Camille Saint-Saens
Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll
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Werkhintergrund:
Camille Saint-Saëns (mit vollem Namen Charles Camille Saint-Saëns 9.Oktober 1835 in Paris - 13. Dezember 1921 in Algier) war ein französischer Pianist, Dirigent, Organist, Musikwissenschaftler, Musikpädagoge und Komponist der Romantik. Er wurde vor allem durch seine „große zoologische Fantasie“ Karneval der Tiere, die 3. Sinfonie mit Orgel und die Oper Samson et Dalila bekannt.
Da er in Deutschland ein eher unbekannter Komponist geblieben ist, soll er hier dem geneigten Leser etwas ausführlicher als üblich vorgestellt werden. Camille Saint-Saëns’ musikalisches Talent wurde schon früh von seiner Mutter und seiner Großtante gefördert. Er galt als sogenanntes „Wunderkind“.
Im Alter von sechs Jahren schrieb er erste Kompositionen, mit elf Jahren gab er 1846 sein erstes öffentliches Konzert in der Salle Pleyel in Paris. Von manchen Zeitgenossen wurde er als neuer Mozart gehandelt. Mit 16 war er bereits Student an der Universität in Paris, mit 15 Jahren hatte er zuvor schon die Sinfonie A-Dur komponiert.
Am Pariser Konservatorium studierte er Klavier bei Camille Stamaty, Orgel bei François Benoit und Komposition bei Jacques Fromental Halévy. 1852 wurde er Organist von Saint-Séverin in Paris. In diesem Jahr lernte er Franz Liszt kennen, der auch musikalisch einen nachhaltigen Einfluss auf ihn ausüben sollte.
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg machte er sich 1871 für eine nationale französische Musik stark und gründete gemeinsam mit César Franck die Société Nationale de Musique. In der Folgezeit unternahm er zahlreiche Kunstreisen und wirkte nicht nur als Komponist und Pianist, sondern auch durch Aufsätze zu musikalischen Themen.
Lange Junggeselle geblieben, heiratete er 1875 mit 40 Jahren die 19-jährige Industriellentochter Marie-Laure Truffot aus Le Cateau-Cambrésis. Die Ehe verlief unglücklich. Zwei Söhne starben 1878. Saint-Saëns verließ seine Frau unter Zurücklassen eines Zettels „Ich bin weg“ und zog zu seiner Mutter zurück. 1877 erhielt er 100.000 Franc von dem Mäzen Albert Libon, dem er 1878 sein Requiem widmete. In den 1880er Jahren galt er als größter Musiker des Landes, wurde 1881 in die Akademie der schönen Künste gewählt und 1884 zum Offizier der Ehrenlegion, 1913 erhielt er das Großkreuz der Ehrenlegion. In den letzten Lebensjahren reiste er viel nach Nordafrika und Amerika, noch mit 80 Jahren machte er eine erfolgreiche USA-Tournee. Er bekämpfte Einflüsse der deutschen Musik auf die französische und besonders den Kult um Richard Wagner und Arnold Schönberg. Die Nationalstaaterei hatte in Europa und anderswo noch lange Hochkonjunktur. Mit 86 Jahren spielte er im Kasino von Dieppe zum 75-jährigen Bühnenjubiläum als Pianist.
Trotzdem verblasste sein Ruhm in Frankreich, wo er nun als altmodisch galt. Obwohl er sich für eine progressive französische Sinfonik eingesetzt hatte, blieb seine Musik eher konservativ, aber stets einfallsreich. Eine Besonderheit stellt sein Spätwerk Le Carnaval des Animaux (Karneval der Tiere) von 1886 dar, das sich durch seinen deskriptiven und dennoch ironischen Charakter (die damalige Musikkritik bekommt darin „ihr Fett weg“, nicht zuletzt indem sie mit den passenden Tieren verglichen wird) von der zeitgenössischen Musik abhob. 1908 komponierte er zum ersten Mal eine spezielle Filmmusik für den Film Die Ermordung des Herzogs von Guise.
Zu seinen berühmten Kompositionen zählt auch, wie bereits erwähnt, die Sinfonie Nr. 3 in c-Moll, die Orgelsinfonie, die weltweit Anklang fand und das „Dies irae“ zum Grundthema hat. Das signifikante Maestoso des Werks inspirierte das Duo Scott Fitzgerald und Yvonne Keeley zu der Reggae-Adaption If I Had Words, die 1978 zu einem Charterfolg wurde. Auch einige der Klavierkonzerte (insbesondere das zweite, vierte und fünfte) gehören auch heute noch zu seinen bekannteren Schöpfungen, sein 1. Cellokonzert in a-Moll gilt als Pflichtstück eines jeden Cellosolisten.
Seine Instrumentation ist gelegentlich von eigenartigen, fast experimentellen Klangbildern gekennzeichnet. So schreibt er beispielsweise im Finalsatz der genannten Orgelsinfonie einen Klavierpart zu vier Händen vor, in seinem Klavierquintett verlangt er ebenso im Finalsatz den Einsatz eines Kontrabasses.
Er starb 1921 auf einer Reise in Algier und wurde nach Paris überführt und dort auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt.
Der Anlass für die Komposition des zweiten Klavierkonzertes war ein Konzert des russischen Pianisten Anton Rubinstein. Dieser plante im Mai 1868 ein Konzert als Dirigent in Paris zu geben und bat seinen Freund Saint-Saëns, ein Werk hierfür zu komponieren. Der französische Komponist verfasste daraufhin das zweite Klavierkonzert in nur 17 Tagen und spielte bei der Uraufführung am 13. Mai in Paris den Klavierpart. Trotz dieser kurzen Entstehungszeit weist das Werk einen hohen kompositorischen Wert auf und stellt einen Höhepunkt im Schaffen des Komponisten dar. Saint-Saens wollte, dass der Klavierpart wie die dramatische Geschichte eines Helden vorgetragen wird. Es ist ein wahres Fest für Klaviervirtuosen und für alle, die sich an der Gattung Klavierkonzert erfreuen wollen. Qualitativ vermag es durchaus mit dem Klavierkonzert von Grieg mitzuhalten und vor den Gattungsbeiträgen eines Mendelssohn, Weber oder Chopin braucht es sich auch nicht zu verstecken. Früher wurde es mit seinen „Geschwistern“ (Saint - Saens hat ja 5 Klavierkonzerte geschrieben) von dünkelhaften Kennern als minderwertig eingestuft. Auch ist heute noch von gekünsteltem Akademismus die Rede oder von rückwärtsgewandtem Klassizismus. Selten hat jedoch irgendein „Ismus“ so wenig zugetroffen wie hier. Einige der gehörten Darbietungen fegen jedwede Kritik an der Substanz mit Charme, Spielwitz oder auch Furor einfach ad absurdum.
- Satz: Andante sostenuto
Der Hauptsatz dieses Konzertes lässt die Sonatensatzform in recht freier Behandlung erkennen. Der Satz beginnt ungewöhnlicherweise (das gab es bisher noch nie in einem Klavierkonzert) mit einer ausgedehnten und höchst virtuosen Solokadenz des Klaviers, das man als ein Präludium, durchaus im barocken Sinn, bezeichnen kann. Hierin ist bereits das wesentliche Themenmaterial des Satzes enthalten. Das Orchester setzt anschließend markant mit einigen Tutti - Schlägen ein und eröffnet die Exposition. In ihr erklingt das schwärmerische Hauptthema, das aber gleichzeitig stets von großer Unruhe geprägt ist. Immer wieder unterbrechen Orchester- und Klaviereinwürfe den Themenvortrag. Anschließend wird das Thema in einer Art Wiederholung der Exposition im gleichen Duktus mit neuen melodischen Einfällen erweitert. In der Durchführung entwickelt das Soloinstrument auf brillante Weise einen weiteren tragenden Gedanken, der zunächst aus einer Passage fallender Tonleitern besteht und sich, von den Pauken unterstützt, zu einem virtuosen Höhepunkt steigert. In dem lange andauernden und langsam zu steigenden Animato können, die Pianist(in)en zeigen, ob sie eine Steigerung strategisch planen können und was sie an Dynamik aus Ihrem Instrument rausholen können. Auf diesem Höhepunkt erscheint das Hauptthema in einer Art Reprise wieder, prächtig vom ganzen Orchester zur Klavierbegleitung vorgetragen. Nun folgt an der regelkonformen Stelle eine Solokadenz, eine weitere ausgedehnte Solopassage des Klaviers, die zunächst virtuos auftrumpft dann aber verhaltener und introvertierter wirkt als das Präludium zu Beginn des Satzes, aber dem Solisten auch die Gelegenheit gibt zu glänzen, wie es sich für eine romantische Kadenz gehört. Auch die kurze Coda wird weithin vom Soloklavier dominiert. Die Thematik des Satzbeginns lebt wieder auf und lässt den Satz mit einigen trockenen Tutti - Schlägen des Orchesters verklingen.
- Satz: Allegro scherzando
Aufgrund des Andante-Tempos des Kopfsatzes ist der zweite Satz dieses Konzertes kein langsamer, sondern ein schneller Scherzo-Satz. Der Beginn dieses Scherzos huscht geisterhaft und vom Klavier im piano vorgetragen vorbei. Ein überraschender Taktwechsel etabliert ein zunächst vom Violoncello vorgetragenes Walzerthema. Schnell setzt sich jedoch wieder das Scherzothema durch, das nun in einer Moll-Abwandlung vorgetragen wird. Das Geschehen zieht noch eine Weile spukhaft vorbei, ehe einige leise Akkorde zu zarten Paukenschlägen ein plötzliches Ende herbeiführen.
- Satz: Presto
Das Finale stellt ein virtuoses Rondo im Stile einer Tarantella dar. Es beginnt mit dem stürmischen und in Forte vorgetragenen Hauptthema des Soloklaviers, nach einem einleitenden Motiv, das aus einer schnellen Drehfigur des Klaviers besteht und im weiteren Verlauf des Satzes ein wichtiger Baustein bleibt. Unser imaginärer Held wird also offenbar von einer Tarantel gestochen und versucht springend und hüpfend mit den Folgen fertig zu werden und der nach wie vor vorhandenen Gefahr durch das oder die gefährlichen Spinnentiere zu entkommen. Auch das Orchester übernimmt die schnelle Drehfigur, bevor das Klavier im Piano das Hauptthema auf Holzbläser-Akkorden wiederholt. Im ersten Couplet begleitet das Soloinstrument mit schnellen und perlenden (trillergesättigten) Begleitfiguren ein langsames Thema im Orchester, das im Grunde nur aus einigen trägen Akkorden besteht. Was für ein toller Einfall, so ein simples Minimalthema so genial klingen zu lassen. Das Klavier sollte trotz der immensen spieltechnischen Anforderungen hier dem „simplen“ Orchester klanglich den Vortritt lassen.
Ein Tutti - Schlag führt wieder zum Hauptthema zurück. Im einfach gebauten zweiten Couplet wiederholt das Klavier einige stampfende, fast gewaltsam anmutende Akkorde, unterbrochen von eigenen virtuosen Ausbrüchen. Hiernach findet der Satz ein stürmisches Ende, ohne erneutes Erklingen des Hauptthemas.
Die Uraufführung des Klavierkonzertes am 13. Mai 1868 in Paris wurde zu einem Misserfolg. Saint-Saëns, der den Klavierpart übernommen hatte, räumte ein, nicht genug Zeit zum Einüben gehabt zu haben, da das Konzert in nur 17 Tagen entstanden war. Unter den Zuhörern in Paris war jedoch auch Franz Liszt, der die Qualitäten des Werkes erkannte und Saint-Saëns ermutigte, es weiterhin aufzuführen. Schon bald erfreute es sich wachsender Beliebtheit. Einige Jahre später arrangierte Georges Bizet das virtuose Werk für Klavier solo, um es auch an Soloabenden vortragen zu können.
Das zweite Klavierkonzert ist heute das populärste und meistgespielte Klavierkonzert von Saint-Saëns. Es ist farbig instrumentiert, thematisch überaus prägnant, geistreich verarbeitet und von lebendig pulsierendem Charakter. Es hätte es verdient auch außerhalb von Frankreich häufiger aufgeführt zu werden. Es erfordert übrigens vom Pianisten ein Höchstmaß an Virtuosität und Präzision.
Zum CD- bzw. LP- Vergleich wurde die Taschenpartitur von A.Durand et Fils, Paris (übrigens identisch im Druckbild mit der Ausgabe von Eulenburg) herangezogen. Auf Taktangaben wurde darin leider verzichtet. Der Komponist war anscheinend der Meinung, dass sie weniger von Belang wären.. Außerdem: Wer hat schon gerade einmal eine Partitur von diesem Konzert zuhause herumliegen, sodass die Angabe von Takten überhaupt hilfreich wäre? Versuchen wir also ohne sie auszukommen.
zusammengestellt bis 3.8.2020

Monsieur Saint-Saens 1868 zur Zeit der Komposition des 2. Klavierkonzerts.
Vergleichende Rezensionen en detail:
5
Benjamin Grosvenor
James Judd
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Decca
2012
21:39
Grosvenor interpretiert Saint - Saens weniger als rückwärtsgewandten Klassizisten oder geistreichen Charmeur (was die Domäne Artur Rubinsteins gewesen ist), sondern vielmehr als eruptiven Espressivo - Musiker. Das stellt fast schon eine Umdeutung der althergebrachten Meinung dar, wie ein Stück von Saint - Saens zu klingen hat. Er geht dabei hoch konzentriert, pianistisch absolut souverän und lebendig ans inspirierte Werk. Es sprudelt geradezu vor jugendlichem, das Abenteuer suchenden Draufgängertum. Seine fantastische Geläufigkeit, sein ebenmäßiges Gestalten und eine ordentliche Portion ansatzloser Kraftentfaltung kommt ihm dabei sehr zu Gute. Judd und das ganz hervorragend aufgelegte und sehr klangschöne Liverpooler Orchester belassen es passender Weise nicht mit einer bloßen Begleiterfunktion, sondern sind dem Pianisten ebenbürtige Partner. Es wird jede Gelegenheit genutzt, sich gegenseitig anzutreiben oder zu befeuern, um auch noch das letzte an Brillanz aus der Partitur herauszukitzeln. Das Animato im ersten Satz wird mit jugendlichem Feuer mitreißend gesteigert, die Kadenz erfährt eine völlig freie, wie von jeglicher Anziehungskraft losgelöste emphatische Gestaltung.
Der 2. Satz ist ein spielerisches, geradezu mit abenteuerlichen Pointen gewürztes Scherzo unterlegt mit einer untergründigen Unruhe. Auch hier werfen sich Solist und Orchester gleichberechtigt die Bälle in einem munteren Schlagabtausch bisweilen recht kräftig zu. Als Ganzes ist dieser Satz wunderbar gelungen.
Der 3. Satz ist ein abenteuerlicher Tanz mit einer wild gewordenen Tarantel. Wer da wen verfolgt ist dabei nicht immer ganz klar. Jedenfalls lassen weder die einfallsreiche, überraschende Diktion, noch die pianistische Perfektion Wünsche offen. Wie das Orchester hier mitzieht oder auch einmal vorlegt begeistert. Grosvenor bleibt, trotz allem jugendlichen Ungestüm jederzeit unforciert und locker, sensibel und kraftvoll. Diese Einspielung verdient eine ganz dicke Empfehlung.
Der Klang der Aufnahme ist räumlich und sehr dynamisch, dabei plastisch und brillant. Sie klingt aber etwas dichter und nicht ganz so präzise aufgefächert wie die Aufnahme von Louis Lortie.
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5
Louis Lortie
Edvard Gardner
BBC Philharmonic Manchester
Chandos
2018
22:01
Dieser Version gelingt fast so etwas wie die Quadratur des Kreises. Sie ist französisch charmant, leichtfüßig und gleichzeitig hoch virtuos und wo es sich anbietet auch frech gesteigert bis zur prickelnden, dramatischen Zuspitzung. Ausdrücklich gilt das nicht nur für den mit allerfeinstem Jeu perlé und markiger Dynamik gleichermaßen voll überzeugenden Pianisten, sondern auch für das straff geführte und bestens disponierte und stets besonders aufmerksame und präzise Orchester, das keinen Vergleich mit den Londoner Spitzenorchestern zu fürchten braucht, sondern diese hier sogar an Klangfülle, beherzter Leidenschaft und einigen gepfefferten Crescendi merklich übertrifft. Agil und rasant, mitunter gar aufbrausend, trotzdem aber nicht überzeichnet oder uncharmant.
Als Beleg für die pianistische Klasse sei nur die stringent angelegte Kadenz genannt, die mit großem erzählendem Duktus und dramatischen Gegensätzen sehr beredt wirkt und mit tollen schwebenden Legati einnimmt. Auch an deftigen ff wird nicht gespart. Immer wieder ist der besondere Klangsinn aller Interpreten zu bewundern. Beim Pianisten auch insbesondere an den fein abgestuften Anschlagsnuancen zu erkennen.
Im 2.Satz braucht man sich nur das leggierissimo anzuhören um von der auch farbigen, bei Bedarf auch glanzvollen Pianistik Lorties zu schwärmen. Der Duktus ist stets straff, locker - virtuos und prickelnd. Sein Anschlag wirkt immer fein ausbalanciert zwischen dynamischer, griffiger Härte und weichem Dolce. Beides und die Nuancen dazwischen werden pointiert auf den Punkt gebracht. So lassen sich treffsicher auch unterschiedliche Stimmungen entwerfen.
Der 3. Satz wirkt sanguinisch, aufgedreht und zugespitzt. Zudem aufgewertet mit pianistischer Exzellenz und lustvollem Spiel aller Beteiligter. Manchmal denkt man auch einmal kurz an die fein schwebenden Sommernachtstraum – Staccati. Dann steigert sich das meisterhafte Spiel auch des Orchesters plötzlich wie im Rausch, dabei aber nie die höchste Präzision aus den Augen verlierend. So wird Saint - Saens als Meister einer einfallsreichen Kompositionstechnik und einer farbigen Instrumentationskunst rehabilitiert.
Der Klang dieses Saint - Saens - Juwels bietet beste Transparenz, darin die Aufnahme Grosvenors noch übertreffend, dessen Aufnahme dafür aber noch mehr Lebendigkeit im Klang mitbringt. Es braucht nicht betont zu werden, dass auch diese Version – wie die Grosvenors - eine ebenso dicke Empfehlung verdient.
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5
Artur Rubinstein
Dmitri Mitropoulos
New Yorker Philharmoniker
Documents - Membran
1954
22:11
LIVE und MONO Artur Rubinstein muss dieses Konzert geliebt haben, denn er hat es Zeit seines Pianistenlebens immer wieder gespielt. Als er in Paris lebte (1904 – 1906), konnte er es sogar dem Komponisten selbst vorspielen. Seine letzte Aufnahme hat er als 88-jähriger gemeinsam mit André Previn und dem LSO 1975 als Videoaufzeichnung gemacht. Außer der hier vorliegenden Aufnahme liegen dem Verfasser noch vier weitere Aufnahmen mit ihm vor, darunter noch zwei weitere Live – Mitschnitte und zwei Studioaufnahmen. Diese hier ist der beste Kompromiss aus seiner besten pianistischen Leistung, einer von Mitropoulos enthusiasmierten Orchesterleistung und einer noch halbwegs gut zu nennenden Klangqualität. Das Klavier klingt von allen fünf Aufnahmen hier sogar am besten.
Rubinstein wird hier seines Rufes als Charmeur am Klavier und Genießer am Leben allgemein mehr als gerecht. Man spürt an seinem Spiel geradezu seine Lust am Leben, hier natürlich insbesondere seine Lust am Klavier spielen. Sein tatsächliches Alter von noch jungendlich wirkenden 67 Jahren bei dieser Aufnahme merkt man seiner Pianistik zu keiner Sekunde an. Sein Klavier - Ton versprüht hier noch den vollen, leuchtenden Glanz, ganz ohne die Brüchigkeit der späteren Aufnahmen. Das Orchester ist von allen fünf gehörten Rubinstein - Aufnahmen das Beste. Es ist jederzeit gespannt bei der Sache, wie auf dem Sprung. Sein Spiel wirkt spontan, wie neu erfunden, aber auch präzise und gekonnt. Es ist reaktionsschnell und ausdrucksstark, aber auch ausgesprochen gefühlvoll. Die anderen vier Aufnahmen können da einfach nicht mithalten.
Im 1. Satz nimmt Rubinstein das erste Thema deutlich schneller als fast alle anderen Pianisten. Trotzdem gelingt es ihm eine tiefe Melancholie in den ersten Satz zu tragen, man denkt jetzt bereits an Chopin. Das 2. Thema ist dann Chopin pur, überaus gefühlvoll und fast tragisch. Und das wirkt bei ihm ausgesprochen plausibel und in keiner Weise aufgesetzt. Das Animato zieht er bereits früh schnell an. Trotzdem gelingt es ihm aber, es bis zum Ende weiter zu steigern. Das ist letztlich furios zu nennen und eine hohe Kunst. Bisweilen musste der Verfasser gar an Horowitz denken, den großen Konkurrenten um die Pianistenkrone in jener Zeit. Die Kadenz wirkt überaus konzentriert und virtuos, man hat den Eindruck, dass Rubinstein hier in tiefere Ausdrucksregionen vordringt als alle anderen.
Der 2. Satz kommt wie auf Zehenspitzen, spukhaft, sehr rhythmisch, spannend und mit praller Souveränität. Der spontane Applaus nach dem 2. Satz spricht aus, was auch der Hörer der CD empfindet. Im 3. Satz, der Tarantella, begegnet ein großartiges Orchester einem beherzt aufspielenden Rubinstein in Topp – Form. Die schwierigen Triller – Ketten, die so machen Pianisten – Kollegen ins schwitzen bringen, atmen hier eine besondere Leichtigkeit und Lebendigkeit. Bei allen gelungenen Details ordnen Rubinstein und Mitropoulos alle Einzelheiten einem starken mitreißenden Vorwärtsdrang unter. Sie machen damit den Entwicklungsverlauf des Werkes besonders deutlich. Das Ganze wird bei aller Grandezza vermittelt mit einer besonderen Art von menschlicher Wärme. Das New Yorker Publikum sah sich zu frenetischem Beifall genötigt, dem sich der Verfasser nur anschließen kann.
Die Aufnahmequalität übertrifft die der beiden anderen Live-Aufnahmen: Die aus Minneapolis ganz deutlich, aber auch die Techniker der BBC werden an Deutlichkeit und Farbigkeit übertroffen. Aber: Mono bleibt mono. Die Studioaufnahme aus Philadelphia klingt zwar ungleich breiter aber etwas muffig und nicht spritzig genug. Einzig die 1958er Living Stereo kann diesen New Yorker Mitschnitt klanglich übertreffen, nicht aber musikalisch. Diese 54er markiert musikalisch gesehen eine Klasse für sich.
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5
Philippe Entremont
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS
1964
21:56
Entremont deklassiert mit dieser, seiner älteren Aufnahme vor allem seine eigene zwölf Jahre später entstandene mit Michel Plasson.
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5
Steven Hough
Sakari Oramo
City of Birmingham Symphony Orchestra
Hyperion
2000
21:24
Dieser Pianist bietet bzw. erhält von seinem Aufnahmeteam einen ausgesprochen opulenten Klavierklang. Er erreicht ein auffallend schwebendes Legato und bedient sich eines poetischen Rubatos. Das Animato im 1. Satz erhält eine sehr gute Steigerung, erscheint aber nicht so tatendurstig wie bei Grosvenor, Lortie oder Entremont. Die Kadenz wird mit ausdrucksvoller, cantabler Akuratesse gestaltet. Der Klang erscheint in besonderer Weise finessiert. Das kann man vom Orchester zunächst nicht behaupten, es ist weit weniger poetisch eingestellt, handfester, aber durchaus ausdrucksvoll und pointiert, Mit Ausnahme der bei ihrem kleinen Solo mit einem wabernden Vibrato übertreibende Oboe, gefällt es klanglich sehr gut.
Auch der 2. Satz fällt, wenn man ihn mit den vorgenannten Aufnahmen vergleicht, etwas gefälliger und moderater aus. Er ist aber sehr stimmungsvoll und idiomatisch gestaltet, wenn man so will französischer als die sich noch weiter unten einreihenden Franzosen selbst. Pianistisch bleibt kein Wunsch offen.
Auch der 3. Satz ist sehr gut differenziert, lebendig, beschwingt, locker, temporeich und treffsicher in den Pointen. Das Orchester gefällt hier besonders gut, es dreht gegen Ende richtig auf und übernimmt, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, auch einmal selbstbewusst die Führung und zeigt, was im Orchestersatz drinsteckt.
Das Orchester klingt nur ganz vereinzelt etwas zu hallig, meist kann der Hörer aber in einem weichen und vollen Klang geradezu baden. Das Klavier hingegen ist in keiner Weise hallig abgebildet sondern sehr schön fokussiert. Die Räumlichkeit empfindet der Hörer als sehr angenehm.
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4-5
Grigori Sokolov
Neeme Järvi
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija
1966
24:13
Diese Aufnahme lässt den Pianisten im Jahr seines Gewinns des Moskauer Tschaikowsky-Klavierwettbewerbes in absoluter pianistischer Bestform hören. Schon im Verlauf des Präludiums erahnt der Hörer, welche Potenz ihn hier erwartet, die im Verlauf des Satzes auch voll entfaltet wird. Das 1. Thema lässt er in langsamem Espressivo erklingen, etwas schwermütig vielleicht. Järvi steuert dazu eine erstaunlich behutsame, rubatoreiche Begleitung bei. Im Animato ereignet sich dann erstaunliches: Es wird zunächst langsam, doch bereits ungemein drängend begonnen, dann aber sowohl in einen Geschwindigkeitsrausch als auch mittels eines erhitzten Espressivos bis hin zur „Weißglut“ gesteigert. Dabei bricht sich ein vom Verfasser bisher ungehörtes fff Bahn, die höchste Erregungsstufe erreichend. Auch im weiteren Verlauf (und im 2. Satz) setzt der Pianist ein ums andere Mal virtuose Glanzlichter. Das Orchester hingegen könnte bisweilen etwas leichtfüßiger agieren. Im 3. Satz begeistern besonders die ff mit Durchschlagskraft. Das Orchesterspiel wirkt, bei nun gemäßigtem Tempo, jederzeit lebendig. Sokolow begeistert hier mit makellosen Trillerketten und vollem satten Ton. Im Gegensatz zum Orchester klingt er zwar kraftvoll, aber nie massiv.
Saint Saens ohne die typische französische Clarté, dafür mit russischem Ernst und der passenden Dramatik versehen. Vielleicht nicht idiomatisch aber interessant und pianistisch ein Erlebnis mit überragender Kraftentfaltung.
Der Klang ist – wie oft bei Aufnahmen russischer Provenienz aus jenen Jahren – gläsern, metallisch verfärbt und etwas rau. Eine eigentlich gute Räumlichkeit wirkt wie eingehallt.
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4-5
Emil Gilels
André Cluytens
Orchestre du Conservatoire de Paris
EMI - Praga
1954
22.26
MONO Von ähnlicher pianistischer Klasse geprägt ist diese Version. Gilels, dessen Votum übrigens Sokolow 1966 zum Sieg beim Wettbewerb in Moskau verholfen hat (von seinem superben Klavierspiel einmal abgesehen) besticht mit einem außergewöhnlich klaren Anschlag. Gilels gelingt ein imponierendes Präludium. Die Antworten des Orchesters sind impulsiv, konzentriert und entschlossen. Verwunderlich ist heute die damals noch typisch französische Tongebung der Holzbläser mit vibrierenden Klarinetten an der Spitze!!!
Auch Gilels neigt einer russisch geprägten dramatischen Sicht auf das Werk zu. Das lange Animato wird mit viel Substanz begonnen und gut gesteigert, lässt hier aber den Maßstäbe setzenden Impetus Sokolows etwas vermissen, kann aber dennoch voll und ganz überzeugen. Die Kadenz erklingt wie traumverloren, völlig frei.
Der 2. Satz kommt auf leisen, elfenhaften Sohlen, serviert mit absolut brillanter Pianistik. Das Orchester befleißigt sich mitzuhalten, aber seine Virtuosität reicht bei weitem nicht an die gilelssche heran. Des Orchesters Beiträge sind meist erdenschwer. Sämtliche Läufe Gilels´ gelingen mit atemberaubender Präzision. Die Trillerketten im 3. Satz sind ein Muster an Ebenmaß. Die permanenten Triolen virtuos und brillant. Der Pianist lässt dem Orchester hier nur eine Nebenrolle übrig. Nur sporadisch gelingt es ihm, sich am Pianisten vorbeizuspielen.
Großes Kino für einen Steinway und Statisten.
Der mit leichtem Rauschen unterlegte Klang der Aufnahme ist leicht muffig und gepresst. Das gilt für Klavier und Orchester gleichermaßen. Zudem ist das Orchester klanglich etwas zu weit hinten platziert.
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4-5
Dame Moura Lympany
Jean Martinon
London Philharmonic Orchestra
Decca - BdF
1952
21:55
Wie Sokolov und Gilels lädt auch Moura Lympany das Werk dramatisch stark auf. Dabei beginnt noch alles ziemlich harmlos, denn sie intoniert das Präludium zunächst genau so, als wäre es von Bach. Dieser Hinweis auf die Barockzeit währt indes nicht lange, denn es folgt sogleich ein eruptives Accelerando. Beim 1. Thema betont die Pianistin die Oberstimme erheblich deutlicher als gewohnt. Es wirkt zudem alles andere als verträumt. Auch der weitere Verlauf unterlässt jeden Anflug der Süße, stattdessen ist die Musik von einer ungewohnten Herbheit. Das Animato im 1.Satz ist aufgewühlt und furios, die Kadenz zunächst schroff und aufgewühlt, dann wie resignierend. Stets werden Ausdrucksextreme gesucht, wobei Lympany von Martinon gleichgesinnt unterstützt wird.
Der 2. Satz hingegen wird zwar locker gespielt, die Steigerungen werden auch hier ziemlich deutlich mit Ausdruck aufgeladen. Er wirkt wie von einer inneren Unruhe durchpulst. Ihr Ton wirkt auch hier voll und pointiert.
Der 3. Satz schließlich ist ein feuriger Tanz mit brennenden Sohlen. Schön gelingen das Geben und Nehmen von Solistin und Orchester.
Die Crux dieser Version war die schlechte Klangqualität der von Qobuz ins Hochbit – Format transferierten Schallplatte der Bibliothèque de France. Die Pressung war nicht sauber und deutlich verklirrt. Vor allem in den leisen Passagen war auch ein deutliches Rauschen zu vernehmen. Das Klavier wurde ziemlich groß und mächtig vor das Orchester platziert.
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4-5
Jeanne-Marie Darré
Louis Fourestier
Orchestre National de la Radiodiffusion francaise
Capitol - BdF
1955
22 :40
Die in Deutschland kaum (noch?) bekannte Pianistin, einst Schülerin von Marguerite Long, spielte bereits mit 21 Jahren im Jahre 1926 in einem, dem Urteil der Zeitzeugen nach, brillanten öffentlichen Konzert alle fünf Klavierkonzerte von Saint - Saens an einem Abend. Mit dabei waren damals das Lamoureux – Orchester und Paul Paray. 29 Jahre später hatte sie zwar andere Partner, aber auch diese machen den Eindruck, als wären sie mit dem Werk sehr vertraut. Da sitzt jeder Ton. Und wenn man von den auch hier vibrierenden Klarinetten einmal absieht, ist die Orchesterleistung engagiert und durchaus hochklassig. Immer wieder bemerkt man das stimmige, präzise Zusammenspiel mit der Pianistin. Darré selbst beginnt mit einem Präludium bei dem sie ihren Klavierklang dem harten, angerissenen Cembaloklang annähert. Sofort stellt sich der Bezug zur Barockzeit her. Aber auch das Folgende - und da befinden wir uns stilistisch bereits in der Hochromantik - erhält einen ausgesprochen klaren, bestens fokussierten Ton. Das ist nicht das zu erwartende Jeu perlé sondern eher die Art von Legato, die wir von dem immer noch unvergessenen Géza Anda kennen. Durchaus darf man dabei auch an die Impulsivität seiner Bartok – Aufzeichnungen mit Fricsay denken. Freilich nicht ganz so explosiv in die Tasten gehämmert, so dass es immer noch Saint - Saens bleibt. So hören wir auch im mächtig gesteigerten Animato eine bestechend klare Tongebung. Im 2.Satz erfreut man sich an einem mustergültig getroffenen Scherzo – Charakter. Der impulsive Anschlag fördert ihn beträchtlich. Im 3.Satz gelingen die Triller – Kaskaden ausgesprochen sauber, außerdem modelliert sie hier noch feine Nuancen heraus, wo andere bereits ins schwimmen kommen. Das ist eine hohe Kunst des Klavierspielens in souveräner Ausgestaltung.
Die Crux ist auch hier - wie schon bei Lympany - die Klangqualität. Die Pressung der nun kopierten LP der Bibliothèque de France ist zwar etwas weniger mit Laufgeräuschen behaftet, der Klang erhält durch sie aber eine gewisse Schärfe. Der Flügel ist aber dennoch erstaunlich klar, präsent und unverzerrt, sodass man die hohe Kunst der Darré immer noch bestens verfolgen kann. In diesem Fall wäre eine Übertragung des analogen Masterbandes (falls noch vorhanden) ins digitale Zeitalter wünschenswert.
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4-5
Bella Davidovich
Neeme Järvi
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
Philips
1981
22:53
Als Meisterin der belcantohaften Melodieführung weiß Davidovich voll zu überzeugen. Ihr Zugang ist aber zuerst geradlinig und kraftvoll, wobei ihr gut abschattiertes, klares Spiel mit präzisem Anschlag auffällt. Erst in zweiter Linie ergibt sich ein Eindruck von beredtem Gefühl. Man erfreut sich auch am bestechend klar und folgerichtig dargelegten Aufbau der Musik. Das Animato im 1.Satz wird langsam aber unwiderstehlich bis zum molto animato angezogen. In der Kadenz lässt die Pianistin (ad libitum ist ja auch die Spielanweisung) die Gedanken frei fliegen. Das Orchester ist mit seiner bekannt hohen Qualität ein klangvoller und aufmerksamer Partner. Es spielt erheblich flotter, farbiger und beweglicher als das sowjetische Staatsorchester unter derselben Leitung. Järvi scheint sich seinem Partner bzw. seiner Partnerin gut angepasst zu haben. Der 2. Satz gefällt mit fabelhaftem Jeu perlé und wird auch von Järvi munter und spannend prononciert mitgestaltet. Die beiden Protagonisten bilden ein gut abgestimmtes Gespann.
Auch im 3.Satz überzeugt die ausgesprochen genaue Umsetzung des Notentextes. Die Pianistin lässt die Noten hüpfen und tanzen wie ein Perpetuum mobile, während die Bläser beruhigend und besänftigend eingreifen. Eine insgesamt frische und gehaltvolle Darbietung, der sich der Hörer gerne anvertraut. Am stimmigen Klang der Aufnahme gibt es eigentlich – obwohl eine der ersten digital aufgenommenen CDs von Philips – nicht viel auszusetzen.
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4-5
Israela Margalit
Bryden Thomson
London Philharmonic Orchestra
Chandos
1986
23:58
Diese Pianistin findet einen ziemlich subjektiven Zugang zum Werk, der aber durchaus ebenfalls für sich einnimmt. Sie spielt generell unforciert, mit einem schön perlenden Anschlag, der aber mehr auf der zarten Seite der Skala steht. Der Hörer erlebt einen enorm nuancenreichen wunderbar freien Vortrag, der zumindest in den ersten beiden Sätzen aber nicht auf Spannung verzichtet. Der appassionto-Abschnitt wird so apart abgebremst, wie nachdenklich, verträumt. Was für ein schöner Einfall. Im Animato nimmt sie dann auch Fahrt auf, ohne sich indes an Durchschlagskraft mit den vorgenannten Solisten ganz messen zu können. Im 2. Satz brilliert auch das Orchester mit geistreichen Einwürfen, überhaupt weiß auch der Dirigent mit dem behutsam austarierten und fein abgestimmten Vortrag des Orchesters für sich einzunehmen. Der Klavierpart wirkt trotz des zurückhaltenden Tempos schwebend, wie von einer grazilen Ballerina getanzt. Das unforcierte Jeu perlé überzeugt.
Im 3.Satz erscheinen allerdings die Trillerketten etwas schwerfällig, auch das Tempo könnte hier spritziger oder feuriger sein. Es fehlt einfach am nötigen Pfeffer im Spiel. Vielleicht kommt die Pianistin hier an ihre technischen Grenzen?
Besonders in den ersten beiden Sätzen nimmt die Aufnahme mit ihrem eigenen Charakter ein, der nicht selten das Stück mit einem schönen Schleier süßer Melancholie umgibt.
Der Klang der Aufnahme ist weiträumig, leicht hallig. Er kann aber schön und auf natürliche Weise ausschwingen. Der Klavierklang ist gut. Das Orchester profitiert von saftigen Klangfarben. Alles wirkt recht füllig, nicht gerade hypertransparent. Ganz wie bei der Interpretation kommt auch der Klang ohne Kraftmeierei aus und ist besonders ebenmäßig austariert.
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4-5
Elisso Bolkvadze
Jansug Kachidze
Sinfonieorchester Tiflis
HDC
jedenfalls vor 2001
23:13
Diese Version erfreut mit einem ganz ausgezeichneten Klavierklang. Er ist voll, rund, sehr differenziert und geradezu mächtig, beinahe alleine bereits den ganzen Raum füllend. Das Klavier wird von der Technik bevorzugt, an die Rampe gestellt und akustisch in den Spotlight gerückt. Vielleicht hat man auch ein Mikrofon versehentlich im Flügel vergessen? Die Pianistin ist daran aber nicht „schuldlos“, denn sie gibt ihrem Part alles, was er braucht. Er wird farbig, bestens - auch gefühlvoll - akzentuiert und mit lebendiger, bisweilen gar mit explosiver Dramatik ausgestaltet. Mit diesem Zugriff ist Elisso Bolkvadze quasi der Gegenentwurf zu Israela Margalit. Diese Aufnahme leuchtet in knalligen Klavierfarben, nicht in Pastell. Die Kadenz des 1.Satzes ist so deutlich differenzierter als beispielsweise bei Idil Biret, der Nachbarin im Alphabet, um nur ein Beispiel zu nennen und hat viel mehr loderndes Feuer. Das Orchester wird leider etwas zu weit nach hinten gesetzt, sodass der Aufnahmeraum eine enorme Tiefe erhält. Die Holzbläser irritieren mit einem seltsamen Mischklang und agieren bisweilen mit zu viel Vibrato.
Während die Pianistin auch im 2.Satz im Focus steht und mit einem echten leggierissimo (wie verlangt) erneut voll überzeugt, könnte das Orchester etwas straffer artikulieren. Das Horn hingegen überzeugt mit sehr guter durchdringender Tongebung. Der 3. Satz wird erneut hoch musikalisch und beschwingt von der Pianistin dargeboten. Die Tarantel wird geradezu virtuos umgarnt. Das Georgische Orchester ist generell aufmerksam und recht präzise bei der Sache, hat aber mit der unvorteilhaften aufnahmetechnischen Situation zu kämpfen und kommt bisweilen nur mulmig ans Ohr des Hörers.
Mit ihrem auch dynamisch voll ausgereizten Part spielt die Pianistin das Orchester geradezu an die Wand. Wäre sie alleine zu bewerten, hätte sie sich eine glatte 5 verdient.
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4-5
Jean – Philppe Collard
André Previn
Royal Philharmonic Orchestra London
EMI
1987
23:25
Collards Klang wirkt zu Beginn (Präludium) noch etwas pauschal und diffus, was sich aber schon bald ändert. Er bewältigt seinen Part ohne Beanstandung. Das Animato ist sehr gut umgesetzt. Die Kadenz wird mit bewegtem Ausdruck perlend dargeboten. Anders als das Orchester aus Georgien ist das Londoner Orchester ein gleichberechtigter Partner.
Der 2.Satz erfährt eine pointierte Wiedergabe mit sehr aufmerksamer, stimmiger Begleitung. Auch dem 3. Satz merkt man an, dass die Aufnahme des Werkes für beide Protagonisten eine Herzensangelegenheit war. Alles ist passgenau realisiert.
Der Klang ist - wie die Interpretation – ausgewogen zudem recht natürlich und schön räumlich. Klavier und Orchester stehen in einem akustisch stimmigen Verhältnis zueinander.
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4-5
Jean Yves Thibaudet
Charles Dutoit
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
2007
22 :58
Zunächst irritiert Thibaudet mit einem seltsam stockenden Präludium, beinahe scheint er sogar fast hängenzubleiben, dann geht es aber virtuos bisweilen auch hoch virtuos weiter. Was uns der Pianist mit diesem Präludium sagen möchte, erschließt sich dem Verfasser leider nicht. Das Orchester aus der Schweiz befindet sich mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau, gerade auch die zu Ansermets Zeiten so problematische Oboe klingt mittlerweile sehr schön. Es agiert hier auch frischer und motivierter als das Royal PO in der Rogé – Aufnahme, die ebenfalls von Dutoit geleitet wurde. Nun zurück zum Pianisten: Sein p ist im ersten Satz stets etwas zu laut, so als wolle er stets mit großem Ton auftrumpfen. Das Animato ist hoch virtuos. Durch die Kadenz peitscht er sich zunächst durch wie in einem Fiebertraum, wie über nervös, dann nimmt er sich zurück um sie fast durchzubuchstabieren. Schließlich kommt er aber doch zu einem brillanten und versöhnlichen Ergebnis. Die Sätze 2 und 3 werden ohne Exzentrik sehr sauber und generell virtuos dargeboten, die Trillerketten gelingen sehr gut, die Dynamik wird ausgereizt und motorisch wird ganz schön „aufgedreht“. Winzig kleine dunkle Reste in der sonst makellos weißen Pianistenweste sind aber mit spitzen Ohren durchaus zu hören.
Auch der Klang ist brillanter als in Dutoits über 20 Jahre alten Londoner Aufnahme mit Rogé. Nun kann man sich an einem transparenten, offenen, dynamischen und brillantem Gesamtklang erfreuen.
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4-5
Cécile Licad
André Previn
London Philharmonic Orchestra
CBS - Sony
1984
22:32
Der Aufnahme von Margalit nicht unähnlich ist diejenige von Licad die etwas spritzigere und daher weniger melancholische, aber auch die weniger differenzierte. Licads Anschlag fehlt etwas die Brillanz im Forte, auch fehlt die dramatische Komponente. Dies wird aber kompensiert unter anderem durch ein versonnenes und verträumt begonnenes Andante sostenuto. Das Animato macht zwar einiges daher, im direkten Vergleich fehlt aber die Kraft einer Bolkvadze, von den Pianisten vom Schlage eines Sokolov ganz zu schweigen. Auch die Kadenz wirkt konzentriert gespielt aber im Charakter sanftmütig, zart, weich und zurückhaltend. Die Angabe ad libitum lässt eben einen weiten Spielraum zu. Auch hier ist Prévin - wie bereits in der Aufnahme mit Collard - mit Herzblut bei der Arbeit. So ist auch hier das Orchester ein kultivierter, motivierter und klagschöner Partner der Pianistin. Licad spielt den 2. Satz mit feiner Dynamik stimmig und ausgewogen.
Auch der 3.Satz wird locker, spritzig und mit leichter Hand dargestellt. Nur ganz selten könnten die Triller – Ketten etwas ebenmäßiger sein und das marcatissimo könnte durchaus auch etwas markanter sein. Das ändert aber wenig am sehr guten Gesamteindruck.
Der Klang ist ausgewogen, unauffällig und gut aufgefächert. Er lässt Klavier und Orchester in einem stimmigen Verhältnis hören.
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4-5
Arthur Rubinstein
Alfred Wallenstein
Symphony of the Air
RCA
1958
23:01
Rubinsteins erste Studioaufnahme in diesem Vergleich zeigt den 71jährigen in guter spieltechnischer Verfassung. Er bleibt exakt am Notentext und setzt ihn etwas bedächtiger als in den Live - Aufnahmen, aber auch mit großem Nachdruck auf seine besondere, nonchalante Weise um. Seine Virtuosität möchte (oder kann auch) nicht mehr überwältigen, sie wird unaufdringlich in den Dienst der Musik gestellt. Von all den hier besprochenen Aufnahmen Rubinsteins hat diese die beste Klangtechnik aufzuweisen: Das Orchester hat hier eine große Stereo - Bühne und ist recht differenziert und sehr transparent zu vernehmen. Die Holzbläser sind allesamt von links außen zu hören, die hohen Streicher ebenso. Die tiefen dagegen von rechts außen. Die Mitte ist einzig und allein dem Flügel vorbehalten. Den seltsamen Namen bekam das Orchester übrigens, weil es sich um das nach Toscaninis Tod eigentlich aufgelöste NBC Symphony Orchestra handelt, das also quasi „an die Luft“ gesetzt wurde. Eine Zeit lang wurde es noch für Aufnahmen „gecastet“, bisweilen auch unter dem Namen RCA Victor Symphony Orchestra. Es macht hier seine Sache sehr gut, wenngleich es an die außergewöhnliche Live - Darbietung der Philharmoniker 1954 unter dem ungemein motivierenden Mitropoulos nicht ganz heranreicht.
Doch nun zurück zu Rubinstein. Sein animato im 1.Satz ist als großer Aufschwung zu vernehmen, im 2.Satz lässt er mit Charme all seine musikalischen Verführungskünste spielen, beim 3. merkt man, dass mehr Wert auf Perfektion gelegt wird, als in den Live Konzerten, die Triller – Ketten sind ein musikalischer Genuss. In dieser Aufnahme ist sein Ton noch deutlich farbiger und noch nicht so fahl geworden, wie 11 Jahre später in der Aufnahme mit Ormandy. Aber auch nicht mehr so leuchtend und vital, wie noch vier Jahre zuvor in der New Yorker Live – Aufnahme.
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4
Aldo Ciccolini
Serge Baudo
Orchestre de Paris
EMI
1970
24:09
Ciccolini und seine Partner gehen das Werk auf eine sehr ernste, tiefgründige, dramatisch bewegte Art an. Seit dem Entstehen der Aufnahme ist sie eigentlich nie aus dem Katalog der EMI verschwunden und sie galt lange als die Referenzaufnahme, insbesondere wenn es um die Gesamtaufnahme aller fünf Klavierkonzerte ging. Ciccolini gestaltet das 1. Thema nachdenklich und schwergewichtig. Er gibt dem 1.Satz eine tragische Note. Das Tempo ist langsam, aber er füllt es aus und hält die Spannung. Erst ab piu animato wird Tempo aufgenommen. Es kommt zu einer ausgesprochen nachdrücklichen Entwicklung, wenngleich der pianistische Höhenflug ausbleibt. Die Kadenz wird hochgradig gesteigert, bis ins Erschöpfte oder Deprimierte, wenngleich auch die verspielten Momente nicht unterdrückt werden. Die Orchesterarbeit ist hochwertig und kommt sehr bewusst ins Bild.
Auch der 2. Satz gelingt sehr differenziert, dem Rubato gegenüber durchaus aufgeschlossen wird durchweg spannend musiziert. Im 3. Satz fällt das stets großräumig (gleichsam magistral) ins Bild gerückte Orchester etwas massiv aus. Es wird aber lebendig und hier durchaus auch temperamentvoll über keine Phrase hinweggespielt. Diese etwas schwerblütige, dadurch eigenständige Version hätte sicher auch eine 4-5 verdient, aber der Klang ist für das Aufnahmedatum einfach zu mulmig geraten, das Orchester klingt in seinem großen Raum wie verhangen und sehr wenig brillant.
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4
Francois – René Duchable
Alain Lombard
Orchestre Philharmonique de Strasbourg
Erato
1981
23:00
Auch diese Version hat ihre zwei Seiten. Sehr gut das Pianistische, sehr schlecht für den Zeitpunkt der Aufnahme die Technik, dazwischen steht eine provinzielle aber engagierte Orchesterleistung. Fangen wir mit der Technik an: Das Orchester ist zu weit entfernt. Im Forte wirkt der Klang gepresst, der Gesamtklang ist meist mulmig und matt. Das Klavier klingt zwar besser, bringt aber die zweifellos vorhandene Brillanz des Pianisten nur unzureichend zur Geltung. So wirkt der Anschlag weder hart oder trocken noch undifferenziert oder weich. Irgendwas dazwischen. Der Vortrag selbst ist ausgesprochen sensibel, im passionato noch sehr zurückhaltend, im poco animato bis zum molto animato dann dynamisch voll ausgereizt. Soweit die Technik es zulässt. Hier macht das Orchester einen recht inspirierten Eindruck. Man hat es jedenfalls schon schlechter disponiert gehört. Im 2. Satz kommt man zu einer schönen frischen und luziden Gestaltung, fröhlich und beschwingt, mit „Swing“, wenn man so will. Der 3. Satz gelingt auf pianistisch hohem Niveau tänzerisch - ausgelassen. Insbesondere der Pianist hätte eine kundigere technische Umsetzung verdient gehabt.
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4
Pascal Rogé
Charles Dutoit
Royal Philharmonic Orchestra London
Decca
1981
23:59
Diese Version hat auf der technischen Seite ungleich mehr „Glück“ gehabt, wenngleich auch hier nicht das maximal erreichbare gelang. Aber Klavier und Orchester werden sauber und unverfärbt, räumlich und transparent und auch ziemlich brillant eingefangen. Das Klavier Rogés steht im Vordergrund. Die Skalen erscheinen zunächst etwas schwammig und nicht sonderlich ebenmäßig. Im Animato fehlt es etwas an Ausdruck, im Forte fehlt es dann etwas an der belcantohaften Melodieführung. In der Kadenz erleben wir dann wunderbare Legati und eine flexible und gewandte, elegante Darstellung.
Der 2.Satz erklingt ebenfalls elegant und leger, mit zurückhaltendem Tempo und Spielwitz. So lädt die Musik fast schon zum Schunkeln ein. Der französische Charme bleibt aber erhalten (also nichts mit deutscher Gemütlichkeit). Der 3. Satz ist unforciert. Das Orchester lässt nirgends aufhorchen, wartet aber mit solider Präzision auf und zeichnet sich durch gutes Zusammenspiel mit dem Pianisten aus. Die Trillerketten sind mitunter zu soft und verschwommen.
Rogé zeichnet sich hier eher als ein Pianist der leisen Töne aus.
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4
Anna Malikova
Thomas Sanderling
WDR Sinfonieorchester Köln
Audite
2007
23:59
Klanglich steht bei dieser Version alles zum Besten. Sie klingt offen, voll rund, brillant, alles ist bestens ortbar, dreidimensional und bietet eine ausgezeichnete Balance von Flügel und Orchester. Das Orchester präsentiert sich sehr gut aufgelegt und spielfreudig und punktet zudem mit Präzision und einem ausgewogenen vollen Ton. Die Pianistin spielt durchaus gefühlvoll und klar mit schönem Legato und tendenziell rundem und weichem Anschlag. Sie kann aber auch donnern, wenn nötig. Generell fehlt ihrem Vortrag aber die hier besonders wünschenswerte Spritzigkeit. Die leiseren Partien ihres Parts könnten noch differenzierter sein. Im 2. und 3. Satz verfällt man auch keinem Geschwindigkeitsrausch. Man hat bei der Verfolgungsjagd veranlasst von der Tarantel bei dem flügellahmen Tempo durchaus Chancen mit heiler Haut zu entkommen, ohne dabei auf sehr genaues und transparentes Spiel zu verzichten. Eine schöne und bestechend gut klingende Alternative, besonders für Hörer, die die SACD auch mehrkanalig abspielen können.
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4
Gabriel Tacchino
Louis de Froment
Sinfonieorchester der RTL, Luxemburg
Vox - Brilliant
1974
23:33
Alle Beteiligte, besonders jedoch der Pianist, präsentieren sich in sehr guter Verfassung. Das Klavier klingt klar und gut konturiert, gespielt mit schönem Jeu perlé. Das Animato des 1. Satzes wird aber nicht mit letzter Konsequenz gesteigert. In der Kadenz gelingen durchaus auch betörende Momente. Der 2.Satz ist ein dynamisch fein ausgehörtes Scherzo, locker hingelegt und bisweilen überraschend pointiert. Der 3.Satz ist eine ziemlich gemütliche Tarantella, nicht uncharmant, stimmig und respektabel. Das Orchester ist solide, besonders den Violinen fehlt jedoch der letzte Feinschliff. Es klingt im Forte etwas angestrengt. Es wird zudem ziemlich entfernt abgebildet und mit einem nicht natürlich wirkenden Nachhall versehen. Der Klang erscheint weiträumig aber wenig dreidimensional. Das Klavier klingt deutlich dynamischer als das Orchester.
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4
Artur Rubinstein
Rudolf Schwarz
BBC Symphony Orchestra London
BBC Live
1957
22:25
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
RCA
1969
23:06
Dmitri Mitropoulos
Minneapolis Symphony Orchestra
Documents
1952
22:08
Diese drei Aufnahmen können die beiden vorgenannten allenfalls ergänzen, kommen sie doch in der Gesamtqualität nicht an diese heran. Die beiden Live – Aufnahmen in MONO leiden unter einer schlechten Aufnahmequalität, besonders diejenige aus Minneapolis. 1952 ist das Klavier deutlich verfärbt und verklirrt, das Orchester dumpf und brummig, beides ohne einen Hauch von Klangfülle, mulmig und ohne jedes Raumgefühl. Das Orchester hat eigentlich überhaupt keine Klangfarbe mehr. Trotz der zügigeren und noch etwas bewegteren Gangart als 1957 in London macht diese Version beim Hören keinen Spaß, da nützt auch das noch so inspirierte Spiel nicht viel.
In London können wir der unforcierten, aber doch auch dramatischen, bisweilen auch zugespitzten Gangart Rubinsteins schon besser folgen, auch das Orchester – wiewohl von geringer Transparenz – ist schon hörenswert, wenngleich es im 3.Satz deutlich Mühe hat, dem Pianisten zu folgen. Trotzdem gab es sowohl in Minneapolis als auch in London jeweils frenetischen Applaus, woran man erkennen kann, wie wenig vom Gesamtgeschehen in diesen beiden Fällen von der Technik ans Ohr des heutigen Hörers herübergerettet werden konnte.
Die 69er Aufnahme schließlich stand unter keinem guten Stern. Das liegt zum einen an der seltsam matt und steril anmutenden Klangqualität, als auch an der im Vergleich zur Entremont-Aufnahme von 1964 wenig inspirierten Orchesterleistung. Gegenüber der 1958er mit Wallenstein am Dirigentenpult klingt hier das Orchester zwar etwas fülliger und üppiger, aber lange nicht so spritzig, fast schon träge. Das Klavier wurde hier auch wesentlich weiter ins Orchester gerückt. Rubinsteins Ton ist matter geworden, nur noch wenig ist vom leuchtenden Glanz der 1954er Aufnahme übriggeblieben. Fast schon könnte man von einem klimpernden Klang reden. Rubinstein selbst spielt das appassionato erneut wie resignativ, das Agitato ist nicht mehr so zugespitzt, die Kadenz nicht mehr so kontrastreich wie zuvor. Sein Jeu perlé wirkt schon etwas brüchig und weniger ebenmäßig als in den älteren Dokumenten seines Spiels. Man bedenke: der Pianist zählte zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 82 Jahre.
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4
Eva Capova
Bestrych Rezucha
Slowakische Philharmonie Bratislava
Opus - Brillant
1984
23:07
Frau Capova bleibt den Anforderungen ihres Parts nicht viel schuldig. Ihr Spiel ist hochklassig mit einem leichten Hang zur Melancholie, zumindest im 1. Satz. Gegenüber einer Bolkvadze (die Nachbarin im Alphabet) wirkt ihre Darstellung maßvoll. Gegenüber einer Malikova wirkt ihr Spiel etwas spritziger. Auffallend ist der frisch und lebendig dargestellte 2. Satz und die etwas zu harmlosen Trillerketten im 3. Satz. Das Orchester ist konzentriert bei der Sache, vermag aber keine Glanzlichter zu setzen. Auch die Aufnahmetechnik ist solide und ausgewogen zu nennen, wäre da nicht die Verwunderung darüber, dass die zweiten Violinen (rechts) stets lauter und präsenter ins Bild kommen als die ersten (links). Wer hat denn da am Regler gedreht?
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4
Wibi Soerjadi
David Porcelijn
Nederlands Radio Chamber Orchestra
Philips
P 1995
22:02
Soerjadis Anschlag wirkt zu Beginn etwas unklar, auch das Präludium wirkt etwas indifferent und leicht verschwommen. Sein Animato verliert beim berauschenden Aufschwung deutlich an Konturen. Der Kadenz fehlt es etwas an der rechten Attacke. Die Orchesterarbeit ist gut. Man ist hellhörig und aufmerksam bei der Sache. Es fehlt dem Orchester jedoch an Volumen und Brillanz, was man besonders den sowieso schon leicht hart klingenden Violinen anmerkt. Im 3. Satz wirkt das Klavier gegenüber den beiden Sätzen zuvor leicht zurückgesetzt. Auch wirkt Soerjadis Spiel hier nicht restlos souverän. Hier wartet aber das Orchester mit einigen guten Effekten auf, ohne aber mit klanglichem Luxus oder erhöhter Transparenz aufzufallen, wozu die kleinere Besetzung hätte führen können.
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3-4
Idil Biret
James Loughran
Philharmonia Orchestra London
Naxos
1988
25:21
Die türkische Pianistin, die auf keinen geringeren als Wilhelm Kempff als Lehrer und Berater (und zwar Zeit seines Lebens) zurückgreifen konnte, gelingt eine klangschöne, aber letztlich eher weniger inspirierte Darbietung. Der Anschlag wirkt recht weich. Ihr appassionato im 1. Satz hebt sich nicht vom Umfeld ab, sie spielt ohne jede Änderung des Gestus darüber hinweg. Auch sonst fällt die eine oder andere Differenzierung einfach unter den Tisch. Die große Linie stimmt zwar, aber die einförmige Tongebung wäre besser vermieden worden. Die Kadenz ist gefühlvoll und technisch sicher gespielt, aber nicht sonderlich brillant.
Das Orchester klingt klangschön und ist gut in Form. Es bringt einen sonst für dieses Label eher unüblichen Farbenreichtum mit ein. Im 2. Satz könnte es aber mehr Spannung entfachen, im 3. Satz fehlt es schließlich etwas an gallischem Esprit. Es klingt hier zu erdenschwer. Wenn man bedenkt, dass es sich hier um ein Presto handelt, ist das Tempo auch deutlich zu langsam. Trotzdem bleiben die Trillerketten der Pianisten wenig brillant.
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3-4
Romain Descharmes
Marc Soustrot
Sinfonieorchester Malmö
Naxos
2015
24:52
Diese Aufnahme beginnt mit einem rubatoreichen Präludium. Der Pianist verfügt zwar über einen klaren Anschlag, sein Ton bleibt aber generell sehr blass, obwohl er klanglich gut eingefangen wurde. Sein fff klingt überaus zurückhaltend. Sein Animato wirkt gehemmt. Auch die Kadenz gelingt weder geheimnisvoll oder spannend noch überraschend. Das Orchester klingt insgesamt nicht übermäßig klangschön, teilweise massiv, jedoch nicht schwerfällig. Sein Holz klingt sehr gut, aber den Orchesterpart hörte man schon besser durchgezeichnet.
Im 2. Satz wird der Text gut realisiert, aber eher mit kühler Sachlichkeit, als mit Charme oder besonderem Witz.
Im 3. Satz entspinnt sich keine Verfolgungsjagd zwischen unserem Helden und der Tarantel, gemächlichen Schrittes läuft man sich hinterher. Keine Gefahr bedeutet ja auch keine Anstrengung um ihr zu entkommen. Die Trillerketten wirken wie durchbuchstabiert, ohne jede Spannkraft und ohne jeden Spielwitz, nur einförmig und blass. Auch das Orchester wirkt hier im 3. Satz zu schwerfällig. Dieser Version fehlt es eindeutig an gallischem Esprit. Malmö ist anscheinend doch etwas zu weit von Paris entfernt.
Klanglich wird das Klavier weit ins Orchester integriert. Der Gesamtklang wirkt klar. Er hätte ein besseres Gesamtergebnis ermöglicht.
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3
Philippe Entremont
Michel Plasson
Orchestre du Capitol de Toulouse
CBS - Sony
1976 oder 1978
22 :52
Entremont versucht hier innerhalb einer Gesamteinspielung aller Klavierkonzerte von Saint Saens seine eigene Glanzleistung von 1964 zu wiederholen, was aber in allen Bereichen misslingt.
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Von Philippe Entremont liegen dem Verfasser also zwei Aufnahmen vor. Selten kommt es vor, dass von einem Künstler eine davon zu den besten gehört, die andere aber zu den am wenigsten gelungenen.
Fangen wir doch mit der neueren in Toulouse entstandenen an. Entremont hatte in dieser Zeit (wie ein Ashkenazy, Barenboim oder möglicher Weise ein Zacharias auch) bereits mit dem Dirigieren begonnen. Die darin investierte Zeit scheint ihm jedoch bei den Klavierübungen gefehlt zu haben. Sein Klavier klingt nun breiig und wenig sonor. Das Präludium ist noch lebendig. Das 1. Thema langsam und seltsam indifferent im Ausdruck. Das Animato wirkt wie heruntergerissen. Die Kadenz erklingt mit viel Rubato, frei intoniert aber klanglich dünn. Die Temponahme ist, vielleicht auch aus der Not heraus, sehr flexibel, denn die Pianistik funktioniert nicht mehr makellos. Bei manchen Passagen werden Teile davon gerade noch nicht „verschluckt“. Die dynamischen Vorschriften werden aber gut verfolgt.
Das eigentlich nicht schlechte Orchester klingt hier ziemlich dünn und ausgezehrt, vieles wirkt mehr bemüht als gekonnt. Im Vergleich zu den hier viel besser als in der Rubinstein-Aufnahme aufgelegten und mit einer nahezu unverschämten Bravour auftretenden Ormandy -Truppe aus Philadelphia klingen sie jedoch beinahe wie eine Feuerwehrkapelle. Die Solisten des Orchesters lassen an keiner Stelle aufhorchen. Bei Entremont können auch die nun schon oft zitierten Trillerketten im 3. Satz nicht überzeugen, sie kommen wie Geklingel auf hohem Niveau beim Hörer an. Manchmal fühlt man sich auch an hemdsärmeliges Drauflosdreschen erinnert. Alles ist nicht vollends präzise zu nennen und wirkt unausgegoren. Wie bereits 1964 versucht er das Werk weniger als ein klassizistisches anzulegen, als ein vielmehr hoch emotionales. Leider sind ihm dazu die Mittel schon auf entscheidende Weise versiegt.
Diese Aufnahme überzeugt auch aus klanglicher Sicht nicht. Wenig räumlich und klar, also dicht und auch matt kommt sie daher. Auch ein klangvolles Volumen fehlt, der Glanz sowieso. Einzig die Dynamik ist ganz gut. Insgesamt hatte der Klang auf den Verfasser eine seltsam unangenehme Wirkung.
Ganz anders die Aufnahme mit Ormandy 12 bzw. 14 Jahre zuvor, genauer ließ sich das Aufnahmedatum der Toulouser Produktion nicht recherchieren. Sie klingt voll, weich, brillant, zwar nicht besonders dreidimensional, aber transparent und lebendig.
Auch der Klavierklang ist erheblich fokussierter und brillanter, auch voluminöser. Rein pianistisch bewegt sich Entremont auf einer ganz anderen Höhe der Kunstausübung. Er begegnet dem Werk hier noch mit echter (und nicht wie später nur beabsichtigter) eruptiver Heftigkeit, also auch nicht gerade so, wie man sich ein Werk des Klassizisten Saint - Saens vorstellen würde. Aber was für eine herausragende Wirkung wird erreicht! Das Orchester zeigt sich ebenfalls von seiner besten Seite, sonor, glanzvoll, vollsaftig. Es könnte kaum besser klingen. Es ergibt sich so ein gemeinsamer, ungemein spannend erzählter Vortrag. Alle Beteiligten sind mit schwärmerischem Enthusiasmus bei der Sache, vergessen dabei aber auch die Präzision zu keiner Sekunde. Mit einer tollen Steigerung beim Agitato und einer pianistisch exzellenten Kadenz mit Pranke, Glanz und Gloria.
Der 2. Satz ist ein Vergnügen, wenngleich Ormandy hier vielleicht ein wenig dick auftragen lässt. Aber gekonnt ist es allemal. Der kinetischen Energie wird hier freien Lauf gelassen. Der 3. Satz ist ein echtes Presto, virtuos auf höchster Ebene. Die Tarantel sorgt für richtigen Aufruhr, es folgt ein Hüpfen und Springen wie bei einer Olympiade. Die Trillerketten sind ebenmäßig und spritzig. Immer wieder fährt Ormandy vollsaftig dazwischen, dass es eine Wonne ist. Der ganze Satz bietet eine nie nachlassende Spannung.
Alle Beteiligten geben in dieser Luxusversion des Konzertes ihr Bestes, ohne aber je den Pfad des guten Geschmacks zu verlassen. Bravi.
Vergleich beendet 16.4.2021