 14:22 17:42 10:06 15:05 69:24
Adam Fischer ist seit 2015 erster Konzertdirigent der Düsseldorfer Symphoniker, einem Orchester, dass auch Dienste im Düsseldorfer Opernhaus als ein Teil der Deutschen Oper am Rhein zu erfüllen hat. Daher bestellt man zusätzlich einen GMD in erster Linie für die Oper, der aber für beide Häuser in Düsseldorf und Duisburg zuständig ist (derzeit Axel Kober) und einen ersten Konzertdirigenten, der nur für Düsseldorf bereitsteht. Die Duisburger Philharmoniker, das Orchester das neben seiner Konzerttätigkeit auch das Opernhaus in Duisburg bedient, haben wir bereits mit ihrer Aufnahme der Fünften unter Jonathan Darlington vorgestellt. Adam Fischer war zur Zeit der Einspielung übrigens 68 Jahre alt.
Das Konzert wurde in der Tonhalle zu Düsseldorf aufgenommen und aus drei Konzertabenden zusammengestellt. Das Orchester klingt sehr gut, die Violinen machen da keine Ausnahme. Die Posaunen erscheinen uns demgegenüber nicht ganz auf derselben Höhe. In Sachen Präzison wirkt es nicht immer ganz auf den Punkt gebracht. Die Trompete bringt das Beiläufige der Triolen gut heraus und wirkt auch sonst gut ausgeschlafen und stressresistent. Das Orchester lässt den typischen Mahlerklang mit den speziell „jüdisch eingefärbten“ Sound sehr gut erkennen. Diese jüdische Komponente wird lange nicht immer bemerkt und nur selten so gut ausgespielt. Sie war unteren anderen auch in der Einspielung von Ivan Fischer gut vernehmbar. Auffallend ist weiter die Flöte am Satzende, jedoch nur weil sie zu laut spielt, sie sollte ppp spielen. Insgesamt klingt Mahler im ersten Satz bei Adam Fischer in D´dorf als spätromantischer Klassiker. Es gibt kein übermäßig tiefes Schluchzen und Seufzen
Zwar vehement und stürmisch intoniert bleibt man dennoch ein Gran im Impetus und den zu erreichenden Extremwerten schuldig. Die kantable Linie mit schön-üppigen Klangfarben liegt dem Orchester besser (vielleicht auch aufnahmetechnisch bedingt). Das Ergebnis ist dennoch sehr respektabel für ein Orchester, das normalerweise eher im Operngraben beschäftigt ist. An das traumwandlerisch sichere Zusammenspiel des Concertgebouw Orchesters oder des BRSO kommt es jedoch nicht heran. Auffallend gut abgestimmtes und daher gut hörbares Tamtam.
Unforciert, mit reichhaltigen Nuancen und lebendiger Phrasierung gespielt, gefällt das Scherzo sehr gut. Auch wenn die Violinen mitunter ganz leicht ins schwimmen kommen, vor allem in den schnell zu spielenden Passagen, können sie an anderer Stelle wieder glänzen. Das weich klingende, flexible Corno obligato gefällt ebenfalls. Beim Walzer wähnt man sich in Wien. Die Pizzicato-Passage wirkt wundervoll unbeholfen. Und die Oboe wirkt genauso wie sie an der betreffenden Stelle sein soll: Schüchtern.
Das Adagietto wirkt fließend-geschmeidig und weich wie es sein soll. Die Harfe klingt besonders gut und ist sehr aufmerksam ins Klangbild integriert worden, oft genug wirkt sie wie ein unbedeutendes, beiläufiges Anhängsel. Dieser Satz klingt besonders gut.
Das Rondo erscheint uns zu introvertiert und behutsam, da fehlt die Chuzpe, die selbstbewusste, draufgängerische Virtuosität. Diese Einspielung kommt ohne die überfliegende Virtuosität aus, was sie irgendwie sympathisch und bodenständig wirken lässt. Sie zeigt viel Einfühlungsvermögen ins Mahler´sche Idiom, bleibt aber insgesamt doch zu zurückhaltend, wenn es um die verschiedenen Grade von Sturm und Drang geht. Insgesamt also reduzierte Glut.
Der Klang der Aufnahme ist sehr transparent, weich, voll, recht sonor und natürlich. Die Soli werden nicht extra herausgehoben. Der Klang könnte jedoch präsenter sein. Vor allem dem Holz fehlt die nötige unterstützende Profilierung durch die Klangtechnik. Die Durchschlagskraft in Dynamik und Bass wirkt gut.
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3-4
Gerard Schwarz
The Colburn Orchestra
Yarlung Records
2011, live
10:57 12:54 17:20 9:13 13:40 64:04
Die Colburn School ist eine Ausbildungsstelle für darstellende Künste, besonders für angehende Musiker/innen (aber auch Tänzer/innen) aller Altersstufen. Das Orchester ist ein Ensemble des Colburn Conservatory of Music in Los Angeles (die Colburn School gibt es in mehreren Städten der USA). Es sind mittlerweile einige auch bei uns in Deutschland bekannt gewordene Künstler unter den Alumni, z.B. Michael Tilson Thomas, Anne Akiko Meyers, Leila Josefowicz, Jennifer Frautschi, Danielle de Niese, Robert Chen, d.h. vor allem Geiger und Geigerinnen. Die Aufnahme der Fünften entstand live an einem Abend und wurde nicht bearbeitet, damit die Live-Atmosphäre erhalten bleibt. Es gibt auch ein „Reel to Reel“ (Tonband) der Aufnahme zu kaufen, das allerdings ziemlich teuer geraten ist. Die Aufnahme erfolgte so wie wir das erkennen konnten auf analogem Weg. Gerard Schwarz, langjähriger Musikdirektor des Seattle Symphony (1985-2011) und, allerdings deutlich kürzer, des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra (2001-2006) hat zwar einige Mahler Sinfonien aufgenommen, die Fünfte war jedoch nicht dabei zumindest nicht mit seinen „Hausorchestern“. Wenn man ein wenig sucht, findet man jedoch (wo sonst?) eine Aufnahme aus Japan mit ihm und dem Tokyo Philharmonic Orchestra auf dem Label Fun House von 1994. Das Colburn Orchestra leitet Schwarz als Gast. Schwarz begann seine Karriere übrigens als Solotrompeter beim New York Philharmonic, das war zurzeit als Pierre Boulez dort Chef war. Schwarz´ Lesart merkt man ihren Übervater Bruno Walter noch deutlich an, wenn auch nicht in allen Bereichen.
Der Beginn des ersten Satzes wirkt straff und extrem dynamisch, der Trauermarsch im Anschluss scheint ausschließlich aus Olympioniken zu bestehen, so schnell marschiert man da zum Grab. Der Satz wirkt stark zugespitzt und enorm dramatisch aufgeladen. Das Orchester zeigt für ein Studentenorchester gutes Niveau, kann aber nicht mit der Jungen Deutschen Philharmonie und auch nicht mit dem Simon Bolivar Youth Symphony Orchestra mithalten, zumindest was die Violinen und die Hörner anlangt.
Der zweite Satz zeigt die technischen und klanglichen Mängel des Orchesters noch deutlicher auf, das betrifft auch die Cello-Monodie. Die Mängel werden jedoch mit jugendlicher Empathie, Ungeduld und kräftigem Vorwärtsdrang aufgewogen. Dass die tragische Dramatik dieses anspruchsvollen Satzes voll eingelöst wäre, lässt sich jedoch nicht behaupten.
Im Scherzo erklingt das Corno obligato überaus präsent. Man hat es innerhalb unseres Vergleiches (die Aufnahme war die 98ste Einspielung, die gehört wurde) selten so deutlich herausgehört. Es macht seine Sache gut, aber im Vergleich nicht überragend und klingt zudem etwas blechern. Man misst sich durch die weltweit veröffentlichte Aufnahme allerdings zwangsläufig mit der Elite. Auch dieser Satz bringt das Orchester empfindlich an seine Leistungsgrenzen. Die verschiedengestaltigen Charaktere wollen erstmal mit ihren vielen verschiedenen Tempi und Ausdrucksbereichen dargestellt werden. Nicht alle Phrasen werden glücklich zu Ende gebracht, was auch an den schnellen Tempi des Dirigenten liegen mag. Obwohl: hektisch wirken sie eigentlich nicht. Dennoch gibt es einige Unsicherheiten. Die Steigerungen gelingen jedoch teilweise ganz super. Die „Jugendfrische“ ist dabei unüberhörbar.
Das Adagietto wirkt klanglich leider nicht ganz ausgewogen, da die Violinen ein wenig gestresst klingen, gerade wenn es um die Darstellung von Leidenschaft geht. Da fehlt dann doch noch die Homogenität der Profis.
Bei den Fugati des Rondos fallen auch Mängel der anderen Streicher-Sektionen besonders ins Auge. Der Gestus jedoch passt. Freudig, fröhlich, tatendurstig, wohlgemut und fest entschlossen geht es in die Welt hinaus um allem zu trotzen, was da noch kommen mag. Gut akzentuiert und sehr transparent scheint dem Orchester gerade das Rondo besonders gut zu liegen. Das hohe Tempo wird gut bewältigt. Ein nicht immer intonationsreiner aber sehr fröhlicher Kehraus.
Die Aufnahmetechnik schien sich von den Living-Presence-Aufnahmen Mercurys inspirieren zu lassen. Da wird hautnahe Präsenz geboten und ein enorm hohen Ausgangspegel. Das bedeutet, das Orchester klingt bereits in leisen Passagen sehr laut. Vorsicht ist also bei den Passagen in ff und mehr geboten. Die Lautstärkerelationen werden nämlich realistisch wiedergegeben. Der nicht besonders groß oder gar ausladend wirkende Raum wird prall vom Orchester ausgefüllt Das heißt luftig klingt die Aufnahme überhaupt nicht, eher trocken und kompakt. Und sehr dynamisch. Die Violinen klingen etwas unpersönlich und matt, gar stumpf und, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht besonders homogen. Das Schlagwerk und das Blech hat man jedoch selten (wenn überhaupt) so unmittelbar und präsent gehört, das wirkt schon spektakulär. Leider war uns die Einspielung nur im datenreduzierten Streaming verfügbar. Wie sie erst in ihrer originalen High-Res-Auflösung klingen mag?
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3-4
Rudolf Schwarz
London Symphony Orchestra
Everest, Beulah
1958
12:49 14:05 18:10 7:32 16:43 69:19
Diese Aufnahme ist die erste Stereo-Aufnahme von Mahlers 5. Sinfonie und erst die dritte kommerzielle Aufnahme (nach Walter 1947 und Scherchen 1951) überhaupt, wenn man einzelne Aufnahmen des Adagiettos allein und Rundfunkmitschnitte einmal außeracht lässt.
Rudolf Schwarz, der heute weitgehend unbekannte Dirigent aus Wien, arbeitete in Düsseldorf und Karlsruhe und mit George Szell und Josef Krips zusammen bevor er wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen wurde. Er verließ Deutschland nicht, warum wissen wir leider nicht. Es kam schlimm: 1943 Deportation nach Auschwitz, Sachsenhausen und Bergen-Belsen. Nach dem Krieg Ausreise nach Schweden und England mit Positionen in Bournemouth, Birmingham und schließlich 1957 beim Londoner BBC Symphony Orchestra bis 1963. 1964-1973 beim Northern Symphony Orchestra (Leeds).
Dieser Einspielung ging unmittelbar eine Produktion der BBC mit dem LSO und Jascha Horenstein voraus, warum Everest die Platte dann nicht auch mit Horenstein produzierte, erschließt sich nicht unmittelbar. Wahrscheinlich gab es vertragliche Bindungen, die beachtet werden mussten. Rudolf Schwarz war bei der Einspielung 53 Jahre alt.
Das LSO zeigt sich trotz der Arbeit an der Fünften im Rahmen der BBC-Aufnahme mit Horenstein erstaunlicherweise wenig vertraut mit der Materie, offenbart von ihm ungewohnte Präzisionsprobleme des Blechs schon gleich beim ersten Einsatz des Tutti und auch später immer mal wieder. Das ist man wirklich nicht von ihm gewohnt. Es hatte zwar zwischen Josef Krips, der 1954 beim LSO aufhörte und Pierre Monteux, der erst 1960 Chef beim LSO wurde, keinen verantwortlichen Chef, aber daran kann es wohl nicht gelegen haben. Aus der Zeit zwischen 1954 und 1960 sind zahlreiche hervorragende Aufnahmen mit dem LSO auf den Markt gekommen. Die Darbietung erscheint dennoch emotional, zwar wie ein Kondukt zu sein hat, aber doch nicht so „einsilbig“ wie bei vielen anderen Einspielungen, sondern mit einer reichen Ausdruckspalette. Schwarz lässt das Orchester (nicht nur durch die zweifelhaften Präzisionsprobleme bedingt) nach Klezmer-Musik klingen. Dazu lässt er beispielsweise die Klarinetten regelrecht hervorstechen. Das klingt insgesamt direkt und unmittelbar, mit einer stoischen Grimmigkeit und sehr bitter.
Bei der Musik des zweiten Satzes hat sich das Orchester ebenfalls noch nicht gefunden, hat die Musik noch lange nicht verinnerlicht, worauf zahlreiche Intonationsmängel und Mängel in der Präzision des Zusammenspiels hinweisen. Das zeigt erneut auf, wie schwierig die Fünfte selbst der Orchesterelite Ende der 50er Jahre noch gefallen ist. Das LSO klingt rauer als üblich. Schwarz bemüht sich jedoch sehr um expressives Spiel und das Orchester zeigt, dass es trotz der Probleme genug „Biss“ hat. Das zählt beim zweiten Satz nicht wenig, der heutzutage meist viel zu lasch daherkommt. Allerdings fehlt es sogar der Cello-Monodie an Präzision, ein echter Nachteil für diese Passage, die nur richtig wirken kann, wenn die tiefe Empfindung ungestört bleibt. Die Choral-Vision lässt sich Reserven für den „echten“ Höhepunkt, seine Reprise im Rondo.
Im Scherzo lässt Schwarz der Musik Zeit zum Atmen, er verschleppt die Tempi jedoch nicht. Sein Zugriff wirkt lebendig und direkt. Ein gutes Scherzo, bei dem das Orchester aber auch nicht besser spielt als bei den beiden Sätzen zuvor, also etwas holprig. Das Corno obligato kommt ungeschoren, d.h. ohne auf die Tücken der „Glücksspirale“ hineinzufallen, durch den Satz, wahrscheinlich wird es von Barry Tuckwell geblasen, der von 1955-1968 Solohornist des LSO war.
Das Adagietto steht noch ganz unter dem Eindruck Willem Mengelbergs oder Bruno Walters, was man am sehr zügigen Tempo ablesen kann. Ein echtes „Lied ohne Worte“, wie es sich Mahler vielleicht vorgestellt haben mag und wie es die Partitur-Anweisungen eigentlich nicht hergeben. Dem „Intermezzo“-Charakter zwischen den beiden großen Satz-Blöcker zuvor und danach wird es so vorbildlich gerecht. Das LSO spielt sehr intensiv, motzt aber nichts auf.
Das Rondo wird in eine sehr schöne Balance gebracht. Das Spiel des Orchesters gefällt hier gemeinsam mit dem Adagietto am besten. Es bringt Vorwärtsdrang mit, aber auch eine gewisse Verspieltheit. Die Artikulation wirkt sorgfältig, Flüchtigkeiten fallen nicht mehr ins Auge. Das Tempo befindet sich vielleicht gerade deshalb am langsamen Ende der möglichen Tempo-Skala. Für unseren Geschmack wäre etwas mehr Drive und Überschwang wünschenswert gewesen, wie sie dann die in der Aufnahmegeschichte folgenden Einspielungen vier und fünf mit Bernstein und Leinsdorf mitbringen. Hier wirkt es noch etwas steif.
Die Klangqualität zeigt ein gutes Niveau der Endfünfziger Jahre, offen, dynamisch, recht klar und präsent. Um ein gut klingendes Exemplar der Aufnahme zu bekommen, sollte man möglichst ein neues vom Masterband gezogenes Remaster (LP oder CD) in Erwägung ziehen. Im Netz gibt es zum Download miese Kopien, die von einer LP gemacht wurden.
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3-4
Osmo Vänskä
Minnesota Orchestra
BIS
2016
13:06 15:36 17:38 12:37 16:23 75:20
Auch Osmo Vänskä begann seine Gesamteinspielung der Mahlersinfonien mit der Fünften. Der Dirigent war dabei 63 Jahre. Es scheint derzeit nur noch die 3. Sinfonie zu fehlen, wobei die von fremder Hand vollendete Zehnte bereits eingespielt wurde.
Zum zweiten Mal werden wir innerhalb des Sinfonien-Zyklus Mahlers mit dem Tod konfrontiert. Beim ersten Mal wurde der „Titan“ aus der 1. Sinfonie zu Beginn der Zweiten zu Grabe getragen, jetzt starb das Kind aus dem letzten Satz der 4. Sinfonie, wie Mahler einmal andeutete. Bei Vänskä wirkt diese Konfrontation zwar streng, aber doch introvertiert, durchaus bewegt geschildert und dramatisch. Das jüdische Idiom herauszustellen gelingt Vänskä nicht weniger gut als den beiden Brüdern Fischer, soweit wir das beurteilen können. Während Ivan Fischer noch mehr Details aus der Musik schlägt und dadurch anrührender wirkt, wirkt sie bei Vänskä etwas zupackender, auch wenn man den Gestus nicht mit der packenden, vehementen Dramatik Soltis (1970) vergleichen sollte. Am Spiel des Orchesters aus dem mittleren Westen gibt es aus technischer Sicht nicht das Geringste auszusetzen. Auch beim Dirigenten, obwohl vor dieser Aufnahme lediglich mit einem „Lied von der Erde“ aus den 90er Jahren am Tonträgermarkt vertreten, scheint Mahlers Musik in sicheren Händen.
Im zweiten Satz packt Osmo etwas heftiger zu als Ivan, ohne jedoch an die Drastik Soltis (1970) auch nur annähernd heranzukommen. Die Dringlichkeit geht leider bald verloren. Obwohl das Orchester zum leisesten ppp fähig ist und auch im ff kaum zurücksteckt, also starke Kontraste hervorzaubern könnte, ergeht man sich doch mehr in lauwarmer Larmoyanz, ertrinkt fast in Selbstmitleid. Da wünscht man sich schon beinahe die Einspielungen zurück, die bei unserem fiktiven Helden eine bipolare Persönlichkeit vermuten und die Kontraste schärfen oder sogar auf die Spitze treiben. Mahlers Polyphonie wird diese Einspielung dagegen im höchsten Maß gerecht. Osmo Vänskä lässt sogar auf dem Tonträger eine extra lange Satzpause zwischen dem zweiten und dem dritten Satz.
Fast gespenstisch transparent dann das Scherzo, das recht flott (wenn man z.B. Jansons, Bernstein (1987) oder Ivan Fischer nimmt) daherkommt und durchaus pointiert gespielt wird (was für ein raffinierter Walzer!). Das Spiel wirkt kammermusikalisch. So wie man sich bei den echten Live-Einspielungen an die Kickser des Corno obligato gewöhnt hat, so sehr hat man sich an die exzellente Qualität bei den Studioeinspielungen gewöhnt.
Dem Adagietto geht die Klarheit der Einspielung Ivan Fischers ein wenig ab. Es klingt jedoch ebenso zärtlich und dauert sehr lange, manchmal findet man eben einfach nicht gerne ein Ende, wenn man seine Geliebte liebt; es sei verziehen, wenn es so schön klingt. Vom „Intermezzo“-Charakter muss man sich dann aber verabschieden. Legitimiert durch die Tempoangaben ist Vänskäs Tempo auf jeden Fall. Klingt dann aber immer nostalgisch wie ein Blick zurück in die Vergangenheit.
Auch im Rondo begegnen wir keinen emotionalen Exzessen, wohl aber wieder dem Sinn für das geschliffene Detail. Der Satz entwickelt sich ohne Druck (wie bei den Gebrüdern Fischer, Semyon Bychkov oder anderen). Bei Walter, Bernstein, Solti und Kubelik, also den älteren Generationen hörte sich das noch ganz anders an. Mahler ist mittlerweile zum Klassiker geworden, der inzwischen leicht und locker von der Hand geht. Es gibt keine Widerstände mehr zu überwinden, weshalb auch kein Durchsetzungswille mehr erforderlich zu sein scheint. Die Orchester können das, das Publikum ist so oder so begeistert, warum also brennen für das Werk? Man verliert sich ein wenig in den Details.
Diese SACD haben wir ebenfalls nur in Stereo gehört. Auch in diesem Modus klang es bereits räumlich, farbig, weich und schön abgerundet. Bestechend ist der hohe Grad an Transparenz, wobei man Ivan Fischers Aufnahme diesbezüglich noch knapp den Vortritt lassen muss. Da klingt es noch radikal klarer. Der Klang der Violinen kann man als „süß“ bezeichnen. Die Präsenz ist ein wenig besser als bei Ivan Fischer. Summa summarum: klanglich hervorragend gelungen.
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3-4
Neeme Järvi
Scottish National Orchestra
Chandos
1989
13:03 14:05 18:09 10:44 14:02 70:03
In dieser Aufnahme ist die Solotrompete immer deutlich, obwohl sie recht weit entfernt positioniert ist. Im Trauermarsch wird der Charakter einer Trauermusik nicht verraten, man lässt das erlttene Leid aber auch nicht in emotionalen Exzessen explodieren. Man einigt sich sozusagen auf ein mittleres Ausdrucksniveau. Das Orchester spielt für Neeme-Järvi-Verhältnisse sehr präzise, was auf eine sorgfältige und ausreichende Probenzeit schließen lässt. Herr Järvi und das Orchester hatten in jener Zeit (80er und 90er Jahre) einen langfristigen Vertrag mit Chandos, der zu einer gewissen Fließbandproduktion führte, wobei die Produktionen nicht immer durchgeprobt wirkten. Chefdirigent war Neeme Järvi nur die erstaunlich kurze Zeit von 1984 bis 1988. Das Blech kommt jederzeit sehr gut zur Geltung und wirkt präsenter als in vielen anderen Produktionen, hat auch mehr Biss. Den Streichern fehlt es etwas an Wärme, Verlierer der Aufnahmedisposition ist leider das Holz.
Im zweiten Satz erlebt man wild und heftig aufgewühlte Schotten, da geht es immer tatkräftig voran und man räumt dem Satz relativ wenig Lyrik und Zeit zur Selbstbesinnung ein. Das Schlagzeug blitzt heftig auf. Das Orchester hält sich angesichts der entfachten Urgewalten recht wacker. Es fehlt hier am rückhaltlosen Sichtbarmachen der einkomponierten Tragik.
Im Scherzo fällt ins Gewicht, dass, wenn man das Spiel aufmerksam mit der Partitur vergleicht, die eine oder andere „Nebenstimme“ fehlt. Das ist aber bei fast jeder Darbietung mehr oder weniger der Fall und man sollte es nicht überbewerten. Mahler hat einfach sehr viele Stimmen eingebracht, ob man sie wirklich alle hören muss? Wir hoffen, dass der Komponist im Himmel den letzten Satz nicht liest, sonst ginge es uns wahrscheinlich schlecht…
Das pp könnte etwas leiser sein, wo ist der Unterscheid zum p? Die Hörner kommen immer gut ins Bild, was viel zur Atmosphäre beiträgt (wir denken etwa an die Stimmung in den Almen der Mahler´schen Sommeraufenthalte) und einfach wunderbar klingt. Die Trompeten klingen dagegen etwas weit entfernt (sonst ist es meist genau umgekehrt). Trotzdem gibt es mitunter Balanceprobleme, z.B. bei T. 344 sind die Violinen im pp lauter als das Corno obligato im p. Meistens legt sich das Corno jedoch keine Zurückhaltung auf und ist sich seiner solistischen Rolle sehr wohl bewusst. Das „heftig drängend“ 4 T. vor Zi. 17 bleibt ganz aus. Das Blech in seiner ganzen Pracht gehört nicht zu den kultiviertesten, es klingt dann auch mal etwas plärrend. Sehr gute, wilde Coda.
Beim Adagietto wünschte man sich zuallererst einen wärmeren Klang der Violinen, den Gestus einer Liebeserklärung trifft man ansonsten nämlich ganz gut, die Musik bleibt fließend und wahrt die Balance. Die Harfe erhält den ihr gebührenden Stellenwert, nicht zu hintergründig, aber auch nicht als sprudelnde „Brausetablette“ wie bei Gielen.
Beim Rondo geht es ein wenig hurtig drüber weg. Man bemerkt kaum Tempomodifikationen. Trotzdem wirkt der Gestus lebendig, das spezifisch Drängende, Abenteuerlustige vermisst man hingegen. Erneut sehr gut gefällt die Äquilibristik der Hörner gegenüber dem restlichen Blech. In vielen Aufnahmen werden die Hörner einfach zu leise dargestellt, wodurch man sich einer sprudelnden Quelle der Vitalität versagt. Wenn man schon einmal sechs gute Hörner beisammenhat, soll man sie auch hören und nicht verstecken. Man muss sich allerdings auch auf die sechs verlassen können. Die Standfestigkeit des Blechs in diesem Satz gefällt ebenfalls. Den Choral lässt Järvi im Schnellzugtempo durchspielen, das fff beim pesante kommt nicht richtig raus, weshalb der Choral als eigentlicher Höhepunkt verschenkt wird. Das ist dann schon zu viel des Britischen Understatements.
Dieses Mal hat man das Schottische Nationalorchester nicht wie üblich in Glasgow aufgenommen, sondern in Dundee. Der weite, aber nicht wie oft in Glasgow hallig wirkende Klangraum passt gut zur Musik. Erfreulicherweise hört man das Tamtam als Instrument der Todesverkündung sehr gut. Aufmerksame Tontechniker, die wissen, worauf es ankommt waren da am Werk, Die Staffelung ist gut, auch in der Tiefe, ebenso Transparenz und Präsenz. Auf der Negativseite bleiben die relativ kalten Klangfarben und die relativ schwache Gran Cassa.
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3-4
Klaus Tennstedt
London Philharmonic Orchestra
EMI
1978
13:49 15:11 18:02 11:55 16:14 75:11
Zu den vier vorgestellten Einspielungen Klaus Tennstedts gesellt sich noch eine fünfte. Sie erfolgte live mit dem NDR-Sinfonieorchester, die bei Hänssler erschienen ist. Ob ihr das Prädikat erste Aufnahme Tennstedts zukommt, wissen wir nicht, denn wir hatten keinen Zugriff auf sie. Er war jedenfalls ab 1979 Chefdirigent beim NDR in Hamburg, löste seinen Vertrag jedoch 1981 vorzeitig. Beim LPO war er zuerst Guest Conductor (ab 1977), von 1980-1983 Principal Guest Conductor und ab 83 dann als Nachfolger Georg Soltis Chefdirigent und Musikdirektor. Die letztgenannte Tätigkeit musste er zwei Mal aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen und 1987 aus denselben Gründen bereits beenden. Aus Respekt bestellte das Orchester drei Jahre lang keinen neuen Chef, in der Hoffnung Tennstedt könnte doch noch weitermachen. Einer seiner Nachfolger im Amt beim LPO, Kurt Masur, soll einmal im Green Room in Cleveland zu einem Kollegen über Tennstedt gesagt haben; „Er ist Feuer, wenn ich Wasser bin.“ Von den vier uns bekannten Tennstedt-Einspielungen ziehen wir alle Live-Einspielungen dieser Studio-Einspielung vor. Dass Tennstedt ein „Live-Dirigent“ gewesen sei behaupten ja viele, die ihn gut gekannt haben. Aufgrund seiner Hinterlassenschaft bzgl. Mahlers Fünfter ließe sich das vorbehaltlos bestätigen. Zur Zeit der Einspielung war Tennstedt 52 und er stand dem Orchester noch als Gast vor.
Im ersten Satz kombiniert man ein recht breites Tempo mit einer nervös und unstet erscheinenden Emotionalität, bei dem man sich auf die dynamischen Entladungen stürzt wie der Teufel auf die arme Seele. Das klingt zwar ziemlich spannend und wird auch engagiert gespielt, man geht aber im Dynamischen nicht immer achtsam genug vor. Das Spiel des Orchesters wirkt nicht gerade überragend. Es legt im Live-Remake zehn Jahre später an Vertrautheit mit dem Werk zu und zeigt infolgedessen eine deutlich vervollkommnete Perfektion.
Im zweiten Satz eröffnet man mit einer dynamisch zupackenden, kraftvoll und aufgewühlt-stürmischen Gewitterstimmung. Er wird mit viel Spannung und Emotionalität gespielt, wobei das Klangbild nicht immer klar genug durchgezeichnet erscheint. Bei hoher Dynamik klingt das Orchester auch mal schrill, was wir auf mangelnde Präzision zurückführen und nicht als zusätzliche Ausdrucksnuance verstehen. Das Emotionale erscheint etwas überbordend. Der Choral wird mit seltener Inbrunst gespielt. In Verbindung mit der gebotenen Klangqualität, auf die wir wie gewohnt am Ende noch eingehen wollen, wirkt die Musik überlastet oder überladen.
Beim Scherzo wirken die „lustig“ instrumentierten Passagen locker und duftig (wie denken an die Wiesenblumen der Alm), bei starker Dynamik und Massierung des Instrumentariums wird der Klang leider dick und klobig. Dem tänzerischen Gestus wird stattgegeben, wobei wir den Eindruck hatten, es handelt sich um eine schemenhafte Traumwelt, wie bei den Wunderhorn-Liedern. Das Corno obligato hat gut gefrühstückt und das ganze Blech klingt hier nun extrem satt und allzu dominant. Immerhin wirkt der Gestus so sehr kontrastreich und lebendig. Das Finale des Satzes heizt Tennstedt dramatisch auf und die Stretta klingt richtig wild, was übrigens zu einem Markenzeichen für den Dirigenten werden soll, wie man an allen weiteren Einspielungen hören kann.
Das Adagietto kommt nicht ganz ungedehnt davon. Es stellt sich zudem eine „tristanesk sehrende“ Sehnsucht ein, die bei einem flotteren Tempo, heller, frischer und letztlich jugendlicher gewirkt hätte. Am „Intermezzo“-Charakter musiziert man sehr ernst vorbei. Tennstedt erkennt nicht an, dass unser Held (und wir als Hörer/innen) bereits im Scherzo einen gewissen Teil des Weges aus der Dunkelheit zurückgelegt haben. So musiziert wäre das Adagietto eher ein weiterer Rückschlag als ein Sprungbrett ins Glück. Aber, wie wir wissen, lässt Mahler durch seine Tempoangaben diese Deutung durchaus zu, oder sagen wir besser, er schließt sie nicht aus. Seine Apostel Mengelberg und Walter werden von Tennstedt jedenfalls überhört. Kann er ja, vielleicht fühlt er sich ja selbst als einer? Dass die Violinen so hell klingen, hätte ihm aber auffallen können und dass man von der Harfe so wenig hört ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Er und sein Orchester haben es später viel besser hinbekommen, ohne sich untreu zu werden.
Im Rondo lässt es Tennstedt ganz betulich beginnen. Später wird zwar empathisch gesteigert, aber der Satz hätte viel mehr Biss vertragen. Man orientiert sich stark an der Stimme der ersten Violinen, denen eine gewisse Vorfahrt gewährt wird, infolgedessen sie über Gebühr herausklingen. Tennstedt ist auch 1978 bereits ein Freund eines imposant ausgestatteten Chorals.
Der Klang ist nur in der Breite gut gestaffelt und nicht immer transparent genug. Er wirkt nicht gerade „hellhörig“. Den Erfordernisse an die geweitete Dynamik des großen Mahler-Orchesters ist die Analogaufnahme nicht immer gewachsen („Bandsättigung“, auch „Übersteuern“ genannt stellt sich ein). Ansonsten wirkt das Klangbild recht weich und füllig, wobei die hellen Violinen nicht vorteilhaft wegkommen. Bei hoher Dynamik kommt etwas Schärfe in den Klang. Insgesamt fehlt die straffe Kontur. Insgesamt also eine eher unbefriedigende Klangqualität.
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3-4
Adrian Leaper
Orquestra Filarmónica de Gran Canaria
Arte Nova
1996
12:11 13:42 17:08 9:28 15:21 67:50
Dem Orchester vona den Kanaren stand der britische Dirigent von 1994 bis 2001 vor, bevor er zum Sinfonieorchester des spanischen Rundfunks und Fernsehens nach Madrid wechselte. Er war zur Zeit der Einspielung 43 Jahre jung.
Ein größerer musikalischer Gegensatz als zur obenstehenden Einspielung mit Klaus Tennstedt ist kaum denkbar. Leaper legt seine Einspielung auf Geradlinigkeit an, bleibt dabei aber etwas unentschieden an der Oberfläche. Der erste Satz wirkt leichtgewichtig und eher sanftmütig als schwer und dunkel. Nicht jeder, der bei einem Kondukt mit geht ist gleichermaßen tief verzweifelt. Mahlers Anforderungen an den Satz wird also nicht ganz entsprochen.
Im zweiten Satz fehlt der große Bogen, denn man verliert sich ein wenig in den durchweg klangschön realisierten Details. Der extrem intensivierte Schrecken der Todeserfahrung wird nur angedeutet. Dem Orchester fehlt die letzte Souveränität und agiert dann doch zu vorsichtig. Man kann sich nicht vorbehaltlos hineinstürzen in den wilden-zerklüfteten Satz. Es behält dadurch aber seine Homogenität und Präzision bei, die diese Einspielung anderen B-Produktionen (z.B. mit den Orchestern aus Jena, Halle oder Gelsenkirchen) voraushat. Demgegenüber kommt das Orchester von der Urlaubsinsel direkter zur Sache, da man mehr Impetus aufbringen kann. Der Choral klingt allerdings ohne Glanz.
Das Scherzo beginnt dagegen zurückhaltend und fast ein wenig schüchtern. Man verzichtet zwar auf die große Geste, bleibt dafür jedoch lebendig. Angesichts der technischen Hürden mancher Passagen wirkt das Orchester ein wenig zu distanziert um auch da richtig zuzupacken. Insgesamt eine sehr respektable Darstellung des Satzes mit einem gut gemeisterten Corno obligato.
Das Adagietto klingt innig, bewegt, ruhig mit stiller Passion. Es hätte etwas mehr Leidenschaft vertragen können. Dies ist jedoch wirklich nicht die schlechteste Art, das Adagietto zu spielen.
Das Rondo ist nirgends überragend, nirgends schlampig, insgesamt stimmig jedoch nicht brillant. Alles ist hörbar, wirkt jedoch wenig leidenschaftlich und etwas nüchtern. Der Choral profitiert vom klanglich etwas bevorzugten Blech. Angesichts des Kampfpreises war die Einspielung sicher bei ihrem Erscheinen eine Überlegung wert. Sie erscheint rückwirkend nicht als billig, sondern als preiswert. An die Spitzenaufnahmen kommt sie jedoch in keiner Beziehung heran.
Der Klang der Aufnahme wirkt leicht verhangen. Das Orchester wird nicht gerade breit abgebildet und wirkt bläserlastig, nicht nur das Blech kommt sehr gut zur Geltung, auch das Holz, wenn die Partitur es erlaubt. Die guten Streicher bleiben akustisch etwas benachteiligt und klingen wenig sonor. Obwohl man wenig Bass hört hat die Dynamik noch eine plausible Durchschlagskraft. Die Transparenz braucht man nicht zu monieren, zu loben allerdings auch nicht. Das Orchester erklingt aus einer ziemlich unkritischen Entfernung, nicht präsent aber auch nicht entfernt.
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3-4
Vladimir Ashkenazy
Sydney Symphony Orchestra
Sydney Symphony Live, Exton
2010, live
12:51 14:22 18:03 11:15 14:52 71:23
Vladimir Ashkenazy war von 2009-2014 Chef des australischen Orchesters, das auch das berühmte Sydney Opera House bespielt. Er war zur Zeit der Einspielung 73 Jahre alt.
Das Orchester spielt durchweg in gemessenen Tempi und macht einen weltstädtischen Eindruck. Kontraste werden nicht sonderlich forciert, obgleich sich durchaus eine Atmosphäre von katastrophischer Traurigkeit aufbaut. Auffallend ist die sehr gut durchgezeichnete Basslinie, deren Bedeutung man bei diesem Satz nicht unterschätzen sollte, denn sie beeinflusst nicht unerheblich die Stimmung mit, gerade wenn es um Unheilvolles, Schicksalhaftes, Bedrohliches oder auch nur Düsteres geht. Sie wird uns deutlich vor Ohren geführt.
Der zweite Satz beginnt recht stürmisch, vehement, mit viel Energie. Für die dramatischen Abschnitte ist gut gesorgt aber auch der Sinn für die lyrisch-resignativen Passagen scheint ausgeprägt, wobei nicht zuletzt die Klangschönheit der Einspielung einiges dazu beiträgt. Der Spannungsbogen bleibt ganz gut gespannt. Der farbenreiche Klang bringt eine respektable Tiefenschärfe mit. Dennoch hat der Gestus etwas Beschönigendes. Es fehlt wie bereits im ersten Satz der harte Kontrast. Das Orchester spielt gut ausbalanciert.
Im Scherzo macht sich eine recht schwache Akzentsetzung und ein ziemlich geringes Maß an dynamischer Abschattierung deutlicher bemerkbar als in den ersten beiden Sätzen. Es gelingt so nicht jeder gerade neu aufziehenden „Welt“ ein markantes Gesicht zu verleihen, das ginge nur mit gesteigerter Profilierung und markanter Intensität. Der Satz wirkt wie in einem durchgezogen, ohne dass man gestalterisch einmal tief eingegriffen hätte.
Sehr schön entfalten im Adagietto die Streicher ihr klangliches Potential. Sie klingen zurückgezogen, zart und subtil. Die Harfe klingt, obwohl sehr leise, mit ihrem typischen Timbre klar und deutlich durch. Zum Tempo schweigen die Genießer, denn den Glücklichen schlägt keine Stunde.
Im Rondo wählt Ashkenazy ein mittleres Tempo mit ausreichendem Schwung. Das Orchester zeigt gute Eloquenz im Solistischen. Als Ganzes klingt es warm und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, geschweige denn aus der Reserve locken. Man tendiert statt zur unbändigen Tatkraft zu einer kommoden Gemütlichkeit. Dem Choral gibt Ashkenazy eine starke Streicheruntermalung mit, er lässt es aber zugleich nicht am Blech-Glanz fehlen. Das macht dann auch mal Eindruck. Die japanischen Ingenieure zeigen wieder einmal, wie eine Aufnahme mit großem Orchester klingen kann. Auch in Down Under versteht man sich mittlerweile auf Mahlers Fünfte. Ein positiver Aspekt der Globalisierung. Hier liegt ein gutes Konzertdokument vor, das allerdings nicht aus dem Mainstream der vielen neueren Aufnahmen herausragt, weder positiv, noch negativ.
Der Klang der Aufnahme ist präsent, dynamisch, voll, prall und sinnlich, transparent, ausgewogen und natürlich. Die Dynamik wirkt vordergründig sehr gut, wenn man genauer hinhört ist sie aber in Richtung „laut“ verschoben. Früher nannte man das „Loudness-Effekt“. Das ändert aber nicht viel am brillanten Effekt, der audiophilen Wärme und der Bassgewalt dieser Einspielung. Übrigens haben wir keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass es sich tatsächlich um eine Live-Aufnahme handelt. Entweder das Publikum war vorbildlich diszipliniert, oder es war gar keins anwesend. Übrigens handelt es sich schon wieder um ein „Geburtstagsständchen“ zu Mahlers 150.
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3-4
Hartmut Haenchen
Nederlands Philharmonisch Orkest
Pentatone
2001, live
12:24 14:40 17:05 8:54 14:24 67:27
Dies ist ein Konzertmitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw. Seit der Gründung des Orchesters im Jahr 1985 bis 2002 war Herr Haenchen Chef des Orchesters, außerdem auch des angegliederten Niederländischen Kammerorchesters und zeitweise auch der Niederländischen Oper. 2023 wurde er zum Ehrendirigenten der Philharmoniker ernannt. Zur Zeit der Einspielung war er 58 Jahre.
Der erste Satz hat in diesem Konzertdokument etwas Kraftloses, aber auch etwas teilnahmslos musiziertes. Obwohl an manchen Stellen durchaus viel Kraft im Spiel ist. Der Marschrhythmus bleibt deutlich, die Stimmung wird nicht ins tieftraurige geführt. Die Violinen klingen nicht mit dem dunklen, satten Glanz des Concertgebouw-Orchesters unter Jansons, Tennstedt oder Chailly. Bei Haenchen wirkt Mahler im ersten Satz ziemlich geradlinig, es findet keine Mahler-Beschwörung à la Bernstein (1987) statt.
Obwohl das Orchester auch im zweiten Satz eigentlich mit einer guten Leistung aufwartet, wirkt er wenig schicksalhaft, teils gefühlig und ein wenig inszeniert. Der typische Mahler-Klang stellt sich in diesem Konzertsaal anscheinend trotzdem ein. Zumal im SACD-Modus. Obwohl die Violinen zu weit entfernt klingen und unterbelichtet scheinen. Der Star des zweiten Satz ist in dieser Einspielung ohne Zweifel die Gran Cassa.
Keine besonderen Vorkommnisse im Scherzo. Das Adagietto wird besonders klar und schön musiziert. Der Liebesschmerz wirkt eher sehnsüchtig-zart als verzehrend. Man kann sich in einem Traum bei einem Schläfchen auf sonnendurchfluteter Alm wiederfinden. Selten klingt dieser Satz so leicht und locker.
Das Rondo wirkt recht flott und sehr transparent, ebenfalls eher leicht und locker. Eine gewisse Zielstrebigkeit ist dem Spiel nicht abzusprechen, es fehlt auch nicht an der Wucht. Schön glänzender Choral der dem Blech (live!) ein sehr gutes Zeugnis ausstellt. Entfesseltes Orchester, entfesseltes Publikum beim Schlussapplaus. Dies Einspielung bietet viel schöne und gut gelungene Passagen, den geballten Weltschmerz und die existenzielle Bedrohung in den ersten Sätzen bietet sie jedoch nicht. Daher wirkt das „Per aspera ad astra“ weniger zwingend.
Als CD gehört bietet die Aufnahme bereits eine ausgeprägte Raumtiefe mit ausgezeichneter Abbildung, sehr gute Transparenz und eine sehr dynamisches Bassfundament. Den ersten Violinen hat man die erforderliche Präsenz vorenthalten. Der Klang weist durchaus ein paar vergleichbare Komponenten zur Amsterdamer-Jansons-Aufnahme auf (der gleiche Konzertsaal).
Als Mehrkanal-SACD gehört ergeben sich die üblichen Unterschiede: Deutlich geweitete Dynamik, noch etwas satteres Bassfundament, noch etwas klarer ausgeleuchteter Raum mit noch detaillierterer Abbildung des Orchesters. Die Textur erscheint differenzierter. Die Violinen kommen besser heraus und klingen wärmer und anrührender. Der Gesamtklang wirkt jedoch auch in diesem Format ein wenig nach hinten gesetzt. Kleine Randnotiz: Selten hat man den Klang der Triangel so fein aufgelöst gehört wie in dieser Aufnahme. Summa summarum ein feiner, etwas zu weicher Sahneklang für die audiophilen Genießer, denen es nicht so sehr darauf ankommt, dass Mahlers Fünfte in all ihren Facetten und ihrem ganzen Tiefgang hörbar gemacht wird.
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3-4
Jukka Pekka Saraste
WDR-Sinfonieorchester, Köln
Hänssler
2014, live
12:06 15:53 18:29 9:43 15:28 71:49
Herr Saraste hat die Fünfte zwei Mal eingespielt. Seine ältere Aufnahme mit dem Finnischen Radio-Sinfonieorchester gefiel uns nicht zuletzt durch die spritzigeren Tempi etwas besser als die gesetzt wirkende Kölner Produktion. Chef des Kölner Orchester war der Dirigent von 2010-2019. Zur Zeit der Aufnahme war er 58 Jahre jung.
Im ersten Satz schlendern wir durch Satz, statt zu marschieren. Eine wirklich seltsame Art des Vorwärtskommens, die jedoch durchaus noch eine tänzerische Komponente mitbringt. Emotional wirkt der Satz sehr sachlich. Da ist nicht viel Düsteres in diesem Satz. Die Darstellung des Notengeflechts ist deutlich und die große orchestrale Farbpalette könnte überzeugen, aber wo bleibt die erschütternde Dramatik des Augenblicks?
Im zweiten Satz wird die kühle Darstellung weitergeführt, man reiht sich ein in den modernen Geist Mahler zu spielen (Oramo, Fischer, Vänska…), führt ihn sogar noch etwas weiter. Der emotionale Gehalt wirkt referiert, mehr oder weniger verschleiert.
Im Scherzo bleibt das Wilde domestiziert, die Tanzseligkeit des Walzers und das burschikose des Ländlers wird geglättet, bleibt allzu lieblich. Es fehlt eine gewisse Schärfe der Artikulation auch in den lyrisch entspannteren Passagen. Am ehesten wäre die Darstellung noch elegant-fließend zu nennen. An Detailreichtum mangelt es nicht.
Das Adagietto wirkt introvertiert und träumerisch, auch wenn das Stimmengeflecht klar und deutlich herauskommt, im Ganzen ruhig und leise, den leidenschaftlicheren Mittelteil abdämpfend. Das Tempo erscheint auch im Satzzusammenhang stimmig. Dies ist vielleicht der Beste Satz dieser Einspielung.
Die von Mahler im Rondo beabsichtigte kathartische Wirkung wird weitgehend verfehlt, denn der etwas leidenschaftslos gegebene Satz lässt beim Choral den echten Durchbruch vermissen und die richtig ausgelassene Coda fehlt auch.
Fazit: Sehr gute Durchhörbarkeit, gut aufeinander abgestimmte Tempi, gute Solisten im Orchester und eine glänzende spieltechnische Bewältigung allein reichen bei Mahler bei weitem nicht aus, um ein Bild des Ganzen zu vermitteln. Man höre einmal die alte Aufnahme mit Hans Rosbaud, da hört man, was dieser Einspielung trotz all ihrer technischen Errungenschaften fehlt.
Der Klang ist gekennzeichnet von einer guten Transparenz, wobei man die letzte Klarheit nicht ganz erreicht. Der Klang wirkt aber voll, weich und recht dynamisch. Er ist eher integrierend als analytisch. Das Orchester spielt in einer mittleren Distanz zum Hörer.
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3-4
Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra
Teldec
1997, live
12:36 14:21 16:36 9:42 16:36 69:51
Daniel Barenboim ist nicht als Mahler Enthusiast hervorgetreten. Sinfonien Mahlers hat er, in Relation zu seinem sonstigen Output an Einspielungen, nur wenige auf CD aufgenommen und sich auch im Konzert nur auf die ungeraden Nummern beschränkt. Als er die Fünfte 55jährig live in Chicago aufnahm, hatte er sie jedoch schon lange zuvor in seinem Repertoire. Barenboim wurde Nachfolger Soltis in Chicago von 1991-2006. Auffallend ist auch in seiner Aufnahme wie schon zuvor bei Solti (1970) und mit Abstrichen bei Abbado (1980) die klangstarke Blechbläsergruppe des Orchesters. Die hat gegenüber den beiden Analog-Aufnahmen sogar noch etwas an feiner Kontur und Schmelz gewonnen. Bei Barenboim wirkt das Drama im Kontrast zur Solti-Einspielung von 1970 eher nur wie eine Attitüde. Das Orchester hat die Fünfte seit Solti ins Repertoire aufgenommen und wahrscheinlich verinnerlicht und zeigt entsprechende Geläufigkeit. Der Satz klingt jedoch homophoner als er ist, fast wie bei Karajan. Der Zusammenbruchähnliche Höhepunkt bei Zi. 18 ist dynamisch fast völlig verschenkt. Solotrompete und Solo-Horn sind immer sehr gut hörbar und auch wenn sie leiser als ihre orchestrale Umgebung sein sollten, lauter. Das sf am Ende klingt nur schwach.
Die stürmische Vehemenz zu Beginn des zweiten Satzes hört sich erstmal beeindruckend an. Im Verlauf klingt das Orchester jedoch oft verwaschen, die einzelnen Stimmen undeutlich, sodass man nur ein oder zwei vermeintliche Hauptstimmen zu hören bekommt. Das ist heutzutage zu wenig, bei anderen hört man einfach mehr vom Werk. Der zweite Satz ist diesbezüglich anspruchsvoller zu realisieren als der erste. Der Choral wirkt gut und ganz generell achtet Barenboim darauf, die Höhepunkte wirkungsvoll in Szene zu setzen.
Im Scherzo spielt das Orchester besser als man es gewöhnlich unter Barenboim zu hören bekommt, immerhin handelt es sich um einen Live-Mitschnitt, was jedoch eher vorteilhaft ist, denn allzu viel schneiden konnte man sicher dieses Mal nicht. Das sorgt für Kontinuität und einen nachvollziehbaren Spannungsaufbau.
Das Adagietto hat einen deutlich ins Elegische gehende Unterton und wirkt recht dunkel timbriert. Von der Harfe ist nicht viel übriggeblieben, auch wenn sie ff zu spielen hat, bleibt ihr nur ein Schattendasein. Die Steigerungen treiben die Musik in eine gewisse Pathetik. Für uns ist dies zu viel für eine Liebeserklärung. Zumindest nicht für eine eindeutige. Aber was ist bei Mahler schon eindeutig?
Das Rondo hat bei Barenboim gewisse Längen zu durchlaufen. Teils mag sich das Orchester wie in einem komfortablen Schlafwagen vorgekommen sein. Bis zur Durchführung T. 233 bzw. Zi. 9. ab dem Grazioso (T. 191) klingen die Violinen plötzlich weiter entfernt (es wurden also doch wieder verschiedene Takes benutzt). Im Seitensatz kommen die 1. Violinen dann so über Gebühr heraus, dass man trotz ihres pp gar keine Nebenstimmen mehr hört. Solche Unregelmäßigkeiten gibt es bei anderen Live-Einspielungen aber auch (die Spielanweisungen sind extrem mannigfaltig und zahlreich), nur dieses Mal sind es schon mehr als üblich. Besonders nah an die Partitur kommt übrigens Benjamin Zander in seiner Einspielung mit dem Philharmonia Orchestra (2000) heran, die wurde jedoch nicht live aufgenommen. Den Choral bekommen Barenboim und sein Orchester gut hin, mit viel Ornamentik durch die Streicher. Im Finale bekommt der oder die Triangel ein akustisches Spotlight spendiert.
Der Klang der Aufnahme wirkt voll und rund, nicht zu vordergründig, nicht zu distanziert. Die Staffelung des Orchesters in die Tiefe gelingt gut. Die Aufnahme verfügt über einen tief grollenden Bass und eine kraftvolle Dynamik. Die Live-Geräusche aus dem Auditorium sind dezent. Der Applaus wurde weggeschnitten. Diese Einspielung gibt es auch als DVD.
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3-4
Valery Gergiev
London Symphony Orchestra
LSO Live (Eigenlabel des Orchesters)
2010, live
13:18 14:35 17:20 10:33 14:36 70:22
Fünf Jahre nach der Naxos-Einspielung mit James de Preist war das LSO erneut gefragt, Mahlers Fünfte aufzunehmen. Mit seinem damaligen Chef (2007-2015) erarbeitete man gerade eine Gesamteinspielung der Sinfonien. Dies ist erneut ein „Geburtstagskonzert“ zu Ehren des 150. Geburtstags des Komponisten. Der Dirigent war bei der Einspielung 57 Jahre alt.
Gegenüber der Gielen-Aufnahme sind Verluste bei der Verfolgung des polyphonen Stimmengeflechtes zu beklagen. Besonders wenn es einmal nicht die 1. Violinen sind, die mit der Hauptstimme befasst sind. Das Blech des LSO spielt durchaus glanzvoll, die Aufnahme selbst klingt hingegen weniger brillant als die Gielens. Im Verlauf gibt es Probleme die Spannung zu halten, vielleicht ist der larmoyante Gestus aber auch Absicht. Es brodelt nicht deutlich unter der Oberfläche, vielleicht auch ein Problem der Stimmentransparenz.
Den Beginn des zweiten Satzes möchte man nicht unbedingt stürmisch und schon gar nicht vehement nennen. Den Violinen will sich der Ton kaum von den Saiten lösen, eher ein Problem der trockenen Aufnahme? Oder wurde doch zu wenig geprobt? Der Dirigent tanzte damals, d.h. vor dem Ukraine-Krieg, noch auf sehr vielen Hochzeiten und hatte vielleicht nicht genug Zeit sich auf das Konzert und die Aufnahmen vorzubereiten. Die entfachte Dynamik verbreitet weder Angst noch Schrecken und könnte trotz High-Res-Technik kaum, wie es der 40 Jahre älteren Solti-Aufnahme sicher gelingen würde, Tote zum Leben erwecken. Oder wie bei der SACD mit dem Concertgebouw und Mariss Jansons, um einmal bei der gleichen Art des Tonträgers zu bleiben (SACD). Obwohl sich das Orchester durchaus engagiert, kommt einfach nicht viel dabei heraus. Noch schlimmer wiegt der Eindruck, dass die Eindringtiefe in den Mahler´schen Kosmos nahe bei Null zu liegen scheint. Das ist jedenfalls unser Eindruck. Die Choral-Vision bleibt nur ein laues Lüftchen. Da muss man wohl selbst initiativ werden und den Poti beherzt nach rechts drehen. Immerhin lässt man eine leicht verlängerte Satzpause verstreichen, bevor es mit dem Scherzo weitergeht, um Mahlers Wünsche anzudeuten.
Dem Scherzo gehen Spannung und vor allem Esprit weitgehend ab. Das Orchester zeigt Präzisonsmängel (ähnlich wie bei seiner ersten Einspielung mit Rudolf Schwarz 1958), die man von ihm eigentlich nicht kennt. Den Bläsersolisten wird eine ihnen adäquate Bühne nicht zugebilligt. Zudem hat man den Eindruck, dass sie sich abmühen müssen um präzise zu bleiben. An das BRSO oder an das Concertgebouw unter Jansons oder Chailly, an die Wiener unter Bernstein oder auch an die JDP unter Barshai darf man gar nicht zurückdenken. Das gilt auch für das Corno obligato, das wie durch einen dicken Schleier hindurchspielen muss. Dem „Knochengeklapper“ scheint die rechte Muse zu fehlen mitzutanzen, so staubtrocken klingt der Walzer hier.
Im Adagietto gelingt es besser die einzelnen Stimmen herauszuarbeiten (es sind ja auch lange nicht so viele). Sogar mit einigem Feingefühl, wenngleich es mitunter doch forciert und leicht gezogen klingt. Dennoch bisher der beste Satz.
Das Rondo kann etwas versöhnen, denn es wirkt aufgeweckt und das Orchester zeigt nun mehr von seiner gewohnten Virtuosität. Wie elegant klang es noch als ein Abbado dirigierte! Wenn der seltsam sterile Klang nicht wäre, würde es noch besser gefallen. Das Tempo wirkt ambitioniert, die Spielweise kraftvoll. So vermittelt das Orchester mehr Spiel- und somit Lebensfreude als in vielen anderen Einspielungen. Der Choral ist mit Abstand das Beste der ganzen Aufführung. So gewinnt man dann doch noch die Beifallsstürme. Und mit der spannenden, atemlos gehaltenen Stretta. Im Konzert ist der letzte Eindruck eben der Wichtigste. Die polyphonen Feinheiten zuvor bleiben jedoch weiterhin unter den Tisch gefallen, wenn man sich nicht blenden lässt. Gergiev bietet einen vereinfachten Zugang zur Sinfonie, noch extremer als bei Karajan, der jedoch mit vielmehr Vehemenz und Durchschlagskraft überzeugen konnte und in Sachen Orchesterqualität keine Kompromisse duldete und somit doch mehr Mahler hörbar machen konnte. Insgesamt ist diese Einspielung eine große Enttäuschung, bei der sich das Orchester unter Wert verkaufen muss, aber zugleich ein Garant für den Restwert ist.
Wir haben die Aufnahme nur in Stereo gehört, ein Quercheck mit der Mehrkanalversion interessierte uns aus musikalischen Gründen nicht mehr. Die Aufnahme ist nicht sonderlich transparent und wirkt nicht ganz frei. Sie ist das Gegenteil von brillant: stumpf und matt. Auch dynamisch ist sie matt, sie bietet wenig Raum und wenig Tiefe. Für das AD ist das wirklich wenig. Das Orchester klingt wie aus einem nur halb geöffneten Orchestergraben. Mitte der 50er. Obwohl es da schon manchmal körperhafter geklungen hat. Die möglichen positiven Attribute einer Live-Aufnahme kommen nicht zum Zuge. Sie wirkt leblos und steril. Oder sogar lieblos. Schade um das gute Orchester.
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3-4
Leon Botstein
American Symphony Orchestra
ASO (Eigenlabel des Orchesters)
2010, live
11:12 12:46 16:32 7:28 14:32 62:30
Leon Botstein ist seit 1992 und bis heute (2024) andauernd Musikdirektor des ASO. Zur Zeit der Aufnahme war er 64 Jahre alt. Auch dieses Konzert fand im Gedenkjahr zum 150. Geburtstag des Komponisten statt.
Auffallend an der Darbietung ist die Orientierung an den Tempi von Bruno Walter und der Eindruck, dass es offensichtlich für das Orchester ein wenig zu schnell war, denn innerhalb unseres Vergleiches erreicht es dieses Mal „nur“ eine B-Note. Vergleichbar mit den TWK B-Orchestern in Deutschland. Doch eins nach dem anderen. Die Trompete beginnt tatsächlich mit den von Mahler gewünschten beiläufigen Triolen. Aber nicht nur die wirken beiläufig, die ganze Trompete wirkt als ob sie noch nicht ganz wach wäre. Das Tempo zieht flott an, was bei Botstein zu einem recht beschwingten, leichtgewichtig wirkenden Marsch führt. Man verspürt kaum die intendierte tieftraurige, desillusionierte Stimmung, die die Ausbrüche des zweiten Satzes zur Folge hat bzw. erst plausibel werden lässt. Im Vergleich zu anderen Darbietungen hört sich das alles gar nicht so schlimm an, sogar tröstlich. So hatte sich Mahler die Stimmung im ersten Satz ganz sicher nicht gedacht. Die ausgezeichnete Klangtechnik bringt die dramatischen Passagen sehr gut zur Geltung, es fehlt jedoch das unmittelbar Packende, das katastrophische Moment.
Obwohl im Tempo zu den schnellsten gehörend geht es im zweiten Satz nicht so recht voran. Es fehlt der große Bogen und man verliert sich in zum Großteil gelungen dargestellten Details, sodass man den Blick auf das Ganze schnell verliert. So steht man dem Satz ziemlich teilnahmslos gegenüber (ähnlich wie bei anderen B-Produktionen wie z.B. bei Gaudenz und Förster).
Das Scherzo wirkt gelegentlich etwas holprig. Im Solistischen wird nicht immer ganz ausformuliert oder man bekommt das Phrasenende nicht so recht mit, weil es von anderen übertönt wird. Immer wieder gibt es Intonationsprobleme und Probleme im Zusammenspiel. Das Corno obligato „steht“ mitunter sehr schön über dem Ganzen, ein Effekt der der Aufnahmetechnik sehr gut gelingt. Der Hornsolist trägt selbstverständlich das Seinige dazu bei.
Sogar im Adagietto erkennt man die Vorbilder Mengelberg und Walter sehr gut. Es wirkt leicht, recht beschwingt und jugendlich-frisch. Die Tempoangaben Mahlers werden weitgehend ignoriert, der gewünschte Intermezzo-Charakter hingegen vorbildlich getroffen.
Im Rondo scheint die Konzentration etwas nachgelassen zu haben. Die technische Perfektion lässt noch ein wenig weiter nach und kann sich mit der Konkurrenz in der eigenen Stadt (NYP mit Maazel oder Mehta) oder den Live-Aufnahmen aus Philadelphia (Eschenbach, Nezet-Seguin) nicht messen. Es unterlaufen immer wieder kleine Missgeschicke.
Die Aufnahme wirkt offen und sehr transparent, gut gestaffelt aber nicht sehr präsent, weniger präsent wie wir das aus anderen Mitschnitten des Orchesters kennen. Es sei denn man hilft mit dem Poti wieder etwas nach, dann handelt man sich jedoch beträchtliche sehr dynamische Hustenattacken des Publikums mit ein. Auch die wirken dann wie das Orchester sehr plastisch. Mächtige Gran Cassa.
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3-4
Yakov Kreizberg
Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo
OPMC (Eigenlabel des Orchesters)
2010, live
12:55 16:14 18:41 9:36 16:24 73:50
Nur kurz war Yakov Kreizberg Musikdirektor des Monegassischen Orchesters, von 2009 bis zu seinem frühen Tod im März 2011. Bei der Aufnahme war er erst 51 Jahre alt.
Im ersten Satz ist man nahe dran an einer bleiernen Schwere, und spielt dies so ausdrucksvoll dieser Gestus eben zu vermitteln ist. Die lyrischen Zwischenspiele wirken duftig und recht leicht, jedoch angefüllt mit leicht-schmerzlichen Erinnerungen. Dies wirkt dann wie eine französisch-mediterrane Sichtweise auf die Dinge. Die Gefühlswallungen erscheinen jedoch nicht dynamisch genug, weshalb es an scharfen Kontrasten fehlt. Echten Schrecken kann man kaum verbreiten. Unser Held präsentiert sich niedergeschlagen und erschöpft. Völlig lasches, harmloses, entkräftetes Schluss-Pizzicato. Das Orchester präsentiert sich insgesamt in einer guten Verfassung und klingt recht homogen.
Der Beginn des zweiten Satzes klingt kaum vehement und wütend genug, er wird weitgehend mit einer milden Melancholie ausgefüllt. Er macht genau da weiter, wo der erste Satz aufgehört hat, führt aber nicht weiter. Die gute Phrasierung und Detailausleuchtung bergen die Gefahr, dass die Musik in viele kleine Abschnitte zerfällt. Möglicherweise ist dieser Effekt auch Programm, um die innere Zerrissenheit besser darzustellen. Der Gestus ist einem Spannungsaufbau jedoch wenig zuträglich. Es wird durchweg sorgfältig, deutlich und mit Klangsinn musiziert, wobei man den tiefen und reichhaltigen Klang der besten Orchester nicht erreicht. Den harten und recht steifen Klang seiner Philips-Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren hat das Orchester jedoch hinter sich gelassen. Die Musik wirkt ausdrucksvoll und kultiviert, eine gewisse Ebene der Sicherheit und Bequemlichkeit wird nicht verlassen. Es gibt also keine echte Erschütterung und keine Entäußerung. Ohne dass man gleich von Reserviertheit schreiben dürfte. Wer nur diese Aufnahme des zweiten Satzes kennt und dann die 70er Solti kennenlernt, dürfte schockiert sein.
Im Scherzo fehlen Pepp, Tempo und ein wenig Frechheit. Sauberes und korrektes Spiel reichen einfach nicht aus, um den Schatz der kaleidoskopähnlichen Ausdrucksfülle des Satzes zu heben. Es wird kaum getanzt und die mediokre Akzentuierung ist zwar ganz nett anzuhören wirkt aber doch zu artig. Wir hören einen rein musikalischen Ansatz, der ohne die Hintergründe zu beleuchten auch die Abgründe nicht sieht. Chapeau vor der strahlähnlichen Klangentfaltung des Corno obligato.
Das Adagietto dürfte der gelungenste Satz dieser Darbietung sein, denn wir hören eine schöne Kantabilität und die sehr gute Phrasierung mit dem schönen Klang findet schnell den Zugang zu den Herzen der Zuhörer/innen und verliert ihn auch den Satz über nicht mehr. Leicht, offen und recht frisch und lebendig wird das Tempo nahezu zu einer Nebensache.
Diesen leichten und lockeren Gestus übernimmt man mit ins Rondo. Das klingt zwar auch etwas risikoscheu und nicht gerade vor Kraft, Temperament oder gar Witz überschäumend, aber noch musikalisch und mit nachdenklicher Feinarbeit veredelt. Leider fordert der Dirigent das Orchester nicht noch etwas mehr heraus und etwas mehr zwischen den Zeilen hätte man auch noch lesen können. Wenig unmittelbar.
Der Klang der Aufnahme wirkt transparent, farbig und recht dynamisch. Das Klangbild hat wenig Auffallendes, weder im Positivem noch im Negativem. Nur solide könnte es etwas mehr Leben und Brillanz verströmen.
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3-4
Paul Daniel
Orchestre National Bordeaux-Aquitaine
Actes Sud (Harmonia Mundi)
2015, live
13:10 14:51 17:00 10:00 15:15 70:16
Paul Daniel war 2013-2021 Musikdirektor in Bordeuax. Bei der Aufnahme war er 57 Jahre alt. Um es gleich vorwegzunehmen: An die ältere Aufnahme mit Alain Lombard von 1991 kommt das Orchester und sein Dirigent nicht mehr ganz heran.
Im recht getragenen Tempo bringt man den Gestus eines Trauermarsches gut zur Geltung. Die Schmerzensaufschreie wirken jedoch dynamisch zu sehr abgedämpft. Das gelingt bei den besten erheblich eindringlicher. Das Orchester macht erneut einen guten Eindruck bei der komplexen Partitur.
Beim zweiten Satz kommt Daniel lange nicht an die Dringlichkeit eins seiner Vorgänger, Alain Lombard, heran. Demgegenüber lässt er die Zügel zu sehr schleifen. Abgesehen davon liegt eine noch recht überzeugende halbwegs angemessen „aufgewühlte“ Einspielung vor, wenn sie nur weniger domestizierend aufgenommen worden wäre. Die Transparenz der Stimmen könnte ebenfalls besser sein. Größtmöglicher Aufruhr wird bei der Choralvision gemacht, wobei vor allem die Pauke und die Gran Cassa ordentlich auf den Putz hauen.
Im Scherzo stellen wir ein schlüssiges, jedoch einigermaßen unauffälliges Konzept fest, das erneut klanglich nicht ganz überzeugend umgesetzt wird.
Im Adagietto mutet das Tempo recht zügig an, der Gestus bleibt unverzärtelt und direkt. Die Streicher klingen dabei recht hell und eher robust als weich und rund. Die Homogenität kann nicht ganz überzeugen. Kaum leidenschaftlicher Überschwang.
Das Rondo beginnt wie mit einer Autohupe gespielt, ein Versuch der Aktualisierung oder ein klangliches Missgeschick? Der Gestus wirkt dann lebendig und recht abenteuerlustig. Im Choral werden jetzt deutlicher als bei der Vision im zweiten Satz alle Kräfte mobilisiert. Auch dies ist eine Einspielung, der man im Konzert großen Beifall spenden würde. Sie kommt, wie bereits erwähnt, an die Lebendigkeit, Homogenität, Spannungsentfaltung und sogar Klangqualität der Forlane-Aufnahme von 1991 nicht heran. Sie macht kaum Fehler, ragt aber nirgends heraus.
Der Klang der Aufnahme wirkt recht transparent und ausgewogen, d.h. alle Orchestergruppen kommen gleichermaßen zur Geltung. Das Orchester wirkt jedoch etwas entfernt und statt einer guten Tiefenstaffelung klingt sie für das AD ziemlich flach. Man kann sie auch nicht als luftig bezeichnen. Sie klingt etwas topfig und nicht ganz frei. Das gilt zumindest fürs Streamen.
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3-4
Tadaaki Otaka
Tokyo Philharmonic Orchestra
Camerata
1984, live
12:03 14:21 17:45 10:59 14:55 71:03
Von Tadaaki Otaka gibt es noch eine weitere Einspielung von Mahlers Fünfter Sinfonie. Sie entstand mit dem BBC Welsh Symphony Orchestra, erschienen bei BBC Music, aufgenommen 1991. Zur Zeit der Aufnahme in Tokio war er 37 Jahre alt.
Für den Trauermarsch entscheidet sich Otaka für ein recht hohes Tempo, das jedes schleppen vermeidet. Der hohe Puls verhindert eine erschöpft wirkende Trauermusik, die Emotionen kochen richtig hoch, was leider durch den wenig präsenten Klangcharakter der Aufnahme teilweise wenig unmittelbar erfahrbar bleibt. Das pp wird sehr leise gespielt, teils bis ins Unhörbare hinein. Die Trompete konnte uns nicht ganz überzeugen.
Im zweiten Satz ist das Orchester nicht immer ganz präzise zusammen. Es scheint sich um eine Live-Aufnahme zu handeln. So folgt der Gestus der Darbietung fast schon der Aufnahmequalität: wenig aufwühlend und etwas flach. An Engagement scheint es den Mitwirkenden beileibe nicht zu fehlen. Das Resultat der Bemühung gelangt leider nicht ungeschmälert zu Gehör der Zuhörenden. Das Drama wird mit zupackendem Spiel ernst genommen.
Das Scherzo wird gut bewältigt und erklingt mit einigem Feuer.
Im Adagietto klingen die Streicher ein wenig matt und dünn, die Harfe kommt gut durch, ohne sich in den Vordergrund zu spielen.
Im Rondo verspürt man einigen Zug nach vorne und weiß den Enthusiasmus der Musiker zu würdigen. Aus spieltechnischer Sicht tut sich das Orchester noch etwas schwer.
Der Klang ist die Crux der Einspielung, denn das komplette Orchester ist zu weit entfernt und spielt in keiner hörbaren Staffelung. Die Trennschärfe zwischen den Instrumenten und -gruppen könnte besser sein, Insgesamt klingt es trocken und wenig sinnlich. Dies ist eine der ersten Aufnahmen der Fünften aus Japan und sie ist noch bei weitem nicht mit der aufnahmetechnischen Brillanz der späteren Aufnahmen aus dem Land der aufgehenden Sonne gesegnet.
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3-4
Giuseppe Sinopoli
Philharmonia Orchestra, London
DG
1985
12:06 13:35 17:16 10:26 15:05 68:28
Signore Sinopoli begann 1985 seine Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien mit der Fünften. Das war auch das Jahr in dem Sinopoli mit seinen regelmäßigen Auftritten in Bayreuth begann. Ein Jahr zuvor begann er seine Anstellung als Chefdirigent des Philharmonia, 1987 wurde er dessen musikalischer Direktor. Er blieb bis 1994. Zur Musik gesellten sich bei ihm ein weitgefächertes Interessengebiet, so war er der Medizin, insbesondere der Psychiatrie und der Archeologie sehr zugewandt.
Im ersten Satz gefällt das Tempo sehr gut, besonders auch die kontrastreiche und besonders detailreiche Gestaltung.
Die wilden Passagen des zweiten Satzes gelingen dynamisch, die defensiven, traurig-depressiven dagegen sehr langsam, manchmal vom Bewegungsaspekt gesehen sogar träge, was den sinfonischen Fluss behindert. Da erscheint die Detailgestaltung schon übertrieben. Beides zusammengenommen wirkt zwar nicht effekthascherisch, aber doch theatralisch. Falls Sinopoli ein Psychogramm eines manisch-depressiven Menschen darstellen wollte, gelingt das nur teilweise. Da fehlt besonders die emotionale Hitze eines Solti von 1970. Andererseits wirkt die Einspielung auch nicht so kühl wie beim klar zeichnenden Inbal oder glatt wie bei so vielen neueren Einspielungen. Die Höhepunkte werden ordentlich herausgearbeitet.
Im Scherzo hätten wir uns dann doch dringend einen transparenteren, „erhellenden“ Klang gewünscht. Da fehlt es entschieden an Konturenschärfe. Das Blech erscheint deutlich weggerückt und verliert dramatisch an Deutlichkeit. Auch vom Corno obligato hätten wir gerne mehr gehört. Teilweise hören wir eine Jahrmarktsmusik wie bei Schostakowitsch, nur auch bei dem Russen müsste es messerscharf klingen und nicht so verschiffen. Aufgedrehte Stretta.
Das Adagietto erscheint wie in ätherische Sphären enthoben, spannend wie bei „Tristan“ und ohne die Leichtigkeit eines „Intermezzo“. Noch relativ zügig jedoch wenig lebendig. In diesem Satz stören die die hart klingenden Violinen der digitalen Frühzeit am meisten.
Im Rondo fallen die gegenüber den Trompeten ziemlich schwach ins Bild kommenden Posaunen und Hörner auf. Das klangliche Erlebnis ist letztlich unbefriedigend, denn es wirkt nicht sonderlich emotional und die Musik erscheint einfach nicht plastisch genug. Ein zweifelhafter Einstieg in die Gesamtaufnahme.
Generell wirkt das Klangbild wenig transparent. Unseligerweise favorisierte die DG in jener Zeit, gerade in London, ein diffuses, weggerücktes Bild von Orchestern, die Totale in der Wichtigkeit weit vorm Detail. Eine gewisse zu üppige Halligkeit kommt noch dazu. Im p wirkt das Ganze noch schön perspektivisch und räumlich. Im lauten Tutti schwimmt der Klang auf. Ein weiteres Beispiel für diese Ästhetik ist die Gesamtaufnahme der Mendelssohn-Sinfonien mit Abbado. Die Violinen klingen nur wenig glasig, da hat man bis Mitte der 80er schlimmeres gehört, natürlich oder gar seidig klingen sie aber auch nicht. Die Dynamik ist noch nicht einmal flach, sondern eher weit gesteckt, der Klang des PO wirkt jedoch im ff klotzig, d.h. wenig differenziert. Der Bassbereich ist wenig im Fokus, läuft so neben her, die Gran Cassa bleibt schwach.
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3-4
Hermann Scherchen
Orchester der Wiener Staatsoper
Westminster, Urania, Intense Media, Documents, MCA, Palladio
1952
11:17 13:28 18:00 9:10 15:10 67:05
MONO Von Hermann Scherchen existieren vier Aufnahmen der Fünften. Nur eine, nämlich die nun vorliegende, erfolgte unter Studiobedingungen, die übrigens die einzige nicht geschnittene Einspielung Scherchens ist. Da obsiegte noch der Gedanke, der Nachwelt das komplette Werk in einer Aufnahme zu hinterlassen. Man muss bedenken, dass dies nach der Aufnahme Bruno Walters erst die zweite Studio-Aufnahme der Fünften war, überhaupt die erste LP. Da war Scherchen 61 Jahre alt. Die übrigen drei sind Live-Aufnahmen aus Mailand 1962, Philadelphia 1964 und Paris 1965, bei denen Scherzo und Rondo vom Dirigenten derart schroff bearbeitet wurden, dass man von einer Verstümmelung des Werkes schreiben muss. Deshalb wurden sie allesamt ans Ende unserer Liste verbannt. Es ist uns ein Rätsel, dass der sonst so gewissenhafte Dirigent hier den vogelfrei waltenden inneren Dämonen keinen Einhalt geboten hat. Herbert von Karajan wollte ebenfalls nur eine gekürzte Version einspielen, ließ sich aber dann doch umstimmen, das komplette Werk aufzunehmen. 1973 wäre sein Unterfangen nur noch mehr Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker gewesen. Und das völlig zurecht. Die Wiener Einspielung erfolgte im Mozartsaal (der liegt von der Größe her zwischen dem großen Saal und dem noch kleineren Schubert-Saal) des Wiener Konzerthauses, der eigentlich nur für kleinere Besetzungen bis zur Haydn-Sinfonie oder für Kammermusik gut geeignet ist. Und dann setzt man da ein 100-Personen-Orchester rein? Anscheinend regierte bei Westminster ein rigid geführter Rotstift, um die Kosten für das Produkt nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, für das man wahrscheinlich nur wenige kommerzielle Erfolgsaussichten prognostizierte. Schlechte Voraussetzungen für eine gute Aufnahme.
Die Trompete klingt im ersten Satz sehr dominant (im zweiten übrigens auch). Scherchen arbeitet mit stark geschärften, schroffen Tempogegensätzen. In den schnellen Partien stürzt er das Orchester nolens volens ins Drama hinein, ohne Rücksichtnahme auf das eigene Spielvermögen. Das Zusammenspiel kann man bestenfalls als nonchalant bezeichnen, wobei die Streicher doch eher miserabel zusammen sind. Die Intonation ist lausig. Somit beherrschte der Rotstift anscheinend auch die Probenzeit. Die dynamischen Gegensätze wirken technikbedingt völlig glattgebügelt.
Der zweite Satz wirkt zunächst exzentrisch schnell, angetrieben von größter dirigentischer Vehemenz, an der sich das Orchester nur leidlich präzise abarbeitet. Die Klangtechnik scheitert angesichts der Orchestermasse und der immer noch bereitgestellten Dynamik total. Die Hörner klingen sehr weit zurück, die Trompeten scheinen sich einen Platz direkt vorm Mikrophon gesichert zu haben. Ausdruck scheint Scherchen in dieser Einspielung über alles zu gehen, Perfektion war offensichtlich gar nicht im Rahmen des Erreichbaren. Der drängende Gestus wird sehr stark akzentuiert und bricht das Gesamtgefüge des Satzes völlig auf. Das wild Zerklüftete bekommt einen episodenhaft-rhapsodischen Charakter. Es wäre möglich, dass sich Solti 1970 von dieser Einspielung des zweiten Satzes inspirieren ließ. Scherchen kommt den Intentionen Mahlers unserer bescheidenen Ansicht nach weitaus näher als die vielen gelackt und gesoftet wirkenden Einspielung neuerer Zeit. Hier gibt es keine Gelegenheit sich gemütlich im Stuhl zurückzulehnen. In die Choralvision steckt das Orchester seine ganze Masse und Klasse hinein, die man sonst wegen seiner und der Überforderung des Raumes weitgehend vermisst hat. Die abschließende Pauke spielt statt pp, wie es in unserer Partitur steht ein kräftiges ff. Gut gestimmt ist sie immerhin.
Das kann man von den Violinen im Scherzo nicht behaupten, bei Zi. 2 ist sie besonders schäbig. Anscheinend gibt Scherchen den orchestralen Erfordernissen jetzt doch nach, denn die Tempi wirken nun teils behäbig. Wahrscheinlich ist die Tempogestaltung erforderlich, um das Orchester zusammenzuhalten. Anerkennenswert ist der Wille zur Transparenz, die man trotz der widrigen Aufnahmebedingungen fast ungeschmälert genießen kann. Einige Klangeffekte lässt das Orchester so expressiv klingen, dass man sich bereits bei der 2. Wiener Schule angekommen fühlt. Der Komplexität und dem Ausdrucksspektrum wird diese Einspielung des dritten Satzes insgesamt gut gerecht, was man von der technischen Realisierung kaum schreiben kann. Er wirkt schillernd. Auffallend sind besonders in der Stretta die herausgellenden Trompeten. Gewollt oder unaufmerksame Techniker, wer will das heute noch ermitteln? Dieses Scherzo ist das einzige komplette der vier Einspielungen Scherchens.
Im Adagietto fällt der körperlose, dünne Streicherklang noch ärger ins Gewicht als in den übrigen Sätzen. Allerdings unterstreicht diese Fragilität den schmerzlich-melancholischen Charakter, den Scherchen betonen möchte. Da steckt noch viel Liebeskummer drin, das Liebesglück muss leider noch warten. Die Harfe klingt erstaunlich gut und kommt klar durch. Besser als bei vielen neuen Aufnahmen. Dies ist der vom Orchester am besten gespielte Satz. Das Tempo empfindet man als langsamer als es die Uhr suggerieren will.
Zu Beginn des Rondos ist das Horn im f leiser als die Klarinette im p. Das Allegro giocoso wirkt eher lahm als frisch oder gar spritzig. Das Grazioso bei T. 100 klingt dagegen treffend. Mitunter wirkt das Zusammenspiel immer noch holprig. Man hat den 5. Satz als Schlusssatz also nicht extra geübt, um letztendlich einen guten Eindruck zu hinterlassen, wie sich das bei Gergiev vermuten lässt. Das Orchester war mit der Musik wenig vertraut oder stellte sich ihr sogar noch widerspenstig in den Weg, wie man es auch 1971 bei den Video-Aufnahmen zur Probe mit Bernstein in Wien noch miterleben konnte. Das Rondo wirkt so nicht immer gespannt oder von freudiger Erregung getragen. Besonders zu Beginn wirkt es noch wie im Adagietto geblieben traumverhangen. Erst nach und nach wacht unser Held bei Scherchen auf und der Gestus der Musik wirkt belebter.
Der Klang wird beherrscht von einem generellen Mangel an Fülle und Schönheit. Er ist trocken, platt und eng, die Dynamik reduziert. Immerhin wirken die Klangfarben nicht verfärbt, sodass man noch von einer zeitgemäßen Aufnahme schreiben kann. Es gibt kaum Rauschen, auch während der leisen Cello-Monodie im zweiten Satz.
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3-4
David Zinman
Tonhalle Orchester Zürich
RCA
2007
13:16 15:18 18:38 10:43 15:11 73:06
David Zinman war von 1995-2014 Chefdirigent des Schweizer Orchesters. Zur Zeit der Aufnahme war er 71 Jahre alt.
Der erste Satz wirkt bei ihm sehr ruhig und bedächtig, ja lahm. Da gibt es kaum Aufruhr in Mahlers Welt, kein echtes ff und damit auch keine echten Höhepunkte.
Auch im zweiten Satz vermisst man die geforderte Vehemenz. Die Musik wirkt viel zu harmlos, gediegen und harmlos. Wir hören reines Schönspiel, anscheinend inspiriert von der griechischen Vorstellung vom Olymp. Zinman Deutung hat nur ganz wenig vom Expressionismus, lässt eher an eine frühe Romantik denken. Ohne Spannung dachte man vielleicht an eine Objektivierung des Gegenstands der Betrachtung. Stets wählt man eine sanfte Artikulation, die kaum einmal aus sich herauskommt mit einer „gesofteten“ Akzentsetzung. Sehr gut gelingt hingegen die Transparenz der Stimmen. Der Choral muss mit schwacher Beteiligung des Blechs auskommen. Dies hört sich nach einer Pflichtübung an, der Zyklus muss ja komplett werden.
Das Corno obligato im Scherzo spielt entspannt und poetisch, kurzum souverän. Die größte Mühe geben sich alle anderen Corno-Solisten, aber hier hört es sich nicht nach einem Glücksspiel an. Meist ist es sehr stark in den Gesamtklang integriert. Der Rest des Orchesters wirkt zwar schön gespielt aber weitgehend spannungslos bis fade. Was ist aus dem Aufruhr der frühen Einspielungen geworden (Zinman in Zürich mit Beethoven noch bei Arte Nova)? Wir hören eine überkorrekte, präzise Spielweise, die jedem Risiko aus dem Weg zu gehen scheint. Besondere Inspiration lässt sich nicht erkennen.
Das Adagietto wirkt wie es in der Partitur stehet: sehr langsam. Man könnte ergänzen: zu schwer und zu ernst. Da bemerkt man kein Kribbeln im Bauch, eher ein Zuviel an „Tristan“-Sehnsucht. Trotz des eigentlich zarten Spiels. Insgesamt wenig lebendig. Zurückhaltende Harfe.
Im Rondo wird mit aller Sorgfalt gespielt, aber ohne Verve und ohne den Übermut des Entdeckers, dem es an Abenteuerlust nicht mangeln sollte. Insgesamt ist das Rondo eine ziemlich freudlose Unternehmung. Der Choral wirkt zwar besser als im zweiten Satz wirkt aber trotzdem eher geschäftsmäßig und verhalten. Selten verpuffte die Wirkung der Sinfonie dermaßen in Sanftmut wie hier. Hauptsache, man hat gut gesessen während der Sinfonie. Zwar von jeder Hysterie gereinigt aber auch dermaßen spannungslos sollte Mahlers Fünfte nicht klingen.
Der Klang der nur Stereo gehörten SACD ist nicht sehr präsent, wie gehört auf einem der hinteren Plätze in der Tonhalle sitzend. Die Bläser klingen zu hintergründig. Die Aufnahme wirkt großräumig aber nur wenig brillant, wenig dynamisch, wenig lebendig, aber mit angenehmer Wärme versehen. Transparenz und Balance sind gut, was aber für eine gute Einspielung der Fünften allein nicht ausreicht. Es klingt genauso wie die Spielweise der Schweizer: neutral und harmlos, ein wenig wie in Watte gepackt. Lockt niemanden hinter dem Ofen hervor.
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3-4
Lorin Maazel
Philharmonia Orchestra, London
Signum
2011
14:03 15:36 18:25 11:14 16:13 75:31
Lorin Maazel hat die Sinfonien Gustav Mahlers drei Mal aufgenommen. Sein letzter Zyklus mit dem Philharmonia Orchestra wurde innerhalb von zwei Monaten aufgenommen, erneut waren die beiden Gedenkjahre anscheinend der Anlass dazu. Maazel hat eine langjährige Verbindung zum Londoner Orchester, wurde er doch dem greisen Otto Klemperer von 1970-72 als Backup zur Seite gestellt. Die Aufnahme der Fünften fand in der Royal Festival Hall während eines Konzertes statt und rein akustisch gibt es keinen Hinweis darauf, dass es eine Live-Aufnahme sein könnte, aber schon alleine aus Kostengründen ist dies heutzutage mehr als wahrscheinlich. Seine letzte Aufnahme der Fünften, bei der er bereits 81 Jahre alt war, ist zugleich auch die langsamste.
Im ersten Satz schlägt er fast das gleiche Tempo an wie in seiner ersten Aufnahme in Wien, sie wirkt sogar etwas energischer. Insgesamt wirkt der Satz jedoch langsam, schwer und sehr getragen. Er übernimmt all die „persönlichen“ Phrasierungsdetails, die wir bereits in Wien und New York hören konnten mit nach London. Es gibt nur wenig Rubato und nur wenig Zuspitzung. Das Orchester spielt allerdings ganz anders als die Wiener 1982 oder gar die Wiener 1952 mit Hermann Scherchen voll auf der Höhe, subtil aber auch bereit, alles zu geben.
Der zweite Satz wird insgesamt nach unserem Dafürhalten etwas zu breit ausmusiziert, fast schwerfällig und wie der erste Satz wenig dramatisch. Das Orchester klingt klar und spielt souverän die Mahler´sche Vielstimmigkeit aus. Der Choral klingt nun bewusster ausmusiziert, etwas forscher und ausdrucksvoller als 1982 in Wien. Die Londoner Aufnahme spricht bisher mehr an als die Wiener.
Im Scherzo scheint das Orchester etwas nach hinten abzurücken, ein Indiz, dass man doch mehrere Takes zur Verfügung hatte. Maazel dirigiert mit viel Ruhe und Übersicht, er war ja zeitlebens ein sehr sicherer Orchesterleiter, dessen Schlagtechnik mit zum feinsten überhaupt gehörte und der kaum aus der Ruhe zu bringen war. Dieses Mal wirkt der Satz ziemlich scharf charakterisiert. Die Musik erscheint als transparentes Gewebe. Dennoch hinterlässt das Scherzo einen ausgesprochen düsteren Eindruck. Wir erleben dieses Mal keine Routine-Leistung des in anderen Einspielungen oft zu vielbeschäftigt wirkenden Dirigenten. Hervorragendes Corno obligato, hervorragendes Orchester.
Leider wirkt das Adagietto noch expansiver als 1982 und wirkt nun lastend. Uns scheint es nun eher ein Klagegesang als ein „Liebeslied“. Man mag einwenden, dass beides mitunter nah beieinander liegen kann, deutlicher wirkt die Musik jedoch als ein nostalgisch-wehmütiger Rückblick auf eine weit entfernte Zeit. Das ist ausdrucksstark gespielt und die Violinen klingen sehr viel besser als die Wiener Kollegen 1982. Auffallend ist die hohe Präzision und der hohe Grad an liebevoll ausmusizierten Phrasierungsdetails, wenn man bedenkt, dass es live in einem Rutsch durchgeht. Der Klang der Harfe erfreut, nicht zu laut und nicht zu leise, perlend, nicht klimpernd.
Natürlich, möchte man meinen gelingt dem 81jährigen beim Rondo keine jugendliche Tour de Force mehr. Es wirkt diszipliniert, nicht besonders freudig-erregt, eher streng, kaum extrovertiert, eher altmeisterlich- oder schulmeisterlich-akribisch. Ein Hang zum Langatmigen ist nicht zu überhören. Es hätte durchaus etwas mehr lächeln können. Ein hervorragend herausgearbeiteter Choral wirkt als Höhepunkt besser als in Wien.
Etwas besser aufgefächert, präsenter und erheblich offener als 1982 in Wien klingt es in London fast 30 Jahre später. Der Klang wirkt nun viel wärmer, viel natürlicher und etwas transparenter. Der runde und farbige jedoch schlanke Klang des PO gefällt.
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3-4
Andrew Litton
Dallas Symphony Orchestra
Dorian
1993, live
12:43 14:28 18:19 9:59 14:20 69:49
Der Amerikaner Andrew Litton war von 1994-2006 Musikdirektor in Dallas. Diese Einspielung war die erste Zusammenarbeit zur Erstellung eines Tonträgers mit diesem Orchester. Erneut wählte man Mahlers Fünfte, um sich vorzustellen.
Im ersten Satz erleben wie pures Schönspiel ohne Saft und Kraft, wehmütig aber auch wehleidig-jammernd statt tragisch. Insgesamt schleppend und sehr wenig packend. Da droht die Langeweile. Die Solotrompete thront über dem restlichen Orchester. Man reiht sich ein in die Reihe der „gesofteten“ Mahler-Dirigenten der Gegenwart, die nichts mehr durchsetzen müssen und sich anscheinend nur noch ins „gemachte Bett“ setzen müssen.
Im zweiten Satz zeigt man sich viel zu distanziert um wild und leidenschaftlich zu wirken. Trotz sicheren und sogar virtuosen Spiels vor allem der Streicher rüttelt hier nichts wirklich auf, es fehlt an Leidenschaft, es scheint, als zähle nur das makellos-schöne Spiel. Mahler weichgespült und aus der Bequemlichkeit heraus in Szene gesetzt. Nur die Choral-Vision des Paradiso ragt aus dem lahmen Einerlei heraus. Immerhin.
Das Scherzo wirkt lahm und ohne Esprit, aber man spielt wie fast alle amerikanischen Orchester (New York, Cleveland, Chicago, San Francisco, Atlanta, Philadelphia) sehr präzise. Das Blech klingt eher schmal.
Das Adagietto geht feiner, zarter und fragiler wohl kaum noch. Es wirkt gerade noch so fließend. Vielleicht tun wir der Einspielung auch unrecht, aber für uns klingt es nun fast schon nach „Edelkitsch“, weil man so unbedingt und ausschließlich schön klingen will und jede Spannung außeracht lässt. In der zweiten Hälfte bleibt die Musik fast stehen. Um jede Leidenschaft ist es geschehen. Dieser Satz wirkt wie schon das Scherzo viel langsamer als sie sind.
Im Rondo wird es schon geradezu magisch, denn so leisetreterisch hat es wohl noch nie geklungen. Man könnte das Spiel als schlackenlos-lethargisch bezeichnen, wenn man sich darunter etwas vorstellen könnte. Dabei spielt man noch nicht einmal langsam. Das Orchester strahlt viel Ruhe aus, statt Vitalität und Tatkraft. Ein Missverständnis. Ein makellos spielendes Orchester auf der falschen Fährte. Viel Wert legt man auf den brillant und mächtig klingenden Choral. Aber da ist es längst zu spät. Audiophiler Klang und makelloses Spiel stehen hier einer Interpretation gegenüber, die die Sinfonie fast gänzlich ihres Schwungs und ihres Konfliktpotenzials beraubt. Das fällt natürlich unter die freie Meinungsäußerung und bereichert die Diskographie um eine spezielle Variante. Läppisch bleibt sie trotzdem.
Der Klang der Aufnahme ist sehr räumlich, natürlich uns sauber. Die einzelnen Instrumente sind bestens ortbar und sehr gut gestaffelt. Das Orchester ist uns jedoch zu weit entfernt. Das fördert zwar den bequemen Überblick, distanziert den Hörer aber vom hautnahen Erleben. Der Bass ist zwar nicht wuchtig, die sehr gute Gran Cassa geht aber besonders tief in den Frequenzkeller. Die Aufnahme ist relativ leise, da muss man mit dem Poti ggf. nachhelfen. Dies ist eine besonders weiche, sanftmütige Aufnahme ohne Ecken und Kanten, über die niemand bestürzt sein kann, die aber auch keinen hinter dem warmen Ofen hervorlockt.
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3-4
Yoel Levi
Atlanta Symphony Orchestra
Telarc
1995
12:50 14:50 17:50 11:05 15:41 72:36
Yoel Levi war von 1988-2000 Musikdirektor in Atlanta.
Den ersten Satz hören wir in einer fein gezeichneten Wiedergabe mit einem - über weite Strecken - gesanglichen Gestus, einem sachten, „lyrischen“ Marschrhythmus und einer fein gezeichneten, gut exponierten Trompete. Wenn man einmal von der bedrohlichen Gran Cassa absieht, käme man kaum auf die Idee, einem Trauermarsch beizuwohnen. Die lauten Passagen drehen hingegen dynamisch ordentlich auf und entfalten eine gewisse Dramatik. Einen kontinuierlichen Spannungsbogen konnten wir nicht erkennen. Das Orchester spielt sehr sauber und akkurat, das Blech voll aber nie grob. Auf uns wirkte das Spiel jedoch etwas zu klinisch und abgezirkelt, ohne das gewisse Feuer oder den unbedingten Drang, dem der Ausdruck dann folgt.
Der zweite Satz beginnt vehement und mit Akkuratesse an allen Pulten. Man freut sich über die ungewöhnliche Präsenz der Holzbläser. Im folgenden Seitensatz klingt es dann jedoch nur noch wohlgesittet, ohne untergründige Bedrohung. Wie in Dallas zuvor wird das Hauptaugenmerk auf das Schönspielen gelegt. Dies ist zugleich einer der bestklingenden und harmlosesten zweiten Sätze des gesamten Vergleiches. Der Cellomonodie, die man sich kaum noch leiser gespielt vorstellen kann (pp ist ja auch richtig) geht das „ma espressione“ gänzlich ab. Alles Raue wird vermieden und viel lieber orchestrale und aufnahmetechnische Exzellenz gezeigt. Der gut gespielte Choral bleibt hinter den Vortragsbezeichnungen zurück.
Im Scherzo zeigt das Orchester erneut seine Klasse. Alles klingt mühelos, detailreich, leicht und sehr transparent, also in vorbildlicher Klangkultur. Man entgeht dabei jedoch nicht der Gefahr in Langweilige abzudriften. Es klingt alles nach ländlichem Idyll, lieblich, wie Schäfchenwolken vor blauem Himmel. Man fühlt sich an die betreffenden Partien der Vierten Sinfonie erinnert, die ja gar nicht so idyllisch sind, wie es scheint. Doch es bleibt wenig grotesk, wenig skurril und wenig bissig. Hier klingt es bestenfalls sportlich.
Zum Adagietto: Kann ein Orchester Opfer seiner eigenen Exzellenz werden? Man bewundert den feinen, schlanken Klang der Violinen, der einfach schön anzuhören ist, Leidenschaft konnten wir jedoch nicht erkennen. Nicht ohne Längen das Ganze. Eine der vielen neueren Einspielungen, die über eine exquisite Klangqualität verfügen und über eine reduzierte, geglättete Ausdrucksdichte.
Im Rondo hören wir wenig Drive, wenig Drang nach Ausdruck. Es wird souverän gespielt, aber es geht um nichts. Allerdings: Toller, majestätischer Choral, dem es weder an Glanz noch an Wucht mangelt, der Weg dorthin aber wirkt lang und ein wenig „trocken“.
Die Klangqualität ist sehr klar, bestens in Breite, Höhe und Tiefe aufgefächert, sehr breitbandig und farbig. Die Basswiedergabe ist tiefreichend teils „fett“ (Gran Cassa) und druckvoll. Der besonders heikel aufzunehmende Klang der Violinen wirkt voll und rund, aber nie aufdringlich-dick.
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3-4
James de Preist
London Symphony Orchestra
Naxos
2005
12:04 14:48 19:30 10:37 15:21 72:20
James de Preist ist vor allem als langjähriger Leiter (23 Jahre) des Oregon Symphony Orchestra in Erinnerung geblieben. Er begann seine Karriere als Jazz-Musiker und erkrankte bei einer Reise nach Indonesien, obwohl das Kindesalter bereits weit hinter sich gelassen, an Kinderlähmung. Seitdem war er an den Rollstuhl gefesselt. Zur Zeit der Aufnahme, die er mit 69 Jahren machte, war er Chefdirigent des Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra.
Zu Beginn des ersten Satzes wirkt die Dynamik noch impulsiv und prägnant. Im Verlauf stellt sich nicht zuletzt durch das zügige Tempo eine wenig atmosphärische Stimmung ein, die man kaum als traurig oder gar tragisch bezeichnen würde. Das Orchester spielt ziemlich souverän (in jedem Fall besser als das Gürzenich Orchester mit James Conlon), kann es aber kaum verhindern, dass der Satz fast wie ein Intermezzo wirkt (obwohl er nicht zwischen anderen steht). Es tut sich kein „dunkler Schlund“ auf, der einen verschlingen könnte und als vorherrschende Farbe käme uns „Schwarz“ kaum in den Sinn. Der Satz wirkte auf uns seltsam beiläufig.
Der zweite Satz beginnt ebenfalls mit Vehemenz und Biss, wir hören im Verlauf durchaus eindrucksvoll gelungene Passagen (z.B. Celli ab T. 188), die schroffen Wechsel in Spielweise und Stimmung könnten jedoch pointierter und kontrastreicher nachgezeichnet werden. Insgesamt erscheint der Satz immer noch ziemlich spannend und leidenschaftlich. Der gut herausgearbeitete Choral profitiert von der enormen Substanz des Orchesters, jedoch wird das „plötzlich anhaltend“ zu Beginn (Zi. 27) ignoriert. Aber wie bereits erwähnt, irgendwas ist immer. Es fehlt jedoch nicht nur an dieser Stelle das richtige Gespür für die Nuance.
Das Scherzo wirkt langsam und betulich, da kommt zu wenig Schwung auf. Und der wenige Schwung wird dann auch noch mit einer überdeutlichen Phrasierung gepaart. Innerhalb der einzelnen „Welten“, die sich im Scherzo auftun, wird bei de Preist kaum einmal eine Änderung im Gestus spürbar. Dazu wird einfach zu wenig gestaltet. Dank des klangschönen Spiels des LSO wirkte das Scherzo noch nicht langweilig. Es wäre mit ihm aber mehr herauszuholen gewesen. Das Spiel des Corno obligato, das man aus der Tiefe des Raumes hört, ist ausgezeichnet. Trotz der Entfernung wird es gut herausgestellt. Die Stretta am Ende des Satzes ist wunderbar turbulent. Natürlich kann sie die lange „Vorgeschichte“ nicht mehr wettmachen.
Das Adagietto wirkt zurückhaltend und zögerlich, fast schüchtern. Der so wichtige Klang der Violinen wirkt dabei schlank und klar, durchaus mit Schmelz versehen. Selbst wenn man ein etwas zügigeres Tempo für noch angemessener halten sollte, ist dies der beste Satz der Einspielung, Guter Harfenklang.
Das Rondo wirkt gegenüber den anderen Sätzen weniger plastisch, wenn man einmal von der in dieser Hinsicht hervorragenden Gran Cassa einmal absieht. Es wird auch nicht durchgehend spannend gestaltet. Fulminantes Orchester, mit strahlendem Blech und herausragenden Trompeten.
Der Klang der Naxos-Aufnahme ist sehr dynamisch, breitbandig, offen und detailreich. In leiseren Passagen ist er sehr transparent, in den lauten lässt dies nur wenig nach. Die Gran Cassa gefällt sehr gut, teils klingt sie sogar beeindruckend (da beben die Wände). Insgesamt eine sehr gute Aufnahmequalität, die über das sonst zumeist von Naxos angebotene deutlich hinausgeht.
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3-4
Michyoshi Inoue
Royal Philharmonic Orchestra, London
RPO Records, Canyon Classics, Exton
1990, live
13:17 14:52 18:03 11:36 15:39 73:27
Der Dirigent aus Japan war Schüler von Hideo Saito und Besucher der Meisterklasse von Sergiu Celibidache. Zur Zeit der Aufnahme, bei der er 46 Jahre jung war, war Herr Inoue Chef des Kyoto Symphony Orchestra, heute ist er Chefdirigent des Osaka Philharmonic Orchestra.
Die Aufnahme entstand bei einem Konzert live in der Royal Albert Hall, wahrscheinlich während der Proms. Zuerst erschien sie auf dem orchestereigenen Label RPO Records, sie ging dann aber zu Canyon Records über und wurde danach in den Exton-Katalog übernommen.
Im ersten Satz wechselt sie sehr kontrastreich zwischen total ermattet und hochgradig erregt. Das Orchester macht einen motivierten, aber nicht immer ganz perfekten Eindruck, allerdings handelt es sich um eine echte Live-Aufnahme. Die Solotrompete wirkt häufiger als spiele sie in einem vom restlichen Orchester isolierten Klangraum. Zwischen den beiden Extremen gibt es wenig Vermittlung denn eine übergreifende Spannung kann nicht als verbindender „Kleister“ fungieren.
Gleiches Bild im zweiten Satz: Die lyrisch geprägten Passagen plätschern dahin, klar aber auch träge. Es fehlt dabei der rechte Impetus, den die dramatisch geprägten Passagen ebenfalls nicht so recht aufbauen können. Da bieten Shipway und Gatti mit dem gleichen Orchester, obwohl letzterer etwas überstürzt, mehr. Nur selten hört man den wild zerklüfteten und dramatisch aufgetriebenen Satz dem existenziellen Kampf so enthoben und lasch wie bei Michiyoshi Inoue. Wollte er ein Meditationsobjekt aus ihm machen? Das Mahler V erprobte Orchester spielt wie man es von ihm erwarten konnte, sauber, gepflegt und klangschön, muss sich bei diesem Dirigenten nicht aus seiner Komfortzone herausbewegen. Manch ein Hörer mag diesen Satz als langweilig empfinden.
Kein grundlegend anderes Bild ergibt sich im Scherzo. Man lauscht dem Klang nach, bewegt sich bisweilen jedoch am Rand zum Beschlichen. Die dramatischen Untertöne werden weggefiltert. Mahler trifft den frühen Sinfoniker Franz Schubert könnte man sagen. Das Spiel des Orchesters wirkt präzise, besonders das Blech erfreut mit sehr guter Live-Perfektion. Besonders die feinen dynamischen Abstufungen können erfreuen und auch sonst wirkt das Spiel detailreich und recht gut akzentuiert, wenn auch beileibe nicht geschärft. Wir hören wie auch bei den Aufnahmen mit Gatti und Frank Shipway ein ganz exzellentes Corno obligato. Man könnte annehmen, dass man immer denselben Solohornisten dafür ausgewählt hat.
Wie in den drei Sätzen zuvor gehört der Japaner auch im Adagietto zu den langsamen Vertretern seiner Zunft. Kantabilität ist Trumpf. Die Harfe wirkt sehr an den Rand gedrückt. Nahe am dehnen lässt Inoue die Streicher des RPO schön aufblühen, der warme Klang unterstützt diese Unternehmung entscheidend. Das Adagietto ist so oder so kaum „umzubringen“.
Von seiner eigenen „Liebeserklärung“ hat sich unser Held im Rondo noch nicht ganz erholt. Vielmehr macht er noch einen verschlafenen oder auch betörten Eindruck, man hat sich eben sehr tief in die Augen geschaut. So oder so es mangelt entschieden an Tatkraft. Manchmal hat man jedoch das Gefühl, die fernöstliche Gelassenheit mit ihren vielen retardierenden Momenten wird am falschen Objekt demonstriert. Die dynamische Palette ist davon ungerührt breit angelegt, die Klang-Valeurs reichhaltig. Das Orchester spielt exzellent.
Das Orchester klingt etwas distanzierter als bei Shipway. Der Klang wirkt offen, weich und natürlich, ohne digitale Artefakte, aufgeräumt, detailreich, transparent und plastisch. Guter Bass, sehr guter Gesamtklang. Von dem voll besetzten, riesigen Konzertsaal merkt man nichts, denn das Publikum bleibt mucksmäuschenstill.
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3-4
Simon Gaudenz
Jenaer Phiharmonie
Odradek
2022
12:23 14:48 16:53 8:50 15:00 67:54
Auch Simon Gaudenz und die Jenaer Philharmonie arbeiten an einer Gesamtaufnahme der Sinfonien Gustav Mahlers. Angefangen hat man jedoch nicht mit der Fünften. Simon Gaudenz ist seit 2018 (bis heute, 2024) GMD in Jena. Zur Zeit der Aufnahme sollte er 48 Jahre jung gewesen sein.
Den Beginn der Sinfonie gestaltet man in Jena etwas anders als üblich, denn man blendet ihn in den Schluss des vorangegangenen Werks über, das man eigens passend zur Fünften komponieren ließ. Im Zentrum der Wiedergabe, die ein solides Niveau erreicht und die im Großen und Ganzen leidlich spannend gelingt steht die selbstbewusste Darstellung der Fähigkeiten des Orchesters, die es auch mit Mahlers Sinfonien aufnehmen können. Eine besondere eigene Handschrift im Umgang mit der Sinfonie ist nicht zu erkennen.
Im Einzelnen hört man im ersten Satz keine Untergangsstimmung, kein Aufbäumen, sehr wenig Spannung. Den dramatisch zu schärfenden Passagen fehlt es an Biss und Schneid. Das wirkt alles zu leichtgewichtig und leicht, zu beiläufig. Die Trompete wirkt sehr weit ins Orchester eingebunden. Das Spiel des Orchesters wirkt zu risikoscheu und brav. Der Klang dabei zu balsamisch.
Der zweite Satz wirkt ebenfalls zu kontrolliert, ohne echte Vehemenz und ohne exaltierte Wildheit. Es wird zu sehr auf Sicherheit gespielt, anscheinend ist dem Orchester keine Zuspitzung darüber hinaus möglich. Die Ruhepole, die Passagen der Erinnerung an Vergangenes überzeugen mehr, da man ihnen eher eine gewisse Intensität und Expressivität mitgeben kann als den dramatisch bewegten Passagen. Die Trompeten wirken zu schwach, was wahrscheinlich aufnahmetechnische Gründe hat. Der Choral bleibt so weit hinter dem Geforderten zurück. Der Satz klingt, um einmal zu überspitzen, wie ein Spaziergang durch Österreichs Hain und Flur.
Das Scherzo gewinnt durch ein sehr gutes Corno obligato. Das spielerische und dialogisierende des Satzes gelingt gut. Das Tempo wirkt ein wenig zu statisch und könnte flexibler sein. Insgesamt bisher der gelungenste Satz, der jedoch immer noch relativ brav wirkt.
Das Adagietto übertrifft das Scherzo jedoch sogleich. Es klingt zart, intim, fast ein wenig scheu und schüchtern, klangschön, warm und weich. Es gibt echte pp zu hören. Die Harfe kommt deutlich heraus und klingt auch gut. Obwohl nicht immer mit einem perfekten Unisono, was die Homogenität stört, ist dies ein sehr gelungener Satz, der beweist, dass man sich viele Gedanken gemacht hat und diese auch nachschöpferisch umsetzen kann. Die Gestaltung des Adagietto überragt die der anderen Sätze deutlich.
Im Rondo geht es leider mit der Verhaltenheit der ersten drei Sätze weiter, besonders bei Trompeten und Posaunen, die die ganz besondere Funktion im Rondo zu erfüllen haben, anzutreiben. Der Satz verbreitet viel Wärme (trotz der immer wieder zu hörenden Mängel im Zusammenspiel), wirkt jedoch insgesamt zu weichgezeichnet und dadurch emotional eingeebnet. Schönes Spiel alleine reicht nicht aus, um Mahlers Fünfte komplett auszuloten. Das erfordert in letzter Instanz den Totaleinsatz. Nur so dringt man in die Grenzbereiche der Emotionalität vor, die Mahler ausdrücken wollte. Sehr gut gefällt das echte pp-Spiel. Das Jenaer Orchester spielt etwas besser als die Neue Philharmonie Westfalen, ohne in eine höhere Klasse vorzudringen.
Der Klang der Aufnahme ist gelungener als die musikalische Umsetzung. Er ist prall, vollmundig, farbig, gut gestaffelt, fast opulent. Der Bass ist mächtig, das Blech zu hintergründig, das Schlagwerk gar unterbelichtet. Der Gesamtklang weich und voll, das ganze Orchester etwas zu weit nach hinten gesetzt und wenig präsent. Die Dynamik ist angenehm, aber etwas soft ausgefallen, die pp klingen sehr gut, im ff und fff fehlt hingegen der Wumms. Da ist man dann, wie auch musikalisch, allzu ausgewogen.
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3-4
Wyn Morris
Symphonica of London
IMP, Collins
1974
14:21 17:17 20:08 8:11 16:55 76:52
Der 1929 geborene und 2010 verstorbene walisische Dirigent galt als Mahler-Spezialist. Er studierte bei Igor Markevitch und George Szell und gründete selbst das Orchester mit dem er diese Einspielung machte. Er galt als eigensinnig, fordernd und streitsüchtig, was den Umgang mit ihm nicht gerade erleichterte und was ihn schließlich bei den Orchestern in Ungnade fallen ließ. Der Alkohol hat diese Charaktereigenschaften, wie nachzulesen ist, anscheinend noch verstärkt. Man sagte ihm einst eine geniale Begabung nach, er stand sich aber selbst im Weg. Es sind einige Mahler-Einspielungen mit ihm bekannt geworden, vor allem die Zehnte, aber auch die Nummern 1, 2, 4 und 8, das „Klagende Lied“, „Lieder aus den Knaben Wunderhorn“ mit Janet Baker und Geraint Evans und weitere Liederzyklen mit Roland Herrmann sind uns da noch in Erinnerung geblieben. Die Fünfte nahm er mit 45 Jahren auf.
Er wirkt nichtsdestotrotz mit Mahlers Musik sehr vertraut, kommt aber zu teilweise sehr ungewöhnlichen Lösungen und zu einer teils merk-würdigen Balance und Phrasierung. Die Musik wirkt bei ihm ähnlich durchleuchtet wie bei Benjamin Zander, wenn man die unterschiedlichen Fähigkeiten der Aufnahmetechnik 1974 und 2000 relativierend mit in dieses Urteil mit einfließen lässt.
Der erste Satz wird immer fließend gehalten und obwohl das Tempo sehr langsam ist, wirkt der Satz intensiv und dramatisch aufgeheizt. Morris achtet besonders auf die tiefen Instrumente (wie auch auf das Tamtam), was Wucht und Erschütterung durch die Trauer unmittelbar erlebbar werden lässt. Nur der Gran Cassa fehlt leider jede Wucht.
Leider klingt der zweite Satz deutlich weniger transparent als der erste. Beim Tempo unterbietet Morris Farberman sogar, was übrigens auch im Scherzo der Fall ist. In beiden Sätzen ist Wyn Morris alleiniger Rekordhalter an Langsamkeit. Das wirkt tatsächlich schon fast eigensinnig. Das Orchesterspiel könnte transparenter sein. Die Artikulation wirkt hingegen nicht überakzentuiert und sehr plastisch. Man folgt dem Dirigenten gerne durch diesen Satz, weil man vor Überraschungen nicht sicher sein kann. Manchmal möchte man ihm jedoch gerne etwas mehr Drive wünschen. Die breiteste Choral-Vision von allen funktioniert bei ihm anders als üblich. Er nimmt ihr jeden Anflug von triumphaler Geste, weiß anscheinend darum, dass der Triumph erst im Rondo realisiert werden sollte. Wir sind gespannt, ob dem Dirigenten das tatsächlich gelingt.
Durch die Transparenz der Einzelstimmen und die erneut sinnfällige Phrasierung wirkt das Scherzo trotz des extrem langsamen Tempos gelungen. Morris weist sich als Kenner der Materie aus, seinen Tempovorstellungen muss man deshalb jedoch nicht unbedingt folgen. Er arbeitet jedoch die Stimmungsumschwünge und die verschiedenen Charaktere dieses extrem komplexen Satzes sehr gut heraus, auf seine individuelle Art allerdings. Harold Farberman greift diesen Ansatz mit einem fast ebenso langsamen Tempo wieder auf, bleibt allerdings trotz eines viel besseren Orchesters (LSO) weniger erfolgreich, denn er wirkt viel träger.
Während alle anderen Sätze bei Morris die langsamsten des Vergleiches und wahrscheinlich der ganzen Diskographie sind oder zumindest zu den langsamsten gehören, gehört er beim Adagietto zu den zügigsten. Wenn es auch im Umfeld etwas seltsam anmutet, so bewahrt es doch den „Intermezzo“-Charakter sehr gut, wirkt entspannt und verbreitet eine gewisse jugendliche Euphorie und Unbekümmertheit, die berührt.
Bedächtig aber frohen Mutes geht es im Rondo voran. Immer mit Wärme und Musikalität dargeboten. Beim Choral hat die Technik leider nicht genug Dynamikreserven zur Verfügung. Morris dachte aber an den Triumph und eigentlich hätte es triumphal klingen sollen, die Technik hatte jedoch was dagegen. Als Ganzes wirkt Morris´ Einspielung gegen den Mainstream schon exzentrisch. Aber: Sie ist es wert kennengelernt zu werden.
Die CD ist eine sehr gute Übertragung einer ehemals miserabel klingenden LP. Nun klingt es sogar recht transparent, offen und dynamisch. Im zweiten Satz klingt sie leider deutlich weniger klar, bisweilen sogar diffus. Der Gran Cassa fehlt die Wucht. Der Gesamtklang ist nur noch wenig rau.
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3-4
James Conlon
Gürzenich Orchester Köln
EMI
1994, live
12:42 14:10 18:27 10:28 14:58 70:45
Dies ist die erste von drei Einspielungen des Orchesters der Uraufführung. Man sollte annehmen, dass es auch heute noch einen besonderen Draht zur Fünften haben und sich bei einer Einspielung besonders motiviert zeigen sollte. Von den drei Einspielungen unseres Vergleiches schneidet die mit James Conlon am schlechtesten ab. Der Amerikaner war von 1989 bis 2003 GMD der Stadt Köln und damit Chefdirigent der Kölner Oper und des Gürzenich Orchesters. Damals nannte man das Orchester zwischenzeitlich zusätzlich noch Kölner Philharmoniker, da man aus dem Gürzenich in die neue Philharmonie umgezogen war. Diese Benamung hat sich nicht durchgesetzt und wurde wieder fallengelassen.
Zu Beginn ist man noch guter Dinge, dass die Geschichte des Orchesters zumindest nicht zur Last fällt, denn es zeigt sich impulsiv und mit einem direkten Zugriff, mit hohem Tempo und hoher Dringlichkeit. Das Orchester scheint wenig Probleme mit der differenzierten Partitur zu haben, zudem handelt es sich um eine Aufnahme unter Studiobedingungen. Der Gestus ist dramatisch geschärft, aber leider hört man nicht immer genug vom Komponierten.
Das wird im Folgenden zweiten und noch komplexeren Satz noch deutlicher, ein Effekt der durch die das Orchester nun weiter nach hinten rückende Technik noch verstärkt wird. Obwohl einzelne Teile durchaus ausdrucksvoll gespielt werden, fügen sie sich nicht zu einem Ganzen. Zu den Spitzenensembles fehlt es den Kölnern 1990 besonders an Homogenität, Rundung, Innenbalance und Präzision. Äußerlich trumpft man auf, an den Nahtstellen aber knirscht es. Die Violinen wirken als ein Schwachpunkt, klingen sie doch mitunter wie „schreiend“.
Im Scherzo herrscht ein gleichmäßiger Puls in einem gediegenen Tempo vor. Dem Walzer fehlt Geschmeidigkeit. Auch in diesem Satz könnte die Faktur der Komposition deutlicher werden. Bei einer Studioaufnahme hätten wir erwartet, dass das Corno obligato besser herauskommen könnte. Die Soli werden durchweg gut geblasen. Der Klang des Orchesters könnte reichhaltiger sein. Der Pauke gilt die besondere Aufmerksamkeit. Sie weiß sie zwar sehr gut zu nutzen, dominiert klanglich aber deutlich nicht nur die größere Schwester (die Gran Cassa), sondern auch das übrige Orchester.
Das Adagietto bleibt, trotz durchaus empathischen Spiels, klarer, deutlicher Phrasierung und aufmerksamer Gestaltung hinter den Möglichkeiten zurück. Grund dafür ist der allzu helle, wenig warme Klang der Violinen.
Auch im Rondo sind die Violinen ein kleiner, störender Schwachpunkt (immer wieder Präzision und Homogenität). Vielleicht war das auch der Grund, sie klanglich etwas aus dem Fokus zu nehmen und durch die Klangtechnik weiter nach hinten zu verschieben. Aber auch schwache Akzente mindern das frische bis burleske Naturerlebnis. Dem Gestus mangelt es auch an Entschlossenheit und der nur teilweise spürbaren sanguinischen Frische geht die Brillanz ab. Die Polyphonie haben wir auch schon deutlicher gehört. Dem Choral fehlt das erhabene, Majestätische, da die umspielenden Streicher dem Blech mehr als nur Konkurrenz machen. Angetriebene Stretta.
Die Darstellung wird in ihrem Gelingen hauptsächlich von klanglichen Defiziten behindert. Sie wirkt zwar großräumig, aber nur leidlich transparent für eine Aufnahme von 1990. Die Streicher sind oft nur undeutlich zu hören, da es ihnen an Präsenz fehlt. Der Bassbereich wirkt dessen ungeachtet straff. In ruhigeren Passagen kommt eine gute Tiefenstaffelung zum Tragen, im Forte leidet die Transparenz und der Klang verliert an Fülle, Rundung und Körperhaftigkeit. Obwohl die Aufnahme den Kindertagen der Digitaltechnik entwachsen sein sollte, erinnert das klangliche Ergebnis erneut daran, insbesondere wieder einmal bei den Violinen.
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3-4
Claudio Abbado
Chicago Symphony Orchestra
DG
1980
12:53 15:07 17:31 11:54 14:39 72:04
Von Abbado gibt es drei Einspielungen der Fünften. Diese erste Einspielung gab und gibt immer noch Rätsel auf. Es will einfach nicht viel zusammenpassen bei der Aufnahme der Fünften. Dabei hat die DG sie im gleichen Monat, wahrscheinlich sogar in einem Zuge mit demselben Personal (Abbado, damals 37, und das CSO) aufgenommen wie die Sechste, die bis heute noch immer zu den besten gehört. Vor allem klangtechnisch fällt sie weit hinter das mit der 1970er Decca-Aufnahme mit Solti zu hörende zurück, aber auch gegenüber der DG-Aufnahme der Sechsten. Zum Klang wie gewohnt später noch etwas mehr.
Dass man das Orchester nur flach, hart und kaum brillant und irgendwie leblos zu hören bekommt liegt wie eine schwere Hypothek auf der Musik. Auch musikalisch ergibt sich mit diesem unerfreulichen klanglichen Zusammenspiel eine Tendenz zum Zerfallen der Form, zumal es Abbado nicht gelingen will, einen großen Bogen darzustellen. Auch Details wollen einfach nicht gelingen, nur ein Beispiel aus dem ersten Satz: Bei Zi. 18 der zusammenbruchähnliche Höhepunkt im fff wird nur schwach dargestellt (völlig unzureichend angesichts der Wichtigkeit), Sogar bei Karajan gefiel diese Stelle viel besser, bei Solti 1970 sowieso.
Auch im zweiten Satz kommt Abbado an die Vehemenz Karajans, ebenfalls bei der DG, sieben Jahre früher, nicht heran. Immerhin wird bei Zi. 5 das „molto cantando“ eingelöst, wenn es auch viel schöner klingen könnte. Gut gefällt hingegen der bewusste, nachhaltige Einsatz des Tamtams (Instrument der Todesverkündigung). Da wusste man worum es geht. Bei der großen, sehr leise zu spielenden Cello-Monodie ist das Paukentremolo kaum zu hören, worunter der Spannungsaspekt dieser Passage sehr zu leiden hat. Die durchführungsartige Vorbereitung zum Choral wirkt distanziert und lediglich inszeniert und nicht wie durchlebt. Wie soll der Choral dann noch zu seiner eigentlichen Wirkung gelangen, zumal er auch noch matt klingt, ohne Fülle, Glanz und orchestrale Substanz. Den durchgehenden Impetus muss man ebenfalls vermissen. Wir vermuten, dass die Sechste die ganze Probenzeit verbraucht hat und für die Fünfte nicht mehr viel übrigblieb. So wäre das Gefälle zwischen beiden Einspielungen halbwegs zu erklären.
Einen mangelnden Spannungsaufbau (vielleicht wurde auch zu viel rumgeschnitten?) muss man auch beim Scherzo konstatieren, trotz eines halbwegs zügigen Tempos. Zwar hört man immer wieder gelungene klangliche Details, aber insgesamt kann das CSO den Berlinern mit Karajan in der Vorgänger-Aufnahme bei der DG klanglich nicht das Wasser reichen. Das Knochengeklapper von Freund Hein (Tanz mit dem Tod) wird überdeutlich in den Fokus genommen, was wir jedoch nicht kritisieren wollen. Der tänzerische Aspekt wird meist gut getroffen. Das wenig exponierte Corno obligato macht einen guten Job. In den drängenden Passagen blitzt die Virtuosität des Orchesters (es ist immer noch „Soltis Orchester“), es kann ja auch unmöglich seine Mahler-Kompetenz verloren haben. Die Stretta ist dann auch wieder eine Wucht, erscheint aber wie so viele Details effekt-orientiert. Eine Einschätzung, die normalerweise nie zu Abbados Absichten beim Dirigieren gehörte.
Das Adagietto hat von den drei Aufnahmen Abbados in seiner ältesten Aufnahme, d.h. als er selbst noch am jüngsten war, das langsamste Tempo. Normalerweise werden Dirigenten in Sachen Mahler V mit dem Alter immer langsamer. Damals war Abbado die Partitur-Anweisung mit „Molto Adagio“, also „sehr“ oder „äußerst langsam“ noch wichtiger als die Überlieferung der Mahler-Pioniere, die ihn noch selbst kannten (Mengelberg und Bruno Walter). Hauptmanko ist der knöcherne Klang der Aufnahme, wie vertrocknet und abweisend, besonders der Violinen. Da gefällt sogar der überexpressive Karajan noch besser. Das Adagietto wirkt räumlicher als die anderen Sätze.
Im Rondo dirigiert Abbado anscheinend mit lockerer Hand, passagenweise fast lasch und vor allem Dank des Chicagoer Blechs immer wieder mal temperamentvoller und bisweilen bissiger. Insgesamt scheint dieser Satz dem Orchester und Abbado am besten zu liegen. Man ist empathischer bei der Sache. Man kann als Hörer der Entwicklung jedoch nicht bruchlos folgen, vielleicht erneut wegen vieler Schnitte? Erneut registriert man Spannungsabfall. Bei der uns vorliegenden Galleria-Ausgabe wurde der letzte Ton gekappt, bevor er richtig ausschwingen konnte. Fazit: Karajans Aufnahme war mitreißender!
Zum Klang: er ist wenig sonor, rau, tendenziell trocken, hell, hart und spröde. Er könnte viel transparenter sein, vor allem wenn es lauter zugeht. Der Vielstimmigkeit des Werkes wird sie nur unzureichend gerecht. Raumtiefe wird allenfalls angedeutet. Weniger positiv könnte man auch schreiben, die Aufnahme ist brettflach und körperlos, also wenig bis überhaupt nicht plastisch. Die Violinen klingen nicht frei und wie die gesamte Aufnahme hart und spröde. „Wärme“ ist für diese Aufnahme ein Fremdwort. Die Aufnahme kommt wie bereits erwähnt weder an die Chicagoer Aufnahme Abbados der Sechsten, noch an die vorangegangene Aufnahme Abbados der Vierten (allerdings in Wien) heran. Eine verunglückte Aufnahme.
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3-4
Lorin Maazel
Wiener Philharmoniker
Sony
1982
13:57 14:55 17:30 10:33 15:11 72:07
Diese Einspielung der Fünften, es war die erste Lorin Maazels, bei der er 52 Jahre alt war, erfolgte währende der kurzen Zeitspanne, als er Chef der Wiener Staatsoper war (1982-84). Sie ist Teil einer Gesamteinspielung aller Sinfonien Gustav Mahlers.
Der erste Satz erklingt ohne Spannung, erschöpft und entkräftet mit betont abgerundeten Phrasierungen, die man nur bei Lorin Maazel hört. Diese Besonderheit hinterließ einen geschmäcklerischen Eindruck bei uns, höchstens noch als Versuch zu werten, sich von anderen abzugrenzen, denn aus dem Notenbild ergeben sich diese Phrasierungsdetails nicht. Das Orchesterspiel gibt zunächst wenig Grund zur Beanstandung, die Wiener spielen so, wie man es von ihnen erwarten kann. Nach und nach bemerkt man jedoch, dass es bei einem bewussten Schönspiel mit auf Großartigkeit bedachter Kraftentfaltung bleibt, das lediglich oder zuerst daran interessiert zu sein scheint, einen makellosen technischen Ablauf zu gewährleisten. Innere Beteiligung ist nicht festzustellen und somit wirkt die Musik inszeniert, es ergibt sich eine kühle bis frostige Atmosphäre, die gut zu einem Trauermarsch mitten im Winter bei klirrender Kälte passen würde. Als störend verbleibt dann immer noch die teils seltsam-eigenwillige Phrasierung.
Im zweiten Satz erwartet uns sauber-brillantes Spiel, das kaum an die Grenzen gehen will und risikoscheu wirkt. Vehemenz und stürmische Attacke wirken bemüht. Da explodiert nichts, man zirkelt höchstens ab. Die Wiener Philharmoniker zeigen sich weder von der Musik selbst noch von ihrem Dirigenten motiviert oder herausgefordert. Da hätte es wohl erneut eines Leonard Bernstein bedurft, um die Leidenschaft von 1971 wieder zu entfachen. Der kam in Sachen Mahler V jedoch erst 1987 wieder nach Wien (bzw. nach Frankfurt).
Das Scherzo wirkt ohne die Schwere, die viele andere hier verbreiten. Das Spiel wirkt recht detailliert, aber ohne echten Schwung und ohne gewinnende Verve. Gute solistische Leistungen stehen eher „geschäftsmäßig“ wirkenden Steigerungsverläufen gegenüber. Nicht gerade erregend, eher wohldurchdacht nach dem Motto: Wie erreiche ich größtmöglichen Effekt bei möglichst geringer Anstrengung. Gut geprobt scheint es, aber ohne Feuer.
Wer im Adagietto die Streicher der Wiener Philharmoniker hören möchte, der greife besser zu Bernstein oder Boulez. Bei Maazel klingen sie hell und ausgeblichen.
Das Rondo, man erwartet es kaum noch anders, klingt wenig spontan und kaum abenteuerlustig, emotional distanziert und professionell-perfektionistisch. Um die Musiker zu schützen schieben wir die Hauptschuld der nur ein ausgezehrtes Klangbild zuwege bringenden Technik zu. Insgesamt hinterlässt die Einspielung angesichts der prominenten Besetzung ein schwaches Bild von Mahlers Fünfter.
Der Raumeindruck und die Ortbarkeit einzelner Instrumente sind von heute aus betrachtet noch ganz gut. Damals, als die Digitaltechnik aufkam, wurden genau diese Eigenschaften als Quantensprung bejubelt. Auf der Kehrseite, die selbstverständlich verschwiegen wurde, stand eine Härte und Glasigkeit des Klangbildes, die seltsam genug, besonders die Violinen zu befallen schien. Die anderen Instrumente waren jedoch genauso betroffen, nur machte es sich nicht so sehr bemerkbar. Dem dünnen Klangbild fehlt es besonders an Wärme. Nicht viele audiophile Hörer/innen sehnten sich damals zurück zu den Höhenflügen der Analogtechnik mit ihren satten, warmen Farben und ihrer gewinnenden Verbindlichkeit. Diese Aufnahme ist ein Paradebeispiel für eine Digitaleinspielung der frühen Zeit. Zudem ist sie auch noch bassschwach. Die Wiener in ihrer ganzen Pracht bekommt man in der Boulez-Aufnahme, auch Bernstein 1987 klingt ganz gut.
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3-4
Fabrice Bollon
Staatskapelle Halle
MDR, unveröffentlicht
2022, live
13:50 15:20 18:18 12:00 15:05 74:33
Dies ist ein Live-Mitschnitt aus der Georg-Friedrich-Händel-Halle zu Halle im Bundesland Sachsen-Anhalt am Nordrand der Leipziger Tieflandbucht liegend. Das Orchester steht also in unmittelbarer Konkurrenz zu den großen Orchestern aus dem Nachbarbundesland Sachsen. Da hat es gegenüber dem Gewandhausorchester, der Staatkapelle Dresden, aber auch gegenüber dem MDR-Sinfonieorchester oder der Dresdner Philharmonie einen schweren Stand. Platten produzierte man auch zu DDR-Zeiten stets lieber dort als in Halle. Dabei verfügt(e) das Orchester über eine auffallend hohe Zahl an Planstellen, die zunächst darauf zurückzuführen war, dass 2006 zwei bereits sehr stark besetzte Orchester aus Halle (das Opernhaus-Orchester und das Philharmonische Orchester) fusioniert wurden. Nach sage und schreibe 319 Planstellen im Jahr 1992 verfügt das Orchester jetzt immerhin noch über 115. Insofern wäre es als Mahler-Orchester prädestiniert. Da sollten keine Aushilfen nötig sein. Aus dem Orchester rekrutiert sich übrigens auch das Händel-Festspielorchester, das auf historischen Instrumenten spielt.
Noch kurz ein paar Worte zum französischen Dirigenten. Fabrice Bollon ist seit 2022 Halles GMD. Er setzte Mahlers Fünfte als Hauptwerk auf das Programm seines Antrittskonzertes als neuer Chef an. Dabei war er übrigens 57 Jahre alt. Der MDR und damit zumindest mittelbar auch wir konnten dabei sein.
Der erste Satz wirkt langsam und getragen bis schleppend und es erfolgt kaum ein Spannungsaufbau. Der Marsch wirkt kraftlos, hoffnungslos, perspektivenlos. Die Passagen die offene Verzweiflung ausdrücken sollen erreichen nicht höchstes Entäußerungspotential. Die Streicher spielen homogen und wirken sehr stark besetzt, Blech und Holz befinden sich auf einem guten A-Niveau. Trotzdem kann man nicht verhindern, dass das derart langsame Tempo ins Larmoyante abdriftet.
Der zweite Satz zeigt die Fortsetzung des gesoftet-lahmen Duktus des ersten Satzes. Der Orchesterqualität liegt Jena näher als das Gewandhausorchster. Der Klang ist zwar warm und füllig, es gibt aber kein aus sich herausgehen und die vorderste Stuhlkante scheint weit entfernt. Es sind alle Töne da und es wird breit ausmusiziert.
Im Scherzo begegnet uns abermals der schon bekannte „gemütliche“ Gestus. Für das komplexe Scherzo fehlen Kraft und Beschwingtheit genauso wie ein leichterer, flexiblerer Klang.
Fabrice Bollon nimmt im Adagietto die Tempoangaben der Partitur ziemlich wörtlich. Das Resultat ist ein schwerer, nachdenklich-melancholischer, schmachtender Gestus, der sich mehr nach Liebeskummer anhört als nach „Schmetterlingen im Bauch“. Abenteuerliches Glissando bei Zi. 3. Das „morendo“ vom Schluss wird in gewisser Weise auf den ganzen Satz übertragen.
Im Rondo fragt man sich schnell, wo der gallische Esprit bleibt. Abermals wirkt der Gestus gemütlich und schwerfällig bis versonnen. Da gibt es keinerlei Drängen. Verhaltene Stretta. Man kommt über eine technisch solide Ausführung der Partitur kaum hinaus, was sich auf die komplette Sinfonie übertragen lässt. Es mangelt am geschärften Mahler´schen Geist. Abgründe werden nicht geöffnet, zumindest merkt man am heimischen Empfänger nichts davon.
Der Klang der Aufnahme erreicht nicht ganz die Qualität, die uns der MDR sonst aus dem Gewandhaus oder der Semperoper anliefert. Vor allem in Sachen Dynamik scheint der im Rundfunk sowieso schon reduzierte Punch noch weiter abgemindert. Es ist aber auch denkbar, dass wir versehentlich MDR Klassik statt MDR Kultur eingeschaltet hatten. Das Programm ist oft dasselbe, die Datenrate jedoch nicht. Transparenz und Balance sind in Ordnung. Wuchtige Gran Cassa. Leipzig und Dresden bieten bessere zudem Durchhörbarkeit,
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3-4
Fabio Luisi
MDR-Sinfonieorchester, Leipzig
G.L.B. Classics, Querstand
1997, live
12:40 15:33 19:28 12:32 15:28 75:41
Der italienische Dirigent war von 1996-2007 Chef des Orchesters des MDR. Inzwischen ist er seit 2017 Chefdirigent des Dänischen Radio-Sinfonieorchesters in Kopenhagen, außerdem ist er seit 2020 Musikdirektor des Dallas Symphony Orchestra und seit September 2022 Chefdirigent des NHK-Sinfonieorchesters in Tokio. Diese Einspielung entstand, als er 38 Jahre alt war. Angesichts seiner für einen Dirigenten noch ziemlich jungen Jahre waren wir überrascht von seinen weitgehend langsamen Tempi.
Im ersten Satz nimmt das empathische, ja innige Spiel ohne Übertreibungen, das auch mit kraftvoll-ekstatischen fff aufwartet, noch für sich ein, zumal es hervorragende Steigerungen aufzuweisen hat und gespannt und bei aller Strenge noch flexibel genug und nicht erstarrt wirkt. Er wirkt besonders „musikalisch“ und nimmt emotional auf besondere Weise mit.
Der zweite Satz ist jedoch gestalterisch und spieltechnisch anspruchsvoller als der erste und oft wendet sich mit ihm das Blatt. Der Satz beginnt durchaus noch stürmisch und vehement, wirkt sogar auffallend flexibel und rubatoreich artikuliert, was die Emotionalität durchaus fördern könnte, aber das langsame Tempo mündet schnell ins Schleppen. Da fehlt dann auch die Spannung und das gedehnte Tempo gibt sehr viel Raum und Zeit zum Nachsinnen. Dem sorgfältigen Spiel der MDR SO fehlt es an aufflammender Leidenschaft und am kämpferischen jedoch aussichtslosen Drang sich aus der schicksalhaft bedrohlichen Lage (z.B. Erkenntnis des eigenen Sterben-Müssens) zu befreien. Man kommt einfach nicht zur Sache.
Im Scherzo wird die Komposition in ihrer Faktur sehr klar dargelegt, wirkt jedoch da etwas zu verspielt und dort etwas zu verträumt, sodass man doch den rechten Zug vermisst und einen Hang zur Wiener „Gemütlichkeit“ festhalten muss. Nicht zu schnell wäre ja noch Mahlers Wunsch, aber zu wenig kräftig gewiss nicht. So ist der Gestus selten lebendig genug, um „immer wieder neue Welten zu gebären“, wie Mahler sein Scherzo sah. Das Dramatische wird vermisst.
Mit einigem Vibrato versuchen Luisi und das Orchester im Adagietto einen warmen, einnehmenden Klang zu erzeugen, was live im Gewandhaus sicher auch gelang. Die allzu kühl timbrierte Aufnahmetechnik konterkariert dieses Unterfangen jedoch gründlich. Das Tempo (die Partitur-Anweisungen werden auch von Luisi ernst genommen) verweist gemeinsam mit dem Bewegungszustand eines stehenden Gewässers in eine Traumwelt, die von Unerfüllbarem kündet. Dabei war „Almschi“ doch bereits so nah. Da ist jedoch mehr Versenkung als Leidenschaft oder jugendliches Sehnen zu hören. Luisi scheint bereits zu implizieren, dass diese Liebe nicht sehr lange glücklich sein wird, was Mahler nun während der Komposition wirklich noch nicht wissen konnte.
Das Rondo wirkt matt und entbehrt des Überschwänglichen. Dabei ist es durchaus erfüllt von Tatkraft und einige Energie vermittelt es auch an uns weiter. Dominierend im „Erscheinungsbild“ der Musik ist jedoch erneut das akribisch-genaue Spiel, das es auf eine spezielle Art verhindert, dass Spannung entsteht. Vielleicht weist der Hinweis, dass die Einspielung an mehreren Tagen entstanden ist darauf hin, dass man der Versuchung der Perfektionierung durch zahlreiche Schnitte nicht widerstehen konnte. Perfekt bedeutet eben oft leblos. Der Einspielung mangelt es an Impetus und energischer und vor allem temperamentvoller Kraftentfaltung und aufnahmetechnischer Wärme und Brillanz.
Das Orchester wirkt recht transparent, gut gestaffelt und aufgefächert. Schwerer wiegt allerdings die allzu wohnzimmerfreundliche, lasche Dynamik und der seltsam ausgezehrte Klang, der zu einem Orchester der Klasse des MDR SO nicht zu passen scheint. Er ist alles andere als voll oder gar prall. Mehr Präsenz und Brillanz wären wünschenswert.
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3-4
Heiko Mathias Förster
Neue Philharmonie Westfalen
Solo Musica
2011
12:56 14:57 17:07 10:38 15:20 70:58
Heiko Mathias Förster war 2007-2014 GMD dieses Orchesters, das 1996 aus der Fusion des Westfälischen Sinfonieorchesters Recklinghausen und dem Philharmonischen Orchester der Stadt Gelsenkirchen entstand, das auch als Opernorchester des Theaters im Revier eingesetzt wurde. Um den Dirigenten noch ein wenig zu „verfolgen“: Er war danach 2014-2019 Leiter der Janacek-Philharmonie in Ostrava und ist seit 2022 Chefdirigent der Philharmonie Baden-Baden.
Im ersten Satz fällt sofort der angenehm weiche Streicherklang des groß besetzten Orchesters auf, das als Gesamtes nicht immer ganz intonationsrein wirkt und dem das traumhaft sichere Zusammenspiel der Besten fehlt. Aber was noch schwerer wiegt: Es fehlt ihm der Biss, die Souveränität im Ausdruck, das Ätzende um die real gewordene Konfrontation mit der ausweglosen Situation unerbittlich genug darzustellen.
Auch der zweite Satz wirkt allzu gediegen, ganz schön gespielt, aber in diesem Zusammenhang einfach zu schwerfällig, an der Oberfläche verweilend und wenig dringlich. Das Orchester wirkt nicht bis zum Ende gefordert oder aber es war nicht mehr drin. Der virtuose Aplomb wirkt nicht gerade ausgeprägt.
Das Scherzo überrascht dann mit einem erstaunlich flotten Tempo. Denn es fehlt der rechte Schwung und die Ausdruckssphäre bleibt eindimensional. Immer verbleibt ein Rest von Betulichkeit und ein Rest vom nur Gewollten, das sich nicht ganz realisieren ließ. Der Satz wirkt über weite Strecken zu einheitlich, die ständig neu entstehenden und wieder vergehenden „Welten“ werden nicht plastisch gemacht.
Im Adagietto können die klangschönen Violinen richtig aufblühen und zeigen, dass sie die beste Gruppe im Orchester sind. Das Tempo wirkt langsamer als es ist, aber nicht spannungslos. Zum hemmungslosen Schwelgen hätten wie dem Klang mehr Präsenz gewünscht.
Eine Überraschung bringt das Rondo mit, denn das Orchester bringt das lockere „giocoso“ gut zur Geltung, auch wenn der spezielle virtuose Touch der Chicagoer unter Solti (1970) oder der Berliner mit Karajan oder Dudamel fehlen mag, Die Sätze vier und fünf gelingen in dieser Einspielung weitaus am besten.
Der Klang der Aufnahme lässt eine gute Transparenz und Ortbarkeit der einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen zu. Die Dynamik ist für so eine noch neue Aufnahme lau. Der Streicherklang wirkt sehr angenehm, weich, voll und rund. Man hätte dem Sound jedoch etwas mehr Präsenz und einen Hauch mehr Brillanz gewünscht. Der Klang ist nicht das Problem der Veröffentlichung.
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3-4
Shi Yeong Sung
Gyeonggi Philharmonic Orchestra
Decca
2016
12:38 15:19 19:03 10:43 15:27 73:20
Die koreanische Dirigentin studierte bei Rolf Reuter in Berlin (2001-2006) und Jorma Panula in Stockholm. Wie Gustavo Dudamel und Katchun Wong war auch sie Gewinnerin des Gustav-Mahler-Dirigier-Wettbewerbs in Bamberg (2. Preis ohne Vergabe eines ersten). Außerdem gewann sie den Georg-Solti-Dirigierwettbewerb. Sie war von 2014-2017 Chefdirigentin des Orchesters aus der gleichnamigen südkoreanischen Provinz. Eine feste Position scheint sie erst 2023 wieder übernommen zu haben, denn seitdem ist sie Principal Guest Conductor in Auckland (Neuseeland). Zur Zeit der Einspielung war sie übrigens 41 Jahre jung.
Es handelt sich durchaus um ein klangschönes Orchester, bei dem vor allem die Violinen durch geschmeidigen Glanz gefallen. Die Vielstimmigkeit kommt zwar nicht zu kurz, wir haben sie jedoch schon deutlicher gehört, z.B. bei Rafael Payare, Battistoni, von Katchun Wong ganz zu schweigen, um einmal bei der jüngsten Generation zu bleiben. Diesbezüglich ist sie jedoch immer noch einer Fünften à la Gergiev überlegen.
Im zweiten Satz beginnt man durchaus stürmisch und vehement, leider büßt man jedoch im Verlauf schnell Spannung ein, die sich nicht mehr einstellen will. Obwohl man sich um detailreiches Musizieren bemüht, mag der große Bogen noch fehlen. Der zweite Satz macht deutlich, dass es dem Orchester an Körper und Glanz gegenüber den guten europäischen oder amerikanischen Orchestern fehlt, aber auch gegenüber dem Orchester aus der Hauptstadt Seoul, das wir in der Einspielung mit Myung Whun Chung kennenlernen durften. Gelungene stürmische Passagen wechseln sich mit spannungsarmen ab. Die Violinen wirken durchaus expressiv.
Das Scherzo wirkt wenig durchpulst und ziemlich gemütlich. Das Trio in B-Dur, das dann noch „etwas ruhiger“ werden soll, sackt durch zu langsames Spiel in der Spannung ganz zusammen, da nutzen auch die exakt spielenden Violinen nichts mehr. Die Hörner spielen als Gruppe nicht gerade überragend. Allzu sehr wendet man den Blick in diesem Scherzo nach innen. Insgesamt fehlt der Biss.
Im Adagietto gelingt eine zurückhaltend-vornehme Gestaltung, den drängend-leidenschaftlichen Gestus im Mittelteil ignoriert man weitgehend, denn das zärtliche Moment behält auch in der Drangphase deutlich die Oberhand. Die Darstellung wirkt auf uns empathisch und filigran gezeichnet, sie nimmt sich die Zeit, die sie braucht. Die Streicher sind zwar nicht immer ganz homogen, aber die Harfe ist bestens ins Klangbild integriert worden. Zum Verlieben schön.
Das Rondo wirkt zwar nicht gerade kraftstrotzend und vorantreibend, sondern gemächlich, weich und abgerundet. Unser Held ist anscheinend noch nicht ganz wach, denn er wirkt noch ein wenig unbeholfen und verträumt. Vom Projekt „Befreiung von der Welt“ (von Sieg wollen wir gar nicht sprechen) ist wenig zu spüren. Der Choral wirkt weniger als Kulminationspunkt, sondern eher inszeniert. Das Rondo haben wir schon ungleich prickelnder gehört.
Der Klang der Einspielung wirkt in den leisen Passagen sehr plastisch und differenziert. Im ff wird er leider sehr viel dichter und kompakter, sodass wir mit einer wechselnden Transparenz auskommen müssen. Die Violinen klingen satt und füllig, da hat man an der Besetzung nicht gespart. Die Pauke wirkt etwas verschwommen, die Gran Cassa mächtig. Insgesamt geht die Dynamik in Ordnung. An die Brillanz der Aufnahmen von Payare oder Battistoni oder die der anderen beiden Gewinner in Bamberg, Dudamel (2x) und Wong kommt die Aufnahme nicht heran.
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3-4
Hans Swarowsky
Wiener Symphoniker
Berlin Classics
1971
13:22 15:43 19:09 10:32 18:40 77:26
Hans Swarowsky hatte zwar vor und nach dem Krieg einige Chefpositionen inne, z.B. bei den Wiener Symphonikern (1946 und 47), in Graz (1947-50), danach widmete er sich jedoch seiner Lehrtätigkeit als Leiter der Wiener Dirigentenklasse. So zählen so illustre Namen zu seinen Schülern wie Claudio Abbado, Mehta, Jansons, Carydis, Chmura, Lopéz-Cobos, Ivan Fischer, Guschlbauer, Kitajenko, Roberto Paternostro, Peter Schneider und Sinopoli, Mario Venzago, Bruno Weil, Hans Zanotelli u.v.m.. Als Dirigent war er Anhänger einer „neuen Sachlichkeit“.
Diese Aufnahme der Fünften, bei der der Dirigent 72 Jahre alt war, ist eine Aufnahme des Österreichischen Rundfunks. Sie stammt aus dem Studio und war ursprünglich nicht zur Veröffentlichung auf Tonträger bestimmt.
Die Wiener Symphoniker präsentieren sich in dieser Aufnahme nicht als Spitzenensemble, da knirscht und kracht es mitunter gewaltig im Gebälk und auch die Intonation lässt zu wünschen übrig, auch bei der wackligen Trompete. Eigentlich sind aber alle Gruppen des Orchesters betroffen. Der erste Satz wirkt, ohne zu schleppen, dunkel, ernst und tragisch mit großen Gegensätzen, ohne in die Extreme vorzudringen. Das typische Mahler-Klang ist da.
Der zweite Satz wirkt erstaunlich bedrohlich und fast schon gewalttätig vehement und stürmisch. Die Cellomonodie wird ausdrucksvoll gespielt, sie ist jedoch viel zu laut, sollte pp sein, ist aber mindestens mf. Das bedächtige Tempo verhindert, dass das Bedrohungspotential nicht noch stärker empfunden wird, es sind jedoch gerade die lyrischen Passagen, die mit hoher Expressivität überzeugen. Den aufrührerisch wütenden Passagen, die aus dem Elend herausreißen sollen, fehlt es ein wenig an drängender Unmittelbarkeit. Das Orchester scheint alles zu geben und schont die Instrumente nicht. Besonders die Streicher (Violinen!) gehen über den üblichen schönen Klang weit hinaus. Der zweite Satz stellt was Expressivität angeht die meisten modernen Aufnahmen weit in den Schatten. Der Choral wird bis zur Monumentalität gesteigert. Da geht man fast schon zu weit, denn wie soll der Choral dann im Rondo überhaupt noch weiter gesteigert werden können? Das Orchester hat sich gegenüber dem ersten Satz beträchtlich gesteigert. Man wächst an seinen Aufgaben, hier bis zu beeindruckender Expressivität. Am Ende des Satzes ist die Deutlichkeit sehr gut, aber sie wird durch eine viel zu hohe Lautstärke erkauft. Dennoch: Dies ist ein schicksalhafter zweiter Satz, in dem es keine Aussicht auf entkommen gibt.
Im Scherzo geht es behäbig und wuchtig weiter. So langsam wollte das Mahler wahrscheinlich nicht gespielt wissen. Das Orchester lässt viel „Luft“ in den Satz, aber dass es ein Scherzo sein soll (und nicht ein Spaßverderber) wird außeracht gelassen. Der tänzerische Impuls fehlt gänzlich. Der Gestus wirkt im Vergleich zu den anderen Einspielungen sehr düster und schwer. Um allen Aspekten der Musik gerecht zu werden, fehlt es auch an Flexibiltät und Vielschichtigkeit des Klangs. Schwermütig und starr bleibt Swarowsky so auch im vermeintlich Leichten.
Das Adagietto wirkt wenig lebendig und orchestral nicht ganz überzeugend. Der Gestus wirkt sehr ernst und statisch.
Beim Rondo erweist sich Herr Swarowsky als der Rekordhalter für Langsamkeit. Es klingt wie eine akustische Zeitlupe und kann wohl nur ein Missverständnis sein. Das Fugato ist in seiner Vielstimmigkeit sehr transparent gehalten, wirkt aber unglaublich zäh. Das ist kein freudiges Erwachen. Als ob unser Held denkt: Besser wieder im Bett einmal rumgedreht und weitergeschlafen. Die „Per aspera ad astra-Dramaturgie“ wird weitgehend sabotiert. Für den Partiturleser ist dies jedoch die ideale Gelegenheit ohne Mühe der Partitur zu folgen. Der Choral bleibt gegenüber den im zweiten Satz geweckten Erwartungen zurück, eine Steigerung ist nicht mehr möglich und ausgerechnet jetzt fehlen der Aufnahme die nötigen dynamischen Reserven. Die Stretta ist ein Musterbeispiel an Behäbigkeit. Swarowsky bietet eine Interpretation weit ab vom Mainstream. Er betont jedoch zu einseitig die dunklen Seiten der Komposition und das sukzessive Lichtwerden wird weitgehend außeracht gelassen. Gerne wüsste man, was sich Herr Swarowsky dabei dachte. Die beiden ersten, insbesondere der zweite Satz würden wir sehr viel höher einstufen, wenn dies an dieser Stelle gestattet wäre.
Die Aufnahme des ORF ist sehr transparent und räumlich. Sie zeigt eine sehr gute Präsenz und dynamisch ist sie lange nicht so eigeschränkt wie die Live-Übertragungen des ORF heutzutage aus dem Radio. Also durchaus „ansehnlich“.
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3-4
Harold Farberman
London Symphony Orchestra
Vox
1980
14:10 15:32 19:53 12:02 16:43 78:20
Mister Farberman war nach Abschluss seines Studiums an der Juilliard School of Music ab 1951 Schlagzeuger beim Boston Symphony Orchestra, studierte währenddessen jedoch weiter Komposition. Er bleib dem Orchester treu bis 1963 als er Chefdirigent in Colorado und Oakland wurde. Bekannt wurde er diskographisch vor allem durch seinen Einsatz für die Kompositionen von Charles Ives.
Bei der Fünften hält er den Rekord für die langsamste Einspielung über alle Sätze hinweg.
Die Fanfare erklingt ohne militärischen Drill, das Schlagzeug klingt präsent, auch das Tamtam, die Violinen weich, das Blech mächtig, aber nicht immer ganz präzise. Das Tempo wirkt grüblerisch, der Gestus im ersten Satz bewusst aber energiearm. Er spiegelt Trauer und Ergebenheit ins Schicksal sehr gut wider. Der Satz, den wir jetzt schon so oft gehört haben, wirkt gedehnt und spannungsarm. Wie steckengeblieben im Sumpf, aus dem es kein entrinnen mehr gibt. Der von Mahler verlangte „gemessene Schritt“ erscheint hier gehemmt oder entkräftet. Dass Farbermans Vater in einer Klezmerband spielte dringt in die Gestaltung des dirigierenden Sohnes nicht hörbar durch.
Leider geht es im zweiten Satz fast genauso entkräftet und deprimiert weiter, alles wirkt sehr bewusst und genau ausgespielt. Existenzielle Bedrohung wird durch diese Einspielung nicht erfahrbar. Das Innerste wird kaum nach außen gekehrt. Packend ist es auch nicht, wenn man Solti, Kondraschin Barshai oder Bernstein dagegen Revue passieren lässt. Das LSO schlägt sich ganz gut und macht vieles hörbar, was sonst kaum auffällt, so hört man immerhin mehr vom Werk als in Gergievs 30 Jahre jüngerer Einspielung. Die Choral-Vision des Paradiso klingt sehr pathetisch und breit gewalzt.
Für „Farbermans“ Scherzo sollte man etwas Geduld mitbringen, die Tanzbewegungen wirken wenig jugendlich, eher altväterlich. Die Vielstimmigkeit findet gebührend Gehör.
Im Adagietto werden die schriftlich fixierten Tempoangaben ernst genommen, als Liebeserklärung wäre der Satz sehr langsam geraten.
Auch das Tempo im Rondo bleibt im Vergleich sehr zurückhaltend, der Gestus nicht vorsichtig aber doch gebremst und allzu gelassen. Das exzellente LSO steuert nuanciertes Spiel bei, es fehlt entschieden an entschlossener Tatkraft. Unser fiktiver Held hängt noch viel zu sehr im verträumten Adagietto fest. Beim Rondo sollte man jedoch in eine andere „Welt“ eindringen.
Der Klang wirkt recht transparent, relativ farbenreich und tendenziell mit kühlen Farben versehen. Die Bühne wirkt weit gefächert, die Dynamik erreicht keine Spitzenwerte. Es handelt sich um eine ganz frühe Digital-Produktion fast ohne die typische gläsern wirkende „Digitalitis“, dennoch klingen die hervorragenden Violinen ein wenig spröde. Das Orchester wirkt etwas weit entfernt. Seltsam kommt es vor, dass das Schlagzeug sehr präsent wirkt (da merkt man, was der Dirigent studiert hat) und das Blech bei den ff-Ausbrüchen förmlich an den Streichern vorbei nach vorne zieht. Gegenüber den richtig guten Aufnahmen wirkt der Gesamtklang reichlich dünn. Als die Aufnahme 1980 erschienen ist, war sie als erste Digitalaufnahme der Fünften noch etwas Besonderes. Im heutigen Angebot dürfte sie jedoch ziemlich untergehen, zumal sie als Ganzes betulich wirkt.
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3
José Maria Moreno Valiente
Orquesta Filarmonica de Málaga
IBS Classical
2020
12:36 15:36 17:15 12:01 14:47 72:15
Der spanische Dirigent leitet das andalusische Orchester seit 2020 als Musikdirektor. Außerdem ist er Musikdirektor in Quintana Roo (Mexiko) und Professor in Valencia. Da es von ihm keinen Eintrag bei Wikipedia gibt und er sein Geburtsdatum auf seiner Webseite nicht angibt, bleibt sein Alter zur Zeit der Einspielung unbekannt. Erneut hat man Mahlers Fünfte zum CD-Debut als Musikdirektor ausgewählt. Keine gute Wahl, wie sich schon bald herausstellen sollte.
Die Trompete zu Beginn klingt ziemlich blechern, ein Klang, den man dem Instrument nicht gerne zubilligt, obwohl es aus diesem Material hergestellt wurde. Es soll edler klingen, silbrig oder noch besser golden. Das gelingt dieses Mal nicht, wahrscheinlich absichtlich. Zudem kommt noch ein sehr seltsames sf und schon fühlen wir uns mitten auf einem Kasernenhof zur Zeit Mahlers. Flüchtig möchte Mahler die Triolen der Fanfare zu Beginn gespielt haben, so flüchtig wie in Malaga klangen sie noch nie. Bei einem Probespiel hätte man diese Auslegung sicher nicht gewagt. Sagen wir mal: Das war fantasievoll-schnoddrig. Das Orchester lässt die dramatische Erregung bis in die Grenzbereiche steigern, selbst die erschöpft-traurigen lyrischen Passagen wirken unruhig und nervös. Das Pizzicato beim letzten Akkord ist durchdringend.
Die Motive zu Beginn des zweiten Satzes sind vehement und knallen heraus. Der zweite Satz lässt die Vermutung, die wir bereits im ersten Satz hatten, zur Gewissheit werden: Das Orchester erreicht allenfalls ein aufgerundetes B-Niveau, zumindest einmal bei diesem Satz, wobei die Streicher ziemlich unterbesetzt erscheinen (immer im Vergleich zum bereits gehörten). Sie klingen dünn und drahtig und sind dabei nur ein pars pro toto., das Blech bringt einen ausgeprägten Hang zu schroffer Artikulation mit, man könnte auch schreiben, es klingt unkultiviert. Die Bässe klingen „bumsig“. Von der Gran Cassa, sonst der Krawallmacher vom Dienst, vernimmt man hingegen nicht viel. Der Choral wird zu einem Missvergnügen.
Im Scherzo kann das Corno obligato angesichts des bereits gehörten nicht vom Hocker reißen. Der Schwung wirkt aufgesetzt, das Zusammenspiel nicht selten gefährdet, die Präzision lässt zu wünschen übrig. So hat sich Mahler die Turbulenzen in seinem zentralen Satz sicher nicht vorgestellt. Das Hauptproblem sind die Violinen. Seltsam ist, dass die Höhepunkte sicherer wirken als die weniger auffälligen Passagen in den Ebenen, so als ob man sich bei den Proben besonders die Passagen, die Eindruck machen sollen, herausgepickt hätte. Wir wollen den Andalusiern eine beherzte Spielweise gar nicht absprechen, es fehlt jedoch an vielem.
Das Adagietto bietet trauerumflorte, brüchig-raue Streicherklänge mit unsicheren, inhomogenen Tonansätzen. Man kann das Tempo gar nicht recht füllen. Sicher lässt sich dabei kaum an eine junge Liebe denken. Wer hat den Produzenten angesichts der erdrückenden Situation am Markt überredet, die Musiker mit Mahlers Fünfter ins Rennen zu schicken? Dabei belegt man leider nur einen weit abgeschlagenen Platz. Hauptmanko dieser Einspielung ist der schäbige Klang, zumindest beim Streamen, der alle Anstrengungen der Musiker im Keim erstickt. Ob er auf eine minimale Datenrate zurückzuführen ist?
Der Klang wirkt insgesamt hart und kantig. Die mürben Violinen stören so ganz besonders. Die Transparenz ist nicht gerade die beste, das Holz klingt zu weit entfernt. Der Gesamtklang wirkt unkonturiert, der Bass verschwommen. Die Aufnahme macht in dieser Darreichungsform keine Freude.
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2-3
Hermann Scherchen
Philadelphia Orchestra
Tahra
1964, live
12:30 13:42 5:36 15:10 9:13 56:11
Dies ist der Mitschnitt der ersten Aufführung von Mahlers Fünfter mit dem Philadelphia Orchestra überhaupt. Sie wurde zwar bereits vom Boston Symphony Orchestra 1906 während eines Gastspiels in Philadelphia gebracht, der Erfolg war jedoch so bescheiden, dass man sie danach bis 1964 nicht mehr aufführen wollte, obwohl sie bereits kurz nach dem Gastspiel der Bostoner programmiert war.
Hermann Scherchen kannte Mahler nicht mehr persönlich, sodass man ihn wie Solti, Bernstein, Haitink oder Kubelik eher der zweiten Dirigentengeneration zuordnen müsste. Zur ersten würden gehören: Mengelberg, Fried, Klemperer und natürlich Bruno Walter. Scherchen war als Außenseiter und Provokateur bekannt. Hört man seine drei Live-Mitschnitte bekommt man einen Eindruck wieso, denn er betätigt sich bei der mit so viel Mühe und Liebe zum Detail angefertigten Komposition wie ein Metzger beim Ausbeinen seiner armen Opfer. Zur Zeit der Einspielung war der Dirigent 73 Jahre alt. Zwei Sätze sind das Ziel seiner Arbeit mit dem Hackbeil, äh Rotstift.
Vom Scherzo streicht er die eher langsamen und ruhigeren Passagen weg d.h. 401 von insgesamt 819 Takten (zwischen T. 173 und 490 und von T. 578 bis 764).
Im Rondo von T. 329 bis 438 und von T. 749 bis 758, das letztere sind gerade mal die ersten zehn Takte der Coda, wobei gerade dies überhaupt keinen anderen Sinn haben kann, als den Satz zu zerhacken. Das gelingt wirklich gründlich und wirkt sogar laienhaft, denn es wären sanftere, d.h. unmerklichere Einschnitte möglich gewesen.
Anscheinend war der Dirigent der Meinung, dass ein Stunde Mahler genug für das Publikum im Konzertsaal sei und nicht überschritten werden darf und alles was drunter bleibt sei ein Gewinn. In Mailand und Paris verfährt er genauso. Nur die Wiener Studioeinspielung bleibt ungeschnitten. Karajan wollte bei seiner DG-Aufnahme auch schneiden. Die Erkenntnis, ob er es auch so dermaßen unsensibel gemacht hätte, blieb uns jedoch erspart, denn man konnte ihn noch rechtzeitig umstimmen. Man erkennt an dieser Vorgehensweise, dass man anscheinend nicht viel von der Komposition als Ganzes hielt.
Dass sich eine dermaßen verstümmelte Darbietung heutzutage von selbst ans Ende einer vergleichenden Diskographie setzt, versteht sich von selbst. Nun noch ein paar Streiflichter aus Philadelphia.
Die übriggebliebene Musik kündet allerdings von einem hohen Verständnis der Musik Mahlers schon gleich zu Beginn mit einer mysteriösen, dunklen Friedhofs-Atmosphäre. Zwar wirkt die Trompete noch ein wenig unsicher, sie fängt sich jedoch gleich wieder. Sehr langsam und sehr ausdrucksvoll steigert sich ab Zi. 7, die Interpretation zu einer extrem wilden Leidenschaft (wie von einer manisch getriebenen Seele getrieben), die sich ungebremst Bahn bricht, bei Zi. 9 dann das depressive Zurückfallen in die tiefe Trauer. Scherchen nutzt viel Rubato, trotzdem spielen die Amerikaner live besser als die Wiener 1952 unter Studiobedingungen.
Auch im zweiten Satz wird die Raserei der Wiener Einspielung von 1952 noch übertroffen, das Schnelle wird noch schneller, das Langsame noch langsamer. Das Orchester muss stets maximal konzentriert bleiben, denn Scherchen heizt noch mehr ein als Solti in seiner besten Aufnahme 1970. Maximal ausgereizte Kontraste sind die Folge. Die Streicher können kaum folgen, dass es gerade noch so gelingt, spricht für ihre Klasse und sorgt für zusätzliche Spannungsmomente. Für Scherchen zählt Ausdruck hier alles, architektonische Balance oder orchestrale Befindlichkeit (fast) nichts. Wie bereits 1952 in Wien. Das klingt wirklich abenteuerlich. Die Celli bei ihrer Monodie lassen die Musik (gefühlt) fast zum Stehen kommen. Wie ein Moment der Ewigkeit, einer Gefühlslage aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Der zweite Satz hörte sich 1952 noch gradliniger an, nun wirkt er zur wild-zerklüfteten Komposition noch zusätzlich verzerrt. Als ob dies das Portrait einer verrückt-verzweifelten Persönlichkeit wäre. Dies hört sich faszinierend an.
Wie Scherchen beim Scherzo von 18 Minuten 1952 auf 5 1/2 Minuten 1964 gekommen ist, haben wir bereits geschildert. Die verbliebenen Takte werden zudem noch extrem giocoso gegeben, was allerdings nur der Gestus des Finales des Scherzos sein sollte. Und rasant schnell. Das Orchester hat damit große Probleme, vor allem mit der Intonation. Das Zusammenspiel wird auf eine harte Probe gestellt, klappt jedoch erstaunlich genug wie auf des Messers Schneide, man muss eben improvisieren und das kann man. Nur zu Beginn des Satzes ist das Orchester noch nicht ganz im Bilde. Die Walzerepisode wird - überraschend – extrem langsam gegeben, da kommt man nun wirklich nicht ins Tanzen. Gegenüber 1952 ist an diesem Satz fast nichts mehr ähnlich geblieben. Statt locker klingt es nun forsch bis gehetzt. Das ist ein Spiel um Leben und Tod. Oder Provokation?
Im Adagietto wird unser bisheriger Rekordhalter, Bernard Haitink in Berlin, nochmals deutlich überboten was die Spieldauer anlangt. Der Satz leidet vor allem unter der mangelnden Präsenz der Violinen. Scherchen betont die Tempoangaben über die Maßen genau. Das „nicht schleppen“ ignoriert er dabei allerdings. Die Zeit scheint stehenzubleiben. Scherchen lässt zudem extrem leise spielen. Das ist keine Liebeserklärung, vielmehr klingt es ähnlich wie in den Adagios der Neunten oder Zehnten, nach Abschiednehmen vom Leben. Scherchen zeigt auch in diesem Satz, was möglich ist oder auch was unmöglich ist, je nachdem welchen Blickwinkel man einnehmen will.
Das Fugato im Rondo wirkt gehetzt. Die weitere Artikulation wirkt teils extrem pointiert, sodass das Rest-Rondo fast zu einer Eulenspiegelei mutiert, ironisch verzerrt, vergröbert, übersteigert, vom Orchester furios vorgetragen. Mit einem geringeren Orchester hätte Scherchen sicher Schiffbruch erlitten, die Amerikaner müssen jedoch auch den letzten Rest ihrer virtuosen Möglichkeiten aktivieren. Erneut hören wir extreme Temposchwankungen. Mit den Schnitten wird daraus: Eine Groteske. Bei dem Versuch, diese Live-Darbietung zu verstehen, kommt man an seine Grenzen. Der Mainstream könnte nicht weiter entfernt sein. Ob sie faszinierend schlecht oder faszinierend gut ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Die die Gestalt entstellenden Schnitte bleiben jedoch unverzeihlich.
Der Mitschnitt (mit einer kurzen Anmoderation) ist sogar stereophon, überraschend für eine Radioübertragung jener Zeit, als in Europa noch weitestgehend mono gehört wurde. Die Dynamik ist gut. Der Klang wirkt dunkel grundiert, d.h. aber auch: Es fehlt ihm die Brillanz. Er ist aber recht klar. Die Streicher kommen leider erheblich schlechter ins Bild als das Blech. Die Aufnahme wirkt überdämpft, als wollte man starkes Bandrauschen mit harten Filtern eliminieren.
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2-3
Hermann Scherchen
Orchestre National de l´ORTF, Paris (heute: Orchestre National de France)
Harmonia Mundi
1965, live
10:46 13:11 5:34 13:04 9:12 51:47
Die verwendete „entbeinte“ Restpartitur wie in Mailand 1962 und Philadelphia 1964 findet auch in Paris Verwendung.
Der erste Satz erhält gegenüber Philadelphia einen noch flotteren Schritt, sehr flott, er sollte eigentlich nur „gemessen“ sein. Wie bereits 1962 und 64 gehören große Tempogegensätze erneut zu Scherchens Werkzeugkasten, um die Kontraste größtmöglich zu steigern. Ab Zi. 7 hören wir nun ein (gefühltes) Presto. Das Pariser Orchester macht von allen drei Live-Orchestern Scherchens im ersten Satz den noch am besten vorbereiteten Eindruck. Das wirkt schon sehr virtuos.
Im zweiten Satz holt Scherchen ebenfalls alles an Spielfähigkeit aus dem aufmerksamen Orchester heraus. Jetzt häufen sich jedoch die Intonationsmängel. Den Choral kennt man schon aus Mailand und Philadelphia, er wird extrem stürmisch vorbereitet, er selbst klingt sehr majestätisch. Ein wirklich wild zerklüfteter zweiter Satz.
Im 1/3Scherzo, sogenannt weil nur noch 1/3 vom eigentlichen Material des Scherzos übriggeblieben ist, klingt das Orchester nun doch ziemlich unpräzise, ein langsameres Spiel wäre für dieses Orchester vorteilhaft gewesen. Scherchen geht es jedoch um die extrem geschärften Gegensätze. Das gelingt vortrefflich, auch wenn das Sätzchen nur noch ein Torso ist.
Auch in Paris wird das Adagietto aus dem Blickwinkel der Neunten und Zehnten gesehen. Sehr langsam ist ja noch richtig, wenn man den Buchstaben der Partitur das Vertrauen schenkt, aber so gedehnt? Jedenfalls ist der Satz weder intermezzohaft leicht noch eine Liebeserklärung. Sehr ruhevoll, kaum leidenschaftlich und der Satz will, obwohl zwei Minuten kürzer als in Philadelphia, einfach kein Ende nehmen. Erst gegen Ende des Satzes zeigen die Pariser Streicher zu welch schönem Klang sie fähig sind.
Ganz ähnliches Bild beim Rondo wie in Philadelphia. Begeisterter Jubel und einige Buhs in Paris. Für den Scherchen-Fan sind diese Aufnahmen unbedingt zu empfehlen, der ersthafte Mahler-Interessent kann davon Abstand halten.
Der relativ beste Klang (ebenfalls in Stereo) der vier Aufnahmen mit Scherchen kommt aus Paris. Allerdings ist er immer noch schlecht, wenn man ihn mit der diesbezüglich übermächtigen Konkurrenz vergleicht. Er ist recht weiträumig. Die Becken sind völlig überpräsent und viel zu laut, da hat sich wohl ein Mikrophon verirrt. Die Dynamik ist nivelliert, wenn man vom ultimativ reindreschenden Becken einmal absieht. Das Blech ist viel zu hintergründig, das Orchester als Ganzes wenig präsent und wenig sonor. Es gibt nur wenig Bass und wenig Fülle, dafür dann noch viele kleine Störgeräusche, vor allem im Adagietto, viel mehr als in Mailand und Philadelphia.
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2-3
Hermann Scherchen
Orchestra Sinfonica della RAI di Milano
Living Stage, Paragon
1962, live
11:18 13:22 5:26 13:16 9:11 52:33
MONO In Mailand hört sich der erste Satz zunächst eher wie ein Alarm in der Kaserne als der Beginn eines Trauermarsches an. Der Marschcharakter wirkt jedoch nicht demonstrativ zackig, wie man es erwarten würde, sondern erstaunlich kantabel. Das Tempo hört sich zunächst noch an wie das in Wien, dann ab Zi. 7 wird es auf einmal wild wie von der Tarantel gestochen und prescht konvulsivisch los. Erneut wird die Leistungsfähigkeit des Orchesters (oder sollte man Leidensfähigkeit schreiben?) voll ausgereizt. Und wider Erwarten macht es seine Sache sogar besser als das Philadelphia Orchestra, in diesem Satz. Vielleicht kannte es den Dirigenten besser, und wusste, wozu er fähig ist. Der zusammenbruchähnliche Höhepunkt bei Zi. 18 ist dynamisch sehr schwach ausgefallen. Und „immer dasselbe Tempo steigernd“ wird bei Scherchen „abartig schnell“ steigernd. Also wie in Phila und Paris sind Kontraste und expressive Zuspitzung für Scherchen wieder alles.
Wilder als zu Beginn des zweiten Satzes geht es kaum, allerdings bei ziemlich geringer Deutlichkeit. So könnte man sich ein klingendes Inferno aus Mahlers Feder vorstellen. Es kommt viel flexibles Rubato zum Einsatz, das die wechselnden Tempi nochmals modifiziert. Die Cellomondie klingt ausnehmend fahl. Es wird mächtig gedrängt, die Lesart dem Expressionismus deutlich angenähert. Der Choral wird mit sagenhafter Zugkraft vorbereitet, das Orchester muss anscheinend häufiger improvisieren, um im gemeinsamen Rhythmus zu bleiben. Der Choral selbst wird leider von dissonierenden Hörnern gestört. Er wirkt auch nur kurz monumental, dann sofort anschließend wirkt er wie von Geistern vertrieben und man hält ihn nur noch für eine kurze zerstäubende Vision. Das kann Scherchen sehr gut deutlich machen und viele Dirigenten sollten seine Live-Einspielungen trotz der verstümmelnden Kürzungen kennenlernen. Der Mann hatte auch gute Ideen.
Selbst das kurze Scherzo klingt inzwischen unpräzise und mit teils verwischen Konturen, teils sagenhaft drängend, energisch und impulsiv. Das Orchester hat nachgelassen, kämpft aber immer noch wacker gegen die Materie.
Das Adagietto verfolgt ähnliche Absichten wie in Phila und Paris, noch nicht ganz so extrem wie in Phila.
Das rudimentäre Rondo zeigt die Tatkraft eines „Übermenschen“, abenteuerlustig und drängend, rasant und mit heißer Nadel gestrickt. Der Impetus ist mitreißend, die Hörner erneut zeitweise dissonierend. Manchmal erwischt man sich während der 9 Minuten, die das Rondo dauert, bei dem Gedanken: Das kann doch nur als Karikatur gemeint sein. Und bevor man den Gedanken vertieft, ist der Satz auch schon zu Ende.
Der Monoklang ist stark linkslastig, recht klar, sehr präsent und deutlich heller als in Philadelphia. Der Dynamikumfang ist gering, obwohl das Orchester alles gibt, was im zu Gebot steht. Das Holz ist ganz anders als in den beiden anderen Mitschnitten mit Scherchen gegenüber dem Blech sehr deutlich.
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4.6.2024