Wolfgang Amadeus Mozart

Sinfonia (Ouvertüre) zu „Die Hochzeit des Figaro“

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Werkhintergrund:

 

„Susanna“, der Namen der eigentlichen Hauptfigur der Oper, ist hebräisch und heißt übersetzt „die Lilie“. Die Dienerin Susanna in Lorenzo da Pontes Libretto zur Hochzeit des Figaro hat allerdings so gar nichts Lilienhaftes; weit eher träfe eine robuste Rosensorte ihren Charakter: viel Charme und genauso viele Dornen, die sie mit klarem Kopf, mit Witz und Würde zur Verteidigung ihrer Rechte einsetzt. Graf Almaviva, in dessen Haus Susanna angestellt ist, will an ihr das längst überholte „jus primae noctis“ wiederbeleben – jenes Recht, das dem adligen Herrn die Entjungferung seiner Untergebenen zugesteht. Mit List und Geschick inszeniert Susanna ein Verwirrspiel. Nur soviel zum Sujet der Oper, deren Handlung übrigens vom Autor de Beaumarchais als Fortsetzung des von Rossini bestens in Musik gesetzten „Der Barbier von Sevilla“ ausgearbeitet wurde. Nur ist hier mittlerweile der Graf Almaviva seiner Gemahlin, der Gräfin, der zuvor noch heftig umschwärmten und begehrten Rosina offensichtlich etwas überdrüssig geworden...Er sucht nach Abwechslung.

 

Die Oper handelt also von Emanzipation. Zuerst einmal der Frau vom Mann und dann nicht weniger der Dienerschaft vom Adel. Genug Sprengkraft also für die damalige Zeit.

 

Hier soll es aber lediglich um die Sinfonia daraus gehen, deshalb sei an dieser Stelle auf weitere Handlungsdetails aus der Oper verzichtet. Die Ouvertüre, wie auch die ganze Oper war für Mozart immerhin noch zu seinen Lebzeiten ein Riesenerfolg.

 

„Wolfgang Amadeus Mozart war überrascht, als er mit seiner Frau Konstanze im Jänner 1787 bei einem Besuch in Prag „auf den sogenannten breitfeldischen ball, wo sich der kern der Prager schönheiten zu versammeln pflegt“, die dort zum Tanz aufgespielte Musik hörte. Mozart tanzte zwar aus Müdigkeit nicht, wie er seinem Freund Gottfried von Jacquin schrieb, „ich sah aber mit ganzen Vergnügen zu, wie alle diese leute auf die Musick meiner figaro, in lauter Contretänze und teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen; – denn hier wird von nichts gesprochen als vom – figaro; nichts gespielt, geblasen, gesungen, gepfiffen als – figaro: keine Oper besucht als – figaro und Ewig figaro; gewiss große Ehre für mich.“ Einen solchen Erfolg seiner Opera buffa «Le nozze di Figaro», die am 1. Mai 1786 am alten Wiener Burgtheater ihre durchaus akklamierte Premiere erlebt hatte, aber vorerst bald wieder vom Spielplan verschwunden war, hatte er nicht erwartet. In der Tat war es die enorme Resonanz der Aufführungen am Prager Ständetheater, die dem «Figaro» den Weg in ganz Europa und auch wieder zurück nach Wien ebnete.“ (Zitat aus der Website des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters, Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft, Walter Weidinger, 2019)

 

Nicht nur auf den Opernbühnen zählt das Werk zu den beliebtesten überhaupt, die Ouvertüre ist auch im Konzertsaal als brillantes Eröffnungs- oder auch Zugabenstück anzutreffen. Schon in den ersten Takten der Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ hat Wolfgang Amadeus Mozart mit brodelnder Melodik angedeutet, dass es Turbulenzen geben wird. Angesichts ihrer gewohnt quirlig-sprudelnden, nie versiegenden Vitalität mit scharfen dynamischen Kontrasten und einem enormen Crescendo gegen Ende ist heute kaum zu glauben, dass Mozart ursprünglich einen langsamen Mittelteil geplant hatte, diesen aber noch vor der Uraufführung eliminiert hat. Die Sinfonia sollte also zunächst drei Teile umfassen. Ursprünglich komponierte Mozart nach Takt 134 des ersten Satzes eine dreitaktige Kadenz mit Halbschluss. Daran schloss er ein Andante con moto in d-Moll, im Charakter eines Siciliano, an, von dem nur der erste Takt erhalten geblieben ist. Die Herausgeber der Oper im Rahmen der Neuen Mozart Ausgabe vermuten eine Gesamtlänge des zweiten Satzes von 16 Takten. Der gesamte Satz wurde von Mozart gestrichen und aus dem Autograph entfernt. Die beiden verbleibenden Ecksätze verband Mozart mit einer dreitaktigen Überleitungsfigur der Streicher zu einem einzigen Satz.

 

«Weder vorher noch nachher ist der natürliche, unbändige Lebenstrieb nach seiner heiteren, daseinsfrohen Seite so unmittelbar in Töne umgesetzt worden wie hier», beschrieb Hermann Abert vor bald 100 Jahren die Ouvertüre. «Bewegung in der höchsten Potenz ist alles an diesem Stück. Wie von weiter Ferne kommt sie in dem berühmten Siebentakter herangehuscht, erst nach zweimaligem Ansetzen ihren vollen Lauf gewinnend. Dann aber regt sich’s an allen Ecken und Enden, lacht, kichert, triumphiert, im Vorüberbrausen springen beständig neue Quellen auf, und schließlich jagt das Ganze in bacchantischem Schwall dem jubelnden Ende zu.»

 

Die Frage nach dem korrekten Tempo wird heutzutage allerdings kontrovers diskutiert: Freilich steht «Presto» in der Partitur, doch findet sich im Autograph der in Drucken unterschlagene Zusatz „ma non tanto“ sowie unmissverständlich C-Takt, nicht Alla breve …

Sei’s drum: Ob sie nun überschäumend losprescht und unbremsbar erscheint oder zunächst heimlich daherhuscht und neben der «comédie humaine» auch das virtuose Kabalen- und Ränkespiel betont, verfehlt diese Ouvertüre ihre Wirkung nicht.

 

Die Spieldauer bewegt sich stets um die vier bis 4 ½ Minuten. Beim Vergleich der Aufnahmen hat sich allerdings herausgestellt, dass Aufnahmen mit einer kürzeren Spieldauer zumeist diejenigen waren, die den Geist der Oper besser vorwegnehmen konnten. Sie zogen den Hörer so auch bereits direkt – in den besten Fällen sogar sogartig - in die Turbulenzen des Beginns der Handlung.

 

Ein wenig schwierig fiel es, die späte Aufnahme Otto Klemperers in das vorgegebene Bewertungsschema einzuordnen, die sich als einzige das unbedingte Recht herausnahm fünf Minuten dauern zu dürfen. Sie ist in der vorliegenden Diskographie so etwas wie ein kostbares Einzelstück geblieben. Mehr davon im Vergleich.

 

(Beim Vergleich galt dem Verfasser die Eulenburg Taschenpartitur Nr. 603 als Richtung weisend, die ohne Datum herausgegeben wurde – jedenfalls war keines zu finden - wohlwissentlich, dass sie möglicherweise oder sogar wahrscheinlich nicht mehr den neusten Stand der Mozart-Forschung repräsentiert. Für die älteren Aufnahmen des Vergleiches sollte sie aber als authentisch gelten können.)

 

Der Hinweis GA in der Vergleichstabelle bedeutet, dass die Ouvertüre einer Gesamtaufnahme der Oper entnommen wurde. Der Rest der Oper floss aber in keinem Fall in die Bewertung mit ein, sie lagen dem Verfasser mitunter auch gar nicht vor.

 

4.5.2020

 

 

 

 

Mozart während seiner "Wiener" Zeit.

 

 

 

 

Kurze Rezensionen der gehörten Einspielungen:

 

 

Aufnahmen unter Einfluss der historisch informierten Aufführungspraxis unter der Verwendung von (mehr oder weniger) Originalinstrumenten:

 

 

5

Teodor Currentzis

MusicAeterna

Sony

2012

3:56

GA - Currentzis ist eine grandiose Aufnahme der Ouvertüre geglückt. Mit ihr ist der Hörer auf drängende, äußerst temperamentvolle Art und Weise sofort mitten im Geschehen. Der tolle Tag, so der zweite Titel der Vorlage,  beginnt auch gleich so. Das Orchester spielt wie ein eingeschworenes Team perfekt auf den Punkt gebracht, beinahe berstend vor Energie, wie entfesselt und doch beeindruckend kammermusikalisch. Die Holzbläser und - das ist sehr selten bei diesem Vergleich – auch die Hörner und Trompeten kommen hervorragend zur Geltung und gehen aufs Ganze. Lediglich die Klappengräusche der Holzbläser zu Beginn könnte man als Makel anführen, aber eine solche Energieleistung darf auch schon einmal nach Arbeit klingen. Vielleicht machen sie das Gesamtbild sogar noch authentischer, hautnäher. Der Klang der Aufnahme ist extrem dynamisch, und präsent. Lediglich die Pauke geht etwas verloren. Er ist zudem  ausgezeichnet in die Breite  aber relativ gering in die Tiefe gestaffelt.

 

 

5

René Jacobs

Concerto Köln

HM

2003

4:11

GA - Die Alte-Musik-Rocker aus der rheinischen Metropole sind kaum weniger temperamentvoll, hauen die Akzente bisweilen auch mal krachend in die bewegte Struktur hinein. Im Grundgestus ist die Herangehensweise Jacobs´ jedoch subtiler, luzider, leichter als diejenige von Currentzis. Transparenz ist ihm ebenso wichtig wie virtuoses, ausdrucksvolles, spannungsgeladenes aber auch pulsierendes Spiel. Alle Bläser artikulieren flink und geschmeidig und werden stets ausgezeichnet herausgearbeitet. Im Vergleich zu Currentzis ist dieser ebenfalls perfekte Einstieg nicht ganz so fordernd-virtuos und präsent aber etwas differenzierter. Das kann auch am Klangbild liegen, denn es legt hier größeren Wert auf eine natürliche Staffelung auch in die Tiefe. Sicher kennt Currentzis Jacobs´ Aufnahme sehr gut.

 

 

5

Frans Brüggen

Orchetra of the 18th Century

Philips

1988

4:30 

Dass es nicht unbedingt eines rasanten Tempos bedarf, um eine hohe Aktivität und pure Lebensfreude auszudrücken, zeigt Brüggens Beitrag. Er ist rhythmisch und dynamisch hervorragend akzentuiert und die lebendigen (und „informierten“) wie auf einem Präsentierteller servierten Artikulationen von Streichern und Bläsern sind audiophile Leckerbissen. Im Ganzen wirkt das alles trotz des gemäßigten Tempos im besten Sinn sehr opernhaft-theatralisch.

Der ausgezeichnete Klang besticht durch enorme Präsenz, Offenheit und einer ausgeprägten, keineswegs halligen Räumlichkeit.

 

 

5

Thomas Fey

Heidelberger Sinfoniker

Hänssler

2006

4:04     

Live - Auch bei Thomas Fey herrscht ausgesprochen aufgewecktes, forsches Orchesterspiel mit herben mitunter auch deftigen Akzenten vor. Die Artikulation ist sprechend, das Holz und besonders auch das exponierte Blech und die Pauke kommen hervorragend zur Geltung. Das Spiel wirkt nicht ganz so rasant wie bei Currentzis oder auch Bernstein, ist dafür aber etwas aufgeraut und alles andere als glatt. Es herrscht eine Art abenteuerlustige Verve im kraftvollen Spiel. Aufnahmetechnisch scheint die tiefe Räumlichkeit der Heidelberger Stadthalle die deftigen Akzente und die Präsenz des Orchesters etwas auszubremsen. Hier wäre vielleicht weniger Raumanteil in der Aufnahme noch prickelnder gewesen. 

 

 

 

 

 

4-5

Rinaldo Alessandrini

Orchester der Norwegischen Staatsoper Oslo

Naive

2007

4:17

Auch bei Allesssandrini herrscht temperamentvolle Diktion vor, aber nicht ganz mit dem prallen Leben der  vorher genannten Versionen von Currentzis, Jacobs und Fey ausgestattet. Er zieht es vor, wie Brüggen, etwas maßvoller im Tempo zu bleiben. aber immer sehr gut akzentuiert und rhythmisch prägnant. Die klangvollen und voll tönenden Bläser stehen im Focus. Der Klang ist dynamisch, offen, räumlich und körperhaft. Eine sehr stimmige Interpretation in einer schönen Aufnahme.

 

 

4-5

Bertrand de Billy

RSO Wien

Arte Nova

2003

4:02 

GA - Die Aufnahme überzeugt mit einem hellwachen, lebendigen und spannendem Dirigat und einem klangvollen, gut einstudierten und engagierten Orchester. Man hört gute dynamische Gegensätze zwischen  p und f, wobei das f auch schon einmal ganz leicht verschliffen wird. Besonders gefallen hier die bestens akzentuierten Pauken, die sonst allzu oft im Tutti untergehen, sodass man sich fragen muss, warum sie Mozart überhaupt verwendet hat. Das Holz ist bei Alessandrini jedoch besser akzentuiert und klanglich etwas exponierter. Der Klang ist offen, dynamisch und luftig mit der Tendenz zur Halligkeit, die aber nur selten tiefer ins Bewusstsein des Hörers vordringt.

 

 

4-5

Michael Halasz

Nicolaus Estherházy Sinfonia

Naxos

2002

4:12 

GA - Halasz´ Beitrag zur Diskographie ist durchaus temperamentvoll und weiß sehr zu gefallen, denn man hört eine ausgefeilte Interpretation mit feiner Artikulation. Übertreibungen oder Zuspitzung liegt ihr fern. Das Orchesterspiel ist im besten Sinn grundsolide. Dass die Streichersektion klein besetzt ist und ohne Vibrato spielt, braucht - da die Aufnahme in dieser Rubrik erscheint - nicht eigens betont zu werden. Lediglich die dynamischen Kontraste hätten deutlicher herausgearbeitet werden können.

Das Klangbild wirkt etwas entfernt, was ebenfalls zur dynamischen Kraftminderung beiträgt. Auch die Farben könnten kräftiger leuchten. Die Transparenz jedoch ist sehr gut.

 

 

 

4

Bruno Weil

Tafelmusik

Sony

1991

4:40 

Weils Darbietung spielt sich weitab von den Turbulenzen der Eröffnungsszene oder auch dem umstürzlerischen Gehalt der Oper ab. Schuld daran sind die überaus moderaten Tempi. An ein Presto darf am hier nicht denken. Trotzdem wirkt diese Aufnahme keinesfalls langweilig. Sie punktet mit sehr gut herausgearbeiteten, prägnanten Kontrasten und bewusster klarer Artikulation. Das Orchester gewährleistet die absolute Deutlichkeit aller Stimmen. Mozarts Musik spricht hier eine durchaus beredte Sprache. Der liebliche Reiz dominiert hier jedoch deutlich über den dramatischen Zugriff. Man könnte meinen, die gesellschaftliche Sprengkraft des Sujets wäre nicht ganz erkannt worden. Es fehlt hierzu vor allem am mitreißenden  Tempo. Alles wirkt (etwas zu) leicht und locker.

Der Klang der Aufnahme ist sehr angenehm, dynamisch, lebendig und bestens durchhörbar.

 

4

Nikolaus Harnoncourt

Concertgebouworkest Amsterdam    

Teldec

1993

4:46 

GA - Harnoncourts Aufnahme ist durch und durch von der der Musik innewohnenden Cantabilität geprägt. Zwar hört man auch kräftige Akzente und Deutlichkeit wird groß geschrieben, aber man hört bisweilen auch seltsame Phrasierungen, die so nicht in der vorliegenden Partitur zu finden sind. Trotz der relativ langen Spieldauer kommt  keine Langeweile auf, aber Spritzigkeit oder gar Zuspitzung sucht man vergebens. Das exzellente Orchester wartet erneut mit dem ihm zumindest seit den späten 70er Jahren eigenen farbenreichen, vollen und weichen Klang auf. Es garantiert auch, dass trotz des fehlenden Presto die Diktion immer noch leicht wirkt. Es kann aber nicht verhindern, dass diese Ouvertüre nicht richtig zu einem „tollen Tag“, der sich ja in Folge abspielt, passen will. Auch der Klang mit seinem Hang zur Halligkeit und seiner nur durchschnittlichen Transparenz trägt zur gepflegten aber auch etwas betulichen Gesamtwirkung bei.

 

 

Aufnahmen in herkömmlicher Aufführungspraxis:

 

5

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS - Sony

1968

3:54

Dem sonst nicht gerade als genuiner Mozart-Interpret hervorgetretenen Bernstein gelingt hier mit seinem unmittelbaren Zugriff voller Drive und feuriger Brisanz ein hervorragender Einstieg in die Oper. Dem bestens präparierten Orchester gelingt so eine  spannende und hochvirtuose Darstellung wie aus einem Guss. So hört man die New Yorker nicht gerade häufig. Man traut sich kaum einmal Atem zu schöpfen, so gebannt folgt man dem schneidigen Aplomp und der Verve dieses Auftritts. Dabei ist aber der Drive noch nicht alles. Dynamiksprünge werden präzise herausgearbeitet und die Holzbläser kommen vorzüglich zu Geltung. Die ganze Wiedergabe atmet Theaterluft, wenn man sie riechen könnte, dann wäre die Farbe der Kulissen noch ganz frisch.

Der Klang ist offen und ausgesprochen dynamisch. Das Orchester klingt voll und körperhaft, wie man es selten gehört hat. Gar kein Vergleich gegenüber den alten CBS - LPs

 

5

Erich Kleiber

Wiener Philharmoniker

Decca

1955

4:03

GA - Die Gesamtaufnahme der Oper durch Erich Kleiber gehört zu den allerbesten. Warum das so ist, hört man - obwohl natürlich die herausragenden Stimmen der illustren Sängerschar noch keinen Ton von sich gegeben haben – bereits der Ouvertüre an. Da ist einmal der beherzte, leidenschaftliche und höchstlebendige Zugriff des Dirigenten, der zugleich auf größte Genauigkeit aller Details und geistvolle Ausformung aller Figurationen allergrößten Wert legt. Das bekommt man so in diesem Vergleich nicht mehr zu hören. Zum anderen auch das aufopferungsvoll folgende Orchester, das so schön differenziert und sprechend artikuliert, dass man fast meinen könnte, es wäre bereits bei dieser Aufnahme der Grundstein zur HIP gelegt worden.

Im direkten Vergleich mit der neueren Aufnahme Karajans (1979), dem das gleiche Orchester zur Verfügung stand, ist Kleibers Zugriff deutlich dramatischer orientiert und differenzierter. Die berühmten Streicher jedoch klingen längst nicht so homogen und glanzvoll wie bei Karajan. Sie  scheinen zudem auch kleiner besetzt zu sein. Jedenfalls klingen sie bisweilen sogar ausgedünnt. Immer aber transparent, dynamisch, ungeschönt und um größten Ausdruck (mehr als) bemüht. Man höre nur die prächtigen Crescendi. Der Höreindruck bei den Streichern, der sich genauso auf die Bläser, die im Übrigen ziemlich hautnah klingen, übertragen lässt, wird durch die ungemein sprechende Diktion gekrönt.

Die Aufnahme ist für ihr Alter erstaunlich frisch und von quirliger Dynamik. Ein kleiner Rest an Topfigkeit kann aber nicht verschwiegen werden.  Diese Aufnahme könnte auch an erster Stelle stehen. Bernsteins hinreißende Virtuosität und die bestens aufgelegten New Yorker haben hier letztlich den Ausschlag gegeben. Das darf aber jeder für sich selbst entscheiden, wenn er beide Aufnahmen gehört hat, wozu der Verfasser dieser Zeilen ausdrücklich rät.

 

5

Thomas Schippers

Columbia Symphony Orchestra

CBS

1960

3:58

Acht Jahre vor der Aufnahme Bernsteins entstanden, findet man bereits bei Thomas Schippers eine ganz ähnliche Herangehensweise: Frischer Impetus mit einem Schuss dramatischen Feuers und drastische Akzente. Damit wird die höchste Turbulenz-Stufe erreicht. Diese zieht Schippers ähnlich Bernstein wie in einem Atemzug durch. Orchestral ist diese Version ausgezeichnet, vielleicht ein kleines Quäntchen stromlinienförmiger als bei Bernstein und einen Hauch weniger unter Hochspannung gesetzt. In jedem Fall aber schlackenloser als die etwas weiter unter platzierte Aufnahme Suitners, der die Staatskapelle Berlin kräftig befeuert. Die Aufnahmetechnik legt einen leichten Hall über das Orchester und lässt die Streicher etwas hart und ein wenig spröde klingen. Der Klang ist aber offen und vor allem in der Breite gut gestaffelt. Bernsteins Aufnahme klingt runder und deutlich voller. Gegenüber Kleibers Beitrag fehlt es Aufnahme (und Interpretation) etwas an Differenzierung und  an Farbsättigung.

 

5

Otmar Suitner

Staatskapelle Berlin

Berlin Classics

1977

3:56

Auch die Berliner Staatskapelle erfreut mit ausgesprochen aufgewecktem, vitalem Spiel, obwohl Suitner ein atemberaubendes Tempo anschlägt. Es stellt sich eine wunderbare theatralisch überdrehte Stimmung ein, die den Hörer geradezu anspringt. Vielleicht gerade auch deshalb, weil man es hier nicht unbedingt erwarten würde. Die kraftvolle Gangart hat hier jedoch seinen Preis, denn man fegt über die pp ziemlich konsequent hinweg. Dafür beeindrucken die mitreißenden Crescendi, obwohl sie lediglich bereits bei einem gesunden mf beginnen. Überhaupt leidet die Differenzierung etwas unter dem drängenden Impetus. Die Violinen klingen etwas spitz und man spürt, dass das Orchester bis zu seinen Grenzen gefordert wird. Der Klang ist in bester Eterna-Qualität klar, transparent und leuchtkräftig und bis auf die bereits erwähnten Violinen auch volltönend. Diese Aufnahme sollte nicht mit derjenigen aus Suitners Gesamtaufnahme verwechselt werden, die mit der Dresdner Staatskapelle entstanden ist und dem Verfasser nicht vorlag.

 

5

Fritz Busch

Glyndebourne Orchestra

Naxos

1934

3:54

Busch gelingt eine fabelhaft leichte beschwingte, prima akzentuierte und rasche Wiedergabe. Wie ein „Wirbelwind“ (Zitat Bernd Stremmel, siehe Klassik Prisma Ouvertüre zu „Cosi van tutte“) zieht die Ouvertüre am Hörer vorüber und das trifft Mozarts Intentionen wohl ziemlich genau. Die Bläser klingen in Anbetracht des Alters der Aufnahme unverdeckt und gut durchhörbar.  Von der Aufnahme darf man keinen audiophilen Zauber erwarten. Sie klingt, wie man es erwartet: flach und eingeengt. Seltsam ist es schon, dass sie trotzdem die fabelhafte Lesart Buschs lebendig werden lassen kann. Und das ist schließlich die Hauptsache.

 

5

Otto Klemperer

New Philharmonia Orchestra London

EMI

1964

4:41

New Philharmonia Orchestra London

EMI

1970

5:00

Die beiden Aufnahmen Klemperers sperren sich den gängigen Konventionen, wie eine Ouvertüre zu einer Opera buffa zu klingen habe. In der Einzelaufnahme von 1964 bleibt das Tempo bereits sehr gemäßigt. Das Spiel des NPO ist ausgesprochen akzentuiert, wirkt aber noch nicht so ausziseliert und beinahe marmorhaft wie 1970. Die Holzbläser sind wie bei fast allen Aufnahmen Klemperers mit diesem Orchester ausgezeichnet durchhörbar. Die Dynamikkontraste werden bereits ausgereizt, sind aber noch nicht so extrem wie 6 Jahre später. Der Duktus wirkt hier auch noch belebter. Die buffohafte Leichtig- und Geschmeidigkeit ist hier einer absolut-musikalischen Gestaltung in weiten Bögen gewichen. Klemperers Mozart ist so weder apollinisch noch erdenschwer. Die Ouvertüre lässt völlig offen, ob eine Komödie oder eine Tragödie folgt.

Dieser Eindruck erscheint bei der späteren Aufnahme nochmals verstärkt.

Der Klang der 64er ist bereits besser als der bei Kempe oder Giulini mit demselben Orchester, aber weniger voll und weich wie bei der Aufnahme von 1970. Eine besondere Durchhörbarkeit wird durch die bei Klemperer oft zu beobachtete getrennte Aufstellung der 1. und 2.Violinen, die sich gegenüber sitzen, erreicht. Der Verfasser fragt sich, warum man diese nur noch so selten hört, ist sie doch meist ein Gewinn bei der Offenlegung der Strukturen.

 

GA - Klemperers zweite Aufnahme, die aus einer GA entnommen ist, sticht, darin noch über die ältere hinausgehend, alleine schon wegen ihrer Spielzeit aus dem Vergleich heraus. Er nähert sich der Ouvertüre mit noch ausgeprägterem Ernst und scheint der Oper schon gleich zu Beginn alle komödienhaften Singspielelemente zur Gänze austreiben zu wollen. Zu den kräftigen, ausgesprochen nachdrücklichen Akzenten kommt nun noch ein schwer lastendes Tempo dazu. Ob sich dieses aus dem hohen Alter und der stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit des Dirigenten herleiten lässt, muss in diesem Rahmen offen bleiben. Jedenfalls ist die langsamste Aufnahme aber beileibe nicht die langweiligste, sondern vielmehr die gewichtigste und mit die deutlichste. Wenn man sich auf das getragene Tempo einlässt und daran gewöhnt hat (die fünf Minuten könnten gerade so dafür ausreichen) sogar eine der spannendsten. Der Verfasser gibt aber unumwunden zu, dass man das auch durchaus anders sehen bzw. hören könnte. Daher sei die Punktewertung hier wie in Klammer gesetzt zu verstehen.

Klanglich ist die Aufnahme noch etwas offener als die 64er, präsent, aufgelichtet, sehr gut aufgefächert und großräumig, zudem mit einem vollen und sonoren Streicherklang ausgestattet. Bei Klemperer lodert das Feuer nicht wie ein Strohfeuer, sondern langsam und dafür mit anhaltender Wirkung.

 

 

 

4-5

René Leibowitz

Orchestre des Concerts symphoniques de Paris

Chesky

1960

4:24

René Leibowitz´ Aufnahme brilliert mit einem hellen, ausgesprochen klaren, sehr offenen Klang, großer Transparenz und intensiver Leuchtkraft. Lediglich ein leichtes Rauschen lässt das Aufnahmedatum erahnen und eine leichte Halligkeit wäre zu kritisieren.

Das Orchester wirkt groß besetzt und etwas massiv. Das Fagott fällt mit seinen Soli etwas aus dem Rahmen, es artikuliert etwas behäbig und klingt auch mehr nach einer historischen Fahrradhupe als einem modernen Fagott. Die Artikulation gelingt dem Orchester nicht so wieselflink wie den Orchestern der 5 Sterne Kategorie oder dem LPO oder der ASMF, aber trotz diesem Manko durchaus mitreißend, dynamisch und frisch. Wie bei seinen Beethoven-Interpretationen lässt Leibowitz auch hier das Blech ein ums andere Mal knackig herausstrahlen, darin die HIP bereits vorwegnehmend. Die Wiedergabe wird mit überzeugendem Ernst angegangen und wirkt (wenn auch nicht so wie bei Bernstein, Fricsay u.a.) feurig bewegt.

 

4-5

Wilhelm Furtwängler

Berliner Philharmoniker

DG

1933

4:10

Ähnlich Klemperer gibt auch Furtwängler der Ouvertüre ein ganz eigenes Gepräge mit auf den Weg. Sie wird hier ganz im Geiste der Dramatik wiedergegeben. Das erregte Pulsieren und die großangelegten Steigerungen wirken stets substanzreich, die Akzente mächtig und durchdringend und erhalten einen unerbittlichen Charakter. Zum Schlusscrescendo ab T. 245 gibt Furtwängler noch eine sehr starke Beschleunigung dazu. Das wirkt mitreißend. Die lieblichen Passagen wirken allerdings beinahe wie Fremdkörper. Ob all diese Maßnahmen als authentisch gelten dürfen?

Verschärft wird dieser Eindruck von der sehr stark rauschenden Mono – Klangtechnik, die dazu beiträgt, dass die Musik dynamisch wie auf die Spitze getrieben erscheint. Alles klingt etwas nach Pathos, fast schon hysterisch. Massiv verfärbt und eng ist sie auch, die pulsierende Lebendigkeit aber lässt sie bis zum Ohr des Hörers durchkommen.

Mozart wie aus einer anderen Welt.

 

4-5

Georg Solti

London Philharmonic Orchestra

Decca

1982

4:16

GA - Soltis Version ist rasant, vital, antreibend, gleichzeitig aber auch kultiviert und generell auf sehr hohem Niveau. Dazu trägt das sehr saubere Orchesterspiel entscheidend bei. Die Aufnahme gleicht derjenigen Karajans von 1979, ist sie doch beim gleichen Label sowie auch fast gleichzeitig erschienen. Sie wirkt dabei weniger stromlinienförmig als diejenige Karajans, aber ebenso wie diese leicht geglättet. 

Und nicht so plastisch wie diejenige Kleibers, für die Rasanz nicht Selbstzweck bleibt. Die Holzbläser werden auch bei Solti behutsam hervorgehoben, die geistvolle oder auch liebevolle Ausformulierung, für die Kleiber trotz des Tempos irgendwie Zeit fand, fällt hier der Rasanz etwas zu Opfer. (Was jammern auf hohem Niveau ist!)

Die Aufnahme ist schön räumlich und angenehm zu hören, kann aber einen leicht sterilen oder auch klinisch sauberen Charakter nicht ganz verbergen.

 

4-5

Neville Marriner

Academy of St-Martin-in-the-Fields

EMI

1982

4:16 

Philips

1985

4:08

Marriners Aufnahmen verfügen über einen pulsierenden Duktus, sind gut akzentuiert, flink artikuliert, kontrastreich und lebendig. Die etwas früher entstandene EMI - Aufnahme verfügt über den etwas räumlicheren Klang und ist insgesamt etwas hell timbriert. Sie ist für eine frühe Digitalaufnahme aber ziemlich verfärbungsfrei. Nur die Violinen klingen leicht gläsern und etwas gepresst.

GA - In der Philips-Aufnahme, die im Rahmen einer GA nur drei Jahre später entstanden ist, kommen die wendigen Bläser noch etwas besser zur Geltung. Der etwas kürzeren Laufzeit zum Trotz wirkt sie etwas gelassener und ein Quäntchen weniger turbulent. Sie ist aber noch etwas akzentuierter und das Holz agiert noch etwas souveräner. Die Streicher klingen nun weniger gepresst und etwas räumlicher. Beide werden wie meist bei Marriner sehr exakt aber nicht klinisch sauber gespielt. Um fünf Sterne zu bekommen, hätte bei diesen beiden Aufnahmen noch etwas mehr Leidenschaft ins Spiel kommen müssen.

 

4-5

Oldrich Vlcek

Prager Kammerorchester

Supraphon

1988

4:03

Durch die kleine Streicherbesetzung befördert wirkt die Einspielung Vlceks leicht, locker und beschwingt. Das gewisse Etwas bringt zudem noch das böhmische Temperament in der Musizierhaltung mit. Bestens akzentuiert könnte man annehmen, es läge hier eine Aufnahme von Charles Mackerras vor, der dem Orchester und dem Dirigenten bestens bekannt ist. Die Aufnahme könnte der Antagonist zu den Klemperer-Aufnahmen sein, denn hier siegt eindeutig das komödienhafte Element. Bisweilen wünschte man sich im Orchester noch ein paar Geigen mehr, aber genauso flink wie die vorhandenen sollten sie sein. Der Klang ist hell, offen und sehr transparent. Eine leichtgewichtige Alternative auf hohem Niveau.

 

4-5

Fritz Lehmann

Berliner Philharmoniker

DG

1952

4:03

Dem heute fast vergessenen Fritz Lehmann gelingt es „seinem“ Mozart-Ton gleich zu Beginn einen gewissen jubilierenden Überschwang mitzugeben. Der lässt zwar im Verlauf etwas nach, aber beschwingt klingt diese Aufnahme jederzeit.  Darüber hinaus ist die Wiedergabe sehr gut durchartikuliert und sie bietet gute p – ff  Gegensätze. Die Temposteigerung bei T.245 gerät nicht so hinreißend wie bei Furtwängler. In Anbetracht des betagten Mono-Tons überrascht die bereits gut festgehaltene Natürlichkeit, sodass man die Philharmoniker sofort erkennen kann. Der Klang ist gegenüber der Cantelli-Aufnahme deutlich ausgewogener und stimmiger.

 

4-5

Leopold Hager

English Chamber Orchestra

Novalis

1989

4:18

Diese Darstellung verbleibt in konventionellen Bahnen. Die Herangehensweise ist dabei durchaus auf einnehmende Art stimmig und temperamentvoll. Alle Details werden vortrefflich herausgearbeitet. Die Orchesterleistung des ECO ist hier makellos und erheblich besser als bei Barenboim 13 Jahre zuvor. Sogar die sonst stiefmütterlich behandelte Pauke kann gut herausgehört werden. Der Klang ist samtig, gut grundiert, breitbandig und gefällig. Die Transparenz ist insbesondere in der Unterscheidbarkeit der einzelnen Streichergruppen ausgezeichnet. Generell erklingt der Orchesterapparat stets als Ganzes, ohne besondere Hervorhebung einzelner Instrumente. Dieser Aufnahme merkt man durchaus die große Erfahrung des Dirigenten mit den Werken Mozarts an, sind mit ihm doch in den 70ern und 80ern viele gerade unbekannte Mozartopern ausgenommen worden. Darüber hinaus war er auch von 1969 – 1981 Dirigent des Mozarteum Orchesters in Salzburg.

 

4-5

Carlo Maria Giulini

Philharmonia Orchestra London

EMI

1959

4:16

GA - Der gute dynamische Kontraste liefernde Philharmonia Sound mit seinem knorrigen und zugleich dünnen Oboen-Klang erhält  auch bei Giulini eine  gewinnende Transparenz. Zudem wird recht temperamentvoll und sehr klar artikuliert. Es wird sehr sauber gespielt und es gelingt zudem auch noch eine glanzvolle, elegante Note mit einzubringen. Der Klang ist durchaus offen und für das Aufnahmedatum transparent.

 

4-5

Günter Wand

Kölner RSO

Hänssler

ohne AD

4:07

Wand entlockt dem ihm bestens vertrauten Orchester ein aufgewecktes und inspiriert wirkendes Spiel, das sowohl pointiert ist als auch mit Klarheit und Augenmaß überzeugt. Zwar nicht ganz so ausgewogen wie die Davis-Aufnahmen, dafür aber etwas bewegter und quirliger. Die sehr gute Rundfunkaufnahme gibt den tiefen Streichern auffallend großzügig Raum, was ihr ein schönes Fundament verleiht und sie auf angenehme Weise komplett erscheinen lässt. An die Leichtigkeit der Academy mit Marriner oder die flinke Virtuosität der Wiener Philharmoniker mit Karajan kommt das Kölner Orchester jedoch nicht ganz heran.

 

4-5

Herbert von Karajan

Wiener Philharmoniker

Decca

1979

4:00 

EMI - Cantus

1950

3:52

GA - Obwohl beide Aufnahmen Karajans fast 30 Jahre auseinander liegen, sind sie sich doch recht ähnlich. In beiden wird ein wahrlich rasantes Tempo vorgelegt. Das Orchester weiß es auch virtuos umzusetzen. Wobei dies in beiden Fällen fast völlig schlackenlos gelingt. Akzente scheinen insbesondere in der neueren Aufnahme der Fliehkraft zu unterliegen und ihr ein wenig zum Opfer zu fallen. Hier obsiegt die Rasanz auch noch ein wenig mehr über ein differenziertes Pulsieren. Die Musiker scheinen hier kein einziges Mal atmen zu dürfen. Allerdings geht ihnen trotzdem die Luft nicht aus. Dieser Eindruck mag auch an dem tollen Legato liegen, dem die Artikulation unterliegt. Oder sollte man besser sagen unterworfen wird? Der Klang ist 1979 wesentlich vollmundiger, weicher und klarer als 1950. Von einer guten Tiefenstaffelung kann man allerdings nicht sprechen. In beiden Fällen ist von Gemütlichkeit keine Spur zu finden.

 

GA - Auch die ältere Aufnahme ist - trotz Mono-Klangs - gut durchhörbar. Sie bringt bereits Karajans Legatokultur mit – allerdings noch wie in der Keimzelle befindlich. Sie breitete sich damals noch nicht so überaus einnehmend bis in den letzten Winkel der Partitur aus. Sie  bringt den turbulenten Charakter der Ouvertüre auch noch etwas besser zur Geltung. Generell wirkt sie aber noch nicht so glanzvoll und auf Überwältigung abzielend wie 1979. Wirkt die neuere rasanter so erscheint die ältere noch etwas pulsierender und vitaler.

 

4-5

Rudolf Kempe

Philharmonia Orchestra

EMI - Testament

1955

3:50

Bei dieser Aufnahme überrascht EMI mit einer der wohl allerersten Stereo-Aufnahmen, die zudem bereits einen recht vollen und gut durchhörbaren Klang aufweist. Die Darbietung ist wesentlich temperamentvoller als die Klemperers und auch Giulinis mit demselben Orchester. Sie wirkt jederzeit frisch und aufgeweckt. In dieser Haltung erscheint sie jedoch etwas zu monoton durchgezogen. Die Bläser bleiben etwas zu sehr im Hintergrund, was der Oboe des Philharmonia zwar durchaus gut bekommt, insgesamt aber zu einer geringeren Brillanz und Plastizität des Orchesterklangs führt.

 

4-5

Colin Davis

Royal PO London

EMI

1962

4:20 

 

BBC SO

Philips

1970

4:12 

 

SO des Bayerischen Rundfunks

RCA

1990

4:16 

 

Staatskapelle Dresden

RCA

1998

4:17

In allen vier Aufnahmen begegnen dem Hörer kultiviertes und akkurates Orchesterspiel, eine klare Gestaltung und eine sichere Erfassung des Sujets. Jedoch hat man nirgends das Gefühl, dass der Versuch unternommen wird, die Komfortzone zu verlassen. Trotz des nicht fehlenden Tempos bleibt im Ansatz eine gewisse Gemütlichkeit spürbar. Man könnte es auch etwas positiver statt Gemütlichkeit Noblesse nennen. Dieser Ansatz verstärkt sich tendenziell, je später die Ausnahme erfolgt ist.

 

Die Aufnahme mit dem RPO hat eine besondere Affinität zum Fagott, das sehr schön geblasen wird und auch im Tutti immer präsent ist. Die Streicher sind nicht ganz frei von leichten Verzerrungen, besonders, wenn es etwas lauter zugeht. Ansonsten ist der Klang offen und recht dynamisch.

 

GA - Die Aufnahme mit dem BBC Orchester aus London bietet schöne p – f Gegensätze, ist sehr gut einstudiert und von einem warmen Grundcharakter durchzogen. Das Orchesterspiel ist noch etwas kultivierter und aufnahmetechnisch mit leuchtenderen Farben gesegnet.

 

GA - Die 3. Aufnahme Davis´ aus München ist etwas weniger frisch, aber noch transparenter als die mit dem BBC SO. Es geht noch etwas genauer zu und das klangschöne Orchester profitiert zusätzlich von seinen exzellenten Holzbläsern.

 

Die letzte Aufnahme aus Dresden hat die noch etwas präsenteren Bläser. Der Klang wirkt sehr weich und samtig. Wenn sich der Verfasser für eine der vier Davis-Aufnahmen entscheiden müsste, so würde er wahrscheinlich die mit dem BBC SO wählen, aber besser ist es die Auswahl zu haben, denn sympathisch sind sie alle.

 

4-5

Guido Cantelli

NBC Symphony Orchestra

Testament

1951

4:15

Live - Cantelli liegt bei seiner Gestaltung stilistisch eindeutig auf der dramatischen Seite. Jedoch nicht wie bei einem Sturm auf hoher See, wie bei Furtwängler, sondern auf die Licht durchflutete klare Art eines Toscanini, dessen Orchester ja auch spielt. Sogar noch etwas lebendiger als dieser es vielleicht selbst gemacht hätte. Gegen Ende bietet Cantelli herrliche Steigerungen mit italienischem Temperament, wie bei einer Stretta. Die Mono-Aufnahme ist zwar deutlich durchhörbarer, differenzierter und offener als die Furtwänglers, aber immer noch flach und etwas zu hell.

 

 

4

Ferenc Fricsay

Kölner RSO

Walhall

1951 Live

3:48

GA - Normalerweise kommt bei Mono-Aufnahmen der Klang exakt aus der Mitte zwischen den beiden Lautsprechern, hier kommt er aus beiden Lautsprechern und versucht bisweilen sogar ein Stereo-Klangbild zu imitieren. Das gelang den Technikern allerdings nicht. Der Klang kommt letztlich über den flachen, dünnen und topfigen Charakter der Busch Aufnahme nicht hinaus. Er ist sogar noch etwas dumpfer. Die nur ein Jahr ältere Karajan-Aufnahme von 1950 klingt weicher und runder. Was auch am Orchester liegen könnte, denn die Kölner scheinen dem vorgelegten Tempo bei allem Fleiß nur gerade so gewachsen zu sein. Wobei Fricsay Hochspannung anlegt und keinesfalls gewillt scheint Gnade walten zu lassen. So kommt es, dass die Wiener Streicher bei Karajan ein Jahr früher nicht nur erheblich seidiger klingen als die Kölner sondern auch differenzierter und besser durchartikuliert. Dynamisch ist die Aufnahme stark nivelliert. Das Tempo wirkt hier wie ein Prestissimo und gewollt hektisch. War Buschs Mozart noch ein Wirbelwind, so ist Fricsays beinahe schon ein Tornado. Lieblich ist hier wirklich nichts mehr. Der Verfasser gibt zu, dass der Klang der Aufnahme lediglich einen Stern wert wäre, die Interpretation Fricsays aber vielleicht sogar eine Fünf. Der Mittelwert würde der Leistung Fricsays jedoch nicht gerecht werden.

 

4

Erich Schmid

RSO Basel

Tudor

1977

4:15

Diese Version ist der Version von Günter Wand sehr ähnlich. Auch sie tönt großorchestral und wuchtig, aber auch differenziert, temperamentvoll und quirlig. Auch die Aufnahmedisposition ist ähnlich, die tiefen Streicher kommen ausnehmend gut ins Bild. Der Klang ist nur etwas weniger räumlich differenziert und das Orchester nicht ganz so hochklassig wie beispielsweise die Rundfunkorchester der BBC bei Davis oder das des WDR bei Wand.

 

4

Hans Rosbaud

Paris Conservatoire Orchestra

Walhall

1955 Live

4:17

GA - Rosbaud zieht die Ouvertüre temperamentvoll und turbulent vor allem aber auch resolut durch. Es wird ausgesprochen dynamisch und mit viel Biss gespielt, wobei das insgesamt hier nur mittelmäßige Orchester zu Beginn noch etwas unsicher agiert, dann aber durch vitalen Ausdruck überzeugen kann. Die Akzente sitzen gut und das Holz ist weitgehend gut hörbar.

Die Mono-Aufnahme wirkt lebendig, leidet aber etwas unter einem schreienden Klang, lässt aber die Instrumentation  insgesamt noch gut hörbar werden.

 

4

Ferdinand Leitner

Berliner Philharmoniker

DG

1961

4:14

Leitners Darbietung fußt zuallerst auf Cantabilität und philharmonischem Wohlklang. Sie ist aber auch dynamisch und ziemlich gut differenziert, bietet schöne Crescendi und wirkt nicht glatt.  Details verselbständigen sich nicht, sondern werden der großen Linie untergeordnet. Die Bläser spielen wie gewohnt klangvoll. Das Orchesterspiel wirkt viel sauberer als das des Orchesters der Deutschen Oper der Böhm-Aufnahme beim gleichen Label ein paar Jahre später. Von einer turbulenten Stimmung ist man jedoch ein gutes Stück entfernt. Sie gleicht der Barenboim-Aufnahme mit dem gleichen Orchester, auch vom Klang her, wirkt aber etwas akzentuierter.

 

4

Josef Krips

Tonhalle Orchester Zürich

Ades

1960

4:17

Bei Josef Krips ist – wie bei Leitner - Cantabilität Trumpf. Es wird mit Nachdruck, fast schon emphatisch musiziert. Der Eindruck ist zwar großorchestral aber durchaus dynamisch, temperamentvoll und überhaupt nicht geglättet. Vom Holz gefällt das Fagott bei weitem am besten, was nicht gerade für die anderen Bläser spricht. Akzente werden gerne mal verschliffen.

Der größte Einwand gegen diese Einspielung ist ihr völlig unambitionierter Klang. Die Violinen sind sehr stark verfärbt. Es hört sich gerade so an – obwohl eine CD läuft – als wäre die Quelle des Klangs eine LP, die mit zu stark „verfusseltem“ Abtaster abgespielt wird. Der Rest des Orchesters klingt, seltsam genug, weitgehend unverfusselt. Nur ein wenig hallig, aber auch nicht sonderlich transparent. Leitners Aufnahme klingt in allen Belangen überlegen, vor allem deutlich natürlicher.

 

4

Hans Vonk

Staatskapelle Dresden

Capriccio

1989

4:09

Auch Vonks Darstellung ist großorchestral geprägt, deutlich sauberer hingelegt aber viel zurückhaltender als die Darstellung Suitners. Sie klingt voll, warm, und durchaus noch recht temperamentvoll. Es fehlt ihr etwas an Differenzierung. Das Holz ist gut abgebildet, die Akustik jedoch wirkt leicht schwammig. Stets präsent ist der warme strahlende Streicherklang der Staatskapelle. Um Klassen besser wiedergegeben als der des Tonhalleorchesters. Man hält sich im Ausdruck von größeren Turbulenzen oder Aufgeregtheiten fern. Ein vor allem dynamisch etwas pauschaler, nur gefälliger Mittelweg.

 

4

Bobby McFerrin

St.Paul Chamber Orchestra

Sony

1995

4:20

Der in erster Linie als Vokalkünstler bekannt gewordene Dirigent legt hier eine grundsolide Einspielung vor. Sauber aber auch etwas erdenschwer gespielt macht sie dennoch einen inspirierten Eindruck. Es fehlt ihr jedoch etwas an Temperament und Zuspitzung.

Das Klangbild ist frisch, voll, transparent und natürlich.

 

4

Karel Senja

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1962

4:18

Senja, der nur ein Jahr Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie war, bevor Karel Ancerl ihm in diesem Amt nachfolgte, legt eine Lesart vor, die in ihrer frischen, fast fröhlich anmutenden  Musizierlaune überzeugt. Auch dies ist eine großorchestrale Darbietung, in der Kammermusik nicht die erste Rolle spielt. Die Kontraste zwischen p und f oder ff könnten größer sein. Generell - darin der Aufnahme Suitners ähnlich - ist das p viel zu laut. Das Crescendo ab T. 245 könnte durchaus stärker ausgeprägt sein.

Der Streicherklang ist rau. Man hat von Supraphon auch vom Anfang der 60er Jahre schon bessere Aufnahmen gehört. Das will heißen: transparentere, vollere und dynamischere.

 

4

Sir John Pritchard

Wiener Philharmoniker

Decca

1989

4:21

Pritchards Einspielung ist ruhig timbriert, geradlinig und professionell gespielt. Wie aus einem Guss, wie man so schön sagt, aber nicht sonderlich akzentuiert und etwas routiniert. Nicht langweilig aber auch nicht aufregend. Es werden keine Funken aus der Partitur geschlagen.

Der Klang ist nicht sonderlich transparent aber offen und angenehm zu hören.

 

4

Zubin Mehta

Orchester des Maggio Musicale Fiorentino

Sony

1992

4:25

GA - Mehtas Lesart wirkt großorchestral auf vollen Klang hin gespielt. Das vorgelegte Temperament paart sich hier mit einem Hang zur Gemütlichkeit. Der Ton der nicht gerade erstklassigen Violinen erscheint wenig quirlig und turbulent. Die Bläser spielen klangschön. Im Ganzen ergibt sich fast ein erzählender, lässiger Ton. Akzente wirken mitunter leicht verschliffen. Erfreulich: Die Pauke wird nicht versteckt, sondern ist gut hörbar. Der Grundduktus ist aber luzider bzw. „durchlässiger“ als derjenige bei Barenboim, insbesondere mit den Philharmonikern.

Der Klang wirkt dynamisch etwas großspurig bei guter Transparenz und vollem „Sound“.

 

4

James Levine

Orchester der MET, New York

DG

1990

4:22

GA - Levines Darbietung ist durchaus zupackend, mitunter aber etwas gezirkelt und dynamisch nicht besonders kontrastreich. Aus einem Legato kann zudem auch schon einmal ein Staccato werden (T. 63, 64 und T. 71 und 72).

T. 101 – 124 wirkt seltsam durchbuchstabiert und nicht innig, wie man es sich wünschen würde. Stets wirkt die erste Violinenstimme ein klein wenig zu stark betont. Der Duktus ist temperamentvoll, man überschlägt sich aber auch nicht. Die Holzbläser sind durchaus klangschön, die Streicher weitgehend homogen und recht hell timbriert.

Das Klangbild ist räumlich, ausgewogen und offen.

 

4

Daniel Barenboim

English Chamber Orchestra

EMI

1976

4:22

 

Berliner Philharmoniker

Erato

1990

4:18

GA - Die beiden Aufnahmen Barenboims unterscheiden sich in erster Linie durch den unterschiedlichen Klang der beteiligten Orchester und die Klangtechnik. Von der Herangehensweise des Dirigenten betrachtet liegen sie auf einer Linie. Als Ideal wird in beiden Versionen ein großorchestraler Klang angestrebt, was bedauerlicher Weise auch beim Kammerorchester gelingt. Beim ECO kommen die Bläser etwas besser zur Geltung, ihr Klang ist aber weit weniger voll und geschlossen als bei den BP. Im ff verlieren die Violinen beim ECO deutlich an Klangfülle, sie klingen dann starr und singen nicht mehr. Generell ist die englische Aufnahme etwas akzentuierter geraten, wobei die Akzente selbst bisweilen wie nachgedrückt erscheinen. Beide Aufnahmen rauschen übrigens etwas, was bei der neueren Digitalaufnahme etwas überrascht.

GA - Die Berliner Aufnahme geht den philharmonischen Weg noch etwas weiter. Fortissimo-Einsätze wirken bisweilen etwas verwischt. Akzente werden nicht sonderlich gut herausgearbeitet. Das Piano ist generell zu laut. Die Gestaltung ist auf den vollen, satten, überwältigenden Klang der Philharmoniker ausgelegt. Die wirken recht virtuos und geschmeidiger als das ECO. Aber auch etwas wie gepanzert im Klang. Wenig leicht und locker und schon gar nicht zugespitzt. Zumindest nicht, wenn man die Aufnahmen der 5-Sterne-Kategorie im Ohr hat.

Der Klang selbst ist voll, recht griffig und plastisch.

Im direkten Vergleich wirkt die ältere Aufnahme bei allen genannten Einschränkungen etwas frischer als die jüngere.

 

4

Karl Böhm

Orchester der Deutschen Oper Berlin

DG

1968

4:14

GA - In Böhms Aufnahme wirkt das Orchesterspiel zunächst ziemlich grob, die Violinen genügen hier nicht höchsten Ansprüchen. Das Fagott zu Beginn ist auch nicht völlig synchron mit den Streichern. Die pp - ff - Kontraste werden weitgehend verschenkt. Im Verlauf wird dies jedoch deutlich besser.

Enttäuscht die Einspielung zu Beginn noch stark, wird sie doch noch zu einem recht stimmungsvollen, aber keinesfalls mitreißenden Auftakt zu einem „tollen Tag“. Man fragt sich jedoch, warum man nicht noch weitere vier Minuten in das Aufnahmeprojekt investiert hat, um die Ouvertüre ohne den altbackenen Beginn erneut aufzunehmen.

 

 

 

 

3-4

Rafael Frübeck de Burgos

Dresdner Phiharmonie

Genuin

2006

4:20

Das Spiel der Dresdner wirkt in dieser Einspielung zwar sauber und gepflegt aber auch nicht richtig frei und etwas steif. Das Tempo ist etwas behäbig, geradezu so, als ob die Oper danach lediglich von einem Kaffeekränzchen handeln würde. An einen Stoff mit sozialer Sprengkraft würde man jedenfalls nicht ohne weiteres denken. Kein Presto, großorchestral, etwas blass und nicht sonderlich ausdrucksvoll. Auch der Klang wirkt weich konturiert und es fehlt ihm an Transparenz und Leichtigkeit.

 

3-4

Zubin Mehta

Los Angeles Phiharmonic

Decca

1973

4:21

Mehtas erste Aufnahme entstand, als er noch bei Decca unter Vertrag stand. Das bürgt fast schon a priori für eine gute Aufnahmequalität. Tatsächlich ist die Klangqualität als solche auch das Beste an dieser Wiedergabe. Der „Sound“ ist voll, weich gerundet und strahlend.

Die Herangehensweise Mehtas und das eingeforderte Spiel des weitaus größer besetzten Orchesters (als es die Florenzer 1992 waren) zeitigt ein großorchestrales, teilweise schwerfälliges Ergebnis, das bisweilen unmozartisch massiv anmutet. Wenn die Kontrabässe in den Focus geraten, tragen diese dermaßen dick auf, dass man unwillkürlich an das Kurvenverhalten eines US-Amerikanischen Straßenkreuzers der 50er Jahre denken muss, in den Filmen, in denen sie versuchen im hohen Tempo um enge Kurven zu fahren. Und dann oft ins Schleudern kommen. Oder an Arnold Schwarzenegger, der muskelbepackt und schwerfällig versucht die Übungen einer grazilen Turnerin nachzuturnen. Das grenzt dann schon fast an eine Persiflage. Da aber auch der Humor in Mozarts Ouvertüre nicht zu kurz kommen sollte, sei er auch unbeabsichtigt wie hier, rutscht diese Aufnahme nicht auf die 3 ab.

 

3-4

Pier Giorgio Morandi

Orchester der Ungarischen Staatsoper Budapest

Naxos

1997

4:17

GA - Auch diese ungarische Aufnahme wirkt etwas schwerfällig, aber eher auf eine unbedarfte, beschauliche Art. Man spielt zwar alles fehlerlos durch, aber es fehlt einfach an Esprit. Dem Orchester selbst mangelt es an Homogenität, Spielwitz und Streicherglanz. Auch die Klangtechnik könnte etwas mehr Offenheit, Brillanz und Klangfülle vertragen.

 

 

 

 

 

Des Verfassers Dank gilt Herrn Bernd Stremmel, dem Unterstützer und damals einzigen Leser dieser Unternehmung, für die großzügige Überlassung zahlreicher Aufnahmen, ohne die dieser Vergleich in seiner Vielfalt deutlich ärmer geraten wäre.

 

 

6.5.2020