Ludwig van Beethoven

Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91

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Werkhintergrund:

 

Am 21. Juni 1813 besiegten in der Ebene von Vitoria die Truppen von Sir Arthur Wellesley Herzog von Wellington (mit Unterstützung preußischer Soldaten) die Truppen des französischen Marschalls Jean-Baptiste Graf Jourdan und des Königs Joseph von Spanien, des älteren Bruders Napoléons. Die Nachricht dieses Sieges traf am 27. Juli in Wien ein, wo Beethoven sich an diesem Tag zufällig auch aufhielt (den restlichen Sommer verbrachte er meistenteils in Baden).

Nach heutigen Maßstäben gehört "Wellington's Sieg" sicherlich nicht zu Beethovens Meisterwerken und wird ob seiner Banalität meistens verachtet oder belächelt. 1813/14 traf das Werk allerdings den Zeitgeschmack und wurde für Beethoven und Mälzel zu einem rauschenden Erfolg. Zusammen mit der 7. Symphonie wurde op. 91 am 8. und 12. Dezember 1813 in einem Benefizkonzert zugunsten invalider Soldaten (aus der Schlacht von Hanau, ebenfalls gegen Napoléon) uraufgeführt.

Wenn Waffen sprechen, schweigen die Musen, sollte man meinen. Aber das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Nicht selten treten Kunst und Kriegskunst, Ars und Mars, quasi nur ein Buchstabe Unterschied, gemeinsam auf. Und noch dazu ziemlich laut. So auch am 8. Dezember 1813, als Johann Nepomuk Mälzel und Ludwig van Beethoven „zum Besten der bei der Schlacht bei Hanau invalide gewordenen österreichischen und bayerischen Krieger“ in Wien ein Wohltätigkeitskonzert gaben. Auf dem Programm: die Uraufführung der 7. Sinfonie und „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht von Vittoria“. Ein Werk, das sich freilich einer anderen Schlacht, eben jener nahe der baskischen Stadt Vitoria, widmet.

Statt die geschlagenen, vom verheerenden Russlandfeldzug ausgelaugten und dezimierten Franzosen endgültig zu vernichten, sollen die heldenhaften Engländer am Ende dieser Schlacht über deren Planwagen hergefallen sein. In ihnen befand sich in Spanien zusammengeraubtes Beutegut im Wert von heute ca.150 Millionen Euro, heißt es, General Wellington was not amused. Erneut und schon nachhaltiger, deutlicher geschlagen, dies nur vollständigkeitshalber, wurde Napoleon erst in der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813. Die Schlacht bei Waterloo vom 18. Juni 1815 war dann die letzte Schlacht Napoléon Bonapartes. Sie fand rund 15 km südlich von Brüssel in der Nähe des Dorfes Waterloo statt, das damals zum Königreich der Vereinigten Niederlande gehörte und heute in Belgien liegt. Die Niederlage der von Napoléon geführten Franzosen gegen die alliierten Truppen unter dem englischen General Wellington (der war also erneut mit von der Partie) und dem preußischen Feldmarschall Blücher führte mit dessen endgültiger Abdankung am 22. Juni 1815 zum Ende des Französischen Kaiserreichs.

Nach dieser erneuten (dieses Mal völligen) militärischen Niederlage innerhalb kurzer Zeit wurden Frankreich im Zweiten Pariser Frieden verschärfte Friedensbedingungen auferlegt. Napoleon selbst wurde als Kriegsgefangener der Briten auf die Atlantikinsel St. Helena gebracht, wo er als Verbannter am 5. Mai 1821 starb. Die Redewendung „sein Waterloo erleben“ als Synonym für eine totale Niederlage hat ihren Ursprung in dieser Schlacht.

 

Doch nun schnell wieder zurück nach Wien. Johann Nepomuk Mälzel, der gerissene aber auch geniale Konstrukteur, der seine „Musik-Apparate“ durch Empfehlung Beethovens erfolgreich an den Markt zu bringen wusste, hatte sich ein Höllenspektakel einfallen lassen. Der Schlachtenlärm sollte akustisch eingefangen und in „Surround“ mit dem von ihm entwickelten Panharmonikon zu Ohren gebracht werden. Das Publikum sollte das Gefühl haben, live bei der Schlacht dabei zu sein. Übrigens soll keines der drei je gebauten Instrumente bis heute „überlebt“ haben. Wer sich einmal ein ähnliches mechanisiertes Orchester in Natura ansehen bzw. anhören möchte, findet im Technik-Museum Sinsheim eine schöne Sammlung vor. Die Wirkung ist auch für heutige Ohren noch gewaltig.

Mälzels Vermutung, dass ein Werk, das den Triumph Wellingtons über Napoleon darstellte, beträchtliche Einnahmen im In- und Ausland abwerfen müsse, vorderhand für die Kriegsopfer, genau genommen aber vor allem für die Künstler und für ihn selbst, ging in Erfüllung: Das Stück brachte immense Einkünfte, auch für Beethoven. Der Tüftler, Erfinder und Musikmechaniker Johann Nepomuk Mälzel, mit dem Beethoven zu dieser Zeit befreundet war - Mälzel baute auch Hörrohre für den Komponisten und denken wir auch an die Erfindung des Metronoms - hatte als erster die Idee, aus der Niederlage der Franzosen ein Musikstück zu machen. Er überzeugte Beethoven, für seinen Musikautomaten, das sogenannte Panharmonikon, eine Siegessinfonie zu komponieren. Wahrscheinlich schon während der Übertragung auf die Zylinder des Automaten stellte Mälzel fest, wie musikalisch ausufernd Beethovens Werk geworden war - und damit wie inkommensurabel für eine Maschine, die mit abspielbaren Zylindern arbeitete. Er schlug Beethoven daher vor, die Komposition für großes Orchester umzuarbeiten und der Sieges-Sinfonie auch noch ein musikalisches Schlachtengemälde und eine Intrada voranzustellen.

Der Aufbau des Werkes stellt sich so dar:

 

Erste Abteilung: Schlacht

  • Trommeln und Trompeten an der englischen Seite
  • Marcia: Rule Britania (Das ist ein patriotisches Lied des englischen Komponisten Thomas Augustine Arne (1710–1778) und der Texter James Thomson und David Mallet. Es hat seinen Ursprung als Schlussgesang des Bühnenstücks Alfred, einer Masque von 1740. Das Lied gilt als „inoffizielle Nationalhymne“ von Großbritannien – offizielle Nationalhymne dieses und einiger anderer Commonwealth-Staaten ist „God Save the King Queen“ – und gehört zum festen Repertoire der Londoner Last Night of the Proms, bei der das populäre Arrangement von Malcolm Sargent gespielt wird.
  • Trommeln und Trompeten an der französischen Seite
  • Marcia: Marlborough (Marlborough s’en va-t-en guerre („Marlbrough zieht in den Krieg“) ist ein französisches Soldaten-, Volks- und Kinderlied aus dem 18. Jahrhundert. Das Spottlied auf den (vermeintlichen) Tod des britischen Feldherrn John Duke of Marlborough wurde auch außerhalb Frankreichs sehr bekannt. Hier repräsentiert die Malbrough-Melodie das französische Heer. Zu dieser Zeit kannte sie ganz Europa, und auch in Nordamerika und in der arabischen Welt wurde sie gesungen. Im englischen Sprachraum wurde der Melodie der Gratulationstext „For He’s a Jolly Good Fellow“ unterlegt. Man fragt sie dennoch, warum den Franzosen nicht ihr berühmtes Kampflied, die Marseillaise, bekanntlich mittlerweile die französische Nationalhymne zugestanden wurde. Laut Harry Goldschmidt, „Die Antwort liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass Beethoven mit diesem Werk nicht dem französischen Volk, sondern Napoleon in den Weg (und auch in den Hintern, Anm.) zu treten wünschte, indem er den Verräter an der Revolution, des Ursurpators der Macht und Unterdrücker der Völker erblickte.“ Das wäre jedoch nur die halbe Wahrheit, denn zurzeit Napoléons war die Marseillaise verboten, weil sie an die Demokratiebewegung der Revolution erinnerte. Sie hätte also genau die Falschen musikalisch charakterisiert. Es ist davon auszugehen, dass Beethoven das wusste.
  • Trompete an der französischen Seite: Aufforderung
  • Trompete an der englischen Seite: Gegenruf
  • Schlacht. Allegro
  • Sturm-Marsch. Allegro assai

Zweite Abteilung: Sieges-Sinfonie

  • Intrada: Allegro ma non troppo
  • Allegro con brio
  • Andante grazioso
  • Tempo I
  • Tempo di minuetto moderato
  • Allegro

Die ausverkaufte Veranstaltung begann mit Beethovens siebter Sinfonie, ein Werk prachtvollen Jubels. Zwei kleinere Stücke von Ignaz Pleyel und Jan Ladislav Dussek bereiteten den Höhepunkt vor, ein zweiteiliges, heute beinahe komplett vergessenes Beethoven-Werk, das in jenem Dezember 1813 die Wellen der Begeisterung höherschlagen ließ als jede seiner bis dahin vorhandenen Sinfonien. „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“ heißt das sinfonische Schlachtengemälde. Es feiert den Triumph des jungen englischen Imperialismus über den französischen Rivalen im Juni 1813 bei Vitoria (Beethoven machte Vittoria draus), dem spanischen Waterloo.

 

„Wellington`s Sieg“ wurde, was die Publikumsresonanz angeht, Beethovens erfolgreichstes Werk und brachte ihm wohl auch am meisten ein.

In diesem Zusammenhang ist weniger erstaunlich, dass der geschäftstüchtige Mälzel ein kompositorisches Konzept erstellte, in welchem dem Schlachtenheld Wellington und dem „Nationalgefühl“ geschmeichelt werden sollte, als dass Beethoven hier wirklich auf die Vorschläge eines Anderen einging. Dazu der Komponist Ignaz Moscheles:

„Ich war Zeuge von dem Ursprunge und dem Fortschreiten dieses Werkes und erinnere mich, dass Mälzel nicht allein mit Entschiedenheit Beethoven überredete, dasselbe zu schreiben, sondern ihm sogar den ganzen Plan desselben vorlegte; er selbst schrieb alle Trommelmärsche und Trompeten-Signale der französischen und englischen Armeen, gab dem Komponisten mancherlei Wink, wie er die englische Armee beim Erklingen des ‚Rule Britannia‘ ankündigen, wie er das ‚Malbrook‘ mit ungeheurer Kraft einführen, die Schrecken der Schlacht schildern und das ‚God save the King‘ mit Effecten versehen sollte, welche die hurrahs einer großen Menge darstellten. Sogar der unglückliche Einfall, die Melodie des ‚God save the King‘ zum Thema einer Fuge in schneller Bewegung zu machen, stammt von Mälzel.“
Noch erstaunlicher ist, wer damals alles im Orchester saß, um bei diesem patriotischen Akt dabei zu sein. Die Liste der Künstler, die bereitwillig mitwirkten, liest sich heute wie ein Who`s who der Wiener Musik-Szene. Um nur einige zu nennen: Louis Spohr und Ignaz Schuppanzigh spielten bei den Violinen mit, Antonio Salieri gab den Takt der Trommeln und Kanonaden, Johann Nepomuk Hummel und Giacomo Meyerbeer waren für die Kanonenschläge zuständig.

Mit dem Erfolg kamen jedoch auch die Probleme: der Komponist und der Erfinder zerstritten sich über die Eigentumsrechte, da beide das außerordentlich populäre Stück allein vermarkten wollten. Als Mälzel mit der Partitur im Gepäck auf Tournee nach England ging, strengte Beethoven sogar einen Prozess an (der aber im Sand verlief) und veröffentlichte in Londoner Zeitungen einen Aufruf, dass er der rechtmäßige Besitzer des Werkes sei. Erst Jahre später legten sie ihren Zwist bei.

Bald meldeten sich auch die ersten Kritiker. Gottfried Weber (lebenslanger Freund von Carl Maria von Weber) zum Beispiel:

„Jeder, je theurer ihm Beethoven und seine Kunst ist, muß wünschen, daß doch recht bald die Vergessenheit den versöhnenden Schleier werfen möge über solche Verirrung seiner Muse.“
Das wollte Beethoven dann doch nicht auf sich sitzen lassen. Jetzt richtete er die Kanone auf den Kritiker und schrieb an den Rand der Rezension:


„Ach du erbärmlicher Schuft, was ich scheiße ist beßer, als was du je gedacht.“

 

Man kann davon ausgehen, dass Beethovens Komposition Opus 91 so stark in seinen historischen Kontext eingebettet ist, dass es nur ganz wenige geschafft haben, das Stück aus einer anderen Sichtweise zu betrachten, als nur zum Zwecke einer Glorifizierung der Schlacht. Zwar prägen die ersten 7-8 Minuten den Gesamteindruck, aber dennoch sollte man dem wenigstens musikalischen, nach echtem Beethoven klingenden Schlussteil genauso scharf zuhören. Letztlich drückt sich eine gewisse Zwiespältigkeit aus, die sich in der Frage manifestiert, ob Beethoven wirklich nur die Schlacht und den Triumph der Engländer hervorheben wollte, oder ob es eher die Freunde über den Untergang Napoleons war, der sich zu Beethovens Enttäuschung gegen die Grundsätze der französischen Revolution gewendet hatte. Wir erinnern uns an die Beinahe-Widmung der „Eroica“ an Napoléon, die gerade noch eliminiert werden konnte. Einfach, aber widersprüchlich wäre zu sagen, dass diese beiden Thesen einen Zusammenhang bilden und ineinander übergehen, denn betrachte man einmal die Folgen eines Krieges, die Verluste, die Toten, die Verletzten, die zurückgelassenen Familien, die zerstörten Seelen, Häuser, Beziehungen stellt sich die Frage, ob man überhaupt einen „gewonnenen“ Krieg feiern kann? Das Ende des Krieges wäre allerdings, wenn er in einem gerechten Frieden mündet, schon zu feiern, schon alleine wegen der Beendigung der Schrecken und des Leids, die er verursacht, kaum weil er „gewonnen“. Ein Beigeschmack bliebe trotzdem.
Selbst, wenn man diese Fragestellung einmal offenlässt und sich vorerst mit Lösung „Zwiespältigkeit“ abfindet, wobei man trotzdem stets auf der Suche nach einer eindeutigeren Antwort bleiben sollte, ist es wichtig für den Verstehungsprozess sich doch noch einmal die historischen Hintergründe und Beethovens Lage zur damaligen Zeit zu vergegenwärtigen. Beethoven befand sich in einer finanziellen Misere, auch der in seinem Ansehen heutzutage fast schon göttergleiche Beethoven musste nämlich seine Rechnungen bezahlen, Miete, Nahrungsmittel, Dienstleistungen etc. und so kam ihm das Angebot von Johann Nepomuk Mälzel gerade recht, der ihm einen bereits vorgefertigten Kompositionsplan vorlegte und Beethoven für dessen Ausarbeitung auswählte. Dadurch war Beethoven schon ein großer Teil seiner üblichen Freiheiten in diesem Werk genommen, zumal wegen des riesigen Musikapparates, der wegen seiner Mechanik eine einfache Kompositionsweise verlangte. Dennoch wäre es eigentlich klar, so meint man, dass seine Genialität auch hier einen Weg hätte finden können, die Komposition in der Weise zu gestalten, wie sie seinem Empfinden nach entsprechen sollte. Nun sollte man bedenken, dass Beethoven ein ganz besonderes Verhältnis zu Napoleon hatte und aus dem ehemals „Verehrten“ ein „Verachteter“ wurde, ein Herrscher der sich selbst zum Kaiser ernannt hatte und seine Machtausübungen in aller Breite auslebte. All dies würde dem Bild der Verherrlichung einer Schlacht, eines Triumphes über „das Böse“ zustimmen, aber tut es das tatsächlich? Warum dann aber dieser zweite Teil seiner Komposition? Warum erklingt die Hymne der Engländer „God save the King“ so zart und zurückhaltend (p) und wird zum Schluss gnadenlos vom Orchester (ff) niedergespielt, förmlich zerrissen? Letztlich bleiben wir also vorläufig in einer unentschiedenen nicht befriedigenden „Verworrenheit“, ganz anders wie bei den anderen Finali, die wir bei diesem Komponisten so lieben.

Beethoven verdiente viel Geld mit diesem, an seinen eigenen Maßstäben gemessen, recht seltsamen oder sogar dummen, wenn richtig gespielt, aber zugleich recht attraktiven und auch als unverdrossene Parodie und Collage zu hörenden Stück, es ist Soundtrack und Film (bei entsprechender Aufführung) zugleich. Es machte ihn für einen Moment so wirklich populär wie nie zuvor und nicht mehr danach. Mancher Freund aber zieh ihn des Opportunismus und lag sicher nicht falsch. „Wellingtons Sieg“ hat von der Musikliteratur, der linken zumal, sehr schlechte Noten bekommen. Der Titan der Klassik hatte es nicht leicht. Kaum drei Jahre später kam Rossini nach Wien, Beethoven war da schon wieder ein Fall eher für Kenner.

 

Ein ganz anderer Ansatz ergibt sich gleichsam, wenn man das Werk „naiv“ hört, also gleichsam den militärischen Kontext vergisst und das Werk einfach als reine Musik hört. Manche Einspielungen erlauben das (wenn man mit der Schlachtmusik beginnen würde), gerade wenn die schnarrenden Ratschen die Musketen „spielen“ und die Trommeln die Kanonen. Das funktioniert nur richtig, wenn keine „echten“ Waffen beteiligt sind, wie in den Einspielungen von Antal Dorati, Karajan und anderen. Selbst wenn Ratschen und Trommeln plastisch und dynamisch aufgenommen wurden, fühlt man sich dann während der „Schlacht“ zurückversetzt in die Gewitterszene der „Pastoralen“, jetzt hören sich die Ratschen plötzlich an wie aufgepeitschter Regen oder Hagel an, der gegen die Fensterscheiben prasselt, die Trommeln, ja natürlich, bewirken ein Donner-Konzert, gegen das das „Gewitter“ in der „Pastoralen“ nur ein laues Sommerlüftchen ist. Einen entsprechenden interpretatorischen Impetus vorausgesetzt klappt das vorzüglich. Allerdings ist es erforderlich, dass das Orchester bei all dem Wetter-Inferno gut durchkommt, das war ja auch Beethoven besonders wichtig, und mit feurigem Elan bei der Sache ist. Dann wird sogar echter Beethoven draus, der dem recht einfachen Satz, der eigentlich zuerst für eine Maschine gedacht war, trotzt. Ob das Stück dann auch für Pazifisten taugt, sei einmal dahingestellt. Die „Siegessymphonie“ ist eigentlich gar nicht so affirmativ und bringt – mit einfachen Mitteln – einen Entwicklungsverlauf zum Ausdruck, wie wir ihn ähnlich auch von den Sinfonien her kennen. Das Zerschmettern bzw. Zerstückeln der englischen (britischen) Hymne spricht Bände, zumindest dass auch diese Monarchie in Beethovens Sinn nicht das Wünschenswerte ist. Sie wird jedenfalls hier nicht gefeiert.

 

Die Ambivalenz der Musik lässt noch einen anderen, allerdings noch weiter hergeholten Ansatz zu. Wenn es gelingen könnte, das Geschehen von der vorgeschriebenen Instrumentation (mit Musketen und Kanonen) durch ein Verschieben der Balance so weit wie möglich vom militärischen wegzubekommen, also das Orchester ganz in den Vordergrund stellen würde, könnte man auch ein allgemeinmenschliches „per aspera ad astra“ erreichen, darum ist es Beethoven doch eigentlich fast immer gegangen. Es könnte allerdings sein, dass der Tonsatz der „Schlacht“ als ein allgemeiner Kampf der Gegensätze vielleicht doch nicht genug Substanz mitbringt oder immer noch zu eindeutig bleibt. Bei der Siegessymphonie bringt der Kampf die Befreiung von der Unterdrückung, Erlösung von Qualen oder einfach Frieden. Der Nationengedanke wird dekomponiert ist somit ein zu überwindender. Ob da ein „echter Schuh“ draus werden könnte? Vielleicht hatte ja einer der Dirigenten eine ähnliche „Vision“? Das wäre dann doch echter Beethoven? Man stolpert auch über die Stelle (bei T. 638), bei der sich im Schlagwerk zur Pauke noch Triangolo, Piatti und Gran Tanburo gesellen und das klingt dann schon deutlich nach den entsprechenden Passagen im vierten Satz der Neunten, in denen ebenfalls diese Instrumentation Verwendung findet. Zuvor kommt es zu einer Mischung aus „God safe the King“ und donnerndem Marschrhythmus, der in eine feine Streicherfuge auf die englische Hymne mündet und das Ganze in einem riesigen Marschhymnus endet und dann riecht es ganz leicht, ohne freilich deren Höhen zu berühren, nach „Freude schöner Götter Funken“. So wird es dann auch plausibler, warum der Komponist so anspruchsvoller Sonaten, Quartette und Sinfonien sich von Mälzels Vorschlag so angezogen fühlte. Es ging ihm vielleicht doch um mehr als um ein Schlachtengemälde in Tönen, eine Tonspur zu einem inneren Film; es ging ihm um einen realen Beitrag zur Niederringung Napoleons und der Ideen, für die er stand, den Napoléon, den er in der Eroica noch irrend als den Prometheus des neuen Jahrhunderts begrüßt hatte.

 

Hier die Anweisungen (Quelle: Taschenpartitur Edition Eulenburg No. 1367), die Beethoven seinen Interpreten mitgibt, damit eine Aufführung nach seinen Vorstellungen stattfinden kann: Eine Mono-Aufnahme käme so schon einmal gar nicht erst in Frage…wäre allenfalls Trost, wenn sonst gar nichts anderes greifbar wäre (also vor 1960).

 

 

  1. Es müssen zwey Chöre Blasinstrumente dabey seyn. Der erste Marsch. Rûle Britannia wird von der ersten Harmonie geblasen; der zweyte: Marlborough von der zweyten Harmonie. Bey den nachfolgenden Stücken blasen beyde Harmonien zusammen. Das übrige Orchester muss natürlicherweise verhältnissmässig so stark als möglich besetzt werden; je grösser der Saal, desto stärker die Besetzung.
     
  2. Zu den zwey grossen Trommeln (nicht grosse türkische Trommeln) wodurch die Kanonenschüsse bewirkt werden, gehören die grössten Gattungen derselben (hier waren sie 5 Wiener Schuh ins Gevierte) welche man gewöhnlich in den Theatern braucht, um einen Donnerschlag zu bewirken; (die eigentliche türkische Trommel gehört nur ins Orchester;) sie müssen entfernt von dem eigentlichen Orchester, jede auf entgegengesetzter Seite, wovon eine Seite die englische, die andere die französische Armee vorstellet, wie er der Saal erlaubt, stehen, ohne dass sie von den Zuhörer gesehen werden. Voran darf der Kapellmeister stehen, der beyden Seiten den Takt giebt. Diejenigen, welche die Kanonen-Maschinen spielen, müssen durchaus nicht im Orchester, sondern en einen ziemlich entfernten Ort stehen, und müssen von sehr guten Musikern gespielt werden. (Hier in Wien wurden selbe von denen erstern Kapellmeistern gespielt.)
     
  3. Die Maschinen, Ratschen genannt, welche das kleine Gewehrfeuer vorstellen, und gewöhnlich bey den Theatern zum Krachen des Donners, auch selbst zu Peletons-Feuer gebraucht werden, müssen ebenfalls auf entgegengesetzten Seiten, wie die Kanonen und auch in deren Nähe gesetzt werden. Es ist hierüber einiges angezeigt; man überlässt dieses Männern von Einsicht, nur ist in Acht zu nehmen, dass sie nie Anfangs bey einem Tempo eintreten, ausser beym Presto: Alla breve, damit man das Thema von jedem Tempo höre. Beym Sturmmarsch spielen sie gar nicht.
     
  4. Die Trompeten in Es und in C, werden ebenfalls auf entgegengesetzten Seiten in der Nähe der Kanonade geblasen, die in Es auf der englischen Seite, die in C auf der französischen Seite, ausserdem befinden sich noch 4 Trompeter im Orchester, wovon die zwey Trompeten in Es und C stehen im Orchester geblasen werden müssen.
     
  5. Auch müssen auf jeder Seite zwey gewöhnliche Militair-Trommeln seyn, welche vor jedem Marsch auf ihren Trommeln gleichsam die Entrade machen; nur ist zu bemerken, dass diese Entraden nicht zu lange dauern, jedoch länger als angezeigt, und wo möglich sich in einer Entfernung stellen, und sich immer mehr und mehr nähern, um das Anrücken der Truppen recht täuschend vorzustellen.
     
  6. In Betreff der Tempo sind folgende Bemerkungen zu machen:
    1. der englische Marsch nicht zu geschwind, der französische Marsch lebhafter.
      Das erste Tempo nach dem französischen Marsche moderato, das zweyte darauf folgende 3/8 noch ein wenig langsamer. Beym Sturmmarsch wird es gut seyn, wenn das Tempo immer allmählig nach und nach etwas geschwinder genommen würde. Das letzte Tempo 6/8 andante nicht zu geschwind.
    2. Sieges Symphonie, Entrada nicht zu geschwind, das zweyte Tempo C sehr lebhaft. Das letzte Tempo 3/8 nicht zu geschwind, beinahe allegretto. Wo angezeigt ist, dass nur zwey Violinen 1., zwey Violinen 2., 2 Violen und zwey Violoncello mitspielen sollen, können auch in einem grösseren Saale zu drey oder vier jedoch der besten Ausführer für jede Stimme gerechnet, spielen.
       
  7. Es ist sehr nothwendig, dass bey der Aufführung im Orchester nebst dem Violin-Direkteur noch ein Kapellmeister den Takt für's Ganze schlägt, welchen beyden empfohlen wird, die Wirkung des Ganzen immer im Auge zu behalten, damit die Instrumental-Musik nicht von den Ratschen und Trommeln Maschinen u.s.w. verdunkelt wird; überhaupt ist hiebey nach Maassgabe und Verhältnis der Grösse des Saales, der Besetzung des Orchesters sich zu richten.
     
  8. Bey der Sieges Symphonie sind ebenfalls durchaus 2 Harmonien (das meint in dem Fall die Bläserbesetzung, insbesondere das Holz), jedoch bläst die zweyte Harmonie bey den Pianos und Solos nicht mit.

 

 

Wien im Dezember 1815,  

Ludwig van Beethoven

 

 

 

Beethoven um das Jahr 1813.

 

 

 

Zusammenfassung unserer Ergebnisse:

 

5

Herrmann Scherchen

Orchester der Wiener Staatsoper

Westminster-DG

1960

8:31  7:01  15:32

 

5

Neville Marriner

Academy of St.-Martin-in-the-Fields

Philips

1989

9:31  6:59  16:30

 

 

4-5

Thomas Dausgaard

Schwedisches Kammerorchester, Örebro

Simax

2007

8:04  6:50  14:54

 

4-5

Barry Wordsworth

Royal Philharmonic Orchestra London

Sony

1995

8:18  7:10  15:28

 

4-5

Ondrej Lenárd

Tschechoslowakisches Rundfunk-Sinfonieorchester, Bratislava

Naxos

1989

8:07  6:30  14:37

 

4-5

Jan Willem de Vriend

Orkest van het Oosten (internationaler Name: Nederlands Symphony Orchestra)

Challenge

2007, Live

8:26  6:05  14:31

 

4-5

Antal Dorati

London Symphony Orchestra

Mercury, auch als K2HD

1960

8:18  6:39  14:57

 

4-5

Marcus Bosch

Cappella Aquileia

cpo

2020

8:03  6:02  14:05

 

 

4

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DG

1969

7:29  6:31  14:00

 

4

Lorin Maazel

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

RCA

1995

8:46  6:58  15:44

 

4

Erich Kunzel

Cincinnati Symphony Orchestra

Telarc

1982

8:11  6:56  15:07

 

4

Leon Botstein

American Symphony Orchestra, New York

ASO, Live

2011

8:25  6:36  15:01

 

4

Lorin Maazel

Wiener Philharmoniker

CBS-Sony

P 1982

9:35  6:35  16:10

 

4

Hugh Wolff

Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR-Sinfonieorchester)

Denon

1997, Live

9:14  6:14  15:28

 

4

Martin Haselböck

Orchester Wiener Akademie

Alpha

2015

8:22  7:46  16:08

 

4

Jonathan Stockhammer

Junge Deutsche Philharmonie

Aufnahme vom HR, gesendet vom MDR, unveröffentlicht

2013

9:17  7:00  16:17

 

4

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

RCA

P 1971

7:48  6:31  14:19

 

 

3-4

Heinz Bongartz

Gewandhausorchester Leipzig

Berlin Classics

1970

7:50  6:58  14:48

 

3-4

Rafael Frühbeck de Burgos

London Symphony Orchestra

Collins

1990

7:02  7:20  14:22

 

 

3

Morton Gould

And his Orchestra

RCA, TP 4 Music

1960

9:40  6:37  16:17

 

 

2-3

René Leibowitz

Radio Symphony Orchestra of Paris (verschiedentlich auch als Paris Philharmonic Orchestra bezeichnet)

Saga, Emkay Remasters

P 1962

8:39  7:07  15:46

 

 

2

Werner Janssen

Los Angeles Symphony Orchestra

Everest

1964

7:39  6:25  14:04

 

Versionen ohne Sinfonieorchester

 

5

Paul Dombrecht

Octophorus

Accent, Christophorus

1988

8:08  6:17  14:25

 

2-5

Georg Tintner

Canadian Brass and Members of the Boston Symphony and New York Philharmonic Orchestras

Philips

1989

7:48  4:20  12:08

 

 

 

 

Vergleichende Rezensionen der gehörten Einspielungen:

 

5

Herrmann Scherchen

Orchester der Wiener Staatsoper

Westminster-DG

1960

8:31  7:01  15:32

 

Wer kennt heute noch den Namen Hermann Scherchen? Wenn er es schon an die erste Stelle unseres Vergleiches geschafft hat, sollte da Abhilfe geschaffen werden.

Nach frühem Violinunterricht in der Kindheit studierte Scherchen an der Berliner Musikhochschule. 1907 begann er seine Musikerlaufbahn als Bratschist im „Blüthner-Orchester“, dem Vorgänger des Berliner Symphonie-Orchesters (heute: Konzerthausorchester Berlin), und als Aushilfe bei den Berliner Philharmonikern und in der Krolloper. Das Handwerk für seinen späteren Beruf des Dirigenten erlernte er hauptsächlich als Autodidakt.

In die 1910er Jahre fielen zwei prägende Ereignisse. Entscheidend für seine berufliche und künstlerische Entwicklung wurde 1911 seine Begegnung mit Arnold Schönberg, mit dem er für die Uraufführung von dessen Pierrot Lunaire (1912) als Dirigent zusammenarbeitete, welches er im folgenden Jahr auch auf einer Tournee dirigierte. 1914 war er als Dirigent des Rigaer Symphonieorchesters angestellt. Nachdem er zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Lettland als feindlicher Ausländer von den Russen interniert worden war, wo er weitere Erfahrungen als Dirigent, Bratscher und Lehrer sammelte und sich auch der Komposition von Kammermusik und Liedern widmete, erlebte er als ziviler Kriegsgefangener in einem Lager im Ural 1917 die russische Oktoberrevolution mit.

1918 übersetzte er das Arbeiterlied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ aus dem Russischen ins Deutsche. Von der musikalischen Avantgarde Russlands beeindruckt, kehrte er nach Berlin zurück. Er gründete ein Streichquartett („Scherchen-Quartett“), die Musikzeitschrift für zeitgenössische Musik Melos und die Neue Musikgesellschaft Berlin. Daneben begann er seine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik Berlin und wurde Leiter zweier Arbeiterchöre. In den folgenden Jahren dirigierte er in Leipzig (1920/1921) das „Orchester des Konzertvereins“ und in Frankfurt am Main (1922–1924) als Nachfolger von Wilhelm Furtwängler. Er war Leiter der Museumskonzerte der Frankfurter Museumsgesellschaft und wirkte in Winterthur (1922–1950), als Generalmusikdirektor in Königsberg (1928–1931) und war daneben bis 1933 musikalischer Leiter des dortigen Rundfunksenders. In Winterthur machte er als Dirigent das von Mäzen Werner Reinhart geförderte Stadtorchester Winterthur (heute Musikkollegium Winterthur) europaweit bekannt.

Ab 1923 engagierte sich Scherchen in der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). In diesem Umfeld lernte er auch Karl Amadeus Hartmann kennen, zu dessen Mentor er wurde. 1923, 1926 und 1935 wirkte er als Juror, 1924, 1927, 1929–1931, 1933–1936 und 1938 als Dirigent bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (ISCM World Music Days).

1926 dirigierte Scherchen erstmals bei den Donaueschinger Musiktagen. Scherchen gehörte der KPD zwar nicht als Mitglied an, stand aber politisch links und war ein großer Freund der Sowjetunion. 1933 verließ er wegen seiner Ablehnung des Nationalsozialismus Deutschland. In Brüssel gründete er den Musikverlag Ars viva, der neben der Publikation unbekannter älterer Werke vor allem der Verbreitung zeitgenössischer Partituren und Textbücher, etwa von Karl Amadeus Hartmann und Wladimir Vogel, sowie der Zeitschrift Musica viva diente, aber keinen langen Bestand hatte. 1937 zog er in die Schweiz, die er mithin der Sowjetunion vorzog, wahrscheinlich nicht nur wegen der schönen Berge.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Scherchen von 1945 bis 1950 musikalischer Leiter beim Radioorchester Zürich, welches in Radio-Orchester Beromünster umbenannt wurde, und Chefdirigent des Studioorchesters beim Schweizer Rundfunk. Ab 1950 engagierte er sich bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und verhalf vielen der damaligen Avantgarde-Komponisten zu Uraufführungen. Im selben Jahr gründete er den Musikverlag Ars viva in Zürich neu. 1951 leitete er an der Berliner Staatsoper die Uraufführung von Paul Dessaus Die Verurteilung des Lukullus. 1954 gründete Scherchen in seinem Wohnort Gravesano mit Unterstützung der UNESCO ein Studio für Forschungen auf dem Gebiet der Elektroakustik (Rundfunk- und Aufnahmetechnik), wo Komponisten wie Vladimir Ussachevski, Luc Ferrari, François-Bernard Mâche und vor allem Iannis Xenakis arbeiteten. Die Ergebnisse dieser Forschungen veröffentlichte Scherchen in den Gravesaner Blättern. Von 1959 bis 1960 war er außerdem Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford.

Scherchen setzte sich in seiner Karriere wie kaum ein zweiter Dirigent für die Neue Musik ein (Michael Gielen vielleicht einmal ausgenommen). Er dirigierte viele Uraufführungen, darunter Werke von Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern, Paul Hindemith, Ernst Krenek, Richard Strauss, Karl Amadeus Hartmann, Edgar Varèse, Luigi Nono, Luigi Dallapiccola, Paul Dessau, Boris Blacher, Hans Werner Henze, Alois Hába, Albert Roussel, Claude Ballif, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis. Daneben gründete er Ensembles, die sich der Aufführung zeitgenössischer Musik widmeten, und Zeitschriften, die sich publizistisch um deren Verbreitung bemühten. 1961 wurde er zum Ehrenmitglied der International Society for Contemporary Music ISCM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik) gewählt.

Scherchen war als Dirigent für unkonventionelle Interpretationen bekannt. Er zählte zu den Ersten, die Beethovens Metronomangaben ernst nahmen, was auf einigen seiner Aufnahmen zu hören ist.

Zu seinen Schülern gehörten Karl Amadeus Hartmann, Ernest Bour, Carlos Ehrensperger, Bruno Maderna, Luigi Nono, Francis Travis und Harry Goldschmidt. (Quelle: Wikipedia)

Und so einer dirigiert jetzt „Wellingtons Sieg“? Und wie, kann man da nur antworten. Bei dieser Aufnahme kamen anscheinend ein paar günstige Momente zusammen: Zuerst wohl ein scharfer Intellekt des Dirigenten, ein vorurteilfreies Ernstnehmen der Komposition, der unbedingte Wille das Werk endlich einmal ohne „Schludrigkeiten“ darzustellen, es also besser zu machen als bisher. Scherchen ging dabei freundlich aber ziemlich unerbittlich in der Sache vor, wie man dem mitgelieferten Probendokument entnehmen kann. Er ging zudem akribisch vor und war auch noch bereit, jeden Zentimeter der Mikrophon-Aufstellung oder der Positionierung z.B. der Trompeten vor dem Mikrophon auf den Prüfstein zu stellen. Und nicht zuletzt waren da noch Aufnahmetechniker, die gerade erst dabei waren, die neuen Möglichkeiten der Stereophonie kreativ, neugierig aber bereits gekonnt auszuprobieren.

So beginnt das Ganze mit extrem anschaulich herankommenden und dann prall aufgenommen Trommeln und Trompeten auf der (linken) englischen Seite. Die englische Marcia erklingt auffallend zurückgenommen und von der Geste her sehr zögerlich. Eins ist schon einmal klar, die Engländer haben überhaupt keine Lust auf diese Schlacht.

Ganz anders die Franzosen, die sich zwar auch an die Regeln halten (Beethoven stellt es zumindest so dar), deren Trommler somit zum Sammeln und deren Trompeter zur Schlacht rufen. Die Marcia der Franzosen klingt nun so: Aufmarsch im Prestissimo, als ob die hörbar darauf brennen würden, abzuschlachten (wahrscheinlich weniger sich abschlachten zu lassen). Gegensätzlicher könnten die Fronten kaum sein. Die musikgewordene Angst, die lieber wegrennen würde steht einem kämpferischen Furor, wie man ihn kaum auf einer anderen Einspielung zu hören bekommt, gegenüber. Nach Beethovens Wunsch, sollte die Marcia der Franzosen nur etwas lebhafter sein. Ob Scherchen nur die Gegensätze schärfen wollte oder gar an eine parodistische Überhöhung dachte, ist uns leider nicht bekannt. Jedenfalls kann man sich so lebhaft vorstellen, dass damals ganz Europa Angst hatte vor der französischen Armee.

Die Schlacht selbst wird zu einem tobenden Hexenkessel, einem Inferno. Das von Ratschen erzeugte „Musketenfeuer“ wirkt gegenüber dem tosenden Orchester fast nur wie Beiwerk. Anders die leidenschaftlich geschlagenen Trommeln, die die Kanonen dazustellen haben. Dennoch ist dies die Darstellung, die die Imagination eines tosenden Orkans (in der Nachfolge des Gewitters aus der „Pastoralen“) am plausibelsten werden lässt. Die Donner sind übermächtig, das Orchester trotzdem sehr transparent und enorm plastisch. Es baut sich tatsächlich ein hohes Spannungspotential auf, von dem andere Einspielungen nur träumen können. Der „Sturmmarsch“ (da geht es dann in den Kampf Mann gegen Mann) entfaltet eine gehörige Sogwirkung. Das hört sich plötzlich wie „echter“ Beethoven an (nicht wie „Mälzel“) mit einem sagenhaft dramatisch aufgeheizten Impetus. Am Ende schleppen sich die Überlebenden entkräftet, gramgebeugt und schmerzverzerrt nur noch dahin. Trauer und Tod umgibt die Szenerie.

Für die Intrada der Sieges-Sinfonie hält das Blech jede Menge „Luft“ bereit. Das Wiener Orchester, sei es nun von der Volksoper oder von der Staatsoper ist letztlich einerlei, kommt an die Academy oder die Berliner Philharmoniker in Punkto Feinschliff nicht heran, aber es spielt dieses Mal ausgesprochen engagiert, frisch, sehr dynamisch, mitreißend und für seine damaligen Verhältnisse sehr genau. Das „Andante grazioso“ kontrastiert denkbar stark, die ff sind wunderbar strahlend und durchdringend. Das „Tempo di minuetto“ wird bewusst verlangsamt und fällt dadurch aus dem Zusammenhang heraus. Das wird oft einfach überspielt. Die Crescendi klingen enorm beherzt. Auch die Passage, die so sehr an die betreffende Stelle mit dem Militärinstrumentarium im Finale der Neunten erinnert wird stark herausgestellt. Die so mit Akribie und gepfeffertem Furor gewonnene differenzierte Ausdruckskraft wird in keiner anderen Einspielung wieder erreicht. Da beweisen Herrmann Scherchen und „seine“ Wiener große Klasse.

Der dritte Star der Einspielung darf nicht vergessen werden. Das ist das Aufnahmeteam dessen Namen eigentlich auch vorne auf dem Cover stehen müsste. Es ist eine bereits sehr gelungene frühe Stereo-Demo-Aufnahme mit enormer Plastizität und mit hautnaher Präsenz gesegnet. Mittendrin statt nur dabei heißt das für die Hörer:innen. Dabei war das alles noch so neu: „Passen Sie auf worauf Sie treten und was Sie sagen, da sind plötzlich überall Mikrophone, die nehmen alles auf…“, so der Dirigent an das Orchester gerichtet. Der Gesamtklang vom Anfang bis zum Ende wirkt erfrischend ungekünstelt, also natürlich, frisch, unmittelbar und sehr dynamisch. Alle anderen werden sich an dem Klang „die Zähne ausbeißen“. Auch heute noch die klangliche Referenz. Die musikalische sowieso.

 

5

Neville Marriner

Academy of St.-Martin-in-the-Fields

Philips

1989

9:31  6:59  16:30

 

In der Einspielung von Neville Marriner und seiner Academy geht man noch einen Schritt weiter als bei den ohnehin schon naturalistischen Einspielungen von Dorati, Karajan oder Maazel (Wien, 1982), die die Ratschen durch echte Salven aus Musketen und die Trommeln durch echte Kanonenschüsse ersetzt haben. Bei Marriner beginnt die Szenerie in einem Naturidyll mit einem angenehm rauschenden Bächlein. Vogelgezwitscher, Entengeschnatter und ein von der Ferne her bellender Hund darf zur Komplettierung des Naturbildes ohne Lautäußerung des Menschen nicht fehlen. Ach so, haben wie die Schafherde schon erwähnt? Die treibt sich da auch noch rum und grast unschuldig am frischen Grün. Plötzlich nähert sich das Getrappel von Pferdehufen und der Trommler des englischen Militärs nähert sich; in seinem Gefolge ein Trompeter (mit bestens gelungener musikalischer Ausbildung, versteht sich), der zum Sammeln bläst und ein ganzes Regiment (oder sogar mehrere) von links aufmarschieren lässt. Die Engländer kommen übrigens meistens von links. Das Orchester fügt sich in schönster musikalischer Exzellenz mit ein. Moment, das hätten wir fast vergessen, auch ein Versorgungswagen an dem noch die Kochutensilien herunterbaumeln und entsprechend aneinander scheppern wurde nicht vergessen. Schließlich wollen hungrige Männer auch bekocht werden. Spätestens jetzt wird klar diese Einspielung kommt aus London, da haben die Engländer sozusagen ein „Heimspiel“. Da sorgt man sich um die Seinen (auch wenn Preußen dabei waren).

Diese Fürsorge erhalten die Franzosen nämlich nicht, sie kommen natürlich in dieser detailverliebten Aufnahme von rechts. Getrappel von Hufen. Trommeln. Trompeter. Und schon folgt die Marcia. Marriner hat die Notizen Beethovens natürlich auch gelesen, die Franzosen sind lebhafter und genauso lässt er die Marcia spielen. Challenge. Reply. (zu Deutsch: Aufforderung und Gegenruf) und schon brettert das Schlachtengetümmel los, dieses Mal angereichert zu Beginn noch von dem Geräusch der Hufe, denn die Kavallerie ist ja ebenfalls anwesend. Nicht mehr lange, dann hört man keine Hufe mehr. Dann hat es wohl bereits Pferd und Reiter erwischt. Auch bei Marriner sind (selbstverständlich) Schüsse echter Musketen und echte Kanonen zu hören. Aber Marriner wäre nicht Marriner, wenn er das Hauptanliegen Beethovens nicht verstanden hätte (vielleicht waren auch die partiturlesenden Philips-Techniker daran schuld): Das Orchester bleibt präsent und transparent in allen Details (ja es gibt doch einige Details mehr zu hören, wenn der Lärm der Schlacht es zulässt). Da wurde gekonnt gespielt und gekonnt abgemischt. Die so wichtigen Trompeten sind ihrer Bedeutung entsprechend prominent abgebildet und entsprechend zu hören, gehen also nicht wie so oft im Lärm unter.

Der Sturmmarsch hat ordentlich Biss. Das Orchester packt ordentlich zu und gewinnt enorm an Fahrt. Endlich hört man auch einmal die Piccoloflöte, wie gesagt hier gab es aufmerksame Musikliebhaber auch hinter den Reglern. Am Ende der Schlacht, nach Abflauen der Kampfhandlung, wie man heute sagen würde, ist die Erschöpfung, das Wehleid der Verletzten und die Trauer um die Verwundeten und Getöteten groß. Auch die Natur stellt sich nun anders da, denn einzig ein paar Enten fliegen noch ziellos umher.

Bei der Sieges-Sinfonie spielt die groß besetzte Academy mit echtem Brio, engagiert, lebendig und jubilierend auf. Sehr ordentliche Trompeten bereits bei der Intrada. Das grazioso beim Andante ist „genau richtig so“. Das Spiel generell rhythmisch akzentuiert und kontrastreich. Die mehr als nur defensiv (im p) angestimmte Hymne „God save the King“ wird vom Orchester ff (gnadenlos) zusammengeschrien. Da waren wohl nicht viele Royalisten im Orchester oder man wollte ganz einfach Beethovens Wünschen entsprechen. Gegenüber den Wienern zuvor erscheint das Spiel der Academy fast schon ein wenig zu fein und distinguiert. Das leicht Raue und Unverblümte der Wiener gefiel im Zusammenhang mit „Wellingtons Sieg“ sogar noch besser.

Die Klangtechnik ist gegenüber der Zeit Beethovens sozusagen aktualisiert worden. Sicher werden mache die Hereinnahme der Natur und ihrer unschuldigen Lautäußerungen als verspielt empfinden. Selbst wenn sich so Kinder und Jugendliche besser an die Materie (Krieg, Geschichte, klassische Musik etc.) heranführen ließen, wäre doch schon was gewonnen. Ob es Beethoven so besser gefallen hätte? Jedenfalls ist die Entstehung des Krieges aus der (menschenleeren) Idylle heraus ein noch stärkerer Kontrast als ohnehin schon. Der Klang ist voll, weich, fast schon audiophil abgerundet und plastisch. Auch die Bassgrundierung gefällt.

 

 

 

4-5

Thomas Dausgaard

Schwedisches Kammerorchester, Örebro

Simax

2007

8:04  6:50  14:54

 

Diese Einspielung aus Schweden klingt deutlich leichtgewichtiger und noch kammermusikalischer als die beiden zuvor genannten. Trommeln und Trompeter zu Beginn klingen bereits martialisch und scharf. Fein und grazil klingt die Marcia der Engländer. Was für feine Musiker schickt man denn da in den Krieg? Jedenfalls kommt das ganze Orchester von links sozusagen im Geschwindmarsch anmarschiert.  Bei den Franzosen wiederholt sich ähnliches von rechts (ebenfalls das ganze musikalisch hochklassige Orchester, auch die Streicher). Die Schlacht könnte tatsächlich eine grandiose Gewittermusik sein. Hier sind wieder (in Originalbesetzung sozusagen) Ratschen und Trommeln zugange. Im Sturmmarsch werden in dieser Aufnahme die Trommeln der englischen Seite mit den Trommeln der französischen Seite vereinigt, wie es Beethoven in der Partitur vorschreibt. Hier ist das auch so zu hören.

In der Sieges-Sinfonie hört man ein gutes Allegro, weniger ein con brio. Dazu wirkt der Klang des Orchesters ein wenig zu kammermusikalisch und leicht. Die sf gelingen allerdings schön krachend. Dausgaard geht es mehr um eine beschwingte Klarheit. Er lässt spielen wie in einer „seriösen“ Sinfonie. Es gelingt ihm trotz oder wegen der beweglichen Gangart zuvor und danach gerade auch im „Tempo di minuetto moderato“ eine Menge Zweifel und Skepsis mitschwingen zu lassen. Der Neuaufbau nach dem Scheitern (das ist doch wieder typisch Beethoven) ab T. 516 Allegro wird dann mit viel Biss und geschwind fast schon ekstatisch gesteigert. Das wirkt so alles andere als affirmativ, sondern kathartisch. Eine insgesamt sehr gelungene Einspielung, schlank und in der Schlachtenmusik schön ambivalent gehalten. Fast so gut wie bei Scherchen. Für alle Freud:innen des kammermusikalisch-transparenten Beethoven-Klanges eine dicke (oder besser: dezidiert leichte und transparente) Empfehlung.

Der Klang der Aufnahme ist räumlich und plastisch. Die Dynamik erfreut genauso wie die farbige und pralle Naturbelassenheit im (modernen) Instrumentarium.

 

4-5

Barry Wordsworth

Royal Philharmonic Orchestra London

Sony

1995

8:18  7:10  15:28

 

In London lässt man die Engländer dieses Mal lieber von rechts einmarschieren. Der Trompeter spielt ausgesprochen selbstbewusst und laut. Die Marcia, das „Rule Britannia“, ist bei den königlichen Philharmonikern, wie sollte es anders sein, bestens aufgehoben, nicht zu geschwind, jedoch beschwingt und sogar tänzerisch zieht man in die Schlacht. Den dieses Mal von links einmarschierenden Franzosen gibt man zur besseren Unterscheidung einen anders klingenden Trommeltypus an die Hand, seltsam, dass sonst niemand auf diese (gute) Idee gekommen ist, denn sonst klingen die Trommeln der beiden Lager immer gleich. Die Marcia der Franzosen, der Marlborough-Marsch, klingt nun sogar etwas weniger lebhaft als die Marcia der Engländer, einen tänzerischen Gestus gönnen ihr die Londoner Musiker aber auch.

Die Salven der Musketen klingen echt, also keine Ratschen und auch die Kanonen funktionieren dieses Mal mit Schwarzpulver und nicht mit Muskelkraft. Dabei verwendet man Kanonen unterschiedlichen Kalibers, denn mal klingen sie heller, ein anderes Mal tiefer, dunkler und kräftiger. Der unterschiedliche Sound ist dabei nicht auf das eine oder andere Lager bezogen, sonders beide Kriegsparteien nutzen unterschiedliche Kanonen. Zudem rücken die Schallquellen immer näher aneinander ran, sodass man sich gegen Ende der Schlacht fast hautnah gegenübersteht. Das Orchester ist sehr gut durchhörbar, weil man bei den Kanonen auf einen allzu hohen Schalldruck verzichtet hat. Diese Dezenz lässt den Orchesterklang erst zur gebührenden und von Beethoven gewünschten Geltung kommen. Der Sturmmarsch kommt nur langsam in die Gänge zieht dann aber unwiderstehlich an.

Die Sieges-Sinfonie wirkt recht fröhlich (gute Intrada) und blendet die Triumph-Geste nicht aus. Man hat sie jedoch schon rasanter gehört, kaum jedoch kontrastreicher. Das Orchester spielt sehr ausgewogen, besonders gefällt, dass die Holzbläser gut durchkommen und nicht gegenüber den Streichern und dem Blech zurückstehen müssen. Die Transparenz im Tutti könnte jedoch noch besser sein, aber die ist ja auch im Konzerteindruck bei Beethovens Sinfonien oft nicht gewährleistet.  Die Hymne „God save the King“ im Tempo di minuetto moderato wird nachhaltig gestört, da mussten die königlichen Philharmoniker sicher über ihren Schatten springen. Die besondere Instrumentierung mit den Militärinstrumenten, die wir vom letzten Satz der Neunten so gut im Ohr haben (hier ab T. 586) hat durch die Verwendung einer ohrenscheinlich sehr großen Trommel (Gran Cassa) eine besonders prononcierte Durchschlagskraft. Die Schlusswirkung in dieser Darbietung wirkt wegen des stringenten Musizierens aber auch wegen des präsenten und besonders wuchtigen Schlagwerks besonders imponierend.

Der Klang wirkt sehr breitbandig, woran der gute Bass einen hohen Anteil hat. Solchermaßen klangsatt kommen auch die Dynamik und die Brillanz sehr gut an. Der Gesamtklang wirkt offen, hat aber relativ wenig Tiefenstaffelung (da bot die 35 Jahre ältere Scherchen-Einspielung mehr, die zudem auch noch körperhafter klingt). Dafür erfreut, wie bereits erwähnt, das besonders präsente Holz.

 

4-5

Ondrej Lenárd

Tschechoslowakisches Rundfunk-Sinfonieorchester, Bratislava

Naxos

1989

8:07  6:30  14:37

 

Auch diese Einspielung aus der Slowakei hat eine Besonderheit zu bieten. Der Trommler führt das Heer zum Schlachtfeld, macht sich dann aber selbst sogleich aus dem Staub. Statt immer lauter zu werden, beginnt man hier laut und wird immer leiser. Die Marcia lässt sich davon jedoch nicht irritieren, sondern man erkennt mühelos, dass sich das Heer selbst vom Trommler nicht verunsichern lässt, sondern recht impulsiv zur Stelle anrückt. Der Trommler der Franzosen macht es seinem englischen Kollegen nach und verdrückt sich schleunigst. Seine Schuldigkeit ist mit dem Zeigen des Schlachtplatzes erfüllt. Wenn das Heer es ihm gleichmachen würde, dann wäre es gar nicht erst zur Schlacht gekommen. Aber wie wir wissen, haben sich damals die Pazifisten nicht durchgesetzt, wenngleich die Franzosen ziemlich gelassen und viel weniger martialisch als sonst zum Schlachtplatz schlendern, zumindest, wenn man ihrer Marcia trauen darf.

Bei der Schlacht werden die Musketen wie zu Zeiten Beethovens von Ratschen dargestellt, die Kanonen von Trommeln. Das Schlachtengetümmel könnte durchaus auch als eine Gewittermusik durchgehen. Die Ratschen klingen dabei weniger wie Hagel, der auf Fenster prasselt als an Regen, sie klingen weicher als sonst. Die Trommeln könnten noch viel explosiver angeschlagen werden. Das Maß aller Dinge sind dabei übrigens die Trommler von Octophorus, doch davon ganz am Ende unserer Liste mehr. Die Trompeten mit ihren Signalen sind in Bratislava nicht als eine Art Dirigenten der Schlacht exponiert, sondern ins Orchester integriert. Dadurch geht eine gewisse (durch den Antagonismus der sich aufschaukelnden Klänge) Dramatik verloren.

Die wird im Sturmmarsch erneut angefacht. Zwar bevorzugt auch Lenárd ein langsames Beginnen aber nur, um durch ein Accellerando bis zur Turbulenz zu steigern. Durch das sehr transparent eingefangene Orchester ist der dramatische Verlauf sehr gut nachzuvollziehen. Die Erschöpfung, die Trauer, der Tod am Ende wird sinnfällig dargestellt. Da ist nichts Aufgeblasenes an dieser wohltuend unprätentiösen Darstellung. Hier hat vielleicht sogar das noch sehr knappe Budget des Labels zu Beginn seiner Produktionstätigkeit segensreich gewirkt.

Das Orchester lässt in der Sieges-Sinfonie ein sehr sauberes, recht stürmisches Spiel hören. Es scheint, als wäre man mit einer gewissen Spielfreude zu Werke gegangen. Das Andante grazioso könnte ein wenig leichter klingen. Wir haben die Vermutung, dass das grazioso in diesem Zusammenhang von Beethoven mit einem gewissen Sarkasmus gemeint war, das könnte man gerne auch hören. Aber vielleicht ist das auch schon zu spitzfindig. Schließlich hat der Dienst am Vaterland für Tod und Verzweiflung gesorgt und Beethoven gibt dieser Tatsache, die nicht zu leugnen ist, sehr wohl Raum in der Sieges-Sinfonie. Der Neuanfang (oder Wiederaufbau, wenn man so will) bei Allegro (T. 516), man kennt das ähnlich jedoch um einiges aufwändiger gestaltet auch schon vom ersten Satz der „Eroica“, gelingt hier plastisch. Hier die Virtuosität (der Streicher) zeigen zu wollen ginge völlig fehl. Lenárd lässt sich Reserven, um beim Schlagzeugeinsatz à la Neunte noch einen „Zacken“ zuzulegen. Es ergibt sich ein stimmiger Entwicklungsverlauf. „Sehr gute Strategie, Lenárd“ würde der Oberbefehlshaber zu seinem Oberst sagen.

Der Klang der Aufnahme könnte etwas präsenter sein, gibt aber einen guten Überblick über das Geschehen in der Schlacht, was ja bekanntlich von hoher strategischer Bedeutung ist. Das Martialische erlangt in dieser Abmischung nicht die Oberhand über den musikalischen Verlauf. In der Sieges-Sinfonie klingt das Orchester erfreulicherweise noch etwas präsenter als in der Schlacht. Insgesamt ist dies eine erfreulich wenig am Effekt orientierte Einspielung, der man daher trotz der Thematik eine gewisse Sympathie entgegenbringen darf. Selbstverständlich immer im Verhältnis zu den anderen Einspielungen in diesem Vergleich gesehen.

 

4-5

Jan Willem de Vriend

Orkest van het Oosten (internationaler Name: Nederlands Symphony Orchestra)

Challenge

2007, Live

8:26  6:05  14:31

 

Auch Orchester erleben stürmische Zeiten. Das in dieser Einspielung zu hörende wurde wenige Jahre nach der Einspielung fusioniert und hieß dann kurze Zeit später Orkest van Gelderland & Overijssel und nach einer weiteren Fusion, wenn wir das richtig verstanden haben einfach nur noch: „Phion“. Wer würde hinter diesem Namen wohl ein Sinfonieorchester vermuten? Könnte gut sein, dass man es deshalb bald wieder umbenennen wird. Es spielt Konzertreihen in Enschede, Hengelo, Zwolle und Deventer. Beim internationalen Namen Nederlands Symphony Orchestra gab es wohl Einsprüche seitens des ebenfalls zusammenfusionierten Nederlands Philharmonic Orchestra.

Diese Einspielung ist mehrkanalig (5.1) von einer SACD zu hören. Anders als bei den mehrkanaligen Kollegen Marcus Bosch und Hugh Wolff, lässt man die Trommler nicht von hinten am Publikum vorbei bzw. quasi quer durch es hindurch marschieren, sondern sie nähern sich vom Bereich hinter der Bühne. Da scheint es aber ein Problem gegeben zu haben, denn sowohl die englischen, als auch die französischen Trommler kommen von links. Anscheinend gibt es in dem Konzertsaal nur einen Bühneneingang. Die beiden Marcias unterscheiden sich im Gestus deutlich: Die Engländer klingen bereits vor der Schlacht „leer“ oder ausgepowert, natürlich wissen sie, was sie erwartet und das ist nichts Gutes. Die Franzosen hingegen nähern sich mit ihrer Marcia voller Emphase die anscheinend von einer gewissen Siegesgewissheit gespeist wird. Durch die seltsame Aufstellung werden die Möglichkeiten der antagonistischen Aufstellung außeracht gelassen. Was wäre das eine seltsame Schlacht geworden bei der die Kriegsparteien gemeinsam auf einer Seite sind?

Bei der Schlacht selbst gibt es dann die beiden Fronten, das wäre auch eine grobe Unterlassung, wenn nun die Musketen und Kanonen bereits zu Beginn auf einer Seite stehen würden. Die Kanonenschläge werden offenkundig von Trommeln mit monumentalen Ausmaßen ausgeführt. Man denkt dabei an die japanischen Kodo-Schlagzeuger. Extrem tief und durchschlagend hören sie sich an. Und auch die Ratschen sind ordentlich dimensioniert und hören sich nicht nach Spielzeug an, wie bei der Capella Aquileiea. Durch die riesigen Trommeln wird das Orchester passagenweise in seiner akustischen Existenz bedroht. Das hat zwar was, aber Beethoven wollte, dass es trotz allem klar durchkommt.

Der Sturmmarsch bekommt sogleich einen „stürmischen“ Antritt, der Verlauf wirkt dennoch soghaft, jedoch bleibt dem Orchester gegen die rabiat dreinschlagenden Trommler nur ein mühsamer zweiter Platz. Allerdings befindet man sich bei dieser Einspielung hautnah im Kreuzfeuer der Geschosse. Das klingt schon fulminant.

Bei der Sieges-Sinfonie wird das con brio gut eingelöst. Das groß besetzte Orchester bringt viel Spielfreude mit, zu hören auch an den Akzenten und an der recht kontrastreichen Dynamik. Die Krise ist bei Scherchen jedoch wesentlich nachhaltiger zu erleben. Der Neuaufbau mit dem Fugato (sagen wir mal die hilfreiche Kraft des Geistes symbolisierend, die man stets bereits vor dem Krieg bemühen sollte) wird transparent und nicht zu flott dargestellt, sowas muss sich natürlich entwickeln. Das Schlagzeug bei seinem Vorweg-Auftritt aus der Neunten ist gut exponiert.

Durch die 5.1-Technik wird der Bass in dieser Einspielung zu einem durchschlagenden Erlebnis. Dermaßen tiefe Trommeln hört man in der klassischen Musik sonst nie (vielleicht wurden sie auch elektronisch verstärkt?). Das recht voluminöse Orchester wirkt, wenn es alleine spielt ein wenig zu weit abgerückt, könnte also für unseren Geschmack etwas präsenter sein und auch etwas differenzierter. Trotzdem ein Sounderlebnis der besonderen Art.

 

4-5

Antal Dorati

London Symphony Orchestra

Mercury, auch als K2HD

1960

8:18  6:39  14:57

 

Die Einspielung Doratis darf als der Klassiker dieses Stückes gelten. Nicht wenige dürften Beethovens Schlachtengemälde mit dieser (in Deutschland vielleicht noch eher mit Karajans) Einspielung kennengelernt haben. Sucht man z.B. auf Ebay nach Einspielungen des Werkes wird man von Angeboten der beiden Einspielungen geradezu überschüttet. Alles andere läuft unter ferner liefen.

1960 in London gab man sich besonders viel Mühe ein authentisches Waffenarsenal aus der passenden Zeit aufzutreiben und aufzunehmen und die Präsenz mit der das geschah war maßstabsetzend. Dirigent Dorati suchte zumindest in der Zeit, als er noch für das Label Mercury aufnahm (es überlebte die 60er Jahre nicht) immer einen direkten, straffen Zugang zu den Werken, die er dirigierte. Die Mercury-Aufnahmetechnik, der man zurecht das Label „Living Presence“ als Beiname mitgegeben hatte, unterstützte diesen Ansatz kongenial. Und das war in dieser Einspielung nicht anders. Der Aufmarsch der englischen Truppen (in hautnaher Präsenz versteht sich) erfolgt dieses Mal von rechts, in einem schnellen, fast eiligen Tempo. Enorm selbstbewusst, ja geradezu einschüchternd für den Feind dabei die Kraftentfaltung. Auch den Franzosen wird dieser sagenhaft dynamische Schalldruck mitgegeben. Die beiden Marcias verbleiben auf der jeweiligen Seite, ein Näherkommen wird nur durch die sich steigernde Dynamik realisiert, nicht durch Näherkommen der Schallquellen als solches. Beide klingen ziemlich lustvoll und tänzerisch, wobei die Franzosen noch ein Quäntchen mehr Drive mitbekommen.

Bei der Schlacht setzen die zeitgenössischen Musketen und Kanonen (mit den jeweiligen Typen, die an prominenter Stelle minuziös angegeben wurden, wollen wir nicht langweilen) mit höchster Präzision ein. Die Akribie geht dabei sehr weit. Sicher wurde bei einer Ladehemmung bei den Antiquitäten das Band angehalten und zunächst sorgfältig repariert. Das Getöse ist enorm voluminös und sagenhaft laut (besonders in der K2HD-Ausgabe auch noch mit extrem körperhafter Präsenz, während die normale CD da im Vergleich schon merklich verschliffen klingt). Das kommt der Darstellung eines Infernos schon sehr nah, obwohl es mit Musik nicht mehr viel zu tun hat. Das Orchester ist dennoch gut durchhörbar. Zu erwähnen sind die sagenhaft feurigen Trompeten beim Sturmmarsch.

Bei der Sieges-Sinfonie lässt es Dorati bei einem recht moderaten Tempo bewenden. Das ist bedauerlich, wir hatten uns schon auf eine Fortsetzung des feurigen Gestus der Schlacht eingestellt. Aber Dorati hielt gerade einen Kontrast dazu eher vonnöten. Der Orchesterklang wirkt nun vorbildlich aufgelichtet, gerade in der K2HD-Version. Der Gestus wirkt mit sehr gutem Orchesterspiel gut angetrieben und rhythmisch durchaus geschärft, aber in keiner Weise übertrieben oder gar hektisch.

Die Aufnahme bringt gerade in der K2HD-Variante ein beträchtliches Bandrauschen mit (auch davon wurde nichts eliminiert, um den Klang nicht zu beeinträchtigen). Der Klang ist enorm präsent und extrem dynamisch und in der Schlacht extrem laut. Es ist zu empfehlen, die Lautstärke gegenüber dem gewohnten Pegel zu reduzieren, um Gehörschäden zu vermeiden. Das Orchester klingt schön körperhaft.

Die „normale“ Mid-Price-CD ist in allem schlechter. Sie klingt weniger klar, weniger dynamisch (besonders die Geschütze), die Streicher nicht so geschmeidig. Die Körperhaftigkeit wirkt reduziert, der Gesamtklang weniger strahlend. Die Gefahr von Gehörschäden besteht ebenfalls, wenn auch in geringerem Maß. Wenn man die K2HD-Variante einmal gehört hat, schaltet man die normale CD ganz schnell wieder ab, obwohl sie im Vergleich zu den anderen Einspielungen nach wie vor ein sehr gutes Niveau erreicht.

 

4-5

Marcus Bosch

Cappella Aquileia

cpo

2020

8:03  6:02  14:05

 

Die Cappella Aquileia ist das Orchester der Opernfestspiele Heidenheim. Ihm gehören Musiker aus Orchestern aus ganz Deutschland an.

Für die Vorbereitungen zur Schlacht und die Schlacht selbst hat man sich in dieser Einspielung einen sehr guten Kompromiss ausgedacht. Da es sich um eine SACD handelt, die dem 5.0 Wiedergabeverfahren folgt (d.h. 5 separate Kanäle ohne Subwoofer), hat man den hinteren Kanälen, die Besonderheiten des Stücks zugewiesen. Die Rührtrommel, die zum Appell blasenden Trompeten, die den Soldaten auch während der Schlacht noch „den Marsch“ blasen sollen, die Musketen und die Kanonen kommen also von hinten an die Ohren der Hörer:innen. Das hat den großen Vorteil, dass das Orchester die 3 Frontkanäle fast ganz für sich hat, es somit fast ungestört bleibt. Man könnte als Hörer, wenn man es denn wollte, den Schlachtenlärm fast ganz weglassen, wenn man die beiden hinteren Kanäle gar nicht erst anschalten oder wieder ausschalten würde. Dann könne man sehen, was dann aus der Musik wird. Die Kanonen werden ganz ausgezeichnet von kraftvoll, sehr impulsiv und „trocken“ angeschlagenen prallen Trommeln „dargestellt“ und hören sich fast nach echten Kanonen an. Die Musketen wirken hingegen sehr leichtgewichtig und sind stets als Ratschen zu erkennen, fast sogar als wären sie aus dem Spielzeugladen. Der Sturmmarsch profitiert von imponierend vorantreibenden, präsenten Rührtrommeln. Wenn sie im späteren Verlauf ausfallen (anscheinend werden die Trommler im Eifer des Gefechts, warum auch immer, aus demselben genommen, vielleicht fallen sie auch? Das ist jedoch partiturgemäß), dann fällt tatsächlich der ganze stürmische und vorantreibende Impetus fast in sich zusammen.  Auch die Trompeten sind antagonistisch (hinten) aufgestellt, was den Gestus weiter anschärft, aber auch sie fallen bald aus. Erschöpfung und Trauer werden sehr gut nachempfindbar, denn Bosch gibt im Tempo entsprechend nach, was sich günstig auswirkt.

Die Sieges-Sinfonie bekommt ein schnelles Tempo und einen leichten, kammermusikalischen Gestus, wobei man sich zum Allegro durchaus noch ein wenig mehr brio vorstellen könnte. Das Unbedingte eines Scherchens fehlt. Das Feuer könnte noch heller lodern, auch der Kontraste wegen. Die „Krise“ wirkt fast überspielt, wird fast vom Jubel eingeholt oder überzogen. Der Neuaufbau mit dem Fugato wirkt dann wieder plausibler, alles wirkt vielleicht dann doch zu leicht und locker genommen, In jedem Fall ziemlich anti-heroisch.  Leider geht mit dem Einsatz des „9te-Sinfonie-Schlagzeugs“ auch kein Ruck durch die Musik.

Die SACD macht sowohl das Kriegsgetümmel als auch das Orchesterspiel sogar in der Schlacht sehr plastisch. Das Orchester für sich betrachtet hätte noch ein wenig präsenter sein können, es wirkt teils ein wenig zu weich und rund, sagen wir ruhig zu „lieblich“ für das raue Sujet. Es könnte noch ein wenig praller klingen und präsenter, da hätten ihm die Effekte ein paar „Präsenzpunkte“ von sich abgeben können. Jeder mit der entsprechenden technischen Ausrüstung könnte hier jedoch selbst nachjustieren und die Balance nach eigenem Gusto selbst einstellen.

 

 

 

4

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DG

1969

7:29  6:31  14:00

 

Es musste schon der 200. Geburtstags des Komponisten vor der Tür stehen, damit sich der Maestro überreden ließ, „Wellingtons Sieg“ für die Platte einzuspielen. Es lässt sich vermuten, dass er sich sonst vielleicht nicht dazu herabgelassen hätte. Aber auch diesem vielleicht seltsamsten Werk Beethovens drücken Karajan und in seinem Schlepptau die DG-Techniker ihren Stempel auf.

Der Aufmarsch beginnt von ganz weit vorne, die Engländer sind dieses Mal wieder links zur Stelle. Die Fanfare erklingt ausgesprochen schön, als wolle der Trompeter, vielleicht handelt es sich ja auch um sein letztes Stündlein, noch einmal so schön spielen, wie es irgendwie geht. Mit Glanz und Gloria. Die Marcia klingt super weich, fast schon grazil, sehr fein, gerade noch leicht beschwingt und verfeinert, ja sublimiert und: total harmlos. Weiter weg vom harten Militär-Drill geht es wohl nicht mehr. Die Franzosen spielen, wie erwartet mindestens genauso schön. Wenn es nur bei einem Wettkampf um das schönste Trompetenspiel und die am schönsten gespielten Märsche geblieben wäre, hätte es auch einen Gewinner, aber keine Toten gegeben. Bei den beiden Marcias wird das Herankommen der Truppen nur durch ein Anheben der Lautstärke suggeriert. Für uns war kein Unterschied in der Lebhaftigkeit der beiden Marcias erkennbar, was andere Dirigenten durchaus gut herausgebracht haben. Beethovens Wunsch war General Karajan anscheinend kein Befehl. Jedenfalls wurden beide Heere musikalisch schmuck herausgeputzt.

Die Schlacht selbst wirkt dynamisch stark gebändigt. Man wollte den typischen Karajan-Hörer wohl nicht verunsichern. Die Musketen klingen, als wären es echte Waffen, die Kanonen ebenfalls. Im Unterscheid zur Einspielung Doratis wurden beide Waffengattungen aber mit viel mehr Abstand aufgenommen, sodass den Kanonen die eruptive Kraft weitestgehend fehlt. Sie klingen flach und harmlos. Das Schlachtengetümmel wirkt somit gegenüber Dorati geradezu lasch. Insofern bleibt das Orchester Beethovens Wünschen gemäß jedoch schön deutlich. Einen Gewittersturm könnte man sich bei Karajan kaum vorstellen, dazu klingen die Musketen zu echt, also weder nach Regen noch nach Hagel und den Kanonen fehlt jede Durchschlagskraft, damit sie als zünftiger Donner durchgehen könnten. Gerade bei der Sturmmusik wird das herrlich samtige Spiel der Philharmoniker, das den Schlachtenlärm sehr deutlich kontrastiert, von den Salven der Musketen und den Kanonen stark beeinträchtigt.

Das Spiel der Philharmoniker ist in der Sieges-Sinfonie dann ungestört zu hören. Es klingt voll, warm getönt und sehr sauber, mit leuchtenden Trompeten, jedoch mit einer gewissen Dominanz der Streicher, die sich aber noch in vertretbaren Grenzen hält. Die Dynamik wirkt indes nivelliert. Die Kontraste bei „God save the King“ wirken eingeebnet, obwohl sie das Orchester zu bringen scheint. Das Fugato läuft wie am Schnürchen, statt ihm etwas Tastendes mitzugeben, ringt ihm Karajan kaum einen Neuanfang nach einer Krise ab. Die stringente Steigerung im weiteren Verlauf ist dann schon eher Karajans Sache. Bis zum Schluss hören wir glanzvolles, ja glamouröses Spiel, gar nicht einmal so unangebracht. Insgesamt scheint uns Karajans Versuch einer ästhetischen Sublimierung des Werkes nur sehr bedingt erfolgreich zu sein. Andererseits wirkt sein Zugang insgesamt noch, freilich auf seine Art, erstaunlich sachlich und relativ wenig pathosbeladen.

Der Klang der Aufnahme bietet Breitwandsound. Eine Staffelung in die Tiefe ist weniger spürbar, andere DG-Aufnahmen mit den Philharmonikern aus dieser Zeit boten in dieser Hinsicht bereits viel mehr. Dennoch hört es sich großräumig an und ein zu viel an Hall konnte vermieden werden. Es klingt noch recht plastisch, gut bassgrundiert aber wie mit einem leichten Weichzeichner versehen. Die gesoftet wirkende Dynamik sollte wohl niemanden erschrecken.

 

4

Lorin Maazel

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

RCA

1995

8:46  6:58  15:44

 

Lorin Maazel ist der einzige „Wiederholungstäter“ in unserem Vergleich. Zuvor spielte er Beethovens Schlachtengemälde in Tönen bereits 1982 mit den Wiener Philharmonikern ein. Die Engländer marschieren erneut von links ein, die Franzosen von rechts. Die beiden Märsche sind bei Maazel - wie soll man es anders formulieren – bar jeder Emotion. Darin sind sich die beiden Heere völlig einig.

Anders als in Wien greift man nun für die Schlacht wieder auf Beethovens Originalinstrumentarium zurück, d.h. die Musketen werden von Ratschen „gespielt“, die Kanonen von großen Trommeln. Das Orchester spielt sehr exakt, nimmt seine Aufgabe sehr ernst und klingt sehr transparent. Die Ratschen sind jederzeit als solche zu erkennen, weshalb man sich eine Gewittermusik hier nur schwer vorstellen kann. Bereits in der Schlacht klingt das Orchester gut durch, in der Sturmmusik hat es dann völlig die Oberhand erlangt. Da Maazel am Ende im Tempo konstant bleibt, werden Ermattung, Tod und Verzweiflung weniger sinnfällig. Er geht dieser Empfindung nicht eigens nach, sozusagen.

Die Sieges-Sinfonie erscheint nun im Tempo ein wenig gesetzter als in Wien. Da die Trompeten weit hinten im Klangbild zu finden sind, klingen sie leider matter als es wünschenswert wäre. Dadurch wird dem Orchester nicht wenig von seinem Glanz genommen. Sein geschmeidiges Spiel klingt so weniger mitreißend. Das Fugato gelingt Maazel nun besser als in Wien, es wirkt nun nicht mehr nur mal eben hurtig dahingespielt und oberflächlich. Insgesamt gelingt Maazel dieser „Finalsatz“ (wenn er in einer Sinfonie stünde, wäre er am Ende platziert worden) in Wien etwas mitreißender.

Die Aufnahme entstand unter Einbezug der Surround-Technik, die bekanntlich mit nur zwei Kanälen auskam. Im Surround-Modus, der die zwei Kanäle auf vier oder fünf aufdröselt, abgespielt, verteilten sich die dafür vorgesehenen Klänge auch auf Lautsprecher im hinteren Bereich. Das war eine Technik, die vor allem im Kino weit verbreitet war, bevor es die Mehrkanaltechnik mit mehreren diskreten Kanälen gab.

Im Stereo-Betrieb klingt das „Kriegsgeschehen“ bereits sehr plastisch und räumlich. Das Orchester in der Sieges-Sinfonie wirkt etwas distanziert, weich, recht voll und abgerundet. Mit etwas mehr Glanz versehen als die Wiener Philharmoniker 13 Jahre zuvor.

Im Surround-Betrieb wird das Klangbild noch plastischer, die Räumlichkeit weitet sich spürbar. Die beiden Militär-Trommler kommen nun aus dem Raum hinter den Hörer:innen einmarschiert. Da nun auch evtl. vorhandene Subwoofer angesteuert werden klingen nun auch die „Kanonen“ erheblich mächtiger. Sie taugen jetzt auch zur Massage von Trommel- und Zwerchfell. Insgesamt erscheint die Aufnahme nun stimmiger. Mithin wurde sie für diesen Wiedergabemodus optimiert. Der Klang aus Wien ´82 wird so in jeder Hinsicht übertroffen.

 

4

Erich Kunzel

Cincinnati Symphony Orchestra

Telarc

1982

8:11  6:56  15:07

 

In Cincinnati spazieren die Engländer ziemlich unauffällig von links herein. Auch die Marcia bleibt gänzlich auf der linken Seite und wirkt ähnlich wie bei Lorin Maazel emotionslos. Die Franzosen folgen von rechts, auch die Marcia bleibt nur rechts. Und wie richtige Marschmusik meistens klingt, klingt sie auch bei den Franzosen zwar sauber aber auch uninspiriert.

Für die Darstellung der Schlacht griff man auch in Cincinnati auf echte alte Waffen zurück. Die Musketen kommen krachend ins Klangbild und die Kanonen mit sehr viel Wucht und mit viel mehr Kraft als bei Karajan. Man eifert eher der Dorati-Einspielung nach. Das Orchester bleibt trotz erstaunlichen Waffenlärms außerordentlich transparent hörbar, da hat alles seinen Platz und die Schlacht läuft ganz präzise ab, wie bei einem „Hörfilm“ für das innere Auge. Eine Gewittermusik kann man sich bei Kunzel nur sehr schwer vorstellen, dazu klingen die Waffen viel zu echt.

Bei der Sturmmusik verbleibt das Orchester bei einem zu matten Impetus. Die Hauptsachen sind in dieser Einspielung aber sowieso die Kanonen. Der Schluss gelingt dem Dirigenten und dem Orchester hingegen sehr plastisch. Man hat ein Ohr für die Stimmung nach der Schlacht.

Die Sieges-Sinfonie muss schon bei der Intrada auf die rechte Strahlkraft bei den Trompeten verzichten. Das Andante wirkt zu schwer lastend, da wurde wohl das grazioso beim Andante überlesen. Das p dolce wird bei „God save the King“ nicht richtig hart vom ff des Orchesters durchschnitten. Das Allegro (ab T. 516) erhält wenig Spannung, das Finale muss ohne echten Triumph auskommen. Insgesamt gefällt bei dieser Einspielung der zweite Teil weniger als der erste.

Der Klang wirkt sehr ausgewogen. Trotz der Effekte gelang es ein erstaunlich einheitliches Klangbild zu schaffen. Es ist insgesamt recht dynamisch, die Kanonen schießen dabei jedoch den Vogel ab. Die Techniker haben sich dabei hörbar viel Mühe gegeben.

 

4

Leon Botstein

American Symphony Orchestra, New York

ASO, Live

2011

8:25  6:36  15:01

 

In dieser Live-Einspielung ist wieder alles handgemacht, d.h. Musketen und Kanonen werden nicht von echten Waffen zugespielt, sondern die guten alten Ratschen und Trommeln übernehmen den Part. Bei den beiden Märschen differenziert Botstein sehr schön den Gestus, die französische Marcia wirkt tatsächlich lebhafter als die englische. Bei beiden überwiegt allerdings der militärische Drill bei weitem, ganz anders als bei Dausgaard, der die tänzerische Seite betont. Ja, tatsächlich kann ein Marsch eine Art Tanz sein.

Bei der Schlacht sind die Ratschen und Trommeln antiphonisch platziert. Beim Aufmarsch kam das noch nicht so klar rüber. Beides klingt von der Bühne her (auch das war bei Dausgaard anders) sehr körperhaft und deutlich im Vordergrund. Das Orchester wirkt dagegen sehr leichtgewichtig und vom Schlagwerk bedrängt. Die Schlacht wirkt dadurch ziemlich vordergründig. Die Rasanz bei der Sturmmusik fehlt weitgehend. Leid und Erschöpfung werden dafür sehr sinnfällig, um nicht zu schreiben mitleidsvoll, ausgedrückt. Diese Einspielung wäre durchaus geeignet Schlacht und Sturmmarsch als Gewittermusik zu hören. Den Aufmarsch zu Beginn müsste man dann „wegdrücken“.

Bei der Sieges-Sinfonie wird das con brio zu Beginn voll eingelöst, wobei das Spiel jedoch gröber wirkt als z.B. beim kammermusikalisch geschmeidigen Schwedischen Kammerorchester. Da fehlt es im Verlauf passagenweise auch ein wenig am Schwung. In den Gefühls-Niederungen des Zweifelns und der Selbstreflektion gelingt der Gestus nicht ganz so ausdrucksvoll. Der Neuaufbau (da spielen zunächst auch nur die Streicher ein Fugato) gelingt hingegen sehr plastisch.

Der Klang des Mitschnitts wirkt sehr körperhaft, präsent und transparent. Die Trommeln beim Aufmarsch klingen sehr dynamisch. Die Bassschläge der großen Trommeln gehen voll in die Magengrube, das ist schon fast referenzverdächtig. Der rechts/links Antagonismus während der Aufmarschsituation wird leider nicht beachtet. Sollte der Konzertsaal in New York wie der in Enschede in der Einspielung de Vriends auch nur einen Zugang haben?

Das ist von der Klangtechnik her gesehen eigentlich der einzige Makel, denn ansonsten klingt es farbig, prall und ausgesprochen druckvoll.

 

4

Lorin Maazel

Wiener Philharmoniker

CBS-Sony

P 1982

9:35  6:35  16:10

 

Nachdem der Trommler einmarschiert ist und die Trompete zum Sammeln geblasen hat wird man nicht schlecht überrascht. In Wien wirkt die Marcia der Engländer so klein und bescheiden abgebildet, leise natürlich auch, dass man mit dem Schluss liebäugelt, dass es sich dieses Mal um ein Regiment von Puppen handeln muss. Vielleicht haben wir als Hörer:innen in dieser Einspielung aber auch den Blickwinkel von einem weit entfernten Feldherrenhügel auf die Regimenter eingenommen? Zudem ist die komponierte Steigerung der Dynamik nahezu nicht vorhanden. Perplex ist man, als dann die Franzosen auf derselben Seite aufmarschieren. In Wien gibt es doch mit Sicherheit zwei Türen, die man hätte nutzen können. Die Marcia der Franzosen ist wie später in München keinesfalls lebendiger als die englische, ganz im Gegenteil, die Franzosen machen einen ziemlich verzagten Eindruck, als hätte man bereits „die Hosen voll“. Aber: einen Rest von tänzerischer Anmut und Élégance hat man sich noch bewahrt.  Aufforderung der Franzosen und Gegenruf der Engländer (bei Beethoven: Challenge und Reply) kommen erneut beide von Links. Der Aufmarsch ist so alles andere als in Beethovens Sinn.

Bei der Schlacht selbst ist der Antagonismus dann hergestellt. Kanonen und Musketen stehen sich nun gegenüber. Dieses Mal wurden echte Waffen genutzt. Sie hören sich allerdings so an, als wären statt der historischen Musketen moderne Gewehre verwendet worden. So fühlt man sich fast in einen modernen Kriegsfilm versetzt, wenn nicht das Orchester Beethovens dazwischenfunken würde.

Den Sturmmarsch beginnt Maazel extrem langsam, dann wird zwar ordentlich gesteigert, an ein Presto, wie vorgeschrieben kommt Maazel jedoch nicht ganz heran. Das Orchester ist noch ganz gut hörbar, muss sich aber einiges bieten lassen.

Bei der Sieges-Sinfonie spielen die Philharmoniker tadellos, es gelingt ihnen sogar ihre Klasse aufblitzen zu lassen. Ihr Spiel ist auf Glanz und Schönklang bedacht, insofern ist diese Einspielung der Karajans nicht unähnlich. Die Dynamik ist noch recht kontrastreich, es wird jedoch ein philharmonischer Mischklang bevorzugt, den man in der Beethoven-Interpretation inzwischen weitgehend überwunden hat. Die ff-Einsätze wirken mitunter träge. Beim Fugato ist Maazel sehr geschwind, als ob er damit nicht viel anfangen könnte. Das wirkt allzu unbeschwert. Danach dreht Maazel richtig auf und die Philharmoniker lassen die Neunte schon richtig deutlich aufblitzen.

Die Schlacht wird in dieser Einspielung nicht sonderlich präsent präsentiert. Das Orchester in der Sieges-Sinfonie wirkt zu distanziert. Der Gesamtklang wirkt warm, weich und gedeckt, weniger dynamisch und auch ziemlich matt und verhangen. Die spätere Einspielung aus München erscheint uns insgesamt empfehlenswerter, wenn es um die beiden Maazel-Einspielungen geht.

 

4

Hugh Wolff

Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR-Sinfonieorchester)

Denon

1997, Live

9:14  6:14  15:28

 

Der Fünf-Kanal-Sound war im Heimkino noch recht neu und bei Denon versuchte man, ob sich das dazugehörige Medium DVD auch für die reine Musikwiedergabe klassischer Musik eignen könnte und vor allem, ob sich dafür Käufer finden ließen. Effektvoll schon von Mälzel und Beethoven entwickelt bzw. komponiert, eignete sich „Wellingtons Sieg“ sehr gut, um die Fähigkeiten des Mediums ins rechte Licht zu rücken. Andererseits blieben die Nachteile (geringe Datenrate, daher mehr oder weniger starker Verlust an Klangfülle, Klangfarbe, Auflösung usw.) nicht verborgen, sodass es nur bei wenigen Aufnahmen blieb. Der Rundfunk blieb jedoch für Konzertübertragungen bei diesem Standard, die Plattenindustrie versuchte die Nachteile mit der DVD-Audio und der SACD zu beseitigen, was auch im Wesentlichen gelang. Dennoch blieb der wirtschaftliche Erfolg versagt. So sind nur noch ganz wenige Anbieter mit der SACD oder der Blu-Ray-Audio am Markt.

Die Trommler marschieren hier durch das komplette Auditorium der Alten Oper Frankfurt. Der „Engländer“ von hinten rechts nach vorne links. Das wirkt ungeheuer präsent und prickelnd. Das Publikum war hörbar überrascht und amüsiert. Dem aufbrausenden Gelächter nach zu urteilen ist es denkbar, dass der Trommler sogar eine Uniform trug. Die Marcia klingt hochkonzentriert. Festen Schrittes nähert man sich dem Schlachtfeld (der Bühne).

Der Trommler der Franzosen marschiert dann von links hinten nach rechts vorne, man könnte sagen drehbuchgerecht nach Beethovens Wünschen und nach den Wünschen der Produzenten. Mit dem hatte das Publikum ebenfalls nicht gerechnet. Noch mehr Amüsement. Man sieht daran auch, wie wenig populär dieses Werk Beethovens ist. Die Marcia der Franzosen klingt keinesfalls lebhafter als die der Briten, mehr Lust in den Krieg zu ziehen haben sie also auch nicht. Die Ratschen werden in der Schlacht durch echte Musketensalven ersetzt, die Trommeln durch echte Kanonenschläge. Es ist anzunehmen, dass sie über Lautsprecher vor Ort wiedergegeben wurden. Bei echten Waffen (ohne Kugeln versteht sich) hätte die Feuerwehr sicher nicht mitgespielt. Während der Sturmmusik bleibt das Orchester nur leidlich durchhörbar, da ziemlich leise, Die Donner sind wahrlich übermächtig. Wenn die Musketen nicht so echt klingen würden, die Schläge der Kanonen würden als Gewitter-Donner sehr gut durchgehen.

In der Sieges-Sinfonie verliert die Einspielung deutlich an Plastizität. Die Streicher wirken merklich unterbelichtet. Schon während des Sturmmarsches am Ende der ersten Abteilung war eigentlich nur das Blech gut durchgezeichnet, die Streicher allenfalls dann, wenn das Blech zu schweigen hat. Die geringe Auflösung lässt den gesamten Orchesterklang zudem ein wenig ausgezehrt hören, was wiederum die Streicher besonders trifft. Das Fugato gelingt jedoch plastisch. Es wird mit ordentlichem Drive musiziert.

 

4

Martin Haselböck

Orchester Wiener Akademie

Alpha

2015

8:22  7:46  16:08

 

Haselböcks Beethoven-Zyklus, der zum Beethoven-Jahr 2020 fertig war, wurde an den Plätzen der jeweiligen Uraufführung aufgenommen. Man veranstaltete keine Demo-Show, zeigte nicht was heutzutage technisch machbar wäre, sondern blieb sozusagen musikalisch integer.

So marschieren die Briten (verstärkt durch die Preußen) von links durchaus plastisch aus der Ferne ein. Die Marcia klingt leicht und flott. Die Franzosen (und Spanier nicht zu vergessen) kommen ebenso plastisch von rechts. Die Marcia klingt ebenso leicht wie die der Engländer.

In der Schlacht spielt das Orchester außergewöhnlich plastisch die Hauptrolle. Große Trommeln stehen hier für die Kanonen, allerdings in einiger Entfernung, die Ratschen sogen für das Feuer der Musketen, so wie es Beethoven vorsah. Die Trompeten sind stark exponiert, die Trommeln werden beherzt geschlagen, wirken aber deutlich weniger bedrohlich als in Trommel-präsenteren Einspielungen. Die Einspielung eignet sich sehr gut zur Imagination einer Gewittermusik à la „Pastorale“.

Der Sturmmarsch bekommt gute Temporelationen aber nicht immer den gebotenen Nachdruck verpasst.

Im Allegro con brio der Sieges-Sinfonie (mit guten Trompeten in der einleitenden Intrada) geht es zwar ziemlich zackig aber im Tempo gebremst, gar gemächlich zu. Allzu deutlich, fast schulmeisterlich wird da phrasiert, sodass kein überschwängliches Gefühl eines großen Sieges erweckt wird. Die Kontraste bei „God save the King“ sind nur sehr gering ausgeprägt. Da wird nicht weggeschrien, wie in anderen Einspielungen (z.B. Scherchen), sondern eher bejubelt. Das Fugato erfolgt schwunglos. Was bei Maazel zu schnell und achtlos vorangeht, klingt hier ohne Tatkraft. Der Schlagzeuglärm, der an die Neunte erinnert (ab T. 586) wird nicht hervorgehoben, sondern stark in den Gesamtklang eingebettet. Weniger heroisch ist die Sieges-Sinfonie in unserem Vergleich nur sehr selten zu hören gewesen. Das dürfte bei der Uraufführung mit Beethoven als Hauptdirigenten anders gewesen sein.

Der Klang ist sehr erfreulich ausgefallen und dürfte auch Puristen zufriedenstellen, die dem Brimborium in der ersten Abteilung nicht viel abgewinnen können. Sehr dynamisch, klar und räumlich, wie bereits erwähnt ohne aufgesetzte Show könnte es so oder so ähnlich vielleicht auch bei der Uraufführung geklungen haben.

 

4

Jonathan Stockhammer

Junge Deutsche Philharmonie

Aufnahme vom HR, gesendet vom MDR, unveröffentlicht

2013

9:17  7:00  16:17

 

Ungewöhnlich tief klingen die Militärtommeln in dieser Live-Aufnahme aus der Alten Oper Frankfurt. Sowohl der britische, als auch der französische Trommler kommt von rechts und geht nach links. Sie sollten dann beide zusammenstehen. Bei Aufforderung der Franzosen und Gegenruf der Briten sind die Trompeter dann jedoch antagonistisch aufgestellt.

Der Schlacht fehlt es rundfunktypisch ein wenig an Dynamik. Die Trommeln klingen sehr voll und tief, ideal um auch eine tolle Gewittermusik abzuliefern. Die Musketen werden wie von Beethoven vorgesehen mit Ratschen ausgeführt. Der Antagonismus der Trompeten ist nun bereits wieder verschenkt, warum nur? Sie spielen nun im Orchester. Der Sturmmarsch bekommt ein accellerando, insgesamt fehlt es dem jungen Orchester bei aller lupenreinen Sauberkeit jedoch am Biss, es klingt wenig aggressiv. Der Zugang des Dirigenten scheint ausschließlich von musikalischen Beweggründen gespeist. Es wird nichts Außermusikalisches hinzuinterpretiert, soweit das bei diesem Werk überhaupt möglich ist.

Die Trompeten in der Intrada der Sieges-Sinfonie klingen wie auch bereits in der Schlacht und in der Sturmmusik zu wenig exponiert, das gleiche wiederholt sich bei Tempo I. Das Heroische wird eher tief gehängt, ein insgesamt sachlicher, streng partiturbezogener Ansatz. Das Ritardando ist so weniger Krise, als ein Luftholen, das Fugato der Streicher vor allem nur sehr transparent. Sehr gut gelingt der Einstieg des Neunte-Sinfonie-Schlagwerks in die abschließende Steigerungswelle.

Der Klang der Aufnahme wirkt ausgewogen, die Bässe wirken ziemlich prominent, Effekte sind zwar vorhanden, werden jedoch nicht auffällig exponiert. Sie sind nur Mittel zum Zweck und nicht das Zentrum der Aussage. Dynamisch wirkt der Rundfunk-Mitschnitt etwas flach, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass das Blech aufnahmetechnisch nicht die ihm zukommende Beachtung findet.

 

4

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

RCA

P 1971

7:48  6:31  14:19

 

Ohne viel Geplänkel geht es bei Eugene Ormandy zur Sache. Direkt und sachorientiert machen Trommler und Trompeter auf beiden Seiten ihren Dienst. Ein wenig etüdenhaft gespielt scheint die Aufgabe an die beiden beiderseits spieltechnisch eine Unterforderung, die auch spürbar wird. Die Marcia der Briten „Rule Britannia“ klingt gedämpft, nähert sich aber durchaus schwungvoll dem Schlachtplatz. Das „Marlborough“ der Franzosen wirkt ebenso schwungvoll, aber etwas lebhafter, wie es sich Beethoven vorgestellt hatte.

Bei der Schlacht nimmt man sich die Freiheit und lässt die Kanonen einfach weg. Ormandy lässt also nur die leichten Waffen sprechen und das sind die Ratschen. Die Trommeln fehlen also. Daher kommt das Orchester nahezu unbedrängt zu Wort. Als Gewittermusik nach Art der „Pastoralen“ wäre die Version Ormandys bestens geeignet, wenn der Donner nicht fehlen würde. Schwerer Lapsus oder Glücksfall? Das möge ein jeder für sich selbst entscheiden.

Bei dem Sturmmarsch sollten eigentlich die Trommeln der Franzosen die Trommeln der Briten verstärken, auch darauf verzichtet man in dieser Einspielung. Konsequent wäre es aber gewesen, wenn man auch die Ratschen weggelassen hätte. Eine Schlacht ohne Waffen, damit könnte man sich dann schon fast anfreunden. Und dann wäre die Einspielung eine vortreffliche Vorlage zum Mitspielen für alle Schlagzeuger, die sich einmal als Kanonier oder als Schütze mit der Muskete in Beethovens Stück beweisen wollen.

Die Sieges-Sinfonie scheint den Geschmack des Herrn Ormandy schon besser zu treffen, denn bereits die Intrada wird angetrieben in den Raum gestellt und das Allegro con brio wird mit ordentlichen sf gepfeffert. Das Orchester klingt sehr transparent, spielt sauber und klangschön. Insgesamt könnte jedoch beherzter dynamisiert werden.

Der Klang der Aufnahme wirkt großräumig, recht transparent und recht gut gestaffelt, auch in die Tiefe hinein. Die Dynamik bleibt jedoch schwach ausgeprägt.

 

 

 

3-4

Heinz Bongartz

Gewandhausorchester Leipzig

Berlin Classics

1970

7:50  6:58  14:48

 

Auch diese Einspielung wurde wie die Karajans, wahrscheinlich sogar als direkte Antwort auf diese, vom VEB Deutsche Schallplatten für das Beethovenjahr 1970 produziert.

Während die Trommeln nur sehr weit entfernt zu hören sind, klingt die Trompete sehr präsent, damit nur keiner der Soldaten den Appell überhört. Die Marcia der Briten bekommt einigen Schwung mit auf den Weg. Trommel und Trompete der Franzosen spielen mit schärferem Rhythmus. Da ist schon klar, wer von beiden sich als Aggressor zu erkennen gibt. Die Marcia der Franzosen klingt lebhafter als die britische.

Die Musketen in der Schlacht werden wieder von Ratschen „gespielt“ (allerdings so schnell in der Schussabfolge wie heutige Schnellfeuergewehre, also salvenartig, wie von Beethoven gewünscht), während die Kanonen echt klingen. Falls es Trommeln waren: Kompliment, den Kanonensound hat man perfekt getroffen. An die Präsenz und Wucht der Trommeln bei Scherchen kommen sie jedoch bei weitem nicht heran. Die Ratschen sind weit links bzw. rechts außen, also ein wenig vom Orchesterklang entfernt zu hören. Auch die Trompeten hat man sehr gut antagonistisch platziert. Das Orchester ist gut durchhörbar, die Imagination einer Gewittermusik statt einer Schlacht ist durchaus möglich. Gegen Ende der Schlacht wirkt die Musik für unser Dafürhalten zu tänzerisch und beschwingt. Entweder muss man diesen Gestus als fehl am Platz empfinden, oder, was durchaus möglich wäre, als parodistisch. Das Nachlassen des Tempos gegen Ende, so wie beispielsweise von Scherchen praktiziert, lässt Erschöpfung, Tod und Verzweiflung deutlich besser nachvollziehbar werden.

Die Sieges-Sinfonie bekommt ordentlich Zug und klingt sehr laut. Bei „Andante grazioso“, wird die Musik zu sehr im Fluss gehalten, man merkt als Hörer, der das Stück zum ersten Mal hört, sicher an dieser so wichtigen Stelle nicht auf. Der lange Nachhall verunklart die Konturen nachhaltig und nimmt dem Orchester viel von seinem Biss. Den Übergang zum Allegro haben wir schon schlüssiger gehört. Der Neuanfang klingt von Beginn an viel zu selbstbewusst, da ist kein zweifeln oder zaudern spürbar. Die Passage mit dem Militärschlagzeug, das in dieser Form die betreffende Passage in der Neunten vorwegnimmt bis zum Finale klingt wegen der Hall-Soße viel zu geräuschhaft und wenig strukturiert. Insgesamt wird die Sieges-Sinfonie durchweg stramm durchgezogen, ohne auf ihre Besonderheiten verständnisvoll einzugehen. Vielleicht wirkt sie deshalb wenig überzeugend und sehr wenig mitreißend.

Das Orchester klingt enorm weiträumig. Das Blech wurde viel zu weit entfernt platziert. Insgesamt ist der Klang warm, weich und bassgewaltig. Im Tutti und besonders im ff könnte der Gesamtklang viel transparenter sein. Bei Scherchen oder auch bei Dausgaard klang das Orchester viel knackiger. Dieses Mal ist dem VEB keine Meisterleistung geglückt.

 

3-4

Rafael Frühbeck de Burgos

London Symphony Orchestra

Collins

1990

7:02  7:20  14:22

 

Trommeln und Trompeten kommen sehr gut von ganz weit hinter der Bühne heran. Die Kriegsparteien jeweils von der antagonistischen Seite. Das „Rule Britannia“ ist mäßig schnell, mit einem sehr guten crescendo gespielt. Die französische Marcia wirkt dagegen so, als ob die Soldaten eine verbotene Doping-Substanz zu sich genommen hätten. So flott hört man den „Marlborough-March“ kein zweites Mal.

In der Schlacht wirken die Waffen naturalistisch, wobei sich die Musketen von den Kanonen in Schalldruck und Tiefbass kaum unterscheiden. Mit anderen Worten die Kanonen scheinen ein sehr kleines Kaliber zu haben. Die Geräusche der Waffen sind vielfältig, auf Musketensalven, wie sie Beethoven notiert hat, wird ebenfalls verzichtet. Es fehlt zudem an akustischer Durchschlagskraft. Insgesamt fühlt man sich eher an ein Sylvester-Feuerwerk erinnert. Als Gewittermusik taugt diese Passage nicht. Das Orchester ist jedoch sehr gut zu hören. Der Sturmmarsch klingt wenig differenziert und hat kaum Biss, wirkt also eigentlich nicht als Bedrohung. Im Vergleich zu Scherchen klingt er geradezu läppisch. Bei Frühbeck de Burgos hört sich Beethovens Werk tatsächlich eher wie ein Divertissement an. Die Dekomposition am Ende wirkt noch am eindrücklichsten.

Die Sieges-Sinfonie gefällt etwas besser, wirkt aber als Ganzen zu weich und zu wenig kotrastreich. An den betreffenden Stellen geht es nicht straff voran und das Finale wirkt nicht furios, besonders die Passage mit dem (eigentlich) exponierten Schlagwerk. Man denkt hier kaum an die Neunte. Am besten gelingt noch das Tempo di minuetto, das tänzerisch klingt. Ein kathartischer Verlauf sollte sich engagierter anhören.

Klanglich ist die Einspielung zwiespältig. Der Aufmarsch klingt sehr präsent. Die Effekte bei der Schlacht verpuffen hingegen weitgehend. Im Ganzen klingt es zwar großräumig, das Orchester für sich genommen klingt jedoch nicht präsent genug.

 

 

 

3

Morton Gould

And his Orchestra

RCA, TP 4 Music

1960

9:40  6:37  16:17

 

Eigentlich brachte RCA im Jahr 1960 diese Einspielung auch als Living-Stereo-LP heraus. Da der Markt aber noch wenig mit Stereo-Abspielgeräten versorgt war, die meisten Hörer:innen also noch Mono hörten, kam sie auch als Mono-LP heraus. Viele Streaming-Dienste füllen ihr Angebot nun nicht mit modern abgemischten Überspielungen der Originalbändern auf, sondern greifen auf billig gemachte, sozusagen in Heimarbeit angefertigte Digitalisierungen uralter abgenutzter Schallplatten zurück. Das nicht mehr greifende Copyright macht es anscheinend möglich. Bei den nächsten drei Einspielungen ist dies der Fall.

Bei der Gould-Einspielung war wohl keine Stereo-Platte verfügbar, sodass eine Mono-Scheibe digitalisiert wurde. Laut Beethovens Aufführungswünschen mit dem Aufmarsch und der Schlacht auf verschiedenen Seiten des Konzertsaales fällt diese Version eigentlich von vorne herein durch, Anforderungen nicht erfüllt.

Musikalisch ist die Einspielung jedoch nicht so mies wie ihre klangliche Seite. Der Marsch der Briten beginnt leise und steigert sich zu imposanter Lautstärke. Er wirkt ziemlich gestelzt, so wie man sich die Briten vielleicht in den USA vorgestellt haben mag, ein wenig hüftsteif. Die Franzosen kommen natürlich auf derselben Seite einmarschiert (die Aufnahme klingt noch nicht einmal mittig eingepegelt). Allerdings genauso lahm und gestelzt wie die Briten. Auch die Franzosen wirken also nicht gerade „inspiriert“. Bei der Schlacht klingen die Kanonen, die mit Trommeln dargestellt werden, ohne Saft und Kraft. Die Musketen klingen kaum nach Ratschen, aber auch nicht nach echten Waffen, also so oder so schlecht. Dass das Orchester klar und deutlich wäre, lässt sich nicht behaupten.

Die Sieges-Sinfonie wirkt da schon viel gekonnter realisiert. Das Orchester macht einen guten Eindruck (ganz anders als das Pariser Orchester bei Leibowitz) spielt ein rasantes Tempo und bringt eine Menge Schwung mit ein. Man ist offenkundig mit Emphase am Werk und scheint das Stück auch nicht zum ersten Mal zu spielen. Der Dynamik ist die abgenutzte Platte jedoch nicht gewachsen, es klingt doch sehr verschliffen, sogar die p- und pp-Abschnitte. Spaß macht das Hören dieser „Datei“ jedenfalls nicht. Hätte man nicht wenigstens nach einer brauchbaren Living-Stereo-LP suchen können, wenn man schon keinen Zugriff auf das Mastertape hat?

Es stören permanente Schleifgeräusche, der Antagonismus von Trommeln und Trompeten wird überhaupt nicht genutzt und das Gesamtklangbild ist wenig plastisch. Das Orchester wirkt streicherlastig. Insgesamt klingt die Einspielung aber noch besser als die mit Leibowitz und Werner Janssen.

 

 

 

2-3

René Leibowitz

Radio Symphony Orchestra of Paris (verschiedentlich auch als Paris Philharmonic Orchestra bezeichnet)

Saga, Emkay Remasters

P 1962

8:39  7:07  15:46

 

In dieser Einspielung, die anscheinend wie bei Morton Gould ebenfalls auf eine Mono-LP zurückgeht, wird das Näherkommen der Trommler realisiert, der Antagonismus des sich Gegenüberstehens auch bei der Schlacht jedoch nicht. Zu diesem Makel gesellt sich noch ein ziemlich schäbiges Orchesterspiel. Kaum zu glauben, dass Herr Leibowitz das hat durchgehen lassen. Das Pariser Orchester hält den Vergleich mit dem Royal Philharmonic Orchestra bei der Aufnahme der Sinfonien in keiner Weise stand. Bei der Schlacht gefällt die endlich einmal schrill zu hörende Piccolo-Flöte sehr gut. Das ist aber auch das Einzige. Die Ratschen hören sich nach Schellenbaum an (was für ein Fehlgriff!) die Trommeln klingen ganz dumpf, ohne Kraft und ohne Substanz. Das Orchester hört sich an, als spiele es prima Vista und als säßen keine Profis vor Ort. Die Intonationsmängel verschärfen sich so fast zur Dissonanz.

Die Sieges-Sinfonie gelingt besser. Anscheinend hat man das Jammertal der völligen Indisposition nun hinter sich gelassen. Nun geht es immerhin mit Schwung aber immer noch alles andere als perfekt voran. Besonders das Blech lässt sich nicht lumpen. An das RPO darf man jedoch immer noch nicht denken. Mit den Streichern und dem Holz hat Leibowitz kein Glück gehabt. Es gelingt kein rechter Spannungsaufbau und die Passage mit dem Schlagwerk-Einsatz à la Neunte ist dann doch wieder völlig verunglückt.

Der Klang wirkt schrill und kompakt, die Transparenz ist mangelhaft. Die Dynamik reduziert. Zudem gibt es konstante Schleifgeräusche. Der Mono-Klang wird dem Werk in keiner Weise gerecht.

 

 

 

2

Werner Janssen

Los Angeles Symphony Orchestra

Everest

1964

7:39  6:25  14:04

 

Auch den Dirigenten Werner Janssen kennt man heute kaum noch. Er reüssierte auch als Filmkomponist und hatte mehrere Chefpositionen, so in Baltimore, Utah (als Vorgänger von Maurice Abravanel), Oregon und Toronto, inne. Wenn auch jeweils nur für kurze Zeit. Das Orchester war eine Gründung Janssens und sollte einmal ein Konkurrenzunternehmen zum Los Angeles Philharmonic Orchestra werden.

Generell wir hier mit Tempo und Begeisterung aber auch recht pauschal musiziert. Beim Sturmmarsch wird langsam gesteigert, die Kanonen sind dabei kaum noch zu hören.

Die Sieges-Sinfonie erklingt extrem hurtig. Erich Kleiber und Toscanini lassen grüßen. Sämtlich Details gehen „flöten“. Es ergibt sich ein kaum erträglicher Klangkauderwelsch.

Der digitalisierte LP-Klang wirkt besonders diffus, verknackt, linkslastig, mulmig und sehr undifferenziert. Bei den lauten Stellen, und davon gibt es reichlich, erleben wir ein klangliches Fiasko. Schleifgeräusche und eine nivellierte Dynamik gibt es noch on top. Ein Produkt von nicht an der Musik interessierten „Piraten“, die dem Werk und seinen Interpreten auf diese Weise mehr schaden als nützen. Falls man jedoch die fortgeschrittene Taubheit Beethovens klanglich nachahmen wollte, so gebührt dieser Aufnahme die Siegerpalme.

 

 

Versionen ohne Sinfonieorchester

 

5

Paul Dombrecht

Octophorus

Accent, Christophorus

1988

8:08  6:17  14:25

 

Das belgische Alte-Musik-Ensemble Octophorus legte 1988 eine Einspielung in ungewöhnlicher Besetzung vor. Die Bläserstimmen sind alle besetzt, das Schlagwerk auch, nur die Streicher fehlen ganz. Oft spielt das Ensemble nur in der klassischen Besetzung der Harmoniemusik, diesen Mal kommt aber auch das Blech hinzu, und die Besetzung der Holzbläser wurde erweitert. Auch das Schlagwerk bleibt in voller Besetzung erhalten. Es klingt hier ganz besonders nach der typischen Janitscharenmusik, die Herkunft aus dem Bereich der Arabischen bzw. türkischen Musik wird also in dieser Einspielung besonders deutlich. Wir erinnern uns, dass die Türken nicht nur den Kaffee nach Wien gebracht haben, sondern mit ihrem Heer auch bereits geschichtlich gesehen „kürzlich“, also noch unvergessen für die damalige Wiener Bevölkerung vor den Toren Wiens standen. Und das nicht in friedlicher Absicht. Besonders unruhige Zeiten also auch damals in Europa. Die Interpretation ist besonders akkurat und klangschön geraten, zudem verzichtet sie auf jeden Bombast, ist besonders stringent und lässt nicht zuletzt durch eine exzellente Klangtechnik aufhorchen. Dass das Werk einer „Magerkur“ unterzogen wurde, kann man sicher nicht behaupten. Sie wirkt auch authentisch, denn Mälzels Orchesterapparat beschränkte sich ja auf durch Luft angeblasene Instrumente. Streichinstrumente blieben außen vor. So wäre sie sogar fast noch authentischer als Beethovens Fassung für Sinfonieorchester. Nun aber Spaß beiseite und eins nach dem anderen:

Die Trommler nähern sich sehr gelungen aus der Ferne, den Schalldruck sukzessive erhöhend. Den Trompeten hört man die historische Bauart durchaus an. Die Marcia ertönt zunächst nur in erweiterter Harmoniebesetzung, bevor sich das Blech hinzugesellt. Äquivalent die Franzosen, wobei die Artikulation in deren Marcia gestochen scharf wirkt. Gerade beim Hinzutreten des Blechs wirkt die Marcia stramm und fidel. Die Kanonen in der Schlacht werden von kleineren Trommeln angeschlagen, die ihre türkische Herkunft nicht verbergen wollen. Sie werden unnachahmlich schnell, straff und kraftvoll angeschlagen. Sofort stellt sich das Bild von enorm durchtrainierten belgischen Derwischen ein, die wie besessen auf ihre Instrumente einschlagen. Da verzichtet man gerne auf etwas mehr Volumen und Tiefgang. Schlacht und Sturmmarsch gehören zu den besten des Vergleiches. Den Verlust der Streicher vernimmt man nicht als Nachteil. Alles wird dem Primat der Musik untergeordnet, nicht des effektvollen „Soundtracks“. Die Wirkung ist unmittelbar stringent und packend, aber auch urig. Das knarzt alles so schön. In kaum einer anderen Einspielung gelingt die Verschmelzung von Effekten und musikalischer Komposition so gut gelungen wie hier.

Zur Sieges-Sinfonie: Das Allegro con brio wird von den historischen Blas-Instrumenten mit außerordentlichem Schwung und hoher Transparenz hingelegt. Das Schlagwerk wird stark hervorgehoben, nicht zuletzt auch durch das doch relativ kleine „Restorchester“. Das klingt sehr rhythmisch und bissig. Für die diskographische Situation erscheint die Einspielung besonders wichtig, vermag sie doch am besten an den Musikapparat von Mälzel zu erinnern. So ähnlich könnte dieser geklungen haben. Wobei er an die stupende Musikalität der Belgier sicher nie und nimmer hergekommen wäre. Diese Einspielung ist auch eine ganz spezielle Empfehlung für die Freunde der Harmoniemusik und für Freunde des historischen Bläserklangs.

Auch klangtechnisch fällt auf, wie gut die Effekte in den musikalischen Ablauf integriert werden. Die Raumeffekte werden ebenfalls nicht übertrieben. Es findet eine Konzentration auf das Wesentliche statt. Der Sound ist knackig, hochtransparent und spritzig. „Wellington“ zwar „abgespeckt“ um die Streicher, aber dennoch ein Gewinn. Auch für Puristen und allen Freud:innen von Beethovens Musik eine dicke Empfehlung.

 

2-5

Georg Tintner

Canadian Brass and Members of the Boston Symphony and New York Philharmonic Orchestras

Philips

1989

7:48  4:20  12:08

 

Das Canadian Brass Quintett hat sich zur Realisierung dieser Einspielung Verstärkung von Musikern des BSO und der NYP und sogar einen Dirigenten dazu geholt, sodass eine jeweils dreifache Besetzung im Blech und eine ausreichende Besetzung des Schlagzeugs möglich war. Andererseits wurde eine Bearbeitung nötig, denn von der Originalbesetzung fielen neben den Streichern auch die Holzbläser weg. Beim Aufmarsch gibt es zunächst keinen Unterschied, wenn man vom fehlenden Antagonismus bei den Trompeten einmal absieht. Die beiden Marcias funktionieren in dieser Besetzung sehr gut, denn an Virtuosität, die schnellen Streicher- oder Holzbläserpartien makellos zu spielen, fehlt es den Musikern nicht. Bei der Schlacht werden die Musketen (von Ratschen dargestellt) dezent eingesetzt, die Kanonen durch Trommeln. Es gehen insgesamt schon einige Stimmen verloren, der Wirkung nimmt das indes wenig (bei einer Beethoven-Sinfonie wäre das undenkbar). Das Arrangement lenkt nämlich das Ohr der Hörer:innen gekonnt weniger auf die kompositorische Faktur als auf die spieltechnische Brillanz der Blechbläser. Und die ist stupend.

Die Sieges-Sinfonie wurde um etliche Takte gekürzt, was schon an der veränderten Spieldauer zu erkennen ist. Da das Stück von Canadian Brass auch mit Blechbläsern verschiedener Orchester im Konzert live gegeben wurde, wollte man offensichtlich den typischen Ermüdungserscheinungen bei Blechbläsern von vorne herein keine Chance geben. Und wahrscheinlich auch der drohenden klanglichen Monotonie. Dennoch ist es sehr unterhaltsam, wenn plötzlich die Stimme der Piccoloflöte von einem Horn gespielt wird und die Trompeten den Geigen Stimme verleihen. Diese Einspielung ist eine gekonnt gemachte Kuriosität, sie steht dem ohnehin schon kuriosen Werk jedoch ganz gut zu Gesicht. Besonders überzeugend ist das kammermusikalische Zusammenspiel dieser absoluten Könner.

Die 2 in der Bewertung gilt den Kürzungen der Partitur, die 5 der blendenden Realisierung.