Dmitri Schostakowitsch

5. Sinfonie d-Moll op. 47

____________________________________

 

 

Werkhintergrund:

 

Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 5 d-moll op. 47 entstand in einer Zeit (1937) und in einem Land, als Komponieren tatsächlich eine Angelegenheit auf Leben und Tod war. Schostakowitsch brachte die Hälfte seines schöpferischen Lebens während der Regentschaft Stalins zu. Das Drama der Künstler in der Sowjetunion bestand damals darin, dass Stalin ein persönliches Interesse an der Kunst hegte. Er las viel Literatur, er hörte gerne klassische Musik, vor allem von Tschaikowsky und Rimski-Korsakow, er schaute sich gerne Filme an und er beobachtete kritisch die Bildende Kunst. Kunst diente zur Zeit Stalins in extremem Maße als Werkzeug der Politik. Schostakowitsch schaffte just in jener Zeit den Durchbruch als Komponist und Künstler, in der Stalin sein diktatorisches Regime aufbaute, und als alles im Staate den ideologischen Richtlinien untergeordnet wurde. Der 30jährige Schostakowitsch erlebte landesweite und auch schon internationale Erfolge seiner Musik. Seine Oper «Lady Macbeth von Mzensk» wurde sowohl in Leningrad als auch in Moskau an den beiden großen Opernbühnen erfolgreich gespielt. Auch die offiziellen Medien erkannten Schostakowitschs Werk als großartigste russische Oper seit «Boris Godunow» an. Seine ersten Symphonien wurden begeistert akklamiert, und am Bolschoitheater befand sich außerdem seine volkstümliche Ballettkomödie «Der helle Bach» im Repertoire, die so wie seine Oper stets vor vollem Hause gezeigt wurde.

 

«Lady Macbeth von Mzensk» befand sich bereits fast zwei Jahre auf den Spielplänen, als Anfang des Jahres 1936 auch Stalin persönlich eine Aufführung besuchte. Sein wichtigstes kulturpolitisches Anliegen war es damals, für die vielen im Rahmen des Industrialisierungsprogramms vom Land in die Städte ziehenden Bauern ein verständliches Kunstleben bereit zu halten, das von «Einfachheit und Volkstümlichkeit» geprägt war. In diesen Slogan ließ sich aber Schostakowitschs Oper nicht einordnen, die das tragische Schicksal einer vom Patriarchat gedemütigten Frau zeigt, die mithilfe ihres Liebhabers ihren despotischen Mann beseitigt und schließlich in ein Straflager nach Sibirien verbannt wird. Sowohl die erotische Komponente als auch sozialkritische Elemente wurden von Schostakowitsch mit einer unverblümten Energie und mit drastischen Mitteln auskomponiert. Satirischer Schwung ist ebenso enthalten in dieser Musik wie schmerzensvolle, ergreifende Kantilenen.

 

«Chaos statt Musik»

Stalin war offenbar entsetzt von der Oper – und nur zwei Tage nach seinem Opernbesuch erschien in der «Prawda», der landesweit wichtigsten Zeitung, eine Aburteilung des Werkes und seines Komponisten unter dem Titel «Chaos statt Musik». Der Artikel erschien ohne Nennung eines Autors, ein untrüglicher Hinweis, dass er auf höchste Order Stalins verfasst wurde und dessen Meinung transportiert. Die Kritik hat eine eindeutige Richtung: «Von der ersten Minute an verblüfft den Hörer in dieser Oper die betont disharmonische, chaotische Flut von Tönen. Bruchstücke, Keime einer musikalischen Phrase versinken, reißen sich los und tauchen erneut unter im Gepolter, Geprassel und Gekreisch. Dieser Musik zu folgen ist schwer, sie sich einzuprägen, unmöglich. Sie ächzt und stöhnt, keucht und gerät außer Atem, um die Liebesszenen so naturalistisch wie möglich darzustellen. Die Fähigkeit guter Musik, die Massen mitzureißen, wird kleinbürgerlichen formalistischen Anstrengungen und Verkrampfungen geopfert. Diese absichtlich verdrehte Musik ist so beschaffen, dass in ihr nichts mehr an die klassische Opernmusik erinnert und sie mit symphonischen Klängen, mit der einfachen, allgemeinverständlichen Sprache der Musik nichts mehr gemein hat. Das ist linksradikale Zügellosigkeit anstelle einer natürlichen, menschlichen Musik. Die Gefahr einer solchen Richtung in der Sowjetmusik liegt klar auf der Hand. Linksradikale Abnormitäten in der Oper haben den gleichen Ursprung wie die linksradikale Entartung in der Malerei, der Dichtung, der Pädagogik und der Wissenschaft.» Besonders auffällig in diesem Artikel ist der Vorwurf des Formalismus und Naturalismus. Das sind jene zwei vernichtenden Wörter, mit der damals in der Sowjetunion von offizieller Seite jede unliebsame Kunst in Misskredit gebracht wurde.

Schostakowitsch bekam diesen Artikel bei einem Gastspiel in Archangelsk zu lesen. Und er wusste sofort, was der Text bedeutete: Er war als Volksfeind abgestempelt. Nur wenige Tage später wurde Schostakowitsch erneut zur Zielscheibe einer massiven Kritik an seiner Musik in der Prawda. Unter dem Titel «Heuchelei als Ballett» wurde auch das im Bolschoi aufgeführte Ballett «Der helle Bach» vernichtend besprochen. Eine Woche später fasste die Prawda ihre Kritik an Schostakowitsch und seinen beiden Werken noch einmal in einem Artikel zum Thema «Eine klare und einfache Sprache in der Kunst» zusammen: «Beide Werke sind gleichweit von der klaren, einfachen und wahren Sprache entfernt, welcher sich die sowjetische Kunst befleißigen muss. Beide Werke behandeln die Volkskunst mit Geringschätzung.»

Bereits einige Tage vor diesem dritten Artikel wurde der Komponist vom Vorsitzenden des Komitees für Kunstangelegenheiten, Platon Kerschenzew, zu einem Gespräch geladen. Kerschenzew hatte dem Künstler mitzuteilen, was Stalin von ihm verlangte. Schostakowitsch bekam in diesem Gespräch, von dem ein Protokoll existiert, zu hören, dass er in Hinkunft, bevor er eine Oper oder ein Ballett komponiere, das Libretto vorlegen müsse und dass einzelne Teile des Werkes vor einem Publikum aus Arbeitern und Bauern erprobt werde. Des Weiteren sollte Schostakowitsch in die Dörfer der Sowjetunion reisen, die Volkslieder aufzeichnen und die besten von ihnen in Bearbeitungen herausgeben. Schließlich wurde Schostakowitsch gefragt, ob er die in den Prawda-Artikeln geäußerte Kritik annehme. Angeblich hat er damals geantwortet, er würde die Kritik in der Prawda akzeptieren, aber nicht alles verstehen. Er hat sich also irgendwie gefügt.

 

Man muss sich die Situation vergegenwärtigen. Schostakowitsch befand sich in einem Ausnahmezustand. Rund um ihn wurden Künstler, Verwandte und Freunde als Staatsfeinde und Spione deportiert, viele von ihnen hingerichtet. Seine Frau Nina war im sechsten Monat schwanger. Er hatte Angst um sein und seiner Angehörigen Leben. Zwischen Schlager-Musik und Avantgarde blieb Schostakowitsch von Stalins Säuberungswelle und Vernichtungsmaschinerie verschont. Was den Ausschlag dafür gab, kann man nur vermuten. Stalin wusste um die außergewöhnliche Begabung des jungen Komponisten, den man zu Propagandazwecken gut gebrauchen konnte (was dann Jahre später während des Krieges gegen Nazi-Deutschland auch geschah). Schostakowitsch hatte den Diktator offenbar vor allem mit seinen Filmmusiken, die er nicht zuletzt zu einigen offiziell abgesegneten und anerkannten Filmen verfasst hatte, überzeugt. Bei einer Filmvorführung wenige Tage nach Erscheinen des Prawda-Artikels «Chaos statt Musik» wurde Stalin laut dem Protokoll eines Mitarbeiters darauf hingewiesen, dass Schostakowitsch auch der Komponist des Liedes «Dem kühlen Morgen entgegen» in dem Film «Der Gegenplan» sei. Dieses Lied war damals ein echter Schlager in der Sowjetunion, den jeder auf der Straße pfeifen konnte – und den auch Stalin selbst gernhatte.

 

In seinem Komponierzimmer war Schostakowitsch damals allerdings nicht mit einem weiteren Schlagerlied beschäftigt, sondern mit dem Revolutionärsten, Kühnsten und Modernsten, was man sich nur denken kann: der vierten Symphonie. Eine gigantische, tragische dreisätzige Symphonie, die an die Grenzen der Tonalität stößt und eine eindeutige Botschaft in sich trägt: Auflehnung gegen diktatorische Unterdrückung. Sie in dieser kritischen Phase zu veröffentlichen und uraufführen zu lassen, wäre wohl einem Todesurteil gleichgekommen. Nach einer ersten, chaotisch verlaufenden Durchspielprobe zog Schostakowitsch die Symphonie zurück; sie wurde erst drei Jahrzehnte später, Anfang der Sechzigerjahre, uraufgeführt.

Am 18. April 1937 begann er auf der Krim die Arbeit an der 5. Sinfonie. Er hielt sich in Gaspra auf, einem Ort, der ihm die glücklichen Kinderjahre und seine Jugendfreundin Tatjana Gliwenko in sein Gedächtnis rief. Wie er später erzählte, schrieb er den 3. Satz in drei Tagen. Als er die Krim am 2. Juni verließ, hatte er bereits drei Sätze fertig.

Zurück in Leningrad erfuhr Schostakowitsch, dass der Mann seiner Schwester verhaftet und sie selbst nach Sibirien deportiert worden war. Schostakowitsch vollendete das Werk am 20. Juli 1937. Die Gewerkschaft der Leningrader Komponisten hatte beschlossen, Schostakowitsch solle ihnen sein Werk präsentieren, damit sich feststellen ließ, ob es „der Öffentlichkeit zugemutet werden könne“. Der junge Dirigent Jewgenij Mrawinsky, 34 Jahre alt, sollte die Uraufführung leiten. Die Proben dauerten fünf Tage. Die Uraufführung fand am 21. November 1937 im Großen Saal der Leningrader Philharmonie statt. Während des nicht enden wollenden Beifalls hielt Mrawinsky die Partitur mehr als eine halbe Stunde lang über seinem Kopf und schwenkte sie hin und her, um auszudrücken, dass der Beifall allein Schostakowitsch gelte.

Nach dieser Vorstellung wurde das Werk offiziell als die Rückkehr des verlorenen Sohnes unter die Fittiche der linientreuen Kulturpolitik anerkannt. Die Sinfonie wurde zu einem großen Publikumserfolg. Das Marschfinale wurde als Verherrlichung des Regimes angesehen.

Die in ihrer Echtheit umstrittenen Memoiren Schostakowitschs behaupten dagegen, dass der Triumphmarsch in Wirklichkeit ein Todesmarsch sei:

„Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. […] So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr! Jubeln sollt ihr! Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten. Geht, marschiert, murmelt vor sich hin: Jubeln sollen wir, jubeln sollen wir. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“

 

Die Satzfolge lautet:

 

  1. Moderato
  2. Allegretto
  3. Largo
  4. Allegro non troppo

 

Die Orchesterbesetzung:

 

Piccolo. 2 Flöten. 2 Oboen. Es-Klarinette. 2 Klarinetten (B, A). 2 Fagotte. Kontrafagott. 4 Hörner. 3 Trompeten. 3 Posaunen. Tuba, Pauken, Triangel, kleine Trommel, Becken, Große Trommel (Gran Cassa), Tamtam, Glockenspiel, Xylophon, Celesta, 2 Harfen, Piano, I. und II. Violinen, Bratschen, Violoncello und Kontrabass.

 

Die 5. Sinfonie ist das erste große Werk von Schostakowitsch, das dem „Sozialistischen Realismus“ verpflichtet ist. Gegenüber der zuvor komponierten Vierten, die einen geradezu futuristischen, hoch komplexen und verschachtelten Eindruck macht, sind sowohl die Form als auch das thematische Material und die Faktur deutlich vereinfacht. Das Werk musste ja sowohl für „das Volk“ als auch für die damalige politische Elite und insbesondere für Stalin selbst leicht erfassbar und gut „verdaulich“ sein. Das Muster, das sich hier in erster Linie anbot, war das Prinzip per aspera ad astra („durch Mühsal zu den Sternen“). Erkennbar wird in diesem Ansatz das musikalische Vorbild der jeweils fünften Beethovens, Tschaikowskis und Mahlers. Satztypen, Themenaufbau und Themenverarbeitung sind eindeutig der Ausdrucksästhetik des 19. Jh. verpflichtet. Dennoch gibt es mehrdeutig gehaltene Stellen zuhauf in diesem Werk, die es - neben der allgemeinen kompositorischen Meisterschaft - aus der erzwungenen sozialistischen Staatsmusik, die in jener Zeit zuhauf komponiert wurde, weit herausragen lässt.

 

Der Komponist: „Ohne einen bestimmten Ideengehalt kann Musik nicht wertvoll, lebendig und schön sein. Der Komponist einer Sinfonie muss ihr Programm nicht ankündigen, er muss es aber als ideelle Grundlage seines Werkes vor Augen haben … Bei mir und vielen anderen Komponisten der Instrumentalmusik geht immer der Programmgedanke dem Schaffen eines Werkes voraus. Werke mit einem konkreten Thema, das sich durch Worte ausdrücken lässt und von lebendigen Bildern unserer Zeit inspiriert wird, sind möglich und notwendig. Wir sollten jedoch auch Werke besitzen, deren Gedanke einen allgemeinen philosophischen Charakter hat und der gleichzeitig dem sowjetischen Leben entspringt.“

 

Die (nicht von Schostakowitsch selbst stammende) Bezeichnung der Sinfonie als „schöpferische Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik“ zeigt, welche Demütigungen der Komponist auf sich nehmen musste, um zu überleben. Schostakowitsch erzählt in seiner 5. Sinfonie eine konfliktreiche, dramatische Geschichte. Die Themen sind von eindrücklicher Aussagekraft und bildhafter Gestik. Verglichen mit der 4. Sinfonie ist hier auch der instrumentale Aufwand reduziert. Es wird vermutet, dass Schostakowitsch aufgrund der Maßregelung vom 28. Januar 1936 alles vermied, was hätte Anstoß erregen können, etwa den Vorwurf von Megalomanie und Formalismus. Er war aber als Komponist sowohl der feinen, als auch der bissigen Satire fähig. In dieser Situation musste er besonders vorsichtig sein. Besonderes Augenmerk gilt dem Einsatz des Klaviers als Orchesterinstrument. Der Klang des Klaviers hebt sich von den übrigen Orchesterinstrumenten ab, weshalb es im Orchester ein „Fremdkörper“ ist. Schostakowitsch verwendet das Klavier zur Klangschärfung z. B. bei Staccato-Passagen (1. Satz, T. 120 ff., 4. Satz, T.284 bis Schluss) zur Profilierung und Härtung der Anschläge, oder im 3. Satz (ab T. 120) zur Steigerung der Aggressivität eines Streichertremolos. Es sollte also auch in der Aufnahme gut hörbar sein, was sich gleichermaßen für das Xylophon und die Gran Cassa sagen lässt, die spezielle Aufgaben zu erfüllen haben.

 

  1. Satz: Moderato

 

Dem ersten Satz liegt eine Sonatensatzform zugrunde. Die  Exposition beginnt mit einem Motto in doppelt punktiertem Rhythmus. Es handelt sich hier um eine Geste des Auffahrens, des sich Zurwehrsetzens, dargestellt in Sextsprüngen auf- und abwärts (als Kanon in der Oktave und im Abstand von einem Viertel). Die chromatischen Sexten gehen resignierend in einen Begleittypus über, über dem sich das ausdrucksstarke Hauptthema entfaltet. Es wird in Kombination mit einem „Klagemotiv“ mehrfach wiederholt und mit neuen Abgrenzungen und Durchdringungen stark variiert. Variation und Verknüpfung aller Elemente sind reichhaltig, so dass der Eindruck eines einzigen kontinuierlichen Ablaufs entsteht. Der Seitensatz (T. 50 -120) bietet den denkbar größten Kontrast zum Hauptsatz. Das Tempo ist etwas flüssiger und die lang gehaltenen Töne des Seitenthemas sind durch weite Intervalle verbunden: Oktaven, Quarten, Septimen anstelle der vorherrschenden Sekunden im Hauptsatz. Die weitausgreifende lyrische Melodie wird durch Akkorde im durchgehenden, leicht beschwingten Rhythmus begleitet. Es herrscht Einfachheit statt Komplexität. Eine Begleitfigur übernimmt die Führung zum Auftakt der Durchführung, die eine Entwicklung von ungeahnter Wucht ermöglicht. Erst jetzt wird das Allegro erreicht. Das gesamte Material der Exposition tritt in Augmentation und Diminution zum kontrapunktischen Konflikt mit sich selber an. Das Themenmaterial wird in einer weiten Entwicklung mit Militärtrommel und Trompeten in einen grotesk verzerrten Geschwindmarsch verwandelt. Nach mehreren Ansätzen greift ab T. 157 das Seitenthema in das Geschehen ein. Die Reprise ist stark reduziert und bringt kaum neues Material. Das innere Drama des 1. Satzes kann durch ein Wechselspiel von Klage und Trauern im Gegensatz zum „Aufbruch zum Kampf“, der seinen Höhepunkt mit dem Repriseneintritt erreicht, beschrieben werden. Am Ende steht eine Entscheidung noch aus. Die immanente Bedrohung ist noch nicht gebannt.

 

  1. Satz: Allegretto

 

Der zweite Satz ist nach einem dreiteiligen Menuettbzw. Scherzosatz konzipiert, obgleich man sagen muss, dass es sich vom Charakter weder um ein Menuett noch um ein Scherzo handelt. Es dürfte sich vielmehr um eine Art Ländler handeln. Der Hauptteil und die Reprise bestehen aus einer eher lockeren und abwechslungsreichen Folge von Melodietypen im Ländler - Ton. Inspiriert von der Musik Gustav Mahlers, einem der Hausgötter Schostakowitschs (neben Alban Berg). Es gibt ein Bassmotiv, das von Hörnern und dann von den Klarinetten, später den Oboen und zuletzt den Streichern aufgenommen wird. Am Ende dieser Entwicklung steht ein grotesker nun aufgeblähter Ländler. Charles Mackerras und andere meinen den Schlachtenruf der Fans von Dynamo Moskau, einem KGB-verseuchten Fußballclub darin zu erkennen. Abwegig ist das nicht, denn Schostakowitsch war zeitlebens ein großer „Fan“ des Fußballs. Das Trio hat eine eigenartige Harmonik. Es wechseln I. und VII. Stufe in Grundstellung ab, so dass dauernd Quintparallelen entstehen, die nicht nach volkstümlicher, sondern eher nach „heruntergekommener“ Musik klingen. Mit vier kanonisch angereicherten Fortissimotakten schließt der Satz in a-Moll. Gewiss hat der Komponist hier keinen harmlos „lustigen“ Satz komponiert; genaueres Hinhören lässt zur Gewissheit werden, dass dem Frieden nicht zu trauen ist, was durch die zahlreichen ungewöhnlichen Modulationen und gelegentlichen Missklänge erreicht wird.

Die Funktion des „aufgeblähten Ländlers“ hat Kurt Sanderling in einer TV-Produktion von 1996 mit dem Dänischen Radio-Sinfonieorchester klargestellt: „Es gab immer Staatskonzerte, wo die Spitzen der Partei und die Spitzen der Regierung kamen; diese durften niemals länger als eine Stunde sein. In dieser Stunde musste ein Zigeuner-Ensemble aufgetreten sein, ein Männerchor, die Don Kosaken und dann ein kleines Mädchen. Das persifliert jetzt Schostakowitsch: „Lieber Stalin, lieber Stalin, wir sind die Kinder der ganzen Sowjetunion, und alle Kinder sind dir dankbar, für das glückliche Leben, das wir haben, und wünschen dir Gesundheit‘“. Oder wird hier der politische Kader selbst tanzen geschickt? Aufgeblasen, tump und selbst keiner Eleganz mehr fähig, wie es noch in Tschaikowskys 5. Symphonie (Walzersatz) möglich war? Feingeister, Regimekritiker, Unangepasste wurden ja schon aus der Gesellschaft rausgezogen. Immer wieder werden Ähnlichkeiten zum Vorbild Tschaikowsky und insbesondere Mahler gesucht, den Ausdruck aber immer so ambivalent gehalten, dass es bei Stalin, der ja in Persona, möglicherweise auch noch genau neben dem angstvollen Komponisten in der ersten Reihe oder der „Führerloge“ sitzend, die Uraufführung verfolgt hat und die Funktion des Scharfrichters ausüben konnte, keinen Verdacht erregt.

 

  1. Satz: Largo:

 

Das Largo des 3. Satzes ist als emotionaler Höhepunkt der Sinfonie eine Kulmination von Resignation, Trauer und Klage, die sich im Zentrum des Satzes zur leidenschaftlichen Anklage (durchaus auch und je nach Aufnahme in Kombination mit Wut und Aggression) in Kombination mit Klarinette, Xylophon und Klavier steigert. Letztlich ist es aber auch ein Requiem für die Verschwundenen, Deportierten, die Umgebrachten. Ansonsten ist der Satz eher kammermusikalisch gehalten und vom Streichorchester getragen. Er kommt zur Gänze ohne Blech und Schlagzeug aus. Vom Gestus her könnte er sich ohne Umschweife direkt an den ersten Satz anschließen. Die Tonalität ist schwebend und oft nicht definierbar, es herrscht freischwebende und nahezu selbstständige Linearität der Einzelstimmen vor. Nach den Konflikten, die die ersten beiden Sätze kennzeichnen wird hier ein oberflächlich sanfter, schöner Friede hergestellt – oder nur dessen Vorspiegelung? Oder ist es doch eher die wehmütige Erinnerung an die Kindheit (Assoziationen an ein Schlaflied werden geweckt), die Jugendfreundin auf der Krim, an das nun unerreichbare Glück der Vergangenheit. Schostakowitsch kannte „seinen“ Mahler sehr gut und nicht nur mit seiner Verwendung der Celesta wird dies besonders deutlich. Die musikalische Ambivalenz lässt auch hier viele Schlüsse zu. Jedenfalls ist Schostakowitsch hier ein langsamer Satz von ungeheuerer Ausdruckskraft geglückt, der in der Sinfonik des 20. Jahrhunderts seinesgleichen sucht. Dies alles sollte in der Aufnahme auch mitschwingen.

 

  1. Satz: Allegro non troppo:

 

Das Finale beginnt mit einem „Vorhang“, der mit mächtigem Tamtam (auch im eigentlichen Sinn des Wortes) hochgezogen wird.  Ein d-Moll-Klang aller Bläser (vom D bis d’’’), in seiner inneren Ungeduld gesteigert durch Triller der hohen Holzbläser, Paukenwirbel und ein Crescendo vom einfachen bis zum dreifachen Forte, bewirkt einen Stau von Energie, der sich zuerst in einer hämmernden ostinaten Achtelbewegung der Pauke entlädt, worauf dann das Hauptthema einsetzt, unisono gespielt von 3 Trompeten und 3 Posaunen, welches eine Abwandlung des marschartigen Hauptthemas vom 1. Satz der 4. Sinfonie ist. Der Kontrast zum 3. Satz könnte nicht schockierender sein und hat schon bei der Uraufführung Anlass zu Diskussionen gegeben. Durch das im Verlauf mehrmals zu steigernde Tempo ergibt sich zu Beginn bereits der Charakter einer waschechten Stretta, die sich normaler Weise am Ende des Satzes zu befinden hätte. Nahtlos schließen sich nun an das Hauptthema weitere thematische Gestalten an, die frei assoziativ fortgesponnen werden, wobei Motivwiederholung, -abspaltung und -sequenzierung formgebend sind. An diesen wirbelnden ersten Teil schließt sich ein eher resignativer Stillstandsgestus durch die Streicher an, der an die Stimmung des 3. Satzes erinnert. Aus der Tiefe steigt in mehreren Wellen und stets in Vergrößerung das Hauptthema ins helle Bewusstsein empor: Über einem vom hämmernden Klavier unterstützten Streicher-Ostinato entfaltet es sich als Trompetenhymnus. Das D-Dur gaukelt klanglich eine finale „Lösung“ vor. Einer gängigen Interpretation zufolge steht aber, sowohl angesichts der thematischen Gefasstheit in den Blechbläsern als auch in der erschreckenden Statik der Streicherfigur (in manchen Aufnahmen geradezu leiernd wirkend, demgemäß hat es sich am Ende buchstäblich ausgeleiert), am Ende kein freudiger Triumph, sondern groteske Verzerrung der Realität. Das absurde „Zuviel“ (letztendlich zuviel Dur) kann als plastische und tiefgreifend erfahrbare Kritik des Komponisten aufgefasst werden.

Dieser Punkt ist allerdings Gegenstand kontroverser Diskussionen die ihren Ursprung u. a. in der Tempoangabe „Viertel = 188“ für die letzten 35 Takte haben, die sich in diversen Druckausgaben findet. Viele westliche Dirigenten, z. B. Leonard Bernstein, folgten dieser Anweisung, wodurch der Schluss einen positiv-triumphalen Charakter erhält. In einer Aufnahme Bernsteins aus Boston mit dem New York Philharmonic 1959 dauert der 4. Satz nur 8:50 Min; direkt zuvor wurde diese Interpretation auf einer Tournee in Russland im Beisein von Schostakowitsch aufgeführt. (Übrigens existiert von dieser Tournee auch noch ein Mitschnitt des ORF aus Salzburg, der dem Verfasser jedoch nicht vorlag.) Negative Äußerungen des Komponisten sind dazu jedenfalls nicht bekannt geworden. Es ist auch nicht anzunehmen, dass er sich schon alleine aus Höflichkeit überhaupt Bernstein gegenüber ablehnend geäußert hätte.
In der Aufnahme, die 20 Jahre später entstand, blieb Bernstein dieser Temponahme jedenfalls nicht treu. Er verwendete offensichtlich nun eine andere Partitur. Allerdings neigte er z.B. auch bei Tschaikowsky und Mahler in späteren Jahren zu bisweilen erheblich breiteren Tempi als zuvor. Ein noch extremerer Gegensatz zu Bernsteins erster Aufnahme ist z. B. mit 13:00 Min. eine Aufnahme des jungen Dirigenten Vasily Petrenko 2008 mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra.

 

Vermutlich handelt es sich jedoch bei dieser Tempoangabe um einen Übertragungsfehler der ursprünglichen Bezeichnung „Achtel = 184“. Viele sowjetische bzw. russische Dirigenten verwendeten dieses beinahe halb so schnelle Tempo, so auch Mrawinsky, der nach der Uraufführung dieser Sinfonie zu einem engen Vertrauten und primären Interpreten Schostakowitschs wurde und damit am ehesten Authentizität beanspruchen kann, mit dem o. g. grotesk - bedrückenden Effekt. Dieser kommt den Aussagen des Komponisten bezüglich des Todesmarsch-Charakters und des gewaltsam erzwungenen Jubels entgegen.

Andererseits, wenn die Coda dermaßen überdreht dargestellt wird, wie dies in Bernstein Aufnahme 1959 geschieht, erhält man als Ergebnis auch einen seltsamen unglaubwürdigen, ebenfalls ins Groteske gesteigerten Beigeschmack. Im überschnellen Tempo jedoch wäre die Gefahr eher minimiert, dass die zur Groteske gesteigerte Apotheose der poltischen Führung auffällt.

 

Zu diesem Thema geben die Revisionskommentare der neuen Schostakowitsch-Gesamtwerkausgabe folgende Information: “The most significant difference in the lifetime editions is the metronome mark in the concluding episode of the symphony’s finale (number 131). In the first edition of the score (1939), metronome mark 1/4 = 188 is indicated; in the second edition (1947), this indication was corrected to 1/8 = 184; the same tempo is retained in the 1956 edition; but in the 1961 edition it is changed back to 1/4 = 188. In the recordings of the symphony conducted by Yevgeny Mravinsky, Mstislav Rostropovich, Maxim Shostakovich, and several others, this episode is performed in the 1/8 = 184 tempo. This tempo is also used in this edition. The text of Collected Works (1980), which is based on the first edition (1939) and the 1961 edition and, as a rule, does not take into account the 1947 edition and totally ignores the 1956 edition, which is not even mentioned in the Collected Works, recommends the 1/4 = 188 version.”

Zu der Frage der Deutung des Finales gibt es allerdings auch einen „objektiven“ Hinweis. Denn Schostakowitsch bringt im langsamen Mittelteil des Finales ein Selbstzitat unter (bei Ziffer 120; Takte 229 bis 249). In einem Video des Finalsatzes mit Jewgeny Mravinsky und den Leningrader Philharmonikern, das dem Verfasser des folgenden Vergleiches vorlag, ist es der Abschnitt ab 6:16 bis 6:54. Die Violinen, und dann die beiden Harfen, zitieren hier ein Thema aus seinen Romanzen nach Gedichten von Alexander Puschkin, Op. 46. Dieses zum 100. Todestag des Dichters und zunächst für die „Schublade“ komponierte Werk hatte Schostakowitsch im Januar 1937 abgeschlossen. Es wurde erst ab 1940 aufgeführt. Konkret geht es um das Gedicht Wiedergeburt aus dem Jahr 1819. Hier geht es darum, dass das Gemälde eines Genies von einem Kunstbarbaren übermalt (geschwärzt) wird (1. Strophe). Doch mit der Zeit blättern die fremden Farben ab, und das Bild des Genies erscheint in alter Schönheit wieder (2. Strophe). Das Musikzitat setzt dann ein, wenn der Bass in der 3. und letzten Strophe singt: So muss auch jener Irrtum schwinden, / Der lang schon meine Seele quält, / Bis sich Visionen wiederfinden, / Die rein der erste Tag enthält. (Übersetzung: Eric Boerner.) Im Finale der Fünften endet diese Passage auf dem von der Pauke gehämmerten Ton A (unterstützt von der kleinen Trommel), und nahtlos greifen direkt danach die Holzbläser (ab Takt 250) das Hauptthema des Finales wieder auf und es folgt die gewaltige Coda. Es ist unschwer sich vorzustellen, dass der durch die Politik gemaßregelte und gedemütigte Komponist statt des offiziösen Untertitels „schöpferische Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik“ hier seine wahren Gefühle beschreibt und mit diesen „zähneknirschend“ in die „positive“ Coda geht.

 

Zur Frage des Tempos zu Beginn des Schlusssatzes (Viertel = 88 Ed. Sikorski 2227, Seite 106) hat sich Kurt Sanderling, der ja selbst viele Jahre in Leningrad lebte und arbeitete (als zweiter Dirigent neben oder besser hinter Mravinsky), in einem Interview auf Schostakowitsch selbst berufen, der ihm gesagt habe, er solle in diesem Schlusssatz anfangs für die Viertel die Metronomzahl 132 nehmen, denn das müsse sehr böse klingen; die Metronomangabe von lediglich 88 Schlägen für das Viertel solle aber in der Partitur so stehenbleiben – das halte die Zensur ruhig...

Andererseits hätte der tatsächliche Wille des Komponisten dann nicht auch in einer der vielen folgenden Ausgaben der Partitur ihren Niederschlag finden können? Schostakowitschs Einfluss in späten Jahren hätte wohl dazu ausgereicht. Und das hätte uns Nachgeborenen die Interpretation des Satzes wesentlich erleichtert. Aber bei Schostakowitsch muss man ja sowieso rätseln und entschlüsseln.

 

Der Interpret steht also vor einer großen Herausforderung, die Stilistik des Stückes zu erkennen und für den Hörer plastisch zu machen. Sie besteht aus der Verwendung von bewussten Unschärfen und einer doppelbödigen Unbestimmtheit, die zwischen aggressiver Attacke und höhnischer Affirmation gegenüber dem Regime changiert und gleichzeitig einer verletzlichen Distanz.

Demgemäß gilt es die verschiedenen Aufnahmen zu beurteilen nach neben der mit an oberster Stelle stehenden Werktreue (schwierig bei verschiedenen Ausgaben und dem hohen Grad an Verschlüsselung, d.h. das was man eigentlich sieht ist nicht die Wahrheit) und Antizipation der oben beschriebenen Stilistik auch nach Spielkultur, individueller Originalität und Inspiriertheit. Dabei ist die Temponahme zu Beginn und in der Coda im 4. Satz nur ein Detail, das letztlich nicht alleine über eine gelungene Interpretation des gesamten Werkes entscheidet.

 

Nach dem Vergleich lässt sich aber als kleines Fazit festhalten, dass es insbesondere den Dirigenten gelingt möglichst viele Schichten des Werkes plastisch darzustellen, die entweder einen engen Kontakt zum Komponisten selbst pflegen konnten (wie z.B. Kondrashin, Roshdestwensky oder Mravinsky u.a.) und unter ähnlichen Bedingungen leben mussten oder doch zumindest Teil der Wirklichkeit des Lebens hinter dem eisernen Vorhang waren (wie z.B. Silvestri, Ancerl oder auch Rowicki). Das schließt jedoch nicht aus, dass auch geniale „Außenseiter“ zum Kern des Werkes vordringen oder zumindest interessante neue Aspekte offenlegen können (Bernstein, Stokowski).

 

Die Aufnahmen der fünf Sterne Kategorie liegen sehr eng beisammen, sodass hier auch der persönliche Geschmack gefragt ist. Wegen der besonders authentischen Anmutung bekamen die vier Erstplazierten hier erstmals ein kleines Zusatzsternchen. Manch einem Hörer, einer Hörerin könnte die teilweise hemmungslose Emotionalität dieser Einspielungen ein Zuviel bedeuten. Wir sind jedoch der Meinung, dass man sie als Hörer dieser Sinfonie einfach aushalten muss, sie gehört dazu.

 

Es fiel auch auf, dass die jüngeren (nachgeborenen) Dirigenten fast durchweg zu breiteren Tempi neigen, während die Zeitgenossen Schostakowitschs viel weniger Zeit benötigen. Inwieweit das dazu beiträgt zum Kern des Werkes vorzustoßen wird der Vergleich zeigen.

 

(Quellen: In diese Einleitung flossen ein unter anderem: Der Artikel über die 5. Sinfonie in Wikipedia, ein ausgezeichneter Beitrag aus der Datensammlung des Niederösterreichischen Tonkünstler Orchesters (Contents genannt), das schon häufiger mit guten Texten zu den von ihm gespielten Werken auffiel, allerlei CD - Booklets, gelesen zum Teil schon in des Verfassers Jugend, „Zeugenaussage“, die Memoiren Schostakowitschs, hrsg, von Solomon Volkov, deren Echtheit allerdings von vielen angezweifelt wird. Zum Vergleich wurde die oben bereits erwähnte Taschenpartitur von Sikorski Nr. 2227 herangezogen.)

 

 

zusammengestellt bis 6.11.2020

 

 

 

Schostakowitsch in den 40er Jahren.

 

 

Übersicht über die gehörten Einspielungen, die detailierten Rezensionen befinden sich wie üblich im Anschluss:

 

 

5 *

Gennadi Roshdestvensky

Sinfonieorchester des Kultusministeriums der UdSSR

Melodija - Eurodisc

1988

15:11  5:14  14:03  10:55   45:23

 

5 *

Jevgeni Svetlanov

Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

Melodija - Zyx

1978

16:27  5:08  14:44  10:12    46:31

 

5 *

Kyrill Kondrashin

Moskauer Philharmoniker

Melodija - Eurodisc

1964

13:38  5:14  12:10  10:45   41:47

 

5

Jevgeni Mravinsky

Leningrader Philharmoniker

Melodija, Best Buy Classical, Erato, Leningrad Masters

1982 Live in Leningrad

14:56  5:06  13:05  10:47   43:54

 

5

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1959

16:12  4:50  15:32  8:53   45:27

 

5

Leopold Stokowski

London Symphony Orchestra

BBC Legends

1964 LIVE

14:23  4:46  12:01 9:11   40:20

 

5

Yuri Temirkanov

Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

Brilliant

1981

16:25  4:55  13:15  9:57  44:32

 

5

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon, DG

LP-Überspielung der BnF

1961

14:10  5:25  12:52  10:10   42:37

 

5

Valery Gergiev

Kirov Orchestra (mittlerweile Orchester des Marijnski Theaters St. Petersburg)

Philips

2002

16:20  5:08  14:41  11:22   47:31

 

5

Constantin Silvestri

Wiener Philharmoniker

EMI

1960

18:10  4:50  14:05  10:38   47:43

 

5

Mariss Jansons

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

2014, Live

14:48  5:24  12:52  10:35  43:39

 

5

Yutaka Sado

Berliner Philharmoniker

Avex Classics

2011, Live

17:35  5:38  15:10  11:24  49:47

 

 

4-5

Dmitri Kitajenko

Gürzenich Orchester Köln

Capriccio

2005

16:21  5:28  14:24  11:31   47:44

 

4-5

Yuri Temirkanov

St. Petersburger Philharmoniker

RCA

1995

16:27  4:57  12:46  10:25   44:35

 

RCA

2005 LIVE in Birmingham

17:08  4:50  13:47  11:00   46:45

 

4-5

Charles Mackerras

Royal Philharmonic Orchestra

Membran u.v.a.

1994

16:04  5:06  13:48  11:20   46:18

 

4-5

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montreal

Decca

1994

16:04  5:22  16:06  10:43   47:15

 

4-5

Leopold Stokowski

Stadium Symphony Orchestra of New York (New York Philharmonic Orchestra)

Everest, Prominence Records

1958

16:02  4:48  12:30  10:50   44:10

 

4-5

Dmitri Mitropoulos

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1952

16:43  5:07  14:25  8:42   44:57

 

4-5

Stanislav Strowaczewski

Minneapolis Symphony Orchestra (heute Minnesota Orchestra)

Mercury

1961

14:13  5:13  13:34  9:16   42:16

 

4-5

Jewgeni Mravinsky

Lenigrader Philharmoniker

JVC - Melodija

1978 LIVE in Wien

14:35  5:00  12:26  10:20   42:21

 

4-5

Jewgeni Svetlanov

London Symphony Orchestra

BBC Legends

1978 LIVE

15:42  4:52  12:45  9:55   43:14

 

4-5

Yuri Simonov

Moskauer Philharmoniker

Russian Music Society

AD: ?

14:44  4:45  13:26  10:20   43:15

 

4-5

Witold Rowicki

Sinfonieorchester der Warschauer Philharmonie

DG

1959

16:18  4:46  15:25  10:05   46:35

 

4-5

Paavo Berglund

Bournemouth Symphony Orchestra

EMI

1975

17:31  5:26  15:52  10:53  49:42

 

4-5

Yuri Ahronovitch

Stockholm Philharmonic Orchestra

BIS

1983

15:04  5:18  15:50  10:26   46:38

 

4-5

Oleg Caetani

Orchestra sinfonica „Giuseppe Verdi“ di Milano

Arts

2001 LIVE

16:12  5:17  14:20  10:41   46:30

 

4-5

Rudolf Barshai

Sinfonieorchester des WDR Köln

Brilliant

1996

15:20  5:22  13:13  11:10   45:05

 

4-5

Kurt Masur

London Philharmonic Orchestra

Eigenlabel LPO

2004 LIVE

14:26  5:06  13:43  13:44   46:59

 

4-5

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1979 LIVE

17:38  5:15  15:54  10:07   48:54

 

4-5

Yakov Kreizberg

Russian National Orchestra

Pentatone

2006

15:44 5:40  16:34  12:47   49:45

 

4-5

André Previn

London Symphony Orchestra

RCA

1965

17:20  4:55  15:50  9:32  47:37

 

4-5

Tadaaki Otaka

Yomiuri Nippon Symphony Orchestra Tokyo

BMG

1996

16:52  5:31  15:08  11:05   48:36

 

4-5

Artur Rodzinski

Philharmonic Symphony Orchestra of London

Westminster – BnF

MCA

1954

14:25  4:22  14:00  8:03   40:50

 

4-5

Vladimir Golschmann

Saint Louis Symphony Orchestra

Capitol - BnF

1954

14:11  4:52  12:58  9:32   41:33

 

4-5

Stanislav Skrowaczewski

Hallé Orchestra, Manchester

IMP

1990

16:30  5:30  14:38  10:57  47:35 

 

4-5

Mstislav Rostropovich

National Orchestra of Washington

DG

1982

15:26  5:32  12:47  11:46  45:41

 

4-5

Semyon Bychkov

Berliner Philharmoniker

Philips

1987

14:47  5:55  15:27  12:12  48:21

 

4-5

Kurt Sanderling

Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam

RCO Live

1999

17:06  5:29  14:38  11:35  48:48

 

4-5

Kurt Sanderling

Berliner Sinfonieorchester (jetzt Konzerthausorchester Berlin)

Eterna , BC

1982

17:32  5:28  15:27  11:46 50:13

 

4-5

André Previn

Chicago Symphony Orchestra

EMI

1977

16:56  4:51  15:42  9:51  47:20

 

4-5

Günter Herbig

Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken (jetzt Deutsche Radio Philharmonie)

BC

2005  LIVE

17:12  5:20  14:26  11:50   48:28

 

4-5

Georg Solti

Wiener Philharmoniker

Decca

1993  LIVE

15:26  5:15  12:24  10:02   43:07

 

4-5

Mstislav Rostropovich

London Symphony Orchestra

LSO LIVE

2004

15:34  5:38  12:35  12:36  43:23

 

4-5

Mariss Jansons

Wiener Philharmoniker

EMI

1996

15:41  5:11  14:20  10:50  46:02

 

4-5

Istvan Kertesz

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1962

15:15  4:34 13:22  8:50 42:21

 

4-5

Lahav Shani

Rotterdam Philharmonic Orchestra

Warner

2018, Live

16:31  5:12  15:53  11:09  48:46

 

4-5

Manfred Honeck

Pittsburgh Symphony Orchestra

Reference Recordings

2013

17:09  5:39  15:14  12:18  50:20

 

4-5

Andris Nelsons

Boston Symphony Orchestra

DG

2015  LIVE

16:27  5:31  15:24  12:03   49:25

 

4-5

Riccardo Muti

Philadelphia Orchestra

EMI

1992

16:22  5:25  15:20  11:09   49:16

 

 

 

4

Bernard Haitink

Concertgebouworchster Amsterdam

Decca

1981

18:03  5:19  15:37  10:31   49:30

 

4

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS - Sony

1965

15:49  5:13  15:27  9:44   46:13

 

4

Lorin Maazel

Cleveland Orchestra

Telarc

1981

17:53  5:00  14:28  9:20   46:41

 

4

Wolfgang Sawallisch

Philadelphia Orchestra

PHI, Eigenlabel des Orchesters

P 2010 LIVE

16:03  5:28  11:58  10:50   44:19

 

4

Vasily Petrenko

Royal Liverpool Philharmonic Orchestra

Naxos

2008

17:53  5:03  15:25  14:42   51:03

 

4

Vladimir Ashkenazy

Royal Philharmonic Orchestra

Decca

1987

16:33  5:13  14:42  10:53   48:01

 

4

Mstislav Rostropovich

National Symphony Orchestra of Washington

Teldec

P 1991

14:50  5:24  12:45  12:01   45:00

 

4

Eliahu Inbal

Wiener Symphoniker

Denon

1990

16:51  5:15  14:36  11:26   48:08

 

4

Roman Kofman

Orchester der Beethovenhalle Bonn

MDG

2003

15:26  5:14  14:37  11:20   46:37

 

4

Maxim Schostakowitsch

London Symphony Orchestra

Collins

1990

18:53  5:13  17:00  12:10   53:16

 

4

Yoel Levi

Atlanta Symphony Orchestra

Telarc

1989

16:51  5:26  15:28  11:07   49:52

 

4

Valery Gergiev

Marijnsky Orchestra

Eigenlabel Marijnsky

2012

14:47  5:02  13:45  10:50   44:24

 

 

3-4

Michael Sanderling

Dresdner Phiharmonie

Sony

2017

16:19  5:23  13:41  11:59   47:32

 

3-4

Kazushi Ono

Badische Staatskapelle Karlsruhe

Antès

1997  LIVE

15:12  5:29  14:18  11:05   46:04

 

3-4

Armin Jordan

Orchestre de la Suisse Romande

Cascavelle

1987  LIVE

18:40  5:23  15:50  11:39   51:32

 

3-4

Jevgeni Mravinsky

Lenigrader Philharmoniker

Melodija

1965  LIVE in Moskau

15:04  4:59  12:32  10:27   43:02

 

3-4

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie

Praga

1961  LIVE

13:50  5:08  13:03  9:47   41:48

 

3-4

Neeme Järvi

Scottish National Orchestra

Chandos

1988

16:25  5:20  14:18  10:42   46:45

 

3-4

Leon Botstein

American Symphony Orchestra, New York

Eigenvertrieb des Orchesters via Internet

2010  LIVE

17:52  5:10  14:50  10:59   48:51

 

3-4

Christoph Eschenbach

Philadelphia Orchestra

Ondine

2006  LIVE

17:35  5:45  16:26  11:57   51:43

 

3-4

Ladislav Slovak

Slowakisches  Radio-Sinfonieorchester, Bratislava

Naxos

1987

16:42  5:05  14:54  11:25   47:56

 

3-4

Alexander Rahbari

BRT Philharmonic Orchestra, Brüssel

Naxos

1990

16:28  5:35  16:36  10:32   49 :32

 

3-4

Pierre - Dominique Ponnelle

Staatsphilharmonie Minsk

Musicaphon

1994

19:18   5:15  16:05  12:22   53 :00

 

3-4

Eliahu Inbal

Radiosinfonieorchester Frankfurt (heute HR - Sinfonieorchester)

Denon

1988

15:55  5:31  14:17  10:46  46:29

 

3-4

Rudolf Barshai

Philharmonische Werkstatt Schweiz

Musiques Suisses

1989

14:33  5:28  11:52  11:10  43:03

 

3-4

Jascha Horenstein

Wiener Symphoniker

Vox - BnF

1952

15:06  4:58  15:14  9:50   45 :08

 

3-4

John Barbirolli

Hallé Orchestra, Manchester

BBC Legends

1963

16:10  4:40  13:20  8:43   42 :53

 

 

2-3

Martin Elmquist

Luxembourg Philharmonia

Classico, Olufsen Records

2004, Live

17:52  6:04  13:22  12:20  49:38

 

 

Mitschnitte von Rundfunkübertragungen, die nicht im Handel erhältlich sind, aber vielleicht doch nicht gänzlich uninteressant erscheinen.

 

5

Teodor Currentzis

HR-Sinfonieorchester

Hessischer Rundfunk

2011, Live

15:21  4:53  15:11  11:24  46:49

 

5

Riccardo Chailly

Gewandhausorchester Leipzig

Mitteldeutscher Rundfunk

2014, Live

15:42  5:10  14:40  11:30  47:02

 

5

Stanislav Skrowaczewski

Deutsche Radio Philharmonie

Saarländischer Rundfunk

2013, Live

17:30  5:34  15:35  11:42  50:21

 

 

4-5

Stanislav Skrowaczewski

HR-Sinfonieorchester

Hessischer Rundfunk

2010, Live

17:29  5:22  15:45  11:43  50:19

 

 

4

Pietari Inkinen

Deutsche Radio Philharmonie

Saarländischer Rundfunk

2011, Live

17:12  5:43  13:47  11:58  48:40

 

4

Jaap van Zweten

Concertgebouworchester Amsterdam

Radio 4 (Niederlande)

2008, Live

16:05  5:20  16:12  10:54  48:31

 

4

Andrey Boreyko

Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR

Südwestrundfunk

2011, Live

17:20  5:16  14:43  11:58  49:17

 

 

3-4

Lorin Maazel

Wiener Philharmoniker

ORF

2013, Live

20:40  5:46  15:44  11:05  53:15

 

 

 

Vergleichende, detailierte Rezensionen:

 

 

5 *

Gennadi Roshdestvensky

Sinfonieorchester des Kultusministeriums der UdSSR

Melodija - Eurodisc

1988

15:11  5:14  14:03  10:55   45:23

 

R. beginnt seine Einspielung ausgesprochen eindringlich. Er hält das Orchester zu größtmöglichem Ausdruck an. Die Cantilene des Nebensatzes (1. Violinen), sonst meistens glanzvoll erblühend, wirkt eher fahl. Glanz wird absichtlich vermieden und so nachdrücklich  auf die Begleitung durch die restlichen Streicher hingewiesen, die so in ihrer Bedeutung deutlich aufgewertet wird, Unruhe bzw. Rastlosigkeit zu verbreiten. Die Durchführung erklingt voller Ungeduld und seltsamer Weise mit bedrückend wirkendem und zugleich auch getriebenem Gestus. Die Militärinstrumente (insbesondere die Rührtrommel, auch die Pauke) werden mit berstender Spannung gespielt und bewirken im weiteren Verlauf (ab Zi. 27) gemeinsam mit dem restlichen Orchester eine ins monströse gesteigerte und mit Schärfe und Zwanghaftigkeit gekoppelte brutal wirkende Militärgroteske. Das Schlagwerk, gespielt mit größter Wucht,  Präzision und Durchschlagskraft bewirkt in Verbindung mit hautnah präsentiertem ebenso scharf und schneidig gespieltem Blech außergewöhnliche Entladungen. Die Spielanweisung con tutta forza wird hier unmittelbar in Ohr und Herz des Hörers getragen oder vielmehr „hineingepfeffert“. Nach dieser beißenden Attacke geht es  - als ob es diese gewalttätige Zerstörungsorgie nicht gegeben hätte - wieder zurück zum ungewöhnlichen, traurig und ergeben gestimmten Klangpanorama des Beginns. Man hört: Das Orchester beherrscht auch die sanftesten Töne.

Der 2. Satz macht in dieser Version von allen Vergleichsaufnahmen am besten hörbar, dass es DSCH in diesem Satz um eine glasklare hier beinahe zur Satire gebogene Groteske ging. Hier besonders scharf und in den grellsten Farben, pointiert und teilweise dick aufgetragen dargestellt. Vor allem die frechen Trompeten und Hörner unterstreichen diesen Eindruck. Auch die Pauken werden schamlos bis an ihre Grenzen belastet, auch die anderen Instrumentalisten gehen bis an die Grenzen dessen, was aus Ihren Instrumenten herauszuholen ist. Das Spiel ist  - wie die Wiedergabe Svetlanovs, deren Besprechung gleich anschließend folgt - aber gleichwohl reich an Emotionen und Zwischentönen, übertrifft diese aber noch an erschütternder Unmittelbarkeit. Das Trio erinnert wie bei kaum einer anderen Version an Jahrmarkts- oder Zirkusmusik.

Der 3. Satz wirkt gegenüber dem hier bis an die Grenzen der völlig ungezügelten Emotionalität vordringenden Kondrashin vergleichsweise gezügelter und auch noch etwas notengetreuer. Dennoch wirkt Roshdestvenskys Darstellung überaus intensiv, trotz teils etwas unpräzisen Streichereinsätzen. Das von DSCH verwendete ungewöhnliche Instrumentarium wird in allen Sätzen besonders hervorgehoben (im 3. Satz insbesondere Xylophon und Klavier), was die punktgenaue und plastische Charakterisierung merklich unterstützt. Empfindliche Hörer könnten sich durch das Blow-up bei den solistischen Bläserpassagen etwas gestört fühlen, denn sie erscheinen dadurch übergroß, auch die Kombination Celesta/Harfe am Ende des Satzes wirkt fast wie mikroskopiert. Dieser Einwand wiegt aber nichts gegenüber dem wie besessen wirkenden Spiel des Orchesters, das ein ums andere Mal die Schmerzgrenze des Erträglichen zu überschreiten scheint. Das ist große Interpretationskunst.

Der 4. Satz bringt hier mittels eines schockierenden Kontrastes zum 3. Satz ein bitteres Erwachen. Er erscheint als heroisches Finale nicht gerade als logische Konsequenz des vorangegangenen, sondern eher wie ein Deus ex Machina. Roshdestvensky zeigt dies sogleich mit einer im Vergleich unerhörten Attacke der Pauke, die durchaus die Funktion des Antreibens von willenlosen, gebrochenen oder geknechteten auf einer Sklavengaleere ausfüllen könnte. So ohne Rücksicht auf Verluste wie dieser drischt kein anderer Schlagzeuger auf sein bemitleidenswertes Instrument ein. Offensichtlich konnte man einen Olympioniken der Gewichtheber für die Pauke verpflichten. Auch das restliche Orchester überzeugt mit äußerster Schärfe und Zuspitzung in Intonation und Farbgebung. Die verschiedenen in der Partitur angegebenen Accelerandi sind mitreißend. (z.B. Zi. 105). Bei Zi. 111 erklingt die Pauke wie eine Geschützbatterie. Zi. 116 – 121 zeigt die Streicher in fahlen Klangfarben, hier erklingt wieder die Realität: Verzweiflung und Ausweglosigkeit, bevor die Holzbläser mit ihrem hohlen Geschnatter beginnen (Zi. 124 – 126). Das ritardando vor der Coda erzeugt Gänsehaut, bringt es doch eine immense zusätzliche Spannung ins Spiel, bevor die Coda losbricht. Nicht übermäßig langsam mit überaus grell herausstechenden Trompeten und Posaunen, die bis zum bitteren Ende mit staunenswertem Durchhaltevermögen maximale Intensität erzeugen. Der Schluss klingt wie ein Inferno unter der Führung einer alles zerschlagenden Pauke, selbst die Gran Cassa, die in den meisten anderen Aufnahmen hier alle Hoffnungen vehement zu zerschlagen hat (oder den letzten Triumph herausstellen soll, je nachdem wie man die Coda verstehen will), bleibt hier gegenüber der Pauke nur übrig, ein paar intensivierende Akzente zu setzen. So endet der Satz gänzlich unversöhnlich, so als beende er eine russische Tragödie.

Die Klangqualität kann man als kongenial bezeichnen. Aber nicht unbedingt als audiophil. Die Violinen klingen bisweilen sehnig und schneidig, das ganze Klangbild wirkt kristallin geschärft. Leise Passagen der Soloinstrumente werden rangezoomt und wirken so leicht aufgebläht. In Erinnerung bleibt aber eine bisweilen geradezu röntgenologische Transparenz, die glasklare Präsenz und besonders die entfesselte Dynamik der mit äußerster Härte gespielten Schlaginstrumente und des schneidigen, bissigen Blechs. Gegen diesen entfesselten Sturm weht bei den meisten anderen Vergleichsaufnahmen nur ein laues Lüftchen.

Roshdestvenskys Interpretation bringt so mit ihrer aufnahmetechnischen und orchestralern Präzision und Plastizität, mit ihrer akribischen Detailgenauigkeit, ihrer weit reichenden Emotionalität und geistreichen Inspiration quasi den Goldenen Schnitt der Beiträge der großen russischen Dirigenten der Vergangenheit.

 

__________________________________________________________________________________________

 

5 *

Jevgeni Svetlanov

Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

Melodija - Zyx

1978

16:27  5:08  14:44  10:12    46:31

 

Von den vier russischen Aufnahmen zu Beginn der Liste ist dies die wildeste. Man muss von Glück reden, dass die Aufnahme nicht schon in den 60ern entstand, denn sie ist nicht nur präsent, sondern für russische Verhältnisse auch voll und rund klingend, unverfärbt und sehr dynamisch. An die Dynamik - Exzesse der Roshdestvensky - Aufnahme kommt sie jedoch nicht heran. Man hört aber hier einen sehr gut aufgenommenen Bassbereich mit präsenten durchhörbaren  Kontrabässen.

Bereits zu Beginn des ersten Satzes bemerkt man die zugespitzte Dynamik, die die dramatische Lesart Svetlanovs zu allererst ausmacht. Durch den präsenten Bass werden die dunklen Elemente des Satzes wesentlich befördert, sodass sich eine nahezu expressionistische Klanglandschaft ergibt. Dazu passt auch das besonders exponierte Klavier. Die Holzbläser klingen bisweilen wild herausfahrend, teils gar schreiend. Ab Zi. 27 wird die Musik zu einem brutal wirkenden Marsch gesteigert. Die Höhepunkte der Durchführung erreichen eine ungeheuere Expessivität, dennoch bleiben alle Stimmen bestens durchgezeichnet. Besonders hervorzuheben bleibt a tempo con tutta forza, das bei keiner anderen Aufnahme diese grenzüberschreitende Erfahrung bietet: So klingt es, wenn ein Spitzenorchester alles gibt. Dazu noch versehen mit einem hässlich verzerrten, grausam wirkenden Unterton. Dass es auch an Partiturtreue nicht mangelt, erkennt man unter anderem an dem deutlichen Glissando bei Zi. 46 der Violinen unter der Solovioline, wie ein Element der Unsicherheit, das einem den Boden wegzieht.

Auch der 2. Satz begeistert. Derb und wild, teilweise bizarr, wie ein Tanz auf einem Vulkan. Das Violinsolo mit seinen vulgär intonierten „Bemerkungen“ muss erwähnt werden. Auch die Piccolo - Flöte sonst schamhaft versteckt, kommt hier zu ihren schrillen Auftritten.

Im 3. Satz wird geradezu losgeweint, gesteigert bis ins wilde vorbehaltlose Herausschreien. Das Orchester wird auf beeindruckende Weise dazu animiert. Darin kommen dieser Interpretation nur Roshdestvensky, Kondrashin, Stokowski und in Teilen Bernstein nahe. Die Holzbläser - Soli erklingen beseelt und mit einer auch von diesem Orchester nicht immer zu hörenden Legatokultur. So als klagten hier einzelne Individuen (gegenüber dem „kollektiven“ Leid der Streicher). Der ganze Satz ist von hemmungsloser Intensität durchdrungen.

Im 4. Satz wird das poco a poco accelerando beherzigt, im Verlauf immer sogartiger und rasanter, den Charakter einer Stretta antizipierend. Ab Zi. 105 feurig lodernd, fast schon überhitzt. Fff ist echtes fff und keineswegs ein laues ff. Bei der Coda gibt die Technik der Gran Cassa leider nicht so ganz die erforderliche Wucht mit. Ein kleiner Mangel bei einer im Ganzen imponierenden Aufnahme.

▼ weitere Aufnahme desselben Dirigenten in der Liste

 

_____________________________________________________________________________________________

 

5 *

Kyrill Kondrashin

Moskauer Philharmoniker

Melodija - Eurodisc

1964

13:38  5:14  12:10  10:45   41:47

 

Diese dem Verfasser als deutsche LP vorliegende Aufnahme profitiert in nicht unerheblichem Maß von ihrer für eine russische Aufnahme der 60er Jahre überraschend gelungenen Klangqualität. Verblüffend ist der weiche Klang der Violinen, die zusammen mit den anderen Streichern deutlich im Vordergrund stehen. Im Hintergrund, aber deshalb beileibe nicht weniger präsent agieren die Bläser, besonders das Blech. Das Klangbild ist ziemlich weiträumig und recht dynamisch. Insgesamt verfügt der Klang über mehr Wärme als die anderen drei russischen Aufnahmen an der Spitze der Liste. Das passt gut zur Herangehensweise Kondrashins, denn er legt hier die emotionalste Interpretation unter den russischen Aufnahmen vor, geprägt insbesondere von couragierter Subjektivität.

Der 1. Satz erhält so eine nervenaufreibende Intensität, allerdings in einem grenzwertig schnellen, stellenweise wie gerafft wirkenden Tempo, das so nicht unbedingt der Partituranweisung entspricht. Von den vier russischen Orchestern am Anfang der Liste machen die Moskauer Philharmoniker den kultiviertesten Eindruck, was zu einem gewissen Teil auch am weichen Analogklang liegen mag. Viel bewegter und leidenschaftlicher als Mravinsky, eher Svetlanov ähnlich, stürzt sich Kondrashin in das Allegro non troppo. Er schlägt ein mörderisches (sic!) Tempo an, das stringendo gelingt atemberaubend.  Das a tempo con tutta forza ist von nachhaltiger Intensität.  Klavier, Militärtrommel und Xylophon sind auch in dieser Aufnahme sehr präsent. Die Durchführung klingt nicht ganz so wild wie bei Svetlanov. Das Violinsolo ist sehr gelungen und verdient eine gesonderte Erwähnung.

Der 2. Satz erhält eine wunderbar überspitzte Darstellung mit herrlich skurril hervortretenden schmetternden Hörnern. Auch hier wirkt Svetlanov noch ein Quäntchen wilder, überdrehter.

Der 3. Satz ist das Zentrum der Interpretation Kondrashins. Er hält sein Orchester zu einem Spiel an, das bis an die Grenzen einer gänzlich durchglühten Emotionalität geht. Genau das Gegenteil der eher kargen, harten und kalten Seelenlandschaft, die ein Mravinsky hier entwickelt. Dazu passt auch das Detail einer wunderbar klingenden sparsam mit Vibrato umgehenden Flöte, auch die Oboe bemüht sich hier erfolgreicher um ein p als bei Mravinsky. Ab T. 120 erhält die Darstellung eine tragisch wirkende Dramatik, ab Zi. 90 singen die Celli aus vollem Herzen, die geteilten Violinen schließen sich ab T. 142 an, können die Eindringlichkeit sogar nochmals steigern.. Auch der prononcierte und beherzte Einsatz von Xylophon, Klavier und des Tremolos generell steigert die glutvolle Darstellung. Das klingt bezwingend und herzergreifend. Nur wer ein Herz aus Stein hat, wird hier wohl nicht hingerissen.

Der 4. Satz beginnt mit mäßigem Tempo, auch hier wird jedoch ein zwingendes accelerando ab Zi. 105 mit atemlos wirkendem Sog vorangetrieben. Die Philharmoniker spielen hervorragend und stehen Svetlanovs Staatsorchester in nichts nach. Bei Zi. 111 wird das fff bezwingend eingelöst. Ab Zi. 113, wo sich bei sehr vielen Einspielungen Erschöpfung und Lethargie breit machen, findet bei Kondrashin leidenschaftliches Aufbäumen statt. Die Coda ab Zi. 131 klingt ätzend langsam (ungefähr halb so schnell wie bei Bernstein, fast 2 Minuten die an die Substanz gehen gegenüber 50 Sekunden, die bei Bernstein wie in Ekstase vorbeiblitzen), starr, schablonenhaft und gequält. Ein weiteres und nun abschließendes Dokument der Unterdrückung und Knechtschaft und so wie es dargestellt wird, nur extrem passiv zu erdulden.

Die Gran Cassa klingt weder wuchtig noch durchdringend. Das ist aber auch der einzige Einwand gegenüber dieser Darstellung des 4. Satzes, denn ein angemessener Klang dieses überhaupt nur an zwei Stellen und nur in diesem Satz verwendeten Instruments, hätte die gewünschte Wirkung nochmals intensiviert.

 

________________________________________________________________________________________________

 

5

Jevgeni Mravinsky

Leningrader Philharmoniker

Melodija, Best Buy Classical, Erato, Leningrad Masters

1982 Live in Leningrad

14:56  5:06  13:05  10:47   43:54

 

Von Mravinsky, dem Dirigenten der Uraufführung, existieren mindestens fünf verschiedene Aufnahmen dieses Werkes. Drei davon wurden innerhalb dieses Vergleiches gehört. Diese späteste soll genauer betrachtet werden. Auf die beiden anderen wird später noch kurz eingegangen. Sie unterscheiden sich vor allem durch weitere aufnahmetechnische Mängel von dieser, die die Live - Bedingungen noch am besten meistert. Die Interpretation unterscheidet sich über die Jahre hinweg nur marginal.

Gemeinhin gilt Mravinsky als intimer Kenner und Gewährsmann der Musik DSCHs. Einen Bruch der Beziehung zwischen Dirigent und Komponist gab es jedoch anlässlich der Uraufführung der 13. Sinfonie „Babi Yar“, bei der sich Mravinsky weigerte, dieselbe zu leiten. Letztlich übernahm damals Kondrashin. Die Zusammenhänge würden in einem Vergleich der 13. Sinfonie dann genauer zu beleuchten sein. Jedenfalls waren es politische, nicht musikalische Gründe, die zu dem Zerwürfnis führten. In einem sehr späten Video bekannte Mrawinsky jedoch, dass ihm die 5. Schostakowitschs zusammen mit der 5. Tschaikowskys von allen Werken der Musik am meisten bedeute.

Mravinsky begegnet der 5. im 1. Satz mit einer packenden klanglichen Intensität, die auch die Pausen mit einschliesst. Sein Zugang ist weit mehr vom Intellekt geprägt und wirkt gleichsam aristokratischer als die drei Aufnahmen aus Moskau zuvor, deren Dirigenten einen emotionaleren Zugang finden. Seinem Orchester, es sind immer die Leningrader, gönnt er in all den Aufnahmen keine unter Studiobedingungen. Es ist daher in keiner der drei Aufnahmen perfekt, aber je später die Aufnahme erfolgte, desto höher ist sein Niveau. Der Höhepunkt des 1. Satzes klingt so weniger unerbittlich hämmernd (wie z.B. bei Muti), als vielmehr grell und schreiend. Die Technik lässt hier das Blech etwas vordergründig und das Schlagzeug etwas diffus wirken.

Der 2. Satz gelingt ihm enorm vielschichtig und nuancenreich. Auch aufnahmetechnisch wird den Musikern gegenüber den älteren Aufnahmen „auf die Pelle“ gerückt. Feinheiten werden so besser hörbar, grelle Abgründe genauer beleuchtet. Dieser direkt wirkende Zugriff mit seinen dramatisch wirkenden Ausbrüchen wiegt die spieltechnischen Mängel mehr als auf.

Im 3. Satz fällt ein seltsam „meckerndes“ Vibrato der 3. Violinen auf, das der Verfasser nicht zu deuten wusste. Es bessert sich aber, sobald die 2. und schließlich die 1. Violinen dazukommen. (Auch im Adagio der 9. Mahler mit Giulini und dem Chicago SO (DG, 1978) war ein solches „meckerndes“ Vibrato schon einmal „durchgegangen“, aber nur bei der Erstausgabe, in späteren Ausgaben wurde es eliminiert.) Vielleicht wollte man hier einfach zuviel? Die Oboe spielt ihre Soli hart und zu laut, die Flöte mit zuviel Vibrato. Dennoch gelingt eine hoch spannende Darbietung, der eine zusätzliche Beigabe von emotionaler Anteilnahme aber völlig abgeht. Es legt sich eine frostige Kälte über weite Teile des Satzes, der aber gerade auch dadurch seine spezifische Mravinsky - Wirkung auf den Hörer ausübt. Passend dazu ist das völlige Fehlen von Rubato.

Dem 4. Satz eigen ist hier eine schaudern machende starre Unerbittlichkeit. Ob die gedrillt wirkende Anmutung von der Orchesterarbeit herrührt oder Teil der Interpretation ist, ist kaum zu entscheiden. Die Holzbläser agieren bewusst bräsig und unkultiviert. In der langsam genommenen Coda hört man denselben leiernden unwilligen Unterton, der auch in Bernsteins zweiter Aufnahme die Coda so unerträglich macht. Auffallend auch die hymnischen Fanfaren und der bisweilen mit Vibrato angereicherte, silbrig geschärfte Klang der Trompeten. Das Klavier bleibt unterbelichtet. Letztlich ist es kaum möglich aus diesem Ende einen strahlenden Sieg herauszulesen.

Ein Wunschtraum bleibt: Hätte die DG doch, wie bei den drei letzten Tschaikowsky - Sinfonien, eine Aufnahme unter Studiobedingungen Anfang der 60e Jahre in Wien mit Schostakowitschs 5. gemacht, dann...

▼ zwei weitere Aufnahmen desselben Dirigenten in der Liste

 

_________________________________________________________________________________________

 

5

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1959

16:12  4:50  15:32  8:53   45:27

 

Bernstein, der Sohn von aus Russland in die USA eingewanderten Eltern, wurde von seinen Schülern nicht zuletzt auch durch sein enzyklopädisches Wissen geschätzt. Mit Sicherheit war er also über die Umstände der Komposition Schostakowitschs bestens informiert. Es ist zu vermuten, dass er, ein Jahr zuvor gerade Chefdirigent geworden, und sein Orchester 1959 bei den Vorbereitungen zur Tournee, die ihn auch nach Moskau zum Komponisten und zur Aufnahme dieser Einspielung nach Boston führte, eine Partitur in alter Ausgabe nutzte. Auch Mitropulos vor ihm und wahrscheinlich auch bereits Rodzinski, die beide Vorgänger als Chedirigent des NYPO waren, nutzen wohl schon dieses Material (Rodzinskis Aufnahme entstand jedoch 1954 mit einem Londoner Orchester).

Jedenfalls spielen die New Yorker, bereits von Rodzinski und Mitropoulos geschult, hier auf einem hervorragenden Niveau, als ob sie nie etwas anderes gespielt hätten als DSCHs 5., was übrigens mindestens genauso für die Aufnahme von Mitropoulos gilt, die nur sieben Jahre zuvor (1952) entstand.

Bernstein gelingt bereits zu Beginn ein Zugang von bohrender Intensität. Klavier und Xylophon werden nicht vernachlässigt. Der Einbruch des Militärsmarschs (Gewalt) erklingt mächtig und vorantreibend. Die Dynamik, die das Orchester hier entfacht, kann von der Analogtechnik nicht ganz unkomprimiert nachgezeichnet werden. Sie gibt hier leicht nach. Die Durchführung ist hervorragend gestaltet. Das fff bei largamente (Zi. 36) könnte noch ein Quäntchen dynamischer sein, für das Alter der Aufnahme klingt es jedoch ausgezeichnet. Die Flöte im Solo an Zi. 39 spielt hier mit sehr viel Vibrato, als ob das Individuum noch zittern müsste, ob der erlebten Gewalt. Amerikanische Orchester neigen - gerade was die Flöte betrifft – zur Überzeichnung, worauf im weiteren Vergleich noch häufiger hingewiesen werden muss.

Im 2. Satz wird das verzerrte und fratzenhafte Gesicht des Ländlers überzeugend deutlich gemacht. Die verlangten Marcati werden ohne Einschränkungen erbracht. Die eine oder andere Stelle wird vielleicht etwas zu laut dargeboten (Pizzicato der 1. Violinen ab Zi. 65), was den Gesamteindruck jedoch nicht schmälern kann.

Den 3. Satz beginnt Bernstein mit erschöpft wirkendem Espressivo, ein Weinen unter vorgehaltener Hand. Danach wird es mit zunehmender Lautstärke zu einem offenen Klagen, schließlich zur Anklage. Das tremolo bei T. 66 verfehlt seine Angst einflössende Wirkung nicht. Das Duo von Harfe und Flöte, die extrem weit auseinander sitzen, gelingt dennoch hervorragend und präzise. Die Dissonanzen der Flöten kommen ungeschmälert, bei der Oboe stört der unpräzise Deckelschluss, was die Soli doch bisweilen in ihrer Makellosigkeit stört, so emotional sie auch geblasen werden. Ab T. 108 beginnt ein heftiges emotionales Aufbegehren, das kaum Grenzen zu kennen scheint, auch das Xylophon wird dabei beherzt geschlagen, das sfff der Kontrabässe (ab Zi. 90) klingt eindringlich, wenngleich Svetlanov (Moskau) hier unerreicht bleibt. Das Duo Celesta/Harfe am Ende des Satzes wird etwas von der Harfe dominiert, das gelingt in ansonsten minderen Aufnahmen bisweilen besser.

Durch den 4. Satz hat diese Aufnahme besondere Aufmerksamkeit erregt, worauf bereits in der Einleitung eingegangen wurde. Den Charakter der beginnenden und eigentlich völlig deplazierten Stretta hat bisher noch niemand so umwerfend klar gemacht wie Bernstein in dieser Aufnahme. Bewusst überhastet mit mitreißender, wie explodierender Energie. Er beginnt deutlich schneller als die vorgegebenen 88 die Viertel, also eigentlich nicht gerade partiturgenau. Bernstein setzt so die gegenüber Kurt Sanderling gemachten Äußerungen des Komponisten zur Temponahme zum Beginn dieses Satzes viel überzeugender und mitreißender um, als dieser selbst. Hier marschieren die von fremden Mächten Getriebenen in tödlichem Tempo zu ihrem eigenen Schafott. Das wird mit scharfer Artikulation und mit einer sich fast überschlagenden Wildheit deutlich gemacht. Alle Stimmen werden deutlich hörbar, auch das Xylophon erklingt perfekt. Ab Zi. 110 schrill und lärmend.. Ab Zi. 112 erklingt der Streicherchor berstend vor Espressivo, wie ein verzweifelter Bittgesang (Schwanengesang?) vor dem Schafott, der sich aber ermattet ins Unvermeidliche zu ergeben scheint. Die abschließende Coda ist mit die schnellste überhaupt. Die Viertel = 184, doppelte Geschwindigkeit, damals von der Partitur gedeckt. Vielleicht doch der Triumph des Geistes über die Unterjochung? Aber nein, die Schläge der Gran Cassa zermalmen alles, damals mit der Gewalt, die die damalige Technik eben zur Verfügung stellen konnte.

Der extreme Zugang beim 4. Satz war zwar nicht unbedingt einzigartig (siehe Rodzinski, Mitropoulos, Stokowski oder Golschmann), aber auf individuelle und jugendlich frische Art einzigartig ekstatisch zugespitzt und darin unnachahmlich gelungen, vielleicht nicht einmal besonders hintersinnig (dazu müsste man Bernstein allerdings selbst befragen können) aber vielleicht gerade deshalb so zwingend und durch die CD immer wieder neu erlebbar.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten in der Liste

 

________________________________________________________________________________________

 

5

Leopold Stokowski

London Symphony Orchestra

BBC Legends

1964 LIVE

14:23  4:46  12:01 9:11   40:20

 

Bei dieser Aufnahme wurde eine Sternstunde festgehalten. Das beginnt mit einem für die BBC (bzw. Rundfunkaufnahmen allgemein) und angesichts des Aufnahmedatums verblüffend weichen, präsenten, lebendigen und auch dynamischen Klang, der sogar Svetlanovs Live - Aufnahme mit dem LSO von 1978 (ebenfalls BBC) übertrifft. Barbirolli wurde bei seiner BBC - Aufnahme desselben Werkes ein Jahr zuvor von der BBC nur mit einer dumpfen Mono - Aufnahme bedient. Wie damals üblich wurde der p-Bereich immer etwas angehoben, damit die leisen Töne nicht im Rauschen von Band bzw. der Live - Übertragung untergehen. Natürlich ist der Klang trotzdem nicht audiophil und etwas dennoch etwas dumpf aber insgesamt eine positive Überraschung. Und, was das Wichtigste ist, er kann die Konzertaufführung lebendig werden lassen. Das Publikum ist vor allem im 3. Satz jedoch ziemlich stark zu hören.

Das LSO zeigt sich als ein bis in die Zehenspitzen motivierter Klangkörper, dem es hörbar leichter fiel ihrem Landsmann zu folgen, als Svetlanov 14 Jahre später. Es war auch bereits daran gewöhnt mit betagten (und genialen) Dirigenten zusammenzuarbeiten, hatte man doch erst vor ein paar Jahren den 83jährigen Pierre Monteux zum Chefdirigenten bestellt. Nun arbeitete man mit dem damals 82jährigen, gut bekannten Gast Stokowski zusammen. Um es gleich vorwegzunehmen, er konnte es nicht lassen auch diesmal zumindest an zwei Stellen in den Notentext einzugreifen, was er in der Studioaufnahme aus New York, die offensichtlich eher für die Nachwelt bestimmt war, als dieser Live - Mitschnitt unterlassen hatte:  Bei Zi. 11 konnte er es sich nicht verkneifen den Sprung der 1. Geigen über eine Dezime hinweg mit einem sauberen (absichtlichen) Glissando zu versehen und ganz am Ende der berühmt- berüchtigten Coda unterstützt er die ohnehin schon mit ohrenbetäubenden Schlägen agierende Gran Cassa mit einem vehementen Einsatz des Tam - Tam, der gar nicht in den Noten steht. Aber auch für Puristen sollte der Fall jetzt noch nicht ad acta gelegt werden, denn die Interpretation ist ein Musterbeispiel an Inspiration und Dokument des Gelingens einer zwar eigenwilligen aber bereichernden Sichtweise auf das Werk.

Stokowski lässt zu Beginn schon die Streicher schwelgen und baut auch ein verlebendigendes Rubato mit ein. Sein Gestus ist dramatisch orientiert, es bleibt kein Platz für Selbstmitleid. Die hochdramatische Lesart nimmt ab poco animato (T.135) unwiderstehlich Fahrt auf.  Das LSO folgt ihm blind, d.h. wenn es ein Vortrag wäre, offensichtlich völlig skriptunabhängig und deutlich ungehemmter, sicherer und ausdrucksstärker als bei Svetlanov. Die Durchführung ist auch hier wie ein Tanz auf dem Vulkan. Das a tempo con tutta forza wird genau realisiert. Die Solovioline beeindruckt. Lediglich die Solobläser kommen etwas überprominent ist Bild, was mit dem Anheben des Aufnahmepegels bei leisen Stellen einhergeht.

Der 2. Satz ist mit der schwungvollste überhaupt. Ein gefährlich wilder Tanz mit einem gewissen unterschwelligen Bedrohungspotential. Das Violinsolo wirkt hier wie „gestelzt“. Ab T. 86 lässt Stokowski das Holz regelrecht quiken. Die Piccolo wird ob seiner grellen Wirkung hier besonders hervorgehoben, wo es bei vielen anderen bis zur Unhörbarkeit versteckt wird. Stokowski holt genau das aus der Partitur heraus, was sie anbietet.

Der 3. Satz braucht sich in emotionaler Hinsicht vor den zuvor genannten Aufnahmen nicht zu verstecken. Das hemmungslose Klagen wird bis zur Entäußerung gesteigert. Außer Svetlanov (allerdings nur in seiner Moskauer Einspielung, die an dieser Stelle unerreicht bleibt) bringt keine andere Aufnahme die sfff der Kontrabässe so prägnant heraus wie Stokowski und das LSO. Wie Hiebe mit einer Peitsche.

Der 4.Satz (einer der schnellsten, Bernstein noch unterbietend) beginnt ziemlich wild, die Streicher sparen nicht an Espressivo. Die lang gezogenen accelerandi steigern sich zu einem Sturmlauf. Absolut mitreißend und das Grelle stets betonend (Piccolo). Ab Zi. 111 wird alles damals Mögliche aus der verfügbaren Aufnahmetechnik herausgeholt. Das Tempo wird ebenso bis zum Anschlag angezogen, der Gestus erscheint wie überhitzt, fast wie in einer Karikatur überzeichnet. Die Coda wird sehr schnell genommen und begeistert vollends, nicht nur wegen des Tam - Tam - Einsatzes am Schluss, den man ja eigentlich überhören müsste. Die Zuhörer in London reagierten damals  mit infernalischem Jubel. Sie wurden Zeugen einer flammenden Darbietung, die einem Meisterwerk galt.

Stokowskis Studioaufnahme von 1959 fiel demgegenüber deutlich moderater aus. Diese dramatisch äußerst zugespitzte Live - Einspielung, die die Elemente der Groteske besonders schärft, wird dem Idiom des Werkes absolut gerecht. Sie ist hochgradig emotional und bewegend. Den begeisternden Eindruck können die paar Retuschen kaum stören. Puristen müssten jedoch die 5 Sterne für sich in Klammer setzen. Alle anderen können die Klammern getrost weglassen.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten in der Liste

 

___________________________________________________________________________________

 

5

Yuri Temirkanov

Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

Brilliant

1981, Live

16:25  4:55  13:15  9:57  44:32

 

Das über viele Jahre von Jewgeni Svetlanov geprägte Orchester büßt in dieser Live-Aufnahme viel von seiner Perfektion ein. Besonders der erste Hornist hat nicht gerade einen seiner besten Tage erwischt, fällt schon ziemlich beim ersten Einsatz mit einem Wackler auf und mit Unsicherheiten, die sich leider durch die ganze Sinfonie ziehen. Immer bleibt er sozusagen ein „Risikofaktor“. Dazwischen schont er sich jedoch nicht, sondern fällt durchaus mit einer vitalen Gestaltung auf. Man muss andererseits erneut die ungeheuer präsenten Trompeten herausheben, die mit ihrer sagenhaften Strahlkraft zu einem gewissen Teil das Gelingen dieser Aufführung mitprägen. Was ebenfalls zu Beginn schon auffällt ist die ausgesprochen kühle Tongebung der Violinen, die mit wenig bis gar keinem Vibrato operieren. Ansonsten strotzt dieser Mitschnitt geradezu vor Expressivität. Das Klavier als Besonderheit der Instrumentation wird hier einmal zielgerichtet, nämlich scharf und schroff gespielt. Das Orchester spielt zwar nicht gerade perfekt aber ungemein virtuos. Vielleicht verlässt es sich auch etwas zu sehr darauf, dass es diese Sinfonie in- und auswendig kennt. Die Militärtrommel klingt mit aller Schärfe und Brutalität, die Durchführung sagenhaft aufgeheizt. Bei Zi. 36 Largamente wird das ff nur so herausgeschrien, das bekommen die kultivierteren westlichen Orchester so einfach nicht hin. Auch das a tempo con tutta forza wird schonungslos herausgehauen. Ähnlich die Oboe bei Zi. 42, die zwar ein wenig roh klingt, aber auch sehr ausdrucksvoll. Wenn man einmal hören will, wie laut eine Cellogruppe mit der Sordine spielen kann, der höre einmal 2 T. nach Zi. 43 genau hin. Eines darf man jedoch nicht verschweigen: Leise spielen ist die Sache dieses Orchesters nicht. Durch die enorme Spannung wirkt der Satz sehr kurz und man fragt sich, wieso er sich bei machen anderen Einspielungen so in die Länge zieht.

Der zweite Satz gehört zu den Besten dieses Vergleiches. Der vorgelegte Impetus geht weit über den Standard westlicher Orchester hinaus. Nicht nur enorm pointiert, sondern besonders angeschärft, ungeschliffen, polternd und widerständig, Das ist schon mehr als burschikos. Als Bild kam uns in den Sinn: „Der (sozialistische) Kongress tanzt“, er scheint sich aber auch tüchtig mit Alkohol abgefüllt zu haben. Unberechenbar und gefährlich wäre dann die nächste Stufe. Die Solovioline klingt besonders präsent. Das Musizieren spielt sich besonders in diesem Satz und angesichts der Live-Situation auf allerhöchstem Niveau ab.

Die Darbietung des dritten Satz kann man direkt in der Gefolgschaft eines Kondrashin oder Svetlanov sehen. Der Ausdruck der Klage und des Schmerzes wirkt ungehemmt und tut schon beim Zuhören weh. Das Xylophon bei Zi. 89 setzt sich sehr gut gegen den äußerst aufgeheizten Streicherklang durch, meist hört man nur Bruchteile davon.

Der vierte Satz beginnt schriller und brutaler als gewöhnlich. Die Stretta an der falschen Stelle wird mit einer atemberaubenden Steigerung voll ausgereizt. Spätestens hier wird man gewahr, dass man dieses Tempo nur hinbekommt, wenn das gesamte Orchester quasi auswendig spielt. Das Espressivo wird bis zum Äußersten aufgetrieben. Bisweilen wirkt die Gran Cassa als Opfer der Tontechnik und klingt nur lau, obwohl sie ohrenscheinlich mit äußerster Kraft geschlagen wird. Am Ende hingegen darf sie die „Sargnägel“ (Rostropowitsch) mit der angemessenen Wucht einschlagen. Das Finale selbst erklingt vergleichsweise langsam. Man hat das Gefühl, dass das Orchester alles riskiert, um den Ausdruck bestmöglich zu steigern. Den Zuhörer/innen bleibt bei dem ganzen letzten Satz kaum einmal Zeit Luft zu holen. Ein tolles Live-Dokument. Man hat beim Applaus den Eindruck, dass das Publikum auch 1981 kaum richtig weiß, ob es begeistert sein darf oder nicht.

 

Der Klang ist sehr präsent. Was für das ganze Orchester klingt, gilt leider auch für die hustenden Zuhörer im Konzertsaal. Man hat den Eindruck, dass auch das Publikum mit auf der Bühne sitzt. Die Transparenz ist sehr gut, die Tiefenstaffelung könnte viel ausgeprägter sein. Über der Aufnahme liegt ein leichter Schleier, der aber der Unmittelbarkeit des Miterlebens nichts anhaben kann. Das gebotene Gesamtklangbild hat wenig Edles an sich und kann sich in dieser Hinsicht nicht mit den beiden anderen Einspielungen Temirkanovs mit den Sankt Petersburger Philharmonikern messen. Was dort üppig und nach Fülle klingt, wirkt hier deutlich härter und strohig. An die Sonorität der beiden westlichen RCA-Aufnahmen sollte man besser nicht denken. Dafür klingt es aus Moskau unmittelbar und packend.

▼ zwei weitere Aufnahmen desselben Dirigenten in der Liste

 

_______________________________________________________________________________________

 

5

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon, DG

LP-Überspielung der BnF

1961

14:10  5:25  12:52  10:10   42:37

 

Bei Ancerl, von dem es auch noch einen im Umfeld dieser Produktion entstandenen Live - Mitschnitt zu besprechen gibt, der aber unter vielen Widrigkeiten zu leiden hat, ergibt sich das spezielle Idiom Schostakowitschs anscheinend wie von selbst (dass dennoch intensiv am Resultat gearbeitet werden musste, offenbart der Live - Mitschnitt). Der Zuhörer kommt in den Genuss einer herausragend intensiven Gestaltung. Der Trauer - Charakter stellt sich sofort nach den ersten Takten ein Die Violinen agieren mit ungeheuerer Strahlkraft, wenn vorgeschrieben gesteigert bis an die Schmerzgrenze. Sie sind jedoch auch zur ätherischen Entrückung fähig. Das Spiel ist ausgesprochen farbig und dynamisch exakt. Die Einsätze des Piccolos angemessen schrill. Das stringendo entwickelt Sogkraft. Die Flöte mit ihrem starken Vibrato dominiert jedoch das Unisono mit dem Horn zu sehr, die Oboe zeigt Intonationsprobleme. Die Entwicklung innerhalb des Satzes erscheint dessen ungeachtet als Ganzes stringent entwickelt. Das Zurückfallen in die Dunkelheit des Beginns wird eindrücklich dargestellt, dass es den Hörer fröstelt. Die Celesta am Ende spendet nur ein recht trübes Licht der Hoffnung.

Die Darstellung des 2. Satzes erscheint den russischen sehr ähnlich. Das Holz und die Hörner übertreiben ihre Phrasierungen, artikulieren schroff und hart, ebenso die Solo - Violine ab T. 87. Der Satz wird bisweilen in gleißendes Licht gehüllt, dann wieder folgt er seinen dumpfen Rhythmen. Eine seltsame Atmosphäre. Den Hörnern und Trompeten gebührt wegen ihres grandiosen Einsatzes ab T. 231 ein Sonderlob.

Der 3. Satz erfährt eine intensive, herzzerreißende Gestaltung durch die Streicher, die über sich hinauszuwachsen scheinen. Die Oboe könnte geschmeidiger artikulieren, auch mit mehr Bindung im Solo ab T. 70. Ab Zi. 81 klingt das Orchester überwältigend (mit einem heftig geschlagenen Xylophon).

Der 4. Satz beginnt hier ohne Bombast, er wird leicht und fast schon provozierend locker artikuliert, ohne den Druck der anderen Aufnahmen. „Hier stimmt doch wohl was nicht“, will uns dieser Beginn wohl sagen. Auch das Tempo erscheint zunächst gemächlich, auch die Beschleunigung ab Zi. 105 erfolgt langsam. Das Hornsolo stellt mit seinem minimalen espressivo den ganzen - hier ja ohnehin schon etwas reduzierten - Bombast zuvor sogar regelrecht infrage. Ein Ausdruck der Ratlosigkeit? Die Violinen als das Kollektiv jedoch steigern den Ausdruck bis zum Bersten, bevor es ein Zurückfallen in Schmerz, Depression und Gleichmut gibt (Wiederaufnahme der Stimmung aus Teilen des 1. und 3. Satzes). Die Gran Cassa erscheint hier sehr zurückhaltend (bei Zi. 128). Bei der langsamen Coda, trumpfen die Trompeten und Posauen, die zuvor schon wie mit gequälter letzter Kraft agierten, dann wieder mit ihrer ganzen Durchschlagskraft auf.

 

Die Wirkung dieser Aufnahme ist fesselnd, direkt, ungeschönt, dicht und unmittelbar. Alles wirkt organisch entwickelt, nichts wirkt aufgesetzt. Kleine Makel bringen die Oboe und die Klarinette mit ins Spiel. Sie fallen jedoch kaum ins Gewicht.

Die Aufnahme klingt recht weiträumig, teilweise sogar frappierend transparent. Kleine Schwierigkeiten hatte die alte LP bei sehr großer Lautstärke, da schien die Dynamik des Orchesters zu groß zu sein, es kam zu leichten Verzerrungen. Die Holzbläser profitieren von einer sehr guten Präsenz.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten in der Liste

 

___________________________________________________________________________________________

 

5

Valery Gergiev

Kirov Orchestra (mittlerweile Orchester des Marijnski Theaters St. Petersburg genannt)

Philips

2002

16:20  5:08  14:41  11:22   47:31

 

SACD Gergiev, geboren 1953 in Moskau, studierte bei Ilya Musin in Leningrad und wird Interpretationen von Mravinsky und den anderen großen Dirigenten der Sowjetunion durchaus in Leningrad (oder auch in Moskau) gehört haben. Ob er DSCH selbst kennengelernt hat, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. Gergievs Orchester spielt hier allerdings auf höchstem Niveau mit einer phantastischen Innenbalance. Sein Spiel zu Beginn entwickelt sich nicht aus der Lethargie heraus, wie das Spiel von Eschenbachs Orchester, das wegen der Reihe im Alphabet gerade zuvor gehört wurde, sondern mit entschiedenem Nachdruck. Der Streicherchor agiert ausnehmend ausdrucksvoll, die hervorragenden Holzbläser (mit einer sehr klangschönen Oboe und einer hervorragenden Flöte) klingen in ihren Soli intensiv und beseelt. Die unterschiedlichen Themen werden kontrastreich gegenübergestellt.  Die dynamischen Gegensätze werden außerordentlich plastisch herausgearbeitet. Das Klavier ist sehr präsent eingefangen, die Temponahme stimmig und überzeugend. Der Einbruch der Instrumente des Militärs im Marsch (Gefahr, Gewalt und Knechtschaft symbolisierend) erfolgt wuchtig und exzessiv, wie der Höhepunkt der Durchführung. Das Largetto erscheint wie die Darstellung des von DSCH erfahrenen Scherbengerichts in intensiver Darstellung. Das Glissando der Violinen ein Takt vor Zi. 46 erfolgt ausnehmend bewusst. Der ganze Satz steht unter Hochspannung.

Der 2. Satz erhält eine pointierte Darstellung. Das Klarinetten Solo ab Zi. 49 ist jedoch viel zu laut (wie auch die folgenden). Dennoch wird ein toller Kontrast zu den mit voller Kraft losplärrenden vereinten Holzbläsern bei Zi. 53 erreicht. Die Groteske wird sehr gut deutlich durch die finessenreiche Artikulation und vor allem durch die voll ausgenutzte Dynamik. Trotzdem wird auch der tänzerische Charakter des Satzes glänzend herausgespielt.

Der 3. Satz ist ein Klagegesang ohne Larmoyanz. Die eloquenten Soli spielen sich auf einer einsamen Höhe ab. Das Xylophon ist als intensivierendes Steigerungsinstrument sehr gut eingefangen. Die sfff der Kontrabässe werden grandios herausgemeißelt. Auch die Übergänge sind spannend gestaltet. Das Wiegenlied am Ende wird von der Harfe dominiert, schade, dass die perfekte Harmonie mit der Celesta nicht erreicht wurde.

Der 4. Satz wirkt kontrolliert und ist im Tempo keinesfalls überzogen. Als Stretta kann dieser Abschnitt trotzdem noch durchgehen. Ab Zi. 105 ist der Hörer gebannt vom feinsten Orchesterspiel, es wirkt gar freudig - erregt (!!!). bis Zi. 111 die Tragik umso unerbittlicher zuschlägt. Bei poco animato nochmals ungemein gesteigert. Die Coda wird langsam gespielt, die Gran Cassa mit äußerster Wucht zum finalen Zerschlagen aller Träume genutzt.

Dies ist eine detailreiche unter die Haut gehende Darstellung präsentiert mittels einer herausragenden Orchesterleistung, sowohl fein gezeichnet als auch mit nahezu brutal wirkender Intensität. Serviert in einer modernen Klangqualität, der es an nichts fehlt.  Sie ist offen, rund, sehr farbenreich, sehr präsent und sehr dynamisch und verfügt über einen sehr guten Bassbereich. Beste Philips Qualität.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten in der Liste

 

__________________________________________________________________________________

 

5

Constantin Silvestri

Wiener Philharmoniker

EMI

1960

18:10  4:50  14:05  10:38   47:43

 

Von den drei Aufnahmen der Wiener Philharmoniker, die dem Verfasser vorliegen, ist dies zwar die älteste aber auch die über alle Sätze hinweg stimmigste. Sie sind zwar in allen Aufnahmen hochkonzentriert bei der Sache, aber mit Silvestri geben sie alles. So auf der vordersten Kante sitzend, freigiebig und flexibel hört man sie sehr selten. So erklingt der 1. Satz trotz des auffallend langsamen Tempos extrem spannend. Der zur Verfügung stehende dynamische Ambitus wird voll ausgenutzt, das Leid wird geradezu herausgeschrien. Jedes noch so kleine Motiv wird besonders bewusst und beherzt ausformuliert. So wird die namenlose Bedrohung konkret fühlbar. Das Klavier bei Zi. 18 wird im vorgeschriebenen f und auch secco hörbar. Von der Beschleunigung fühlt sich der Hörer wie von einem Strudel eingesaugt. Die Durchführung steigert sich bis zur Verzweiflung. Ab Zi. 36 Largamente mit höchster Vehemenz. Auch das a tempo con tutta forza wird voll eingelöst, hier in aller Breite. Danach erklingt wieder das schönste Idyll, bei dem nur die quäkende Wiener Oboe etwas stört.

Der 2. Satz wird sehr prononciert, virtuos und brillant gespielt. Das Violinsolo mit seinen Glissandi wirkt als ob es von einem Beschwipsten oder gar Besoffenen herrührt, was hier als besondere Auszeichnung zu verstehen ist. Seltsam, passend und gekonnt.

Der 3. Satz wird von dem herrlichen Streicherklang der Philharmoniker getragen. Es ist eine der eindrucksvollsten Wiedergaben dieses Satzes. Genauso zart und einfühlsam wie auch klangmächtig und durch Mark und Bein gehend. Auch die Celli müssen hier einmal wegen ihrer außerordentlichen Klangschönheit und Intensität (ab Zi. 90) hervorgehoben werden.

Der 4. Satz ist bereits zu Beginn eine zum bersten gespannte und wilde Stretta, die dann noch immer weiter stringent angeheizt wird bis bei Zi. 111 der grandios gestaltete Höhepunkt erreicht ist. Danach singen die Violinen mit aller Kraft und Ausdrucksfülle (Zi.113 und 114).Das molto ritardando vor der Coda dient als sehr wirkungsvoller Stau vor der Entladung in einer relativ langsamen Coda. Posauen und Trompeten strahlen um die Wette und kommen sehr gut durch. Die Gran Cassa klingt leider viel zu schwach, man meint gar, sie wäre vergessen worden. Trotzdem eine außerordentliche Leistung.

Der Klang ist präsent und offen, sehr transparent, leuchtend und konturenscharf. Das Orchester wird bestens gestaffelt, sehr dynamisch und farbig abgebildet.

 

_________________________________________________________________________

 

5

Mariss Jansons

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

2014, Live

14:48  5:24  12:52  10:35  43:39

 

Dies Einspielung erschien ursprünglich als Jahresgabe für die Abonnenten der Konzerte des Orchesters. Mittlerweile wurde sie jedoch als reguläre Edition ins Tonträger-Repertoire von BR Klassik übernommen. Ob es dabei zu einem Remastering des Mitschnitts gekommen ist, entzieht sich unserer Kenntnis, denn wir konnten nur die Abo-Gabe hören. Das Violinkonzert von Alban Berg, das die Sinfonie hier noch begleiten durfte, fiel leider bei der Neuausgabe dem Rotstift zum Opfer.

Gegenüber der Einspielung aus Wien 18 Jahre zuvor wirkt sich der Zugang Jansons´ nun merklich gestrafft. Das gilt für den ersten und auch den dritten Satz. Der erste Satz wirkt nun scharf rhythmisiert, gerade zu Beginn aufgewühlt, aber auch im weiteren Verlauf hoch gespannt und expressiv. Der zügige Zugriff zeigt sich auch bei nachdrücklicheren animando, das nun durchzugsstark, um nicht zu sagen vehement wirkt. Das Klavier ist sehr gut durchhörbar, die Hörner erfreulicherweise sehr präsent. Die Durchführung wirkt extrem aufgeheizt, wie ein Mahlstrom der Gewalten, die das Individuum zermalmen oder zerfetzen wollen. Die Flöte (wie in fast allen neueren Einspielungen der letzten zwei Jahrzehnte) spielt nun ohne Vibrato. Die historisch orientierte Aufführungspraxis hat sich auf breiter Front auch bei viel späteren Kompositionen und bei nahezu allen Orchestern zumindest was die Ausgestaltung mit diesem „Accessoire“ betrifft durchgesetzt. Ein Verlust an Ausdruck ist dadurch zu vermelden, eher ein Gewinn. Auch die Oboe begeistert durch ihren schönen, extrem ausdifferenzierten Ton, was gin besonderem Maß auch für das Violinsolo gilt.

Im zweiten und vierten Satz ist sich Jansons in Hinsicht auf seine Tempogestaltung weitgehend treu geblieben. Das Holz spielt im zweiten Satz sehr schön, aber auch burlesk, die Hörner mit viel Schmackes, was in diesem Satz eine der Bedingungen für ein Gelingen gelten darf, wenn die politische Kaste zum Tanze aufspielen lässt. Auch der übersteigert-ironische, besser noch satirische Unterton kann nur so gewährleistet werden. Die Mahler-Anleihen sind für jedermann deutlich herauszuhören. Der Satz wirkt stimmig.

Das Tempo des dritten Satzes wirkt nun zügiger und weniger larmoyant. Der Satz wirkt nun wie unter einem einzigen Bogen gespielt, ohne jeden Bruch wird die Spannung gehalten Die Streicher spielen sehr präzise und ungeheuer expressiv. Als ob man nun ohne Umwege direkt zum Kern der Aussage vorstoßen wolle. Das wirkt nun straff und direkt, auch durch die präsentere Technik nochmals dichter an die Herzen der Hörer herangeführt. Die Soli der Oboe mit ihrem blühenden Ton und der atmenden Gestaltung werden erneut extrem nuancenreich gestaltet. Sie sind mit die besten des gesamten Vergleiches. Klarinette und Flöte erblühen zwar auch, ergreifen jedoch mehr durch ihrer geradlinige, natürlich wirkende, ebenfalls dem Gestus des Satzes genau entsprechende Gestaltung. Celesta und Harfe am Ende des Satzes sind absolut synchron und klingen wie ein Instrument aus der Frieden und Glück verheißenden Zukunft (oder aus der Ewigkeit, was die Celesta bei Mahler ausdrücken sollte).

Der vierte Satz mit seinem mächtigen Crescendo zu Beginn und dem rabiaten Start der Stretta begeistert. Die Streicher klingen enorm leicht und locker, flink, sozusagen, trotz des wilden Tempos, während sie aber trotzdem einiges zum Biss dieser Passage beizutragen haben. Der Mittelteil hält die Spannung, auch während der eher lyrischen Passagen der Rückerinnerung, wirkt an den anderen Stellen im Ausdruck ungehemmt. Bei Zi. 131 setzt das Schlagzeug minimal vor dem übrigen Orchester ein, was aber während einer so spannenden Aufführung kaum jemand aufgefallen sein dürfte und auch als Konserve gehört nicht ins Gewicht fällt. Der Klang des Orchesters ist auch bei höchster Lautstärke und trotz des angeblich unzulänglichen Konzertsaals immer noch faszinierend klar und geschlossen. Das Finale wird nicht schneller, verbreitert sich aber auch nicht wie z.B. bei Kurt Sanderling. Die Gran Cassa könnte noch wuchtiger klingen, laut Rostropwitsch stehen die für die Hammerschläge, die die Sargnägel einschlagen. Am Ende brandet ein für Münchner Verhältnisse ungewöhnlich heftiger Jubel auf.

Der Klang der Einspielung wirkt viel präsenter als bei EMI aus Wien, aber infolgedessen auch weniger weiträumig und kompakter. Es fehlt aber weder an Deutlichkeit noch an Brillanz. Die Tiefenstaffelung wirkt zurückhaltender. Die Dynamik ist in Ordnung, hätte jedoch noch ausladender ausfallen dürfen, um das Live-Erlebnis noch realistischer werden zu lassen. Der Gesamtklang ist dieses Mal weder üppig noch füllig sondern wirkt vornehmlich straff.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten in der Liste

 

______________________________________________________________________________

 

5

Yutaka Sado

Berliner Philharmoniker

Avex Classics

2011, Live

17:35  5:38  15:10  11:24  49:47

 

Diese Benefiz-Produktion entstand anlässlich eines Konzertes zugunsten der Opfer der Tsunami-, Erbeben und Atomkraftwerks-Havarie in Japan 2011 in Berlin. Zuerst als Video bzw. Blu-Ray erschienen wurde zumindest in Japan, wo sich der Dirigent einer besonderen Popularität erfreut, auch eine CD produziert, die wir hören konnten. Dass Yutaka Sado ein ehemaliger Assistent von Leonard Bernstein ist und er von seinem Lehrer besondere Inspiration erfuhr, merkt man dieser Einspielung durchaus an. Man kann jedoch ebenso schreiben, dass sie gleichfalls geprägt wird von einem Orchester, das sich nicht nur in monetärer Hinsicht „spendabel“ zeigte, indem es auf alle Einnahmen verzichtete, sondern sich auch musikalisch in „Geberlaune“ befand.

So beginnt der Konzertmitschnitt mit einem voll der Komposition entsprechenden typischen Schostakowitsch-Tonfall, der nichts übertreibt, aber auch nichts verharmlost. Anfänglich fällt eigentlich nur das exzellente Spiel des Orchesters und der gar nicht karge aber außerordentlich ernste und unheilvolle Tonfall der Musik auf. So bemerkt man im weiteren Verlauf an der enormen Steigerung und der zugespitzten Durchführung, dass es in der Musik um Leben und Tod gehen muss. Das sehr engagierte Orchester setzt alle Spielanweisungen detailreich um, veredelt aber sämtliche Passagen mit seiner einehmenden Spielfreude und seinem glänzenden Klang, der jedoch überhaupt nicht im Widerspruch mit dem tiefen Ernst des Sujets steht. Selten war der Ton einer Aufnahme so tiefgründig und dunkel, selten hat man die lauten Höhepunkte so durchdringend und wuchtig gehört. Die Soli stehen denen der vorgenannten Einspielung mit Jansons in nichts nach. Der Abgesang dieses Satzes klingt selten so nuanciert wie hier.

Das Spiel im zweiten Satz gefällt noch besser als das in München. Bissig, fast fratzenhaft und außerordentlich pointiert klingen die Berliner hier. Die Besonderheiten des Satzes werden sehr gut herausgearbeitet. Sehr gut im Gedächtnis bleibt das Solo der Violine, das in diesem Vergleich einem Gipfel an Scheinheiligkeit entspricht. Selten wurde eine gespielte, übertriebene Freundlichkeit mittels sentimentaler Verführungskunst einmal so deutlich gemacht. Ein Kabinettstückchen, an das die Flöte danach nicht herankommen kann. Auch die anderen Soli sind fast schon magisch gelungen und von der Klangtechnik besonders deutlich und plastisch gemacht, erscheinen aber nicht mittels übertriebener Blow-Up-Einstellungen ins showhafte vergrößert.

Trotz der Live-Technik könnte man im dritten Satz die sprichwörtliche Nadel fallen hören. Die Spannung knistert. Die zart und warm angestimmten Soli der Oboe verdienen es besonders erwähnt zu werden, sind aber doch nur prima inter pares. Unverständlich bleibt jedoch, warum der Spieler sein letztes Viertel zu lange spielt. Das Xylophon kommt hier gebührend zur Geltung. Anders als z.B. Berglund , der die Sextolen der Klarinette deutlich herausstellt und vor allem die viertel Pause sehr gut hören lässt, klingt es wie bei den allermeisten wie auch bei Sado wie ein Tremolo. Die Streicher spielen sehr ausdrucksvoll und mit irisierender Klangschönheit, kommen aber (natürlich) nicht an die unerreichte Intensität der Streicher der Moskauer Philharmoniker unter Kondrashin heran, die hier spielen, als ginge es um ihr eignes Leben. Auch das Zusammenspiel von Celesta und Harfe (absolut synchron) wird von der Technik aufmerksam und subtil hervorgeheben.

Der vierte Satz gelingt mit nachhaltig gesteigertem, furiosem Steigerungsverlauf mit blendender Virtuosität hingelegt, aber doch nie äußerlich.  Bei Zi. 111 wird das fff voll mit der ganzen klanglichen Substanz und der Perfektion des Top-Orchesters ausgereizt. Schade, dass das Tam-Tam (ffff) nie mehr den Charakter eines voll einschlagenden Blitzes (gemeinsam mit dem Schlag der Gran Cassa) bekommt wie in der Stockholmer Aufnahme mit Ahronovitch. Da muss man sich Stöpsel in die Ohren stecken und mit der ganzen Kraft, die der Körper hergibt draufhauen, sonst wird das nichts. Aber das hilft natürlich auch nicht viel, wenn in der Nähe kein geeignetes Mikro steht. Hier reicht es immerhin für einen zweiten Platz. Die Klangtechnik bringt dafür aber auch im vierten Satz die Harfe besonders gut zu Gehör. Überhaupt macht sie einen sehr werkkundigen und aufmerksamen Eindruck. Pauke und Gran Cassa am Ende werden ebenfalls sehr gut eingefangen. Am Ende folgt Sado übrigens eher dem Bernstein von 1979 als dem von 1959: Er nimmt das Finale nicht als Geschwindmarsch, sondern setzt uns langsameren Qualen aus, die erst mit den fulminanten Schlägen der Gran Cassa beendet werden.

Der Klang der Aufnahme ist offen und plastisch, sehr transparent und sehr präsent. Als Hörer:in hat man einen richtigen Erlebnisplatz erwischt. Dafür wirkt der Klang nicht übermäßig weiträumig. Die Dynamik ist gerade gegenüber den anderen neueren Aufnahmen von Jansons oder Shani als sehr dynamisch zu bezeichnen.

 

______________________________________________________________________

 

 

 

4-5

Dmitri Kitajenko

Gürzenich Orchester Köln

Capriccio

2005

16:21  5:28  14:24  11:31   47:44

 

SACD Das sich in ausgezeichneter Verfassung spielende Orchester präsentiert den Beginn der Sinfonie in düsteren Farben. Dass es auch zu ausgesprochen leuchtenden Farben imstande ist, zeigt der weitere Verlauf. Der Dirigent setzt das üppige Spiel stets idiomatisch ein. Die Holzbläser agieren so subtil wie ausdrucksvoll, ebenso die Hörner. Die Streicher klingen voll, sonor und rund. Die Darstellung ist spannend von Anfang bis zum Ende. Um es gleich zu erwähnen: Die ausgezeichnete Klangqualität zeigt ein realitätsnahes, großzügiges, gut gestaffeltes, klangfarbenprächtiges Orchesterpanorama mit sehr guter Dynamik und trägt maßgeblich dazu bei, dass das innerstädtische Duell mit dem Sinfonieorchester des WDR diesmal zugunsten des Gürzenich Orchesters ausfällt.

Doch nun zurück zur Darstellung. Die Temponahme wirkt im 1. Satz ausgesprochen getragen, das Klavier, ebenso wie das Xylophon werden gut herausgearbeitet und klingen natürlich. Die Durchführung ist spannend, gar mächtig aufgeheizt und von hoher Dramatik, alles wirkt souverän realisiert. Bei Zi. 38 largamente hören wir ein echtes fff. Im a tempo con tutta forza, wo die Orchester Farbe bekennen müssen, hört man endlich auch einmal das Tam - Tam in der richtigen Lautstärke.

Der 2. Satz erscheint teilweise plump und tapsig, teilweise derb und brutal, ohne die brenzlige Stimmung eines Svetlanov (Moskau). Elegant tanzen kann hier niemand, die Dynamik ist voll ausgereizt, das Spiel lässt aber die letzte Schärfe vermissen. Die Soli sind davon abgesehen jedoch exzellent und stimmungsvoll.

Der 3. Satz wird allen Facetten der Trauer, Klage und Anklage bis in die Extreme hinein gerecht. Besonders auch die „transzendenten“ Passagen gelingen vorzüglich, am Ende scheint jeder Ballast abgefallen zu sein. Vielleicht durch die Zuflucht in die Vergangenheit oder eine andere Welt (siehe Einleitung).

Der 4. Satz beginnt mit einer ausgesprochen differenzierten Gestaltung der aber auch mit Vehemenz aufgeladenen Steigerung von f bis fff alleine im ersten Takt! Kitajenko zieht seine Beschleunigungen in die Breite, aber nur um dann an Zi. 105 an Vehemenz zuzulegen und wenig später die volle Geschwindigkeit zu erreichen, genau wie es von DSCH wohl gedacht war (partiturgemäß). Insgesamt waren diese Passagen jedoch schon zugespitzter zu hören. Bei Zi. 133 poco animato hört man eine ausgesprochen tiefe und wuchtige Gran Cassa. Obwohl Kitajenkos Tempi in allen Sätzen eher maßvoll ausfielen, nimmt er die berüchtigte Coda deutlich schneller als alle seine Landsmänner.

Kitajenkos Einspielung ist ausgesprochen klangschön, intensiv und souverän gestaltet und zeugt von großem Verständnis gegenüber der Komposition. Der Klang genügt auch audiophilen Ansprüchen. Lediglich die allerletzte Zuspitzung fehlt.

Aus einer GA aller Sinfonien mit Kitajenko und dem Gürzenich Orchester.

 

________________________________________________________________________________

 

4-5

Yuri Temirkanov

St. Petersburger Philharmoniker

RCA

a) 1995

16:27  4:57  12:46  10:25   44:35

 

b) 2005 LIVE in Birmingham

17:08  4:50  13:47  11:00   46:45

 

Temirkanov, der die Lenigrader Philharmoniker von 1988 an von Mravinsky als Chefdirigent übernommen hat, spielte die Sinfonie mindestens zwei Mal ein. 1995 ohne Publikum in St. Petersburg (wie Leningrad unterdessen wieder genannt wurde) und 2005 anlässlich einer Tournee in Birmingham, während nur eines Konzertes. Die neuere Aufnahme ist erheblich präsenter, wovon vor allem die nun hautnah klingenden Holzbläser profitieren, auch die Bässe klingen hier sehr gut durchgezeichnet. Die 1995er  klingt dafür weiträumiger aber auch entfernter, aber sehr dynamisch und besser gestaffelt. Das Orchester spielt übrigens immer noch in der Aufstellung, die bereits von Mravinsky bekannt ist, mit den Celli und Bässen hinter den 1. Violinen, während ihnen die 2. Violinen und Violen gegenüber sitzen. Das Orchester selbst hat generell an Klangschönheit deutlich gewonnen, was auch für die solistischen Leistungen der Holzbläser gilt.

Die Lesart Temirkanovs hat sich in den zehn Jahren kaum verändert, lediglich im 1. Satz erschien dem Verfasser die Aufnahme von 1995 einen Hauch dramatischer, die Klarheit etwas größer zu sein. Beiden Versionen gemein ist die beeindruckende Intensität der Darstellung. Das Orchester agiert sehr präzise erreicht in Punkto Zuspitzung während der Durchführung nicht ganz  die Meilensteine der Moskauer oder von Mravinsky, von der Live Aufnahme Stokowskis ganz zu schweigen. Jedoch ist u.a. der schrille Einsatz des Piccolos zu loben, die bei allen Turbulenzen leichtfüßige Art des Spiels oder das präsente, mit starkem Zugriff intonierende Klavier.

Im 2. Satz überzeugen der beherzte, rhythmische Zugriff ebenso wie das pointierte Spiel (Staccato des Fagott, Pizzicato der Streicher) und das klar durchgezogene straffe Tempo. Der Satz erscheint spannend, aber weniger subversiv.

Im 3. Satz erfreuen die gegenüber den Mravinsky Aufnahmen deutlich besseren solistischen Leistungen besonders. Klangschön differenziert und einfühlsam aber auch aufgewühlt und Trauer und Tragik gut herausarbeitend erklingt er. Zudem klar und unverfälscht.

Der 4. Satz beginnt mit einer virtuosen Stretta, 1995 etwas straffer als 2005. Der Spannungsbogen wird bis zum Ende ununterbrochen gehalten. Hervorzuheben sind die bestens differenzierten tiefen Streicher, die entsprechend gut zur Geltung kommen. Mit Schönspiel halten sich die St. Petersburger auch während der leisen, besinnlichen Teile (Reminiszenzen aus dem 1. und 3. Satz) nicht auf. Kleiner Einwand: Das ritardando vor der Coda wird in der Live-Aufnahme kaum spürbar, deshalb zeigen die Trompeten bei den nicht enden wollenden Hymnen der hier wieder langsam genommenen Coda aber ein bewundernswertes Durchsetzungs- und Standvermögen. Diese Interpretationen sind musikantisch, detailreich und ausdrucksvoll.

Weniger perfekt aber spontaner wirkt hier die Live - Version. Tosender Applaus in Birmingham.

 

________________________________________________________________________________

 

4-5

Charles Mackerras

Royal Philharmonic Orchestra

Membran u.v.a.

1994

16:04  5:06  13:48  11:20   46:18

 

SACD  Dass sich Charles Mackerras als einer der besten Sachverwalter der 5. Sinfonie erweist, war für den Verfasser eine Überraschung. War doch mit ihm keine einzige weitere Aufnahme einer Schostakowitsch Sinfonie weit und breit zu finden. Gleich im ersten Satz trifft er die Stimmung genau, trifft den Ton zwischen Resignation, Isolation, Verlorensein in besonderer Weise. Partiturtreue ist für ihn der Schlüssel und ein hellwaches ausdrucksvolles, präzises und intensives Spiel des Orchesters unterstützt ihn dabei. Der Klang spielt auch mit: Er gewährt einen hohen dynamischen Ambitus, sehr gute Transparenz und Staffelung der Gruppen und eine angenehme Präsenz. So werden die besonderen Instrumente Klavier und Xylophon gut herausgestellt, die Entwicklungen werden stringent verfolgt und zu wilden Eruptionen geführt. Der oft verschliffene Unterschied zwischen ff und fff gelingt sehr gut. Er macht ja den Unterschied aus, ob eine Entäußerung erfahrbar wird. Gutes Beispiel ist die Stelle a tempo con tutta forza, obwohl hier in erster Linie die Posaunen gefordert sind: Beim RPO und Mackerras herausragend intensiv.

Auch der 2. Satz zeigt Dirigent und Orchester in Topp - Form. Das höchst kontrastreiche Spiel meidet die Extreme keineswegs. Das Violinsolo ist sehr gelungen. Man vernimmt spontan die Geste hinter den Figuren und Motiven. Den Unterschied zwischen hohlem und gespreiztem Getuschel. Die Vorgaben des Komponisten werden voll und ganz umgesetzt. Partiturgenau und ziemlich wild. Die Hörner und das komplette Blech spielen toll.

Der 3. Satz lässt die Gedanken frei fliegen, wobei der weitestgehende Verzicht auf Vibrato bei den Holzbläsern förderlich ist. Die beeindruckenden Steigerungen werden unter Hochspannung gesetzt. Die Celli geben alles bei ihrer Cantilene ohne Legato. Es wird die richtige Balance gefunden zwischen inniger Trauer und mächtiger Klage.

Auch der 4. Satz überzeugt. Die Steigerung im ersten Takt von f nach fff ist einfach klasse differenziert, man hört jede instrumentale Spielanweisung, und es gibt davon je Instrumentengruppe verschiedene. Die Tempoangaben werden perfekt umgesetzt. Mit einer Beschleunigung bis ins Rasende. Das Blech ist präsent und schreit die Einsätze, wenn angebracht, bisweilen geradezu heraus. Die Pauke wird wirklich wild geschlagen, wenngleich die zwanghafte, manische, wie fremdgesteuert wirkende Direktheit von Roshdestwensky nicht erreicht wird. Das ritardando vor der Coda wirkt durch die extreme Verlangsamung bis fast zum Stillstand ungewohnt und überraschend. Zi. 128 – 131 bieten äußerste Kraftentfaltung. Die Coda selbst ist langsam. Die hier extrem wichtige Gran Cassa ist gut, aber nicht übermächtig, was für das Verständnis noch förderlicher wäre. Sicher ist bei Mackerras aber nichts dem Zufall überlassen und der hier nur mäßige Zugriff wird seinen Sinn haben, dem Blech wird hier nämlich im Gegensatz zur Gran Cassa jede Zurückhaltung untersagt...

Die Aufnahme war die positive Überraschung des Vergleichs, zumal sie unter vielen verschiedenen Labels segelt und zumeist im untersten Preissegment zu finden ist.

 

___________________________________________________________________________

 

4-5

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montreal

Decca

1994

16:04  5:22  16:06  10:43   47:15

 

Auch Dutoits Aufnahme überzeugt. Er kann bei seiner Einspielung auf ein exzellent eingestelltes, diesmal besonders klangschönes Orchester mit hervorragenden Solisten zurückgreifen.  Auch die Technik leistet wertvolle „Schützenhilfe“: Der Klang ist glasklar, farbig, hier aber eher pastellen, weich, volltönend und dynamisch. Überraschend für diesen Interpreten ist die ziemlich schonungslose emotionale Direktheit mit der auch die Passagen der Beklemmung herausgestellt werden. Ganz tief gelegene Emotionen scheinen jedoch nur von den Dirigenten und Orchester, die in der 5er Kategorie gelandet sind, der Musik unterschwellig mitgegeben zu werden. Fassungslose Verzweiflung, schrille Aggression oder fieser Sarkasmus muss man wohl persönlich miterlebt haben.

Dutoit setzt dem ein sehr hohes Maß an Spielkultur entgegen. Ab T. 5 scheint ihm die Punktierung der tiefen Streicher jedoch zu entgehen. Die ersten Violinen leuchten dafür glanzvoll ihre Themen aus. Auch die Flöte zeigt ihr schönstes Spiel. Das Klavier wird nicht als Schlagzeug gesehen, sondern ist ebenfalls weich, rund und außerdem viel zu leise. Das poco stringendo ist Klasse, der Einbruch der Durchführung mit der Militärtrommel ist gut, fff gelingen glaubwürdig. Hier ist es vor allem der Schluss des Satzes, von Leichtigkeit und glasklarer Transparenz gekennzeichnet, der einen Ausweg in ätherische Welten zu suggerieren scheint. Die weiteren Sätze zeigen dann, dass das nur ein trügerischer Ausweg ist.

Beim 2. Satz kommt die Groteske mit doppeltem Boden gut zur Geltung. Die ausgezeichneten Holzbläser, bei deren Spiel es eine Freude ist zuzuhören, tragen dazu wesentlich bei. Die Hörner und das Blech könnten das ausgelassene Tänzchen aber noch drastischer stören. Ein tolles Konzert für Orchester ist dieser Satz aber allemal. So tönt es mal mit aggressivem Unterton, mal nach melancholischem Mahler.

Der 3. Satz erhält einen geminderten Trauer - Charakter durch die leichte Diktion. Die brillanten Soli des Holzes und ihre ausdrucksvolle Phrasierung begeistern hingegen. Die hellen und freundlich wirkenden Streicher klingen fast zu schön, um die Klage und Anklage noch glaubhaft machen zu können. Das bemerkt der Hörer aber nur, wenn er intensiv vergleicht. Harfe und Celesta klingen wunderschön.

Der 4. Satz hingegen gelingt äußerst kraftvoll, mit zugespitztem Verlauf. Bei Zi. 111 werden Piatti und Tam - Tam außergewöhnlich gut zur Geltung gebracht. Die Gran Cassa klingt tief, fest und wuchtig, strahlende Trompeten führen zum finalen Höhepunkt bis die Gran Cassa alles kurz und klein schlägt und das gesamte Orchester zum verstummen bringt.

 

______________________________________________________________________________________

 

4-5

Leopold Stokowski

Stadium Symphony Orchestra of New York (New York Philharmonic Orchestra)

Everest, Prominence Records

1958

16:02  4:48  12:30  10:50   44:10

 

In der älteren Studioaufnahme unterlässt der Maestro die beiden Retuschen (das Glissando beim Dezimschritt der 1. Violinen im 1. Satz und der Tam - Tam Einsatz ganz am Ende des 4. Satzes). Diese Einspielung erfolgte quasi in Reinschrift und somit auch partiturgenauer. Auf klangschönes, sauberes Spiel des Orchesters wird höchsten Wert gelegt. Das spontan wirkende, stupende und bis zum Anschlag emotional aufgeheizte Spiel des LSO im Live-Mitschnitt sucht der Hörer hier vergebens. Trotzdem ist dies eine hochkarätige Einspielung geworden. Das Spiel der New Yorker ist sauber, ausziselierter und leider bei den Soli mit mehr Vibrato versehen, eine Unart, die viele Orchester vor allem die Flötengruppe, lange mit sich herumschleppte. Damals war das wahrscheinlich durchaus noch „State of the art“. Was aber besonders erfreut ist die genaue Sicht auf die Bässe, meist ein untrügliches Zeichen für gewissenhafte Probenarbeit.

Der 2. Satz ist wunderbar drastisch. Der 3. Satz emotional zurückhaltender, ohne in irgendeiner Form sachlich zu wirken. Ist das Klavier ab T. 120 ziemlich zurückhaltend, so kommt das Xylophon durchaus zu seinem Recht.

Im 4. Satz ist die Pauke zu gedämpft und zu weich geschlagen hier wäre mehr Kraft und härtere Schlägel angemessener gewesen (der Londoner Kollege machte es viel besser). Der Satz beginnt in einem gemäßigten, vorsichtigeren Tempo. Im Verlauf wird es dann draufgängerischer. Ab Zi. 121 ist die Pauke dann doch hart und präsent zu hören. Das molto ritardando leitet hier eine gemäßigt langsame Coda ein. Im Ganzen ist dies eine partiturgenaue, (gegenüber London 1964) im Feuer reduzierte Wiedergabe, die immer noch überzeugt.

Der Klang ist hingegen viel besser als 1964: Ausgesprochen klar, weiträumig, frisch und dynamisch mit einer natürlich anmutenden Raumausleuchtung. Insgesamt mit einem ausgezeichneten, farbigem Gesamtklang, dem man audiophile Attribute zusprechen muss.

 

___________________________________________________________________________________

 

4-5

Dmitri Mitropoulos

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1952

16:43  5:07  14:25  8:42   44:57

 

MONO  Man sollte sich vom Alter der Aufnahme nicht täuschen lassen. Mitropoulos und sein Orchester legen die Stimmverläufe klar und scharf geschnitten offen, sodass man die gewissenhafte Phrasierung des Orchesters genauestens verfolgen kann. Nichts scheint zu fehlen, außer einer gut durchgezeichneten Basslinie und einem richtig lauten Tam - Tam. Um es vorwegzunehmen: Auch die Gran Cassa im 4. Satz ist nicht körperlich spürbar, was in diesem Fall ein echtes Manko darstellt, kommt ihr doch eine ganz besondere Bedeutung zu. Im 1. Satz kommen Klavier und Xylophon jedoch gut durch. Die Durchführung ist auch auf besondere Weise aufgeheizt. Das a tempo con tutta forza verliert an Effekt wegen der mangelnden dynamischen Potenz der damaligen Aufnahmetechnik. Die Solisten des Orchesters sind hingegen sehr gut.

Der 2. Satz ist hervorragend gestaltet und erhält etwas zirkus- oder varietéehaftes. Die Militärtrommel wird deutlich hervorgehoben, dem Violinsolo wird jede Cantabilität verweigert. Die Tanzbewegungen sind pointiert und wirken natürlich absichtlich gestelzt und unbeholfen. Besonders gut gefallen die ihre Beiträge rücksichtslos „herausposaunenden“ Hörner.

Der 3. Satz ist ausdrucksvoll und spannend. Auch hier gehen die Ausführenden bis an ihre Grenzen.

Der 4. Satz kommt mit seiner einkomponierten deplazierten Stretta hier nur langsam ins Rollen. Zi. 111 mit großer Heftigkeit. Danach ab Zi. 113 im ruhigeren Mitteleteil, hält Mitropoulos die Spannung aufrecht indem er ein ungewohnt schnelles Tempo einschlägt und die Phrasierung intensiviert. So erhalten die Erinnerungen an die Gefühlswelten des 1. und 3. Satzes brennende Aktualität und verlieren das Rückwärtsgewandte, oft auch mit einem Spannungsabfall einhergehende, das viele andere, mindere Interpretationen hier kennzeichnet. Die Coda (hier ziemlich schnell) lässt die New Yorker Blechbläser mit herausragender Strahlkraft hören.

Es darf vermutet werden, dass Bernsteins Darstellung auf genauer Kenntnis dieser Interpretation fußt, sind sich die beiden Musiker doch auch persönlich begegnet, zuerst als Freunde später dann als Konkurrenten um denselben Posten. Es ist auch bekannt, dass Bernstein (damals noch eher als Musical – Komponist bekannt) und ebenfalls in New York lebend, Konzerte der New Yorker mit Mitropoulos besucht hat. Gerne hätte man einmal Mitropoulos` Interpretation in der weitaus moderneren Klangtechnik Bernsteins gehört.

Der Klang dieser Aufnahme ist sehr gut vom Rauschen befreit worden, aber etwas scharf und dynamisch begrenzt, etwas mulmig aber wie bereits erwähnt, trotz Mono, erstaunlich transparent. Gegenüber den etwa gleich alten Versionen von Rodzinski und Golschmann wirkt der Klang etwas strahlender.

 

_________________________________________________________________________________

 

4-5

Stanislav Strowaczewski

Minneapolis Symphony Orchestra (heute Minnesota Orchestra)

Mercury

1961

14:13  5:13  13:34  9:16   42:16

 

Durch die hautnahe Präsenz insbesondere der Streicher, aufgenommen ohne hörbare Informationen über die Beschaffenheit des Aufnahmeraumes, kommt der Hörer bei dieser Darbietung in den Genuss der Dirigentenperspektive. Es klingt sehr trocken und rauscht vernehmlich. Mit durch diesen Klang verursacht bekommt das Orchesterspiel einen unmittelbaren, lebendigen Charakter. Verstärkt durch das leicht mechanisch wirkende Tempo und den eher dünnen und scharfen Klang der Violinen wirkt die Klanglandschaft zu Beginn eher spröde und karg. Eine sehr interessante Abwandlung des sonst meist zu hörenden schwebenden, verklärenden Schönklangs. Die Binnenstreicher, besonders die Violen, werden durch die Nähe übrigens deutlich aufgewertet und sehr gut im Stimmenverlauf verfolgbar. Stringendo und animato, solche Anweisungen nimmt Strowaczewski wörtlich, sodass sich eine sehr leidenschaftliche Interpretation entwickelt, die Durchführung erreicht große Vehemenz. Das damals nicht zu den Besten gehörende Orchester spielt mit aufopferungsvoller Einsatzbereitschaft. Auffallend ist , dass bei largamente regelrecht flott gespielt wird und  das a tempo con tutta forza seltsam leichtgewichtig, fast flüchtig intoniert wird. Vielleicht war wegen des schnellen Tempos nicht mehr Nachdruck drin?

Im 2. Satz spielen die Holzbläser dann wie auf dem Präsentierteller. Auch das Blech tönt beweglich, zu keiner Phase massiv, trotzdem derb zupackend. Hervorzuheben ist hier das in bestem staccato spielende Fagott, das trotzdem bei einem echten und vorgegebenen p bleibt. Die meisten Kollegen nutzen hier den vollen Klang zumindest eines mf. Der Satz klingt hier wunderbar kammermusikalisch und staubtrocken.

Im 3. Satz vermisst man den Glanz der Violinen dann doch etwas. Man bekommt zum Ausgleich beste Durchleuchtung des Streichersatzes und echtes piano - Spiel, was auch für die Holzbläser gilt. Leider machen die wabernde Flöte und auch die spitz und kläglich klingende Oboe einen schönen gemeinsamen Bläserklang aber kaputt. Die Celli ab Zi. 90 spielen ihre Cantilene ohne Legato leider viel zu leise. Da fehlte damals noch das Stützmikrophon.

Im 4. Satz bekommt man es mit dann wieder mit einer echten „Galeerenpauke“ zu tun. Die Violinen sind nicht immer ganz sauber, was bei dem Wahnsinnstempo, das Strowaczewski anschlägt, nicht unbedingt verwundert.  Das molto ritardando ist spannend, Zi. 110 ist wunderbar bissig gelungen, Zi. 111 durch das ungeheuere Tempo dagegen etwas flüchtig, gerade so, als ob man eben auf der Flucht wäre. Die Trompeten und Posaunen antipizieren den russischen Klang. Die Coda ist sehr schnell.

Dieser Schostakowitsch ist pur und quasi „extra dry“, bietet aber doch auch noch einiges an Zwischentönen.

▼ weitere Aufnahmen desselben Dirigenten in der Liste

 

_______________________________________________________________________________

 

4-5

Jewgeni Mravinsky

Lenigrader Philharmoniker

JVC - Melodija

1978 LIVE in Wien

14:35  5:00  12:26  10:20   42:21

 

Dieser Mitschnitt zeigt auf eindringliche Weise, wie die Aufnahmetechnik Einfluss auf die musikalische Interpretation nimmt. Die Leningrader haben die 5. Schostakowitschs wahrscheinlich häufiger gespielt als jedes andere Orchester. Man kann davon ausgehen, dass es die Komposition nahezu auswendig spielen konnte, zumal Mravinsky trotzdem immer wieder ausgiebig proben ließ, um die gewünschte Perfektion zu erreichen. Wie Toscanini und einige andere war er als ein Diktator unter den Dirigenten durchaus bekannt. Da er aber fast nur die Leningrader dirigierte, blieben andere Orchester weitgehend verschont.

Der Klang dieser Aufnahme aus dem Musikverein Wien ist differenzierter, räumlicher, wärmer, leuchtkräftiger und abgerundeter als die der beiden anderen Mitschnitte. Jedoch wird das gesamte Orchester vom Hörer weggerückt und zudem noch dynamisch stark nivelliert. Eine fast flau zu nennende Dynamik ist für das Verständnis der Sinfonien des DSCH kontraproduktiv. Das macht sich bei Stellen wie a tempo con tutta forza im 1. Satz natürlich besonders bemerkbar.  So wirkt sie gegenüber dem Mitschnitt aus Leningrad fast übergangen. Auch Svetlanov (Moskau) und Stokowski (London, um nur zwei zu nennen) erreichen hier viel mehr. Dabei spielen die Leningrader sicher auch in Wien ihren besten Schostakowitsch. Man merkt es unter anderem bei Zi. 22 Allegro non troppo wo das Orchester unerbittlich nach vorne prescht. Ein weiteres Eingehen auf Feinheiten der Darstellung kann man sich daher eigentlich sparen. Deshalb sollte die Klassifizierung hier als arithmetische Mittel verstanden werden, gebildet aus Interpretation und Klang.  

Ebenso deutlich, aber wiederum auf andere Weise, nimmt der Klang des Moskauer Live - Mitschnittes der Lenigrader Philharmoniker Einfluss auf die Rezeption der Darstellung, davon unten mehr.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten

 

____________________________________________________________________________________

 

4-5

Jewgeni Svetlanov

London Symphony Orchestra

BBC Legends

1978 LIVE

15:42  4:52  12:45  9:55   43:14

 

Obwohl die Spielzeiten dieses im gleichen Jahr wie die Moskauer Aufnahme entstandenen Mitschnittes durchweg kürzer ausfallen fällt die Exposition des 1. Satzes nun lange nicht so spannend aus. Dem Orchester merkt man durchaus kleine Unsicherheiten an. Unter Stokowski 14 Jahre zuvor, klang es deutlich souveräner. Die Durchführung gelingt dann aber packend, wobei das nun schon oft als Gradmesser für entäußerte Vehemenz zitierte a tempo con tutta forza bei weitem weder an die Londoner mit Stokowski noch an die Moskauer mit Svetlanov selbst herankommt. Sehr gut dann wieder das glissando von Violinen und Violen in T. 308. In den Umrissen ist dieser Mitschnitt der Moskauer Aufnahme schon ähnlich (und immer noch hochklassig), aber es fehlt ihr im Vergleich an Zwischentönen und an der in diesem Bereich herausragenden expressionistischen Eindringlichkeit. Die nivellierende Technik trägt ihren Teil dazu bei.

Auch im 2. Satz ist die Interpretation im Vergleich zum Gros der anderen mehr als grundsolide zu nennen, vom eigenen Grad der Zuspitzung ist Svetlanov hier deutlich entfernt.

Der 3. Satz wird stringent und klar durchgezogen. Die längere Spielzeit konnte das Akademische Staatsorchester in Moskau aber mit einem Plus an ergreifender Expressivität füllen. Es ist vielleicht so, dass es ebenso wichtig ist, dass auch das Orchester von den Lebensumständen betroffen war, in der die Sinfonie entstanden ist, wie der Dirigent?

Der 4. Satz läuft ab wie ein Geschwindmarsch, der sich selbst ad absurdum führt. Zum Marschieren viel zu schnell, da kämen sogar die Eliteeinheiten nicht mehr mit. Danach herrscht hier fast Stillstand, als ob es nicht mehr weitergehen könnte. Die Coda ist langsam und das Gegenteil von triumphal. Hier kommt die Gran Cassa viel besser als in Moskau zur Geltung, sie wirkt dann überzeugend als der alles (auch das tosende Blech) niederschmetternde Knüppel.

Die Aufnahme zeigt eine recht trockene Akustik, klingt relativ kompakt und lange nicht so offen und dynamisch (wenn man von der Gran Cassa einmal absieht) wie die gleich alte Moskauer Aufnahme. Die Publikumsgeräusche sind dezent.

 

________________________________________________________________________________________

 

4-5

Yuri Simonov

Moskauer Philharmoniker

Russian Music Society

AD: ?

14:44  4:45  13:26  10:20   43:15

 

MONO Da der Verfasser nirgendwo ein AD zu dieser Aufnahme fand, wurde auch noch eine Schätzung durch seltsame Eigenschaften erschwert. Dem Rauschen nach, denkt man an die 60er, bei der beträchtlichen Dynamik eher an die 80er oder 90er Jahre und dann klingt es auch noch Mono? Der Klang ist zudem präsent, dynamisch und bassstark, wenn die Bässe thematisch gefordert sind.

Der Dirigent war in seinen frühen Jahren Assistent von Mravinsky und ist der Leiter der Moskauer Philharmoniker mittlerweile seit 1998. Das Orchester bringt auch alles mit für den typischen Schostakowitsch - Klang und es klingt auch alles sehr motiviert. Die Durchführung ist extrem zugespitzt. Der Einbruch der Militärtrommel im Marsch ist hier heftig und gewalttätig. Das Blech klingt hier immer wieder eruptiv und durchdringend Das Schlagwerk kommt - wahrscheinlich aufnahmebedingt - nicht so gut durch. Auch den tadellosen Holzbläsern merkt man an, dass das Orchester seinen DSCH auf dem „FF“ beherrscht.

Der 2. Satz ist pointiert, zugespitzt, ebenso wuchtig wie grell und schrill. Die Trompeten scheinen dem Hörer direkt ins Ohr zu blasen. Sehr gelungen.

Der 3. Satz profitiert von einem extrem hohen Aufsprechpegel. Er gelingt extrem aufgewühlt.

Der 4. Satz mit einer brisanten Stretta zu Beginn, der es auch im Verlauf nicht an Wildheit mangelt. Die Coda wird langsam genommen. Eine typisch russische, besser noch Moskauer Darstellung im Gefolge von Svetlanov und Kondrashin, allerdings mittels einer merkwürdigen Aufnahmetechnik präsentiert. Schade, denn die Darstellung hätte einen seriösen, hochkarätigen Klang verdient gehabt.

 

___________________________________________________________________________________

 

4-5

Witold Rowicki

Sinfonieorchester der Warschauer Philharmonie

DG

1959

16:18  4:46  15:25  10:05   46:35

 

Die Sinfonie beginnt hier wie vom Schlag getroffen. Das Orchester klingt trotz des Remaster etwas hart, was die hier evozierte Stimmung, die man als klaustrophop bezeichnen kann, durchaus noch befördert. Obwohl das Orchester nicht zu den allerbesten gehört (Klavier und Bässe laufen während ihres gemeinsamen Einsatzes ziemlich auseinander Zi. 17, die Oboe ist extrem hart und auch noch spitz, die Hörner sind durchgängig zu schwach und auch relativ schmal im Klang und irgendwie immer kurz angebunden), ist schon die Exposition eindrucksvoll gezeichnet. Das animato ist hellwach, das Xylophon glasklar herausgestellt. Der Militäreinbruch (Gewalt)  (Zi. 27) ist marzialisch geschärft, die Durchführung schmerzlich gesteigert. Das largamente wir nur so herausgeschrien mit aller Kraft. Auch beim a tempo con tutta forza wird ernst gemacht.

Auch im 2. Satz irritieren die schwachen Hörner, die Violinen deuten ihr glissando allenfalls an. Andererseits werden die Holzbläser hervorragend in Szene gesetzt. Bei Z. 59 klingt es nach einer wie automatisch ablaufenen Spieluhr. Bei Zi. 61 rabiat. Das Tempo wird relativ flexibel gehandhabt. Der Duktus ist geschärft, bisweilen rasant, kraftvoll, unerbittlich, wie auf dem Sprung hart und Gefahr andeutend. Grosses Lob.

Der 3. Satz leidet etwas unter der bei stärkerer Lautstärke mangelnden Durchhörbarkeit. Das sfff der Kontrabässe ist viel zu leise, die Celesta am Ende erhält ein zuviel an Vibrato, was auch für die 2. Flöte gilt (viiiiiiel zuviel), während die 1. Flöte makellos intoniert (!).

Auch im 4. Satz wird komplett auf schönfärberisches Spiel verzichtet, man ist wieder mit aller Härte am Werk, aber auch etwas spröde im Klang. Das Xylophon ist erneut bestens in Szene gesetzt. Bei Zi. 111 ist ein gutes fff zu hören, der gequälten Seele wird im Anschluss eindrücklich Gehör verschafft. Die Pauken werden hier mit harten Schlegel geschlagen, zudem extrem kurz, die Militärtrommel bekommt ebenfalls zusätzlichen Drill. Ab Zi. 121 geht es außerordentlich schnell und zackig weiter. Ab Zi. 131 (die Coda) zusätzlich noch schrill aber auch etwas ungeordnet, als ob das Orchester die Auflösungserscheinungen hörbar machen wollte (dem Verfasser schien es jedoch mehr nach nachlassender Spielkultur zu klingen, ob der ewigen Wiederholungen). Gran Cassa und Pauke werden der Technik (1959) gemäß gut herausgestellt, sind aber nicht durchdringend oder gar markerschütternd.

Der Klang ist differenziert, recht transparent, offen und dynamisch. Er ist der teilweise fulminanten Darbietung mitunter nicht ganz gewachsen.

 

______________________________________________________________________________________________

 

4-5

Paavo Berglund

Bournemouth Symphony Orchestra

EMI

1975

17:31  5:26  15:52  10:53  49:42

 

Paavo Berglund zieht bei seiner Gestaltung zunächst einen langsamen, beinahe statuarischen Gestus vor. Da geht nichts mehr voran, ist eben auch keine Perspektive da, wie man aus der Situation wieder herauskommen soll: Verzweiflung pur. Es wird dabei innig gespielt. Der Streicherklang ist von sehr guter Qualität, leuchtkräftig, schlank und sehr geschlossen. Das Holz intoniert jedoch noch mit Vibrato (Flöte und Oboe, bei der Klarinette ist es schon viel länger verpönt), aber es hält sich in britisch distinguierten, geschmackvollen Grenzen. Die Hörer können das Gefühl haben, dass das so und nicht anders zu klingen hat, denn es wird mit voller Überzeugung musiziert. Die Tempoveränderungen vollziehen sich nicht nach Gusto, sondern streng gemäß der Partitur. Das Orchester zeigt sich von seiner besten Seite, mit einem perfekten Zusammenspiel und sehr guten Ausdruck. Das Blech hat Biss, das Allegro erhält einige Fulminanz. Die Stelle a Tempo con tutta forza wird dynamisch und mit einigem Eindruck zu hinterlassen vorgetragen. Der Entwicklungsverlauf des ersten Satzes erscheint hervorragend umgesetzt, sowohl inhaltlich als auch spieltechnisch schlüssig.

Der zweite Satz klingt expressiv und pointiert, da hätten vielleicht noch ein paar Funken mehr herausgeschlagen werden können.

Im dritten wird die große Linie betont. Das Spiel ist weder gefühlsreduziert noch kühl, klingt aber auch nicht klanglich überbordend oder gar schwülstig. Man findet einen überzeugenden, glaubwürdigen Mittelweg. Man vernimmt ein konzentriertes und genaues Spiel, bei dem alles genauestens zueinander passt. Auffallend sind die völlig zurecht hervorgehobenen Klarinettensextolen, die im ff erklingen und 17 Takte völlig unverändert andauern. Sie müssen Schostakowitsch besonders wichtig gewesen sein. Meist werden sie jedoch nur wie ein Tremolo behandelt, bei Berglund, der die Pausen besonders hörbar macht, wirken wie widerständig und renitent.

Auch Berglund behandelt den Beginn des vierten Satzes wie eine vorweggenommene Stretta. Mit einer sklaventreibenden Galeerenpauke. Das tempo steigert sich gut, fast bis ins furioso. Das fff wird mit äußerster Kraft gegeben. Der Mittelteil mit seinen Reminiszenzen erklingt trotz zurückgenommener Dynamik sehr expressiv. Auch im Finale schonen sich die Musiker nicht. Mit äußerster Kraft und perkussiver Häret und brachialem Biss des Blechs wird das recht langsame finale angestimmt. Bei aller Virtuosität, die allerdings nicht nach Außen gekehrt wird, fehlt dem Orchester doch der letzte Glanz. Ein lediglich marginaler Mangel.

Der Klang wirkt nur ganz leicht distanziert, dafür jedoch groß und weiträumig. Sehr transparent und gut gestaffelt, sehr sauber und ausgewogen. Zu Schallplattenzeiten gab es sie auch „Quadraphonic“. Die Analogaufnahme lässt kein Rauschen hören.

 

____________________________________________________________________________________

 

4-5

Yuri Ahronovitch

Stockholm Philharmonic Orchestra

BIS

1983

15:04  5:18  15:50  10:26   46:38

 

Diese Aufnahme bedient das Klischee, das man an eine Aufnahme aus dem Norden Europas herantragen könnte. Sie wirkt zunächst kühl,  perfekt durchgearbeitet und emotional eher reserviert. Eigentlich ist das aber eine passende Spielart, die dem Wesen des Werkes durchaus entgegenkommt. Der Dirigent lässt dann aber die 1. Violinen bei ihrer Cantilene sehr schön aus dem bisher vorherrschenden sozialistischen (und emotionalen) Einheitsgrau hervorstrahlen. Mit der emotionalen Reserviertheit ist es dann auch bald vorbei, denn Ahronovitchs Darstellung gewinnt zusehends an Profil und Tiefe. Das stringendo gelingt sehr gut. Die hereinpreschende Militärtrommel (als Synonym für die staatliche Gewaltherrschaft) wird als unerbittliche Maschinerie dargestellt. Es zeigt sich, dass das Orchester nahe an der Perfektion spielt und über klangschöne Holzbläser und sattelfestes Blech verfügt. Leider klingen die Streicher etwas glasig. Die Klangfarben bleiben tatsächlich stets etwas kühl. Herausragend klingen aber das Tam – Tam und später im 4. Satz die Gran Cassa, ohne jede dynamische Begrenzung und  daher voller Vehemenz aber trotzdem den zugewiesenen Platz im Gesamtorchester nicht verlassend. Überhaupt ist die Technik ein großer Pluspunkt dieser Version. Wenn das Orchester auch etwas distanziert klingt, so ist es bestens gestaffelt, hat eine sehr gute Raumtiefe und eine bestechende Transparenz. Zur Weiträumigkeit kommt die exzellente, natürlich wirkende Dynamik. Die Klangfarben sind eher kühl, wie bereits erwähnt.

Der 2. Satz klingt durchaus deftig und prononciert, mit ironischem Glissando beim Violinsolo Zi. 57 und 58. Besonders erwähnenswert: Die schwebend gespielten „Mahler – Einlagen“.

Im 3. Satz herrscht eine ausgesprochen sachliche und klare Tongebung vor, die das hier aufopferungsvolle Spiel von schwelgerischen Zutaten im Übermaß fernhält. Ein Klagegesang auf Schwedisch sozusagen. Auf diese Art  gelingt ein außergewöhnlicher Spagat zwischen der Kälte der Situation und der Wärme der Emotion.

Im 4. Satz reißt vor allem die exzellente Dynamik mit. Leider stört in diesem Satz die leicht hallige Grunddisposition der Aufnahme. In der dynamischen und realistischen Wiedergabe von Piatti (was für ein ffff !) und Tam – Tam kommt bei T.91 keine andere Aufnahme mit. Auch die Pauke und die Gran Cassa überzeugen. Die Coda wird langsam genommen, nachdenklich und mit einer schließlich alles zerschmetternden Gran Cassa.

 

__________________________________________________________________________________

 

4-5

Oleg Caetani

Orchestra sinfonica „Giuseppe Verdi“ di Milano

Arts

2001 LIVE

16:12  5:17  14:20  10:41   46:30

 

SACD  Das Orchester aus Mailand kann nicht ganz mit den besten Europas mithalten, insbesondere was Kultiviertheit und allgemeine Klangschönheit betrifft. Aber der Sohn von Igor Markevitch, dem eine Gesamtaufnahme aller Sinfonien Schostakowitschs anvertraut wurde, versteht es, dem Orchester trotzdem ein eigenes Profil zu verleihen. So werden gerade die Besonderheiten der Instrumentation herausgehoben. Die zwei Harfen (fast immer unisono), Celesta, Gran Cassa, Tamburo, Triangulo und Xylophon werden ausgezeichnet hörbar und so das sonderbare, auch querständige der Sinfonie betont. Der Klang ist ansonsten transparent, sehr dynamisch, räumlich etwas kompakt, was besonders für die CD-Spur gilt. Die Klangfarben und die Brillanz wirken etwas gedämpft.

Im ersten Satz gelingt dem Dirigenten ein großartiger Steigerungsverlauf mit eindrücklichem Einbruch der militärischen Gewalt. Auch das a tempo con tutta forza wird weitgehend eingelöst. Man bemerkt eine hohe Authentizität, die auch aus der Beschäftigung nicht nur mit der 5., sondern mit allen Sinfonien herrühren könnte.

Der 2. Satz gefällt durch seinen aufgekratzten Gestus, besonders durch die zur Groteske gesteigerten Bläserpassagen. Das Violinsolo zeigt echte Glissandi (manch andere Konzertmeister trauen sich da nicht so recht).

Der Klagegesang im 3. Satz klingt zurückhaltend, wie unter vorgehaltener Hand, auf seine Art aber auch intensiv.

Im 4. Satz werden die gewalttätigen Elemente hervorragend herausgearbeitet, auch die Passagen der Trauer gelingen. Die Coda ist langsam, die abschließende Gran Cassa bringt eine exzellentes fff.  Der typische DSCH – Tonfall wirkt verinnerlicht, die Klang - Ressourcen der Berliner oder Amsterdamer bleiben (noch) unerreicht. Das Publikum ist bis auf den tosenden Applaus am Ende so gut wie nicht zu hören.

 

____________________________________________________________________________________

 

4-5

Rudolf Barshai

Sinfonieorchester des WDR Köln

Brilliant

1996

15:20  5:22  13:13  11:10   45:05

 

Diese Edition, ebenfalls einer Gesamtaufnahme entnommen, besticht durch hohe Kompetenz und Spielkultur. Die Streicher des Orchesters brillieren mit schönem Ton bis in die höchsten Höhen und spieltechnischer Eloquenz. Die Bläser - vor allem die mit den Holzblasinstrumenten – stehen dem nicht nach und meistern ihre Stimmen spieltechnisch schlackenlos, intonationssicher und mit großer Tonschönheit. Der Klang ist voll, klar, weich und recht sonor, wirkt aber leicht gedeckt, könnte also etwas brillanter sein. Im 2. Satz überzeugen die Hörner mit ihren übertriebenen Einlagen genauso wie die Sologeige mit viel kitschigem Schmelz. Das Fratzenhafte kommt jedoch generell leicht geglättet. Der 3. Satz verbreitet schwelgerische Melancholie. Das Flötensolo ist viel zu laut (sollte doch nur p sein), aber intensiv geblasen. Die Oboe begeistert mit einem herrlichen Ton. Der Satz wirkt ausgesprochen gefühlvoll. Ancerl, der im direkten Vergleich gehört wurde, schien jedoch in noch tiefere Ausdrucksregionen vorzustoßen.

Der 4. Satz beginnt recht gemächlich, zieht aber später noch gut an. Das ffff der Piatti ist unterbelichtet, es sollte herausgellen (Musterbeispiel: Ahronovitch). Das Hornsolo überrascht bei T. 126 mit einer fahlen Tongebung, als ob keine Luft zum Atmen mehr da wäre, was zur trostlosen Situation des hier ziemlich langsam genommenen Mittelteils gut passen würde. Die sehr langsame Coda (Zi. 131) ist ganz weit weg von einem Siegestaumel, dass sie im Konzert wahrscheinlich gar keinen (sofortigen) Jubel evozieren würde.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten

 

_____________________________________________________________________________________

 

4-5

Kurt Masur

London Philharmonic Orchestra

Eigenlabel LPO

2004 LIVE

14:26  5:06  13:43  13:44   46:59

 

SACD Masur und das Orchester spielen das gesamte Stück auf sehr idiomatische Weise. Bei Zi. 17 verschmilzt das Klavier komplett mit den Celli und Kontrabässen, DSCH wollte wahrscheinlich eher, dass gerade das Klavier hier einen eigenständigen und  perkussiveren Klang erhält. Die verschiedenen Tempi werden exakt herausgearbeitet, ab dem Allegro non troppo dann mitreißend. Das Xylphon wird keineswegs versteckt. Ab Zi. 32 wird mit Hochspannung der Höhepunkt der Durchführung erreicht, der sich im largamente treffend entlädt. 

Im 2. Satz werden die Tempi gut eingehalten und durchweg mit prallem Leben erfüllt. Die Passagen der Holzbläser wirken teilweise treffend gestelzt, die Dynamik hingegen könnte teilweise noch frecher sein. Wie in den anderen Sätzen agiert das Orchester auch im 3. Satz souverän und klangschön, die Tempi werden als zügig empfunden, sind aber beileibe nicht emotionslos. Die Flöte übertreibt auch hier etwas mit dem Vibrato.

Im 4. Satz übernimmt die Pauke ihre Rolle nachdrücklich. Das gemächliche Grundtempo wird nur behutsam aber dynamisch beschleunigt. Nach Zi. 111 geht es schwelgerisch und ziemlich gedehnt in den Mittelteil. Auch hier stört das Vibrato der Flöte. Ab Zi. 123 wird das non marcato auffallend gut umgesetzt. Ab Zi. 128 ist das Tempo sehr breit und gedehnt, das molto ritardando jedoch bis zum Zerreißen gespannt. Die Coda wirkt wie in Zeitlupe. Die Gran Cassa klingt tief und mächtig. Am Ende dann wie alles zermalmend. Angesichts des Tempos kann man das Durchhaltevermögen des LPO - Blechs nur bewundern.

Masur zeigt Mut zur eigenständigen Gestaltung, vor allem der 4. Satz lässt aufhorchen. Er nimmt dem Satz auch den letzten Anflug von finaler Siegerpose.

 

_______________________________________________________________________________________________

 

4-5

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1979 LIVE

17:38  5:15  15:54  10:07   48:54

 

Diese, wie bereits die 59er Aufnahme (diesmal jedoch Live) anlässlich einer Tournee diesmal jedoch in Tokio entstandene Aufnahme, wirkt in ihrer Intensität fast schon übersteigert. Das hoch konzentriert und ausdrucksvoll spielende Orchester hat an Klasse gegenüber 1959 durchaus noch etwas gewonnen, lediglich kleinere Hornlabilitäten stören den positiven Gesamteindruck. Der Zugriff wirkt nun allerdings weniger spontan. Die Holzbläsersoli wirken trotzdem größtenteils wie erlebt. Bernstein hat auch die Celli und Bässe immer im Auge. Die Celesta klingt nun gegenüber 1959 wie ein anderes, besseres Instrument.

Im 2. Satz werden die unterschiedlichen Teile bestens herausgearbeitet, die Mahler - Reminiszenzen klingen nun noch etwas authentischer. Insgesamt ist die Herangehensweise etwas weicher und nachgiebiger geworden, wirkt aber immer noch sehr plastisch.

Der 3. Satz klingt erheblich ruhevoller und „mahlerischer“ als zuvor. Die Flöten spielen notengetreuer (das ist echtes p und nicht mehr mf), die Soli werden allgemein gekonnter, vor allem nicht mehr so kantig klingend phrasiert und muten ausgewogener an. Die ätherischen Momente klingen wirklich wie bereits körperlos. Die Momente des Aufbegehrens (Anklage) sind maßvoller, nicht mehr so bis zum Bersten mit Emotion aufgeladen.

Im 4. Satz ist die Pauke deutlich zu weit entfernt, um ihre Rolle richtig auszufüllen, bei Roshdestvensky klang sie wie eine körperlich fühlbare Pauke einer Sklavengaleere.  Auch das Xylophon wird nicht als das Knochengeklapper Todgeweihter erfahrbar.  Bei Zi.111 könnten auch Piatti und Tam – Tam deutlicher durchkommen. Die Gran Cassa ist aber um Klassen besser als 1959. Der in der Coda wimmernde, gar nicht nach Jubel klingende Gesamtklang wird so resolut niedergeknüppelt.

Bernsteins erste Aufnahme erscheint wesentlich lebendiger, die zweite wie psychoanalytisch untersucht und perfektioniert. An dieser Anmutung hat auch der Klang großen Anteil. Es handelt sich um eine der ersten Digitalaufnahmen der CBS. Er ist in den Höhen noch etwas stumpf und nimmt die Zuschauerperspektive ein, ist also erheblich weiter entfernt und bei weitem nicht mehr so präsent, mehr auf die Totale bedacht. Publikumsgeräusche sind nur ganz vereinzelt zu hören. Der Klang wirkt artifizieller und nimmt der Darstellung zu einem gewissen Teil das Unmittelbare.

 

______________________________________________________________________________________________

 

4-5

Yakov Kreizberg

Russian National Orchestra

Pentatone

2006

15:44 5:40  16:34  12:47   49:45

 

SACD  Dem jüngeren Bruder von Semjon Bychkov, der um Verwechslungen mit ihm zu vermeiden, den Mädchenname seiner Mutter annahm, gelingt eine hochkarätige, ausgewogene Wiedergabe. Das ihm zur Verfügung stehende Orchester ist von allererster Qualität und in allen Stimmen ganz ausgezeichnet besetzt. Die Aufnahmequalität hält dieses Niveau. Wegen der extremen Dynamik und der reichhaltigen Besetzung wurden DSCHs Sinfonien sehr gerne gerade in den ersten zehn Jahren des neuen Jahrhunderts mehrkanalig und hochauflösend auf SACD gebannt, sehr oft, wie auch hier, mit Gewinn. Die Musik klingt sehr transparent, farbig, voll und ausgesprochen dreidimensional und dynamisch. Generell fördert  - gerade gegenüber der normalen CD - die SACD den warmen, vollen Klang. Vom 1. Satz lässt sich nur Gutes berichten, lediglich das Tempo könnte etwas schneller sein, um die Dringlichkeit der Aussage noch zu erhöhen. Beim 2. Satz staunt man über die Exzellenz der wunderbar klingenden Streicher und Bläser die nun wie bei der Aufnahme Gergievs mit dem Orchester des  Kirov Theaters gar nicht mehr spezifisch russisch  klingen. Mit ihm gelingt eine derbe, deftige und robuste Einspielung, die aber auch reich an Differenzierung ist. Das langsame Tempo wirkt in der Tanzbewegung etwas plump. Ein gewisser Mangel an Schärfe verharmlost den grotesken Charakter. Insgesamt strahlt der Satz wenig Gefahr aus. Die Fagotte und vor allem die Hörner aber klingen dafür zum Niederknien.

Der Spannungsverlauf im 3. Satz erscheint nicht ganz ununterbrochen, die Cellokantilene ohne Legato kommt nicht so gut zur Geltung, vielleicht auch weil sie ihren Platz hinter den 1. Violinen gefunden haben, also nicht vorne an der Rampe sitzen. Ansonsten klingt er einfach prächtig und durchaus emotional.

Im 4. Satz ist das Xylophon kaum hörbar, Piatti und Tam – Tam dagegen ganz ausgezeichnet. Die Violinen klingen auch in den höchsten Lagen unangestrengt, voll und rund. Das kann jedoch den Ausdruck der Entäußerung durchaus mindern. Der Mittelteil wirkt langsam und resignativ. Zi. 128 wird sehr breit genommen, das molto ritardando bleibt fast auf der Stelle stehen. Auch die Coda klingt extrem breit, wie eine „gefühlte Zeitlupe“, das Blech ohne Makel, was kaum einem Orchester hier noch gelingt. Die Gran Cassa klingt extrem wuchtig und hat das letzte Wort, indem sie alles andere buchstäblich zertrümmert.

 

_________________________________________________________________________________________________

 

4-5

André Previn

London Symphony Orchestra

RCA

1965

17:20  4:55  15:50  9:32  47:37

 

▼ gemeinsame Betrachtung der beiden Einspielungen des Dirigenten unterhalb der Liste

 

___________________________________________________________________________________________

 

 

4-5

Tadaaki Otaka

Yomiuri Nippon Symphony Orchestra Tokyo

BMG

1996

16:52  5:31  15:08  11:05   48:36

 

Bei dieser japanischen Produktion war es eine Freude zuzuhören. Die Beteiligten halten sich mit großer Sorgfalt genau an die Partitur. Ungemein klangbewusst und mit hohem Ausdruckspotential lässt sich das absolut sichere und homogene Orchester hören. Ein Gewinn ist auch die hervorragende Transparenz und die hohe Dynamik. Es klingt auch voll und sonor. Der 1. Satz klingt sehr stimmig. Der 2. sehr prononciert und ungemein exakt, Otaka lässt den doppelten Boden spüren, bleibt hier aber etwas zu brav, es fehlen etwas Tempo und eine schärfere Diktion. Im anrührenden 3. Satz hören wir ausgezeichnete Flöten mit wohldosiertem Vibrato, auch der Ton der Oboe gefällt. Die Celli spielen außerordentlich expressiv und sonor.  Überhaupt beeindrucken die Streicher hier auch mit einem echten, gehaltvollen pp - Spiel. Das Unisono von Harfe und Celesta am Ende des Satzes klingt mirakulös, wie ein Instrument.

Auch im 4. Satz lässt das Spiel an Deutlichkeit nicht nach, die Beschleunigung des Tempos wird bestens erfasst. Der Höhepunkt der Stretta (Zi. 111) mit dem ffff der Piatti und dem ff des Tam – Tam sehr gut durchhörbar, wo man sonst oft nur einen Klangklumpen hört. Der Mittelteil ist spannend und geheimnisvoll. Bei Zi. 128 klingt die Gran Cassa kurz und trocken. Bei Zi. 131 nach der langsam genommenen Coda mächtig und umfassend.

Nicht oft hört man hierzulande russische Musik mit einem japanischen Orchester. Von fernöstlicher Zurückhaltung fehlt indes hier jede Spur. Stattdessen erklingt DSCHs Musik hier mit durchaus zupackender Verve und expressiv.

 

______________________________________________________________________________

 

4-5

Artur Rodzinski

Philharmonic Symphony Orchestra of London

Westminster – BnF

MCA

1954

14:25  4:22  14:00  8:03   40:50

 

MONO  Rodzinki geht die Sinfonie mit straffer Hand und einem kompromisslos konzisen Spannungsaufbau an. Das Orchester geht mit bewundernswerter Aufopferungsbereitschaft diese Tour de force mit und gibt sich dabei kaum eine Blöße. Man darf annehmen, dass sich kein zusammen gewürfeltes Orchester hinter dem seltsamen Namen verbirgt, sondern entweder das LSO, das LPO oder auch das RPO, ist doch sowohl der Begriff Philharmonic als auch Symphony enthalten. Feine Zwischentöne bleiben jedoch unterbelichtet. So bleibt im 1. Satz das Klavier unter den Kontrabässen (es sollte ein Unisono sein) wie verschüttet. Ab Zi. 27 ist die Pauke eindringlich, der militärische Drill zupackend, das stringendo mitreißend zu hören. Die Oboe klingt kläglich, der Höhepunkt der Durchführung nur so là là, da sind ob der bereits „verschossenen“ Munition keine Reserven mehr vorhanden. Die lyrischen Momente wirken etwas vordergründig. Der 2. Satz wirkt durch das gehetzte Tempo eher wie ein Galopp, denn als Ländler. Die Artikulation gelingt wie auf Messers Schneide, prägnant und scharf. Die Pauke klingt heftig, hart und besonders prägnant.

Im 3. Satz spielen die Harfen viel zu laut. Rodzinski verzichtet auf jegliches Schwelgen und dringt ohne Umschweife zum Kern vor. Die Streicher agieren außerordentlich ausdrucksvoll, die Celli gehen bis an die Grenzen des Machbaren.

Die Stretta des 4. Satzes beginnt schon mit loderndem Feuer. Bei Zi. 111 geht man bis zum Äußersten. Das schnelle Tempo lässt manch eine Holzbläserpassage wie Hohngelächter erscheinen. Wie treffend! Die Gran Cassa klingt für 1954 sehr gut, wird dann in der außerordentlich schnellen Coda deutlich hervorgehoben. Die Streicher klingen am Ende durch das auf die Spitze getriebene Tempo weniger nach Hohngelächter sondern nur noch wie stumpfes Geschnatter.

Diese schnellste Version von allen hat vielleicht weniger Zwischentöne zu bieten zeigt aber, wie unter Strom gesetzt, stürmische Vehemenz. Einseitig aber höchst eindrucksvoll. Man könnte diese Darstellung auch sehr viel höher einstufen, wenn man es möchte.

Der Klang ist trocken und präsent, dynamisch aufgeladen. Der LP Umschnitt der Bibliothèque national de France bietet deutlich mehr Dynamik als die CD - Version von MCA.

 

____________________________________________________________________________________

 

4-5

Vladimir Golschmann

Saint Louis Symphony Orchestra

Capitol - BnF

1954

14:11  4:52  12:58  9:32   41:33

 

MONO  Golschmanns Aufnahme ist aus demselben Jahr wie diejenige Rodzinskis und ebenso wie diese gehört von  einer alten LP aus der Bibliothèque de France ähnelt jener auch sonst auffallend stark. Golschmanns Zugang, Chef des Orchesters übrigens von 1931 bis 1958, ist ebenfalls direkt, unverfälscht und hält sich wenig mit der Differenzierung von Zwischentönen auf. So gelingen ihm der 2. Und 4. Satz besonders gut.

Beim 1. Satz fallen vor allem der dynamisch erstaunlich große Ambitus und die hohe Partiturtreue auf, dennoch wirkt der Gestus mitunter seltsam spielerisch. Der 2. Satz ist sehr kontrastreich, wirkt, durchgezogen ohne Rubato, wie an einer Leine gezogen und unerbittlich. Der Charakter der Groteske wird sehr gut getroffen. Die Artikulation wirkt wie kurz angebunden und prägnant, die Mahler - Sequenzen werden dem stampfenden Ländler - Gestus wie einverleibt. Diese „Party“ wirkt schroff und abweisend und kommt der von DSCH beabsichtigten Intention wohl ziemlich nahe. Auf nichts und niemanden wird Rücksicht genommen.

Der 3. Satz wird allgemeinverständlich und intensiv dargestellt. Gegenüber neueren Aufnahmen wirkt vor allem der Gegensatz p - ff etwas vergröbert, die Intensität beeinträchtigt dies hier jedoch nicht. Die Solisten tun hörbar ihr Bestes, sind aber von den Wunderdingen, die z.B. das Kirov - Orchester oder das Concertgebouw Orchester bietet, weit entfernt. Das Orchester gibt aber an den betreffenden Stellen alles und nur das lässt die erreichte Intensität derart rückhaltlos erscheinen. Schöne Klangmischung von Celesta und Harfe (ab T. 184).

Der 4. Satz bietet zu Beginn grandiose Beschleunigungen während der die Blechbläser völlig ermüdungsfrei bleiben. Das Espressivo wirkt bisweilen Bernstein - ähnlich fast wie übersteigert. Das molto ritardando dient als mächtiger Stau vor der Entladung in der Coda, die aber dann nicht übermäßig schnell genommen wird.

Der Klang ist weitgehend unverfärbt, gut durchhörbar, Details gehen mitunter jedoch verloren (z.B. Xylophon ab T. 239 oder der Klaviereinsatz im 1. Satz). Die Gran Cassa hat nur wenig Wucht.

 

__________________________________________________________________________________________

 

4-5

Stanislav Skrowaczewski

Hallé Orchestra, Manchester

IMP

1990

16:30  5:30  14:38  10:57  47:35 

 

Gegenüber der Aufnahme aus Minnesota erscheint das Orchester aus Manchester erheblich weiter vom Hörer weggerückt, weicher und abgerundeter im Klang, ebenfalls klar und übersichtlich aber mit feinerer Tongebung. Insgesamt erscheint das Hallé als das bessere und ausgewogenere Orchester. Die Streicher klingen hier mit Schmelz, die Flöte (ohne Vibrato) klangschön, überhaupt klingen die Holzbläser eine ganze Klasse besser. Das Klavier spielt aber zu leise (kein f), die Beschleunigungen sind nicht so unerbittlich. Alles wirkt etwas ausgereifter und nicht mehr so bissig und zupackend, distanzierter.  Auch der 2. Satz ist weniger spritzig, im Ganzen breiter und kultivierter. Der 3. Satz profitiert von den geschmackvollen Holzbläsern ganz besonders, die Oboe muss ob ihrer Tonschönheit besonders erwähnt werden. Bei Zi. 90 spielen die Bässe ihr sfff zu schwach. Der 4. Satz beginnt nun bedächtiger, dafür spielen die Violinen viel sauberer, er wird aber auch weniger unwiderstehlich und stringent gesteigert. Zi. 111 gelingt mit mehr Übersicht und intensiver. Ab Zi. 131 beginnt eine deutlich langsamere Coda. Die Gran Cassa klingt nun viel mächtiger. Skrowaczewski schaltet im 4. Satz gegenüber Minneapolis insgesamt einen Gang zurück. Beide Aufnahmen haben ihre Meriten, die Unmittelbarkeit der alten Aufnahme beeindruckte den Verfasser noch etwas mehr. ▼ zwei weitere Aufführungen des Dirigenten bei den Radioübertragungen am Ende der Liste

 

____________________________________________________________________________________

 

4-5

Mstislav Rostropovich

National Orchestra of Washington

DG

1982

15:26  5:32  12:47  11:46  45:41

 

▼ gemeinsame Betrachtung der drei Einspielungen des Dirigenten am Ende der Liste

 

___________________________________________________________________________________

 

4-5

Semyon Bychkov

Berliner Philharmoniker

Philips

1987

14:47  5:55  15:27  12:12  48:21

 

Bychkovs früher und bisher einziger Beitrag zur Diskografie der 5. Sinfonie ist letztlich generell etwas zu langsam, wenig beunruhigend und auch zu wenig aggressiv ausgefallen. Sie wuchert jedoch mit dem herrlich sonoren und souveränen, dabei auch mit schönen Soli garnierten Spiel der Berliner. Nicht zuletzt dadurch erreicht sie einen hohen Grand an eloquenten Zwischentönen.

Beispiele aus dem 1. Satz: Der Klaviereinsatz ist zunächst gut hörbar, dann wird sein Klang jedoch immer leiser (wieso?). Der Einbruch der Gewalt im Militärmarsch gelingt überzeugend, das Xylophon ist sehr gut aus dem Gesamtklang herauszuhören. Die Durchführung ist durchaus dramatisch zugespitzt. Im largamente und dem anschließenden con tutta forza wirken die Philharmoniker nicht richtig gefordert. Da fehlt das Gefühl der Urgewalt.

Der 2. Satz wirkt vom Tempo her etwas behäbig. Die Soli wirken wie verschleppt. Das wirkt alles unwirklich und es passt nicht so recht zusammen.  Insofern wirkt die Groteske ziemlich hintersinnig und versteckt. Wenn sie denn beabsichtigt war.

Der 3. Satz ist wesentlich spannender als z.B. bei dem zuvor gehörten Botstein. Er wirkt sehr differenziert und atmosphärisch dicht. Das Xylophon klingt deutlich, die Holzbläsersoli sind herrlich sonor und farbig, die Violinkantilenen werden toll gespielt.

Der 4. Satz beginnt als Jubelfinale. Durch den langsam genommenen Mittelteil (mit Spannungsabfall) und durch die langsame Coda wird der Jubel jedoch durchaus infrage gestellt. Die Gran Cassa könnte am Ende durchaus mächtiger klingen. In späteren Aufnahmen anderer Schostakowitsch - Sinfonien hat der Dirigent die latente Unruhe und Brutalität durchaus noch abgründiger getroffen.

 

_____________________________________________________________________________

 

4-5

Kurt Sanderling

Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam

RCO Live

1999

17:06  5:29  14:38  11:35  48:48

 

Kurt Sanderlings Lesart unterscheidet sich 1999 nur unwesentlich von der unten angefügten von 1982. Es verblüfft ein wenig, dass er bei den Sätzen ein und drei, obwohl bereits im 87. Lebensjahr, noch einmal zu einem zügigeren Tempo greift. Das Amsterdamer Orchester weiß es mit Expressivität zu füllen. Die Legato-Spielkultur besticht insbesondere erneut ebenso wie die vorzügliche Klangkultur allgemein. Die Soli sitzen auch Live nahezu perfekt. Im Detail wirkt indes manches fragwürdig, spiel doch das Fagott im p genauso laut wie die Oboe im f. Das sind kleinere Feinabstimmungen, die nur auffallen, wenn man eine Partitur zur Hand hat und die das Gesamterscheinungsbild der Darbietung nur wenig trüben. Mehr wiegt allerdings, aber das gilt nur für die Tonkonserve, nicht für die Live-Darbietung, dass das Blech bei klanglicher Massierung, z.B. in der Durchführung durchweg zu schwach ins Klangbild kommt. Vor allem gegenüber dem ziemlich brachialen Schlagzeug. Das Xylophon geht allerdings vor Zi. 31 fast völlig unter. Das Orchester spielt jedoch insgesamt hoch engagiert (man merkt es nicht zuletzt auch an den Obertönen, die den Klang im ff anreichern), wird aber von der Live-Technik etwas ausgebremst.

Im zweiten Satz gefallen die prallen und sonoren Fagotte besonders, aber auch die anderen Soli wissen zu gefallen. Der Duktus wirkt etwas lebendiger als in Berlin. Da wüssten wir nicht, was zu bevorzugen wäre…

Deutlich heller wirkt der dritte Satz. Die Soli leuchten nun inmitten eines außerordentlich klaren und hellen Streicherklangs auf. Sie nutzen das Vibrato noch ein wenig deutlicher als heute, aber in einem angemessenen, sinnvollen und geschmackvollen Rahmen. Warum der Streichersatz so hell wirkt könnte auch daran liegen, dass der Bass wenig sonor und wenig betont ausfällt, obwohl es keineswegs an der entsprechenden klaren, aber eben auch leichten Linierführung fehlt. Die Klarinetten bei Zi. 90 verschwinden indes nicht in einem Sextolen-Tremolo, wie in so vielen Aufnahmen, sondern bleien besonders widerständig hörbar, da die Pause besonders herausgearbeitet wird. Etwas deutlicher gelingt dies noch Berglund. Erneut einen Hinweis wert ist die auch Live hörbare außerordentliche p-Kultur des gesamten Orchesters, die einen gerade im dritten Satz den Atem anhalten lässt.

Durch die schnelle Stretta gelingt Sanderling erneut ein besonders feuriger Beginn. Er folgt ja damit einer besonderen Empfehlung des Komponisten, der auch Maßnahmen guthieß, die nicht unbedingt in der Partitur stehen. Die Spannung wird gehalten, auch der Mittelteil zerfällt nicht in einzelne Episoden. Ab Zi. 131 wird Sanderling deutlich breiter, man darf schreiben „ätzend“ langsam, was offensichtlich zu seinem Markenzeichen gehörte. Quälend. Die Gran Cassa haut am Ende auch Live die Sargnägel in den Sarg (Rostropovich).

Etwas weniger voluminös und klangsatt als in Haitink Einspielung unter Studiobedingungen bei Decca klingt das Orchester. Die Violinen jedoch nur zu Beginn ein wenig spröder. Das Orchester wirkt nur minimal zurückgesetzt, aber noch präsent genug, klar und deutlich. Die tatsächlich erfahrbare Dynamik wirkt indes eingeschränkt. Das Publikum fällt nur ein paar Mal durch abgemilderte Störgeräusche auf. Etwas mehr Bassvolumen wäre wünschenswert gewesen. Aufnahmetechnisch ist die Berliner Einspielung Kurt Sanderlings vorzuziehen.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten

 

__________________________________________________________________________

 

4-5

Kurt Sanderling

Berliner Sinfonieorchester (jetzt Konzerthausorchester Berlin)

Eterna , BC

1982

17:32  5:28  15:27  11:46 50:13

 

Kurt Sanderling wird ähnlich Mravinsky eine besondere Nähe zur Musik DSCHs nachgesagt, nicht zuletzt aus dem Umstand heraus, dass er wegen seiner jüdischen Herkunft 1936 in die Sowjetunion emigrierte und nach verschiedenen Stationen schließlich von 1942 - 1960 gemeinsam mit Mravinsky als Dirigent der Leningrader Philharmoniker arbeitete. DSCH selbst soll von seiner Interpretation der 5. Sinfonie angetan gewesen sein. Diese späte Aufnahme konnte der Komponist jedoch nicht mehr gekannt haben, denn er starb bereits 1975. Außer der Bevorzugung von fest eingehaltenen Zeitmaßen hat diese Aufnahme nicht viele Gemeinsamkeiten mit derjenigen Mravinkys. Sanderlings Aufnahme wird von einem ruhigen Grundpuls getragen, wirkt zu keiner Phase nervös, aufgeregt oder gar aufgepeitscht. Das passt gut zu dem voluminösen Spiel des Berliner Orchesters, dem der Dirigent einen ausgesprochen abgerundeten und vollen Gesamtklang entlockt. Es spielt recht dynamisch und die sehr gute Abbildung ist weiträumig und prima tiefengestaffelt.

Der 1. Satz gelingt zwar ausdrucksstark, es fehlt ihm jedoch das zwingende. In der Durchführung (ab Zi. 27) geht dem Orchester bzw. der Aufnahmetechnik die gute Transparenz etwas verloren, das Xylophon ist mehr zu erahnen als prominent zu hören, eine Zuspitzung des Tempos wird weitgehend vermisst.  Bei Zi. 38 unterlaufen dem Orchester auch ein paar noch nie dort gehörte Töne. Con tutta forza erhält großen Nachdruck, wirkt aber nicht so, als würden sich die Berliner hier mit letzter Ausdruckskraft reinhängen.

Im 2. Satz wird das Tempo maßvoll und stoisch wie mit einem Uhrwerk durchmessen, die Dynamik jedoch voll ausgereizt. Die Tänzer bei diesem Ländler wirken hüftsteif, sie „leisten“ sich auch keinerlei besonderen Einfälle. Ein Fest mit hohlem Geplapper und Gequatsche könnte man sich so sehr gut vorstellen. Der Verfasser würde dieses besonders zu spürende Gleichmaß nicht unbedingt einer mangelnden Inspiration der Beteiligten anlasten, er glaubt vielmehr an eine von Sanderling hier bewusst vorgetragene Facette des Satzes, die er nun meinungsstark herausstellt.

Im 3. Satz überzeugt der volle und weiche Klang insbesondere der Holzbläser (das Blech hat in diesem Satz, wie auch das Schlagwerk, bis auf ein Tremolo der Pauke und das so wichtige Xylophon) völlig zu schweigen). Sie klingen warmherzig und empathisch, insbesondere Flöte und Oboe. Die Streicher zeigen jedoch bis Zi. 88 eine eher starres und kühles espressivo. Danach ändert sich dies jedoch gründlich und besonders die Celli überzeugen mit elegischem Ton, obwohl sie ihren Part eigentlich mit viel weniger Legato zu spielen hätten, fehlt doch der erforderliche Bindebogen. Das Wiegenlied von Harfe und Celesta klingt innig.

Der 4. Satz setzt zwar mit einer rasanten Stretta an, wie vom Komponisten gegenüber dem Dirigenten empfohlen und entgegen der notierten Metronomzahl. Die Vorgehensweise hat man jedoch von einigen Dirigenten schon mitreißender gehört. Auch die Temposteigerung gelang schon feuriger (Bernstein 1959 bleibt hier unnachahmlich). Bei größeren Turbulenzen verlieren die Streicher auch ihre Geschmeidigkeit. Das fff bei T. 118 klingt etwas betulich. Das ff der Gran Cassa ist eher schwach. Die Coda (Zi. 131) ist langsam und wirkt wie endlos in die Länge gezogen. Sie ist im Zusammenspiel nicht ganz präzise. Die Pauke ist etwas zu schwach und der hier nur ergänzende Charakter gewinnende Gran Cassa fehlt der zermalmende Effekt.

Eine völlig eigenständige Darstellung, der jede Hysterie aber bisweilen auch die brennende Leidenschaft fehlt.

 

_____________________________________________________________________________________

 

4-5

André Previn

Chicago Symphony Orchestra

EMI

1977

16:56  4:51  15:42  9:51  47:20

 

▼ gemeinsame Betrachtung der beiden Einspielungen des Dirigenten im Anschluss an die Liste.

 

______________________________________________________________________________________

 

4-5

Günter Herbig

Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken (jetzt Deutsche Radio Philharmonie)

BC

2005  LIVE

17:12  5:20  14:26  11:50   48:28

 

Bei Herbigs Aufnahme besticht die differenzierte Gestaltung und die Phrasierungsgenauigkeit des gesamten Orchesters, insbesondere der Holzbläser. Auch die Aufnahmequalität ist klar, differenziert und dynamisch. Das Orchester könnte aber etwas voller und auch etwas brillanter klingen, ein Problem, das auf den Aufnahmeraum zurückzuführen ist, denn wer das Orchester nicht zuhause in Saarbrücken, sondern in besseren Konzertsälen gehört hat, weiß, wie es dann klingen kann. Diesmal konnte das Aufnahmeteam den Aufnahmeraum nicht ganz vergessen machen. Der Gestus des 1. Satzes wird vorzüglich eingefangen. Der Hörer vernimmt organische Steigerungen. Das Klavier könnte besser zur Geltung kommen, dagegen ist das Xylophon sehr präsent. Die Durchführung ab Zi. 32 hat Biss, der Höhepunkt klingt hinreichend gewalttätig, man spürt einen leicht nivellierenden Eingriff der Technik, er bleibt aber transparent.

Der 2. Satz bleibt etwas behäbig. Man hat den Sarkasmus schon etwas brillanter und deutlicher herausgearbeitet gehört. Diese Darstellung ähnelt derjenigen Kurt Sanderlings.

Der Klagegesang im 3. Satz erklingt eher nüchtern und ohne jede Larmoyanz und Übertreibung, aber sehr intensiv. Gerade durch die Nüchternheit scheint er noch wahrhaftiger zu wirken und geht zu Herzen.  Die Anklage ab Zi. 89 und das finale Wiegenlied gelingen sehr gut, wobei beide Instrumente (Celesta und Harfe) einen homogenen Mischklang erreichen. Erneut sind hier die eloquenten und tonschönen Holzbläser hervorzuheben, denen die Wiedergabe der teilweise todtraurigen Stimmen vorzüglich gelingt (Klarinette Zi. 87 und 88 mit fahler, lebloser Tongebung).

Der 4. Satz mit einem flotten Beginn wird bis Zi. 111 und 112 toll gesteigert. Das Xylophon ist erneut sehr gut heraus hörbar. Die Coda ist sehr langsam, den evozierten Jubel kann so niemand plausibel finden. Sie gipfelt mit den acht Schlägen im fff der Gran Cassa, die man jedoch schon durchdringender hörte. Ihrer zerstörerischen Funktion (sie beendet ja das Spiel des gesamten Orchesters und „bleibt alleine übrig“), wird sie natürlich trotzdem trefflich gerecht. Insgesamt eine aufgewühlte, genaue Interpretation, die auf hervorstechende Effekte keinen Wert legt. Die lauten Bravo - Rufe am Ende erscheinen durchaus berechtigt.

 

________________________________________________________________________________

 

4-5

Georg Solti

Wiener Philharmoniker

Decca

1993  LIVE

15:26  5:15  12:24  10:02   43:07

 

Bei dieser Aufnahme ist man wieder im Orchesterolymp angekommen, bei einem ausgezeichneten Konzertsaal und einer hellhörigen, kundigen und brillanten Klangtechnik. Gerade was die Klangtechnik anlangt ist diese Aufnahme der später, ebenfalls mit den Wienern, diesmal jedoch mit Jansons entstandenen weit überlegen. Sie klingt vielleicht nicht ganz so fein wie die EMI – Aufnahme Jansons´, aber sie ist viel präsenter, knackiger und lebendiger. Der Hörer ist viel mehr ins Geschehen involviert. Solti hat sich DSCH erst im höheren Alter genähert, frühe Aufnahmen sucht man vergebens. Er versprüht dabei trotzdem jugendliches Feuer, gepaart mit seiner immensen Erfahrung. Die Sätze 1,2 und 4 gelingen Solti ganz ausgezeichnet, insbesondere in den schnellen Abschnitten, die er mächtig vorantreibt. Lediglich der langsame Satz erscheint etwas zu zügig und irgendwie fehlt ihm die emotionale Tiefe. Trotz des intensiven Spiels der Philharmoniker, die hier, wie auch in Jansons´ Aufnahme, ihre Sonderklasse zeigen, bleibt er etwas zu oberflächlich. Er hat kaum etwas requiemartiges.

Im 1. Satz, dem Solti ausgesprochen profilierte Bässe angedeihen lässt, spielen die makellos intonierenden Violinen die höchsten Töne so intensiv, dass sie fast schon schmerzen. Das poco animato ist zunächst wenig sogartig, der stetige Zugriff auf das Tempo wirkt aber ausgesprochen kulminationsartig. Das a tempo con tutta forza klingt vehement.

Der 2. Satz wird dynamisch voll ausgereizt. Obwohl von einem exzentrischen Tempo abgesehen wird, steht der tänzerische Charakter hier im Vordergrund. Piccolo, Schlagzeug und Blech wird stets präsent und pointiert herausgestellt. Insgesamt könnte er noch etwas wilder klingen, jeder Vorstoß ins Derbe oder Vulgäre wird vermieden.

Im 4. Satz sind Soltis Beschleunigungen Extraklasse. Zi. 111 wird in aller Härte herausgestellt. Xylophon, Piatti und Tam - Tam klingen vorzüglich. Nach diesem Höhepunkt gerät Solti nicht ins schleppen und hält die Spannung aufrecht. Ab Zi. 116 klingen die Geigen plötzlich wie gequält. Für die Coda hält Solti eine Art Kompromisslösung parat. Er geht sie ab Zi. 131 schnell an, bremst sie jedoch kurz vor dem Ende wieder rabiat ab. Das steht so nicht in der Partitur, die ja ansonsten voller Tempomodifikationen steckt. Solti garantiert so ein Finale mit voller Wucht und Durchschlagskraft. Wenn der seltsame 3. Satz nicht wäre, müsste Soltis Beitrag sehr viel höher platziert werden.

 

_______________________________________________________________________________-

 

4-5

Mstislav Rostropovich

London Symphony Orchestra

LSO LIVE

2004

15:34  5:38  12:35  12:36  43:23

 

SACD ▼ gemeinsame Betrachtung der drei Einspielungen des Dirigenten am Ende der Tabelle  

 

________________________________________________________________________

 

4-5

Mariss Jansons

Wiener Philharmoniker

EMI

1996

15:41  5:11  14:20  10:50  46:02

 

Jansons hat alle Sinfonien eingespielt, manche - auch die 5. – mehrmals. Diesmal hätte er ein Orchester der Sonderklasse zur Verfügung gehabt, aber die Tontechnik bildet die Musiker mit dem Klang ab, wie sie der Zuhörer vielleicht in der allerletzten Stuhlreihe zu hören bekommt. Die weich und farbig eingefangenen Streicher bilden den Vordergrund, die anderen Instrumente wirken viel zu weit zurückgesetzt. Die Dynamik ist wohlwollend als ausgewogen zu bezeichnen, weniger wohlwollend als nivelliert. Kein Wunder, wenn die maßgebenden Bläser und das Schlagwerk so weit weg sind. Wen man sich auf sie konzentriert hört man, dass auch sie sich von ihrer besten Seite präsentieren. Und wenn man sich den Makel der misslungenen Klangtechnik wegdenkt, hört man eine exzellente Interpretation.

Der Streicherklang selbst ist herausragend weich, farbig, intensiv und zusammen mit der Artikulation sucht er seinesgleichen. Er verliert auch im ff oder in den höchsten Höhen nichts von seiner Güte. Das Musizieren im 1. Satz ist gespannt aber auch bewegt. Das Klavier wirkt nur als Klangfarbenspiel, nicht perkussiv geschärft. Das Xylophon wirkt besser, wird aber nicht extra hervorgehoben. Die Durchführung mit dem Kulminationspunkt hört sich konvulsivisch an. Das a tempo con tutta forza gelingt ansprechend.

Der 2. Satz profitiert zwar von einem herausgehobenen Piccolo, die Hörner sind aber besonders weit zurückgesetzt, was für so eine moderne Aufnahme unbegreiflich ist. Der Verlauf könnte erheblich zugespitzter sein, wenn man den Bläsern zu mehr Präsenz verholfen hätte.

Im 3. Satz sind die Wiener Streicher in ihrem Element. Durch die gespannte Schönheit bringen sie die Trauer besonders nah an den Hörer heran. Auch die Holzbläser stehen ihnen kaum zurück. Das Spiel ist hochgradig bewegt und in jeder Phase fein und genau. Gegen Ende fast transzendent. Die Klangverschmelzung von Celesta und Harfe im „Wiegenlied“ gelingt bestens. Einfach herzbewegend.

Der 4. Satz beginnt mit einem herausragenden Crescendo im ersten Takt, der wirkt wie ein Schmerzensschrei. Das accelerando ist mitreißend. Im Verlauf der Stretta kann man die Spielfähigkeit des Orchesters nur bewundern. Ab Zi. 108 stringent.

In der Coda sind Trompeten und Posaunen besonders zu loben.

Jansons animiert das Orchester zu Höchstleistungen. Seine Interpretation wirkt ausgesprochen gekonnt und lässt den Hörer nicht kalt. Leider verhindert der 2. Satz und die sabotierende, inadäquate Klangtechnik eine weit höhere Einstufung. Mariss Jansons hat eine GA aller Sinfonien vorgelegt.

 

___________________________________________________________________________

 

4-5

Istvan Kertesz

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1962

15:15  4:34  13:22  8:50  42:21

 

Kertesz´ überaus frische, teilweise auch etwas unbekümmerte Darstellung scheint sich Bernsteins Lesart von 1959 zum Vorbild genommen zu haben. Das Orchester überrascht unter diesem Dirigenten mit seiner exzellenten Verfassung.  Natürlich behalten die Holzbläser ihre bekannten klanglichen Eigenarten (insbesondere Oboe und Fagott) aber hier gefällt ihr gemeinsamer Einsatz mit einer stimmig wirkenden Rauhigkeit.  Das Blech zeigt sich in Hochform und begeistert mit hemmungsloser Präsenz. Auch die sonst bisweilen für Kiekser anfälligen Hörner spielen wie in einer anderen Liga.  Der Militärmarsch im 1. Satz bekommt so eine tolle Präsenz. Das a tempo con tutta forza ist beeindruckend. Der Dirigent scheint sich beflügelnd auf die Leistungsfähigkeit ausgewirkt zu haben.

Auch im 2. Satz präsentieren sich die Hörner in Topp - Form. Der Satz erklingt betont tänzerisch, sehr lebendig und den Scherzo-, weniger den Ländlercharakter betonend.

Der 3. Satz wirkt trefflich als eindringlicher Klagegesang, der auch vom zartesten pp bis zum äußersten Aufschrei keine Facette auslässt.

Der 4. Satz gelingt Kertesz mit einem mitreißenden Tempo und atemberaubenden Beschleunigungen (fast wie bei Bernstein) bis Zi. 111 ausgesprochen feurig. Danach hält er die Spannung, d.h. die Rückbesinnung auf die ausweglose Ist - Situation gleitet bei ihm nicht in fast bewegungslose Depression ab. Die Gran Cassa tönt im Finale des Satzes jedoch zu schwach. Die Coda nach einem Hochspannung pur erzeugenden ritardando ist schnell (ebenso wie bei Bernstein). Auch die acht Schlusspunkte der Gran Cassa, die sich nicht deutlich genug von der synchron geschlagenen Pauke abheben können, bleiben zu schwach. Der zerstörerische Druck fehlt.

Insgesamt wirkt die Aufnahme wie eine etwas leichtgewichtigere, man könnte auch schreiben, positivistischere Alternative. Aber eine auf einem sehr hohen Niveau und eine mit viel Freude Anzuhörende dazu.

Der Klang der Aufnahme ist präsent, dynamisch und farbig. Es ist wieder der typische Decca – Klang der 60er Jahre. Frisch, lebendig natürlich und mit einem leichten Rauschen versehen.

 

_______________________________________________________________________________

 

4-5

Lahav Shani

Rotterdam Philharmonic Orchestra

Warner

2018, Live

16:31  5:12  15:53  11:09  48:46

 

Dies ist der Teilmitschnitt des Eröffnungskonzertes von Lahav Shanis erstem Konzert als Chef des Orchesters. Der Streicherchor wirkt weniger geschlossen und sonor als bei den Berlinern oder dem BR SO, es besticht hingegen die Differenzierungskunst in den leisen Passagen. Noch nicht alles, was da glänzen sollte, ist hingegen aus Gold. Das Marcato unterscheidet sich nicht von den „normalen“ Phrasierungen zuvor und danach (Zi. 6), die Hörner haben noch nicht dasselbe Niveau wie etwa beim Münchner Orchester und die Bratschen spielen bei Zi. 12 mit einem aufdringlichen Wabervibrato. Wenn das die Umsetzung des notierten espressivo bedeuten soll, dann erreichte man eher das Gegenteil damit. Auffallend ist der nahezu idyllisch wirkende Beginn des ersten Satzes, der gerade bei Jansons in München bereits deutlich spannender klingt. Das Poco animando lässt Herr Shani bereits zwei Takte zu früh beginnen. Die Durchführung wird indes sehr gut gesteigert und die Verzweiflung des nicht mehr weiter Wissens wird deutlich gemacht. Die Oboe kommt übrigens im Solo nicht an die ausdrucksvolle Akkuratesse des Kollegen beim BR heran. Bei Zi. 44 gelingt das pp der Streicher vorbildlich, sodass das p der Flöte besonders gut zur Geltung kommt.

Im zweiten Satz wirken die Hörner zu weit nach hinten gerutscht, das Violinsolo dagegen umso präsenter. Ansonsten wirkt das Orchester gut ausbalanciert und der Vortrag gelingt prononciert.

Ähnlich wie bei Maazel in seinem späten Radiokonzert aus Wien (am Ende der Listen) wirkt auch Lahav Shanis Tempo in den Streicherpassagen etwas zu langsam, während er bei den Holzbläserdarbietungen etwas das Tempo über die 50 für die Viertel anhebt. Erneut wird dynamisch sehr gut nuanciert und auch der Ausdruck stimmt. Vor allem die pp-Passagen wirken hauchzart. An die Intensität eines Skrowaczewski (in Saarbrücken), Jansons oder Currentzis kommt die Darbietung noch nicht heran, will sie vielleicht aber auch gar nicht. Harfe und Celesta spielen am Ende wie ein Instrument, also perfekt zusammen. Das haben wir schon ganz anders gehört.

Der vierte Satz beginnt mit viel Schwung, man bemerkt aber nicht, das er in einer Katastrophe enden wird. Die langsame aber stetige Beschleunigung wird beherzigt. Der leise Mittelteil wird wieder stark nuanciert, aber wir fühlten einen Spannungsabfall, aber das mag jedoch jeder anders empfinden. Der Schluss wird langsam genommen. Dies hat sich mittlerweile anscheinend durchgesetzt. Das „lalalala“ auf dem a der Streicher wird sehr stark betont, was bei gleichzeitiger Zurücknahme des Blechs sehr ungewohnt klingt. Manche (wie Currentzis) meinen, das „lala“ würde auf das Russische „Ich“ hindeuten, während andere meinen „Lala“ wäre der Spitzname einer Liebschaft Schostakowitschs gewesen, die er in jenen Jahren hatte, aber letztlich abgewiesen hätte (Quelle: Pausen-Feature bei der Sendung des SWR bei der ebenfalls Schostas 5. (mit Boreyko) auf dem Programm stand. Beides ist für uns nicht überprüfbar, da müsste vielleicht die Musikwissenschaft mal ran. Denn beides gleichzeitig wird es wohl kaum meinen. Für Lahav Shani scheint es jedoch besonders wichtig zu sein, so deutlich lässt er das permanente la-la-la-la-la-la-la hervorklingen. Die Gran Cassa, der Sargnagelhammer Gran Cassa bleibt in Rotterdam dagegen unterbelichtet.

Die Aufnahme klingt etwas räumlicher als die Jansons´ in München. Aber nicht explizit weiträumig wie die in Wien. Sie wirkt weder sonderlich farbig noch voll. Zudem klingt sie für eine so neue Aufnahme wenig dynamisch und seltsam wenig brillant um nicht zu schreiben grau. Sie bringt sozusagen den Trauerflor schon mit. Wir hatten jedoch den Eindruck, dass man sich bei Warner keine besondere Mühe um den guten Ton gemacht hat.

 

_________________________________________________________________

 

4-5

Manfred Honeck

Pittsburgh Symphony Orchestra

Reference Recordings

2013

17:09  5:39  15:14  12:18  50:20

 

Gegenüber der Einspielung aus Rotterdam kann diese aus Pittsburgh gerade klanglich überzeugen. Hier scheinen die Techniker mit mehr Liebe zur Musik und Know-how an die Sache herangegangen zu sein. Man merkt es auch an den nun wieder präsenter ins Bild gerückten Hörnern. Übrigens wird auch in Pittsburgh derzeit ein weitestgehend vibratoloses Spiel (auch die Flöte ab T. 86) gepfegt. Während man ebenfalls in die entlegensten pp-Bereiche vordringt, kommen auch die lauten Passagen dynamisch und unkomprimiert zur Geltung. Zu hören insbesondere in der konvulsivisch zugespitzten Durchführung.

Der zweite Satz beginnt kräftig uns mit viel Zug. Das eigentlich gar nicht einmal so schnelle Tempo wird wirkungsvoll durch eine scharfe Artikulation konterkariert, sodass wenig von der eigentlich suggerierten Gemütlichkeit übrigbleibt. Höchst differenziert, fast so pointiert wie 2011 in Berlin, wird das Violinsolo hingelegt. Insgesamt landen die Pittsburgher mit ihrer Spielfreude in diesem Satz einen Volltreffer.

Im dritten Satz wird zu Beginn das espressivo ein wenig vernachlässigt. Trotz des hier doch wieder gewählten deutlichen Vibratos, wirken die Streicher (insbesondere die Violinen) zart und filigran-geschmeidig. Das Holz bleibt jedoch bei der vibratoarmen Ausrichtung, spielt ausgesprochen subtil und fein angetönt. Die Oboe gefällt uns besser als die in Rotterdam. Wie bei Shani geht man im pp an die Hörbarkeitsgrenze.

Der vierte Satz, durchaus strettaartig angetrieben, präsentiert das Blech präsent und zackig. Das Knochengeklapper des Xylophons kommt bei Zi. 109 trotz ff nicht si recht zum Zuge. Die fff-Stelle ist vom ff danach in der Lautstärke nicht zu unterscheiden (Zi. 113). Im Mittelteil wird nach unserem Geschmack dem Tempo beim Klagegesang und der Reminiszenz an die Vergangenheit etwas zu sehr nachgegeben. Das Finale ab Zi. 138 läuft langsam ab, das Molto ritardando wird so deutlich angebremst wie in keiner anderen Einspielung. Das Geleier des lala bringt auch Honeck deutlich heraus. Die „Blechapotheose“, die keine ist, klingt keinesfalls aufgeplustert, die Gran Cassa klingt gewalttätig. Insgesamt stimmig. Orchestral etwas höher einzuordnen als die Rotterdamer Einspielung.

Der Klang der Aufnahme ist sehr transparent und sehr gut gestaffelt, offen und trennscharf. Die Dynamik ist sehr gut. Der Gesamtklang ist erheblich leuchtkräftiger als bei Shani, auch plastischer und körperhafter.

 

____________________________________________________________________

 

4-5

Andris Nelsons

Boston Symphony Orchestra

DG

2015  LIVE

16:27  5:31  15:24  12:03   49:25

 

Diese Aufnahme bietet dem Stück eine große Bühne. Es klingt sehr weiträumig, aber auch mit relativ viel Nachhall versehen. Das Orchester ist bestens gestaffelt und kommt offen und klar zur Geltung. Das Klangbild wirkt wie lichtdurchflutet. Nur die ersten Violinen klingen, seltsam genug, etwas entfernt und diffus.

Man kann DSCH sicher kaum schöner spielen, als das die Bostoner hier tun und Nelsons Umgang mit der Partitur erscheint souverän. Aber das Werk wirkt hier mehr perfekt, sozusagen im Klartext, dargestellt, als emotional durchlebt.

Bei Zi. 17 hört man einen klaren Klaviereinsatz, von einem Klavier welches aber bald im Unisono mit Celli und Bässen komplett verschmilzt (wieso?). Der Partitur nach sollte es hier aber eher permanent und sogar insistierend präsent bleiben (vielleicht sogar als Störfaktor). Bei a tempo con tutta forza wird alles präzise nachgezeichnet, aber von den Posaunen hätte man doch viel mehr Druck erwartet.

Im 2. Satz klingen die Bässe sehr prononciert, die Klarinette neckisch, die Hörner pointiert und frech aber zu weit entfernt. Das etwas zu betuliche Grundtempo lässt den Satz wie domestiziert erscheinen. Es wird zwar wie hölzern getanzt, aber die Bläserpassagen sind nicht aufmüpfig genug.

Der 3. Satz lässt durch die entfernten 1.Violinen etwas die durchgreifende Tragik vermissen. Er wirkt lange nicht so „emotional gesättigt“ wie bei den besten Russen, Bernstein oder Stokowski (London). Vielleicht war Nelsons hier eine Entschlackung wichtiger? Das Orchester verfügt über erstklassige Holzbläser. Lediglich bei der ersten Oboe, die mit schönem Ton geblasen wird, stören bisweilen Probleme beim synchronen Klappenschluss. Der Ton beginnt, aber eine bzw. mehrere Klappen werden einen Hauch zu spät bzw. zu früh betätigt. Eine Untugend, die bei einigen - vor allem amerikanischen Oboisten – zu beobachten ist.

Der 4. Satz beginnt mit sehr differenzierten Trillern im Holz. Die Steigerung von f nach fff gelingt sehr bewusst. Die Beschleunigungen weder wild noch feurig. Die Pauke hat bei Zi. 111 einen deftigen Auftritt. Die fff könnten jedoch nachdrücklicher sein. Im Mittelteil erfolgt ein deutlicher Spannungsabfall. Die Coda wird langsam genommen, sie ist wahrscheinlich sehr bewusst leiernd und wenig strahlkräftig gehalten. Die Gran Cassa hat niederknüppelnde Autorität.

 

___________________________________________________________________________________________

 

4-5

Riccardo Muti

Philadelphia Orchestra

EMI

1992

16:22  5:25  15:20  11:09   49:16

 

Von den vier Aufnahmen aus Philadelphia gefällt die mit Riccardo Muti am besten. Er nähert sich der Sinfonie mit akribischer Partiturtreue. In jedem der Sätze stört jedoch die Flöte mir ihrem aufdringlichen Vibrato. Dass der Maestro da nicht mäßigend eingegriffen hat, verwundert.  Aber auch Oboe und Klarinette haben nicht ihren besten Tag erwischt. Schon bei T. 32 unterscheidet die Oboe nicht zwischen p und f, bei T. 39 sieht es zu zweit auch nicht besser aus. Das Klavier kommt klar und deutlich. Das poco animato (T.135) wird langsam angezogen, ab Zi. 22 Allegro non troppo dann vehementer.  Das Xylophon erklingt in bestechender Klarheit, die Militärtrommel prononciert und marzialisch. Bei der Durchführung ist das Orchester in seinem Element. Das largamente wird wirklich langsam als grotesker, aggressiv - hämmernder Höhepunkt genommen, die Hörner scheppernd und breit, die Trompeten leicht überzogen. Das a tempo con tutta forza gelingt gut, ist aber weit weg von Svetlanovs furchteinflößender unnachahmlicher Vehemenz, die dem Orchester das letzte abverlangt.  Ein Takt nach Zi. 39 stört die Flöte erneut mit ihrem unangemessenen Vibrato, das auch nicht richtig zu den übrigen Holzbläsern passt. Wobei sich die Oboe hier bereits ein wenig davon anstecken lässt.

Der 2. Satz gibt den Tanzcharakter zugunsten einer aggressiven Stimmung auf. Die lyrischen Passagen wirken unwirklich übersteigert. Bässe und Celli spielen hier wirklich einmal ff, wie vorgeschrieben. Es wird auch wirklich wie gefordert secco artikuliert. Alles wirkt hier virtuos. Die Wechsel von Soli zu Tutti wirken sehr gelungen. Ein schnelleres Tempo hätte das Groteske der Szenerie noch weiter verstärkt.

Der 3. Satz wirkt teilweise wie vorgeführt und zelebriert, nicht sonderlich wahrhaftig. Die Flöte nervt mit ihrem flatterhaften Vibrato, die Oboe macht es hier besser. Sehr gut wiederum hervorgehoben und eindringlich die sfff Akzente der Kontrabässe. Ansonsten wirkt dieser Satz zwar handwerklich nahezu perfekt aber oberflächlich, wenn man die Russen einmal gehört hat.

Die Stretta mit den diversen accellerando - Anweisungen lässt sich Muti nicht entgehen. Das klingt zackig wie auf der Spartakiade. Mit einem abrupten Ende bei Zi. 111. Die Coda wird langsam genommen, die Streicher leiern wie bei Bernstein (1979), die Gran Cassa klingt angemessen - profund.

Der Klang ist recht dreidimensional, transparent und mit einem großen dynamischen Ambitus versehen. Der beste der vier Aufnahmen aus Philadelphia.

 

 

____________________________________________________________________________

 

 

4

Bernard Haitink

Concertgebouworchster Amsterdam

Decca

1981

18:03  5:19  15:37  10:31   49:30

 

Haitinks Einspielung gebührt mit die Krone, wenn es um eine klangvolle, farbige, liebevoll ausgehörte Spielkultur geht. Akkuratesse ist hier Trumpf. Das Orchester spielt brillant, glasklar und äußerst homogen. Dahinter spürt der Hörer jedoch eine zwar souveräne aber auch eine etwas sorglose, entspannte Grundhaltung, der es durchweg am Willen zur Zuspitzung fehlt oder Grenzbereiche zu überschreiten. An Potential hätte es sicher nicht gefehlt. Es ist aber beileibe nicht so, dass die Streicher nicht ihre immensen Fähigkeiten eines makellosen Espressivo - Spiels nutzen würden, es wird dabei aber so gut wie keine Spannung aufgebaut. Man beschreibt gleichsam nur eine imaginäre Szenerie. Das Tempo ist auch einfach etwas zu breit. Die Flöte ist an Tonschönheit nicht zu überbieten, was für ein Labsal nach dem Kennenlernen des Tons aus Philadelphia. Im Verlauf nimmt auch die Spannung zu, die Durchführung gelingt sogar ziemlich mitreißend. Das a tempo con tutta forza wird eingelöst, es walzt gleichsam sogar alles was vorher gewesen nieder, aber es wird nach wie vor in makelloser Schönheit vorgetragen. Danach strahlen die Holzbläser wieder um die Wette, als ob nichts passiert wäre.

Im 2. Satz ähnelt die Darstellung derjenigen Dutoits. Auch hier folgt man wie gebannt den herrlichen Soli eines eloquenten Orchesters. Etwas tapsig und seltsam hört es sich schon an. Das Doppelbödige könnte jedoch viel drastischer herauskommen, aber es fehlt an Zuspitzung in Tempo und Artikulation. Exzellentes Orchesterspiel.

Im dritten Satz spürt Haitink jeder Stimme im Streicherchor sehr genau nach und die ätherischen Schönheiten inmitten dieses Requiems werden besonders evident, weil sie wunderbar ausmusiziert werden. Bestes Unisono von Celesta und Harfe.

Der 4. Satz läuft recht schwungvoll und kultiviert ab, die Beschleunigungen bleiben moderat. Das Trompetensolo ab Zi. 108 wird herausragend geblasen, das Xylophon ab T. 112 hört man überhaupt nicht. Der Höhepunkt der Stretta mit dem ffff der Piatti und dem ff des Tam - Tam wird geradezu verschenkt und wirkt unbedeutend. Die Coda ist langsam.

Diese Einspielung ist von größter Kultiviertheit und ganz besonders klangschön, das Groteske und Schroffe der Sinfonie geht weitgehend verloren. Sie gewinnt aber den Schönheitspreis, ein Preis, der ihr ein wenig zum Verhängnis wird.

Der Klang der CD ist, obwohl unter den ersten Digitalaufnahmen der Decca, ohne frühdigitale Härte, natürlich anmutend, voll, transparent, farbig, weiträumig, detailreich. Er wirkt einfach schön und ist überaus angenehm zu hören. Nur bei den Klangmassierungen im 4. Satz wird er ein wenig hallig und schwammig. Haitink hat eine GA aller Schostakowitsch – Sinfonien vorgelegt.

 

_______________________________________________________________________________

 

4

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS - Sony

1965

15:49  5:13  15:27  9:44   46:13

 

Ormandy erreicht dieses Mal nicht ganz das hohe Maß an Akkuratesse und Brillanz, wie sie bei den besten europäischen Orchestern zu hören ist. Er geht relativ großzügig mit den dynamischen Spielanweisungen um. Trotz der schwelgerischen Artikulation und der üppigen Klangfarben, die sein Orchester dennoch zur Verfügung stellen, trifft er den spezifischen Ton des Beginns gut. Bei Zi. 17 ist das Klavier auch sehr gut und secco hörbar. Der Militärmarsch bricht jedoch nur klar und gemäßigt los. Das poco stringendo ist gut wirkt aber nicht sogartig. Ab Zi. 32., wenn der Höhepunkt der Durchführung erreicht ist, klingt das Orchester zwar engagiert, es findet aber keine Entäußerung statt, wie bei Svetlanov (Moskau), was auch für a tempo con tutta forza gilt.

Der 2. Satz glänzt mit ausgezeichneten Hörnern und Posaunen klingt tänzerisch geprägt und durchaus auch cantabel, pointiert aber die Grimassen nicht genug.

Der 3. Satz findet den richtigen Ton, wirkt dicht und konzentriert, emotional, herb und eindringlich. Die Celli spielen ab Zi. 90 herzerweichend.  Beim Wiegenlied sind Celesta und Harfe wie an den beiden gegenüberliegenden Enden der Bühne positioniert. Ihr gemeinsamer Klang füllt so die ganze imaginäre Bühne aus. Ein Effekt noch aus der Anfangszeit der Stereophonie, als man noch mit den neuen Möglichkeiten spielte.

Der 4. Satz wirkt zunächst ziemlich geheimnis- und harmlos, denn erst ab Zi. 108 kommt es zu einer fühlbaren Verschärfung des Tempos. Bei Zi. 111 ist die Pauke viel zu leise, sie sollte fff sein! Das Tempo wird aber dann recht hochgehalten, womit Ormandy gut die Spannung aufrecht erhalten kann. Der Klang der Gran Cassa ist dumpf aber massiv. Bei der schnell genommenen Coda (ab Zi. 131) wird erstmalig der Triangel hervorgehoben. Das Geschehen wirkt auch zuletzt trotzdem etwas zu oberflächlich.

 

____________________________________________________________________________

 

4

Lorin Maazel

Cleveland Orchestra

Telarc

1981

17:53  5:00  14:28  9:20   46:41

 

Maazels Aufnahme zeugt vor allem von der immensen Spielkultur seines Orchesters und belegt das hohe Niveau der Soundstream - Aufnahmen, die die Firma Telarc zu Beginn der Digitalära machte. Die acht Jahre später entstandene Aufnahme des Labels mit Yoel Levi wirkt deutlich weniger präsent und dynamisch als diese. Maazel gibt der Musik eine ungewöhnliche Klarzeit und Helligkeit mit, sodass sich der typische etwas verhangene, grüblerische und „unglückliche“ Klang zu Beginn kaum einstellen will. Das wirkt nun eher mediterran und sonnendurchflutet. Das Orchester spielt mit einer Leichtigkeit und einer alle Schwierigkeiten ansatzlos aus dem Ärmel schüttelnden Selbstverständlichkeit.  Das ff oder fff des Blechs wirkt wie schneidende Blitze. Das Xylophon bei Zi. 30 sucht man jedoch vergebens. Das langamente wirkt dann wie durchbuchstabiert. Die Posaunen spielen aber tatsächlich a tempo con tutta forza. Die Flöte schließlich spielt mit einem wesentlich geschmackvolleren Vibrato als der/die Kolleg/in bei Muti oder Sawallisch.

Auch im 2. Satz begegnen wir eher sportlich temperamentvollen Tänzern, es macht große Freude dem virtuosen Orchester zu lauschen, die Hörner kommen jedoch bisweilen zu schwach ins Bild. Das Bizarre des Satzes wird - gemessen an den vorhandenen Möglichkeiten - nur schwach angedeutet.

Der 3. Satz - in sehr gezügeltem Espressivo - wird sehr differenziert gestaltet und klingt in schönen Klangfarben. Das exzellente Spiel wirkt jedoch keinesfalls äußerlich, aber auch nicht dunkel oder gar abgründig. Maazel bringt durch sein Superorchester eher noch eine eher deplaziert wirkende Eleganz mit ein, was insbesondere auch für den 4. Satz gilt. Ansonsten spielt das Orchester seine Virtuosität voll aus. Die Pauken wirken jedoch beiläufig gespielt und sind unterbelichtet ins Klangbild aufgenommen worden. Sind sie doch eigentlich als die Antreiber für eine „Sklavengaleere“ bestimmt gewesen und sollten auch entsprechend markig klingen. Das Tempo macht insgesamt einen eher gehetzten Eindruck. Die Tempomodifikationen wirken ebenfalls unmerklich und wenig mitreißend. Alles geht etwas undifferenziert ineinander über. Der Mittelteil wird nicht schleppend, sondern etwas zu zügig aber nicht ohne Spannung vorgetragen. Das molto ritardando erscheint nicht als Spannungsstau vor der Coda. Die Coda ist schnell, die Gran Cassa wuchtig, aber nicht elementar niederschmetternd.

Maazels Zugang erscheint etwas zu überbrillant und sportiv. Er holt bei weitem nicht alles an Schärfe und Bizarrerien heraus, was dem Orchester möglich gewesen wäre. Dieses macht von allen amerikanischen Orchestern in diesem Vergleich jedoch den besten Eindruck.

 

___________________________________________________________________________________

 

4

Wolfgang Sawallisch

Philadelphia Orchestra

PHI, Eigenlabel des Orchesters

P 2010 LIVE

16:03  5:28  11:58  10:50   44:19

 

Von den vier Einspielungen aus Philadelphia macht die mit Sawallisch, dem Chef des Orchesters von 1993 – 2003, den sprödesten Eindruck. Der Klangraum wirkt enger, die Akustik erheblich trockener. Trotz einer sehr guten Transparenz und einer passablen Dynamik ist der Sound des Orchesters wenig brillant. Von Glanz kann kaum die Rede sein. Die Interpretation ist allen Übertreibungen abhold, wirkt routiniert, aber stimmig. Wie bei Muti ist die wabernde Flöte (z.B. Zi. 44) ein echter Makel. Im 1. Satz ist das Klavier diesmal besser zu hören als das Xylophon. Das largamente ist eigentlich nicht langsam genug, das a tempo con tutta forza nähert sich dem gewünschten nur an. Auch die Violine trägt in ihrem Solo ziemlich dick mit dem Vibrato auf.

Der 2. Satz klingt solide. Die Behäbigkeit wirkt beabsichtigt. Das Violinsolo zeigt Mut zum Schäbigen, darin erreicht es den Maximalwert des Vergleiches, was anerkennenswert ist, denn der Konzertmeister könnte es natürlich viel besser spielen. Erkennbar großen Wert wird auf eine sorgfältige Artikulation gelegt.

Der 3. Satz erscheint gelungen (außer die bebende Flöte!!!). Die Oboe bläst ihr Solo wie vorgeschrieben weitgehend im p, sucht also nicht die große Show. Der ganze Satz wirkt mit gro0er Demut vorgetragen, viel bescheidener und nicht so glanzvoll auftrumpfend wie bei Muti und nicht so schwelgerisch wie bei Ormandy. Trotz des schnellen Tempos gefällt dieser Satz von den vier Aufnahmen aus Philadelphia am besten. Die Emotionalität von Kondrashin, Svetlanov (Moskau) oder Bernstein sucht man jedoch vergebens.

Im 4. Satz wird der virtuose Aspekt der Stretta nicht zur Schau gestellt, vielmehr scheint er einem kammermusikalischen Duktus gewichen. Fast scheint es, dass man hier nur an der Musik, nicht aber an den außermusikalischen Inhalten, die mit transportiert werden, interessiert ist. Der Spannungsbogen im Mittelteil hängt hier doch ziemlich durch. Die Coda schließlich wird langsam genommen, die Pauke kommt viel zu schwach. Trotz einer ganz gut aufgenommenen Gran Cassa, fehlt es erheblich an Wucht.

Die Darbietung Sawallischs ist solide, sie vermeidet das Oberflächliche aber auch die Auseinandersetzung mit der Tiefe des Werkes und scheut sich an die Grenzen zu gehen. Trotzdem großer Jubel in Philadelphia.

 

________________________________________________________________________________________

 

4

Vasily Petrenko

Royal Liverpool Philharmonic Orchestra

Naxos

2008

17:53  5:03  15:25  14:42   51:03

 

Bis auf den 2. Satz bevorzugt der junge russische Dirigent mit die langsamsten Tempi. Das Spiel des Orchesters ist nahezu perfekt und wirkt jederzeit eloquent und partiturgenau, wenn man von den Tempi einmal absieht. Über weite Strecken fehlt es ihm jedoch an jeglicher Zuspitzung oder Brisanz der Aussage. Auch die Bissigkeit wird durch Schönklang ersetzt. Die Motivation an die Grenzen zu gehen oder sogar zu überschreiten ist nirgends festzustellen.

Der Klang ist ein Pfund, mit der die Einspielung wuchern kann. Er ist natürlich, reich an Farben, gut gestaffelt, auch in der Tiefe, transparent, und mit hoher Dynamik versehen.

Hier noch einige Notizen:  1. Satz trotz des reduzierten Tempos gut gesteigert, Militärmarsch einnehmend gestaltet, Durchführung souverän, Petrenko hat das Orchester bestens vorbereitet, es gehört mit zu den besten. Besonders das fast schon karajaneske Pianospiel ist hervorzuheben. Leichte Abstriche nur bei den 1. Violinen, die noch mehr Strahlkraft und Schmelz aufbieten könnten. Die Holzbläser (wie schon beim 2. Klavierkonzert von Saint –Saens) sind erstklassig.

Der 2. Satz wirkt teilweise „aufgekratzt“, bleibt aber letztlich im mittleren, nur distinguierten Ausdrucksbereich, das Wilde wird nur gestreift aber nicht ausgespielt.

Im 3. Satz gefallen die Streicher mit feinen, zarten Stimmengewebe. Der Klagegesang ab Zi. 89 wirkt aber auch eindringlich. Die feinen Soli der Holzbläser wissen sehr zu gefallen. Im Ganzen erscheint die Stimmung nicht existenziell zugespitzt. Ancerl oder Bernstein u.v.a. werden somit nicht erreicht.

Die Stretta im 4. Satz wirkt weder gehetzt noch getrieben und nicht sonderlich aufgeheizt.  Der Höhepunkt bei Zi. 111 ist in Ordnung aber bei weitem nicht ausgereizt.  Bei der Coda wird die langsame Version bevorzugt, die dann tatsächlich auch auf groteske Art bedrückend wirkt. Die Gran Cassa knüppelt am Ende mit großer Wucht alles nieder. Auch Petrenko hat eine GA vorgelegt.

 

__________________________________________________________________________________________

 

4

Vladimir Ashkenazy

Royal Philharmonic Orchestra

Decca

1987

16:33  5:13  14:42  10:53   48:01

 

Ashkenazy, dem ebenfalls eine GA aller Sinfonien anvertraut wurde, legt eine Einspielung vor, die eine Position der Mitte einnimmt. Der Beginn, langsam und bedächtig kommt ohne lastenden Hochdruck aus. Lediglich wie ermattet, ohne den Ausdruck der Verzweiflung, spielt hier sein aufmerksames Orchester. Artikulatorisch bisweilen indifferent, nicht so genau zwischen p und f unterscheidend. Auch ein diminuendo wird schon einmal überspielt. Die Trompeten bei Zi. 24 sind viel zu zurückhaltend eingesetzt. Der Militärmarsch, mit dem die Gewalt „ins Leben“ tritt, erklingt nicht mit größtmöglicher Kraft, auch das a tempo con tutta forza könnte mehr Druck vertragen.

Beim 2. Satz wartet Ashkenazy mit einer Besonderheit auf, für die es keinen partiturbelegbaren Grund gibt. Bei den drei Mal zu hörenden Hornpartien (für alle vier Hörner) fügt er jedes Mal ein Glissando zwischen den 3. und 4. Takt ein. Die Trompeten verfahren bei diese Takten, die sie aber nur einmal spielen, ebenso. Sicher hatte er seine Gründe. Die Hörner sind aber trotzdem ein Aktivposten seiner Darstellung. Ansonsten gelingt ihm eine solide, farbige Darstellung, die man aber schon kontrastreicher gehört hat. Was hier immerhin bedeutet, dass, wenn immer es hier einmal unterhaltsamer wird, die Macht barsch dazwischen fährt. Das wird hier nivelliert.

Der 3. Satz erklingt ähnlich wie bei Petrenko. Fein austariert, mit schönen Soli der Holzbläser. Eindringlich aber bei weitem nicht so existenziell wie bei dem gerade zuvor gehörten Ancerl (Supraphon).

Auch im 4. Satz bleiben im Vergleich zu Ancerl tiefere Schichten verborgen. Bei der Coda hat sich Askenazy für die langsame Version entschieden. Sie scheint tatsächlich bedrückend. Die Gran Cassa vermag auch hier alles niederzuknüppeln.

 

__________________________________________________________________________________

 

4

Mstislav Rostropovich

National Symphony Orchestra of Washington

Teldec

P 1991

14:50  5:24  12:45  12:01   45:00

 

▼ gemeinsame Betrachtung der drei Einspielungen des Dirigenten am Ende der Liste. Diese Aufnahme entstammt einer GA aller Sinfonien Schostakowitschs.

 

___________________________________________________________________________________

 

4

Eliahu Inbal

Wiener Symphoniker

Denon

1990

16:51  5:15  14:36  11:26   48:08

 

▼ gemeinsame Betrachtung der beiden Einspielungen des Dirigenten am Ende der Liste  Diese hier entstammt einer GA der Sinfonien.

 

 

_____________________________________________________________________________________

 

4

Roman Kofman

Orchester der Beethovenhalle Bonn

MDG

2003

15:26  5:14  14:37  11:20   46:37

 

SACD Kofmans Aufnahme, die ebenfalls Teil einer Gesamtaufnahme ist, erklingt in einer Konzertsaalakustik, der man bisweilen etwas mehr Präsenz wünschen würde. Trotz der gefühlten großen Entfernung zum Orchester erscheint das Orchester klar, transparent und dreidimensional, auch, wenn man nur die CD - Qualität nutzt. Es ist klangfarbenstark und feiner strukturiert als die Aufnahme Kitajenkos, die dafür aber voller und dynamischer klingt. Das Orchester selbst erreicht nicht ganz den Glanz und die Sonorität des im direkten Vergleich gehörten Gürzenich Orchesters bei Kitajenko. Auch der Spannungsverlauf bleibt etwas zurück. Das Violinsolo im ersten Satz erklingt mit etwas zu viel flackernden Vibrato.

Im 2. Satz hingegen klingt es vortrefflich. Die solide Darstellung könnte hier skurriler und deftiger sein. Kofman lässt den Tänzern noch einen Rest von Eleganz. Positiv fällt die prononcierte Tuba - Stimme auf.

Im 3. Satz spielen die Bonner Musiker Kammermusik, fein ausbalanciert aber auch intensiv. Die Anklage hat man jedoch schon hemmungsloser gehört.

Im 4. Satz ist das Xylophon zu leise, das Tam - Tam kommt klasse zur Geltung. Die Beschleunigungen sind deutlich weniger mitreißend als bei den „Sowjets“ weiter oben in der Liste. Die 1. Violinen sind nicht das beste Register des Orchesters, dies ist besonders bei den schnellen Figurationen spürbar, die nicht 100%ig zusammen sind. Im Mittelteil fällt die Spannung ab. Das molto rallentando dient keineswegs dem Spannungsaufbau, es läuft nahezu glatt durch. Die langsame Coda zeigt dann auch kleinere Schwächen im Blech. Insgesamt wird man der Brisanz des 4. Satzes nicht ganz gerecht. Vielleicht stoßen die Mitwirkenden hier auch an ihre Grenzen?

 

_____________________________________________________________________________________

 

4

Maxim Schostakowitsch

London Symphony Orchestra

Collins

1990

18:53  5:13  17:00  12:10   53:16

 

Man sollte annehmen, dass der Sohn der engste Gewährsmann zur „ganzheitlichen“ Aufführung der Werke des Vaters wäre. Er müsse doch alle Aspekte kennen, auch die, die man nur in engen Gesprächen mit ihm erfahren kann. Also sollte seine Wiedergabe eigentlich a priori an die Spitze des Vergleiches gesetzt werden.

Der Verfasser blendete für den Vergleich den Namen des Dirigenten jedoch soweit möglich aus.

Im 1. Satz riskiert der Dirigent mit den extrem langsamen Tempi fast den Stillstand. Resignation, Ausweg- und Hoffnungslosigkeit lässt sich so gut darstellen. Ab Zi. 17 wird es etwas belebter, das Klavier wird nicht sonderlich deutlich. Das poco animato zieht etwas an, aber nicht gerade unwiderstehlich. Bei poco stringendo etwas stärker. Das Ganze wirkt aber wie ermattet oder auch eher lustlos. Der Militärmarsch wird nicht plakativ oder mit der sonst üblichen Attacke herausgestellt, man bemüht dazu auch nicht das vorgeschriebene ff. Auch das Schlagwerk wirkt, wie das sonst exponierte Blech ins Gesamtorchester integriert. Das a tempo con tutta forza klingt so ziemlich eingeebnet. Spätestens hier bemerkt der Partiturleser, dass der Sohn die Vortragsbezeichnungen des Vaters anders versteht als üblich. Das Drama wird nur angedeutet, er verfolgt eine streng lyrische Auslegung des ersten Satzes. Das Orchester spielt das alles ohne Mängel aber auch nicht übermassig motiviert und nicht ganz mit der gewohnten Geschlossenheit.

Auch der 2. Satz erhält eine eigenwillige Auslegung. Ohne Pfeffer und auch ohne Salz spielt das Orchester und macht dabei einen verschlafenen Eindruck. Die immanenten starken Kontraste werden stark abgemildert.

Der 3. Satz wirkt auch gedehnt. Hier trauert jemand in großer Einsamkeit und will auch, dass es niemand hört. Es könnte sonst verräterisch sein. Extrem leise und hierin vielfach abschattiert. Sogar die Oboe, der es von Natur aus schwer fällt ein richtiges pp hinzubekommen, spielt extrem leise. Hier unterscheidet sich der Sohn erneut von allen dirigierenden Landsleuten dieses Vergleiches. Erst ab Zi. 88 stellt sich Anklage oder Schmerz in mittlerer Heftigkeit ein. Die Celli lassen ihren Part mit schönstem Ton in einem fast ersterbenden Tempo hören.

Der 4. Satz beginnt überzeugend. Es entwickelt sich aus dem beginnenden f ein scharfen fff. Dann geht es jedoch im mäßigen Tempo weiter. Die Piccoloflöte ist exponiert, das Xylophon sehr schwach. Auch Zi. 111 kommt ohne Vehemenz aus. Bei poco animato (Zi. 113 wird er sogar langsamer! Bei Zi. 128 schlägt die Gran Cassa vehement zu, tempomäßig weiterhin keine Brisanz. Das molto ritardando wird dann sehr, sehr langsam und massiv. Die Coda bei Zi. 131 ist ebenfalls langsam, hier werden aber nun wirklich alle Register gezogen, die das Orchester zu bieten hat, die Trompeten blasen hier wie zum jüngsten Gericht.

Es scheint, dass sich der Requiemcharakter hier auf die ganze Sinfonie oder zumindest auf weite Teile auch der anderen drei Sätze ausdehnt. Schostakowitschs Fünfte erscheint so nahezu jeder Vitalität beraubt, wie mit einem schwarzen Trauerrand versehen. Vielleicht doch besonders authentisch?

 

____________________________________________________________________________________

 

4

Yoel Levi

Atlanta Symphony Orchestra

Telarc

1989

16:51  5:26  15:28  11:07   49:52

 

Der Klang dieser Aufnahme ist ziemlich transparent, recht voll, dynamisch, wenig brillant und etwas entfernt. Maazels Aufnahme beim gleichen Label einige Jahre zuvor klang jedoch in allen Belangen besser. Der Dirigent war übrigens ein Jahr vor der Aufnahme zum Chef ernannt worden. Hier noch ein paar Stichpunkte zu Levis Darstellung: Solisten des Orchesters gut, Klavier kommt sehr gut raus, Flöte spielt mit angemessenem Vibrato. Poco animato nicht mit vollem Zug. Xylophon kommt überhaupt nicht durch. Orchester ansonsten ziemlich souverän. Beim largamente ist das fff nicht lauter wie sonst das ff. A tempo con tutta forza ohne besonderen Nachdruck. Orchester macht sich beliebt wegen der guten Flöte, gefällt daher besser als Philadelphia bei Sawallisch und Muti.

2. Satz: Behäbiger Duktus, Kontraste nicht voll ausgereizt. Das Doppelbödige bleibt auf der Strecke, dazu ist es hier viel zu gemütlich.

3. Satz: gut getroffene Stimmung. Ein Hoch auf die gute Flöte. Oboe bekommt den synchronen Klappenschluss nicht ganz hin. Recht spannend. Das ff der Celli bei Zi. 90 ist zu schwach, die Violinen übertreffen sie mühelos (ab T. 142).

4. Satz: mäßiges Tempo, die Dynamikextreme werden nirgends erreicht. Accelerandi schwach. Coda langsam, aber schneller als die langsame Metronomzahl der neueren Ausgabe. Dynamisch geht es jetzt in die Vollen. Gran Cassa gut.

Die Aufnahme versucht zu vermitteln zwischen Objektivität und Ausgewogenheit, bleibt dabei aber unentschieden und ist aber weit davon entfernt den Hörer zu fesseln oder gar unter Strom zu setzen.

 

____________________________________________________________________________

 

4

Valery Gergiev

Marijnsky Orchestra

Eigenlabel Marijnsky

2012

14:47  5:02  13:45  10:50   44:24

 

SACD Gergievs zweite Aufnahme, etwa zehn Jahre nach der ersten nunmehr im neuen Konzertsaal als Mitschnitt zweier Konzerte und einer Korrektursitzung ohne Publikum entstanden, klingt warm timbriert, weich, abgerundet, natürlich, mit leuchtenden Farben und mit einer sehr ausgeprägten Tiefenstaffelung. Das britische Aufnahmeteam, das auch die Eigenaufnahmen des LSO betreut, kennt sich offensichtlich sehr gut mit den akustischen Begebenheiten vor Ort aus. Gegenüber der ersten Aufnahme für Philips muss man jedoch einen Verlust an Dynamik und Unmittelbarkeit im Klang hinnehmen. Schwerer wiegt jedoch ein spürbares Nachlassen an Inspiration und orchestraler Motivation.  Die exzellente Qualität ist zwar immer noch hörbar, das Spiel wirkt jedoch nunmehr routiniert, nicht lustlos aber doch „angemüdet“. Der tendenziell schon in der Philips - Aufnahme zu hörende nachlässige Umgang mit differenzierenden Vortragsbezeichnungen hat deutlich zugenommen. Enghubige Differenzierungen einer kontrastreichen Dynamik werden genauso verschliffen wie sf. Bestes Beispiel sind hier die sfff der Kontrabässe im 3. Satz, die 2002 noch aufrüttelten, nun muss man sich Mühe geben, sie überhaupt zu entdecken. Die Tempi, die nominell alle schneller sind als 2002, wirken seltsamer Weise größtenteils lascher. Die Beschleunigungen in der Stretta zu Beginn des vierten Satzes, durchaus spürbar, wirken nicht mehr so stringent und teilweise willkürlich.

Was die Einspielung aber am meisten entwertet sind die nahezu permanenten „Vokaldarbietungen“ des Dirigenten (zumeist ist es ein dem Grunzen verwandtes Geräusch beim Atmen). Gerade vom Orchester sorgsam erzeugte Stimmungen beim Hörer verpuffen so im Nichts. Vergleichbar mit dem Knacken bei den LPs. Nur waren die fertigungsbedingt und somit unvermeidbar.

 

____________________________________________________________________________

 

 

 

3-4

Michael Sanderling

Dresdner Phiharmonie

Sony

2017

16:19  5:23  13:41  11:59   47:32

 

Aus einer GA. Die neueste Aufnahme im Vergleich verfügt über einen offenen, klaren und fein - differenzierten Klang, der aber nicht sonderlich dynamisch ist. Den Beginn der Sinfonie intoniert Michael flexibler und mit mehr Rubato als sein Vater Kurt. Wie dieser bevorzugt er einen sehr ruhigen, hier dazu noch nahezu spannungsfreien Duktus. Erst ab Zi. 17 kommt Spannung auf. Die dynamischen Kontraste bleiben eher flach, evtl. aufnahmetechnisch bedingt. Später wird aber auch klar, dass dem Orchester nicht das letzte an Energie abverlangt wird oder dass es nicht willens oder fähig zu mehr ist.

Der 2. Satz klingt wie ein tumber, „außer Tritt“ geratener Ländler. Das staccato des Fagotts ist sehr weich, ebenso wie die pizzicato - Anweisung der Streicher umgesetzt. Hier fehlt es generell an Spritzigkeit und Zuspitzung.

Der 3. Satz wird zwar fein und differenziert ausgehört wirkt aber ermattet und spannungslos gespielt Die Holzbläsersoli klingen sehr schön, übernehmen des Ausdruck der Resignation sehr gut in ihr Spiel. Bei Zi. 90 sind die sfff der Bässe viel zu schwach und auch die Celli bei ihrem großen „Solo“ bleiben seltsam im Hintergrund.

Die Stretta im 4. Satz beginnt langsam auch die Accelerandi bekommen wenig Charakter. Ab Zi. 105 wird es zwar etwas brisanter, generell wirkt die Stretta jedoch durchweg gebremst. Es ist anzunehmen, dass der erste Abschnitt gar keine Stretta darstellen soll. Bei Zi. 111  wird mächtig auf die zurückhaltend Jubelnden eingeknüppelt. Die Gran Cassa klingt sehr mächtig, impulsiv und wuchtig. Die Coda (Zi. 131) klingt sehr transparent, Triangel und Piatti kommen viel besser durch als gewöhnlich. Generell bleibt die neueste Aufnahme aber indifferent im Ausdruck. Offen muss bleiben, ob das Orchester nicht zu mehr Ausdruck aufgefordert wurde oder es nicht mehr geben konnte. So bleibt es nur eine angenehm klingende und ganz schön gespielte Version eines voll klingenden Orchesters, die nicht recht Farbe bekennt.

 

____________________________________________________________________________

 

3-4

Kazushi Ono

Badische Staatskapelle Karlsruhe

Antès

1997  LIVE

15:12  5:29  14:18  11:05   46:04

 

Die Einspielung aus Karlsruhe klingt etwas stumpf und recht trocken, mit wenig unmittelbarer Präsenz und wenig Staffelung in die Tiefe. Stets wirkt der Klang räumlicher, wenn weniger Instrumente gleichzeitig spielen. Dem Orchester kann man eine respektable Gesamtleistung attestieren. Allerlei kleinere Unsicherheiten mischen sich vor allem im ersten Satz ins Spiel. Vor allem die Hörner fallen immer wieder mit kleinen Problemen auf. Die Holzbläser machen ihre Sache gut, wenn man vom üppigen Vibrato der Flöte einmal absieht. Ihr Gesamtklang wirkt jedoch nicht sonderlich homogen. Der Beginn ist von geringerer Intensität. Das stringendo gelingt sehr gut. Das Xylophon kommt gut ins Klangbild, die Militärtrommel dagegen nur dumpf. Der Höhepunkt der Durchführung ist durchaus eruptiv. Das largamente ist Topp. Bei a tempo con tutta forza mit gutem Tam - Tam spürt man die Kraftanstrengung durchaus, der Klang wird aber trotzdem nicht mächtig.

Der 2. Satz gelingt nur eher harmlos und betulich als angeschärft oder schrill. Das Geigensolo klingt plötzlich in einem größeren gut klingenden Raum, danach wird er wieder trocken.

Der 3. Satz wirkt durch das wenig farbige, wie verhangene Spiel noch nicht einmal unpassend dargestellt. Es will sich aber auch hier kein richtiges Espressivo einstellen. Die Flöte verzichtet hier auf ein Dauervibrato. Das Tremolo der 1. Geigen ab T. 66 wirkt seltsam abgehackt. Der Satz tritt phasenweise etwas auf der Stelle.  Den Streichern fehlt für ihren großen Höhepunkt der volle, sonore und glanzvolle Klang Auch den Celli fehlt es bei Zi. 90 im Vergleich deutlich an Intensität. Das Unisono von Harfe und Celesta gelingt homogen.

Im 4. Satz bringt der Dirigent durch den temperamentvollen Beginn und die nachhaltigen Beschleunigungen das Orchester an seine Grenzen Das Tam - Tam bei Zi. 111 kommt prima. Ono wählt die schnelle Coda und lässt die Gran Cassa sehr intensiv schlagen.

Dieser Mitschnitt war sicher als Dokument der Leistungsfähigkeit des Orchesters gedacht. Eine besondere Affinität zu Schostakowitsch lässt sich nicht ohne weiters erkennen. Dennoch eine beachtliche, ziemlich spannende Leistung.

 

________________________________________________________________________________

 

3-4

Armin Jordan

Orchestre de la Suisse Romande

Cascavelle

1987  LIVE

18:40  5:23  15:50  11:39   51 :32

 

Diese unausgewogene Aufnahme lässt das schweizerische Orchester anlässlich einer Tournee in der Aula einer amerikanischen Universität hören. Sie ist räumlich wenig dreidimensional, eher flach zu bezeichnen, eher dumpf als brillant, wenig abgerundet und ziemlich trocken. Es fehlt an Fülle und das Orchester hört sich an, als spiele es hinter einem Vorhang. Im Ganzen wirkt die Aufnahme eher improvisiert, denn längst nicht alle akustischen Probleme wurden gelöst, z.B. bei den Hörnern, die übermäßig indirekt klingen. Das Publikum ist ziemlich präsent. Einzig die Dynamik vermag zufriedenzustellen. Der Dirigent legt aber vernehmlich großen Wert auf einen klaren Stimmenverlauf und auf die Exposition des besonderen Instrumentariums. So klingen Xylophon und Militärtrommel präsent, das Klavier zwar präsent aber sehr dumpf. Auch die Präsenz des sonstigen Blechs ist gut (die Hörner sind da ausgenommen). Das Tempo im 1. Satz ist gemächlich und zumeist auch wenig spannend. Der Höhepunkt bei Zi. 38 wird jedoch nach Kräften ausgespielt. Der 2. Satz leidet unter kleineren Patzern, die sicher der Live – Situation geschuldet sind. Die Solo – Violine überspielt ihr glissando weitgehend. Die dynamische Spielweise kommt dem grotesken Charakter entgegen.

Der 4. Satz klingt fast wie ein Konzert für Pauke und Orchester, so stark wird sie teilweise in den Vordergrund gerückt. Auch die Präsenz von Posaunen und Trompeten überzeugt, sonst klingt es aber ziemlich unausgewogen. Im Tutti sind die Hörner die klaren Verlierer. Der Höhepunkt bei Zi. 111 mobilisiert alle Kräfte. Der hier recht spannungsvolle Ablauf mündet in eine langsame Coda mit 8 markerschütternden Schlägen der Gran Cassa, sie schießt den „Jubel“ geradezu wie mit Kanonenschlägen ab.

Diese unausgewogene Darstellung hätte es sicher verdient gehabt, ihr interpretatorisches Potential in einer sorgfältig produzierten Studioaufnahme zu zeigen.

 

_______________________________________________________________________

 

3-4

Jevgeni Mravinsky

Leningrader Philharmoniker

Melodija

1965  LIVE in Moskau

15:04  4:59  12:32  10:27   43 :02

 

MONO  An der Herangehensweise Mravinskys hat sich auch in diesem ältesten, dem Verfasser vorliegenden Mitschnitt nicht viel geändert. Insgesamt erscheint er sogar noch etwas flexibler und weniger starr als die späteren Mitschnitte.

Die ersten Violinen bohren sich förmlich ins Ohr des Zuhörers, die Flöte, die hier ausgesprochen vollmundig klingt, ist viel zu laut aufgenommen. Das accerlerando und der Zugriff ab poco animato (T. 135) ist unwiderstehlich. Ab dem Militärmarsch kann die Technik der Dynamik des Orchesters nicht mehr folgen, was insbesondere auch für das largamente und a tempo con tutta forza gilt. Die hörbare Intensität verpufft völlig und setzt sich in keiner Weise mehr in fühlbare Lautstärke um.  Das Violinsolo ergeht sich in waberndem Vibrato.

Der 2. Satz erklingt wild herausfahrend. Verfremdet und ganz weit weg von volkstümlicher Tanzmusik. Das Violinsolo ist hier pointiert gestaltet. Das Orchester spielt grotesk überhöht. Gerne hätte man im Vergleich auch noch die Aufnahme aus den Fünfzigern gehört, oder die aus den Vierzigern, als Stalin noch präsent war. Ob dieser Satz von der Groteske hin ins volkstümliche gewandelt dargestellt worden wäre?

Der 3. Satz verblüfft mit einem (ähnlich Stokowskis Live – Aufnahme aus London bekannten) mit Glissando versehenen Oktavsprung der Violinen in T. 86. Absicht oder nur unsauber gespielt? In den späteren Mitschnitten wurde das Glissando jedenfalls unterlassen. Das Holz hat hier seinen „großen“ Auftritt, was hier meint, dass es so laut im p zu hören ist, wie das ganze Orchester im f. Die Technik kannte da keine Skrupel.

Der 4. Satz steht den anderen Mitschnitten in nichts nach, außer dass das Xylophon nur zu erahnen, nicht aber zu hören ist, die Violinen teilweise mit gequälter und qualvoller Schärfe spielen. Piatti und Tam – Tam sind sehr gut hörbar. Mravinsky bremst dieses Mal schon acht Takte vor Zi. 121 das Tempo scharf ab. Die Coda ist ab Zi. 131 erneut quälend langsam. Die Gran Cassa ohne jede Durchschlagskraft.

 

Mravinskys Darstellung müsste eigentlich viel höher eingestuft werden. Der Mitschnitt wird aber durch die unfreiwillige Mitwirkung der Zuhörer derart sabotiert, dass man liebend gerne zu einem der anderen beiden Mitschnitte greift. Sie machen aus der Sinfonie ein Konzert für Husten und Orchester. Dynamikrekorde erreicht der Husten, wenn das Orchester leise spielt, oder Solisten ihr Bestes geben wollen. Offensichtlich wurde das Konzert aufgenommen, während eine bösen Grippewelle in Moskau hauste. So kann man den Mitschnitt nur den hart gesottenen Mravinsky - Verehren empfehlen, die alles von ihm hören wollen.

 

_______________________________________________________________________________

 

 

 

3-4

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie

Praga

1961  LIVE

13:50  5:08  13:03  9:47   41 :48

 

MONO  Gegenüber der Produktion unter Studiobedingungen fällt der Live – Mitschnitt in jeder Hinsicht ab. Die Klangfarben sind blasser, der Gesamtklang wirkt stumpf und trocken. Die Dynamik ist gravierend eingeschränkt. Die Publikumsgeräusche sehr präsent.

Die Holzbläser haben hier einen schweren Stand, sich klanglich durchzusetzen. Das Orchester selbst hat die Sinfonie noch nicht verinnerlich, es verrät noch allerlei Unsicherheiten. Was bleibt ist der beherzte Zugriff, die intensiv mitgehenden Violinen und das mitreißende stringendo.  Der 2. leidet unter den Unsicherheiten von Klarinette, Hörnern und im Violinsolo. Der 3.vermag sich durch die reduzierte Qualität bei weitem nicht so gut den Weg ins Herz Hörers zu bahnen, wie die Supraphon - Aufnahme.

Der 4. Satz lässt überraschend die Piatti tatsächlich ffff hören, wie es sein soll. Das Tam - Tam im ff ist aber verschwunden. Ansonsten immer wieder viele Patzer. Besonders in der eher noch langsameren Coda.

Die Live - Aufnahme kann allenfalls  als Vorarbeit für die grandiose „Studio-Aufnahme“ desselben Jahres gelten.

 

_______________________________________________________________________

 

3-4

Neeme Järvi

Scottish National Orchestra

Chandos

1988

16:25  5:20  14:18  10:42   46:45

 

Der Klang dieser Aufnahme, die als LP vorlag, ist zwar weiträumig aber auch etwas entfernt, leicht hallig und verschwommen. Eine gute Dynamik wurde durch zu lange Laufzeiten pro Plattenseite eingeschränkt. Trotz eines zurückgenommenen Aufsprechpegels. Neeme Järvi hat übrigens alle Sinfonien aufgenommen, zunächst für Chandos, die noch fehlenden dann für die DG.

Das Orchester lässt sich nichts zuschulden kommen, der Tempogestaltung fehlt aber das zwingende z. B. der Mackerras - Aufnahme. Auch der dynamische Ambitus wird nie ausgereizt.  Die Gestaltung von a tempo con tutta forza bleibt weit hinter der Gestaltung Mackerras´ zurück.

Im 2. Satz trifft sich eine müde Gesellschaft zu einem seltsam verhangenen Gesellschaftstanz.  Es fehlt entschieden an Wildheit und Schärfe. Die Fagotte artikulieren ohne das vorgeschriebene staccato weich und rund. Haben diese Tänzer etwa fette Bäuche?

Der 3. Satz legt hörbar Wert auf die leisen Töne, die gut abschattiert werden. Der 4. Satz zeigt eine recht angemessene Darstellung mit vernehmlichem accelerando. Die Coda ist langsam, die Gran cassa wuchtig und tief.

Der Beitrag Neeme Järvis zur Diskographie fällt sehr pauschal, bisweilen gar lahm aus.

 

________________________________________________________________________________

 

3-4

Leon Botstein

American Symphony Orchestra, New York

Eigenvertrieb des Orchesters via Internet

2010  LIVE

17:52  5:10  14:50  10:59   48:51

 

Botstein bietet mit seinem Orchester eine exakte Ausführung des Notentextes, bevorzugt die lyrischen Passagen gegenüber den dramatischen und bleibt dabei lediglich auf Schönspiel bedacht. Insgesamt ein ausziselierter, aber vordergründiger Beitrag zur Diskographie, ohne heftige Akzente und ohne Gespür für die grotesken Elemente. Als Meister der leisen Töne und der Struktur ist Botstein hier nicht unbedingt an der richtigen Adresse angekommen. Es fehlt wohl der Bezug zur Biographie DSCHs.

Der Klang ist klar und differenziert, recht dynamisch und weiträumig und auch in der Tiefe gut gestaffelt. Das Publikum ist mit diversen Geräuschen in leisen Passagen ziemlich präsent.

Hier noch ein paar Notizen: Violinen im 1. Satz ohne Vibrato, trotzdem recht ausdrucksvoll. Das 2. Thema sehr langsam gespielt mit meditativer Wirkung. Hier bläst eine warm timbrierte, angenehm zu hörende, unaufdringliche Flöte. Das Klavier ist gut zu hören, obwohl es zu leise spielt. Der Militärmarsch bei Zi. 37 kommt leicht und locker (!), ohne jeden Nachdruck. Der Klang von Streichern und Holz ist intonationssicher und ausgewogen, sie werden auch nicht sonderlich gefordert. Fff bei largamente bleibt harmlos. A tempo con tutta forza klingt lasch und zudem noch heruntergeregelt. Durch das langsame Tempo bekommt der 1. Satz etwas inszeniertes, von emotionalem Durchleben keine Spur.

Der 2. Satz (mit unterlassenem glissando) wirkt zur Gänze harmlos. Im 3. Satz trifft der Dirigent zwar teilweise exakt das Metrum (Largo = 50 die Viertel), was nutzt das, wenn die Dynamik derart nivelliert wird? Auch den klangvollen und gut artikulierten Holzbläsersoli, fehlt durch die Nivellierung der Nachdruck. Das Duo von Harfe und Celesta am Ende klingt sehr schön und homogen. Der 4. Satz wirkt behäbig, fehlt ihm doch die Dringlichkeit. Ohne jede Jubelgeste, ohne rassige Beschleunigung, Der Höhepunkt entbehrt der geforderten Dynamik und klingt lasch. Weich und vordergründig klingt die Coda.

 

____________________________________________________________________________________

 

3-4

Christoph Eschenbach

Philadelphia Orchestra

Ondine

2006  LIVE

17:35  5:45  16:26  11:57   51:43

 

SACD Trotz des jubelnden Beifalls am Ende des Konzertes erscheint die Charakteristik des Werkes nicht prägnant erfasst, vielmehr verzettelt man sich in akribisch aufgedröselten Details und lässt die große Linie weitgehend ohne Spannung schleifen. Trotz insgesamt ausgezeichneten Orchesterspiels ist von den Gefährdungen und den Abgründen, die sich in DSCHs 5. Sinfonie auftun, viel zu wenig zu spüren.

Die Aufnahme klingt weich, transparent und sehr weiträumig. Gemessen am Datum der Aufnahme könnte die Dynamik deutlich größer sein. 1. Satz: Sagenhafter Klang der Violen, sie klingen fast so voluminös und leuchtend wie die 1. Violinen. Klavier bleibt unscheinbar. Die Präsenz der Holzbläser lässt zu Wünschen übrig. Stringendo lange nicht so zwingend wie bei den zuvor gehörten Caetani und Dutoit. Auch Xylophon viel zu leise. A tempo con tutta forza allerdings ziemlich überzeugend. Flöte wieder mit zu viel Vibrato. Blechbläserpassagen wirken tendenziell oberflächlich. 2. Satz: Das behäbige Grundtempo schwächt das durchaus differenzierte und detailreiche Spiel und damit die Doppelbödigkeit deutlich ab. So wirkt der Satz wenig tänzerisch und kaum noch wie ein Ländler, eher wie ein sehr ungleiches Gespräch unter Bürokraten ohne sonderliche Brisanz. Hier kommt das Xylophon erheblich besser zur Geltung als im 1. Satz.

Der 3. Satz hört sich fast so an als hieße der Komponist Gustav Mahler. Jedoch hängt die Spannung oft durch. Die 1. Violinen erreichen lange nicht die Ausdruckskraft wie die des OSM unter Dutoit. Dem 4. Satz fehlt Aggressivität und Biss. Der Verlauf fühlt sich zäh an. Xylophon und Klavier hier erneut nahezu unhörbar. Die Gran Cassa wird dann aber hart geschlagen und klingt auch sehr präsent und tief.

 

________________________________________________________________________________

 

3-4

Ladislav Slovak

Slowakisches  Radio-Sinfonieorchester, Bratislava

Naxos

1987

16:42  5:05  14:54  11:25   47:56

 

Auch L. Slovak, übrigens während seiner Ausbildung auch Student bei Mravinsky, wurde das Dirigat einer Gesamtaufnahme der Sinfonien anvertraut. Das Orchester kann zumindest in der 5. nicht immer voll überzeugen. Als ob die Lenigrader Philharmoniker nachgeahmt werden sollen, lässt man die Violinen mit einem metallisch - harten und zudem noch dünnen Klang spielen. Die linke und die rechte Seite des Orchesters wirken unüblich weit voneinander entfernt. Ansonsten wirkt der Klang hier aber offener, transparenter und natürlicher als bei Mravinsky, wie bereits erwähnt bis auf die Violinen. Slovak leistet sich aber ein paar fragwürdige Entscheidungen bzgl. der Tempowahl und lässt ganz anders als sein Lehrer auch einen nicht ununterbrochenen Spannungsaufbau zu. Im 2. Satz sind die Hörner viel aussagekräftiger und präsenter als z.B. bei der Nachfolgeaufnahme bei Naxos unter Rahbari. Der Satz wirkt viel langsamer als es die Spielzeit vermuten lässt. Das Fagott wird bisweilen seiner Wichtigkeit im Kontext beraubt. Insgesamt dennoch kontrastreich und rhythmisch noch ganz gut zugespitzt.

Der 3. Satz wird zwar eigentlich emotional gesättigt gespielt leidet aber besonders unter den hart intonierenden und hier nicht immer lupenreinen Violinen. Beim Hörer sorgen sie so für eine gewisse emotionale Distanzierung.

Die Stretta des 4. Satzes wird zwar schrill, aber auch etwas lustlos gegeben, phasenweise wirkt der Satz wie durchbuchstabiert. Die sehr langsame Coda verfügt über eine sehr gute Gran Cassa.

Insgesamt ist Slovaks Darbietung allenfalls solide, es ist ihm kein großer Wurf gelungen. Die gespannte Intensität seines Lehrers fehlt ihm fast völlig.

 

______________________________________________________________________________

 

3-4

Alexander Rahbari

BRT Philharmonic Orchestra, Brüssel

Naxos

1990

16:28  5:35  16:36  10:32   49 :32

 

Rahbaris Aufnahme ist von einer halligen, im ff verschwommenen und mulmigen Akustik geprägt. Zudem klingt es auch leicht topfig. Die Dynamik und Transparenz sind hinreichend. Das sind schon keine optimalen Voraussetzungen für eine gute Wiedergabe einer Sinfonie von DSCH. Seltsam ist, dass das Holz nah und greifbar erscheint, das Blech und die Violinen dagegen deutlich entfernter. Dem an sich gut aufgelegten Orchester fehlt auch die Brillanz. Die beklommene Atmosphäre des 1. Satzes wird zu Beginn ganz gut eingefangen. Bei den Höhepunkten agiert man jedoch ziemlich hektisch und zu aufgeregt. Da fehlt es an Souveränität. Der 2. Satz bekommt in dieser Gangart einen trägen Grundcharakter, bei weitem nicht secco genug. Die sf sucht man vergebens. Die Fagotte spielen ihr staccato mit viel Ausdruck, aber wenig spitz, womit das hämische Kichern schon wieder etwas verunklart wirkt.

Der 3. Satz klingt vor allem von den Holzbläsern einfühlsam und detailreich intoniert. Bei den Streichern vermisst man die letzte Hingabe und Entäußerung nicht. Die sfff der Kontrabässe sind viel zu harmlos und gehen im Klagen der Celli völlig unter.

Für die Stretta im 4. Satz wählt man einen zu behäbigen breiten Strich der Violinen und Bratschen. Erst ab piu mosso Zi. 108 wird es leichter und flotter. Den Höhepunkten fehl es wieder an Nachdruck, am Ende dröhnender Gesamtklang. Ziemlich langsame Coda mit einer Gran Cassa ohne den letzten Nachdruck.

In Rahbaris Aufnahme überzeugt nur der 3. Satz.

 

____________________________________________________________________________

 

3-4

Pierre - Dominique Ponnelle

Staatsphilharmonie Minsk

Musicaphon

1994

19:18   5:15  16:05  12:22   53 :00

 

Ponnelles Darbietung  entbehrt über weite Teile jeder fesselnden Energie. Er bietet stattdessen Zeitlupentempo in der Exposition des ersten Satzes, das eine ermattete Antriebslosigkeit bzw. eine elegische Meditation darstellen könnte. Dazu passt auch der sehr niedrige Aufsprechpegel der Aufnahme, die ein etwas entferntes aber recht transparentes Klangbild hören lässt. Die Instrumente des Orchesters und auch die Spielkultur sind nicht von allerbester Qualität, aber angesichts der von staatlicher Seite vorgegebenen Verhältnisse (keine Heizung im Winter, kaum Material für Reparaturen etc.) machen die Musiker das beste aus ihrer Situation und einen konzentrierten Job. Ab Zi. 25 nimmt die Interpretation Fahrt auf, wird dann sogar bewusst hektisch und nervös. Das largamente wird wieder sehr langsam und schwerfällig genommen. Dem 2. Satz, mit gebremstem Elan gespielt, gibt man einen wenig ausgelassenen Tanzcharakter, wie bei schlechter Zirkusmusik, mit auf den Weg. Der 3. Satz vermittelt einfühlsam eine karge Seelenlandschaft voller Trauer und Resignation.

Der 4. Satz ignoriert den Stretta-Charakter mit einem langsamen Beginn und bleibt auch im weiteren Verlauf schleppend. Insgesamt bleibt der Satz sehr getragen, gar behäbig und neutral im Ausdruck. Die Coda hingegen wird seltsamer Weise dann schnell vorgetragen. Im Kontext der vorherigen Temponahme erscheint das als eher fragwürdige Entscheidung.

 

________________________________________________________________________________________

 

3-4

Eliahu Inbal

Radiosinfonieorchester Frankfurt (heute HR - Sinfonieorchester)

Denon

1988

15:55  5:31  14:17  10:46  46:29

 

▼ gemeinsame Betrachtung der beiden Einspielungen des Dirigenten am Ende der Liste 

 

_____________________________________________________________________________________

 

3-4

Rudolf Barshai

Philharmonische Werkstatt Schweiz

Musiques Suisses

1989

14:33  5:28  11:52  11:10  43:03

 

Diese Aufführung in der Tonhalle zu Zürich kann leider nicht zur Gänze ihren Werkstattcharakter abschütteln. Dem Orchester hätten noch ein paar Proben mehr gut getan, während die Einspielung von der Tempogestaltung und Transparenz der Faktur her gesehen eine hohe Kompetenz mit einbringt. Auch wirkt der Gestus der Musik sehr gut getroffen und an der bohrenden Intensität der Darbietung ließe sich nicht viel aussetzen. In Hinsicht auf die Perfektion des Orchesters kann sich die Einspielung jedoch in keiner Weise mit der Kölner Einspielung Barshais messen.

Schon bei Zi. 4 sind die Violinen und die Flöte nicht synchron. Das Blech spielt eigentlich nie so richtig sicher, bei a tempo con tutta forza sehr man jedoch richtig zur Sache. Die Differenzierung im pp-Bereich lässt zu wünschen übrig. Andererseits wird das Allegro non troppo mit spürbarem Sog angezogen und Barshai setzt ein gekonntes lang gezogenes Stringendo bis Zi 27, wo eigentlich keins vermerkt ist.

Im zweiten Satz fehlt es Bässen uns Celli am nötigen Nachdruck, die Hörner wirken wenig treffsicher und die Trompeten liegen auch mal total daneben. Das Orchester wirkt nicht reaktionsschnell genug, der gestus wirkt viel harmloser als in Köln.

Dass auf die Streicher sehr viel mehr Verlass ist als sauf die Bläser hören wir im dritten Satz, der innig wirkt und sehr vom besonders schönen Klang der Streicher profitiert., während wir das Holz schon viel eloquenter hören konnten und vor allem auch sauberer. Celli und Bässe erscheinen auch in diesem Satz weit unterbelichtet.

Zu Beginn des vierten Satzes vermissen wir die Galeerenpauke, denn sie wird viel zu weich geschlagen. Für die vorweggenommene Stretta wirken auch die Violinen nicht austrainiert genug. Bei diesem Orchester spürt man die nicht gemeisterten Anforderungen des Stückes fast jederzeit. Barshai bringt dennoch bei Zi. 108 eine unwiderstehliche Beschleunigung, die das Orchester nicht sonderlich präzise umsetzt. Das Finale bekommt ein langsames Tempo verpasst. Während die Darbietung spürbar einem guten Plan folgt hapert es an seiner Umsetzung. Allzu viele Ungenauigkeiten verderben den Transport der Botschaft. Der Werkstattprozeß war bei der Einspielung wie bereits erwähnt noch nicht abgeschlossen.

Mit der Klangtechnik wurden Profis betraut. Dass man sogar 1989 noch auf Analogtechnik zurückgreift lässt aufhorchen. Der Klang wirkt offener, heller, frischer und weicher als z.B. bei der Einspielung von Lahav Shani von 2018. Die Staffelung erscheint sehr gelungen, die Räumlichkeit natürlich. Der Gesamtklang wirkt schön luftig, aber gar nicht hallig. Die Klangfarben wirken schön leuchtend. Eine seltsame Produktion.

 

______________________________________________________________________________________

 

3-4

Jascha Horenstein

Wiener Symphoniker

Vox - BnF

1952

15:06  4:58  15:14  9:50   45 :08

 

Mono Eine durchaus hörenswerte Interpretation wird durch eine miese Aufnahme- und Pressqualität ihres Wertes beraubt. Die Dynamik erscheint extrem begrenzt. Es spielt sich alles auf einem Level in einer Art Durchschnittslautstärke ab. Die von der Bibliothèque de France digitalisierte LP nervt mit ständigen Schleifgeräuschen, was das Hörerlebnis für empfindliche Ohren stark mindert. Andere Einschränkungen gesellen sich noch dazu. Das Klavier ist jedoch gut durchhörbar. Die Hörner hingegen z.B. bei T. 165 ff viel zu leise bis unhörbar. Das Xylophon ist fast gänzlich verschwunden. (ab Zi. 30). Horensteins Darstellung hat Zug und auch in der Durchführung von eindrucksvollem Espressivo. Das Violinsolo im 2. Satz wird mit auffälligem, vom Klezmer inspirierten Glissando gespielt. Die ziemlich bissige Gangart trifft den gewünschten Charakter gut. Im 3. Satz können die kleineren Intonationstrübungen das mit großer Anstrengung vorgetragene espressivo kaum stören. Harfe und Celesta erreichen ein perfektes Unisono beim „Wiegenlied“ T. 184 – 189.

Im 4. Satz klingt dann wieder die Pauke viel zu leise und die Hörner sind kaum besser hörbar, es sei denn es gibt ein Solo. Die einkomponierte Beschleunigung bleibt sehr zurückhaltend. Auch Tamburo und die mächtige Cran Cassa sind fast ganz verschwunden. Die Coda klingt einfach schauerlich. Man hört eigentlich hier statt dem ganzen Orchester nur die Trompeten und das Piccolo. Es fehlt dem zum trotze nicht an Engagement, aber wenn so viele Stimmen fehlen nutzt das auch nicht mehr viel. Die Technik versagt hier kläglich und wertet die Interpretation deutlich ab.

 

____________________________________________________________________________

 

3-4

John Barbirolli

Hallé Orchestra, Manchester

BBC Legends

1963

16:10  4:40  13:20  8:43   42 :53

 

Mono Dass Barbirollis Aufnahme fast am Schluss kommt, ist auch der Aufnahmetechnik anzulasten. Eigentlich müsste sie zumindest bei 4 oder gar 4-5 eingeordnet werden. Er hätte die BBC zu einer Stereoaufnahme zwingen müssen, was Stokowski ein Jahr später allerdings in London gelang. Aber der war auch als Klangfanatiker bekannt und immer auf der Suche nach dem bestmöglichen Klang, oder dem, den er dafür hielt. Obwohl der zeitgenössischen Musik gegenüber sehr aufgeschlossen, ließ Barbirolli Schostakowitsch bei „seinem“ Hallé Orchestra stets von Gastdirigenten auf das Programm setzen. Er nahm auch nie eine kommerzielle Aufnahme einer Sinfonie von DSCH auf. Dies war und blieb sein einziges Dokument seiner Auseinandersetzung mit Schostakowitsch. Die Rundfunkproduktion erfolgte ohrenscheinlich ohne Publikum, hätte also gute Vorrausetzungen (mit Schnittmöglichkeiten) gehabt. Der Klang der BBC blieb aber mau, nicht besonders durchhörbar, mit mangelhafter Dynamik und einem gewissen farbschwachen sozialistischen Grau in Grau für alle Instrumente. Orchestrale Brillanz bleibt so Fehlanzeige. Das Orchesterspiel (das Orchester war ja keineswegs unerfahren, was Schostakowitsch anlangte) trifft den expressiven, trauergesättigten Klang zu Beginn gut. Allerdings klanglich matt und farblich indifferent. Das Klavier klingt flach und wenig tragfähig (ab Zi. 17). Poco animato dann deutlich und mitreißend. Der Militärmarsch wirkt handzahm, ob der mangelhaften Dynamik, obwohl das Orchester alles gibt, was es zu bieten hat. Es spielt sich fast die Seele aus dem Leib. Das Xylophon ist absolut unhörbar.

Im 2. Satz gelingen die Soli der Violine authentisch wie selten, genau wie die „Mahlerstellen“, auch die Soli sind topp.

Im 3. Satz wird durch das zügige Tempo der larmoyante Trauerrand weitestgehend vermieden. Die beiden Flöten spielen die Dissonanzen ab Zi. 79 voll aus. Das Klavier ist jedoch trotz fff kaum zu hören.

Der 4. Satz leidet besonders unter den Null – Dynamik. Das stürmische Tempo hätte wirklich Besseres verdient. Das Orchester spielt erheblich sauberer als die Tschechische Philharmonie in ihrem Mitschnitt bei Praga. Bei T. 239 ist die Harfe unhörbar. Die Gran Cassa hat überhaupt keine Wirkung. So wird auch diese untadelige, in weiten Teilen hochklassige Interpretation von einer schlampigen Produktion entwertet. Dadurch, dass so viele Instrumente klanglich nahezu verschwinden, verliert die Musik ihren spezifischen Klang und wird auch ihrer speziellen Ausdrucksdimension beraubt. Der sarkastische Unterton wird so wegnivelliert.

 

_________________________________________________________________________________

 

 

 

2-3

Martin Elmquist

Luxembourg Philharmonia

Classico, Olufsen Records

2004, Live

17:52  6:04  13:22  12:20  49:38

 

Dieses Orchester hat nur den auffallend ähnlichen Namen mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg gemein. Es handelt sich um eine Vereinigung von Hobbyisten und werdenden und pensionierten Profis. Das weiß man bereits nach dem Hören des ersten Taktes. Die ersten Violinen sind nicht zusammen, werden im Ton kratzig, sobald der Rhythmus etwas anspruchsvoller wird. Intonationsprobleme sind auch im Tutti hörbar, obwohl die Orchestergröße stattlich erscheint, die Website des Orchesters schreibt von 90 Mitgliedern. Bei den Bläsern geht es eher noch ärger zu, die Oboe verfügt zwar über einen ganz schönen Ton, aber mit der Intonation hapert es enorm. Das Hören entwickelt sich schnell zur Qual, aber anders, als es sich der Komponist vorgestellt haben mag. Dass sich ein Amateurorchester überhaupt an die Partitur rantraut ist natürlich respektabel, es ist aber auch Indiz dafür, wie weit der Komponist die spieltechnischen Anforderungen reduzieren musste, um dem Idel der kommunistischen Einfachheit und Fasslichkeit entsprechen zu können. Bei der Vierten Sinfonie, die noch gänzlich ohne das Gefühl von Repressionen und Todesangst ganz nach den Vorstellungen des Komponisten geschrieben wurde und während der Proben noch von Schostakowitsch zurückgezogen wurde, hätte das Orchester gar nicht erst mit den Proben beginnen müssen.

Der zweite Satz wird sozusagen in gebrochenem Musikalisch dargeboten. Die spieltechnischen Anforderungen entsprechen kaum den vorliegenden Voraussetzungen. Das Violinsolo wie auch die Mahlersequenzen werden von den Streichern „in den Sand“ gesetzt.

Im dritten Satz sollte man den Enthusiasmus der Musiker einmal ehren, aber von einem sauberen Spiel sind sie weit entferntStändig wird man als Hörer vom Fluss der Musik weggerissen.

Der vierte Satz verzichtet auf die Stretta zu Beginn, aber auch so gelingt das Zusammenspiel nur unpräzise. Von der Realisierung des Notentextes sind die Musiker weit entfernt. Auf die ff-Entladungen freuen sich die Spieler ganz besonders, hier wird die ganze Verve und Inbrunst investiert. Das Finale wird sehr langsam genommen, was allen Mitwirkenden sicher entgegenkommt. Großer Jubel von allen Freunden und Verwandten der Mitspieler. Die CD ist ausschließlich für dieses Klientel und die Musiker selbst von Interesse. Für alle anderen an der Musik interessierten Hörer sollte sie nicht infrage kommen. Die Website schreibt zum Dirigenten, er stünde bereits seit 1996 ungebrochen dem Orchester vor. Was sich zunächst wie ein Übersetzungsfehler liest, versteht man erst, nachdem man die CD gehört hat.

Mit der Aufnahme des Konzertes wurden echte Profis beauftragt. Sie wirkt glasklar, sehr räumlich und körperhaft. Die Staffelung gelingt hervorragend, auch in die Tiefe des Konzertsaales hinein. Die Dynamik wirkt weit, die Klangfarben satt, der Gesamtklang fast audiophil. Das wurden beste Voraussetzungen für eine gelungene Unternehmung geschaffen.

 

____________________________________________________________________________________

 

 

 

Mitschnitte von Rundfunkübertragungen, die nicht im Handel erhältlich sind, aber vielleicht doch nicht uninteressant erscheinen.

 

5

Teodor Currentzis

HR-Sinfonieorchester

Hessischer Rundfunk

2011, Live

15:21  4:53  15:11  11:24  46:49

 

Teodor Currentzis, wie Semyon Bychkov, Yakov Kreizberg, Yuri Temirkanov, Valery Gergiev und viele andere bei Ilya Musin u. a. in St. Petersburg ausgebildet und selbst viele Jahre in Rußland als Dirigent tätig, findet einen authentisch wirkenden Zugang zur Musik der 5. Sinfonie, den man in der jungen Generation nicht allzu oft antreffen dürfte. Er sieht die Komposition deutlich in der Gefolgschaft der Sinfonien Mahlers stehen, weiß dass Mahler und Berg die beiden Vorbilder Schostakowitschs waren und er bei Ihren Kompositionen Rat gesucht hat, wenn er nicht mehr weiterwusste. Nur seine Orchestrierungstechnik baue sich in dieser Sinfonie auf der Tschaikowskys auf. Von Mahler wäre er allerdings geradezu besessen gewesen, sagte der Dirigent in einem Interview während der Pause dieses mitgeschnittenen Konzertes aus Kassel. Er stellt die Fünfte als das hin was sie ist, ein Kompromiss, als Reflex auf die politischen Verhältnisse mit denen er klarkommen musste und seinem eigenen Ausdruckswillen. Seine Herangehensweise lässt sich als subtil, tendenziell parodistisch aber auch die immanenten Gegensätze voll ausspielend bezeichnen, dabei ausdrucksvoll und souverän. Ein Zusammenstückeln von verschiedenen Takes, das den Geist der Musik gefährden könnte, kann bei einer Direktübertragung nicht passieren, weshalb wir hier einem natürlich wirkenden, flüssigen Muszieren folgen können. Anders als bei seiner CD-Aufnahme des „Sacre“ von Strawinsky.

Das Spiel des weitgehend souverän und sehr klangschön agierenden Orchesters erscheint klar und deutlich. Auffallend ist auch das gänzlich vibratolose Spiel, das sich etwas abgeschwächt auch bei den anderen Mitschnitten weitgehend durchgesetzt hat. Die Lesart schließt sowohl kleinteiligere, affektbezogener Passagen ein, aber belässt den langen großbogigen Steigerungsverläufen auch ihre Notwendigkeit. Verglichen mit dem Mitschnitt des damals 86jährigen Skrowaczewski aus Frankfurt nur ein Jahr zuvor, spielt das Orchester zwar genauso schön, aber bei Tempoverschärfungen Currentzis´ soghafter und dramatischer. Auch die Hörner kommen einfach besser zur Geltung, aber das mag an der kleineren Bühne in Kassel gelegen haben. Ab Zi. 27 erscheint die orchestrale Gewalt bei Currentzis mitreißender und er lässt auch strammer marschieren. Der politische Kader hätte das natürlich gerne so gehört, die Ambivalenz lässt sich eben nicht plötzlich wieder abstellen. Die Durchführung wirkt konvulsivisch und brodelnd. Instrumental wirkt der Mitschnitt sehr gelungen, nur das Piccolo könnte bisweilen deutlicher herauskommen.

Wie auch in Frankfurt kommt der Bass gerade auch im zweiten Satz sehr gut heraus, anscheinend haben die Techniker des HR da ein besonderes Faible entwickelt. Uns gefällt es. So wie hier stampft es sonst nur bei Skrowaczewski in Frankfurt und bei den Spitzenaufnahmen von Roshdestwensky und Svetlanov. Das straffe Tempo bringt die wilde Gestik sehr pointiert heraus. Die direkten Mahler-Anleihen werden natürlich sehr deutlich gemacht, auch auf die Zwischentöne wird geachtet.

Den dritten Satz sieht Currentzis in erster Linie von Bach geprägt. Er meint, er klänge weder tragisch, noch traurig und er wäre nur oberflächlich schön. Das mag man so sehen können. Das Orchester spielt sehr konzentriert, die Soli ohne jedes Vibrato, auch die Flöte; da liegen mittlerweile Welten zwischen Kassel 2011 und der Muti-Aufnahme aus Philadelphia 1992. Das wirkt einfach auch viel weniger eitel und fügt sich besser ins Gesamtbild des Satzes ein. Das ganze Satz wirkt sehr ausdrucksvoll und enorm abschattiert. Insgesamt eben doch ein beeindruckender Klagegesang.

Currentzis findet den vierten Satz clever gemacht. Triumphal, aber dadurch, dass er nicht eindeutig Dur oder Moll wäre, auch seltsam. Er meint zu dem ständigen Geleier auf dem Ton A in der Coda, das „la“ (italienisch für a) würde auf Russisch „Ich“ heißen und der Komponist möchte seinen Freunden die Botschaft senden, dass es jetzt er selbst wäre, der jetzt spricht. Currentzis macht es selbst auch „clever“. Stürmisch angetrieben bringt auch er die Stretta zu Beginn des Satzes, vom Orchester mitreißend dargeboten. Im Verlauf hält er immer die Spannung bis zur Jubelfloskel, die bei Chailly allerdings noch eine Spur geschwinder kam. Die Gran Cassa kommt wie in Frankfurt mit größter Vehemenz. Frenetischer Jubel in Kassel.

Der Ton wurde in 5.1 Dolby Digital gesendet. Die Akustik in Kassel erscheint lange nicht so weiträumig wie in Frankfurt, kommt eher auf die räumlichen Gegebenheiten Saarbrückens heraus. So wirkt auch der Orchesterklang etwas zusammengerückt und etwas dichter. Auch das betont Voluminöse der Frankfurter Akustik ist gewichen, das Orchester wirkt schlanker, nicht ganz so voll, weich und füllig und sogar etwas brillanter.

 

__________________________________________________________________________

 

5

Riccardo Chailly

Gewandhausorchester Leipzig

Mitteldeutscher Rundfunk

2014, Live

15:42  5:10  14:40  11:30  47:02

 

Wie die Einspielung Currentzis´ erscheint auch die Aufnahme Riccardo Chaillys als wert, veröffentlicht zu werden.  Schon zu Beginn gelingt es Chailly den resignativ-ausdrucksvollen Gestus entstehen zu lassen, obwohl (oder gerade weil?) die Streicher des Orchesters einen herrlich „süffigen“ Ton hervorbringen. Zu Beginn könnte das Blech bisweilen noch etwas bissiger klingen, aber das legt sich schon bald. Die Durchführung klingt aufgeregt und aufregend und zugespitzt. Das fff wird durchdringend gespielt, was man in erster Linie an den Obertönen bemerkt, denn die Übertragungstechnik kommt an ihre Grenzen. Das was aber tatsächlich an Dynamik ankommt, wirkt gesoftet. Das eint übrigens alle hier vertretenen Mitschnitte aus Rundfunkübertragungen. Das Orchester wirkt auch bei der con tutta forza – Stelle ein wenig zu kultiviert, da bleibt Svetlanov in seiner Moskauer Aufnahme der Maßstab. Das Orchester hat ein hervorragendes Niveau erreicht und klingt viel besser als noch zu Masurs Zeiten. Vor allem das Holz besticht mit herrlichem Ton. Der ganze Satz wirkt veredelt, ohne dass dadurch der Ausdruck auf eine falsche Bahn geraten würde.

Ein klein wenig gemäßigter im Gestus als bei Currentzis erscheint der zweite Satz bei Chailly. Fagott und Hörner machen ihre Sache toll und soweit es das etwas langsamere Tempo hergibt, erscheint der Verlauf auch zugespitzt. Das Violinsolo überzeugt mit herrlichem Klang und ironischer Brechung.

Der Streichersatz im dritten Satz besticht mit einem wunderbar vollen, sonoren Klang, wird aber dennoch sehr transparent gehalten. Gerade die Violinen, aber such die Celli bei ihren „Solopassagen“ bringen viel Schmelz ins Spiel, ohne auch nur einen Anflug von Kitsch mitzubringen. Auch in Leipzig haben sich die Flöten nerviges Vibrato völlig abgewöhnt. Dissonanzen werden ungeschönt hervorgehoben. Auch die Oboe findet genau den richtigen Ton, weich, voll, edel getönt ist sie in der Lage Mitleid auszulösen. Zi. 89 gelingt ungemein expressiv (vor allem die Violinen). Der Mischklang von Celesta und Harfe gelingt in Leipzig von allen Mitschnitten am besten. Hier werden beide durch das perfekte Zusammenspiel und den Schmelzklang zu einem Instrument.

Die anfängliche Stretta kommt bei Chailly zunächst etwas langsamer in Fahrt, hat aber bereits viel Spannung. Ihm gelingt es aber das poco accelerando ganz sukzessive ins Allegro übergehen zu lassen. Viele beschleunigen rabiat und haben später keine Reserven mehr. Das Blech dreht nun voll auf, bleibt immer ausdrucksvoll, nie wirkt hier etwas veräußerlicht. Der große Steigerungsverlauf gelingt beeindruckend. Der Mittelteil todtraurig. Das Erspressivo bei Zi. 113 wird bis zum Anschlag gesteigert. Keine Stimme wird vernachlässigt, die Spannung sehr gut durchgehalten. Die Innenbalance des Orchesters ist hervorragend. Zf. 129, wie auch alle Einsätze der Gran Cassa werden ihrer Bedeutung vollauf gerecht und klingen sagenhaft wuchtig. Eine Triumphgeste erscheint wirkungsvoll unterlaufen. Eine Meisterleistung vom Dirigenten und vom Orchester.

Auch der MDR bietet ein weiträumiges 5.1. Klangbild in Dolby Digital an. Das ist zwar deutlich von dem Klang entfernt, den eine SACD bietet, weil die Daten stark reduziert weitergeleitet werden. Es wirkt aber immerhin sehr transparent, gut gestaffelt, recht weich und abgerundet, sogar recht plastisch. Die Dynamik erscheint für die Sender trotz des Extrakanals für den Bass immer noch verbesserungswürdig, genau wie Fülle und Glanz. Was für das hoch aufgelöste Fernsehen möglich ist, sollte auch für den Rundfunk möglich sein: Die hohe Auflösung würde den Klang noch realistischer machen.

 

_____________________________________________________________________________

 

5

Stanislav Skrowaczewski

Deutsche Radio Philharmonie

Saarländischer Rundfunk

2013, Live

17:30  5:34  15:35  11:42  50:21

 

Gegenüber seinen älteren Einspielungen aus Minnesota (1961) und Manchester (1990) hat die Lesart Skrowaczewskis weiter an Tempo eingebüßt. Das gilt auch für den Frankfurter Mitschnitt von 2010, der fast auf die Sekunde die gleiche Spieldauer aufweist wie der drei Jahre später entstandene aus Saarbrücken. Solistisch konnten wir keine Qualitätsunterschiede zwischen den beiden Rundfunkorchestern heraushören, im Zusammenklang mag das HR-Sinfonieorchester ein winziges Bisschen „perfekter“ sein, wahrscheinlich war es auch etwas größer besetzt. Aber das kann man kaum von einer Sinfonie in einem Konzert aus betrachtet verallgemeinern. Die DRP wirkt jedoch etwas bissiger, von Beginn an vorwärtstürmender, aktiver. Dem entspricht ein nicht so depressiver Gestus, sondern ein etwas kämpferischer. Das mg auch am Dirigenten selbst liegen, der vor dem Gastspiel in Frankfurt eine schwere Krankheit zu überstehen hatte und der sich noch beim Frankfurter Orchester für das wunderbare Spiel bedankte, das viel zu seiner Genesung beigetragen hätte. Der DRP war der Dirigent über viele Jahre als erster Gastdirigent verbunden, ein Posten den es zuvor nicht gab und danach auch nicht mehr, der also eigens für ihn geschaffen wurde. Es spielte unter seiner Leitung immer besonders engagiert und der Dirigent genoss die besondere Verbundenheit mit dem Orchester, die jedoch nie eine strenge, akribische Probenarbeit verhinderte. Das ist die gesamte Sinfonie über an einem hingebungsvollen Spiel zu hören. So gelingt die Durchführung noch etwas gespannter. Die p-Partien werden aber offenbar vom Sender etwas angehoben, was sie zwar präsenter klingen lässt, was aber durch die so nicht mehr gegebene gleichbleibende Positionierung der einzelnen Instrumente etwas irritiert. Man soll die Sinfonie anscheinend auch im Auto, trotz der Fahrgeräusche, noch bruchlos hören können. Die Spannung ist dennoch prickelnder als in Frankfurt, aber wie gesagt, vielleicht war auch der damals 89jährige Skrowaczewski einfach an diesem Tag etwas fitter.

Auch im zweiten Satz klingt das Orchester markiger als in Frankfurt, bedingt vielleicht auch durch die direktere Mikrophonierung, die kleinere Bühne oder den kleineren Konzertsaal. Das Orchester hängt sich aber auch vorbehaltlos rein und gibt sein allerbestes. Das Violinsolo klingt bestens, da stimmt alles. Es gefiel uns besser als beim Mitschnitt mit demselben Orchester mit Pietari Inkinen von 2011.  Das Fagott zeigt ein richtig markiges Staccato, da sprühen die Funken. Insgesamt ein etwas pointierterer Vortrag als in Frankfurt.

Die Bässe haben allerdings kaum das Volumen und den Druck wie in Frankfurt. Das liegt wohl auch am beim SR fehlenden 5.1. Sendeformat. Das Orchester spielt hoch konzentriert. Besonders nah und groß erscheinen die verschiedenen Soli im offenen Tonsatz der Komposition. Die Soli selbst werden sehr intensiv gestaltet. Herauszuheben wäre die Oboe mit ihrem vollen, zugleich aber auch durchdringenden, intensivem und differenzierten Ton. Man merkt, der Oboist schont weder Instrument noch Lunge. Auch die Flöte klingt sehr schön. Anscheinend hat sich das vibratoarme bzw. vibratolose Spiel mittlerweile zumindest in Deutschlang auf breiter Ebene durchgesetzt. Das Orchester wächst über sich hinaus, ist der Trauer und Klange unmittelbar musikalisches Sprachrohr geworden. Eine Sternstunde, die sicher nicht bei jedem Werk und in jedem Konzert so gelingen kann.

Der letzte Satz beginnt artikulatorisch deutlich und bissig.  Der Gestus wirkt durchweg enorm expressiv. Der rasant genommene Höhepunkt der Entwicklung gelingt imposant. Es wird ein spannender Bogen über den gesamten Satz gespannt, der nie abbricht. Das ffff des Tam-Tam wird aufnahmetechnisch bzw. wiedergabetechnisch total glattgebügelt. Da könnte die Übertragungstechnik noch einiges besser machen. Gegenüber dem 5.1. Sound aus Sachsen und Hessen hat der 2.0 Stereo-Klang (neuerdings auch in Dolby Digital und nicht mehr in Mpeg) aus Saarbrücken in Hinsicht auf die Gran Cassa nicht viel zu melden, der ganze Bass wirkt in 5.1 viel dynamischer. Die scheinheilige Schlussapotheose wird allerdings besonders spannend herausgebracht. Die Gran Cassa klingt zwar ohne das rechte Bassfundament aber immer noch so heftig wie der sprichwörtliche Hammer, mit dem hier die Sargnägel in den Sarg eingehauen werden (so die verbale Interpretation von Rostropowitsch zur Gran Cassa an der Stelle). Wie bereits in Frankfurt außerordentlicher Jubel auch in Saarbrücken.

Der Klang in Saarbrücken wirkt näher und präsenter, unmittelbarer, ohne trocken zu sein. Gegenüber der 5.1. Wiedergabe des HR wirkt die Sendung des SR in 2.0 weniger räumlich-expansiv und weniger in die Tiefe gestaffelt. Dynamisch sind leider alle Rundfunkübertragungen deutlich gegenüber der LP, CD oder SACD eingeschränkt. Da liegt es immer noch im Argen, deshalb rauscht aber nichts mehr und der Klang ist mittlerweile sehr klar, deutlich und ungestört. Trotzdem sehnt sich der Musikfreund nach einer HD-Musikwiedergabe. Wie beim Fernsehbild, sollte das doch auch beim Ton realisierbar sein.

 

____________________________________________________________________________

 

 

 

4-5

Stanislav Skrowaczewski

HR-Sinfonieorchester

Hessischer Rundfunk

2010, Live

17:29  5:22  15:45  11:43  50:19

 

Stanislav Skrowczewski war 14 Jahre alt, als die Sinfonie uraufgeführt wurde. Er hat sie später sehr oft selbst dirigiert und bei allerlei Gelegenheiten den Komponisten auch selbst getroffen, 1948 wohl in Paris, später dann in Prag und in Warschau, wie sich der Maestro im Pausengespräch erinnerte. Auch vor dem ersten Autodafé kannte er ihn schon, da begegnete er dem Dirigenten noch als fröhlicher Mensch. Danach begegnete er ihm als „zerstörter Mensch“. Damals meinte Schostakowitsch, er wäre wohl so etwas wie ein Bruckner des 20.Jahrhunderts. Und auch er würde die fünfte noch einmal gerne neu fassen, z.B. auch mit den Kleinigkeiten vermerkt, die Skrowaczewski anders machte, als in der Partitur notiert. Aber er würde lieber, statt die eine „achte oder neunte Fassung“ der fünften zu erstellen, dann doch lieber eine neue Sinfonie schreiben. Skrowaczewski dirigierte (in Frankfurt ist es verbürgt) die Sinfonie übrigens auswendig.

Die Lesart ist im Prinzip dieselbe wie die soeben beschriebene mit ein paar differierenden Kleinigkeiten. Das HR SO erreicht auch im solistischen nicht ganz das Gewandhausorchester und auch im Gesamtklang fehlt ein wenig vom Glanz der Chailly-Darbietung., was aber genauso an der Klangtechnik liegen könnte. Im ersten Satz klingt es etwas fahler, was aber besonders gut zu diesem Satz passt. Der ganze Gestus wirkt resignierter. Auch die abschließende Celesta tröstet kaum.

Das Tempo im zweiten Satz wirkt eine Spur gebremster, fast ein wenig behäbig, aber nie lahm. Die Soli gelingen alle hervorragend.

Stets kommen die Bässe besonders gut zur Geltung, auch im dritten Satz, der trauriger und resignativer als bei Chailly wirkt. Die Darbietung gipfelt in einem eindrucksvollen vierten Satz.

Der 5.1.-Sound bietet ein weites Klangpanorama, klingt transparent und gut gestaffelt. Das Klangbild des MDR aus dem Gewandhaus wirkt eine Kleinigkeit brillanter. Bei Skrowaczewski klingt es etwas dunkler grundiert.

 

_________________________________________________________________________

 

 

 

4

Pietari Inkinen

Deutsche Radio Philharmonie

Saarländischer Rundfunk

2011, Live

17:12  5:43  13:47  11:58  48:40

 

Die Sinfonie wurde einige Jahre vor der Ernennung Inkinens zum Chefdirigenten des Orchesters aufgeführt. Die p-Partien wurden zur Sendung weniger angehoben als später bei Skrowaczewski. Damals sendete der SR noch mit der mpeg-Kodierung, also sozusagen im mp3-Format. Die erst 2020 als Wiederholung gesendete Skrowaczewsky-Interpretation von 2013 dagegen im Dolby-Digital-Format. Die Unterschiede sprechen eindeutig für die Dolby-Digital-Variante. Auch Pietari Inkinen gelingt eine stimmige Darstellung. Sie wirkt jedoch nicht so gespannt und aufregend und auch kühler als die Aufführung mit Skrowaczewski. Sie wirkt aber auch sehr differenziert und sehr sorgfältig besonders in den leiseren Passagen. Gespielt wird auf sehr hohem Niveau sehr sauber und transparent. An das Ausdruckspotential des Polen kommt sie jedoch nicht heran. Der zweite Satz wirkt weniger hitzig, das Violinsolo darin weniger profiliert und nicht ganz so präzise ausgeführt. Im dritten Satz klingen die Streicher mehr filigran als klangsatt, was aber auch am stark datenreduzierten mp3-Format liegen könnte. Er wird durch die fast zarte Klanggebung mehr zur Innenschau als zu einer Entäußerung von Klage und Schmerz.

Im vierten Satz gelingt durchaus ein dramatischer Zugriff, das Spannungspotential ein Chailly, Currentzis oder Skrowaczewski wird jedoch nicht ganz erreicht. Das Blech im Finale ist absolut standfest, das katastrophische Jubel-Finale wird langsam und intensiv durchgehalten, so wie es der Komponist in der letzten Partiturfassung wollte.

Für den ausgezehrten Klang der Sendung kann weder der Dirigent noch das Orchester irgendwas. Der Umstieg auf das Dolby-Digital-Format war überfällig und lässt das ausgezeichnete Orchester in einem viel besseren Licht erststrahlen. Endlich hat man mit den größeren Sendern der ARD gleichgezogen. Die Ortbarkeit der einzelnen Instrumente gelingt zwar gut, doch wirkt das ganze Orchester etwas distanzierter und viel weniger farbig als 2013.

 

________________________________________________________________________________

 

4

Jaap van Zweten

Concertgebouw-Orchester Amsterdam

Radio 4 (Niederlande)

2008, Live

16:05  5:20  16:12  10:54  48:31

 

Diese Darbietung bietet nicht viel vom klanglich abgerundeten und fülligen, reichhaltigen Glanz der Haitink-Einspielung für Decca. Das liegt natürlich nicht am Orchester selbst, sondern an der geringen Datenrate des Senders, der damals auch noch in Deutschland via Satellit frei empfangbar war.

Natürlich erkennt man die etwas bewegter wirkende Tempogestaltung van Zwetens und den etwas direkter wirkenden Zugriff gegenüber Haitink, der über viele Jahre an gleicher Stelle bereits Konzertmeister gewesen ist. Auffallend ist die vorbildliche p-Spielkultur des Orchesters, die man bei keinem der hier in unseren Rundfunkumschau vertretenen Orchestern in gleichem Maß bewundern kann. Ansonsten kann man dem Schostakowitsch-Stil van Zwetens nicht viele Besonderheiten ablauschen. Die Makellosigkeit der Holzbläsersoli ist beeindruckend, auch sie spielen im dritten Satz ohne Vibrato, was den Satz in ein leichenfahles Licht zu hüllen scheint. Vorbildlich dabei die sonst so warm und lebendig klingende Flöte. Der vierte Satz startet attacca nach dem dritten, was wie ein Überfall wirkt. Satt poco accelerando beginnt Zweten die Beschleunigung rasant und natürlich geht ihm schon bald die Puste aus. Das Finale wird langsam genommen, was die meisten Dirigenten unserer Zeit mittlerweile so zu praktizieren scheinen.

Der Klang ist vergleichbar der vom ORF gesendeten Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern im Anschluss und geprägt von der ziemlich geringen Datenrate. Allerdings sendet man in 5.1 Dolby Digital Sourround Sound. Im Vergleich zu den Deutschen Dolby Sendern fehlt es an Glanz und Fülle. In Deutschland sendete man mit einer höheren Datenrate. Derzeit und bereits seit einigen Jahren ist Radio 4 nur via Internet noch in Deutschland zu hören.

 

____________________________________________________________________________________

 

4

Andrey Boreyko

Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR

Südwestrundfunk

2011, Live

17:20  5:16  14:43  11:58  49:17

 

Gemäß der sowjetischen Doktrin des sozialistischen Realismus sollten auch die Kompositionen Schostakowitschs Bilder voller Schönheit und lebensbejahender Kraft vermitteln und auch der Mann auf der Kolchose sollte sie unmittelbar verstehen können und sich angesprochen fühlen. Das ließ Schostakowitsch einerseits äußerlich auch Feuerwerke abbrennen, andererseits zwang es ihn in die innere Immigration, da er selbst andere künstlerische, gesellschaftliche und menschliche Ziele hatte. Die Bürger in Diktaturen, d.h. in unserem Fall die Hörer, lernten aber schnell zwischen den Zeilen zu hören und zu lesen. Diese Fähigkeit brauchen die Hörer auch bei Andrey Boreykos Aufführung in Stuttgart. Er selbst hat wie Currentzis und so viele andere in Sankt Petersburg studiert und blieb bis 1995 in Russland. Es überrascht, wie weich, langsam und verträumt er die Sinfonie angeht. Sehnsuchtsvolle Cantilenen werden da beschworen, allerdings ohne Saft und Kraft und fast frei von espressivo und fast frei von Vibrato. Die Musik wirkt erschöpft, müde. Allerdings makellos gespielt von den ersten Violinen. Beim 2. Thema klingen sie gar berückend schön, es gelingt ihnen dennoch das „Alleinsein“ bestens auszudrücken. Andererseits wird das Klavier, das den Klang schärfen sollte, stark vernachlässigt, zumindest auf der Aufnahme klingt es weder secco noch staccato und ist überhaupt kaum hörbar. Das Poco animando ist spürbar, die Beschleunigung gut. Der Einbruch der Gewalt durch die Militärtrommel, gespielt wird übrigens zugleich vom Blech der Schlachtruf der Anhänger von Dynamo Moskau (oder war es Spartak?), der Verein, der von KGBler durchsetzt war. Schostakowitsch war zeitlebens Fußballfan und besuchte auch selbst Spiele, wirkt bei Boreyko und den Stuttgartern seltsam beschwingt, geradezu freudig erregt. Das hat wenig mit der rohen Gewalt zu tun, den die alten Russen hier bieten. Auch con tutta forza erfolgt ohne jede Entäußerung. Selten hört man in Stuttgart einmal eine unsichere Flöte, hier schon.

Der zweite Satz, eigentlich ein Totentanz, als Menutett oder vielmehr burlesker Ländler getarnt und mit Dissonanzen gespickt, erhält von den Hörnern noch ein paar zusätzliche  (durch ein paar Kieckser) serviert. Live ist eben live. Die aufnahmetechnische Distanz verhindert hier eine bessere Ansprche der Hörerschaft daheim vom Radio. Der Gestus wirkt so beschaulicher , als es in der Wirklichkeit des Konzertes zu hören war.

Im dritten Satz spielen die Violinen (auch die anderen Streicher) mit etwas mehr Vibrato. Die Farben wirken dennoch seltsam fahl und man vermeint einem Begräbnis beizuwohnen. Die Geste des Schmerzes wird deutlich, aber doch nur lauwarm un ziemlich reserviert, wenn man die enthemmten Einspielungen von Kondrashin, Svetlanov oder auch Bernstein wieder vergegenwärtigt, aber auch die in etwas gleichzeitigen von Strowaczewski aus Saarbrücken oder Frankfurt oder auch Chailly. Selten werden die leiden Töne so sehr betont wie bei Boreyko. Sogar die Soli reduzieren ihren Ton soweit möglich. Der Oboe bricht dabei einmal gar der Ton ab, was sie selbst natürlich irritiert. Das Xylophon klingt nun viel deutlicher als noch im ersten Satz. Bei Zi. 90 hört man von den widerständigen Klarinetten trotz ihres ff nichts. Sie gehen im Streichertremolo unter.

Den vierten Satz lässt Boreyko kaum mit einer Stretta beginnen, dafür zieht er, wie es in der Partitur steht poco a poca das Tempo an. Das gelingt gemächlich aber ohne jede Sogkraft. Einzig bei Zi. 111 darf das Orchester einmal einen gewissen Furor ausleben, gleich danach fällt die Spannungskurve jedoch schon wieder ab. Der Mittelteil lässt das fahle Grau des Beginns des ersten Satzes wieder aufleben. Das Finale wird sehr langsam genommen und ätzend. Die Gran Cassa darf hier „mordsmäßig“ zuschlagen.

Auf uns wirkte die Wiedergabe einerseits durchdacht und kompetent realisiert, aber auch seltam zurückhaltend , ja unberührt, anämisch,  oder auch zu zart. Der filigran-schlanke Klang des Orchesters will einfach nicht so recht zur teils gewalttätigen Musik passen. Es scheint, als wolle der Dirigent nicht alle Register ziehen, die möglich wären. Auch das absurs-skurrile kommt ein wenig zu kurz, aber das treffen nur die Besten richtig gut.

Die Aufnahme wirkt besonders weiträumig. Die Basis der Front-Lautsprecher wird hier durch den 5.1. Sound noch weiter nach hinten gezogen. Der ganze Raum wird ausgenutzt. Staffelung und Transparenz sind hervorragend. Allerdings scheinen die Techniker kein Faible für den Bassbereich entwickelt zu haben, wie die Kollegen vom HR. Er klingt hier, wenn man von den letzten Schlägen der Gran Cassa einmal absieht, recht schmal. Dynamisch wirkt (rundfunktypisch) auch die Aufnahme der SWR eher mau und glatt.

Die sist übrigens die einzige Darbietung unseres kleinen Rundfunkvergleiches, die es zu CD-Ehren gebracht hat, denn sie wurde über einige Jahre bei Hänssler im Katalog geführt und sollte mittlerweile bei SWR Classic wieder greifbar sein.

 

________________________________________________________________________________

 

 

 

3-4

Lorin Maazel

Wiener Philharmoniker

ORF

2013, Live

20:40  5:46  15:44  11:05  53:15

 

Dies ist ein spätes Dokument des Dirigenten, der das Konzert im Alter von 83 Jahren gab. Seine Tempogestaltung ist seit seiner Cleveländer Einspielung für Telarc deutlich langsamer geworden. Der Beginn gerät gar bedächtig. Der erste Satz erhält fast den Charakter eines Requiems., denn das poco animato wirkt sehr zurückhaltend und wird noch weit ins Zieltempo Allegro non troppo hineingezogen (Zi. 22). Der Militärcharakter bei Zi. 27 wirkt dann so behäbig, dass es schon fast parodistisch klingt, nicht aber einschüchternd oder gar bedrohlich oder gefährlich. Auch die Durchführung wirkt gebremst. So wirkt der ganze erste Satz bereits aus der Sicht eines gebrochenen Mannes geschildert, hoffnungslos und ohne rechten Kampf, da nutzt auch die silbrige Celesta und das nach oben entschwebende Violinsolo nicht mehr viel, um noch Licht ans Ende des Tunnels zu bringen.

Beim zweiten Satz dauert es eine Weile bis das rechte Tempo gefunden wurde. Maazel beginnt sehr behäbig, um dann beim Fagottsolo unmotiviert das Tempo plötzlich anzuziehen.  Die Mahler-Passagen klingen authentisch, danach wird Maazel wieder langsamer, was nicht durch die Partitur belegbar ist. Insgesamt klingt der Satz zu lasch, um parodistisch oder gar satirische Anklänge vermitteln zu können.

Im dritten Satz hören wir dann wieder den Schmelzklang der Wiener Violinen, dieses Mal jedoch wieder mit viel Vibrato, was in den anderen Rundfunk-Mitschnitten bereits viel moderner klang. Auch hier gibt es wieder wechselhafte Tempi, manchmal schneller als gewünscht, dann wieder langsamer als die Partitur es wünscht. Die Soli sind meist schneller, die Streicherpassagen zumeist langsamer als das vorgegebene Grundtempo (Viertel = 50).

Auch Maazel lässt den dritten Satz fast attacca in den vierten münden, sodass man dem soeben gehörten gar nicht nachsinnen kann. Gerade zwischen diesen beiden Sätzen eine fragwürdige Entscheidung. Den Beginn nimmt Maazel, fast wie in Cleveland wieder schnell wie eine Stretta und er beschleunigt auch gut. Dann hängt der Mittelteil allerdings spannungsmäßig ziemlich durch.  Ab Zi. 128 wird Maazel dann wieder schneller, er ist nach wie vor ein Verfechter des schnellen Schlusses, was Schostakowitsch weniger gefallen hätte, wie man eigentlich längst weiß. Trotzdem hätte er die letzten Schläge der Gran Cassa nicht fast übergehen müssen. Ein Schostakowitsch nach der Art einer Tschaikowsky-Sinfonie, allerdings wie sie besser nicht gespielt werden sollte.

Auch der ORF-Klang wirkt ein wenig gepresster als der der ARD-Sender. Räumlich wirkt er sehr gut differenziert, aber dynamisch eingeebnet.

 

________________________________________________________________________________

 

 

 

 

Mstislav Rostropovich

 

Von Rostropovich, der übrigens studierter Dirigent war und auch bei Schostakowitsch höchstselbst studierte, wurden drei Aufnahmen gehört und verglichen. Am besten gefällt die älteste, die er zu Beginn seiner Tätigkeit als Leiter des National Symphony Orchestra of Washington 1982 für die Deutsche Grammophon vorlegte. Hier hört man die Sinfonie, als wäre sie gerade erst komponiert worden. Das Orchester hat zwar nicht dasselbe Niveau wie das LSO in der dritten Aufnahme, aber der Dirigent geht das Werk mit viel Leidenschaft und Sinn für die dramatischen Aspekte des Werkes an. Besonders die 1. Violinen fallen mit einer mitunter brüchigen Tongebung auf besonders im 1. Satz, die gar nicht einmal unpassend erscheint. Die große Linie wird zugunsten von rubatoreicher Detailbetrachtung hintenangestellt. Das Klavier ist ausgezeichnet hörbar, wie sonst kaum einmal. Auch Militärtrommel und Xylophon werden hier ihrer Wichtigkeit gemäß präsentiert. Auch das a tempo con tutta forza gelingt so wie es gefordert wird. Auch der 2. Satz ist präzise, sehr differenziert und ausdrucksstark. Einige Soli könnten noch schärfer oder schriller sein. Der Tanzcharakter ist hier nicht das Wichtigste. Im 3. Satz legt Rostropovich ein ziemlich dickes Vibrato auf, das im weiteren Verlauf spürbar nachlässt. Das Tremolo klingt außergewöhnlich (Zi. 86). Das Klavier wird hier besonders herausgestellt, es bereichert den Satz um eine herbe Note, erinnert es so daran, als ob mit den Knochen der Toten gespielt wird. Die Cellopassagen werden superb gespielt, schnell und bis zum äußersten gefordert. Der 4. Satz ist reich an persönlichen Phrasierungen und emotionalen Gesten, das Tempo oft schwankend, das Orchester bisweilen grob. Der scharfe Terror wird durchaus spürbar. Insgesamt zeigt diese Einspielung hohes, individuelles Einfühlungsvermögen ins Idiom der Komposition.

Als ebenfalls gelungen kann man die Live-Aufnahme mit dem ausgezeichneten London Symphony Orchestra 2004 bezeichnen. Der Musiker hat als Dirigent hörbar an Souveränität gewonnen. Das Orchester bringt das Werk mit erheblich mehr Feinschliff zum Klingen als die Kollegen aus der amerikanischen Hauptstadt. Der 2. Satz klingt nun sehr rubatoreich, das Violinsolo ist mit das Beste, das im Vergleich zu hören war. Der 3. Satz ist beeindruckend ausdrucksstark.  Das sfff der Kontrabässe kommt nun etwas besser heraus, bleibt aber immer noch zu schwach. Im 4. Satz setzt das Orchester die Vorgaben des Dirigenten spontan und mit Vehemenz um. Der Höhepunkt bei Zi. 111 ist noch deutlicher als zuvor tempomäßig abgesetzt und noch vehementer. Das ffff der Piatti und das ff des Tam – Tam kommt bestens heraus. Der Mittelteil ist jedoch sehr langsam und teilweise so leise, dass es nur noch säuselt. Die Ruhe vor dem Sturm. Die lähmend langsame Coda wirkt hier durch eine „Galeerenpauke“ trotzdem spannend. Diese Aufnahme verfügt unter den drei verglichenen Ausgaben über den besten Klang und das beste Orchester, wirkt aber weniger straff, weniger scharf umrissen und lässt im Vergleich zur 1982er Version Härte und Unerbittlichkeit etwas vermissen. Sie hebt die lyrischen Passagen vergleichsweise stärker hervor und lässt die Sinfonie traditioneller erscheinen.

Die Teldec-Aufnahme (für die Rostropovich eine Gesamtaufnahme aller Sinfonien DSCHs verantwortete) mit dem P von 1991 wirkt wie ein lauer Aufguss der ersten von 1982. Der brüchige Klang der Violinen ist zwar einem weicheren gewichen, auch wirkt der 1. Satz im Ganzen routinierter und weniger rubatoreich. Es fehlt ihr aber generell an Brisanz. Gegensätze wirken eingeebnet (auch bei a tempo con tutta forza). Das Orchester wirkt weniger engagiert. Der 2. Satz stellt die Besonderheiten der Instrumentation weit weniger deutlich dar. Das Legato gewinnt an Gewicht, die Teile mit Schlagzeug wirken gesoftet. Auch die Stretta im 4. Satz hat weniger Biss. Zi. 111 fehlen die Explosivität und Bedrohlichkeit, wirkt gar etwas inszeniert. Ab Zi. 128 wird der Gestus noch etwas breiter. Die Coda (Zi. 131)  erklingt erneut sehr breit, mit weit weniger heftig geschlagener Pauke (ist nun keine „Galeerenpauke“ mehr). Mit Einsatz der finalen acht Schläge der Gran Cassa noch breiter werdend. Der Klang ist gegenüber der älteren DG - Version in der Dynamik deutlich eingeebnet und weniger transparent. Der immerhin etwas natürlicher wirkende Klang verwässert den typischen DSCH - Klang mehr, als es ihm guttut.

 

 

André Previn

 

Beide Aufnahmen André Previns, die zwölf Jahre auseinander liegen, hinterlassen einen inspirierten Eindruck und unterscheiden sich nicht wesentlich aber doch merklich voneinander. Vor allem die Eigenheiten der Orchester, die Aufnahmedisposition und die Intensität sind hier zu nennen. Die ältere Aufnahme mit dem LSO gefällt letztlich in allen drei Kriterien etwas besser. Die Aufnahmequalität aus London bietet auch heute noch eine sehr gute Raumanmutung in großzügiger bemessenen Dimensionen. Sie klingt vor allem in den Streichern deutlich, aber auch generell präsenter als die Quadro - Aufnahme aus Chicago. Das Spiel des LSO wirkt spontaner und freier, bei den Holzbläsern gerade gegenüber Chicago aber nicht immer ganz perfekt, vor allem die Chicagoer Oboe gefällt besser. Beim Blech herrscht Gleichstand und die Violinen klingen hier beim LSO weit weniger spröde als die des CSO. Insgesamt wird der Hörer bei der älteren RCA - Aufnahme mehr involviert als in Chicago. Im 1. Satz sind Klavier und Bässe in London viel besser zusammen als in Chicago, wo sie extrem weit voneinander entfernt sitzen müssen. Das stringendo gelingt gut die Durchführung ist hier aufgeheizt. Typisch für Previn (und er macht es in beiden Aufnahmen und als einziger, da es gar nicht in der Partitur steht) ist das lange Verweilen vor largamente (Zi. 36).

Im 2. Satz lässt Previn die exponierten Londoner Hörner von der Leine und die Londoner lassen als Ganzes die „Katze aus dem Sack“:  Das ist im besten Sinn wild und aufgekratzt, da wirken die Chicagoer deutlich domestizierter und weniger engagiert. Auch das Fagott mit einem superbem staccato weiß zu überzeugen.  In Chicago spielt dafür die Oboe etwas präziser und das Violinsolo etwas gespielt „unbeholfen“. Insgesamt bleibt das CSO hier aber perfektionistisch und weit weniger lebendig.

Im 3. Satz spielen die Violinen des LSO gegenüber den entfernt wirkenden Kollegen aus Chicago viel dynamischer, auch Bratschen und Celli sind weitaus besser durchgezeichnet. Die Oboe des LSO hat die schon mehrmals beschriebenen Probleme mit dem unpräzisen Klappenschluss.  Die Holzbläser in Chicago klingen sehr gut, insbesondere die Flöte klingt auch viel weniger aufdringlich als die aus Philadelphia. Die Flöte des LSO ist aber noch ausdrucksvoller. Insgesamt erreicht Previn in London eine imponierende Eindringlichkeit. Das sfff der Bässe ist (gegenüber Roshdestvensky) aber auch in London noch etwas zu schwach. Beim 4. Satz bietet Previn in London eine stürmische und exaltierte Stretta, bei der sicher Bernsteins 59er Aufnahme Pate gestanden hat. Das Xylophon ist überaus präsent. Der Höhepunkt bei Zi. 111 bietet eindrucksvolle Piatti. Das Orchester wächst hier brillant über sich hinaus. Nach dem ritardando folgt eine super schnelle Coda. Leider ist keine Gran Cassa hörbar. In Chicago dagegen ist die Coda etwas langsamer, dafür jedoch die Gran Cassa viel besser aufgenommen und schlagkräftiger.

 

Eliahu Inbal

 

Von Inbal existieren zwei Aufnahmen, die im Abstand von nur zwei Jahren entstanden sind. Die Frankfurter Einspielung kann man als missglückt bezeichnen, zumindest gilt das für den vorliegenden Download. Die Violinen klingen ziemlich schrecklich und uneinheitlich. Im ff klingt das ganze Orchester schrill, wie übersteuert. Kaum vorstellbar, dass Denon bzw. der HR eine solche Aufnahme freigegeben hat. Kaum vorstellbar auch, dass die Violinen dieses renommierten Orchesters in Natura so geklungen haben und kaum vorstellbar, dass das Aufnahmeteam einen so rabenschwarzen Tag gehabt haben soll. Die Themen im 1. Satz, die den ersten Violinen anvertraut wurden, klingen zudem auch mit einem waberndem Vibrato und auch nicht immer ganz synchron, unstet und flackernd. Klavier und Xylophon sind präsent, die Durchführung ausgesprochen zugespitzt, auch durch das beherzte Anziehen des Tempos. Das a tempo con tutta forza gelingt überzeugend. Das Tam - Tam gut herausgearbeitet. Im 2. Satz könnten die Gegensätze schärfer gezeichnet sein. Im 3. Satz klingen die Holzbläser gut, darunter die Oboe etwas besser, die Klarinette etwas schlechter als die anderen. Der Satz leidet unter der Disposition der verfärbten Geigen natürlich ganz besonders. Er wirkt zügig, keinesfalls flach aber auch nicht besonders tief lotend oder besonders expressiv.  Der 4. Satz wird zu Beginn buchstabiert, bekommt aber bis zum Allegro eine gute Beschleunigung mit. Das Xylophon bleibt auch im Hintergrund noch gut hörbar. Bei Zi. 111 sind Piatti und Tam - Tam sehr gut eingefangen. In der langsamen Coda gefällt die gut aufgenommene Gran Cassa.

 

Die Wiener Aufnahme (hier ebenfalls als Download vorliegend), die aus einer Gesamtaufnahme stammt für die Inbal verantwortlich zeichnete, klingt wesentlich runder, voller und sonorer. Keine Spur vom ausgezehrten Streicherklang der Frankfurter Aufnahme aus demselben Haus. Sie wirkt regelrecht balsamisch dagegen. Auch das Orchester hinterlässt einen besseren Eindruck. Die ganze Exposition klingt ausgewogener und gelassener. Schöne Soli und den typischen Wiener Oboenton hört man hier voller und runder als früher bei diesem Orchester. Das Klavier bei T. 121 klingt jedoch ausgesprochen dumpf. Der Militärmarsch seltsam leicht und locker, das Tam - Tam viel zurückhaltender als noch in Frankfurt. Der 2. Satz wird angemessen musiziert, könnte aber auch hier noch etwas dynamischer, drängender und drastischer intoniert werden. Der 3. Satz klingt einfühlsam und völlig ohne die den Klang verfälschenden Störungen wie in Frankfurt. Im Ausdruck geht auch diese Version nicht bis an die Grenzen. Der 4. Satz beschleunigt sehr langsam bis zum Allegro und auch danach noch sehr moderat. Das Xylophon kommt gut „zu Wort“ (ab T. 92), während das ffff der Piatti im Gegensatz zur Frankfurter Aufnahme ziemlich schwach bleibt. Der Mittelteil verliert an Spannung, das Klavier klingt nun klar und offen, also nicht mehr dumpf, wie noch im 1. Satz. Langsame Coda, gute Gran Cassa. Obwohl die Wiener Einspielung hörbar souveräner dirigiert ist, gelingt es ihr nicht ganz bis in die letzten Ausdrucksregionen oder den Olymp der orchestralen Elite vorzudringen.

 

 

 

Vergleich beendet am 15.11.2022, erweitert am 8.3.2023