Jean Sibelius 

Sinfonie Nr. 3 C-Dur op. 52

________________________________________

 

 

Werkhintergrund:


Im September 1904 zog Sibelius mit seiner Familie in „Ainola“ ein. Er nannte seine umwaldete Jugendstilvilla nach seiner Frau Aino, die ihm sechs Töchter gebar und die ganze Last des gemeinsamen Lebens trug. Sibelius konnte nur komponieren, und auch das musste er neu lernen, denn „in Helsinki starb jede Melodie in mir“. Nach dem überwältigenden Schluss – und Erfolg der Zweiten – war ein Neubeginn fällig, aber wie? Nicht städtisch, sondern ländlich – wie sein Umzug ins 30 Kilometer entfernte Järvenpää, und einfach, naturbelassen und still – wie Ainola.

 

Die dritte Sinfonie hat im Gegensatz zu den beiden ersten nur drei Sätze und dauert ca. 28 Minuten. Sie steht stilistisch gesehen zwischen der romantischen Intensität der ersten beiden Sinfonien und der herben Komplexität der späteren Werke. Sie bedeutet innerhalb des Kanons der sieben (mit der Kullervo – Sinfonie und den viel von eine Sinfonie mit einschließenden „Vier Legenden“, auch „Lemminkäinen – Suite“ genannt, wären es sogar neun) eine Neuorientierung oder einen Übergang innerhalb der Gattung Sinfonie.

 

In diversen Partien vermittelt sie noch den traditionellen transparenten „C-Dur-Gestus“ von klassischen Sinfonien (etwa von Beethoven oder Schubert), angezeigt auch durch einen zumindest im 1. und 2. Satz recht klaren Aufbau. Demgegenüber macht das Finale, das Elemente eines Scherzo-Satzes und eines Finalsatzes vereint einen deutlich rhapsodischen Eindruck, wobei nach Art eines Rondos Kurzmotive aneinandergereiht werden und sich ein sinfonisches „Fließen“ (eines größeren formalen Zusammenhangs) erst im langgezogenen Schlussteil (ab T. 246 ff.) einstellt. Dieser Satz nimmt darin schon Elemente der ambivalenten Spannung der späteren Sinfonien, der schroffen vierten, der sechsten und siebten mit ihrem Charakter einer sinfonischen Fantasie vorweg.

 

Die Uraufführung fand am 25. September 1907 mit dem Sinfonischen Orchester Helsinki unter Leitung des Komponisten statt. Die erste Schallplattenaufnahme besorgte – wie schon bei den Sinfonien zuvor – der damals berühmte finnische Dirigent Robert Kajanus mit dem London Symphony Orchestra im Jahr 1932.

Barry Millington schrieb 1991 im Beiheft zur Gesamtaufnahme der Sinfonien mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Simon Rattle 1984–88: „Die Orchesterbesetzung unterscheidet sich kaum vom Apparat der Zweiten (es wird nur auf Harfe und Tuba verzichtet); indes erzielt die Sinfonie nicht die Wirkung zerklüfteter, romantischer Monumentalität, sondern geschmeidiger klassischer Klarheit.“

Die dritte Sinfonie bildet, wie bereits angedeutet einen Wendepunkt in Sibelius’ sinfonischem Schaffen. Die beiden ersten Sinfonien waren romantische und „patriotische“ Werke. Die dritte zeigt den entschiedenen, fast klassisch zu nennenden Willen, den größten Teil des musikalischen Materials auf möglichst wenige melodische Figuren und Harmonien zu konzentrieren. Sibelius´ Credo sah hierzu in einem Mozartschen Allegro das perfekte Modell für einen Sinfoniesatz: „Denken Sie an die wunderbare Einheitlichkeit und Homogenität! Es ist wie ein ununterbrochenes Fließen, aus dem nichts heraussticht und nichts den Rest beeinträchtigt.“ Diese musikalische Ökonomie wird dann auch besonders im ersten Satz deutlich.

 

 

  1. Satz Allegro: Moderato

 

ein einfaches, einstimmiges, mehr wiegendes als tanzendes Motiv, von den tiefen Streichern in mäßigem Tempo „mit liegendem Bogen“ (sozusagen in „naturbelassener“ Strichart) rhythmisch und deutlich konturiert von Celli und Kontrabässen gespielt, in sieben Takten siebenmal wiederholt und doch nie ganz gleich, ersetzt das symphonische Hauptthema. Dann treten auch die Bläser und die verbleibenden Streicher hinzu. Der C-Fis-Tritonus, der hier und auch in der folgenden Sinfonie eine entscheidende Rolle spielt, wird klar herausgearbeitet und ab Takt 15 besonders betont durch eine rinforzando-Markierung Die beiden plagalen (d.h. mit der Subdominante statt der Dominanten erzeugte Akkorde mit entsprechend milderer Wirkung) Kadenzakkorde, mit denen Hörner und Fagotte im achten Takt einsteigen, sind die gleichen, mit denen der ländliche Satz ausklingen wird. Auch das Seitenthema in den Violoncelli – nach einer einfachen (einstimmigen) und archaisch naturbelassenen Modulation der Blechbläser – ist ein Schulbeispiel für kompositorische Ökonomie: Es besteht nur aus vier Tönen. Als ein fünfter dazukommt, schnurrt es zusammen zu einer Folge von murmelnden Sechzehnteln. Diese entfalten keine Dramatik, sondern bilden den Hintergrund der stillen, leisesten Durchführung, die je komponiert wurde – wie Farbtupfer im Heidekraut oder die gezackten Linien der Tannenspitzen dieses Spaziergangs rund um Ainola ...

Eine trällernde, fast volkstümlich klingende Solo-Flöte kündigt einen triumphalen Hornruf an über aufgeregten Streichern bei dem ersten von insgesamt drei musikalischen Höhepunkten des ersten Satzes. Nach diesem stürmischen Teil kommt die gemessene Abgeklärtheit des Anfangs zurück – wieder getragen von den Celli –, aber diesmal gebrochener in einer sostenuto-Weise in h-Moll.

Von jetzt an wird die Musik deutlich ruhiger. Dann wiederholen die Holzbläser die zweite Cello-Melodie über sanften Streicherbewegungen, die den Anfang der Sinfonie aufgreifen. Die Spannung steigt und explodiert endlich in das Eröffnungsthema hinein, untermalt von der Pauke, und die Streicher finden ihren Weg über einem pulsierenden choralförmigen Klangteppich der Blech- und Holzbläser und den Celli in pizzicato. Das Flötenthema kehrt wieder und das zweite Cello-Thema wird vom gesamten Orchester aufgegriffen. Dann beruhigt sich die Musik wieder. Aber diesmal führt ein sieghafter Flöten- und Hornchoral zu einer Zusammenfassung der vergangenen Themen, die das letzte Wort haben, bevor dieser Satz in einer schlichten, choralartigen, aber trotzdem (je nach Einspielung) mehr oder weniger brillanten Form schließt.

Zumeist sind es die Hörner, die Sibelius nuanciert und homogen für die dynamischen Entwicklungen einsetzt – bis hin zu durchaus opulenten Höhepunkten. Ihnen gilt daher im Vergleich unsere besondere Aufmerksamkeit. So klassisch die Orchestrierung, so vital die rhythmische Gestaltung: Bis auf eine Episode – ein mysteriöses tranquillo im ppp am Ende der Exposition, oder gehört es bereits zum Anfang der Durchführung?  Vielleicht auch weder noch. Jedenfalls ist es ein Ruhepol der Besinnung. Der Komponist fragt sich: Wie soll es nun weitergehen? ER weiß es noch nicht, denn die oberen Streicher wollen nach oben, die tieferen nach unten. Sind die Interpreten gewillt hier ganz leise zu spielen? Wir werden genauer hinhören.

Ansonsten lebt der Kopfsatz von der motorischen Energie des Anfangsmotivs, dessen pulsierende 16tel, wie bereits erwähnt, gleich zu Beginn von den tiefen Streichern ins Spiel gebracht werden. Auch das Seitenthema, von den Celli cantabile gesungen, wird alsbald mit unnachahmlicher Motorik in den Begleitstimmen gepaart, die auch in der Durchführung nicht nachlässt. In der Reprise greifen die Holzbläser – insbesondere das Solofagott – die Phrasen des zweiten Themas auf. Rhythmischer Drive ist in diesem Satz sozusagen systemrelevant. Ihm sollten sich die Interpreten besonders zuwenden, wenn aus dem frischen quirligen Charakter kein langatmiger unidiomatischer Verschnitt (quasi ein verirrter Bruckner) werden soll. Auffallend ist, dass die älteren Dirigenten dies eher realisierten, als die der jüngeren Generationen.

 

  1. Satz: Andantino con moto, quasi allegretto

 

Spielt sich der 1. Satz quasi bei (je nach Einspielung mehr oder weniger) strahlendem Sonnenschein ab, erleben wir im zweiten ein ebenfalls mehr wiegendes als tanzendes, im Takt schwankendes Nachtstück (Nocturne). In der mondsilbernen Tonart gis-Moll ist er durch äußerste Klarheit und eine herbe, romantische und eingängige Stimmung gekennzeichnet. Der erste Teil mutet fast wie ein Walzer an, der die bisherige Dunkelheit vertreiben will, aber diese Tendenz hält sich nicht. Die Musikwissenschaft ist sich uneins, welche genaue Form und Struktur dieser Satz überhaupt hat. Jedenfalls erinnert das vierfache Auftauchen des Hauptthemas an ein Rondo. Nach der ausgedehnten Einführung des Satzes gibt ein kurzer Moment von Helligkeit den Blick frei für die Streicher, die nun das Thema übernehmen, wobei Holz- und Blechbläser vorsichtig begleiten. Die Musik wird gegen Ende vorwärts getrieben durch ständige pizzicato - Passagen in den Celli. Schließlich endet der zweite Satz in mehreren Streicher-Eruptionen, während sich der ‚Mitternachtswalzer’ abschleift bis fast zur Unkenntlichkeit.

Die Vortragsanweisung des 2. Satzes gibt ein kleines Rätsel auf: sollte sich der 6/4tel Takt wiegen, leicht und unbekümmert „wie das Gebet eines Kindes“ (Axel Carpelan) sein oder verlangt er nach dem ruhigeren Viertelpuls, um die vielen Raffinessen nicht zu überhören? Sibelius war für letzteres, denn so stimmungsvoll und leicht dahinschwebend diese Musik klingt, so birgt sie doch allerlei motivische Bezüge und Variationen, farbliche Nuancen, eine Vielfalt, die sie auch dem Wechselspiel mit verschiedenen Betonungen des 6er – Taktes verdankt. Wichtig ist aber auch hier wieder, wie überzeugend der jeweilige Duktus realisiert wird.

Eines scheint aber klar: Wie Beethovens siebte Sinfonie hat auch Sibelius´ dritte eigentlich keinen langsamen Satz.

Die letzten Takte des 2. Satzes aber stürzen geradezu in den ...

3. Satz: Moderato

 

nach drei Takten schon: allegro – etwas später dann: piu allegro. Die Stille Ainolas ist nicht mehr zu ertragen. Unruhe, Nervosität, Gereiztheit breiten sich aus. Sibelius möchte etwas Neues schaffen, hantiert aber mit altem Material. Verzweifelt wirft er es durcheinander – Chaos entsteht. Er baut eine unfertige Kantatenhymne ein (nach Markku Hartikainen), aber seine wütenden Hände zerreiben sie: Ihm ist nicht hymnisch, nicht heroisch zumute.

Der dritte Satz besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Sätzen, die zu einem Finale zusammengefasst sind. Sibelius hat das als „Kristallisation des Gedankens aus dem Chaos“ beschrieben.

Die Eröffnung beinhaltet thematische Fragmente unterschiedlichen Materials aus bereits bekannten oder noch kommenden Quellen. Ein verhuschtes, intensives Scherzo geht in ein hymnisches, choralartiges Marschthema über – wieder im dominierenden C-Fis-Tritonus – was mehrfach wiederholt wird. Und zunächst einmal Ordnung schafft. Zuerst vorsichtig tastend in den Streichern, dann immer selbstbewußter - a tempo con energia - greift es um sich und bestimmt den restlichen Verlauf des Finales. Die Coda bringt das Choral-Thema in immer größer werdenden Dimensionen, bis die Sinfonie schließlich nach einer Zusammenfassung der Choral-Themen und einem Rausch von Streicher-Figuren und Holzbläser-Skalen abrupt mit einem C-Dur-Arpeggio-Dreiklang endet.

Diese hymnische Ende und die Coda des Kopfsatzes hat vermuten lassen, dass Sibelius seine dritte Sinfonie auch als Werk bekenntnishaften oder gar religiösen Charakters konzipiert hat. Seinen Freunden gegenüber soll er von der „religiösen Stimmung“ dieser Musik gesprochen haben, auch von „bönen til Gud“, von einem Gebet an Gott.

 

Die Krise der Sinfonik im 20. Jahrhundert bricht hier bereits herein – die Dritte wird sie nicht lösen. Sie hat nicht mehr das Selbstvertrauen der Jugend 1. und 2. Sinfonie) und noch nicht die Selbstkritik der Reife (ab 4.Sinfonie) – ihr C-Dur ist schließlich wie ein Gedankenstrich –.

 

Für Sibelius war die Dritte eines „ der besten Dinge, die ich gemacht habe“, aber auch „sein unglücklichstes Kind“.



(Quellen: Wikipedia; Joachim Brügge: „Jean Sibelius“, S.57; Mathias Husmann in „Concerti“, Joachim Fontaine im Programmheft der DRP vom 3. Studiokonzert der Saison 2019/20; die Website: Sibelius.fi)

 

 

Die dritte Sinfonie ist bis heute die (vielleicht zusammen mit der sechsten) unbeliebteste Sinfonie Sibelius´ geblieben, mit der sie sich übrigens oft eine LP oder CD teilt.  Sie wird nur sehr selten aufgeführt und bis auf ganz wenige Ausnahmen kann man sie auf Tonträger nur innerhalb von Gesamtaufnahmen aller sieben Sinfonien finden oder auf Auskoppelungen daraus. Lediglich die Einspielungen von Mravinsky, Elder und Mustonen sind Einzelaufnahmen.

 

Auffallend ist, dass sich die von Beginn an in Albions Reich wesentlich freundlichere Aufnahme der Musik von Sibelius bis heute an der Anzahl der in Aufnahmen beteiligten Orchester und Dirigenten von der Insel ablesen lässt. Irgendwie scheint das Verdikt Adornos, obwohl es mittlerweile längst als weitgehend falsch und von der Musikgeschichte eingeholt verstanden werden sollte, im in diesem Fall schon unterhalb Großbritanniens und Dänemarks beginnenden „Süden“ Europas immer noch nachzuwirken. Trotz der intensiven Bemühungen Karajans, der die Fünfte fünf (mit dem bei Sony erhältlichen Live-Mitschnitt vom RBB von 1957 sogar sechs) Mal aber die Dritte nie aufgenommen hat.

 

So haben die Berliner Philharmoniker erst im Jahre 2010 die Dritte zum ersten Mal überhaupt aufgeführt und im Sibelius - Jahr 2015 zum ersten Mal aufgenommen. Just in diesem Jahr gab es auch die erste Gesamtaufnahme der Sinfonien (nun natürlich mit der Dritten) durch die Berliner, denen nur das Berliner Sinfonieorchester in der damaligen DDR mit einer Gesamtaufnahme eines deutschen Orchesters in den Siebzigern zuvor gekommen sein dürfte. Die erste Aufnahme der Dritten eines französischen Orchesters erschien sogar erst 2018 (Orchestre de Paris mit Paavo Järvi), da war diejenige von Robert Kajanus mit dem LSO mit bereits 84 Jahren längst im Rentenalter.

 

Ungebrochen hingegen ist die Wirkung der Musik Sibelius´ in seinem Heimatland, in dem die Sinfonien und Tondichtungen den Status von Heiligtümern innehaben. Von dort erreicht uns beständig ein kaum noch zu überblickendes Füllhorn von Aufnahmen, was unser Vergleich leider nur andeutungsweise wiedergeben kann. Ob es aber immer die besten Wiedergaben sind, die uns aus Finnland erreichen, bleibt zunächst einmal dahingestellt. Der Vergleich könnte es zeigen, wenn mehr Einspielungen aus Finnland - Kamu (Lahti), Lintu, Vänskä (Lahti und Minnesota), Storgards (ein Finne in dem Fall aus Manchester) - hätten dabei sein können. Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden.

 

Sibelius selbst  hat das Klangideal seiner Jugend im Alter übrigens relativiert. Er favorisierte nunmehr hochkultivierte, opulente Orchesterkultur gegenüber einem nordisch kühlen, durchsichtigen Klang. Die Tempi könnten je nach Gusto wechseln, befand er 1951, romantische wie asketische Denkansätze seien gleichermaßen berechtigt, solange das wichtigste, die „Echtheit des Ausdrucks“, gewahrt bleibe. Was das letztere angeht können wir uns nur anschließen.

 

 

Zitate zur Symphonie Nr. 3:

 

„Die Symphonie erfüllt alle Anforderungen, die heute an ein symphonisches Kunstwerk gestellt werden können, aber sie ist gleichzeitig innerlich neu und revolutionär – durch und durch sibelianisch.“ Karl Flodin, Kritiker, 1907

 

„Als Rimsky Korsakov meine Symphonie Nr. 3 hörte, schüttelte er den Kopf und sagte: ‚Warum komponieren Sie es nicht so, wie es Art ist? Sie werden sehen, dass das Publikum hier nicht mitkommt und nichts versteht’. Und jetzt bin ich sicher, dass meine Symphonien mehr gespielt werden als seine.“ Jean Sibelius, 1940

 

„Die Symphonie Nr. 3 war eine Enttäuschung für das Publikum, denn alle erwarteten etwas Ähnliches wie die Symphonie Nr. 2. Ich sprach darüber mit Gustav Mahler, als er mich besuchte und auch er stellte fest, dass ‚man mit jeder neuen Symphonie Diejenigen verliert, die man mit den vorangegangenen gewonnen hat’.“ Jean Sibelius, 1943

 

„Von der Symphonie Nr. 3 an ändert sich Sibelius und wird internationaler, ein europäisch-klassischer’ Komponist.“ Erik Tawaststjerna, Pianist und Musikwissenschaftler, 1971

 

„Mit der Symphonie Nr. 3 fing Sibelius an, die große Tradition der Symphonie entscheidend weiter zu entwickeln.“ Erkki Salmenhaara, Komponist und Musikwissenschaftler, 1984

 

„Der Anfang der Symphonie erinnert mich an diesen finnlandschwedischen Gentleman auf seinem geschäftigen Morgenspaziergang.“ 

Der Komponist Einojuhani Rautavaara in einem Interview, den Anfang der Symphonie mit einem Finger spielend, 1995

 

„Mit der Symphonie Nr. 3 stand Sibelius an einem Scheideweg. Nach der wilden Symphonie Nr. 1 und der leidenschaftlichen Symphonie Nr. 2 entdeckte er etwas Neues: eine Art Klarheit wie in der Wiener Klassik. Die Dritte wird nicht immer geschätzt, aber ich mag sie besonders gern.“ Osmo Vänskä, Dirigent, 1998

 

”Die Symphonie Nr. 3 hat ein vollkommen neues, symphonisches Konzept. Manche empfinden, dass das Werk ein irritierend rhythmisches Tempo hat. Er suchte vielleicht nach der britisch geschäftigen Lebenseinstellung.“ Jukka Pekka Saraste, Dirigent, 2002

 

Eine Anekdote noch zum Schluss, da sie zu interessant ist, um sie für sich zu behalten:

Einen Monat nach der Premiere am 25.9.1907 durch die Philharmoniker Helsinkis unter der Leitung des Komponisten bekam Sibelius Besuch: Kein Geringerer als Gustav Mahler schaute vorbei, wohl auf der Suche nach neuer Musik. Mahler attestierte seiner neuen Bekanntschaft ein besonders sympathisches Individuum zu sein. In Sachen Musik war man sich uneinig: „Wenn unsere Unterhaltung um die Essenz der Sinfonie ging“, erinnerte sich Sibelius später, „dann blieb ich dabei, dass ich die Strenge und tiefe Logik, die innere Verbindung zwischen allen Motiven bewunderte. Das war meine Überzeugung, die Basis meines kreativen Schaffens. Mahler war ganz anderer Meinung: „Nein, die Symphonie muss sein wie die Welt. Sie muss alles umfassen“.

 

(Zum Vergleich verwendet wurde die Studienpartitur des Robert Lienlau Musikverlages RL 32910)

 

 

zusammengestellt bis 11.1.2021

 

 

 

 

Sibelius um 1913

 

 

 

 

 

Vergleichende Rezensionen:

 

 

5*

Leonard Bernstein

New York Philharmonic

CBS – Sony

1965

9:52  8:23  7:57 

26:12

 

Gemeinsam mit der Einspielung Barbirollis aber im Gestus ungleich spontaner und im Tempo viel flotter ist die Einspielung Bensteins die spannendste zugleich die emotional am meisten gesättigte. Sicher ist sein individueller Zugang nicht jedermanns Sache aber er ist in sich konsequent durchgehalten und wirkte auf uns begeisternd. Es beginnt schon damit, dass die von der Partitur vorgegebenen Kontraste und die dynamische Anweisungen voll ausgespielt werden. Das Orchester ist in diesem Fall hoch motiviert und ganz hervorragend eingestellt. Es erreicht ein spontan wirkendes aber dennoch gleichsam perfekt auf den Punkt gebrachtes Musizieren. Es gelingt ihm, sich von aller Erdenschwere der technischen Ausführung zu lösen.

Der 1. Satz erhält einen atemberaubenden Spannungsaufbau. Aufbauend auf seine ansteckend - spontan wirkende Musizierhaltung bringt Bernstein eine ungeduldig wirkende Enddeckungslust zum Ausdruck, von der anderen Einspielungen weit entfernt sind. Die Entwicklungsverläufe sind drängend und hoch motiviert. Die tänzerischen Elemente werden freudig und völlig glaubwürdig herausgestellt. Es scheint ein Erkundungsgang rund um das neue Heim „Ainola“ zu sein, der gemeinsam mit dem damit verbundenen Naturerlebnis, bisweilen sportlich wirkt und in überschäumender Freude gipfelt. Die Zwischentöne werden in keiner Weise unterschlagen, sondern hellhörig herausgearbeitet, darin einem Collins, der vom Duktus her ähnlich wirkt, noch überlegen.

Auch im 2. Satz gelingt es, den walzerähnlichen fließenden Tanzcharakter plastisch herauszuarbeiten, das tranquillo bei Zi. 6 ist jedoch eine Oase der Stille und Besinnung. Das frische Timbre und das hier beseelte und besonders klare Spiel der Holzbläser passt ausgezeichnet zur tänzerischen Gestaltung, bleibt aber auch dem Nocturnecharakter nichts schuldig. Das allargando am Schluss gelingt ausgezeichnet. Der 2. Satz in Bernsteins Lesart erscheint bei gleicher Intensität als ein Antagonist zu derjenigen Barbirollis.

Auch im 3. Satz suchen die Frische und das Temperament der Herangehensweise ihresgleichen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Bernstein stets nahe an der Partitur bleibt. So nimmt er die einzelnen oft nur ein paar Takte währenden Tempoanweisungen, die den rhapsodischen Charakter vor allem des ersten Teils des 3. Satzes ausmacht, ernster als die meisten anderen. Das gelingt ihm auf mitreißende Art. Entwicklungsverläufe werden auf bisweilen exstatische Art und Weise auf die Spitze getrieben. Die Durchführung mit ihrer Darstellung des Kompositionsprozesses, der nicht mehr so recht weiterkommt, wird hier besonders plastisch geradezu aufgewühlt geschildert. Das immer wieder neue Zusammensetzen und das immer wieder neuerliche Verwerfen des Materials steigern sich hier bis zur Wut. Nach Zi. 15 wird Bernstein nicht wie viele langsamer, er hält das Tempo. Ab Zi. 18 zieht er das Tempo sogar bis zu einer atemberaubenden Stretta an. Die vielen sempre energico und sempre marcato oder piu energico werden wörtlich genommen, wobei bei vielen anderen der Eindruck entstehen könnte, sie wüssten gar nicht, was diese Anweisungen zu bedeuten haben. Das Finale vermeidet jedes Pathos zugunsten eines exstatisch gestalteten Höhepunktes.

Die Aufnahme klingt luftig, klar, weiträumig, sehr dynamisch und farbig. Details sind sehr präsent. Die besonders vitale Darstellung Bernsteins wird so kongenial erfahrbar.

 

______________________________________________________________________

 

5*

Gennadi Rozhdestvensky

Grosses Sinfonieorchester des Rundfunks der UdSSR, Moskau

Melodija

1973

9:36  7:42  9:28  26:46

 

Rozhdestvenskys Einspielung eigen ist der extrem deutliche Stimmenverlauf. Er verliert zu keiner Sekunde den Blick auf die Struktur. Jeder Stimme wird er so auf sorgfältige und lebendige Weise gerecht. Das Moskauer Blech, obwohl in seiner typisch silbrig glänzenden und gnadenlos dynamischen Art agierend, stiehlt den anderen Stimmen keineswegs die Show, sondern lässt Freiraum für sprechende Cellokantilenen und Holzbläsersoli. Jede Stimme erhält ihr fein abgewogenes eigenes Gewicht. Das gilt für alle Sätze.

Aufnahmetechnisch bedingt ist, dass auch das tranquillo im 1. Satz, wie auch die anderen besonders leise zu spielenden Passagen stets etwas zu laut erscheinen. Offenbar hatten die Techniker Sorge, die leisen Feinheiten könnten sonst vom vernehmlichen Rauschen geschluckt werden. R.s Duktus wirkt weit weniger angetrieben als derjenige Bernsteins, Kajanus´ oder Collins´. Dennoch ist die Wiedergabe ein Muster an Intensität. Gerade auch die das Geschehen dramaturgisch vorantreibenden Hörner (wie auch die Trompeten und Posaunen) klingen bärenstark. Die geschmeidigen, schlanken und nur leicht aufgerauten Streicher erfreuen sogar mit warmer Cantabilität, besonders der Binnenstreicher. Das majestätisch wirkende Finale des 1. Satzes wird gewissermaßen mit kühlem Pathos gegeben.

Die flotte Gangart des 2. Satzes nimmt sehr für sich ein. Dies ist kein langsamer Satz, es könnte beinahe ein Walzer sein, wenn der Takt stimmen würde. Hier schwingt große Lebensfreude mit und viel Spaß am Musizieren. Gegenüber Bernstein wirkt der Satz noch etwas geraffter. R. hat den ganzen Satz im Auge, musiziert wie unter einem großen Bogen, ohne die Details zu vernachlässigen und mit leidenschaftlichen Aufschwüngen. Der Blick ist dabei stets nach vorne gerichtet. Ein Nocturne ohne jede sentimentale Gefühligkeit. Aber etwas auch schön irrlichternd. Vielleicht begegnen uns hier wieder die Sagengestalten der finnischen Wälder?

Im 3. Satz nimmt sich R. deutlich mehr Zeit als Bernstein und nutzt sie zu vorbildlicher Transparenz und stimmiger Artikulation.  Das fff  bei Zi. 8 ist fulminant, wie ein unbarmherziger Wutausbruch des um Inspiration kämpfenden Komponisten (hoffentlich nur sich selbst gegenüber). Auch im weiteren Schaffensprozess will nicht viel gelingen. Es wird versucht und rabiat wieder verworfen. Erst die Andacht bei Zi. 13 (das Gebet?) bringt die Kraft zur Vollendung. Kräftige Akzente begleiten uns ab Zi. 19. Schließlich eindrücklich gestaltet zum strahlenden Hymnus und einem  fulminant gelungenen Abschluss, bei dem kein Auge trocken bleiben sollte.

Sibelius klingt hier bisweilen wie ein Statthalter der russischen Musik (mal nach etwas Borodin, mal Schostakowitsch vorwegnehmend). Thematisches Material wird beispielhaft plastisch gemacht und klar herausgestellt und sinngemäß modelliert. Die dynamische Skala ist enorm breit (von dem fehlen eines echten p einmal abgesehen) aber auch sorgfältig differenziert. Insgesamt wirkt diese Darstellung eleganter als diejenige Collins´ und sachlicher als die Bernsteins. Sie vermeidet ebenfalls jede Form von Heroismus, ohne aber auf Fulminanz zu verzichten, wie es sie unter anderem bei Berglund praktiziert wird.

 

__________________________________________________________________________

 

5*

Sir John Barbirolli

Hallé Orchestra, Manchester

EMI

1969

12:05  11:07  9:15  32:27

 

Wenn man sich nur die beanspruchte Spielzeit anschaut, so könnte man bei dieser Einspielung schlimmstes befürchten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Duktus ist zwar erheblich getragener als bei den beiden zuvor genannten Versionen, aber keineswegs weniger spannend. Grund hierfür ist das extrem engagierte Spiel des Orchesters und ein emotionaler Gestus, der schier die ganze Welt umarmen könnte. Das will heißen: Barbirolli tut alles für die Dritte und lässt ihr eine Darstellung voller Herzblut angedeihen. Jedes ff erfolgt nachdrücklich und beherzt, jedes Crescendo ist entflammt. Man höre sich nur einmal die Celli bei Zi. 3 an oder das tranquillo bei Zi. 5. Die Durchführung ist akzentuiert. Das Holz spielt lieber einmal etwas zu laut, als es an Deutlichkeit mangeln zu lassen. Bei Zi. 9 würzt die Oboe mit ihrem naturbelassenen Timbre, bei Zi. 11 kommt der Gestus vor Glück geradezu ins Tanzen. Ab Zi. 12 und 13 gehen die Steigerungen durch Mark und Bein, den Hörer packt die Gänsehaut. Ein kleiner Einwand: bei Zi. 16 beginnt Barbirolli die Coda sehr viel langsamer, es sollte jedoch nur ein pochettino largamente sein. Das f am Schluss ist hier mehr ein befreites ff.

Den 2. Satz könnte man vielleicht als zu langsam empfinden. Aber er spielt sich bei glasklarem Mondlicht unter hervorragender Lichtausbeute ab. Die Klangwirkung ist magisch zu nennen. Wenig tänzerisch, vielmehr getragen und gewichtig. Wenn es einen prozessionsähnlichen Marsch im 3er Takt gäbe, dann hier. Zi. 6 bringt ein inbrünstiges Innehalten. Zi. 7 findet dann nur langsam zum Tempo 1 zurück. Die Basslinie ist immer bestens herauspräpariert und dadurch gut hörbar, die Übergänge besonders spannend gestaltet.

Auch der 3. Satz hat etwas, was den meisten anderen Einspielungen fehlt: Unbedingte Leidenschaft. Zu Hören auch an der berstenden Spannung. Auch an einem krachenden fff  bei Zi. 8. Dem Orchester merkt man jederzeit an, dass es auf der vordersten Stuhlkante sitzt und alles gibt. So wird im Abschnitt drei Takte nach Zi. 13  nach dem allargando bei Barbirolli ausdrücklich a tempo con energia weiter gespielt, wie es sein sollte. Energie ist hier durchaus wörtlich zu verstehen. Ausgerechnet hier wird von anderen zu oft nachgiebig oder nachlässig verfahren. Oder sechs Takte nach Zi. 15 spielen Flöte und Fagott wirklich dolcissimo. Da spielen fast alle anderen locker darüber hinweg. Ein letztes Beispiel ab Zi. 18: Hier geben alle Holzbläser gemeinsam (im natürlich übertragenen Sinn) ihr „letztes Hemd“ und die Hörner ab Zi. 19 stehen ihnen in nichts nach. Das Tempo wird unwiderstehlich angezogen und das Werk mit den beiden gewaltig ausladenden Schlussakkorden majestätisch beendet. So gespielt bekommt dieses Werk des Übergangs den Status eines Meisterwerks. Der bestens involvierte Hörer fiebert mit bis zum befeiend wirkenden Finale.

Die Klangqualität kann man ebenfalls als meisterhaft bezeichnen. Auffallend ist die große Körperhaftigkeit bei sehr hoher Transparenz und Präsenz. Auch der satte Bass gefällt hier besonders. Der Klang ist hier idealer Mittler einer beeindruckenden Interpretation.

 

____________________________________________________________________

 

5*

Anthony Collins

London Symphony Orchestra

Decca

1954 MONO

9:16  7:24  7:48   24:28

 

Dass Anthony Collins auch Komponist vor allem von Filmmusik war, könnte man seiner Darbietung anmerken, auch wenn man dies nicht wüsste. Sie hat den „Thrill“ eines Hitchcock – Filmes, was sich auf den vom Anfang bis zum Ende anhaltenden drängenden und spannungsgeladenen Aufbau bezieht. Auffallend ist auch die berstende Dynamik, die der Aufnahme eigen ist. Eine solche Dynamik haben wir bei noch keiner anderen Mono-Aufnahme gehört, denn sie stellt darin auch fast alle hier vertretenen Stereo – Aufnahmen weit in den Schatten. Außerdem ist die Aufnahme auch auffallend klar und hellhörig und sogar ziemlich brillant. Nur eine natürliche Staffelung hören wir erwartungsgemäß nicht.

Die Holzbläser klingen alle ein wenig zu laut, es fehlt ihnen zum Teil auch der heute übliche Feinschliff. Dafür sind sie wie das ganze Orchester mit Leidenschaft geimpft. Die Hörner zaubern einen atemberaubend knackigen Sound, vom übrigen Blech lassen sie sich nicht unterkriegen. Hier kommt einem Sibelius vor wie ein Hochleistungssportler, er rast geradezu durch den Wald  und hüpft und springt in der neu gewonnenen Natur herum wie ein Kind, stets aufs Neue frische Kraft gewinnend.

Auch der 2. Satz strotzt nur so vor Vitalität. Noch mehr als bei Bernstein ist dies ein Tanzsatz. Junge Waldnymphen könnte man sich vorstellen, unterbrochen nur durch ein stilles Gebet (bei Zi. 6), bevor das rege Treiben im nächtlichen Wald immer mehr aufwallt und leidenschaftlicher wird. Der Holzbläsersatz wirkt hier auf eine recht ungehobelte Art vital. Wenn man zum Vergleich den gerade zuvor gehörten Botstein heranzieht, tun sich da ganz andere Welten auf.

Beim 3. Satz überrascht Collins mit dem Weglassen der tacet ad libitum gekennzeichneten Passagen der 1. Violinen (absteigende Bewegung im 6/8 Takt), und zwar gleich drei Mal hintereinander. Das macht außer ihm nur Mravinsky.  Mit Ausnahme, dass die Stimmen der Holzbläser so noch offener liegen, macht diese Maßnahme einen zwiespältigen Eindruck. Auffallend bei Collins ist die beinahe völlig emanziperte Pauke. Immer mal wieder macht sie mit einem berstend, knackigen fff auf sich aufmerksam, wobei betreffender Vermerk in der Partitur nicht zu finden ist. (z.B. 6 vor Zi. 7 oder bei Zi. 8.) Im Übrigen kennt die Steigerung bis zur fff Entladung und die Entladung selbst bei Collins keinen Vergleich. Das ist schon mehr als feurig und gleicht einer Explosion. Die Durchführung wirkt aufgebracht und wütend.  Das Holz bei Zi. 18 klingt wunderbar schrill. Die Hörner begeistern erneut ab Zi. 19. Sieben Takte später knallt die Pauke erneut voll rein, hier soll es aber auch so sein. Ähnlich Bernstein mobilisiert Collins hier mit einer atemberaubenden Stretta alle Kräfte.

Insgesamt ist die Einspielung höchst eigenwillig und eigenständig, wobei sie der Herangehensweise von Kajanus und Ehrling, also der frühen finnischen Provenienz durchaus gleicht und im gewissen Sinn das Vorbild für Bernstein hätte sein können. Sie kontrastiert das Bild vom Sinfoniker Sibelius, das sich landläufig in den Köpfen der Musikfreunde festgesetzt hat, auf das Erfrischendste. Collins, von dem nicht mehr viele Einspielungen bekannt sein dürften, hat übrigens eine der frühesten Gesamtaufnahme der Sinfonien vorgelegt, Sixten Ehrling schloss sie aber dann als Erster vor ihm ab.

 

____________________________________________________________________

 

5

Paavo Berglund

Chamber Orchestra of Europe

Finlandia

1997

9:57  10:35  9:06  29:38

 

Berglund hat die Sinfonien drei Mal eingespielt. Er hat sich ja lebenslang mit den Sinfonien auseinandergesetzt, was besonders auch das Quellenstudium anlangt. Die letzte Einspielung von 1997 gefällt besonders, obwohl sie auf  die Klangfülle seiner zweiten mit den groß besetzten Philharmonikern Helsinkis zu einem gewissen Teil verzichten muss. Aber wir sind der Meinung, dass 50 hochklassige, engagierte Musiker ein in Summe besseres Orchester bilden als 100 Musiker, die nicht 100%ig motiviert sind. Wobei das ausdrücklich nicht auf die Philharmoniker aus Helsinki zutrifft, die nämlich unter Berglund einen sehr guten Job machen.

Das COE bietet aber eine noch schärfere Artikulation und wirkt in seiner Diktion wie ein klarer, quirliger Gebirgsbach. Die Solisten spielen ihre Soli besonders eloquent. Man höre dazu nur einmal die Holbläser bei Zi. 8. Einfach exquisit. Wenn man die vier Aufnahmen zuvor noch gut im Ohr hat bemerkt man jedoch, dass das tänzerische Moment des 1. Satzes noch deutlicher hätte herauskommen können. An Schwung mangelt es eigentlich nicht. Aber vielleicht fordert die akribische Notentreue doch einen kleinen Tribut. Dafür wird aber jede dramaturgisch wichtige Faser deutlich herausgearbeitet. Das stellt ja auch einen hoher Wert dar. An die überbordende Lebendigkeit von Bernstein oder Collins kommt Berglund aber in keiner seiner Einspielungen heran.

Im 2. Satz, der vom Tempo wieder mehr seiner ersten Aufnahme von 1972 gleicht als der aus Helsinki von 1987, ist er nun wieder erheblich langsamer, aber nicht schleppend. Durch die kleinere Besetzung haben die Violinen etwas weniger Schmelz, wobei der etwas herbere aber sehr aparte Klang hier aber zu einem sehr andächtigen und ausdrucksvollen Gebet führt (ab Zi. 6). Die Bläser lassen immer wieder zarte Details hören, die man so von den anderen beiden Orchestern Berglunds nicht bekommt. Alles liegt völlig offen, der Mond schein viel heller als in Bournemouth und auch noch etwas heller als in Helsinki.

Der 3. Satz ist deutlich transparenter als die beiden anderen Versionen Berglunds und erfreut durch höchste Präzision bei Artikulation und im Zusammenspiel. Die Enklave der Ruhe (Gebet?) drei Takte nach Zi. 13 wird toll phrasiert. Übrigens hat jeder Satz eine kleine Passage der Besinnung und des Kräfteschöpfens. Das zeigt wie wichtig Sibelius der Bezug zu einer höheren Macht (Gottheit) war.

Im weiteren Verlauf des 3. Satzes versagt Berglund sich und uns die Gestaltung eines durchdringenden Höhepunktes ob nun majestätisch, jubelnd oder triumphierend. Er bleibt bei hoher Transparenz des Orchestersatzes pathosfrei aber auch seltsam zurückhaltend und wirkt sehr nachdenklich. Das ist von der Orchestergröße völlig unabhängig. Als ob Sibelius hier noch keine Lösung im Sinn gehabt hätte. In den beiden Einspielungen zuvor verfolgte Berglund jedenfalls gnaz ähnliche Absichten. Die vier Dirigenten zuvor sahen das jedoch ganz anders.

Die Darbietung ist kammermusikalisch durchdrungen, die Einzelstimmen stärker profiliert. Der Zugang wirkt dennoch nicht analytisch sondern wahrt stets den Zusammenhang.

Auch die Aufnahmetechnik erreicht einen besonders klaren strahlenden Gesamtklang mit guter Tiefenstaffelung.

▼ zwei weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgen weiter unten

 

____________________________________________________________________

 

 

 

5

Paavo Järvi

Orchestre de Paris

RCA

2018

10:17  9:14  9:04  28:35

 

Die Gesamtaufnahme der Sinfonien durch Paavo Järvi bekam in Deutschland keine guten Kritiken, auch namhafte Dirigenten schlossen sich der Meinung an, dass ein französisches Orchester wohl nicht die erste Wahl sei, Sibelius aufzunehmen.  Nun das mag vielleicht früher einmal so gewesen sein, unter seinem damaligen Chefdirigenten Paavo Järvi (er hat seine kurze Amtszeit in Paris bereits wieder beendet) klingt das Orchester jedoch ausgezeichnet und räumt mit klarer und frischer Diktion gründlich damit auf, dass ein Sibelius – Orchester dick und schwer zu klingen habe. Unter Järvi klingt es jedenfalls so, als hätte es den höchsten internationalen Level erreicht. Die Celli in ihren offenen Passagen klingen ausgezeichnet und sehr lebendig, das Blech knackig, aber schlank und ohne besonders großes Volumen, die Holzbläser beweglich, von makelloser Intonation und sonor. Oboe und Fagott erinnern nicht mehr an die dünnen und mageren Zeiten vergangener Jahre. (Höchstens noch das Fagott ein wenig von weiter Ferne.) Auffallend ist die sinnfällige und gut zu verfolgende Stimme der Pauke, die in den meisten Aufnahmen ein Schattendasein fristet (von Collins einmal abgesehen). Der Grundduktus im 1. Satz ist von lebendiger Geschmeidigkeit, gepaart mit sehr hoher Partiturtreue. Die verschiedenen Tempi werden sehr gut von einander abgegrenzt, z.B. bei Zi. 10. Der Choral klingt besonders schön. Genau wie sein Vater Neeme nutzt auch Paavo die Fermaten auf den Schlussakkorden  und lässt sie noch etwas länger klingen.

Der wiegende Tanzcharakter im 2. Satz wird sehr gut herausgearbeitet. Das Orchester geht akribisch auf die Partituranweisungen ein, setzt mitunter kräftige Akzente (vor allem die Hörner), die in anderen Darbietungen einfach fehlen. Das Holz, differenziert etwas genauer als beim Vater, das Blech tönt noch etwas präsenter. Auch der Nocturne - Charakter kommt sehr sinnfällig heraus. Einzelne Einsätze nimmt man so wie geisterhafte Lichtspiele wahr, auch als Folge der glasklaren Aufnahmetechnik (High – Res). Das kleine Oboensolo eins vor Zi. 12 kommt sehr schön heraus. Sf  klingt hier wirklich durchgängig wie sf. Sie werden nicht verschliffen. Gegenüber anderen Einspielungen fallen auch die beiden letzten Takte auf, die hier kräftig und geradezu (wie durch einen „Jungbrunnen“ gegangen) erstarkt klingen. Der 2. Satz durchlebt hier also eine große Entwicklung.

Der 3. Satz überzeugt erneut durch eine haarfeine Partiturtreue. Er wirkt sehr rhapsodisch weil die mannigfachen unterschiedlichen Tempi deutlich herausgearbeitet werden und nicht  bis zur Unkenntlichkeit ineinander übergehen. Das recht langsame Tempo wird zur gestenreichen und spannenden Ausgestaltung des Notentextes genutzt. Auch die Durchführung bleibt im Tempo moderat, erklingt aber noch akzentuierter, differenzierter und plastischer als bei den beiden Aufnahmen des Vaters, bei Inkinen oder Elder. Immer wieder fällt das plastische Spiel des Orchesters auf. Insgesamt ergibt sich ein auffallend vielgestaltiger Eindruck. Auch den Spannungsabfall bei allargando (Zi. 13), den sich die Mehrzahl der Einspielungen leistet, ist bei Paavo Järvi nicht zu verspüren.  Das dolcissimo ist gut getroffen (sechs Takte nach Zi. 15). Stets lässt Järvi den Hörer die gebotene Energie spüren. Ab Zi. 16 sind die thematisch geforderten Hörner und die umspielenden Holzbläser gleichermaßen gut zu vernehmen. Järvi tönt das ganz fein ab. Danach vermisst man – angesichts der Aufnahmen weiter oben - ein Anziehen den Tempos bis zur Stretta. Järvi belässt es hier beim Ansteigenlassen von Lautstärke und Energie, wie es ja auch korrekterweise „nur“ in der Partitur steht. Sibelius belässt es bei der oft zu lesenden „Ermahnung“ nur immer sempre marcato und sempre energico zu bleiben und eben das crescendo zu beherzigen. Von einem accellerando steht eben auch nichts da. Also unterlässt es Järvi auch. Wir haben das instinktorientierte, leidenschaftliche accelerando eines Bernstein oder Collins allerdings schon ein wenig vermisst. Järvi beendet seine Darstellung mit erhabenden Schlussakkorden, so wie man es - Berglund zum Trotz - eben auch sehen kann.

Der Klang der Aufnahme ist sehr transparent, klagfarbenreich, von einer sehr präzisen Räumlichkeit aber nicht sonderlich weiträumig aber dennoch plastisch und recht körperhaft.

 

_______________________________________________________________________

 

 

 

4-5

Jevgeni Mravinsky

Leningrader Philharmoniker

Praga

1963  LIVE

9:49  8:26  8:12  26:27

 

SACD  Die tschechischen Techniker habe aus dieser amateurhaften Melodija – Aufnahme zwar keine aufnahmetechnische Meisterleistung zaubern können, aber die hörenswerte Darstellung Mravinskys konnte durch ihr Remastering immerhin für heutige Ohren gerettet werden. Das Rauschniveau ist noch recht hoch und das Publikum macht sich in leisen Passagen durch auffälliges Rascheln bemerkbar. Die Transparenz ist aber recht hoch und bis zum f ist die Aufnahme sogar recht dynamisch. Im ff aber klingt sie stark übersteuert. Man hat sogar einen recht tief und natürlich anmutenden Raum in die Aufnahme hineingezaubert.

Das Orchester hat einen sehr guten Tag erwischt, es spielt – gerade auch wenn man die hier bereits besprochenen Live - Einspielungen von Werken Tschaikowskys oder Schostakowitschs als Vergleich heranzieht -  in bestechender Toppform. Mravinsky lässt den 1. Satz in großräumig gedachten weiten Bögen spielen, sehr ernst aber auch sehr spannend. Dazu kommt noch ein strenger aber nicht hartherziger, vorwärtsdrängender Gestus. Dass die Holzbläser statt eines echten p erneut ein gesundes mf blasen, überrascht bei den aufnahmetechnischen Dispositionen der Mravinsky – Live – Aufnahmen nicht mehr. Wie auch bei Collins überrascht die stringente Behandlung der Paukenstimme, die hier aber partiturkonform bleibt. Famos etwa bei sechs Takte vor Zi. 10 oder bei drei Takte nach Zi. 10, wie sie sich hier zu Recht knallend über die Blechbläser erhebt. Die crescendi gehen durch Mark und Bein, so etwa ab sieben Takte vor Zi. 13. Die Hörner begeistern in diesem Zusammenhang vollends. Bei den Schlusstakten geht  die Technik leider total „in die Knie“, sie sind total übersteuert und verfärbt.

Der 2. Satz dem Gesetz des Alphabetes nach den beiden Maazel – Aufnahmen gehört, wirkt im Vergleich dazu geradezu gefühlvoll. Dies bei einem sehr zügig wirkenden Tempo. Es ergibt sich ein Tanz ohne jeden Überschwang oder gar Lustgefühl. Die Begleitstimmen werden im Rahmen des akustisch möglichen offen gelegt. Leider fallen in diesem Umfeld  die zu lauten Holzbläser stärker negativ ins Gewicht als im ersten oder dritten Satz. Insgesamt wirkt dieser Satz stark dramatisiert, ernst und eindringlich, fast wie bei Schostakowitsch. Ein echter Mravinsky eben. Die beiden letzten Takte klingen hier relativ ermüdet, gar ermattet und verhalten, obwohl die Partitur noch ein gesundes f hergegeben hätte. Der Satz ist für Mravinsky wohl alles andere als ein „Jungbrunnen“, wie bei Paavo Järvi.

Auch im 3. Satz ist Mravinskys Duktus streng und gespannt. Wie bereits bei Collins erwähnt, lässt M. die ad libitum besetzten Streicher ab einen Takt vor Zi. 1 drei Mal hintereinander weg bis 5 T. vor Zi. 2. Der rhapsodischer Charakter kommt gut heraus, da  M. die verschiedenen Tempi exakt schlägt und nicht verschwimmen lässt. Das Holz spielt impulsiv, die Flöte, bei Schostakowitschs Fünfter noch recht aufdringlich, gefällt hier sehr gut. Sie mäßigt auch ihr Vibrato. Das wichtige fff des Tutti vor der Durchführung (Zi. 8) versinkt im Orkus der unzulänglichen Live – Aufnahme, da konnten auch die Remastering – Ingenieure nichts mehr retten. Die Durchführung selbst steckt voller Wut - Attacken, so werden die zahlreichen sf hier verstanden. Gegen Ende, etwas  ab Zi. 18 lodert das Feuer der Interpretation hoch, was aber sehr auf Kosten der Transparenz geht. Vor allem die Binnenstreicher und die Bassstimme kommen viel zu kurz. Von der Dynamik des Orchesters bekommt der Hörer nur die angereicherten Oberstimmen mit, aber keine echte Lautstärke. Schon im Beiheft weißt man auf die unambitionierte Aufnahmequalität hin, der leidgeprüfte Mravinsky - Hörer ist dann aber weitgehend überrascht vom gebotenen Klang. Am Ende der Sinfonie aber bedauert man doch, dass es 1963 nicht zu einer besseren Aufnahme gereicht hat und in eine bessere Technik investiert hat.

 

______________________________________________________________________________

 

4-5

Mariss Jansons

Oslo Philharmonic Orchestra

EMI

1994

10:03  9:37  8:03  27:43

 

Jansons gibt dem 1. Satz der dritten einen dynamischen, nachdrücklichen und beschwingten Gestus und setzt sich so deutlich von den im direkten Vergleich gehörten Elder oder Inkinen ab. Sein Zugang zum 1. Satz ist einfach temperamentvoller, drängender und leidenschaftlicher. So kommen die tänzerischen Elemente sehr gut zum Ausdruck. Auch die Abenteuerlust, die ein Bernstein hier spürbar werden lässt, wird allerdings in einem etwas geringeren Maß durchaus noch erfahrbar. Auch die hymnischen Schlussakkorde passen ins Bild und gefallen sehr gut.

Dem 2. Satz verleiht Jansons einen leicht melancholischen Gestus. Auch der Gebetscharakter (ab Zi.6) wird deutlicher als sonst herausgearbeitet. An Differenzierung lässt er es nicht mangeln. So werden die pizzicati bei Zi. 7 und 8 (recht spitz) deutlich von den pizzicati bei Zi. 9 (erheblich stumpfer) unterschieden. Die Holzbläser agieren engagiert und tonschön. Auch das kleine Oboensolo ein Takt vor Zi. 12.

Auch im 3. Satz nimmt Jansons mit seinem jugendlich – kämpferischen, temperamentvollen Impetus für sich ein. Die Durchführung hat Biss. Sempre energico wird jederzeit antizipiert. Bei vielen anderen hat man das Gefühl, dass sich diese Anweisung bei den Interpreten abnutzt, gerade weil sie so oft erwähnt wird. An Zi. 16 lässt Jansons die Hörner über die Holzbläser dominieren, Paavo Järvi hatte hier beides exakt ebenbürtig hörbar gemacht. Die Hörner haben hier aber längst nicht die Strahlkraft wie bei Colin Davis mit dem LSO, der sie hier in einem großen Auftritt glänzen lasst. Erst ab Zi. 19 und erst recht bei Zi. 20 erhöht Jansons das Tempo. Durch das angezogene Tempo vermeidet er jede Monumentalität, den Schlussakkorden lässt er das ihnen zustehende ff. Gerade der 3. Satz gelingt Jansons sehr überzeugend.

Der Klang der Aufnahme ist solide, aber etwas farbschwächer als z.B. die neueren Einspielungen von Elder oder Inkinen und auch weniger klar und präsent.

 

__________________________________________________________________________

 

4-5

Kurt Sanderling

Berliner Sinfonieorchester

Eterna, Berlin Classics

1971

10:38  8:21  8:17  27:16

 

Kurt Sanderlings Einspielung merkt man an, dass er mit Sibelius´Musik ähnlich herzlich verbunden war, wie Sir John Barbirolli. Zwar ist auch bei ihm der Duktus der Musik im 1. Satz etwas schwerer als gewöhnlich. Besonders wenn man an den „wieselflinken“ Collins denkt wirkt es schon etwas behäbig, aber man muss Sibelius´ Freude über das neu gewonnene Naturerlebnis und das frisch bezogene Eigenheim ja auch nicht mit einem Sprint durch die angrenzenden Wälder ausleben, woran die Aufnahme von Collins durchaus denken lässt. Es geht durchaus auch etwas geruhsamer. Die Holzbläser nehmen mit ihrem warmen Klang sehr für sich ein und suggerieren mit dem gesamten Orchester eine freundliche Zusammenkunft am warmen Kaminofen. Leichtgewichtig oder auch zu schwergewichtig ist hier nichts sondern durchaus gespannt und sogar noch bewegter als es ein Rattle ausgedrückt hat, der direkt mit Sanderling verglichen wurde. Auch Hörner und Blech klingen ausgezeichnet. Der Choral ab Zi. 19 klingt besonders schön und eindringlich. Bei Sanderling klingt dann doch auch ein wenig Mahler durch mit dem Gestus, die ganze Welt umarmen zu wollen.

Im 2. Satz lässt Sanderling die Bewegung tänzerisch fließen. Die Holzbläsr treten, weich und gefühlvoll differenziert, glasklar hervor. Nur die Klarinette erscheint in diesem Zusammenhang etwas hart. Bei Zi. 10 sind Oboe und Fagott nicht ganz synchron. Die Schlusstakte erklingen hier völlig ermattet.

Auch im ausdrucksvoll gegebenen 3. Satz zeigt sich das Orchester von der besten Seite. Die Steigerung vor Zi. 8 begeistert. Die Durchführung gelingt stringent. Ab Zi. 16 hören wir ein gelungenes Ineins von Holz und Hörnern. Ab Zi. 18 plärrt das Holz wunderbar heraus und Sanderling gibt richtig Schub. Ab Zi. 19 lässt er die Hörner triumphieren, später stimmt das übrige Blech mit ein. Eine erhabene Schlusswirkung.

Eine weitere Glanzleistung der alten Eterna - Aufnahmetechnik ist hier zu hören (wie schon beim Schwan mit Berglund). Voll, weich, sonor, dynamisch, „saftig“ mit guter Bassgrundierung, sogar offener als die neue Rattle – Einspielung von 2015. Einfach Klasse.

 

______________________________________________________________________

 

4-5

Sixten Ehrling

Schwedisches Rundfunksinfonieorchester Stockholm

Mercury, Centurion, Metronome

P 1953 MONO

10:44  9:24  8:34  28:44

 

Ehrling gebührt die Ehre, die erste Gesamteinspielung der Sinfonien vorgelegt zu haben und zwar nicht wie verschiedentlich (auch auf der Centurion – Ausgabe, die uns vorlag) zu lesen mit den Stockholmer Philharmonikern, sondern mit dem RSO der schwedischen Hauptstadt. Darin finden sich übrigens die langsamste Vierte neben der schnellsten Fünften. Allen gemein ist die feste Temponahme, die sich kaum Rubato gestattet, ganz anders als bei Kajanus. Ehrling reißt auf eine kühle Weise mit, voller Dynamik z. B. vier Takte vor Zi. 3 das ff, das tranquillo Zi. 5 dann wieder im echten ppp. Die Oboe klingt auch hier, wie beim LSO unter Collins und Kajanus, sehr dünn. Die Steigerungsverläufe sind toll. Die Schlussakkorde klingen hier durchdringend. Feine Valeurs gehen hier leider im schlechten Klang und im kühl lodernden Feuer ziemlich verloren.

Der 2. Satz, trotz der fließenden Bewegung, erscheint von einem melancholischen Grundton geprägt, sodass hier niemand in Erwägung ziehen würde, das Tanzbein zu schwingen. Das Holz phrasiert und klingt hier sogar etwas schöner als bei Collins. Insgesamt aber wird der Satz streng, unsentimental und unbeirrt durchgezogen.

Im 3. Satz lässt die Qualität der Holzbläser gegenüber dem LSO bei Collins jedoch spürbar nach. Er klingt irrlichternd, viel weniger subtil als drängend. Stets behält Ehrling die Basslinie im Auge. Das verfügbare dynamische Spektrum wird gnadenlos ausgenutzt. Die Durchführung ist kämpferisch und voller Biss. Viel dramatischer und rhapsodischer als bei Davis, der die verschiedenen Tempi alle geschmeidig in den großen Strom integriert. Ab Zi. 16 sind Holz und Hörner gleichberechtigt. Davis, wie bereits erwähnt, lässt die Hörner hier von der Leine. Mit größter Energie strebt das Orchester bei Ehrling einem tollen Finale entgegen mit monumentalen Schlussakkorden.

Der Klang ist dumpfer als bei Collins, hat keine Staffelung und ist bisweilen verfärbt, ein ff  klingt oft scheppernd.

 

____________________________________________________________________

 

4-5

Neeme Järvi

Göteborger Symphoniker

DG

2005

10:12  10:47  9:13  30:13

 

SACD Von den beiden Aufnahmen Neeme Järvis gefällt die zweite besser als die erste von 1983 mit demselben Orchester. Die Unterschiede in der Interpretation sind eher gering aber die Klangqualität der neueren Aufnahme ist deutlich voller, brillanter, noch dynamischer, farbiger und präsenter. Die ältere ist dafür etwas weiträumiger.

Das ohnehin (auch schon 1983) gute Orchester hat 2005 zumindest einen guten Tag erwischt. Es klingt nun noch geschmeidiger, dynamischer, akzentuierter und selbstverständlicher als 1985. So wirken die Celli ab Zi. 3 temperamentvoller. Auch im nun noch schlackenloseren Zusammenspiel hört man die gesteigerte Qualität. Das Holz klingt hervorragend, die bodenständigen Hörner klasse. Insgesamt wird viel Wert auf die Dynamik gelegt, die auch voll überzeugt. Dem lebendigen Duktus fehlt aber die letzte Abenteuerlust. Auch hier, wie bereits 1985 und später Sohn Paavo dehnt er die Schlussakkorde intensiv noch etwas länger (Fermate).

Im 2. Satz erfolgt die Tempogestaltung gegenüber 1985 etwas kontrastreicher bei einem allerdings insgesamt deutlich langsameren Tempo. Die Gesamtwirkung erscheint dadurch weniger schwungvoll aber nicht etwa melancholischer. Die Flöte sticht nun nicht mehr durch ein Übermaß an Vibrato aus dem Bläsersatz heraus.

Im 3. Satz, zunächst noch etwas langsamer, dann aber spannender und schon recht früh sukzessive schneller werdend, klingt das Orchester nun vitaler als 1983. Zi. 8 klingt prachtvoll. Der Durchführung fehlt es an aber an Tempo um irrlichternd oder gar wütend zu wirken. Das tranquillo ab 3 Takte nach 12 bleibt viel zu lange erhalten, statt wieder ins vorherige Tempo zurück zu wechseln (es dauert lediglich zwei Takte!). Das a tempo wird ignoriert. Auch später bei non silentando wird Järvi etwas langsamer. Die Hörner bei Zi. 16 sind schön deutlich. Ab Zi. 18 und mehr noch ab Zi. 19 zieht er das Tempo an, bleibt dabei transparenter aber auch weniger mitreißend als 1983.

▼ weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten

 

__________________________________________________________________________________

 

4-5

Paavo Berglund

Helsinki Philharmonic Orchestra

EMI

1987

10:11  9:43  8:28  28:22

 

In seiner zweiten Aufnahme nach 1972 nunmehr digital 1987 in Helsinki eingespielt gelingt Berglund der nun etwas schneller genommene 1. Satz etwas spannender, auch gelöster und die Übergänge etwas geschmeidiger. Die Freude generell kommt erheblich quirliger ans Ohr des Hörers, wozu auch die nun etwas hervorgehobenen hellen Klangfarben ihren Anteil haben. Das motivierte Orchester macht einen sehr guten Eindruck, es scheint sich seiner Sache sicherer zu sein als bei Segerstam. Bei Zi. 16 sind die Musiker allerdings nicht ganz zusammen. Die Spielfähigkeit ist beim COE jedoch nochmals gesteigert, die Artikulation nochmals verfeinert.

Der 2. Satz, nun mit einem als erheblich bewegter empfundenen, aber immer noch fließenden, tänzerischen Tempo versehen, profitiert besonders von der klanglichen Offenheit und der expressiveren Gestaltung. Die auch hier exakte Ausführung erfreut, wird aber nicht so auf die Spitze getrieben wie beim COE.

Auch der 3. Satz gelingt gespannter, auch klangsatter und bewegter als in Bournemouth. Allen Vortragsbezeichnungen wird liebevoll Beachtung geschenkt. Ab Zi. 19, wo bei anderen richtig Tempo und die Virtuosität entfacht wird, bleibt Berglund wie in seinen anderen beiden Einspielungen seltsam verhalten. Für uns bleibt seine sicher wohlbegründete Motivation dazu leider im Dunkeln. Auch hier wird die Sinfonie zu einem nachdenklichen, völlig pathos- und triumphfreien Abschluss gebracht. In vielerlei Hinsicht verbindet die mittlere Aufnahme die Qualitäten der beiden anderen auf sich.

Das Klangbild ist gegenüber 1972 klarer, beträchtlich farbiger, noch etwas weicher und voller. An Transparenz findet sie jedoch in der Aufnahme mit dem COE ihren Meister, der sie an Klangfülle jedoch voraus ist. Auch der Klang der Segerstam – Aufnahme mit dem HPO wird, obwohl neueren Datums, übertroffen.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten

 

________________________________________________________________

 

4-5

Olli Mustonen

Helsinki Festival Orchestra

Ondine

2003

9:11  9:14  7:50  26:19

 

SACD Bei uns viel eher als Pianist bekannt geworden ist Mustonen auch ausgebildeter Komponist und Dirigent. Seine im ersten Satz „wieselflink“, glasklar und sprechend artikulierte Einspielung zeugt von großem handwerklichem Können. Abzulesen auch an einem perfekt eingestellten, hochpräzise agierenden Orchester. Der Duktus wirkt unruhig, aufgeregt und drängend. Die Streicher spielen vibratolos. Das ppp bei Zi. 5 tranquillo bekommt so einen Effekt wie körperlos. Immer wieder begeistern die Einsätze von Holz und Blech, die die Vermutung nahelegen, dass hier die besten Musiker Finnlands vereinigt wurden. Die Virtuosität wirkt gänzlich uneitel, denn hier wird nichts zur Schau gestellt. Alles erscheint stimmig in den Kontext integriert. Der sehr differenzierte Choral führt zu einem maßvollen Schluss.

Auch der 2. Satz ist ein großer Genuss für den Partiturleser, denn die Nebenstimmen, kommen ganz vortrefflich zur Geltung, die Dynamik wird ebenfalls hervorragend zur Geltung gebracht. Wie bei Berglund (COE), Bernstein und Paavo Järvi liegt alles glasklar offen, wie durchleuchtet. Das Orchester ist eines der besten im Vergleich und braucht sich auch vor den Pittsburghern unter Maazel, die in diesem Vergleich vielleicht als das Perfektionsinstrument schlechthin gelten können (zusammen mit dem COE und den Parisern), nicht zu verstecken. Mustonen schafft mit ihm den Spagat zwischen Tanz, Nocturne und Kondukt (Prozession). Mustonen hat sich alles sehr gut überlegt und gestaltet souverän, auch die bestimmt artikulierten Schlusstakte.

Auch im 3. Satz ist Transparenz Trumpf. So kammermusikalisch differenziert hört man ihn nur noch mit dem COE und Berglund. Kein rfz geht verloren, auch der rhapsodische Aspekt kommt voll durch. Der Durchführung fehlt jedoch der wütende Aspekt. Sie wirkt geradezu spielerisch. Überhaupt bleibt hier die große Linie eher zurückhaltend, als ob Berglund zumindest in Finnland stilbildend gewirkt hätte. Einzelne Passagen überzeugen jedoch auch hier vollends, z.B. die schrillen Holzbläser bei Zi. 18. Der rasant genommene 3. Satz gerät stets kontrolliert und straff, betont eher das tänzerische Element und verzichtet völlig auf den Versuch eine gewisse Monumentalität oder Schlusstranszendenz zu erreichen. Diese Sichtweise wirkte auf uns individuell aber auch besonders im 3. Satz etwas zu sachlich.

Das Klangbild erreicht größtmögliche Transparenz, ist recht körperhaft, vom Timbre her relativ warm und von hoher Präsenz. Der Bassbereich erscheint allerdings nicht sonderlich im Focus gestanden zu haben.

 

_____________________________________________________________________

 

4-5

Maurice Abravanel

Utah Symphony Orchestra

Vanguard

P 1978

9:55  10:14  8:58  29:07

 

Nach dem ersten Kontakt mit der ungeprobt wirkenden Einspielung von Francesca da Rimini wurden wir hier von Maurice Abravanel und dem Orchester aus Salt Lake City entschieden positiv überrascht. Der Dirigent hat alles im Griff und hält das Orchester zu inspiriertem Spiel an. Alles erhält ein bewundernswert richtiges Maß. Das betrifft das in allen Sätzen als jeweils stimmig empfundene Tempo, die weiche und geschmeidige Art des Orchesterspiels als auch der Solisten. Ohne viele Worte zu machen kann diese Einspielung als die gelungene Mitte des Vergleiches der CD-Einspielungen der 3. Sinfonie bezeichnet werden.

Ähnliches gilt auch für den Klang. Er ist rund, relativ weich, relativ gut gestaffelt, transparent. Nichts sticht heraus, nichts sumpft ab. Die Dynamik ist maßvoll. Der Klang ist weder übermäßig brillant, höchstens eine Spur gedeckt und recht voll. Man könnte auch sagen die Unternehmung macht einen rundum erfreulichen und sympathischen Eindruck.

 

___________________________________________________________________

 

4-5

Simon Rattle

Berliner Philharmoniker

Eigenvertrieb BP Media

2015

10:03  9:16  8:38  27:57

 

Simon Rattle hat die Sinfonien bisher zwei Mal eingespielt, wobei er  bereits 2010 für die Erstaufführung der 3. Sinfonie bei den Berliner Philharmonikern gesorgt hat. Dabei unterscheidet sich die erste Aufnahme, noch mit dem CBSO 1987 gemacht, dessen Chefdirigent er damals gewesen war, kaum von der zweiten 2015 mit den Berlinern. Lediglich im zweiten Satz zeigt das Berliner Orchester seine ganze Klasse und begeistert mit Kabinettstückchen besonders bei den Holzbläsern, die ihnen so schnell wohl kein anderes Orchester nachspielen könnte.

Der Duktus im 1. Satz ist aus einer gelassenen, nicht gerade dramatischen Grundhaltung heraus lediglich mäßig spannend, aber sehr differenziert gestaltet. Das ppp bei Zi. 5 ist mit das leiseste und wirkt bestechend. Die Virtuosität wirkt unaufdringlich mehr fein abgetönt als äußerlich begeistert.

Anders sieht es im 2. Satz aus, der besonders von der nicht zu übertreffenden Phrasierungskunst der Berliner Holzbläser profitiert, die hier auffälliger wird, als in den anderen Sätzen. Durch diese feinen Abschattierungen wird die Gesamtgestaltung des Satzes besonders lebendig. Die Streicher stehen dem aber nicht nach. Sogar die Gestaltung Mustonens wird hier noch an Plastizität übertroffen. Rattle stellt den Nocturne - Charakter bei seiner Darstellung in den Mittelpunkt, bleibt im Fluss aber vermeidet übermäßigen tänzerischen Einfluss. Durch die größtmögliche Differenzierung erreicht dieser Satz von den dreien auch die größte Anteilnahme beim Hörer.

Der 3. Satz wird gegenüber der 1987er Aufnahme etwas plastischer, nuancierter und souveräner gegeben. Der Duktus bleibt jedoch gleich. Ein dramatischer Effekt stellt sich nicht ein. Rattle scheint in der dritten eher ein lyrisches Werk zu sehen. Die Verläufe bleiben zwar nicht blass, aber stets etwas zu kontrolliert. Der Schluss wirkt sogar regelrecht harmlos. Berglunds Ansichten haben sich vielerorts durchgesetzt. Das ist bei Rattle leicht verständlich, nutzt er doch - wie man lesen konnte – mittlerweile die Partituren von Paavo Berglund. Er kennt also ganz genau dessen Eintragungen.

Der Klang wirkt sehr transparent, aber nicht voll und auch nicht übermäßig brillant, vom Publikum ist nahezu nichts zu hören, einen natürlichen Raumeindruck vermisst man weitgehend.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten

 

________________________________________________________________________

 

4-5

Robert Kajanus

London Symphony Orchestra

Warner

1932

10:05  11:03  8:15  29:23

 

Die erste Aufnahme der 3. Sinfonie überhaupt liegt mittlerweile in einem erstaunlich frischen Mastering vor. Man traut kaum den eigenen Ohren aber sie rauscht kaum, verfügt zumindest teilweise über satte Bässe und man kann über weite Strecken sehr gut dem Stimmenverlauf folgen. Nur vereinzelt hört man störende Schleifgeräusche der alten Platte, die als Quelle diente. Selbstverständlich fehlt der Eindruck einer natürlichen Staffelung und brillant kann man den Klang auch nicht nennen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Chefdirigent des LSO damals noch ein gewisser Hamilton Harty war, der die Wassermusik Händels kurz, knapp und vor allem noch sehr romantisch arrangierte. Auch der bei uns kaum noch bekannte Gründer der Philharmoniker aus Helsinki Kajanus (1856 – 1933), der dann auch über 50 Jahre ihr Chef blieb, entstammte noch einer anderen Musikergeneration. Das hört man seiner Einspielung durchaus an. Viele, aber nicht alle crescendi  gehen gleichzeitig auch mit einer rasanten Beschleunigung einher. Und umgekehrt. Auch an Rubato mangelt es in keiner Weise. Es wird aber größtenteils für die Spannung förderlich eingesetzt. Das Orchester, mit den dünnen und dürr klingenden Oboen ist gemeinsam mit den anderen Bläsern noch nicht auf der Höhe, wie man sie später von diesem Orchester gewöhnt ist. Aber es wird auch nicht gerade leicht gewesen sein, diesem flexiblen Interpretationsansatz auf eine makellose Weise zu folgen. Die Durchführung klingt beispielsweise wie ein einziger Sturmlauf.  Collins hat ähnliches ja wieder aufgegriffen.

Der 2. Satz erscheint dagegen sehr schwerfällig. Zu dieser gramgebeugten und niedergeschlagenen Stimmung versucht sicher niemand mehr zu tanzen. Man erkennt den Versuch aus dem lichten Nocturne einen richtigen langsamen Satz zu machen.  Bei Zi. 6 wird der Stillstand regelrecht zelebriert, ein Gebet im resignativen, allenfalls meditativen Zustand. Im 2. Satz fallen übrigens die Intonationsprobleme im Holz besonders störend ins Gewicht. Ab Zi. 10 und 11 spukt es plötzlich in einem erstaunlich schnellen Tempo vital und ungestüm herum, im Wald rund um Ainola. Ab Zi. 12 haben wir dann wieder den behäbigen Weg zurück angetreten mit einem getragenen Choral als Finale.

Der 3. Satz knüpft dann wieder am ersten an. Die Hörner sind auch im Hintergrund gut hörbar, die Nebenstimmen ganz erstaunlich ebenfalls. Bis zum ersten Höhepunkt des Satzes bei Zi. 8 erleben wir einen mitreißenden Impetus. Die verschiedenen kleinen und größeren Abschnitte mit verschiedenen Tempi geraten extrem deutlich fast zu einer Achterbahnfahrt. Leider hat die Oboe den besten Platz vor dem Schalltrichter erwischt, gerade sie hört man von den Holzbläsern am besten. Von Zi. 16 bis 18. zieht Kajanus unwiderstehlich das Tempo an, jetzt sind die Holzblasinstrumente wie weggeblasen, sind sie tatsächlich, nämlich vom Blech, das alle anderen Instrumente zum verstummen bringt. Diese Einspielung ist wie ein Blick in eine andere Zeit. Sicher hätte man ihr auch eine 5 geben können oder auch eine 3. Sie ist sie schwer zu bewerten aber sehr interessant.

 

_____________________________________________________________________________

 

4-5

Neeme Järvi

Göteborger Symphoniker

BIS

1983

10:16  9:41  9:01  28:58

 

Der Klang der älteren Aufnahme Neeme Järvis ist extrem weiträumig, dynamisch und luftig geraten, könnte aber noch voller sein. Es fehlt etwas an Brillanz und besonders die Violinen erscheinen etwas zu weit entfernt. Die spätere DG – Aufnahme hat die volleren und intensiveren Klangfarben, ist präsenter, brillanter aber auch etwas engräumiger. Die Interpretationen unterscheiden sich weit weniger und sind bereits oben ausreichend beschrieben worden. Auch die Orchesterleistung muss in der DG – Einspielung als verbessert beschrieben werden. Erwähnt werden sollte aber noch, dass der 3. Satz insgesamt 1983 mitreißender gelang, denn Järvi zog hier bereits ab Zi. 18 das Tempo spürbar an und lässt die Hörner „von der Leine“. Das Finale erscheint strettaartig verdichtet mit guten als solche auch klar herausgestellten - und nicht wie bei Berglund fast schamhaft versteckten -  Schlussakkorden.

 

________________________________________________________________________

 

4-5

Herbert Blomstedt

San Francisco Symphony Orchestra

Decca

1995

10:05  10:16  8:36  28:57

 

Bei dieser Einspielung ist der Eindruck vordinglich, dass Blomstedt die Musik einfach wie selbstverständlich fließen lässt. Aber auf eine souveräne Art. Bisweilen wirkt sie auch energisch, aber nicht getrieben oder drängend. Auffallend ist auch der sehr sorgsame Umgang mit den unteren Bereichen der dynamischen Skala. So gelingt das tranquillo bei Zi. 5 in vorbildlichem ppp. Die Herangehensweise ist derjenigen Abravanels ähnlich, aber etwas farbiger und etwas dynamischer.

Der 2. Satz wird dynamisch ebenfalls stark abgeschwächt, sodass sich die abgedämpfte Szenerie eines überaus weich und sanft wiegenden Nocturnes ergibt. Bisweilen wird auch etwas zuviel in dieser Richtung unternommen, sodass die Spannung (bzw. der Erzählfluss) bei Zi. 6 doch etwas durchhängt. Auch wurden die Binnenstreicher bei z.B. Bernstein viel besser durchleuchtet, während Blomstedt auf einen Mischklang aus ist. Es ergibt sich so eine ziemlich dunkle Mondnacht, in der es zwar rumspukt aber doch sehr verhalten und mit liebenswerten, eher niedlichen Geschöpfen.

Der 3. Satz klingt ausgesprochen ausgewogen und auf eine recht lockere, elegante Art spannend. Der Durchführung ist jede Aggression oder gar Wutgebaren fremd. Der „Kompositionsprozess“ erfolgt auf intellektuelle Weise, ein immer wieder neues Probieren und Zusammensetzen ohne jeden Zeitdruck. Infolgedessen auch ohne dramatischen Ausdruck. In Blomstedts Wiedergabe weiß der Komponist, dass er auch auf eine etwas (zu) gemütliche Art und Weise ans Ziel kommt. Die Zuspitzungen wirken leichtgewichtig aber nicht glatt. Eher spielerisch – quirlig.

Die Aufnahmequalität ist glasklar, farbig und differenziert, verfügt über eine gute Staffelung, sowohl in der Breite als auch in der Tiefe. Lediglich die Pauke klingt zu mulmig.

 

_____________________________________________________________________

 

4-5

Colin Davis

Boston Symphony Orchestra

Philips

1977

10:47  10:17  8:23  29:27

 

Colin Davis hat die Sinfonie drei Mal innerhalb von Gesamtaufnahmen vorgelegt. Anders als beim Schwan von Tuonela gefällt hier die erste mit dem BSO am besten. Klanglich volltönend zeigt das BSO sogleich ein bewegtes Spiel, aber ohne Druck mit einem nur leicht bestimmenden Zug dahinter. Die Oasen der Ruhe werden nachdrücklich ausgeformt, alles geschieht mit Bedacht, hat „Hand und Fuß“. Insgesamt vermisst man etwas „Feuer“.

Im 2. Satz erfreuen die aparten Klangmischungen, die das BSO hören lässt. Die Holzbläser der Collins – Aufnahme noch in den Ohren, klingen die des BSO wie eine gerne entgegengenommene Wohltat. Davis erweist sich erneut als Meister der Subtilität, der mit einem Hang zum schwelgerischen ausgebaute weich gerundete, warme Klang wird fein ausgehört. Dieser wenig tänzerische Waldspaziergang spielt sich in einer warmen Sommernacht ab, oder brennt hier sogar auch ein wärmendes Kaminfeuer? Das Gebet scheint jedenfalls warmen Zuspruch und Trost zu spenden. Auch die „Spukszenen“ Zi. 10 und 11 sind  wenig spektakulär und sehr mild ausgefallen.

Der 3. Satz fällt deutlich dramatischer aus als bei den zuvor gehörten Blomstedt und Botstein. Es wird zudem sehr engagiert und kultiviert gespielt. Ab Zi. 18 zieht auch Davis strettahaft das Tempo an und kommt zu einer mitreißenden Finalgestaltung.

Der Klang ist voll, warm und abgerundet, wesentlich aufgelichteter als beim „Schwan“, also auch klarer. Dennoch wirkt das Orchester etwas zurückgesetzt, es fehlt also etwas an hautnaher Präsenz.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt direkt im Anschluss, eine weitere weiter unten.

 

________________________________________________________________

 

4-5

Colin Davis

London Symphony Orchestra

RCA

1992

11:12  10:42  8:15  30:09

 

In seiner zweiten Aufnahme, 15 Jahre später und nun mit dem LSO, dessen Chefdirigent Davis damals war, spielt das Orchester eher noch ein wenig nachdrücklicher, mit sprechender Artikulaton auch noch etwas eloquenter. Wie in Boston genießt der Hörer ein fast makelloses, teilweise beseeltes wie selbstverständlich wirkendes Orchesterspiel. Man muss nur bei Zi. 5 tranquillo das gehaltvolle ppp hören, das so nur die besten hinbekommen. Den Entwicklungsverläufen fehlt aber bisweilen das spannungsvolle Tempo. Dennoch wirken sie nachdrücklich und Ziel führend. So geht dieser Einspielung, noch etwas mehr als der Bostoner, im 1. Satz jeder Überschwang ab, als ob die erste Erkundungstour ziemlich gemütlich mit der Kaffeetasse in der Hand erfolgt wäre.

Auch im 2. Satz ergeben sich kaum nennenswerte Unterschiede im Gestus zur Bostoner Aufnahme, die Bläser treten noch deutlicher hervor, die Abschattierungen sind ganz hervorragend, die Unisoni exzellent, die Phrasierungsgenauigkeit verblüffend. Jeweils noch ein wenig besser als beim BSO. Auch die Timbres der verschiedenen Holzbläser sind extrem weit angeglichen, was einen fabelhaft einheitlichen Bläserklang ergibt.

Auch der 3. Satz erklingt in größtmöglicher Subtilität. Jedoch wirkt die Durchführung über weite Strecken harmlos. Auch hier zieht Davis aber später das Tempo an, es geht ein Ruck durch das Orchester, und nach und nach werden alle Register gezogen, die Hörner kommen zu überwältigender Geltung (an diesen Stellen kann dies als Markenzeichen für die drei Colin Davis – Einspielungen gelten) und der Gesamtklang mit dem übrigen Blech führt zu einem ganz großen schließlich dann doch mitreißenden Finale.

Der Klang ist noch etwas klarer und dynamischer als in Boston.

▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten

 

_________________________________________________________________________

 

 

 

4

Lorin Maazel

Wiener Philharmoniker

Decca

1968

9:14  8:09  8:37  26:00

 

Von Lorin Maazel liegen zwei Einspielungen der Sinfonie vor, die jeweils innerhalb von Gesamteinspielungen entstanden. Er selbst äußerte einmal einem Journalisten gegenüber, der behauptete, die erste aus Wien sei landläufig die als besser eingeschätzte, dass das nicht stimme, die Pittsburgher sei die bessere. Auf die Einspielung aus Pittsburgh kommen wir später noch zu sprechen, eines schon einmal vorweg: Für die Dritte gilt zumindest, dass das Pittsburgher Orchester eine ganz hervorragende Leistung erbracht hat und sie sich vor den Wienern keinesfalls verstecken müssen (ganz im Gegenteil) aber unter der technokratischen, gänzlich unemotional wirkenden Herangehensweise des Dirigenten leidet.

Die Wiener Aufnahme hingegen wirkt lebendiger im Vortrag, wobei einer gewissen Glätte nicht durchgängig entgangen wird. Teilweise gewinnt der Hörer den Eindruck, die Dynamik wird nur ausgereizt, weil es Spaß macht, oder das Tempo nur spontan angezogen wird, damit alle sehen, wie gut das gelingt und was für ein Könner da am Werke ist. Dass ein Könner am Werke ist, steht außer Frage, aber ob das Können in den Dienst des Werkes gestellt wird, erscheint bisweilen fraglich.

Im ersten Satz wird die Dynamik jedenfalls deftig ausgereizt (bis zum Anschlag). Die Wiener Celli demonstrieren brillant ihr ganzes Können. Die (alte) Wiener Oboe klingt hier erneut gewöhnungsbedürftig. Das ppp bei Zi. 5 tranquillo gelingt leidlich gut. Obwohl das Tempo noch ein wenig mehr angezogen wird, hat man nicht das Gefühl, es entspringt einer jugendlich – frischen Entdeckerfreude wie bei Bernstein. Es ist nur einfach schnell. Die Wiener Hörner klingen bei den betreffenden das musikalische Material entwickelnde Steigerungsverläufen zum niederknien, agieren mit Trompeten und Posaunen zusammen mit äußerster Strahlkraft. Das wirkt überaus brillant, aber auch etwas äußerlich, eher wie eine Étude für Orchester als in den dramatischen Zusammenhang integriert. Hier wirkt ein virtuoser junger Dirigent, der zeigen will, was er kann und ein Weltklasseorchester, das dabei gerne mitmacht.

Gegenüber der Pittsburgher Aufnahme wird der 2. Satz hier mit mehr Anteilnahme gegeben, aber Barbirolli oder Bernstein sind weit weg. Zi. 11 und 12 gelingen spannender als in Pittsburgh, die letzten Takte haben etwas mehr Gewicht. Insgesamt wirkt der Satz aber zu glatt.

Der 3. Satz gelingt hingegen sehr gut. Er alleine hätte eine weitaus bessere Bewertung verdient. Der Vortrag wirkt sehr lebendig, der rhapsodische Charakter gut getroffen, da die Tempi sehr differenziert nachgezeichnet werden. Das fff  bei Zi. 8 wird nicht ganz ausgereizt, seltsam, dass sich Maazel diese Chance zu brillieren entgehen ließ. Die Durchführung ist sehr farbig und spannend geraten. Das immer wieder aufs neue versuchen und verwerfen, dabei aber nicht vorwärts kommen wird gut getroffen. Das non silentando ist auch gut, Maazel bleibt im Tempo. Für Maazel ist die dritte eine echte Finalsinfonie.  Schon ab Zi. 16, noch mehr ab Zi. 19 zieht er das Tempo deutlich an, die Wiener Hörner agieren glanzvoll. Maazel steigert ohne Unterlass bis zu den Schlussakkorden, bei denen er sich die ganze Wucht, den Glanz und die Glorie der Wiener Philharmoniker zunutze macht. Das wirkt gekonnt und verfehlt wohl kaum seine Wirkung.

Der Klang zeigt die anspringende Präsenz der Decca – Aufnahmen der 60er, wirkt aber im Vergleich zu der in dieser Hinsicht exemplarischen Pittsburgher Sony – Aufnahme nicht so klar und auch etwas schärfer.

 

_______________________________________________________________________

 

4

Simon Rattle

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

1987

10:19  9:36  8:14  28:09 

 

Die Unterschiede zur Berliner Aufnahme sind geringer als es der zeitliche Abstand vermuten ließe. Ein Vergleich zur Aufnahme von Sakari Oramo bietet sich auch an, da dieser ja das Birminghamer Orchester als Nachfolger Rattles als Chefdirigent übernommen hatte. Und diesbezüglich schneidet Rattles Aufnahme sehr gut ab. Das Blech klingt erheblich durchdringender, dynamischer und motivierter. Der Gestus wirkt trotz langsamerem Tempo frischer. Das ppp bei Zi. 5 tranquillo klingt fast so gut wie in Berlin.  Die solistischen Leistungen sind gut, wenn auch nicht ganz so geschmeidig, sonor und eloquent wie in Berlin.

Der 2. Satz liegt Rattle besonders gut. Gegenüber Oramo wirkt der Charakter des Nocturnes schwereloser. Auch das choralartige Gebet (Zi. 6) gelingt gut. Die Berliner Holzbläser sind (wie dort bereits erwähnt), allerdings auch 28 Jahre später, noch etwas profilierter.

Der 3. Satz klingt erheblich präsenter als bei Oramo. Er wirkt rhapsodischer, temperamentvoller und spannender, trotz fast identischen Tempos. Die Darstellung des kompositorischen Schöpfungsprozesses (versuchen und verwerfen) wird gut herausgearbeitet, wie aber auch in Berlin, wird dabei wie auch im weiteren Verlauf des Satzes keine Hochspannung erzeugt.

Der Klang machte auf uns einen noch etwas offeneren Eindruck als in Berlin, was einem schon zu denken gibt. Die Transparenz ist gut, die Streicher kommen nicht ganz so geschmeidig und sonor rüber wie in Berlin.

 

_________________________________________________________________

 

4

Mark Elder

Hallé Orchestra, Manchester

BBC Music

2007 LIVE

10:07  9:36  9:20  29:03 

 

Das von der Barbirolli – Aufnahme bereits bekannte Orchester spielt fast 40 Jahre später noch etwas homogener und geschmeidiger. Der Gestus im 1. Satz ist lebendig, der letzte befreiende Impetus beim ff, die letzte Leidenschaft fehlt jedoch. In der Phrasierung geht man sehr geschmeidig, mitunter aber auch akzentuiert vor. Die Freude über die neu gewonnenen Lebensumstände wirkt insgesamt etwas gezähmt. Das Orchesterspiel (ähnlich wie bei Blomstedt) wirkt niveauvoll und souverän. Das Holz klingt gegenüber der Zeit Barbirollis merklich gerundet.

Der 2. Satz macht einen sehr gelungenen Eindruck. Die live festgehaltene Darbietung lässt die wichtigen Holzbläser mit makelloser Intonation hören, entsprechend gefällt es auch, dass sie ganz vorzüglich zur Geltung kommen. Der mit einer schreitenden Bewegung zu hörende Satz wirkt zumeist melancholisch gefärbt, besonders klangschön und ist von den drei Sätzen der gelungenste.

Der nach der Ehrling – Aufnahme gehörte 3. Satz ist dadurch klanglich ein Hochgenuss geworden. Elder folgt den Tempoanweisungen genau und erhält somit eine rhapsodischere Wirkung als Davis und Ehrling selbst. Das fff  bei Zi. 8 ist aber weit weniger intensiv als es sein sollte. Das crescendo ist auch kein crescendo possibile. Die Durchführung kann man nur als zurückhaltend und allenfalls noch als nobel bezeichnen. Die a tempo con energia – Bezeichnungen sind zwar nicht nur „Schall und Rauch“ aber tragen nicht dazu bei, die Spannung zu halten. Das non silentando erstirbt fast schon. Bei Zi. 18 und 19, wo andere (sogar Colin Davis) bereits ins „fliegen“ kommen, bleibt Elder seltsam blass. Auch die Schlussakkorde, die das Werk so nicht richtig abschließen (Berglund lässt grüßen). Der 3. Satz enttäuscht leider. Die beiden Sätze zuvor und die Qualität des Orchesters haben mehr Biss erwarten lassen.

Der Klang ist sehr gut durchhörbar, sauber und dynamisch. Publikumsgeräusche kommen nur ganz selten und wenn dann nur ganz leise durch.

 

______________________________________________________________________________

 

4

Okko Kamu

Finnisches Radiosinfonieorchester Helsinki

DG

1972

10:09  10:17  8:44  29:10

 

Okko Kamu, der erste Gewinner des Karajan – Dirigenten – Wettbewerbes – durfte die von Karajan in den 60er Jahren begonnene aber nicht von ihm vollendete Gesamtaufnahme der Sinfonien von Jean Sibelius mit den ersten drei Sinfonien komplettieren. Und bekam dafür ausdrücklich die Autorisierung des Meisters. Für die zweite standen ihm noch die Berliner Philharmoniker zur Verfügung, für die erste und die dritte dann das RSO aus Helsinki, dessen Chef er unterdessen geworden war.

Dem Orchester wurde vorgeworfen, dass es den Berlinern nicht ebenbürtig sei, was man nach den ersten Takten sogleich bestätigen kann. Es fehlt insbesondere an Homogenität und das ganze Orchester klingt ziemlich rau.

Aber der unverbrauchte, lakonische, frische Zugang Kamus, der auch eine gewisse Spannung zu erzeugen weiß, gefällt dennoch. Die Steigerungsverläufe sind wohldosiert, bisweilen ausladend. Heute würde man sagen, diese Einspielung hat etwas Naturbelassenes. Wenn das Orchester bisweilen im 1. Satz noch etwas unsicher wirkt, gefällt der 2. Satz deutlich besser.

Hier lässt Kamu die empfindliche Waage zum langsamen Satz zu neigen. Durch großbogige Phrasierung und deutliche Betonung der Basslinie bekommt der Satz zusätzlich Gewicht und eine dramatische Aussage. Die letzten beiden Takte wirken ermattet.

Der 3. Satz gefällt jedoch am besten. Der Gestus ist jugendlich – drängend. Die Hörner klingen präsent. Zi. 8 gelingt fulminant. Die Durchführung wir aber eher harmlos gespielt, die rfz könnten besser herauskommen. Ab Zi. 16 wir dramatisch angeheizt. Das Holz klingt bei Zi. 18 schön schrill und auch ff. Die Schlusssteigerung wird stringent ausgeformt. Die Schlussakkorde werden gegenüber dem marcato zuvor etwas reduziert, wodurch einem monumentalen Eindruck entgegengewirkt wird.

Die Aufnahme hat eine gute Breitenstaffelung (deutlich weniger gut ist die Tiefenstaffelung) und klingt nicht sonderlich weiträumig, eher etwas kompakt. Die Brillanz wirkt etwas reduziert.

 

_______________________________________________________________________

 

4

Pietari Inkinen

New Zealand Symphony Orchestra

Naxos

2009

10:34  9:45  8:50  29:09

 

Die Darbietung Inkinens wirkt gut akzentuiert, steigerungsbewusst und insgesamt gekonnt. Auch das Orchester macht insgesamt einen guten Eindruck. Das tranquillo bei Zi. 5 erreicht nicht ganz das gewünschte ppp.  Überhaupt könnte die Dynamik durchaus etwas ausladender sein. Auch wirkt im Impetus die Handbremse nicht ganz gelöst.

Der 2. Satz, ruhig schreitend, wirkt so, als ob man sich schon von Beginn an zur Gebetsstelle (Zi. 6) begeben möchte. Es erfreuen die differenziert und tonschön blasenden Holzbläser, die deutlich hervorgehoben werden.

Der 3. Satz verbreitet mit Frische Aufbruchsstimmung. Orchesterspiel und Dramaturgie wirken überzeugend. Die Durchführung könnte etwas wilder sein. Das tempo con energia wird besser eingehalten als bei Elder. Ab 18 setzt Inkinen mit Beschleunigung ein, ab Zi. 19 geben die Hörner richtig ff. Ab Zi. 20 bleiben Trompeten und Posaunen jedoch deutlich hinter den Kollegen vom LSO bei Davis zurück. Den letzten Drive lässt Inkinen fehlen und auch hier stehen am Ende keine strahlenden Schlussakkorde sondern sie werden mit dem fragenden Unterton, der schon von Berglund bekannt ist, verbunden.

Das Klangbild ist transparent, präsent und gut gestaffelt, könnte aber noch etwas farbiger und voller sein. Von den drei Naxos Beiträgen zur Diskographie der dritten ist dies der insgesamt gelungenste.

 

_______________________________________________________________________

 

4

Leif Segerstam

Danish National Radio Symphony Orchestra, Kopenhagen

Chandos

1992

11:17  10:50  9:26  31:33

 

Auch Leif Segerstam hat zwei Gesamtaufnahmen vorgenommen. Bei der 3. Sinfonie gefällt die ältere aus Dänemark etwas besser als die mit den Philharmonikern aus Helsinki. Segerstam schlägt einen anderen Weg ein als sein Landsmann Berglund. Er mag den Orchesterklang stämmig und füllig, kostet die Steigerungen breit aus und führt die Sinfonie zu einem hymnischen Abschluss.

Doch zunächst nimmt er den 1. Satz sehr gelassen, sehr viel mehr moderato als allegro. In der Aufnahme aus Dänemark ist das Fagott im Holzbläsersatz etwas unterrepräsentiert. Die Höhepunkte wirken opulent. Der Choral, breit und ausladend, ist nahe daran zerdehnt zu werden. Die Schlussakkorde werden, ähnlich wie bei den Järvis sehr lange gehalten.

Der 2. Satz schreitet behutsam voran. Der Nocturne – Charakter steht im Vordergrund, der Choral (Gebet) (hier sehr langsam) wirkt innig und andächtig. Die Klarinette im dänischen Orchester klingt übrigens weicher als beim zuvor gehörten Sanderling.

Im 3. Satz gelingt trotz des recht gemäßigten Tempos eine gespannte Darbietung. Bei der Durchführung könnten die Holzbläser deutlich präsenter ins Bild kommen. Die Tempogestaltung wird exakt nachgezeichnet. Bereits drei Takte nach Zi. 13 a tempo con energia lässt Segerstam recht pathosreich skandieren. Der weitere Verlauf ist spannend und ausdrucksvoll Die Hörner ab Zi. 19 klingen gut. Eine mächtige Steigerung erfolgt ab Zi. 20. Der Abschluss ist hymnisch, gar majestätisch

Der Klang der Aufnahme ist besonders weiträumig bei einem ff im Tutti aber leicht hallig. Die Tiefenstaffelung ist gut, der Gesamtklang recht brillant und weich gerundet.

 

________________________________________________________________________

 

4

Leif Segerstam

Helsinki Philharmonic Orchestra

Ondine

2003

10:35  10:10  8:58  29:34

 

Der Duktus in der zweiten Einspielung Segerstams ist in allen drei Sätzen etwas weniger gewichtig. Dynamisch ist sie weniger anspringend und weniger ausladend, denn das Blech klingt mit weniger Nachdruck als beim Kopenhagener Orchester. Auch diese Einspielung erscheint über weite Strecken im 1. Satz nicht sonderlich gespannt. Das Orchester spielt recht geschmeidig, aber nicht überragend und erreicht nicht ganz die Besetzung von 1987 unter Berglund. Trotz schnelleren Tempos verläuft der freudige Aufbruch ins neue ländliche Leben etwas verhaltener als noch elf Jahre zuvor.

Im 2. Satz treten die Nebenstimmen etwas deutlicher hervor, die hohen Holzbläserstimmen klingen aber deutlich matter, sodass sich ein etwas düsterer Eindruck des Nocturnes einstellt. Die Unisoni von Oboe und Fagott sind hier synchron (anders als noch bei Berglund mit demselben Orchester). Das Blech bei Zi. 9 klingt erneut nicht so intensiv wie in Kopenhagen. Ingesamt sind die Unterschiede jedoch kaum nennenswert.

Der Zugang zum 3. Satz ist zunächst etwas temperamentvoller als 1992. Die Tempogestaltung erfolgt noch rhapsodischer, sehr partiturgenau. Das Finale gelingt nicht ganz so mitreißend, der Abschluss aber ebenso hymnisch.

Diese Aufnahme wirkt etwas weniger opulent und nicht so großzügig in die Tiefe gestaffelt. Dafür klingt sie präsenter und ist von wärmerer Klanglichkeit. Die Transparenz und Dynamik fällt etwas geringer aus als 1992.

 

_____________________________________________________________________________

 

4

Vladimir Ashkenazy

Philharmonia Orchestra, London

Decca

1983

10:53  9:25  8:58  29:15

 

Ashkenazys erste Gesamtaufnahme ist von der Qualität her nicht sonderlich homogen. Die dritte gehört zu den weniger gelungenen Einspielungen. Von seinem zweiten Zyklus mit den Stockholmer Philharmonikern bei Exton war uns leider die 3. Sinfonie nicht zugänglich. Das PO macht seine Sache gut, klingt recht voll und sonor und spielt recht dynamisch. Die Hörner setzen Glanzlichter.

Im 2. Satz wird der tänzerische Charakter gewahrt, die Passagen mit der Flöte und den Holzbläsern klingen ausdrucksvoll.  Der 3. Satz hat hohes Entwicklungs- und Steigerungspotential, vor allem die Hörner und das übrige Blech überzeugen. Die Aufnahme stand in direkter Konkurrenz zur Barbirolli - und zur Bernstein - Aufnahme und das ließ sie, gerade was ihr Ausdrucksvermögen anlangt, vielleicht mittelmäßiger aussehen, als sie ist.

Auch der Klang ist deutlich gedeckter als bei anderen Aufnahmen des Zyklus und blüht nicht so schön auf, wie bei anderen Decca – Aufnahmen. So ist auch der Gesamtklang entfernter und die typische Brillanz einer etwas entfernten, gräulichen Mattigkeit gewichen.

 

____________________________________________________________________________

 

4

Colin Davis

London Symphony Orchestra

LSO LIVE

2003 LIVE

11:19  11:02  8:10  30:31

 

SACD Der Klang der nun live festgehaltenen Interpretation gleicht der 1992er Einspielung mit dem LSO erheblich mehr als der Bostoner von 1977. Er ist klar, recht offen und für eine Live – Aufnahme recht voll. Insgesamt gefallen aber beide Vorgänger – Aufnahmen auch klanglich besser. So ist in beiden Fällen insbesondere der Raumeindruck ein deutlich angenehmerer.

In den ersten beiden Sätzen werden die Eigenheiten des Dirigierstils von Colin Davis erneut deutlich. Die Dynamik wird nicht voll ausreizt, die ff  könnten ausladender und nachdrücklicher ausfallen. Dem Tempo und dem gesamten Impetus (ohne Feuer) merkt man den Hang zur Gemütlichkeit erneut an. Davis ist die Ruhe selbst und lässt es das Orchester auch wissen. Besonders das vorsichtige Abbremsen ab Zi. 13 im 1. Satz lässt rätseln. Das LSO spielt indes live genauso schön wie 1992 unter Studiobedingungen. Statt eines klaren Gebirgsbaches hört man hier einen schweren, dunklen Rotwein.

Zumindest bei CD – Wiedergabe klingt es im 2. Satz nicht ganz so geschmeidig wie noch elf Jahre zuvor. Das Tempo wirkt nochmals etwas langsamer, der Tanzcharakter wird so völlig außer acht gelassen. Wie bei Kajanus spielt sich hier eine andächtige Prozession durch den Wald bei gedämpftem Mondlicht ab.

Der 3. Satz überzeugt nach kaum rhapsodischem Beginn und der erneut harmlosen Durchführung jedoch wieder vollauf. Ab Zi. 18 zieht Davis wieder feurig das Tempo an. Das Orchester zeigt erneut was in ihm steckt und die Gesamtwirkung begeistert nun. Auch Live ist das LSO ein fabelhaftes Orchester. Schade nur, dass es davor beinahe langweilig zuging.

 

____________________________________________________________________

 

4

Leon Botstein

American Symphony Orchestra, New York

Eigenvertrieb des Orchestern via Internet

P 2011 LIVE

10:15  9:09  9:12   28:36

 

In Botsteins Aufnahme, wie immer luftig, weiträumig, transparent, offen und sehr gut gestaffelt, aber nicht übermäßig dynamisch festgehalten, erscheint der Komponist nicht mehr als junger Mann. Er erkundet sein Heim und die Umgebung (sein neues Leben in der Natur) mehr nachdenklich und besonnen als freudig erregt. Und ziemlich vorsichtig, wahrscheinlich um nicht über das noch unbekannte Gestrüpp zu stolpern. Das Orchester macht einen gut vorbereiteten Eindruck und wirkt nicht einmal uninspiriert. Aber der Duktus erscheint im 1. Satz eben auch nicht sonderlich lebendig, dynamisch zurückgenommen und das Spiel mitunter auch leicht unpräzise.

Der 2. Satz klingt durch und durch wie eine gleichförmige Prozession, der es dann doch ein wenig an Inspiration mangelt.

Im 3. Satz mittelt man das Tempo gänzlich auf einem Moderato – Niveau ein. Von rhapsodischer Gestaltung kann keine Rede mehr sein. Die Artikulation erfolgt etwas zu betont sorgfältig. Die Durchführung entbehrt jeden Nachdrucks. Der imaginierte Kompositionsprozess  erfolgt wie eine abstrakte Suche nach möglichen Alternativen, ohne besondere Ambitionen. Und ziemlich emotionslos. In diesem Duktus geht es weiter, wohl bemerkt sehr exakt und im noblen Klang, aber die Transparenz gibt den Ton an und nicht der mitreißende Elan, der eigentlich an erster Stelle stehen sollte. Man mündet gemeinsam in ein geradezu schlaffes Finale.

 

_____________________________________________________________________

 

4

Paavo Berglund

Bournmouth Symphony Orchestra

EMI

1972

10:41  11:06  8:56  30:43

 

Berglund erste Aufnahme wirkt trotz des angeschlagenen Tempos durchaus noch recht frisch, aber der Hörer bemerkt, dass dem Dirigenten damals schon die strukturelle Logik der Komposition mehr am Herzen lag als die Vermittlung von Inspiration oder Intuition. Das zeigt sich in der durchgehend recht nüchtern wirkenden Darstellung.  Das wird hier nur teilweise kompensiert von der eigentlich warm klingenden Analogtechnik. Obwohl das südenglische Orchester schon damals kein Provinzorchester mehr war (immerhin war Berglunds Vorgänger im Amt des Chefdirigenten kein geringerer als Constantin Silvestri), kann es die granitgraue Wirkung nicht wettmachen. Es fehlt ihm Farbe und Präsenz im Holzbläsersatz und die Hörner sind lange nicht so exponiert wie beim Helsinki PO oder gar beim COE. Es geht ihm zumindest bei der 3. Sinfonie die Sinnlichkeit der beiden anderen Orchester (insbesondere des HPO) ab.

Auch dem 2. Satz fehlt der Glanz der Vollmondnacht. Obwohl im Duktus fließender als bei Barbirolli (bei gleichem Tempo) scheint hier allenfalls ein Halbmond. Ein behutsames, schwebendes und schattenhaftes Schreiten.

Im 3. Satz ist Berglund gegenüber den beiden neueren Aufnahmen noch etwas deutlicher der „Konvention“ verhaftet, denn ganz so nachdenklich wie später lässt er die Sinfonie hier noch nicht ausklingen.

Der Klang der Aufnahme ist ausgewogen. Gegenüber der gerade zuvor gehörten Barbirolli, ist sie weit weniger körperhaft, die Farbintensität wirkt stark zurück genommen (ins Graue)  und auch die Transparenz kann nicht mithalten.

 

 

Vergleich fertiggestellt am 12.1.2022