Frédéric Chopin

Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21

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Werkhintergrund:

 

Vom Wiener Palais des russischen Grafen Rasumowsky führt scheinbar kein direkter Weg zu jenem Warschauer Salon, in dem Frédéric Chopin am 7. Februar 1830 sein f-Moll-Klavierkonzert aus der Taufe hob. Tatsächlich aber residierte während des Wiener Kongresses Zar Alexej I. im Palast seines Gesandten und traf dort alle wesentlichen Entscheidungen über das Schicksal Polens. Er zementierte 1815 jene verhängnisvolle Mischung aus scheinbarer Freiheit und omnipräsenter Unterdrückung, die 15 Jahre später die Polen in den Aufstand gegen das russische Regime treiben sollte. Die düsteren Vorboten dieses Aufstandes kann man im ersten Satz des f-Moll-Konzerts bereits erahnen. Die blutig niedergeschlagene Revolte sollte bald auch das Schicksal des jungen Komponisten besiegeln: Auf Konzertreise in Wien erfuhr er von den tragischen Ereignissen in der Heimat, die ihm die Rückkehr unmöglich machten. Er wandte sich nach Westen, nach Paris, wo aus dem aufstrebenden Virtuosen Fryderyk Franciszek Szopen der weltberühmte Exilpole Frédéric François Chopin werden sollte.

 

Das f-Moll-Konzert wurde noch vor diesen Ereignissen komponiert und uraufgeführt – als ein typisches Virtuosenkonzert des Salonzeitalters. Schon bei der Uraufführung wurde Chopin nur von einem ganz kleinen Orchester begleitet. Als das Konzert schließlich 1836 vom Verlag Breitkopf gedruckt wurde – erst drei Jahre nach dem e-Moll-Konzert und deshalb als zweites Klavierkonzert, obwohl es eigentlich das erste war –, konnte man es in zwei verschiedenen Fassungen kaufen: entweder „mit Begleitung des Orchesters“ oder „mit Quintett“. In letzterer Fassung wird das Klavier nur von fünf Streichern begleitet: von zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass. In den Salons der Romantik wurde das f-Moll-Konzert in dieser Form weit häufiger aufgeführt als in der großen Fassung mit vollem Orchester. In der Diskographie, da wir nun gerade schon bei den verschiedenen Fassungen sind, findet man auch darüber hinaus noch Versionen in denen das Klavier nur von einem Streichorchester begleitet wird, dann Versionen für zwei Klaviere und schließlich, verkleinerter geht es kaum noch: Versionen nur für ein Klavier. Da muss sich der Solist bzw. die Solistin auch noch selbst begleiten. Wenn das mal gut geht. In unserem Vergleich wollen wir uns auf die in der Diskographie bei weitem am zahlreichsten vertretene Fassung für Klavier und Orchester beschränken, wobei uns ein paar Versionen mit Streichorchester (und solistischen Streichern) untergekommen sind, die erst beim Hören als solche sozusagen enttarnt wurden. Mit den trotz der Beschränkung über 140 Einspielungen hätten wir nicht gerechnet, und das waren nur die uns verfügbaren.

 

Die Wirkung von Chopins Spiel in den ersten Aufführungen des f-Moll-Konzerts muss eher intim gewesen sein – von einer Bescheidenheit und Eindringlichkeit, die man im Konzertsaal auch in Warschau nicht gewöhnt war, wenn Klaviervirtuosen ihre reißerischen Solokonzerte vorführten. Zwei Reaktionen in der Presse mögen dies unterstreichen. Im Allgemeinen Tagblatt des Landes stand zu lesen: „Die Ausführung entsprach völlig dem Geist der Komposition. Bei der Überwindung der größten manuellen Schwierigkeiten, bei den glänzendsten Passagen, beim Gesang der einprägsamsten Melodien versuchte der Pianist niemals, auf Kosten des Gesamteindrucks zu brillieren; seine Bescheidenheit verbarg ihn stets, wie erforderlich, hinter der mehr oder weniger großen Pracht der Harmonie. Es scheint, dass sein Spiel dem Publikum mitteilte: das bin nicht ich, das ist die Musik! … Für einen Polen ist es auch angenehm, bei der Entwicklung eines so schönen Talents, vielleicht Genies, daran zu denken, dass sich sowohl in der Komposition wie in der Interpretation der Nationalcharakter zeigt. Ein solches Spiel weckte eine völlig natürliche allgemeine Begeisterung, und auf einigen Gesichtern auch eine Verwunderung. Sie rührte bestimmt von dem Empfinden her, dass man auch ohne jene monoton wiederholten, eintönig dahinfließenden, ewig gleichen Melodien, ohne diese nervtötenden Orchesterschläge und ohne diese lärmenden Schlussmomente heutiger Werke den Hörer in Bann schlagen kann.“

 

Im Polnischen Kurier wurde eine begeisterte Zuhörerin zitiert, die auf Chopins poetisches Spiel zu sprechen kam: „Chopin spielt nicht so wie andere; bei ihm scheint es, als ginge jede Note über das Auge direkt in die Seele, und erst die Seele verströme sie in die Finger. Auch jeder Übergang, jede Roulade, das ganze Spiel ist so voller Ausdruck, Empfindung, Gesang, dass es im Hörer angenehme Erinnerungen an alle seine glücklichen Augenblicke weckt … Wenn ich merkte, dass einer der Sätze des Konzerts endete, schien es mir, dass der Frühling vorbeigehe, ein andermal, dass ein angenehmes Empfinden zu einer Erinnerung werde.“

 

Alle diese Eigenheiten seines jungen Genies goss der neunzehnjährige Chopin in die konventionelle Form eines dreisätzigen Virtuosenkonzerts der Romantik. Während jener Monate, in denen er am f-Moll-Konzert arbeitete, konnte er in Warschauer Konzertabenden das c-Moll-Konzert von Beethovens Schüler Ries, ein Klavierkonzert von Ladislas Dussek und eines von Hummel hören – verbindliche Vorbilder, an denen er sich orientierte, da er dem Typus des „sinfonischen Klavierkonzerts“ alla Beethoven eher skeptisch gegenüberstand.

 

Tadeusz Zielinski schrieb in seiner wunderbaren Chopin-Biographie über das Konzert folgendes: „Der erste Satz, Maestoso, trägt trotz seines Hin und Her von Spannungen einen eher lyrischen als dramatischen Charakter. Das ernsthafte und von Wehmut durchzogene erste Thema birgt von Anfang an einen gewissen Ton intimer Sensibilität in sich. Bemerkenswert ist, dass das düstere Klima des ersten Themas sich nur in der Exposition des Orchesters entwickelt. In der Exposition des Klaviers verhält es sich ganz anders … Das vom Klavier intonierte Seitenthema in As-Dur entfaltet den ganzen Charme einer Chopinschen lyrischen Kantilene, eine fast engelgleiche Süße.“

In den Klavier-Ornamenten des Larghetto entdeckte Zielinski eine Liebeserklärung des jungen Komponisten: Chopin war damals bis über beide Ohren verliebt in die junge Sängerin Konstancja Gladkowska, die er im April 1829 mit Werken von Händel und Haydn im Konservatorium (da sie ebenfalls noch - wie Chopin – immatrikuliert war) gehört hatte. Da er sich aber nicht traute, seine Liebe zu offenbaren, wurde vorerst sein Freund Tytus Woyciechowski zum Gegenstand seiner schwärmerischen Leidenschaft, was diesen nicht wenig irritierte. In einem seiner vielen verliebten Briefe jener Monate gestand Chopin dem Freund: „Ich habe, vielleicht zu meinem Unglück, mein weibliches Ideal schon gefunden, dem ich treu diene, obwohl ich schon seit einem halben Jahr nicht mit ihr gesprochen habe. Ich träume von ihr und habe zu ihrem Gedenken das Adagio (er meinte das Larghetto, Anm.) in meinem Konzert geschrieben. Davon weiß niemand außer dir.“ Dank der Chopin-Forschung kam die geheime Liebesbotschaft dann doch ans Licht: „Chopin drückt seine Neigung auf eine ebenso unmittelbare wie poetisch verfeinerte Art aus. Die ungewöhnlich schöne fünfteilige Einleitung der Streicher zaubert eine Stimmung stiller Intimität herbei. Die erste Phrase des Solisten nimmt uns sofort mit ihrer außerordentlichen Schönheit und ihrem ungewöhnlichen Ausdruck gefangen. Diese Liebeserklärung entspricht gleichsam einer Geste, mit der die allerschönsten Blumen überreicht werden“, eine Metapher, mit der Zielinski auf die reiche Ornamentik des Klaviersolos anspielte. „Eine Verdüsterung der Atmosphäre und einen etwas dramatischeren Ton bringt der Mittelteil in as-Moll mit sich, der im Charakter eines Rezitativs gehalten ist.“ Daher nennen wir diesen Mittelteil in unseren Besprechungen „Recitativo“.

 

Polnische Tanzrhythmen bestimmen das Finale, ein Allegro vivace von bezwingender Lebensfreude: „Auf lyrische, empfindsame und sogar düstere Stimmungen folgt nun eine Musik voller Lebensfreude, Heiterkeit, Humor und Glücksgefühl. Der Satz trägt zudem den Charakter eines Volkstanzes – im Grunde ist er eine konzertante Stilisierung eines Mazurek. Zwar erinnern die ersten ruhigen Phrasen des Themas (f-Moll) eher an einen Kujawiak (einer der fünf polnischen Nationaltänze), doch die energiegeladene Periode des Orchesters danach exponiert ganz entschieden Mazurek-Rhythmen.“ (Zielinski)

 

(Aus dem Kammermusikführer (!) der Villa Musica Rheinland-Pflanz, wobei bei dem Artikel kein Autorenname genannt wurde, es wurde dabei jedoch ausgiebig aus dem Buch "Chopin, Sein Leben, sein Werk, seine Zeit", von Tadeusz A. Zielinski, ISBN 3-7857-0953-6) zitiert.)

 

Egon Voss in „Der Konzertführer“ herausgegeben von Attila Csampai und Dietmar Holland ergänzt folgendes wissenswertes über das Klavierkonzert, wobei er (völlig zurecht) die Gemeinsamkeiten der beiden Klavierkonzerte Chopins erheblich stärker hervorhebt als ihre Eigenheiten, denn sie ähneln sich ziemlich stark: „Das Orchester spielt im Werk Chopins kaum eine Rolle. Stücke nur für Orchester gibt es gar nicht und in den Kompositionen für Klavier und Orchester (es gibt außer den beiden Konzerten nur noch vier weitere Stücke mit Orchester). Vom „Krakowiak“ abgesehen sind alle noch in Chopins Warschauer Zeit entstanden, also vor 1830. In Paris, so scheint es, gab es für Chopin keine Veranlassung mehr, für Orchester zu schreiben. Der Ort, für den er fortan einzig und allein komponierte, war der Salon. Vor allem aber scheint Chopin an allen Gattungen und Formen der Musik, die er nicht in eigener Person und ohne die Mithilfe anderer aufführen und lebendig werden lassen konnte, kaum Interesse gehabt zu haben. Bekanntlich schrieb er weder Symphonik, Kirchenmusik oder Opern und auf dem Gebiet der Kammermusik erscheint die Cellosonate nur als Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es ist allerdings von jeher der Verdacht geäußert worden, Chopin habe andere Gattungen gemieden, weil er sich ihnen technisch nicht gewachsen gefühlt habe. Die Instrumentation in den Werken mit Orchester beispielsweise, nicht eben brillant oder auch nur gekonnt, führte fast zwangsläufig zu dem Vorwurf, Chopin habe nicht zu instrumentieren verstanden. Überdies wird seit langem behauptet, Chopin habe sich bei der Instrumentation seiner beiden Konzerte helfen lassen, wenn sie nicht ganz und gar von anderer Hand herrühre. Da die Partiturhandschriften nicht erhalten sind, kann man diese Behauptung leider nicht auf ihre Richtigkeit hin prüfen. Die Konsequenz der Vorwürfe waren weitreichende Retuschierungen und Umarbeitungen in beiden Konzerten, vorgenommen von so namhaften Pianisten wie Karl Klindworth und Carl Tausig oder Komponisten wie André Messager oder Enrique Granados. Weitere Umarbeitungen werden bis heute gepflegt, so im Falle des zweiten Konzertes von Pianisten wie Alfred Cortot oder noch recht aktuell von Ingolf Wunder oder Mikael Pletnev. Nicht nur wegen der angeblich mangelhaften Instrumentation, sondern auch aus der Tatsache heraus, dass die Konzerte einem Typus angehören, der im Übrigen nicht im Konzertleben überlebt hat. Höchstens als Rarität in der ein oder anderen CD-Veröffentlichung. Das Virtuosenkonzert legt es nicht auf das differenzierte Wechselspiel, den „Wettstreit“ zwischen Orchester und Soloinstrument, an, es hat weder setztechnisch noch symphonisch besondere Ambitionen. Es dient ausschließlich der möglichst effektvollen Präsentation des Solisten, dessen Herrschaftsanspruch den Dialog mit dem Orchester als gleichrangigen Partner nicht duldet. Das Orchester erfüllt folglich untergeordnete Funktionen; es ist darauf beschränkt zu begleiten und die Soli, die wie die Auftritte einer Primadonna wirken, durch Einleitungen und Zwischenspiele vorzubereiten. Setzt das Klavier ein, tritt das Orchester sogleich in den Hintergrund. Andererseits präsentiert sich das Klavier selten einmal ganz allein – als sei es auf den Klanggrund des Orchesters wie auf eine tragende Stütze angewiesen. Dieser Klanggrund besteht fast durchgehend aus einer Nachzeichnung des harmonischen Verlaufs, der durch seine im Vergleich zum Klavier stets längeren Notenwerte getragen wirkt und in seiner Instrumentation mit Streichern, vornehmlich in Mittellage, weich und warm klingt, so dass das Soloinstrument wie über einen samtenen Teppich zu schreiten scheint. Die beiden Konzerte sind in Form und Ausdruck sehr ähnlich, vermutlich nicht zuletzt auch eine Folge der nahen Entstehungszeit beider Stücke.“ Oder ein Konzert hat noch nicht gereicht, um der aufwallenden Gefühle des unglücklich Verliebtseins gerecht zu werden, sodass ein zweites folgen musste.

Für beide Konzerte gilt gleichermaßen, dass sie dreisätzig sind, wie es die Tradition vorgibt. Beide wenden das Moll, das den ersten Satz prägt im weiteren Verlauf ins hellere Dur. Im e-Moll-Konzert beginnt der Schlusssatz bereits in E-Dur, im f-Moll-Konzert vollzieht sich die Wendung nach F-Dur innerhalb des Satzes selbst, theatralisch-großartig eingeleitet durch ein Signalhorn, das den Dur-Schluss zum Ereignis macht.

Zwischenstufen sind jeweils die langsamen Sätze, die gleichfalls in Dur-Tonarten stehen, die aber nicht den Dur-Charakter der Schlusssätze haben. Hier erscheint das Dur verhangen, eingetrübt, als liege noch der Schatten der vorausgegangenen Moll-Sätze drüber. Zum langsamen Satz des e-Moll Konzertes verriet Chopin etwas von seiner Intention, er schrieb in einem Brief im Mai 1830: „Das Adagio des neuen Konzertes (nach heutiger falscher Zählung wie gesagt das erste in e-Moll) ist in E-Dur. Es ist eine Art Romanze, ruhig und melancholisch. Es soll den Eindruck eines liebevollen Rückblicks erwecken, eines Rückblicks auf eine Stätte, die in uns tausend süße Erinnerungen wachruft. Es ist wie eine Träumerei in einer schönen, mondbeglänzten Frühlingsnacht. Deshalb wird es mit sordinierten Geigen begleitet; das sind Geigen, die durch eine Art Kämme gedämpft werden., die, auf die Saiten angebracht, einen nasalen, silbrigen Ton bewirken.“ Über den langsamen Satz „unseres“ f-Moll-Konzertes gibt es eine ganz ähnliche Äußerung Chopins; da heißt es in einem Brief vom Oktober 1929: „ich habe schon, vielleicht zu meinem Unglück, mein Ideal (gemeint ist, wie wir bereits wissen die Sängerin in Ausbildung Konstantja Gladkowska), dem ich treu diene, obwohl ich schon seit einem halben Jahr nicht mit ihm gesprochen habe, von dem ich träume, zu dessen Adagio in meinem Konzert entstanden ist.“ Da Äußerungen zu eigenen Werken bei Chopin eine Rarität sind, haben wir die letzte ein zweites Mal zitiert, schließlich setzen sich Wiederholungen gut im neuronalen Netzwerk fest.

„Es ist kein Zufall, dass diese Äußerungen die langsamen Sätze betreffen, Vergleichbares über die anderen Sätze aber fehlt. Der langsame Satz ist offenkundig das bevorzugte Medium zum Ausdruck intimer Empfindungen, der emotionale Mittelpunkt gleichsam. Er gestattet sich darum auch formal die größte Freiheit. Anfangs- und Schlusssatz scheinen als schützende Hülle um ihn gelegt zu sein, im Charakter deutlich nach außen gewendet und formal in der mehr oder weniger braven Übernahme von Sonatensatz und Rondo, der Konvention verhaftet. Insbesondere durch ihre Ausdehnung auffallenden Anfangssätze zielen auf Repräsentation und große Gestik. Der Anfangssatz ist gleichsam der Auftrittssatz des Virtuosen. Hier gibt er sich, wie es der Tradition entspricht, pathetisch-großartig, zumindest ernst.

Der Schlusssatz hat demgegenüber die Funktion des heiteren Kehraus, in deutlichem Kontrast zum Anfangssatz. Hier spielt vor allem die rhythmische Prägnanz eine Rolle; der Virtuose spielt gleichsam zum Tanz auf, und dabei bedient er sich selbstverständlich volkstümlicher, also polnischer Tanzmusik. In der Verwendung der Mazurka (im f-moll-Konzert) und Krakowiak (im e-Moll-Konzert) erweist er sich als guter Patriot und nutzt zugleich die mit diesen Tänzen heraufbeschworenen (besonders damals noch) exotischen Reize.“ (erneut zitiert von Egon Voss)

Agnieszka Schneider hat mit dem jungen Pianisten William Youn in der Sendereihe des BR „Das starke Stück“ über das 2. Klavierkonzert Chopins gesprochen. Sie leitet das Gespräch zunächst ein: Die Frische der Komposition, die musikalische Qualität der Arabesken und der Läufe sowie der poetische Ausdruck sind das Zeichen der Genialität von Frédéric Chopin. Der Pianist: "Ich finde, es ist eine unkontrollierte Emotion – naiv würde ich nicht sagen, aber eine pure Emotion, die man nur mit jugendlichen Jahren haben kann. Als ich 21 Jahre alt war, habe ich eine Gelegenheit bekommen für eine Aufnahme mit Orchester. Und da habe ich gesagt, die Konzerte, die ich aufnehmen möchte, sind die Konzerte von Chopin, weil ich dachte, diese Emotion kann ich jetzt verstehen."

Das Verständnis des südkoreanischen Pianisten William Youn für das Werk und die schmachtende Seele Chopins ist weitreichend. Frédéric Chopin selbst war achtzehn Jahre alt bei der Vollendung seines Zweiten Klavierkonzertes. Konstanze Gladkowska, Chopins Mitschülerin am Konservatorium im Fach Gesang wurde zu seiner Herzensdame – diese Gefühle behielt er jedoch lange Zeit für sich. Lediglich seinem Freund Titus Woyciechowski vertraute der junge Frédéric sich an. In einem seiner zahlreichen Briefe an Titus schrieb er (aller guten Dinge sind drei): "Vielleicht bin ich zu meinem Unglück meinem Ideal begegnet, dem ich treu seit sechs Monaten diene, ohne ein Wort von meinen Gefühlen gesagt zu haben. Die hat mich zu dem Adagio meines Klavierkonzertes in f-Moll und heute Morgen zu dem kleinen Walzer inspiriert, den ich Dir schicke. Niemand wird etwas davon erfahren, außer Dir. Beachte die mit einem Kreuz bezeichnete Stelle. Wie schön wäre es, könnte ich es Dir vorspielen, mein geliebter Titus. Es ist unerträglich, wenn einen etwas drückt und man kann seine Last nicht absetzen: Du weißt, worauf ich anspiele. Ich erzähle am Klavier, was ich Dir ab und zu anvertraue." Das war dann die zweite Wiederholung, jetzt sollte es nicht mehr vergessen werden.

Youn sagt zu seinem Interpretationsansatz: "Ich versuche das so zu spielen, dass es meine Geschichte wäre. Das war eines seiner letzten Stücke, die er noch in Warschau geschrieben hat. Er wusste, dass da was kommt in seinem Leben – eine große Veränderung. Ich habe auch sehr viele Veränderungen erlebt in meinem Leben, und ich kenne dieses Gefühl, etwas zu erwarten. Vielleicht etwas Angst zu haben, aber sich auch darauf zu freuen. Wenn ich das Stück spiele, denke ich sehr viel nach – über die Zeit, meine ersten Jahre, die ich in Deutschland verbracht habe. Und wenn ich mich daran erinnere, dann kommen diese Gefühle von jugendlicher Zeit – Sturm und Drang. Ich finde, das sieht man sehr deutlich in Chopins Zweitem Konzert."

Vom tragischen, pessimistischen und dennoch tröstlich klingenden Thema des ersten Satzes über den emotionsgeladenen, poetischen zweiten Satz bis hin zur temperamentvollen polnischen Folklore mit dem Geist der aufblühenden nationalen Musik: Chopin legt in seinem Zweiten Klavierkonzert eine farbenreiche Gefühlspalette offen. Sehnsucht, Träumerei, die Kühnheit der jugendlichen Jahre, Schmerz und Hoffnung werden hier vereint. All das verwandelte Chopin meisterhaft in weitgeschwungene Melodiebögen und perlenden Läufe. Dabei kann über die übliche Tempobezeichnung hinweggesehen werden, um diesem Moment der Inspiration einen Raum zu geben.

"Eine Melodie wird eine Sprache – man muss das deklamatorisch verstehen", sagt William Youn über Chopins Tonwelten. "Es gibt ganz viele Ornamente, die in seiner Musik vorkommen. Und ich weiß genau, er hat eine gesangliche Passage gemeint – also nicht pianistisch in dem Sinne von Schnelligkeit. Sondern es muss gesprochen und gesungen werden. Ich habe oft Pianisten gehört, die das sehr schnell gespielt haben – sehr brillant. Das klingt dann so wie eine Etüde. Genau das wollte ich vermeiden bei meiner Aufnahme – ich wollte jedem Ton eine Bedeutung geben."

Es ist nicht die Virtuosität, die das zweite Klavierkonzert ausmacht – es ist die Emotion dahinter. Die richtige Interpretation zu finden, ist nicht einfach. Chopin schrieb seine Werke sehr schnell und vielleicht an manchen Stellen etwas ungenau. Punktangaben über den Noten, manche Pedaleinsätze oder die unterschiedlichen Phrasierungsbögen sind in Chopins Partituren nicht eindeutig definierbar. Erst ein tiefes Verständnis für Chopins Denken und Fühlen lässt die vom Komponisten gewünschte Interpretation zu. Und die kann zweideutig sein – dennoch immer richtig.

Dabei setzte Chopin nur auf die Nuancen des Klaviers. Er war radikal und kümmerte sich wenig um das Orchestrale und um die symphonischen Strukturen. Den ursprünglichen Part für das zweite Klavier schrieb der junge Komponist für ein Orchester um. Durch diese offensichtliche Vernachlässigung des Orchesters ist es für den Dirigenten nicht einfach, die subtile Verbindung dazwischen herzustellen. "Ich habe es so oft erlebt, dass die Dirigenten es nicht mögen, dieses Konzert zu spielen, weil das Orchester nicht so viele Töne zu spielen hat", sagt William Youn. "Aber es ist sehr heikel, das Klavier bei diesem Stück zu begleiten. Es ist, wie eine Oper zu dirigieren. Ich weiß, Krystian Zimerman hat das Konzert zum ersten Mal mit Carlo Maria Giulini aufgenommen. Er wollte unbedingt das Konzert mit einem Dirigenten interpretieren, der sehr viel Oper dirigiert. Und das sehe ich auch so. Ein Operndirigent muss mitsingen mit den Sängern, die auf der Bühne stehen, und beim Chopin-Konzert ist das genauso – er muss mit dem Klavier mitspielen, mitfühlen."

Und was ist William Youns Fazit über Chopins zweites Klavierkonzert? "Die Musik berührt einfach unsere Seele – vom ersten Ton bis zum Ende. Ich denke, wenn man von dieser Musik nicht berührt wird, dann muss man ein bisschen nachdenken, woran es liegt." Wenn man das alles so hört bzw. liest, dann darf man auf die Einspielung des (damals) noch sehr jungen Pianisten sehr gespannt sein.

Wenn wir das bisher Zusammengetragene zusammenfassen so wissen wir nun, dass Chopin in Liebesdingen den Frauen nicht gerade viril oder gar testosterongesättigt begegnet ist, dass er die ferne Geliebte möglicherweise auch gar nicht unbedingt gewinnen wollte, was allerdings etwas spekulativ wäre. Ähnliches ist uns jedoch auch später vom Verhältnis mit George Sand überliefert worden. Da wird er als kränkliche, eher schwächliche, mimosenhafte Erscheinung beschrieben. Schon in jungen Jahren schreibt er jedenfalls lieber Briefe an seine Freunde, als sich der vermeintlich Unerreichbaren zu offenbaren.  Auch bei seinen Konzerten hat er eher an ein kleineres Zimmer als an einen großen Konzertsaal gedacht, er schreibt die Stimme für das zweite Klavier für das Orchester um bzw. lässt die Instrumentierung möglicherweise von Freunden erledigen. Wir wissen darüber hinaus bereits, dass Chopin Flügel von Pleyel bevorzugte. Damals war er das „State-of-the-Art“-Instrument. Er klingt nicht sehr lange nach, sodass man Verzierungen und Girlanden brauchte, um ein kantables Spiel zu erreichen, bei dem die schnell verklingenden Einzeltöne sonst echte Kantabilität erschweren, ja eigentlich unmöglich machen würden. Der auch heute wieder ebenfalls gerne genommene Érard-Flügel bringt demgegenüber, je nachdem wie man es bewerten will, nur graduelle Unterschiede oder Verbesserungen. Nach Mallorca hat sich Chopin den Quellen nach einen Érard schicken lassen. Chopin selbst soll (laut Ohrenzeugen d.h. vor allem von Schülern und Schülerinnen, allen voran Frederike Müller, und „Enkelschülern“) schnelle Sätze sehr schnell gespielt haben, was bereits zum Teil in den alten Instrumenten begründet lag. Schnell verklingende Melodietöne können so einfach besser verbunden werden. Das Ideal des Spiels war der „Belcanto“, der bereits aus der italienischen Oper der Zeit bekannt war, vor allem bei Bellini. Der Wunsch der Komponisten und Pianisten war es, wer sollte es ihnen bei diesen Prämissen verdenken, möglichst „kantablere“ Instrumente zu haben, was sich die Instrumentenbauer zu Eigen machten. Die Konzertsäle wurden seitdem auch immer größer, sodass auch die Instrumente immer größer, lauter, durchdringender und brillanter werden mussten. Die Spieltechnik entwickelte sich entsprechend. In Sachen Anschlagskomfort sind die heute benutzten Flügel von Steinway, Bechstein, Bösendorfer, Fazioli oder wie sie alle heißen allesamt optimiert. Der Vollständigkeit sollten auch noch die seltener genutzen Flügel von Yamaha oder Kawai genannt werden. Meistverbreitet, zumindest in unserem Vergleich ist wohl immer noch der Steinway. Ab und an hört man auch einmal einen Bösendorfer, ganz selten mal einen Fazioli. In schnellen Sätzen (prototypisch zu hören u.a. bei Chopins „Etudes“) triumphierte so bald knallige Brillanz über warme Kantabilität. In den langsamen Sätzen (prototypisch: Chopins „Nocturnes“) hingegen blieb die Kantabilität unstrittig erhalten, bekam jedoch durch die neuen Instrumente einen gewissen kristallinen, kühlen Touch. In den beiden Konzerten sind die beiden Mittelsätze beide Nocturnes-ähnlich, also als eine Art „Nachtstücke“ zu sehen.

Mit seinem eigenen Notenbild war Chopin selbst unzufrieden: „Es bereitet mir Unbehagen meine Musik gedruckt zu sehen, kaum erkenne ich meine Gedanken wieder. Versuchen Sie (und damit war in diesem Fall seine Schülerin Frederike Müller gemeint), die Musik eher nach der Erinnerung zu spielen.“ Damals war das noch möglich, aber mittlerweile im 21. Jahrhundert angekommen, gibt es niemand mehr, der sich an Chopins eigenes Spiel erinnern könnte. Ähnlich liegt der Sachverhalt beim „Belcanto“ auch, bei dem vieles nicht notiert wurde. Seine Grammatik kann man zwar lernen wie bei einer Sprache, aber nicht die richtige Aussprache, den Ausdruck. Dazu müsste man am besten dabei gewesen sein, da wo man sie richtig beherrscht. „Texttreue“ (d.h. Notentreue) bekommt so etwas fragwürdiges, steht doch gar nicht alles drin im Text, was von Bedeutung ist. So ist es besonders wichtig, dass sich der heutige Interpret nicht nur am Text, sondern auch an den Intentionen Chopins hochgradig interessiert zeigt.

Wie beim „Belcanto“ so Hardy Rittner, Pianist und graduierter Musikwissenschaftler, in einer Sendung der Reihe „Interpretationen“ bei Deutschlandradio Kultur, gäbe es für die Pianist/innen einen gewissen Pool an Parametern, den man dazu befragen könnte. Vor allem in den Briefen, auch der Schüler und „Enkelschüler“ stünde einiges drin, was dabei hilft, so Rittner, der für den Bärenreiter-Verlag sogenannte „Urfassungen“ der Werke Chopins erarbeitet. Der „Pool“ bestünde beispielsweise aus „Rubato“, einem gesanglichen Legato und aus melodischen Hervorhebungen (nicht zu verwechseln mit „Herausmeißeln“). Alles andere solle demgegenüber eher dynamisch zurückgenommen werden.

Besonders schwierig stellt sich die Pedalisierung dar. Manchmal ist sie sehr genau und ausgiebig notiert. Oft ist nicht ein Tupfen Pedal notiert, auch da wo es sinnvoll wäre nicht. Manchmal ist es da nicht notiert, wo es die Intuition sowieso nahelegt, zu pedalisieren. Manchmal ist es aber trotzdem notiert. Da spielt dann viel Unsicherheit mit hinein. Zum Beispiel, so Rittner, müsse da das Pedal genommen werden, wo das Verschwimmen von Dissonanzen gewünscht wird. Da darf dann nicht das Gegenteil gemacht werden. Oft müsse man jedoch nach Geschmack entscheiden. Die Interpretation gehört so immanent zum Werk dazu. Bei dem f-Moll Klavierkonzert ist der Pedalgebrauch an sehr vielen Stellen notiert, aber längst nicht an allen (möglichen).

Herr Rittner spricht in der bereits angesprochenen Sendung noch das „Überlegato“ an, einem Stilmittel geeignet zur Steigerung der Gesanglichkeit. Melodietöne werden dabei länger liegen gelassen, als es die Notation vorsieht. „Trockene Töne“ waren von jeher verpönt und sind es auch heute noch. Schon C.Ph.E. Bach oder Carl Czerny wünschten sich die Töne weich und rund. Und viel melodische Kohärenz, wobei man dazu oft die Töne mit dem rechten Pedal zu verlängern hatte. Damals machte man sich Sorge, dass das Pedal den Klang verunklart, heute ist der Pedaleinsatz zwar meistens selbstverständlich, verunklaren soll er aber nicht. Dagegen stand eben damals das „Überlegato“, das die Töne sozusagen von Hand verlängert, nicht mit dem Fuß. Das hat die weitreichendsten Konsequenzen. Diese „alte“ Spielweise scheint uns von allen am deutlichsten verloren gegangen zu sein. Ob die neuen Ausgaben der „Urfassungen“ daran was ändern werden, bleibt beim gegenwärtigen Stand der Dinge noch unbeantwortet (falls es überhaupt „Urfassungen“ auch von den Klavierkonzerten geben wird, die Warschauer Chopin-Gesellschaft nutzt in neueren Aufnahmen jedoch bereits andere, überarbeitete Versionen).

Chopin spielte den Quellen nach nie auftrumpfend, man sollte bei Spiel und Auftreten seiner (Chopins) Meinung nach auf Kraftentfaltung verzichten und man solle nicht versuchen mit Fingerfertigkeit zu blenden. Darin schien er in Opposition zu Franz Liszt´s Spielideal zu stehen. Im Gegenteil: Die Technik muss bei Chopin etwas Selbstverständliches sein und stets in den Dienst der Schönheit gestellt werden. Man darf nicht als Virtuose glänzen wollen. Das Anforderungsprofil Chopins stünde so in einem gewissen Gegensatz nicht nur zu Liszt, sondern auch zu den Wettbewerbsanforderungen heutzutage. Mühelosigkeit und Leichtigkeit erscheinen so wichtiger als Kraft. Zudem gilt nach Chopin das, was letztlich immer gilt, der „Text“ muss mit Leben erfüllt werden und zwar in Abhängigkeit von Stil und Zeit. Passagenwerk darf keine Geläufigkeitsstudie sein. Immer muss man darauf achten, ob melodische Elemente darin vorhanden sind und diese zur Geltung bringen. Dann muss eine Kantilene geformt werden. Der Solist bzw. die Solistin muss immer Bravoursänger oder Primadonna sein. Wenn man die Melodie nicht ohne weiteres im Notenbild erkennt, muss sie dechiffriert werden. Da gibt es dann oft mehrere Möglichkeiten, nach eigenem Ermessen. Selbst Motivkörnchen können schon gewisse Haltepunkte bewirken, so Rittner. Ob aus der zu erwartenden Urtextausgabe der neue Standard des Chopin-Klavierspiels wird, bleibt abzuwarten. Gesendet wurde 2020. Die allermeisten Interpreten unseres Vergleiches könnten allenfalls aufgrund eigener „Ermittlungen“ zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sein, da die Diskographie bereits in den 30er Jahren beginnt und von den Weltkriegsjahren einmal abgesehen bis heute stets gewachsen ist. Allerdings wird man sich wohl nicht nur in der Freiburger Musikhochschule, wo Herr Rittner lehrt, Gedanken um das Ideal des Klavierspiels bei Chopin gemacht haben. Wir sind gespannt, was davon zu hören ist. Die Einspielungen ähneln sich manchmal, aber keine einzige wäre nicht als individuell anzusprechen.

Belcanto machte damals auch vor individueller Verzierungskunst nicht halt und Chopin war der Überlieferung nach Erfinder von verschiedenen Verzierungen. In Verbindung mit umfassenden Rubato dient sie dazu Monotonie zu vermeiden und Schönheit zu mehren. Es soll bei ihm oft geklungen haben wie improvisiert. Heute reichen Chopins Verzierungen allerdings völlig aus, selbst noch welche dazu zu erfinden wäre des Guten zu viel. Davon nehmen die Solisten unseres Vergleiches auch alle Abstand. Verzierungen müssen ruhig ausgespielt werden, obwohl es sich um kleine Notenwerte handelt, also nicht rasch. Die Verzierungen, selbst wenn man sie schneller spielen will, müssen noch kantabel klingen. Brillanz ergibt sich oft durch gestochene Artikulation im Diskant, jeder Ton stark und gleichmäßig, möglichst noch untermauert mit einem Crescendo.

Wir sehen, das wird für die mittlerweile fast zahllosen Interpreten des zweiten Klavierkonzertes gar nicht leicht, die vielen von Chopin gesetzten Messlatten zu überqueren und vor allem dann auch noch (wenn möglich) in unsere Zeit zu übersetzen. Und überfrachtet darf es sich auf keinen Fall anhören. Der Rahmen ist nun gesteckt aber: Der Grad zwischen Brillanz und Bekenntnis zum Chopinschen Understatement, zwischen Geist im Sinne von Intellekt und Gefühl aber auch von Poesie und Pathos ist schmal. Und außerdem letzten Endes subjektiv verschieden.

 

(Unsere Partitur ist von Breitkopf und Härtel (damals noch VEB in Leipzig) und stammt von 1986)

 

zusammengestellt bis zum 3.12.2024

 

 

 

 

Links: Chopin in polnischer Nationaltracht, ein Bild unbekannten Datums. In jedem Fall deutlich früher entstanden als das rechte. (Bibliothèque national de France)

Rechts: Chopin um 1849, Fotoporträt von Louis-Auguste Bisson. Das Bild gilt als das letzte, das vom Komponisten erhalten ist.

 

 

 

Überblick über die zu Vergleichzwecken gehörten Einspielungen:

 

Zuerst die Stereoeinspielungen (110 Aufnahmen)

dann Einspielungen mit historischem Instrumentarium (9 Aufnahmen)

und zuletzt die alten Einspielungen in Mono-Technik (23 Aufnahmen)

 

Die Rezensionen folgen wie üblich im Anschluss!

 

 

Die Stereo-Einspielungen:

 

5

Krystian Zimerman

als Pianist und Dirigent in Personalunion

Polish Festival Orchestra

DG

1999

15:33 11:03 8:59  35:35

 

5

Daniil Trifonov

Mikhail Pletnev

Mahler Chamber Orchestra

DG

2017

15:34 10:18 8:40  34:32

 

5

Samson François

Louis Frémaux

Orchestre National de l`Opéra de Monte-Carlo

EMI

1965

13:43 8:14 9:02  30:59

 

5

Krystian Zimerman

Carlo Maria Giulini

Los Angeles Philharmonic Orchestra

DG

1979

14:02 9:04 8:22  31:28

 

5

Ingrid Fliter

Jun Märkl

Scottish Chamber Orchestra

Linn

2013

14:56 9:20 8:45 33:01

 

5

Martha Argerich

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

EMI

1998

13:34 8:46 8:21  30:41

 

5

Louis Lortie

Neeme Järvi

Philharmonia Orchestra London

Chandos

1991

14:16 9:06 8:25  31:47

 

5

Stanislav Bunin

Franz Welser-Möst

London Philharmonic Orchestra

EMI

1995, live

14:24 9:23 8:03  31:50

 

5

Alexei Volodin

Stanislaw Skrowaczewski

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR, unveröffentlicht

2012, live

13:30 9:31 7:28  30:29

 

5

Benjamin Grosvenor

Elim Chan

Royal Scottish National Orchestra

Decca

2019

14:02 9:04 8:26  31:32

 

5

Artur Rubinstein

Alfred Wallenstein

Symphony of the Air

RCA

1958

13:15 8:33 8:03  29:51

 

5

Janina Fialkowska

Bramwell Toway

Vancouver Symphony Orchestra

Atma

2010, live

13:35 8:15 8:15  30:05

 

5

Pawel Kowalski

Tadeusz Wojciechowski

Chopin Academia Orchestra

Dux, LMM

2005

12:59 8:51 8:06  29:56

 

5

Olga Scheps

Martin Foremny

Stuttgarter Kammerorchester

RCA

2013

15:05 10:15 8:44  34:04

 

 

 

 

4-5

Claudio Arrau

Eliahu Inbal

London Philharmonic Orchestra

Philips

1970

14:40 10:05 9:08  33:53

 

4-5

Rafal Blechacz

Jerzy Semkow

Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam

DG

2009, live

14:32 9:54 8:45  33:11

 

4-5

Christian Zacharias

als Pianist und Dirigent in Personalunion

Orchestre de Chambre de Lausanne

MDG

2003

13:42 8:29 8:46  30:57

 

4-5

Elisabetha Leonskaja

Vladimir Ashkenazy

Tschechische Philharmonie, Prag

Teldec, Warner

1998, live

14:02 9:44 8:23  32:09

 

4-5

Khatia Buniatishvili

Paavo Järvi

Orchestre de Paris

Sony

2011

13:08 8:49 7:30  29:27

 

4-5

Artur Rubinstein

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

RCA

1968

14:19 9:11 8:32  32:02

 

4-5

Artur Rubinstein

Witold Rowicki

Warschauer Philharmoniker

Accord, Altara, Muza

1960, live

12:17 8:51 7:59  29:07

 

4-5

Khatia Buniatishvili

Ariel Zukerman

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern

SR oder SWR, das ist hier die Frage, unveröffentlicht

2011, live

13:11 8:28 7:26  29:05

 

4-5

Yu Kosuge

Philippe Herreweghe

Camerata Salzburg

ORF, unveröffentlicht

2010, live

14:54 10:00 8:42  33:36

 

4-5

Bella Davidovich

Neville Marriner

London Symphony Orchestra

Philips

1982

14:37 9:34 8:41  32:52

 

4-5

Martin Garcia Garcia

Andrey Boreyko

Warschauer Philharmoniker

NIFC

2021, live

14:32 9:15  8:17  32:04

 

4-5

Maurizio Pollini

Claudio Abbado

Wiener Philharmoniker

ORF

1973, live und unveröffentlicht

13:33 9:01 7:44  30:18

 

4-5

Nikolai Tokarev

Tugan Sokhiev

Deutsches Sinfonieorchester, Berlin

RBB, unveröffentlicht

2011, live

13:09 8:20 7:01  28:30

 

4-5

Boris Beresowski

John Nelson

Ensemble Orchestral de Paris

Mirare

2007

13:24 7:53 7:50  29:07

 

4-5

Maria Joao Pires

André Previn

Royal Philharmonic Orchestra, London

DG

1992

14:28 9:09 8:44  32:21

 

4-5

Annerose Schmidt

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Berlin Classics, Eterna

1982

13:37 9:43 8:04  31:24

 

4-5

Charles Richard-Hamelin

Kent Nagano

Orchestre Symphonique de Montréal

Analekta

2018

15:06 10:08 8:42  33:56

 

4-5

Jan Milosz Lisiecki

Alondra de la Parra

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

Deutschlandfunk, unveröffentlicht

2019, live

13:55 8:44 7:56  30:35

 

4-5

Gina Bachauer

Antal Dorati

London Symphony Orchestra

Mercury

1964

14:32 9:01 8:11  31:44

 

4-5

Andras Schiff

Antal Dorati

Concergebouw Orchestra, Amsterdam

Decca

1985

14:49 9:09 9:29  33:27

 

4-5

Janusz Olejniczak

Gregorz Novak

Sinfonia Varsovia

Accord

2011

14:44 9:59 8:33  33:16

 

4-5

Ewa Kupiec

Stanislaw Skrowaczewski

Radio-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio Philharmonie)

Oehms

2003

14:36 9:26 8:31  32:33

 

4-5

Abbey Simon

Heribert Beissel

Hamburger Symphoniker

Vox

1973

13:33 8:32 7:56  30:01

 

4-5

Ewa Kupiec

Heribert Beissel

Brandenburgisches Staatsorchester, Frankfurt (Oder)

RBB

2002, live und unveröffentlicht

14:33 9:03 8:18  31:54

 

4-5

Murray Perahia

Zubin Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1989, live

13:08 8:19 7:39  29:06

 

4-5

Martha Argerich

Mstislaw Rostropowitsch

National Symphony Orchestra of Washington

DG

1978

13:53 8:45 7:53  30:31

 

4-5

Ewa Kupiec

Sebastian Lang-Lessing

Tasmanian Symphony Orchestra

ABC (Australian Broadcasting Corporation)

2011

14:58 9:58 8:44  33:40

 

4-5

Ekatarina Litvinseva

Vahan Mardirossian

Czech Philharmonic Chamber Orchestra, Paradubice

Piano Classics, Brillant Classics

2023

14:14 8:57 9:03  32:14

 

4-5

Clara Haskil

Igor Markevitch

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

Philips

1960

13:44 8:49 8:40  31:13

 

4-5

Jewgeni Kissin

Dmitri Kitajenko

Moskauer Philharmoniker

Melodija

1984, live

13:04 7:39 7:39  28:22

 

4-5

Shura Cherkassky

Richard Hickox

BBC Symphony Orchestra, London

Ica Classics

1983, live

13:50 9:00 8:31  31:21

 

4-5

Tamas Vasary

in Personalunion Pianist und Dirigent

Northern Sinfonia of England

ASV

1982

14:01 8:57 7:58  30:56

 

4-5

Adam Harasiewicz

Kazimierz Kord

Warschauer Philharmoniker

Capriole

1979

13:15 8:24 8:02  29:41

 

4-5

Jan Simon

Jiri Belohlavek

Prague Philharmonia

Clarton, Supraphon

1997

14:06 8:44 8:28  31:18

 

4-5

Pietro de Maria

Daniele Rustioni

Orchestra della Toscana

Dynamic

2021

15:15 9:57 9:21  34:33

 

4-5

Nelson Freire

Lionel Bringuier

Gürzenich Orchester Köln

Decca

2013, live

13:17 8:15 8:00  29:32

 

4-5

Kun Woo Paik

Antoni Wit

Warschauer Philharmoniker

Decca

2003

15:25 10:34 8:41  34:40

 

4-5

Reine Gianoli

Georges Sébastian

Orchester des Südwestfunks Baden-Baden

Adès, Musidisc, Decca

1965

15:33 10:04 9:13  34:50

 

4-5

Laure Favre-Kahn

Grzegorz Novak

Orchestre de Bretagne

Transart

2007, live

13:26 8:32 8:14  30:12

 

4-5

Janne Mertanen

Hannu Koivula

Joensuu City Orchestra

Alba

2007

14:06 9:36 7:58  31:40

 

4-5

Szymon Nehring

Jurek Dybal

Sinfonietta Cracovia

Dux

2016

14:38 9:49 8:57  33:24

 

4-5

Michie Koyama

Jacek Kaspszyk

Sinfonia Varsovia

Sony

2009

14:36  9:48 8:45  33:09

 

4-5

Bruno Rigutto

Erich Bergel

Budapester Philharmoniker

Denon

1992

14:03 9:24 8:25  31:52

 

4-5

Nicolai Lugansky

Alexander Vedernikov

Sinfonia Varsovia

Naive

2013

14:10 10:10 8:07  32:27

 

4-5

Ivo Pogorelich

Claudio Abbado

Chicago Symphony Orchestra

DG

1982

13:46 10:01 7:25  31:12

 

 

 

 

4

Vladimir Ashkenazy

David Zinman

London Symphony Orchestra

Decca

1965

13:37 9:05 8:14  30:56

 

4

Artur Rubinstein

André Previn

London Symphony Orchestra

ZDF, Arte, C-Major

1975

14:24 9:11 9:05  32:40

 

4

Adam Harasiewicz

Heinrich Hollreiser

Wiener Symphoniker

Philips

1958

14:03 9:36 8:29  32:08

 

4

Yundi

als Pianist und Dirigent in Persoalunion

Warschauer Philharmoniker

Warner

2019

13:50 9:08 8:17  31:15

 

4

Charles Rosen

John Pritchard

New Philharmonia Orchestra, London

CBS-Sony

1966

14:05 9:31 8:19  31:44

 

4

Jan Milosz Lisiecki

Howard Shelley

Sinfonia Varsovia

NIFC

2008, live

14:06  9:35 8:04  31:45

 

4

Eugen Indjic

Kazimierz Kord

Warschauer Philharmoniker

Claves

1989

13:51 9:13 8:11  31:15

 

4

Cyprien Katsaris

Edvard Tchivzhel

Oueensland Symphony Orchestra

Piano 21

2010, live

12:46 8:37 8:07  29:27

 

4

Abdel Rahman El Bacha

Stefan Sanderling

Orchestre de Bretagne

Forlane

2003

14:00 8:22 8:27  30:49

 

4

Nikolai Demidenko

Heinrich Schiff

Philharmonia Orchestra, London

Hyperion

1993

14:10 9:00 8:13  31:23

 

4

Anna Malikova

Julian Kovatchev

Orchestra Filarmonica di Torino

RS, Channel Records

2009

14:13 9:11 8:44  32:08

 

4

Yukio Yokoyama

Naoto Otomo

Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra

Sony

2022, live

13:13 8:52 8:06  30:11

 

4

Emanuel Ax

Semyon Bychkov

Sinfonieorchester des BR

BR

2008, live und unveröffentlicht

14:41 9:00 8:22  32:03

 

4

Rafael Orozco

Edo de Waart

Rotterdamer Philharmoniker

Philips

1975

14:27 9:42 8:13  32:22

 

4

Ekaterina Litvinseva

Heribert Beissel

Klassische Philharmonie Bonn

Hänssler

2016, live

15:04 9:36 9:10  33:50

 

4

Cecile Licad

André Previn

London Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1984

14:27 9:36 8:47  32:50

 

4

Seong Jin Cho

Gianandrea Noseda

London Symphony Orchestra

DG

2021

14:16 8:49 8:21  31:16

 

4

Alexander Gadjiev

Andrey Boreyko

Warschauer Philharmoniker

NIFC

2021, live

14:27 8:52 8:16  31:35

 

4

Nicolai Tokarev

Olari Elts

Luzerner Sinfonieorchester

Sony

2008, live

13:37 8:58 7:36  30:11

 

4

William Youn

Friedemann Riehle

Nürnberger Symphoniker

Ars

2004

13:55 9:32 8:48  32:18

 

4

Garrick Ohlsson

Krzystof Urbanski

Orchestra della Svizzera Italiana

2022

RTI, gesendet vom HR, live und unveröffentlicht

15:22 9:40 9:09  34:11

 

4

Sa Chen

Lawrence Foster

Gulbenkian Orchester, Lissabon

Pentatone

2008

14:47 9:36 8:49  33:12

 

4

Noboyki Tsujii

Vladimir Ashkenazy

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

Avex

P 2018, live

13:40 8:35 7:59  30:14

 

4

Garrick Ohlsson

Jerzy Maksimiuk

Polnisches Radio-Sinfonieorchester Kattowitz

EMI

1975

13:50 9:26 8:16  31:32

 

4

Ingolf Wunder

Jacek Kaspszyk

Warschauer Philharmoniker

DG

2015

14:40 8:22 9:13  32:15

 

4

Alicia de Larrocha

Sergiu Comissiona

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1971

15:18 9:33 8:41  33:22

 

4

Jorge Bolet

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1989

14:24 9:07 9:23  32:54

 

4

François-René Dûchable

Michel Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1997

13:14 10:43 7:58  31:55

 

4

Alexis Weissenberg

Stanislaw Skrowaczewski

Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)

EMI

1967

14:58 10:49 8:42  34:29

 

 

 

 

3-4

Emanuel Ax

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

RCA

1980

14:54 9:17 8:42  32:53

 

3-4

Támas Vásáry

János Kulka

Berliner Philharmoniker

DG

1963

14:55 9:38 8:40  33:13

 

3-4

Lang Lang

Zubin Mehta

Wiener Philharmoniker

DG

2008

14:15 9:40 8:45  32:40

 

3-4

Stefan Askenase

Leopold Ludwig

Berliner Philharmoniker

DG

1962

15:44 10:07 8:59  34:51

 

3-4

Istvan Szekely

Gyula Nemeth

Budapester Sinfonieorchster

1988

Naxos

13:58 8:56 8:03  30:57

 

3-4

Jean-Yves Thibaudet

Valery Gergiev

Rotterdamer Philharmoniker

Decca

1999

14:22 9:48 8:08  32:18

 

3-4

Paolo Giacometti

Arie van Beeck

Rotterdam Young Philharmonic Orchestra

Brilliant Classics

1998

13:48 10:07 8:23  32:18

 

3-4

Eldar Nebolsin

Antoni Wit

Warschauer Philharmoniker

Naxos

2009

13:56 8:05 8:32  30:33

 

3-4

André Watts

Thomas Schippers

New York Philharmonic

CBS-Sony

1965

14:19 9:46 8:16  32:21

 

3-4

Alexander Madzar

Dmitri Kitaenko

Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR Sinfonieorchester)

BMG

1992

14:45 9:26 8:58  33:04

 

3-4

Mari Kodama

Kent Nagano

Russian National Orchestra

Pentatone

2003

14:02 9:07 8:33  31:42

 

3-4

Maria Joao Pires

Armin Jordan

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Erato

1977

14:57 9:23 8:58  33:18

 

3-4

Bianca Sitzius

Woyciech Rajski

Polnische Kammerphilharmonie Sopot

Mediaphon

1994

12:56 9:31 7:58  30:25

 

3-4

Arthur Moreira Lima

Witold Rowicki

Warschauer Philharmoniker

NIFC

1965, live

12:17 8:16 7:35  28:08

 

3-4

Allessandro de Luca

Dsansug Kachidze

Sinfonieorchester Tiflis

HDC

vor 2002

13:37 9:21 8:10  31:08

 

 

 

 

3

Daniel Barenboim

Andris Nelsons

Staatskapelle Berlin

DG

2010, live

14:07 8:50 8:40  31:37

 

3

Idil Biret

Robert Stankowski

Tschechoslowakisches Philharmonisches Orchester Kosice

Naxos

1991

14:06 9:21 8:30  31:57

 

3

Frantisek Rauch

Vaclav Smetacek

Prager Symphoniker

Supraphon

1964

14:33 9:37 8:33  32:42

 

3

Lise de la Salle

Fabio Luisi

Staatskapelle Dresden

Naive

2009

15:23 11:33 8:24  35:20

 

3

Ekaterina Mechetina

Yuri Simonov

Moskauer Philharmoniker

Melodija

2021

15:19 9:44 8:20  33:33

 

 

Einspielungen mit Originalinstrumenten wie sie zur Zeit der Komposition gebräuchlich waren:

 

5

Denis Pascal

François-Xavier Roth

Les Siècles

Polymnie

2005

13:13 7:53 7:57  29:07

 

5

Emanuel Ax

Charles Mackerras

Orchestra oft he Age of Enlightenment

1997

Sony

14:10 9:09 8:06  31:25

 

5

Janusz Olejniczak

Christoph Spering

Das Neue Orchester

Opus 111

1999

14:50 9:41 8:41  33:12

 

5

Yulianna Avdeeva (mitunter auch Awdejewa geschrieben)

Frans Brüggen

Orchestra of the 18. Century

NIFC

2012, live

14:54 9:11 8:42  32:47

 

5

Dang Thai Son

Frans Brüggen

Orchestra of the 18. Century

NIFC

2006, live

14:26 8:56 8:06  31:28

 

 

 

4-5

Janusz Olejniczak

Frans Brüggen

Orchestra oft he 18. Century

NIFC

2010, live

14:15 9:24 8:20  31:59

 

4-5

Yulianna Avdeeva

Jacek Kaspscyk

Orchestra of the Age of Enlighenment

2011

Polnischer Rundfunk, gesendet vom MDR, live und unveröffentlicht

15:15 8:41 8:25  32:21

 

 

 

4

Yulianna Avdeeva

Jakob Lehmann

Orchester des 18. Jahrhunderts

Deutschlandfunk

2023, live und unveröffentlicht

14:54 8:37 8:45  32:16

 

 

 

3-4

Margarita Höhenrieder

Martin Haselböck

Orchester Wiener Akademie

Solo Musica

2022

13:26 8:43 8:55  31:04

 

 

Einspielungen in historischem Mono-Klang:

 

5

Claudio Arrau

Eugen Jochum

RIAS Sinfonieorchester Berlin

NAR, Hunt

1954, live

13:44 9:58 7:53  31:35

 

5

Samson Francois

Paul Kletzki

Orchestre National de la Radiodiffusion Française (heute: Orchestre National de France)

EMI

1958

12:46 8:29 8:53  30:08

 

5

Alfred Cortot

John Barbirolli

ein Orchester

EMI

1935

13:36 8:50 8:12  30:38

 

5

Józef Hofmann

John Barbirolli

New York Philharmonic Orchestra

Urania

1936, live

11:50 8:33 7:32  27:55

 

 

 

 

4-5

Julian von Karoly

Leo Blech

RIAS Sinfonieorchester Berlin

Audite

1950, live

13:15 8:13 7:39  29:07

 

4-5

Claudio Arrau

Fritz Busch

New York Philharmonic Orchestra

Urania, Grandi Interpreti

1950, live

13:19 9:01 8:03  30:23

 

4-5

Claudio Arrau

George Szell

New York Philharmonic Orchestra

Urania, West Hill Radio Archives

1955, live

13:32 9:23 7:50  30:45

 

4-5

Vladimir Ashkenazy

Arvid Jansons

St. Petersburg Academic Symphony Orchestra

Artemisia

1960, live

13:38 8:49 7:32  29:59

 

4-5

Vladimir Ashkenazy

Zdzislaw Górzynski

Warschauer Philharmoniker

Heliodor-DG als Übernahme von ARS Polonia, Urania, Testament

1955, live

11:44 8:46 7:00  27:30

 

4-5

Artur Rubinstein

Carlo Maria Giulini

Philharmonia Orchestra London

NAR, Replica, BBC Music

1960 oder 1961

11:44 8:29 8:09  28:22

 

4-5

Nikita Magaloff

Hans Rosbaud

Südwestfunk-Orchester Baden-Baden (Orchester inzwischen zwangsfusioniert mit dem RSO Stuttgart zum SWR-Sinfonieorchester)

SWR-Classic

1951

13:39 9:29 7:33  30:41

 

4-5

Paul Badura-Skoda

Artur Rodzinski

Orchester der Wiener Staatoper

Westminster, Music and Arts

1954

12:18 9:15 8:00  29:33

 

4-5

Alexander Brailowsky

Charles Munch

Boston Symphony Orchestra

RCA

1954

12:01 8:28 8:26  28:55

 

4-5

Guiomar Novaes

Otto Klemperer

Wiener Symphoniker

Vox

1951

14:12 9:09 8:33  31:54

 

 

 

 

 

4

Artur Rubinstein

William Steinberg

NBC Symphony Orchestra

RCA, Naxos

1946

12:20 8:02 7:42  28:04

 

4

Branka Musulin

Otto Matzerath

Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks (heute: HR-Sinfonieorchester)

HR

1955, live und unveröffentlicht

12:48 8:42 7:33  29:03

 

 

 

 

3-4

Maurizio Pollini

Mario Rossi

Orchestra Sinfonica di Milano della RAI

Hunt, Classical Music Reference Recording

1968, live

12:49 7:53 7:43  28:28

 

3-4

Fou Ts´ong

Peter Maag

London Symphony Orchestra

Westminster, MCA, Universal, Decca

1962

13:56 9:44 8:46  32:26

 

3-4

Orazio Frugoni

Michael Gielen

Orchester der Wiener Volksoper

Vox, Legends, Jube Classic

P 1959

12:59 7:20 7:32  27:51

 

3-4

Branka Musulin

Hans Müller-Kray

Südfunk-Sinfonieorchester Stuttgart (heute SWR-Sinfonieorchester)

SWR Classic Archive, Musidisc, Vergara, Nixa

1957

14:17 10:13 8:23  32:53

 

 

 

 

3

Ellen Ballon

Ernest Ansermet

London Symphony Orchestra

Decca

1950

11:50 8:10 7:32  27:32

 

3

Artur Rubinstein

John Barbirolli

London Symphony Orchestra

EMI, heute Warner

1931

10:50 8:02 7:26  26:18

 

3

Alfred Cortot

Willem Mengelberg

Grand Orchestre de la Radio Paris

Malibran, YouTube

1944

13:38 8:25 8:07  29:50

 

 

 

Vergleichende Rezensionen:

 

Die Stero-Einspielungen:

 

5

Krystian Zimerman

als Pianist und Dirigent in Personalunion

Polish Festival Orchestra

DG

1999

15:33 11:03 8:59  35:35

Diese zweite Einspielung Krystian Zimermans, unterdessen 43 Jahre jung, entstand anlässlich des 150. Todestags des Komponisten mit einem eigens zusammengestellten, sozusagen handverlesenen Orchester mit dem ordentlich geprobt werden konnte. Auf der anschließend anberaumten Tournee konnte man dann musikalisch weiter zusammenwachsen. Das gemeinsame Projekt wurde dann mit der Aufnahme der beiden Klavierkonzerte abgeschlossen und gekrönt, also nicht wie inzwischen oft praktiziert mit der Aufnahme begonnen, damit bei der anschließenden Tournee bereits Tonträger promotet und verkauft werden können.

Im Vergleich zur ersten Einspielung für die DG, bei der der Pianist noch auf die Unterstützung eines opernerfahrenen Dirigenten (Carlo Maria Giulini) wert legte, fällt sofort die längere Spieldauer bei allen drei Sätzen auf. Dass damit ein Spannungsabfall einhergehen würde lässt sich indes nicht behaupten. Im Gegenteil. Schon der Dirigent Zimerman geht differenzierter auf die Themen und Motive in der Orchestereinleitung ein. Mannigfache Tempomodifikationen sind die Folge. Schon jetzt bemerkt man, dass die Agogik und das Rubato mehr als nur aufgesetzter Tand für Herrn Zimerman sind, er lebt beides ziemlich exzessiv aus. Dass ihm beides nach weiteren 20 Jahren Erfahrung mit dem Werk, die zwischen den beiden Einspielungen vergangen sind, einfach so eingefallen sein könnte, kommt einem zu keiner Sekunde in den Sinn. Kein einziges Rubato kam uns unmotiviert vor. Aber seit diese Einspielung auf dem Markt erschienen ist, sind sich die mehr oder weniger gelehrten Hörer(innen) über ihren Wert uneins. Diese Einspielung wurde also stets ziemlich kontrovers diskutiert. Und dabei hat Herr Zimerman bis hierhin nur dirigiert und noch nicht einmal angefangen Klavier zu spielen.

Der Klang seines Steinways ist einer der herausragenden unseres Vergleiches. Sonor, tiefgreifend und brillant. Dank einer bestechenden Anschlagskultur und natürlich dank der exzellenten Klangqualität der Aufnahme. Man sagt, dass der Pianist stets seinen eigenen Flügel verwendet. In der extrem nuancierten Phrasierung zeigt sich auch der Pianist Zimerman als „König des Rubato“. Sagt man nicht ähnliches von Chopin selbst? Es ist bei ihm kein Privileg des langsamen Satzes, bereits der erste profitiert davon. Allerdings wird die auf die Spitze getriebene Differenzierungskunst zudem noch mit pianistischer Kraft, ja Grandezza geadelt, die man dem Komponisten selbst nicht unbedingt nachsagte. Diese Grandezza wird jedoch nie als Selbstzweck empfunden, sondern als Teil der erforderlichen Musikalität, die es erst möglich macht, das Werk gänzlich zu durchdringen. Das bestens eingestellte Orchester braucht diese beste Präparierung, um dem Gesamtbild keinen Schaden zuzufügen. Obwohl sich Herr Zimerman auf Spielen und Dirigieren konzentrieren muss, erscheint keines von beiden vernachlässigt vielmehr auf allerhöchstem Niveau. Das Orchester spielt wie der Pianist ausgesprochen flexibel, kraftvoll und besonders klangschön.

Dem gegenüber wirkt die Einspielung von 1979 fast schlicht und ein wenig glatt. Die Freiheit des Vortrags hat deutlich gewonnen. Allein der erste Satz zeigt über den repräsentativen Anspruch, den der erste Satz ebenfalls zu erfüllen hat („Maestoso“), den ganzen Aufruhr des inneren Erlebens, genauso wie die fatale Situation des bedrohten Heimatlandes Polen (besonders im prononcierten Blech).

Der Hörer befindet sich demgemäß auf einer Achterbahn der Tempomodifikationen und sieht sich gleichermaßen einer Tour de Force in der Dynamik ausgesetzt. Das erwartet man von dem Stück nicht unbedingt und das verträgt vielleicht nicht jede(r). Danach müsste man eigentlich erst mal durchatmen.

Es folgt aber sogleich der zweite Satz, das Larghetto. Ihn lässt das sehr langsame Grundtempo durchaus trauriger als üblich erscheinen. Und schmerzgepeinigter, wenn man das äußerst expressiv gespielte Klavier nimmt. Das Tempo macht jedoch auch die besonders klar gespielten Arabesken und Läufe besonders leicht fasslich. Rubato und fein ausgespielte Agogik gibt es ganz besonders auch im zweiten Satz. Dies macht ihn besonders erlebnisreich und erfüllt ihn mit Leben. Geschärft ausgespielte Details sind beim Orchester ebenfalls keine Seltenheit. Dies ist, besonders im „Recitativo“, so wollen wir einmal den besonders schmerzgepeinigten Mittelteil des Larghetto nennen, der Fall. Dies ist auch eine dynamisch enorm geweitete Lesart, viel flexibler als 1979 mit Giulini, die dagegen fast schon starr wirkt. Wir sehen das auch nicht kontrovers, wir sind restlos begeistert. Ganz weit weg vom Mainstream, das sehen wir allerdings auch.

3. Satz: Allegro vivace. Schwebender Beginn, sagenhafte Liebe zum Detail, eher wenig lieblich, stattdessen hören wir Aufbegehren und Attacke. Mit enthusiastischem Schwung und gedanklicher Schärfe. „Sprechende“ Bläsereinwürfe. Ein sprudelnder und „verrückter“ Satz. Wechselhaft, toll. Insgesamt grandios einfallsreich verbunden mit blendender Pianistik. Man fragt sich vielleicht, warum dieser Ansatz nicht häufiger mal nachgeahmt wurde, sind ja immerhin schon 25 Jahre her. Ohne die Vorbereitungszeit wird das wohl schwer und so genial und zugleich gewissenhaft und zugleich polnisch kann das wahrscheinlich auch kaum jemand.

Ein Glück kommt zur genialen Spielweise auch noch eine geniale Aufnahmequalität. Sie übertrifft die ohnehin schon gelungene analoge Aufnahme von 1979. Das Orchester klingt erheblich dynamischer und agiler, transparenter und räumlicher. Der Flügel ist ebenfalls noch dynamischer aufgenommen und wirkt nochmals brillanter. Exzellenter, farbiger Gesamtklang.

 

 

5

Daniil Trifonov

Mikhail Pletnev

Mahler Chamber Orchestra

DG

2017

15:34 10:18 8:40  34:32

Während Krystian Zimerman den renommierten Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau gewinnen konnte (das war 1975), reichte es für Daniil Trifonov 2010 nur zu einer Bronzemedaille. Damals musste er Julianna Avdeeva Gold überlassen und Silber ging gleich an zwei Pianisten: Lukas Genuisas und Ingolf Wunder. Das hat ihn aber anscheinend nicht deprimiert, denn 2011 gewann er dann sowohl den Artur-Rubinstein-Wettbewerb in Israel als auch den Tschaikowsky-Klavierwettbewerb in Moskau. Seine Karriere war dermaßen vorgezeichnet nicht mehr aufzuhalten. Während die Gewinner in Warschau mitunter zeitlebens als Chopin-Spezialisten gelten und entsprechend ihre Konzerte und Aufnahmen programmieren, ist das bei Herrn Trifonov anscheinend nicht unbedingt der Fall. Während er beim Chopin-Wettbewerb erst 19 Jahre jung war, kam er zur Zeit der Aufnahme immerhin schon auf 26. Die Einspielung ist aber nicht nur wegen des Pianisten von besonderer Bedeutung, es wurde auch zum ersten Mal die neue Instrumentation von Mikhail Pletnev auf Festplatte bzw. CD gebannt. Versuche zur Verbesserung der angeblich „minderwertigen“ Instrumentation Chopins (falls sie überhaupt von ihm sein sollte) gab es schon viele. Diese ist eine der gelungeneren, sodass es sich lohnt näher darauf einzugehen. In Summe klingt sie allerdings fast wie früher Rachmaninoff, was wir gar nicht bewerten wollen. Sie schadet dem Konzert aber eigentlich nicht. Unser Fazit lautet jedoch wie bei den anderen Neuinstrumentierungen auch: das Original ist lange nicht so schlecht wie es immer gemacht wird und immer noch die Beste, wenn man sie gebührend ausreizt.

Daniil Trifonov meint zur neuen Orchestrierung: „Das Original von Chopin ist mehr ein Klavierstück mit Orchesterbegleitung als ein wirkliches Klavierkonzert, in dem der Solist in einen Dialog tritt mit dem Orchester. Das ist in Michael Pletnevs Fassung anders. Im zweiten Konzert hören Sie den Unterschied sofort. Da wird das erste Thema ganz zu Beginn von einer Klarinette gespielt statt von den Streichern. Im Original beginnen die Geigen ohne harmonische Unterstützung, das ist merkwürdig. Ich finde, die Farbe der Klarinette passt besser. Das klingt nostalgischer, und es gewinnt auch eine besondere Intimität. Ansonsten haben sich viele Details geändert. Oft haben die Streicher im Original, während das Klavier Figuren spielt, sehr lange Noten zu halten bis zum nächsten Harmoniewechsel. In Pletnews Version ist mehr Leben im Orchester, es gibt mehr Interaktion mit dem Solisten. Das Orchester wird eine eigene Stimme in der musikalischen Entwicklung.“ Die Fassung wurde übrigens nicht eigens für diese CD erstellt, Trifonov hat sie bereits 2012 gespielt. Der Klavierpart, das noch zur Vollständigkeit, bleibt unverändert.

Die Herren Trifonov und Pletnew wählen ähnlich wie Krystian Zimermann 18 Jahre zuvor moderate Tempi. Genau wie bei Herrn Zimerman wird sehr flexibel gespielt. Die neue Version wirkt in jedem Fall kammermusikalischer, prägnanter und farbiger (ähnlich beim frühen Rachmaninoff, z.B. in dessen erstem Klavierkonzert). Das Orchester spielt sie empathisch. Eine Attraktion ist jedoch erneut der nahezu vollkommene, superklare Anschlag des Pianisten, dem nicht weichliches anhaftet, der aber auch keine Härte kennt. Die Technik ist wie bei Zimerman herausragend. Er ist des vollkommenen Belcantos fähig. Der Pedalgebrauch ist behutsam. Es gibt lange Spannungsbögen zu hören, wo bei anderen Pianist/innen leeres Geklimper vorherrscht. Trifonov kann das ganze Bouquet an Stimmungen vermitteln und weiß erfüllt darüber zu erzählen wo andere schon lange nichts mehr zu sagen haben.

Auch beim Larghetto gehört diese Einspielung zu den langsamen. Es beginnt lieblich, sanft, fast entrückt, zart und melancholisch. Im „Recitativo“ werden die Bässe nun stark aber nicht kraftmeierisch hervorgeholt. Das wirkt besonders „schicksalsschwer“. Das Tremolo des MCO wirkt überraschend dazu zurückhaltend. Trifonovs Spiel wirkt durch die weidlich genutzte Agogik fast improvisatorisch, gerade bei den Skalen werden die Zeitmaße oft stark gedehnt, jedoch immer einleuchtend und gefühlvoll. Also passend zur Intention der Musik und nicht aufgesetzt. Es erscheint selbstverständlich, dass die Version „Zimerman 1999“ mindestens bekannt war. Alles wirkt gestaltet jedoch ohne didaktischen Zeigefinger.

Das Allegro vivace lässt uns Klavierspiel nahe der Vollendung hören (eigentlich ist es bereits vollendet, warum denkt man immer, die Vollendung wäre unerreichbar?): sehr flexibel, tänzerisch, beschwingt, pointiert, sogar witzig. Auch der Nationalcharakter wird nicht vergessen, das Blech und auch das Holz ganz vortrefflich zum Einsatz gebracht. Und natürlich immer wieder die Bässe. Man verrät nicht zu viel, wenn man behauptet, dass entweder der Dirigent, der Techniker oder der Produzent sehr bassaffin zu sein scheint. Vielleicht auch alle drei? Die Orchestrierung wirkt tatsächlich aufgewertet. Klavier und Orchester sind eng verzahnt, bilden aber nicht so eine verschworene Einheit wie bei Zimerman 1999.

Der Klang der Aufnahme wirkt ebenfalls sehr gelungen. Er ist sehr transparent, voll, farbig, offen, sehr gut in die Tiefe gestaffelt und in die Breite aufgefächert und besonders körperhaft. Der Klang der Bässe fällt auf, da er stark hervortritt. Ein oft viel zu weit zurückgedrängte Spezies innerhalb des Orchesterklangs. Hier kann man genau verfolgen, was sich im Frequenzkeller abspielt. Das Klavier klingt ganz hervorragend (kann Zimermann 1999 Paroli bieten), ebenfalls farbig, sonor und brillant. Dynamisch und leuchtend. Wer sich an der nicht originalen Orchestrierung nicht stört findet hier eine aus der Masse herausragende Top-Einspielung. Und wer Chopin gerne einmal mit Rachmaninoff kombiniert hören möchte, der kommt voll auf seine „Kosten“.

 

 

5

Samson François

Louis Frémaux

Orchestre National de l`Opéra de Monte-Carlo

EMI

1965

13:43 8:14 9:02  30:59

Diese Aufnahme stammt aus dem Salle de l´Alcazar in Monte Carlo. Monsieur François wurde von Alfred Cortot entdeckt und fand Beethoven-Sonaten langweilig. Seine Einspielungen gelten in ihrer Qualität als äußert unterschiedlich. Das zweite Klavierkonzert lag uns von ihm gespielt auch noch in einer Einspielung von 1958 (leider noch monaural eingespielt) mit Paul Kletzki am Pult vor. Auf diese sieben Jahre ältere Aufnahme müssen wir aus klanglichen Gründen bei der in diesem Vergleich wieder einmal eingeführten Gruppe, die den historischen Einspielungen vorbehalten ist, zurückkommen. Die Stereo-Einspielung gefällt uns jedoch auch künstlerisch noch etwas besser. Bei dem Pianisten spiegelt sich wie beim Komponisten die Tragik des kurzen Lebens wider. Bei der Aufnahme 1965 war er 41 Jahre alt, fünf Jahre später sollte sein Leben bereits zu Ende gehen. Bekannt als starker Raucher und als Trinker war er, so nannte man das noch damals wie heute, dem „Savoir-vivre“ zugetan.

In dieser Aufnahme erleben wir ihn als er noch nichts von seinen technischen Fertigkeiten eingebüßt hatte und an einem wirklich guten Tag. Sein Vortrag wirkt hellwach und sehr lebendig. Rubatoselig wirkt er nicht, aber auch alles andere als gedankenlos durchgespielt, was man vielleicht bei Kenntnis der Vorgeschichte annehmen könnte. Das Spiel wirkt eigenständig und durchaus empathisch, ja teilweise sogar hoch erhitzt. Der Flügel klingt brillant und neigt 50er und 60er-Jahre typisch eher zum harten als zum weichen. Der Satz beginnt natürlich wie immer mit dem Orchester und einem gegenüber den beiden vorstehenden Einspielungen getrieben von einem flotten Tempo. Die dünn und scharf klingenden Oboen verderben den Holzbläsersatz. Gegenüber der älteren Kletzki-Einspielung ist das Orchestervorspiel nun ungeschnitten und noch etwas temperamentvoller. Der Satz wirkt als Ganzes sehr spannend (vor allem wenn man von den Oboen, die glücklicherweise nicht viel zu spielen haben, einmal absieht).

Auf romantische Drücker und ein Spiel eingebettet in Zuckerwatte muss man im Larghetto verzichten. Es klingt nun straff durchgezeichnet aber beileibe nicht unsensibel. Der Vortrag wirkt nun freier, viel klangfarbenreicher als 1958 und auf schwer zu beschreibende Art zeitlos. Das „Recitativo“ wirkt sehr eindrücklich, ja dramatisch und erklingt auf dem höchsten pianistischen Level. Echte Poesie steht hier vor romantischem Aufplustern. Das Fagottsolo klingt von sehr weit her.

Das Allegro vivace hat ordentlich „Schmackes“ und kommt mit Pauken und Trompeten daher. Die Posaune erklingt wie in fast allen Einspielungen nur als Füllstimme. In der Darbietung dieses Satzes ist alles dabei was reingehört: Melancholie, Tanz, Humor, ausgeprägter Rhythmus und das besser als in der Pariser Aufnahme von 1958. Das Orchester vom Mittelmeer macht zudem trotz der peinlichen Oboen einen besseren Eindruck als das französische Funkorchester bei Paul Kletzki. Diese Einspielung wirkt sehr inspiriert und ist keine Sekunde langweilig. Es wird großartig Klavier gespielt, nie glatt oder gefällig, sehr vital und trotzdem mit einem natürlich wirkenden Fluss. Ganz besonders kommt eine Stimmung durch, die gut zu Chopin zu passen scheint: Wir hören das jetzt so und so wird es nie mehr sein. Vielleicht auch Einbildung, vielleicht war es Herrn François aber auch schon bewusst, dass es bald kein Morgen mehr gibt. Wer weiß das schon.

Das Orchester klingt schon viel dynamischer und transparenter auch farbiger als 1958. Das Remake war also klangtechnisch mehr als geboten. Auffallend ist der recht dunkel umrandete Gesamtklang. Die Streicher klingen jedoch noch ein wenig rau und das Orchester als Ganzes wäre etwas wärmer und vor allem präsenter wünschenswert gewesen. Der Flügel klingt ebenfalls viel besser, voluminöser, breiter, tiefer, glänzender und vor allem sonorer und er klingt verhältnismäßig besser (viel plastischer) als das Orchester. Es gibt zumindest in unserer Pressung (Great Recordings of the Century) kein Rauschen und die Balance zwischen Flügel und Orchester ist gut. Wenn der Klang und das Orchesterspiel mit den ersten beiden Einspielungen mithalten könnte (was beides nicht ansatzweise der Fall ist), hätten wir ernsthaft in Erwägung ziehen müssen Samson François die Ehrenposition ganz oben zu überlassen.

 

 

5

Krystian Zimerman

Carlo Maria Giulini

Los Angeles Philharmonic Orchestra

DG

1979

14:02 9:04 8:22  31:28

Wie bereits zu Beginn erwähnt gewann Herr Zimermann 1975 als 19jähriger den Chopin-Wettbewerb in Warschau. Bei der Aufnahme war er also 23 Jahre jung. Sicher war er bei der 79er Einspielung noch viel mehr von seiner Einstudierung für den Wettbewerb geprägt als 20 Jahre später bei der zweiten. Bei der Vorbereitung für den Wettbewerb ist man gut beraten, eigene Ideen zur Interpretation nicht über ein gewisses Maß hinaus einfließen zu lassen und sich zu gewissen Teilen auf die Erwartungshaltung der Jury einzustellen. Vielleicht wirkt die 79er daher noch erheblich konventioneller als die 99er Einspielung, bei der Zimermann bereits weltweit als einer der allerbesten Pianisten galt? Eher bedingten aber neue Erkenntnisse die neue Spielweise.

Inwieweit sich Zimermann in den vier Jahren bereits von seinem Wettbewerbsbeitrag weiterentwickelt hat, könnte man am besten beurteilen, wenn man ihn hören könnte. Es wird von jeher zumindest immer das Finale (in neueren Jahrgängen alles) mitgeschnitten, sodass man das nachhören könnte, falls es zu einer Veröffentlichung des Konzertes von Zimermann gespielt gekommen wäre, wovon man eigentlich ausgehen muss. Mit der Zeit wird eigentlich alles veröffentlicht, was irgendwie auf Interesse stoßen könnte.  Leider wissen wir nicht, ob Herr Zimerman beim Finale des Wettbewerbs das erste oder das zweite Konzert gespielt hat, das konnte er sich aussuchen.

Was passiert, wenn man seinen eigenen Eingebungen gänzlich folgt, konnte man beim 1980er Wettbewerbs-Jahrgang sehen, als es zum Skandal um Ivo Pogorelich kam, dem trotz vermeintlicher Genialität der Zugang zum Finale verwehrt blieb. Das schlag damals so hohe Wellen, dass sogar in den Tageszeitungen und Nachrichtensendungen im Fernsehen darüber berichtet wurde. Davon später mehr.

Im Rahmen des Konventionellen leistet der junge Zimerman allerdings schon 1979 außerordentliches. Giulini phrasiert sorgfältig und liebevoll, wie man es von ihm kennt. Aber doch weniger akzentuiert als möglich. Der Klavierpart lässt jedoch aufhorchen. Der Klang wirkt schillernd, sehr klar, Diktion und Anschlag wirken zupackend und zugleich bereits sehr flexibel. Die Dynamik wirkt ausgesprochen nuanciert, die Vortragsweise sehr musikalisch und durchaus dem Belcanto verpflichtet. Seine Gestaltung wirkt viel aufregender als beispielsweise bei Rubinstein oder Ax. Viel mehr vom jugendlichen Impetus beseelt. Man kann nicht sagen, dass sich Giulini und das Orchester nicht davon anstecken ließen, aber es könnte doch ein wenig mehr „brennen“ unter dem Dach. Giulini sind Spielfreude, Kantabilität und Deutlichkeit eben gleich wichtig.

Im zweiten Satz scheint das Orchester etwas weiter vom Flügel wegzurücken. Es wirkt nun eher wie ein Wandteppich als ein dem Flügel unterlegter Klangteppich, worauf sich das Klavier klanglich erheben könnte. Dennoch kann man die gegenüber den meisten Vergleichseinspielungen herausragende Zusammenarbeit der beiden ungleichen Protagonisten vollauf genießen. Herr Zimerman ist nun völlig im Belcanto-Modus. Enorm ausdrucksstark und einer derjenigen, die nicht gesoftet klingen. In Sachen Virtuosität steht er einer Martha Argerich in nichts nach. Der Mittelteil, von uns „Recitativo“ genannt, klingt bei ihm sogar noch dramatischer, wobei er vom opernerfahrenen Giulini bestens unterstützt wird. Der Klang seines Flügels ist sehr brillant, wobei ihm die Analogtechnik noch mehr als einen Hauch Wärme zusätzlich mitgibt. Leider bleibt das Fagott-Solo etwas unterbelichtet, obwohl es klanglich sehr gut gefällt. Sonst hat man dem Holz eine plausible Relation zum restlichen Orchester und zum Flügel mitgegeben. Das ist leider nicht oft der Fall.

Im Allegro vivace begeistert das Spiel sehr. Die Virtuosität des jungen Mannes wirkt werkdienlicher als bei der großen Martha Argerich, die mitunter vor allem die Brillanz ein wenig über das Ziel hinausschießen lässt, oder aber offener, extrovertierter auslebt. Dass Zimerman ein besonders introvertierter Musiker wäre, wie das mitunter behauptet wurde, lässt sich seinem Spiel indes nicht anmerken. Sehr gutes „Signalhorn“. Das Orchester ist schon mehr als ein Begleiter, Giulini macht es schon zu einem Partner, aber an den Verschmelzungsgrad wie 1999 das Polish Festival Orchestra kommt das LAPO nicht heran. Da fehlt vielleicht nur die gemeinsame Tournee vor der Aufnahme. Die 79er wirkt gegenüber der 99er im besten Sinn konventioneller, als noch inspirierter und innovativer muss man die 99er Einspielung ansehen.

Klanglich ist die 79er kompakter geraten, mit natürlich klingenden Streichern könnte sie vor allem gegenüber der 99er räumlicher wirken. Der Flügel klingt ausgesprochen präsent, sehr dynamisch und brillant im Diskant. Die Mittellage wirkt hingegen ganz leicht topfig, was für den zweiten Satz seltsamerweise nicht gilt. Allerdings lassen die besten Digitalaufnahmen auch die Dynamik mitunter noch unverschliffener wirken und der Flügel klingt noch sonorer, hat vor allem noch mehr Fundament, aber wirklich nur die besten (die 99er gehört dazu), die meisten sind schlechter, viel schlechter. Das Orchester wird vom Flügel in dynamischer Hinsicht weit überragt. Es klingt jedoch bestechend klar, zumindest bei der remasterten CD aus der Originals-Serie. Gute Balance zwischen Flügel und Orchester.

 

 

5

Ingrid Fliter

Jun Märkl

Scottish Chamber Orchestra

Linn

2013

14:56 9:20 8:45 33:01

Die nächste Einspielung kommt aus dem hohen Norden Europas. Sie entstand in der Usher Hall in Edinburgh. Allerdings kommt die Pianistin ganz weit aus dem Süden, nämlich wie Martha Argerich aus Argentinien. Nachdem Frau Fliter beim Chopin-Wettbewerb 1995 in der 2. Runde rausgewählt wurde, startete sie 2000 einen neuen Versuch und errang dabei den zweiten Platz. Gold ging damals an Yundi Li.

Dass das Schottische Kammerorchester mit nur vier Violinen und zwei Bässen spielen soll (Restbesetzung entsprechend) hört man der Einspielung nicht an, sodass es bezweifelt werden darf. Es klingt durchaus füllig, rund, weich, sehr homogen und farbig. Man spielt energisch und ungemein temperamentvoll, differenziert und historisch informiert. Mit Leidenschaft, aber nicht gerade schnell. Uns gefiel diese partnerschaftliche Begleitung mit am besten. Denn auch das Holz wird gut präsentiert und es spielt markant, es wird einfallsreich phrasiert und das ganze klingt, wo kompositorisch erforderlich, schön druckvoll.

Ungemein kraftvoll und ausgesprochen nuanciert erklingt auch der Flügel. Diese Pianistin verfügt über einen schnellen Anschlag, eine gewandte Phrasierung, sinnvolle Rubati, eine feine, mitunter aber auch deutliche aber stets sinnvoll und organisch wirkende Agogik und einen sehr weit gesteckten dynamischen Ambitus. Ihr Spiel wirkt genauso schillernd wie ihr Klang, mal federleicht, mal ausgesprochen kraftvoll, verspielt aber auch melancholisch oder traurig. Das ganze Spektrum also. Die Orchesterleistung (incl. aller Soli) ist hervorragend, das Dirigat kann somit kaum anders gewesen sein. Besonders gefällt, dass der kämpferische Aspekt sehr deutlich durchschlägt, besonders im Orchester.

Das Larghetto wirkt voller Poesie und wie frei erfunden artikuliert. Aber auch intensiv und stark rhetorisch geprägt; also nicht unbedingt mit der glatten Kantabilität so vieler anderer Aufnahmen. Der Vortrag wirkt reich nuanciert und sprechend, aber nie überartikuliert oder schulmeisterlich. Beim „Recitativo“ ziehen sowohl die Pianistin als auch das Orchester alle Register. Ein umwerfendes Fagottsolo wird von Frau Filter uneigennützig und wunderbar zart umspielt. Schöner geht es nicht. Da gibt sie ihre Hauptrolle mal ab, so soll es sein und wie selten gelingt das mal?

Das Allegro vivace erklingt mit „Schmackes“ und enorm klangfarbenreich. Das Orchester erarbeitet sich plastisch immer ein ziemlich großes „Mitspracherecht“. Es ist erstaunlich, was aus dem vermeintlich so schwachen Orchesterpart alles rauszuholen ist, wenn man ihn ausreizt. Frau Fliter spielt immer subtil und auch enorm kraftvoll, je nachdem wie es erforderlich ist. Pointiert und tänzerisch wie selten einmal. Herr Märkl findet allenthalben Perlen im Orchestersatz, ein wirklich großes Verdienst. Wer sucht, der findet kann man hier sagen. Das gemeinsame Musizieren wirkt reaktionsschnell und partnerschaftlich, das Ergebnis ist bezaubernd und beeindruckend zugleich.

Das Spiel der Pianistin steht zwischen dem noch etwas energiegeladenerem von Martha Argerich, der aber die Brillanz ein wenig zum Selbstzweck gerät und dem klassisch ausgewogenen aber emotional erheblich sparsameren Murray Perahia. Für manche dürfte das gerade den „Goldenen Schnitt“ ergeben.

Klanglich steht alles zum Besten. Das Orchester ist sehr gut in die Breite aufgefächert und in die Tiefe hinein gestaffelt, weich, voll, rund und sehr gut konturiert. Die Klangfarben wirken kräftig, die Dynamik gut, die Transparenz hervorragend. Ähnliches gilt auch für den Klavierklang: sonor, rund, brillant, mit kräftigen Bässen und ausgewogen über den gesamten Frequenzbereich. Die Balance ist sehr gut. Hier blüht der Klang auf wie selten. Klanglich eine der allerbesten Aufnahmen des Vergleiches: audiophil. Als SACD abgespielt noch besser.

 

 

5

Martha Argerich

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

EMI

1998

13:34 8:46 8:21  30:41

Als Martha Argerich 1965 den 1. Platz beim Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau gewann, war sie 24 Jahre jung. Damals spielte sie in der Finalrunde das e-Moll Konzert, weshalb es keinen Mitschnitt des f-Moll Konzertes vom Wettbewerb gibt. Überhaupt scheint sie das erste zu bevorzugen, denn es gibt von ihm erheblich mehr Aufnahmen sls vom zweiten. Bei Artur Rubinstein verhält es sich umgekehrt. Das f-Moll Konzert hat sie 20 Jahre zuvor bereits für die DG eingespielt mit Rostropowitsch und dem Orchester aus Washington, dem Rostropowitsch damals als Chef vorstand. Auf diese Einspielung kommen wir später noch zurück. Frau Argerich wird uns zudem noch als Jurorin im Warschauer Wettbewerb 1980 begegnen, wenn es um das Abschneiden von Ivo Pogorelich geht.

Die nun vor uns liegende Einspielung, die sicher bereits für den 150. Todestag des Komponisten produziert wurde, entstand in der Église St. Eustache in Montréal. Die Kirchenakustik hat man sehr gut gebändigt, es wurden allerdings bereits seit fast 30 Jahren von Decca zahllose Aufnahmen in der Kirche gemacht, sodass man nichts anderes erwarten durfte. Die Pianistin war bei ihrer zweiten Einspielung 57 Jahre jung.

Die Orchestereinleitung klang bei Rostropowitsch 1978 erheblich kleinlauter, verhangener und melancholischer als nun bei Dutoit. Dass Frau Argerich seitdem älter geworden wäre, merkt man ihrem Spiel nicht an. Ganz im Gegenteil: ihre Virtuosität wirkt sogar noch gesteigert und ihre Musikalität erscheint nach wie vor ungebändigt. Sie spürt nichtsdestotrotz als gereifte Chopin-Spielerin den Nuancen nach und setzt sie in den rechten Zusammenhang. Die Orchesterbehandlung wirkt flexibel, der damalige Noch-Ehemann versuchte nach Kräften auf die Bedürfnisse des Klavierparts einzugehen, was ihm sicher nicht immer leichtgefallen sein dürfte. Es ergibt sich jedoch eine merklich gesteigerte Vitalität im Orchesterpart, mehr Eigenprofil in den Orchesterritornellen und eine ordentlich kontrastierende Dynamik, die es ohne die Mitwirkung von Frau Argerich sicher nicht so gegeben hätte. Hörbar versucht Monsieur Dutoit mit seiner Frau mitzuhalten.

Im Larghetto spielt Frau Argerich innig und betörend, dennoch klingen die Arabesken oder die Läufe auf höchstem Niveau der Virtuosität mitunter blendend. Das war 1978 mit Rostropowitsch auf DG (analog) noch anders. Blendend soll die Virtuosität bei Chopin (im Gegensatz zu Liszt) eigentlich nicht wirken. Aber wenn es so stark mit dem gewünschten appassionato, stringendo oder con forza etc. einhergeht, sollte es doch vertretbar sein. Schließlich ist es auch denkbar weit von jedem Gesäusel entfernt. Die hörbare Leidenschaft mag vielleicht für manch einen Stilistik-Experten schon zu viel des Guten an Expressivität und pianistischer Brillanz sein. Der zweite Satz wird auch vom Orchester traumhaft schön und ausdrucksvoll gespielt. Das passt nun wirklich sehr gut zusammen.

Der Vortrag im Allegro vivace wirkt außerordentlich pointiert, sagenhaft differenziert und wie spontan dargeboten. Das spielt Frau Argerich so schnell niemand nach. Das Orchester ist ein aufmerksamer Begleiter, wann immer es die Partitur zulässt wird die Pianistin umschmeichelt, gelegentlich auch ihre Emotionen sehr schön weitergeführt. Insgesamt bravourös.

Der Klang der Aufnahme ist erheblich klarer, dynamischer und plastischer als der DG-Klang von 1978. Leider ist auch die analoge Wärme einer immer noch leichten glasigen Härte gewichen. Der Flügel klingt ebenfalls erheblich klarer, viel brillanter und mit mehr Autorität als bei der DG-Aufnahme. Aber auch deutlich härter und ein wenig halliger, was zumindest den repräsentativen Charakter unterstreicht. Der Fan von Frau Argerich und der Fan des Klavierkonzertes f-Moll hat die Wahl.

 

 

5

Louis Lortie

Neeme Järvi

Philharmonia Orchestra London

Chandos

1991

14:16 9:06 8:25  31:47

Beim Warschauer Wettbewerb scheint Monsieur Lortie nicht vorstellig geworden zu sein. Er gewann aber 1984 in Leeds und den Busoni-Klavierwettbewerb, was ebenfalls keine schlechten „Referenzen“ sind. Jedenfalls wurde er dadurch nicht von vorneherein als Chopin-Spezialist abgestempelt. Da er aber bei einer „Enkelschülerin“ Alfred Cortots studierte, bei Yvonne Hubert (und bei Leon Fleisher) hat seine Ausbildung Chopin mit Sicherheit nicht ausgespart. Wie man lesen kann ist Louis Lortie jedoch auch ein eifriger Hörer von Platten und CD´s, sodass er das reiche Angebot zu Bildungszwecken genutzt haben sollte. Wie sein Landsmann Marc-André Hamelin gehört Louis Lortie zu den derzeit virtuosesten Pianisten unserer Zeit. Bisher konnten wir seinen Ruf bei unseren Vergleichen der „Rhapsody in Blue“ des „Totentanzes“ von Franz Liszt und den Klavierkonzerten von Saint-Saens, Ravel und Mendelssohn nur bestätigen.

Neeme Järvi lässt das Orchester zunächst noch mit einigem Gewicht, mit schöner Klangfülle aber schlanker Phrasierung den repräsentativen Aspekt des Werkes gerecht werden. Louis Lortie zeigt eine atemberaubende Sicherheit in allen Bereichen der Technik und der Musikalität. Sein Anschlag perlt mit Perfektion und wirkt enorm nuancenreich, feinnervig und sensibel, seine Dynamik erfreut weniger mit Maximallautstärke als mit Differenzierungskunst. Demgemäß könnte sein Flügel noch ein wenig brillanter im Diskant klingen aber auch noch sonorer in der Mittellage sein. Als CD-Hörer weiß man freilich nie genau, was auf das Instrument, was auf den Pianisten und was auf den Raum bzw. auf die Aufnahmetechnik zurückzuführen ist. Bestechend ist die Ruhe, die in sein Spiel hineinstrahlt und die er dazu nutzt sich in die Musik hineinzuversetzen und ihr die nötige Emotionalität zu geben. Ihm steht alles erdenkliche Rüstzeug, das man zum Klavierspiel auf höchstem Niveau braucht, zur Verfügung. Dennoch kommt es zu keiner zirzensischen Akrobatik, sein Spiel wirkt auch nicht einstudiert, sondern recht spontan. Das scheint der Vollkommenheit ziemlich nahe zu kommen. Das Orchester spielt ganz ausgezeichnet und Järvi hat sich anscheinend vom Pianisten infizieren lassen, denn das Orchester spielt sehr schön nuanciert, was uns bei seinem Dirigenten sonst als weniger charakteristisch in Erinnerung geblieben ist.

Im dritten Satz besonders auffallend ist die sagenhafte Geschmeidigkeit. Der Pianist macht allerdings von sich und seiner Kunst extrem wenig Aufhebens. Er spielt immer werkdienlich und vollumfänglich virtuos im besten Sinne. Er schüttelt auch noch das leiseste pp locker und konzise aus dem Ärmel.

Der Chandos-Klang wirkt voluminös, weich, offen, transparent, farbig, brillant aber auch ein wenig hallig. Der Flügel hätte noch ein wenig präsenter klingen dürfen, die Balance ist jedoch ausgewogen. In den meisten Einspielungen klingt das Klavier gegenüber dem Orchester kräftiger als hier. Die „klassische“ Konzertsaal-Situation erscheint gut getroffen.

 

 

5

Stanislav Bunin

Franz Welser-Möst

London Philharmonic Orchestra

EMI

1995, live

14:24 9:23 8:03  31:50

Auch Stanislav Bunin, Enkel von Heinrich Neuhaus, ist ein Goldmedaillen-Gewinner beim Warschauer Chopin-Klavierwettbewerb. Das war 1985, als er 19 Jahre jung war. Er gewann damals vor Marc Laforêt und Krzysztof Jablonski. Und er bekam zusätzlich noch die Preise für die beste Darbietung eines Konzertes und einer Polonaise. Zur Zeit der Einspielung war er 29 Jahre jung. Es gibt noch eine weitere Einspielung mit ihm aus dem Jahr 2001 mit Kazimierz Kord und den Warschauer Philharmonikern, erneut für EMI und erneut live aufgenommen. Dieser Einspielung konnten wir leider nicht habhaft werden. Zunächst nahm Herr Bunin, wie fast alle Gewinner des Wettbewerbs eine Weltkarriere in Angriff und machte die obligatorischen Aufnahmen des Gewinners, wie so oft für die DG. 1991 bis 1998 nahm er eine Professur an der größten japanischen Musikhochschule an. Bis 2001 trat er auch immer wieder auf, auch in Polen, wo Chopin wie ein Nationalheiligtum verehrt wird und entsprechend oft gespielt und eingespielt wird. Dann verliert sich seine Spur, denn zumindest die letzten zehn Jahre war es ihm durch diverse Krankheiten nicht möglich weiterhin aufzutreten. Seit 2023 konnte er seine Konzerttätigkeit erfreulicherweise wieder aufnehmen. Bisher nur in Japan, wo er auch lebt.

Franz Welser-Möst lässt das Orchester energisch aufspielen, achtet auf genauestens eingehaltene dynamische Abstufung und lässt die auch schon der Orchestereinleitung innewohnenden Melancholie deutlich heraushören. Das Holz ist zu Beginn relativ präsent, die Oboe klingt ziemlich dünn, die Flöte übertreibt es mit ihrem Vibrato. Bei Herrn Bunin imponieren sofort der konzise, straffe Anschlag und seine superbe Technik. Sein Flügel klingt brillant. Er spielt mit großer Akkuratesse und sein Vortrag bleibt äußerst exakt (fast wie die abfotografierte Partitur), wobei er keineswegs stur an den Noten klebt, sondern durchaus flexibel wirkt. Sein Legato besticht, die Phrasierung ist nuancenreich und die Melodien werden vorbildlich herausgearbeitet, auch da wo man bei anderen gar keine Melodie hört. Der junge Herr Welser-Möst (35) unterstützt mit dem Orchester temperamentvoll, ja feurig.

Im Larghetto kommt auch Herr Bunin der Vollkommenheit sehr nah, technisch und klanglich. Beim „Recitativo“ bleibt das Tremolo allerdings sehr zurückhaltend, auch wenn Chopin ein f dazuschreibt. So als wolle man die Proportionen nicht stören. Pianistisch kann man (live) wohl kaum etwas besser machen.

Im Allegro vivace erfreut das deutlich hervorgehobene Blech, genau wie die im weiteren Verlauf gut in Szene gesetzten Pauken. So lässt sich der national-tänzerische Effekt besonders gut heraushören. Und zudem noch leicht militarisiert. Das scherzando mit den col legno Streichern gelingt hervorragend. Bunin spielt eher diskret und nicht für die Galerie, trifft mit dem Orchester gemeinsam jedoch voll ins Schwarze.

Der Klang der Aufnahme hätte das Holz (wieder einmal) etwas präsenter abbilden können. Transparenz ist jedoch gewährleistet, auch die Balance Flügel/Orchester ist genau wie alle anderen Parameter des Klangs stimmig aufgezeichnet worden. Insgesamt klingt die Aufnahme etwas kühl. Das Publikum ist lediglich in den Satzpausen ganz leise zu hören.

 

 

5

Alexei Volodin

Stanislaw Skrowaczewski

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR, unveröffentlicht

2012, live

13:30 9:31 7:28  30:29

Bei dieser Live-Übertragung aus der Philharmonie am Gasteig war der Pianist 35, der Dirigent 89 Jahre alt. Seltsamerweise gibt es bis heute keine Einspielung auf Tonträger mit dem Pianisten, während der Dirigent mit diversen Einspielungen des Konzertes diskographisch vertreten ist.

Die Orchestereinleitung wirkt wie erzählt, höchst differenziert und von Melancholie durchweht. Der Pianist gefällt mit klarer Diktion, kräftigem Anschlag und einem Legato das sich aus feinst voneinander getrennten Einzeltönen zusammensetzt, die natürlich trotzdem miteinander verbunden sind. Der Pedaleinsatz verwischt also nichts. Völlig souverän kann der Pianist äußerst differenziert gestalten, wobei er sich keiner ausufernden Agogik bedient. Man erfreut sich an einem brillant-kräftigem Steinway-Sound. Das hat diese Aufnahme der Saarbrücker Einspielung des Dirigenten mit Ewa Kupiec voraus. Das Klavier kommt besser heraus, während der Orchesterpart bei beiden genauso hellhörig durchgearbeitet wirkt. Skrowaczewski hat den Orchestersatz in allen Einspielungen selbst ein wenig modifiziert. Die Orchesterritornelle sind bewegt und erhalten wuchtige Blech-Einlagen und kraftvolle Pauken. Hier geht es anscheinend auch um die Behauptung der Nationalen Identität Polens, die in der Zeit der Komposition von Russland bedroht war. Man bedenke: zumeist gehen diese Instrumente, die nur den Rang von Füllstimmen erhalten im Klangbild nahezu völlig verloren. In der Diskographie weisen besonders die polnischen Dirigenten (incl. besonders auch Krystian Zimerman als Dirigent) auf diesen Zusammenhang hin. Auch mit 89 hört Herr Skrowaczewski nicht damit auf, darauf hinzuweisen.

Das Tempo im Larghetto wirkt goldrichtig gewählt. Volodin spielt ohne schwelgerische romantische Attitüde. Obgleich nuancenreich und mit feinem Rubato versehen klingt da nichts verzärtelt. Im „Recitativo“ flammt das schmerzliche Aufbegehren allerdings mit Inbrunst auf. Hier sind exzellente Techniker und ausgezeichnete Musiker am Werk. Glanzlichter gibt es auch vom Orchester, z.B das wunderschön geblasene Fagottsolo.

Im Allegro vivace legt Herr Skrowaczewski ein flottes Tempo vor. Alexei Volodin meistert seine Arabesken dennoch souverän, sie wirken trotz des Tempos nicht aufgesetzt, sondern als integraler Bestandteil der Komposition, was sie ja auch sind. Gänzlich ungekünstelt, apart, humorig. Die hohe Kunst des Klavierspiels (lässt irgendwie an Emil Gilels denken, der uns leider eine Einspielung des f-Moll Konzertes vorenthalten hat, wie übrigens auch Swjatoslaw Richter und Vladimir Horowitz). Der Orchestersatz wirkt enorm bereichert, da hat der Dirigent sachlich und unauffälliger als Mikhael Pletnev Hand angelegt. Eine Aufführung, bei der alles gepasst hat. 

Die Aufnahme des BR wirkt ausgewogener in der Balance Flügel/Orchester als die des SR mit Ewa Kupiec, die auch als Oehms-CD das Licht der Welt erblickt hat. Bei ihr kam das Klavier gegenüber des enorm bereicherten Orchesterparts Skrowaczewskis nicht klar genug zur Geltung. Der Gesamtklang des BR ist weich, gut strukturiert und sehr räumlich.

 

 

5

Benjamin Grosvenor

Elim Chan

Royal Scottish National Orchestra

Decca

2019

14:02 9:04 8:26  31:32

Dies ist eine Aufnahme aus dem New Auditorium RNSO Centre in Glasgow (was für ein Name!). Benjamin Grosvenor hat unseres Wissens nie am Klavierwettbewerb in Warschau teilgenommen. Er ist bisher auch nicht als Chopin-Spezialist wahrgenommen worden. Er spielt die beiden Klavierkonzerte Chopins jedoch seit seiner Kindheit, das erste seit er 14, das zweite seit er 12 Jahre alt war. Seit er 9 war ist Chopin der Lieblingskomponist des Pianisten. Die Konzerte Chopins schätzt er ganz besonders. Er kennt viele Aufnahmen der Konzerte und besprach sie bereits zur Zeit seiner Ausbildung mit seiner Lehrerin an der Royal Academy of Music in London. Es wurden die Einspielungen von Rubinstein, Argerich, Rosenthal, Friedman und Cherkassky genannt. Er kennt also die Traditionen. Das ist ein großer Vorteil. Bei der Einspielung war er 27 Jahre alt.

Die junge Dirigentin lässt die Orchestereinleitung ziemlich aufgeregt und aufregend erklingen, sodass besonders sanfte oder gar wehmütige Töne sogleich kräftig hinweggefegt werden. Sehr akzentuiert hört man auch durchaus pralle Akzente. Ganz besonders zu loben sind die kristallklaren Bläserstimmen. Bei keiner anderen Aufnahme hört man so gut, dass auch eine Posaune im Bläsersatz mitmischt. Und dann die leidenschaftlichen Orchesterritornelle! Nicht ohne Grund sammeln sich in der 5er Kategorie der besten Einspielungen nicht nur die mit der besten Pianistik, sondern auch die, die dem Orchestersatz am besten gerecht werden. Hier beweist man genau das Gegenteil der landläufigen Behauptung, die Orchestrierung wäre minderwertig und nicht zielführend. Geradezu als bestechend erweist sich, wie eng der Klavierpart in dieser Einspielung mit dem Orchester verwoben ist. Das hängt natürlich auch mit der Präzision im Zusammenspiel zusammen. Mister Grosvenor spielt klangvoll, sehr akzentuiert, einfallsreich, fesselnd und kontrastreich. Das geht weit über das landläufig bekannte Bild vom zarten, sanftmütigen Chopin hinaus. Natürlich spielt er auch zart, aber er münzt die extravaganten Verzierungen exzellent in Ausdruck um. Das ist schon mehr als nur „Stile brillante“. Da kommt er fast an Argerich heran, deren Aufnahmen er ja ebenfalls studiert haben soll. Sein Spiel wirkt spontan, lebendig und ungeheuer dynamisch. Da geht es auch um große Dinge nicht nur Emotionen, auch die imperiale Note (Maestoso) wird extrovertiert zum Ausdruck gebracht. Hervorragende, partnerschaftliche Begleitung mit plastischen Beiträgen von Blech und Holz (Fagott, Klarinette), knackig und frisch dargeboten.

Im Larghetto werden Wärme und Zärtlichkeit ins spontan wirkende Spiel mit aufgenommen und beileibe nicht über die Schatten hinweggespielt. Spannend und im Recitativo an die dynamischen Grenzen gehend. Zu loben wäre erneut der hervorragende Klang des Bläsersatzes.

Im Allegro vivace trifft sich der Sinn aller Beteiligten für voll ausgespieltes beherztes Spiel zu einer perfekten Partnerschaft. Zunächst wirkt es noch recht luftig und die Melancholie aus den vorausgegangenen Sätzen wird nicht ignoriert, dann aber sprudelt es immer fröhlicher, scherzender und selbstsicherer. Die Widerhaken, über die oft gerne hinweggespielt werden, bleiben hörbar. Das alte, leicht verstaubte, nur elegante Chopin-Bild wird mit athletischem Elan aufgebrochen.

Das Klangbild wirkt breit, bietet aber auch, was bei diesem Konzert selten genug vorkommt, eine gute Tiefenstaffelung. Es wirkt offen, weit, dynamisch, knackig und körperhaft. Der weiche, runde Streichersound verbindet sich mit bewegter Bläserattacke. Der Klang des Flügels wirkt sonor, weich, voll, gelegentlich auch mal hart, aber vor allem super brillant. Der Gesamtklang wirkt natürlich und frisch.

 

 

5

Artur Rubinstein

Alfred Wallenstein

Symphony of the Air

RCA

1958

13:15 8:33 8:03  29:51

Zu Lebzeiten galt Artur Rubinstein, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen seiner polnischen Abstammung als der Chopin-Interpret schlechthin. Auch heute noch genießt sein Name Legendenstatus. Er wurde durch seine charmante Art, seine guten Manieren und durch sein hochvirtuoses Klavierspiel bereits der Liebling in den Warschauer Salons. Danach mit siebzehn der Pariser Salons. Rubinstein war ein Frauenheld und machte keinen Hehl daraus. So beschrieb er seine Jugend einmal mit dieser schelmischen Formel: „Man sagt über mich, dass ich in meiner Jugend meine Zeit zwischen Wein, Frauen und Musik aufgeteilt habe. Dies bestreite ich kategorisch. Neunzig Prozent meines Interesses war Frauen gewidmet.“ Passendes Bonmot hierzu: „Mit Chopin kommt man bei den Frauen weiter als mit Mozart“.

Die Aufnahmen, die er vom zweiten Klavierkonzert hinterlassen hat, sind nicht abschließend zu zählen, weil immer noch Aufnahmen-Schätze mit ihm aus den Archiven geborgen werden. Wir konnten acht Aufnahmen zählen. Sieben konnten wir davon in unseren Vergleich aufnehmen. 1931 datiert die erste mit John Barbirolli und dem LSO, da schien er eher wenig geübt und mehr an Frauen gedacht zu haben. Er meinte einmal, dass er erst mit dem Üben richtig angefangen hätte, als er Vladimir Horowitz im Konzert gehört habe, da fielen ihm seine Mängel dergestalt auf, dass er sie beseitigen wollte. Sie wurde noch für EMI (heute Warner) eingespielt. Danach folgte 1946 die erste Aufnahme für RCA mit William Steinberg und dem RCA Symphony Orchestra. Dann die erste in Stereo 1958, die zweite Aufnahme für RCA nun mit Wallenstein und der Symphony oft he Air (das ehemalige NBC Symphony Orchestra, das man nach dem Tode Toscaninis „an die Luft“ gesetzt hatte, das aber noch ein paar Jahre danach Aufnahmen machte). Dann folgen diverse Live-Einspielungen: 1960 mit dem Philharmonia Orchestra London unter Carlo Maria Giulini und aus demselben Jahr mit den Philharmonikern Warschaus unter Witold Rowicki. 1968 folgt seine letzte Aufnahme für RCA aus Philadelphia mit Eugene Ormandy. 1975 gibt es dann die Videoaufnahme mit André Previn und dem London Symphony Orchestra und der Mitschnitt seines letzten Konzertes in seinem Heimatland aus Lodz (seine Geburtsstadt) mit Henryk Czyz, das ist unser Missing Link. Live-Aufnahmen wachsen jedoch immer noch nach, schließlich wurde Herr Rubinstein als Chopin-Spieler auf der ganzen Welt angefragt, er spielte auch das zweite Konzert sehr gerne und er hatte ein langes, produktives Leben und seine immensen pianistischen Fähigkeiten hielten sich fast lebenslang auf denkbar hohem Niveau.

1958 war Mister Rubinstein, der 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, 71 Jahre alt. Erneut hören wir die für Rubinsteins Aufnahmen so typische Beschleunigung beim ersten Crescendo. Er wirkte anscheinend auch auf die Dirigenten ein, oder er nutzte eine andere Partitur. Manche meinen allerdings, das wäre nur eine schlechte Angewohnheit. In jedem Fall fördert die Maßnahme den Drive. Wie wohltuend die Klangqualität nun im Jahre 1958 im Studio geworden ist! Nach den Aufnahmen von 1931, 46 und den Live-Aufnahmen von 1960 wurde sie allein schon deshalb zu einem großen Genuss für uns. Bei seinem Eingang im ff hatte Rubinstein 1946 allerdings viel beherzter in die Tasten gegriffen. Sehr erfreulich ist die Klarheit des Klavierparts, der wie von dicker Patina befreit erscheint. Die Skalen und Arabesken wirken nun klarer und werden sehr vital durchgezogen. Wie immer verlangsamt er die lyrischen Passagen ein wenig, was uns durchaus legitim erscheint. Rubinstein ist ein Meister des Rubato und der feinen Agogik, wir empfinden beides hier als nicht übertrieben. Man muss bedenken, wie schnell sonst das Maestoso zu einer starren staatstragenden Angelegenheit werden würde. Es mangelt weder Rubinstein noch dem Orchester an Saft und Kraft. Der Pianist zeigt vielen jüngeren Kollegen, wo der pianistische Hammer hängt, vor allem in Punkto Vitalität. Mister Rubinstein wirkt so, als befände er sich in seinem ureigensten Terrain, wie ein Fisch im Wasser und wie ein Mann in seinen besten Jahren. Trotz aller Dynamik wird bei ihm nie auf die Tastatur eingehämmert, genauso wie man sich das Spiel von Chopin selbst den Überlieferungen nach vorzustellen hat. Stil und Eleganz haben Vorrang.

Im Larghetto lässt sich Rubinstein nun (endlich möchte man sagen) genug Zeit. Genug Zeit um die so wichtigen agogischen Nuancierungen einzupflegen. Es ist das klar langsamste Tempo der bisherigen Rubinstein-Einspielungen. Nun wirkt es den Vorstellungen des Belcanto, wie man ihn sich heute vorstellt, angenähert. Nun wird der Melodie und dem harmonischen Verlauf bewusst nachgespürt, auf gesangliche Art und Weise. Die diffizile Rhythmik wird so leichter nachvollziehbar, der Ton kann nun leuchten und die kompositorischen Verläufe werden nicht mit Klischeeinhalten verwechselt wie bei vielen anderen Kollegen und Kolleginnen. Die Holzbläser (die bisher besten bei Rubinstein) haben nun ein gewisses Eigengewicht, wodurch die Musik an Vielschichtigkeit gewinnt.

Im Allegro vivace ist die Hektik der älteren Aufnahmen Rubinsteins nun einer beschwingten, gewissermaßen sublimierten Gelassenheit gewichen. Diese Reduktion im Tempo, weg von den Metronomangaben der Partitur, ist auch der Live-Aufnahme mit Giulini eigen. Es hält nun im fortgeschrittenen Alter ein klassizistischer Zugriff den Vorzug gegenüber dem vorherigen effektorientierten Spiel. Das musikalische Fluss dankt es, genau wie die zarten Nuancen, die bisher einfach gefehlt haben. Der Klang des Klaviers, was aber auch klangtechnische Gründe haben könnte, wirkt nun weicher, differenzierter, perlender und brillanter. Die Orchesterleistung ist die hellhörigste aller Rubinstein-Einspielungen. Es könnte jedoch etwas genauer gespielt werden. Schade, dass man nicht wie bei der Aufnahme des 1. Klavierkonzertes 1961 Stanislaw Skrowaczewski als Dirigent gewinnen konnte.

Hier handelt es sich um die erste Stereo-Aufnahme des Konzertes von Rubinstein, es klingt nun dynamischer, farbiger und differenzierter. Die Violinen hat man ziemlich weit nach links beordert, das präsente und deutliche Holz incl. Blech klingt weitgehend von rechts. So bleibt die Mitte vor allem für den Star der Aufnahme reserviert. Der „Living Stereo“-Klang wirkt leuchtend und bereits ziemlich sinnlich. Den Flügel hat man, was einer typischen „Starproduktion“ nicht unbedingt entspricht, gegenüber dem Orchester ziemlich leise abgestimmt.

 

 

5

Janina Fialkowska

Bramwell Toway

Vancouver Symphony Orchestra

Atma

2010, live

13:35 8:15 8:15  30:05

Dies ist eine Produktion, die im Jahr des 200. Geburtstags Chopins stattfand. Die kanadische Pianistin nahm zugleich auch die Version des Konzertes für Klavier und Streichquintett auf. Sie erhielt ihren ersten Unterricht von ihrer Mutter, die noch bei Alfred Cortot Unterricht hatte. Anschließend ging sie unter anderem noch nach Paris zu Yvonne Lefébure. 1974 war sie Preisträgerin beim Artur-Rubinstein-Klavierwettbewerb in Tel Aviv, der von ihr behauptete, sie wäre die geborene Chopin-Spielerin. 

Und tatsächlich atmet ihre Einspielung ähnliche Luft wie die Artur Rubinsteins (vor allem in der 1958 Einspielung). Sie wirkt frisch, wunderbar lebhaft und sie ist frei von Übertreibungen. Wir können auch bei ihr dieses bemerkenswerte Gleichgewicht und die ordentliche Portion Natürlichkeit, Selbstverständlichkeit wie beim polnischen Meister. Darüber hinaus klingt ihr Flügel brillant, absolut klar. Bei den motorisch geprägten Figurationen und Skalen sitzt auch einmal das eine oder andere Tönchen nicht ganz so optimal wie bei den vorstehenden Einspielungen, aber erstens sind diese Einschränkungen wirklich marginal und zweitens handelt es sich um eine Live-Aufnahme. Perfektion ist ihr offensichtlich weniger wichtig wie das Erzeugen und Halten einer drängenden Spannung. Frau Fialkowska war zwar bei der Aufnahme bereits 59 Jahre alt, aber sie weiß, dass es um jugendliche Gefühle geht, genauso um politische Spannungsverhältnisse. Wie Rubinstein verlangsamt auch die Tochter eines aus Polen nach Kanada ausgewanderten Offiziers das Tempo recht deutlich, wenn es um die lyrisch geprägten Passagen geht. Das Orchester lässt sich und das ist ein sehr gutes Zeichen mit Pauken und Trompeten hören, was innerhalb der gehörten Diskographie immer noch eine Seltenheit ist. Meistens werden diese Instrumente verschämt versteckt. Die Einleitung ist zwar nicht übermäßig kämpferisch, aber das verschärft sich im Laufe des ersten Satzes. Das Orchester zieht gleichgestimmt mit der Solistin mit. Beide verstehen es sehr gut, die temporeichen schnellen Passagen mit Erregung zu erfüllen. Das Blech lässt man immer mal aus dem Gesamtklang aufblitzen, ohne dass daraus eine reine Militärmusik werden würde. Aber einen etwas kriegerischen Charakter nimmt die Musik dadurch schon an. Diesbezüglich hat die 1999er Aufnahme Zimermans auf manche nachfolgenden Einspielungen anscheinend stilbildend gewirkt.

Im Larghetto versteht es die Pianistin sehr gut anrührend und spannend Geschichten mit ihrem Flügel zu erzählen. In diesem recht flotten Tempo gelingt das nur sehr selten überzeugend. Trotz der schwierigen stilbildenden Ornamentik lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Man spürt, wie das Publikum gebannt und mucksmäuschenstill zuhört. Es geht einem ja selbst genauso. Das „Recitativo“ kann man ausdrucksvoller kaum spielen, ein Sänger oder eine Sängerin nicht besser singen. Nur hält sich das Orchester ein wenig zu sehr vornehm zurück.

Diese Zurückhaltung gibt es im dritten Satz allerdings wieder auf. Tänzerisch und schwungvoll, dabei extrem nuancenreich und in bestem Miteinander erklingt das Allegro vivace. Dabei klingt es mit mehr Wärme als bei Martha Argerich (1999) oder Stanislav Bunin. Diese Einspielung ist eine wahre Ohrenweide für Chopin-Enthusiasten.

Der Klang der Aufnahme ist tiefengestaffelt, transparent, leuchtend und breitbandig. Und in jeder Hinsicht ausgewogen: bei den Frequenzen, dynamisch und in der räumlichen Darstellung von Flügel und Orchester. Dies ist also nach den Aufnahmen von Zimerman (1999), Trifonov und Fliter bereits die vierte audiophile Empfehlung. Wie kann es sein, dass eine angeblich so schlecht gemachte Orchestrierung so gut klingt?

 

 

5

Pawel Kowalski

Tadeusz Wojciechowski

Chopin Academia Orchestra

Dux, LMM

2005

12:59 8:51 8:06  29:56

Nach Janina Fialkowska ist Pawel Kowalski die zweite große Überraschung (zumindest einmal für uns) bei unserem Vergleich mit insgesamt 142 Aufnahmen des Klavierkonzertes f-Moll. Auch dieser Pianist war uns bis jetzt nicht namentlich bekannt, was man angesichts des Gehörten bedauern muss. Wir konnten nicht viel über ihn erfahren, in Polen mag das ganz anders sein (obwohl das Internet nationale Unterschiede in der Bekanntheit eigentlich verwischen sollte). Es sieht so aus, dass keine mehr oder weniger spektakuläre Wettbewerbsteilnahme den Weg ins internationale Konzert- und Platten-Business geebnet hat. Herr Kowalski, soviel war wenigstens zu erfahren, war zur Zeit der Einspielung 40 Jahre jung.

Wer glaubt, dass das oben genannte Orchester vielleicht ein halbprofessionelles oder ein Studentenorchester wäre, dem kann man berichten, dass wir zwar nichts über es herausbekommen haben, dass es aber von exzellenter Qualität ist. Alleine die Violinen sind denen des „Orchestra della Toskana“ aus Florenz, das wir gerade zuvor gehört haben weit überlegen. Das lebendige Spiel des, sagen wir einfach mal Orchesters aus Spezialisten hat uns fast noch mehr überrascht als das des Pianisten. So geht’s manchmal, wenn man nichts erwartet.

Es spielt stark akzentuiert, klingt sehr homogen, weich, farbig und sehr dynamisch. Und es verfügt über exzellente Bläser, die man auch präsent zu hören bekommt. Herr Kowalski zieht das Tempo ganz schön an. Die Tongirlanden Chopins bekommen so eine sportlich durchtrainierte Note, obwohl sich die Darbietung nie nach Sport oder gar Leistungssport anhört. Der Pianist beherzigt nur, wie die großen Alten der Diskographie die vorgeschriebenen Metronomangaben, die den allermeisten und bei den allermeisten als viel zu schnell erscheinen (würden). Sein Anschlag ist nicht so klar wie bei Zimerman, Pollini, Bunin oder Martha Argerich, er wirkt vielmehr rund und der Klang des Flügels warm. Die schnellen Figuren verschwimmen so ein wenig, da die einzelnen Töne im Anschlag ineinander überzugehen scheinen. Von einer Teigigkeit á la Barenboim ist jedoch nichts zu spüren. Ansonsten kann man in Kowalskis und des Dirigenten Gestaltung durchaus das Vorbild Zimerman erkennen, wenn auch mit anderen Tempi. Man spielt sehr beherzt und hoch emotional. Der erste Satz nimmt so hochdramatische Züge an. Wir empfanden die Darstellung als mitreißend.

Im Larghetto hören wir poetisches Klavierspiel, nuanciert und akzentuiert. Mit stark kontrastierenden Satzteilen. Das „Recitativo“ lässt aufhorchen. Hiernach kannte Chopin die „Wolfsschlucht-Szene“ aus dem „Freischütz“ sehr gut und wenn es nach uns ginge sogar in der Kleiber-Aufnahme, aber dazu wäre eine kleine Zeitreise vonnöten gewesen. Nirgendwo bebt das Tremolo so furchteinflößend wie in dieser Einspielung. Wenn einem der „harte Anschlag“ nicht so wichtig ist und auch nicht, dass manch eine Figur wie ein Wölkchen aus Klang, dann wird er diesen Satz als einen der besten überhaupt bezeichnen.

Auch das Allegro vivace wirkt hochgradig bewegt, gar stürmisch, obwohl es durchaus noch schnellere Tempi im Vergleich gibt. Da wird der Charakter eines Jugendwerkes noch einmal so richtig herausgestellt. Es klingt sinnlich und tänzerisch und die Reminiszenzen kommen in angemessener Melancholie. Die Soli von Fagott und Horn gefallen auch.

Der Klang der Aufnahme ist voll und rund. Die Transparenz ist dem gegenüber weniger gut augeprägt. Das Orchester ist ganz gut aufgefächert und auch in die Tiefe herein gestaffelt. Es hat ordentlich Fleisch auf den Rippen (es klingt üppig, nicht zuletzt durch reichlich Bass) wenn man so sagen darf und spielt mit viel „Schmackes“. Dass die Bläser so weit entfernt klingen ist da ein kleiner Wermutstropfen. Dennoch klingt die Aufnahme plastisch und körperhaft.

 

 

5

Olga Scheps

Martin Foremny

Stuttgarter Kammerorchester

RCA

2013

15:05 10:15 8:44  34:04

Eigentlich wollten wir ja nur Einspielungen mit einem kompletten Orchester vorstellen, aber wenn man diese Version hört ist man vor allem vom Klavierspiel schnell so angetan, sodass wir es für angemessen hielten, die selbst auferlegte Regel (sonst wären die Sitzungen ausgeufert) einmal zu durchbrechen. Diese Version nur mit einem Streichorchester ist ja prinzipiell die Version für Klavier und Streichquintett, die Chopin für die Aufführungen im Salon vorgesehen hatte, nur dass die Streicher chorisch besetzt sind. Dennoch fällt einem der Verlust der Bläser hin und wieder als Mangel auf. Trotz des vortrefflichen Spiels der Stuttgarter. Olga Scheps´ Klavierspiel wetzt hingegen die Scharte vollends wieder aus.

Der Vortrag der bei der Aufnahme 27jährigen Pianistin gefällt durch besonderen Nuancenreichtum und hervorragende technische aber auch spieltechnische Brillanz. Er wirkt völlig stressfrei, denn es wird frei von der Seele weg erzählt. Mit freier Agogik und recht rubatoreich, spontan, ungekünstelt und poetisch. Man lässt sich die Zeit dafür, ohne es an Temperament und Brillanz fehlen zu lassen. Der Klang des Flügels wirkt groß, profund und sonor. Er „hat alles“. Allenfalls an Härte könnte was fehlen, je nach Geschmack, aber wer mag den harten Klang z.B eines Pollini da vorziehen? Im Gegensatz zu Pogorelich klingt bei ihr alles organisch und natürlich. Nie spielt sie eine Passage einfach nur so runter, was bei Pogorelich durchaus einmal passieren kann. Eine noch größere Streicherbesetzung hätte fast noch besser zu ihrem Flügel gepasst (oder dann doch gleich das ganze Orchester!). Nichts gegen die Stuttgarter, sie klingen ausgezeichnet, homogen und klangsatt und ebenfalls ausgesprochen nuancenreich. Sie fallen aber auch viel mehr ins Gewicht, als die Streicher im normal besetzten Orchester. Die Streicher allein können die Steigerungswellen der Pianistin einfach nicht adäquat fortsetzen, da fehlt dann doch das Blech als Vollender. Ein bisschen mankobehaftet bleibt es einfach.

Gesanglicher als das Spiel von Frau Scheps im Larghetto geht es kaum noch. Wir hören exemplarischen Belcanto. Jeder Ton wird hier musikalisch erfühlt, weshalb er dann auch erfüllt wirken kann. Es gibt keinerlei leeres Geplänkel und ganz besonders besticht der warme und zugleich sonore und brillante Klang des Flügels. Introvertiert die Grundhaltung, expressiv die Gestaltung, das ist hier kein Widerspruch. Und ganz bei sich und trotzdem mitteilsam ebenfalls nicht.

Im Allegro vivace hören wir ausgesprochen gefühlvolles Spiel, das geradezu das Herz erwärmt. Darin geht Frau Scheps deutlich über andere Pianistinnen, auch Martha Argerich oder Elisabetha Leonskaja hinaus. Unfreiwillig sorgt das Orchester für verschiedene erheiternde Momente, weil es so ganz anders und uns überraschend klingt. Immer wieder wird die Erwartungshaltung auf´s Glatteis geführt. So dermaßen anders als die 123 Einspielungen, die wir vor dieser gehört haben. Das ist natürlich ein Effekt, der sich aus unserer besonderen Hörsituation ergibt.

Der Klang erfreut genauso wie die musikalische Interpretation. Er ist offen, transparent, sehr präsent, raumfüllend und angenehm warm. Der Klavierklang wirkt zudem besonders sonor, klangsatt ebenfalls warm und brillant. Dem Orchesterklang ist er ein wenig überlegen, da aus der Präsenz des Flügels eine besondere Dynamik erwächst. Insgesamt wirkt der Klang sehr sinnlich. Für Klanggourmets eine besondere Empfehlung.

 

 

 

4-5

Claudio Arrau

Eliahu Inbal

London Philharmonic Orchestra

Philips

1970

14:40 10:05 9:08  33:53

Dies ist die einzige Stereo und zugleich die einzige Studioeinspielung mit Claudio Arrau. Es ist auch seine späteste. Der chilenische Pianist mit der deutschen Ausbildung (in Berlin am Sternschen Konservatorium) war bei der Aufnahme in der Londoner Wembley Town Hall 67 Jahre alt. Es existieren noch diverse Live-Aufnahmen, von den wir drei (mit Eugen Jochum, George Szell und Fritz Busch) in den Vergleich übernommen haben. Am besten von den vier Aufnahmen gefiel uns die Berliner Aufnahme mit Eugen Jochum. Da sie noch monaural ist, erscheint sie erst am Ende in der kleinen Extra-Liste mit den historischen Mono-Einspielungen.

Die Zusammenarbeit Arraus mit Eliahu Inbal ist gewissenhaft. Dass der junge Dirigent damals besondere Funken aus dem Orchesterpart geschlagen hätte, lässt sich jedoch nicht behaupten. Wir hatten den Eindruck, dass sich Herr Arrau mit Eugen Jochum am Pult am wohlsten gefühlt hat. Der besondere Wert der Philips-Einspielung geht also vor allem auf den Pianisten und den besten Klang innerhalb der Arrau-Einspielungen zurück.

Sein Spiel wirkt besonders klar und deutlich. Es ist versehen mit einer bestechenden Anschlagskultur und erscheint vom gängigen Chopin-Bild, das man landläufig gerne mit Eleganz, selbstgenügsamem Charme und Virtuosität verbindet, ziemlich weit entfernt. Claudio Arrau bindet da eine ernste „große“ Statur mit ein. Sein Chopin wirkt eher schwerblütig und fast schon brahmsisch. Seine dynamische Spannweite ist sehr groß, Legato und Non-Legato wird klar unterschieden (das machen andere natürlich auch). Den Eindruck von Anmut und jugendlicher Schwärmerei vermeidet er wo er kann. Insgesamt wird das Maestoso von ernster Dramatik durchzogen.

Im Larghetto fällt die souveräne Gestaltung aus einem Guss noch mehr auf als im ersten Satz. Jetzt wirkt der schwerblütig-intensive Ausdruck meist dunkel getönt. Die Dynamik wird an die Grenzen des (mit edlem Klang) Machbaren geführt. Sowohl im p- als auch im f-Bereich gibt es teils bohrende Intensität. Dabei stimmt das Gehörte mit den Vortragsbezeichnungen exakt überein.

Im dritten Satz wird das Vivace in der Satzbezeichnung ein wenig zurückgedrängt. Der tänzerische Schwung wirkt gemessen. Das Virtuose und Bravouröse tritt wie bereits in den Sätzen zuvor zurück zugunsten einer mehr oder weniger untergründig stets fühlbaren Melancholie. Arrau spielt pianistisch brillant, tempokonstant und mit exzellenter Anschlagskultur und einem runden, warm grundierten Klang. Im Gestus betont er (vor allem im ersten Satz natürlich) das Majestätische und Großartige. In Hinsicht auf eine freie Agogik wirkt sein Spiel ein wenig steif. Das war in den älteren Mono-Einspielungen, allesamt live, noch ganz anders.

Der Klang der Aufnahme gewährleistet eine gute Transparenz, das Holz kommt gut durch. Die Räumlichkeit erscheint recht großzügig. Es rauscht leise aber beständig. Der Flügel wird sehr deutlich und dominant vor das Orchester gestellt, was neben dem Spiel Arraus einen Teil der Größe der Einspielung ausmacht. An Fülle und Rundung fehlt es der Aufnahme ein noch wenig gegenüber den ein paar Jahre später von Philips auf den Markt gebrachten Klavieraufnahmen. Dünn oder gar dürr klingt sie jedoch beileibe nicht.

 

 

4-5

Rafal Belchacz

Jerzy Semkow

Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam

DG

2009, live

14:32 9:54 8:45  33:11

Rafal Blechacz war der Gewinner des Chopin-Wettbewerbs 2005. Er heimst nicht nur die Goldmedaille ein, sondern gewann auch noch alle damals vergebenen Sonderpreise ein: für die beste Mazurka, die beste Polonaise und die beste Darbietung eines Konzertes. Das kam bis dahin und danach noch nie bzw. nie wieder vor. Ob man den zweiten Platz nicht vergeben hat, um einen gebührenden Abstand zu den Nächstplatzierten zu erreichen, entzieht sich unserer Kenntnis. Man könnte es vermuten. Diese Aufnahme wurde nicht zuletzt wegen des sich 2010 nähernden 200. Geburtstages ins Programm der DG aufgenommen, nachdem die üblichen Einzelaufnahmen des Warschauer Gewinners bereits zuvor veröffentlicht wurden. Sie bringt den bei der Aufnahme 26jährigen Solisten mit dem erfahrenen damals 81jährigen ebenfalls aus Polen stammenden Jerzy Semkov zusammen.

Das Orchester lässt sich unter dem behutsam vorantreibenden Dirigenten sehr differenziert hören, durchaus energisch und bemerkenswert frisch. Überhaupt war es auffallend innerhalb des Vergleiches, dass gerade polnische Dirigenten den ersten Satz meist energisch vorantreiben und einen auflichtenden Blick für die Holzbläser haben und das Blech gut in Szene setzen. Gerade der Nationalcharakter und das Militärische in der Musik spiegelt sich im Blech (so selten es auch gefordert ist) und in den Pauken. Selbstverständlich sind sie mit der polnischen Geschichte am besten vertraut und spüren die diversen Akzente hellhöriger auf, wobei sich „Ausländer“ selbstverständlich in selbige einlesen könnten. Der Anschlag des jungen Herrn Blechacz wirkt besonders klar, differenziert und brillant. Man bemerkt es schon bei den ersten Takten, dass hier ein ganz besonderes Talent seine Visitenkarte im Concertgebouw abgibt. Der Klang wirkt wunderbar perlend, die Töne verschwimmen nicht, die einzelnen Anschläge sind alle voneinander differenziert zu hören. Die Phrasierung lässt keine Wünsche offen. Das Spiel wirkt leicht und mühelos, mit einem jugendlich frischen Impetus, diesen jedoch in keiner Weise zur Schau stellend. Chopin ist hier ein ernstzunehmender junger Romantiker voller Sehnsüchte und Überschwang der Gefühle, aber bereits volljährig und kein flatterhafter Heißsporn mehr. Ganz ähnlich wie bei Zimermans erster Einspielung von 1979. Wenn man beide Aufnahmen direkt vergleichen will, fehlen Blechacz vielleicht noch ein paar Farben oder etwas Dominanz. Aber sein Flügel wirkt, wie auch das Orchester aufnahmetechnisch distanzierter als bei der 79er Zimerman, das spielt nicht unerheblich mit in diese Eindrücke hinein. Und modifiziert sie.

Der Belcanto-Klang des Flügels könnte kaum schöner sein und er ist wunderbar in einen Orchesterklang besonderer Klasse eingebettet. Beim „Recitativo“ wirken die Orchesterbässe im dennoch gut gespielten Tremolo eher zurückhaltend, hier ergibt sich also keine „Wolfsschluchtszene“, sodass der rechte Bedrohungsfaktor in der verzweifelten Gefühlslage ein wenig fehlt. Sehr schönes aber leider zu leises Fagottsolo. Wie bereits angedeutet das Klangbild wirkt etwas distanziert.

Dafür bringt diese Live-Einspielung das Allegro vivace wirklich mal zum Tanzen. Selbstverständlich sublimiert und immer noch fein gezeichnet, aber doch energisch und kraftvoll. Die Aufnahme mit Barenboim und Nelsons, die von der DG ebenfalls anlässlich des 200. Geburtstags Chopins auf den Markt gebracht wurde, wird in allen Belangen deutlich übertroffen. Auch klanglich.

Der Klang des Orchesters erscheint gegenüber Barenboim/Nelsons offener, dynamischer, räumlicher, viel differenzierter und deutlich obertonreicher. Daher auch brillanter und besser gestaffelt. Beim Klang des Flügels verhält es sich im Prinzip genauso. Barenboims Flügel wird in allen Belangen sozusagen in den Schatten gestellt.

 

 

4-5

Christian Zacharias

als Pianist und Dirigent in Personalunion

Orchestre de Chambre de Lausanne

MDG

2003

13:42 8:29 8:46  30:57

Herr Zacharias war bei dieser Einspielung 53 Jahre jung. Er holte sich in den frühen 70er Jahren den letzten Feinschliff bei Vlado Perlemuter in Paris. Sicher hat auch er einige Wettbewerbe erfolgreich bestritten, z.B. den Ravel-Wettbewerb in Paris. Beim Chopin-Wettbewerb in Warschau scheint er jedoch nicht teilgenommen zu haben. Vielleicht hat man ihn nicht zuletzt deshalb nicht unbedingt als „Chopin-Spezialisten“ auf dem Schirm. Dem Orchester aus Lausanne stand er von 2000 bis 2013 als Chefdirigent vor. Dass man sich 2003 bestens verstand, hört man der Einspielung durchaus an.

Das Orchestervorspiel klingt leicht, mit einer mit Melancholie eingefärbten Note und ohne die auffallende Dramatik der polnischen Dirigenten. Das Holz spielt nicht gerade auf dem Präsentierteller. Des Pianisten Spiel strahlt viel innere Ruhe und Wärme aus. Der Anschlag ist weich und recht brillant, sehr ausgewogen (in der Tiefe, der Mitte und im Diskant wirkt es gleichermaßen brillant) und durchaus spannend. Agogisch nie übertreibend wirkt das Spiel doch sehr spontan und inspiriert auf uns. Die virtuosen Figurationen wirken unaufgeregt aber nie monochrom. Das Orchester bildet die auch klangfarblich ideale Unterstützung, bleibt jedoch immer auf der elegant-zurückhaltenden Seite. Blech ist kaum zu hören, das Holz bleibt immer nur Teil des Ganzen. Die Virtuosität ist nur Mittel zum Zweck.

Im Larghetto kommen wir in den Genuss des empathisch wirkenden Spiels eines Könners. Der weiche und volle Klang von Zacharias spielt nun seine ganzen Qualitäten voll aus. Dass die Brillanz auch klangtechnisch nicht so gepuscht wirkt, ist ein großes Plus. Das mag manch einem zu unspektakulär erscheinen, wir finden jedoch, dass der Klang den Kern des Werkes und genauso ins Herz besonders gut trifft. Alles hat „Hand und Fuß“, wie man so schön sagt. Da wird nichts versucht, um neuartig oder genial zu wirken. Ein Triumph der Bescheidenheit.

Im Allegro vivace begegnet uns das Orchester mit mehr Blechunterstützung als zuvor. Auch das Holz wirkt nun ein wenig präsenter (aber nur ein wenig). Augenmaß in Tempo und Artikulation sind aber auch jetzt die Trümpfe des Gelingens. Zacharias lässt gerne mal uneigennützig dem Orchester den Vortritt, es ist manchmal gut, wenn alles in einer Hand liegt. Hier ist es zum Wohle des Werkes. Der Satz wirkt partiturnah und diszipliniert, könnte jedoch ein wenig mehr Brillanz vertragen und weniger verhalten wirken. Bodenständige Romantik aus dem Blickwinkel der Klassiker.

Das Orchester klingt weich und rund aber wie so oft bei diesem Konzert ein wenig zu entfernt. Dazu gesellt sich ein sehr gut ausbalancierter, sonor und weich klingender, voluminöser Flügel. Der Gesamtklang ist räumlich und natürlich, wie man es von MDG gewöhnt ist. Transparenz war nicht oberstes Gebot. Die Dynamik ist nicht schlecht, reißt aber keine Bäume aus.

 

 

4-5

Elisabetha Leonskaja

Vladimir Ashkenazy

Tschechische Philharmonie, Prag

Teldec, Warner

1998, live

14:02 9:44 8:23  32:09

Auch Frau Leonskaja nahm in ihrer Jugend rege an Wettbewerben teil, so in Bukarest, Brüssel und Paris. Eine Teilnahme am Chopin-Wettbewerb in Warschau konnten wir nicht verifizieren.

Die Orchestereinleitung, gespielt vom groß besetzten Orchester, wirkt kraftvoll, impulsiv und doch sensibel. Dem Maestoso wird man glänzend gerecht. Die Balance von Flügel und Klavier könnte man als perfekt bezeichnen. Frau Leonskajas Spiel nimmt den Gestus des Orchesters auf. Auch bei ihr klingt es kraftvoll und sensibel. Ihr Anschlag verbindet eine gewisse weiche Wärme und eine brillante Härte sehr gut miteinander. Ihr durchaus poetischer Vortrag wirkt dem von Maria Joao Pires gar nicht einmal so unähnlich. Allerdings ist der Klang Leonskajas etwas metallischer, was aus der Aufnahmedisposition herrühren dürfte. Ein wenig mehr Herzenswärme also bei der Portugiesin. Zudem wirkt das Spiel der Georgierin ein wenig intellektueller. Von einer gewissen Starrheit im Vortrag, die man ihr manchmal andichtet, konnten wir nichts feststellen. Geprägt ist der vorgestellte Gestus eher von einem offensiv-hartnäckigem Durchsetzungsvermögen. Das passt zum ersten Satz sehr gut, zumal Herr Ashkenazy, der das Werk ja auch sehr gut von der Seite des Pianisten kennt, dieselben Tugenden mit einbringt. Die Ornamentik wird bei der Pianistin in den „Redefluss“ integriert, wirkt also nicht aufgesetzt. Dies ist so kein Konzert für den Salon mehr, sondern für den großen Konzertsaal.

Im Larghetto treffen wir eine große Sängerin bei ihrer Opernszene. Sie wirkt wie frei improvisierend und äußerst selbstbewusst. Man lässt sich Zeit, weiß sie aber mit Spannung zu füllen. Ihr Spiel wirkt klar, auch bei den schwierigsten Figuren. Beim „Recitativo“ drehen sie und Herr Ashkenazy voll auf. Das wirkt sehr bewegend. Das Orchester wirkt hervorragend als Stimmungsverstärker. Sehr stimmungsvoll und überzeugend.

Mit angetriebenem Schwung geht es ins Allegro vivace. Äußerst flexibles Spiel bei der „Tanzeinlage“. Das Orchester ist immer hautnah am Spiel der Pianistin dran. Auch hier bemerkt man Ashkenazys intime Kenntnis des Klavierparts. Dies Darstellung verbindet weibliche Intuition und filigrane Technik mit herbem, festem Zugriff. Das Gegenstück in Groß zur Einspielung von Christian Zacharias.

Leider ist die Akustik etwas hallig geraten. Und sehr großräumig, aber transparent. Das Holz kommt prägnant ins Bild, das Orchester wirkt ziemlich massiv und kraftvoll. Der Flügel wird dennoch prominent und sogar etwas dominant vor das Orchester gestellt. Eine Aufnahme von großem Kaliber. Passend zur Interpretation.

 

 

4-5

Khatia Buniatishvili

Paavo Järvi

Orchestre de Paris

Sony

2011

13:08 8:49 7:30  29:27

„Er hatte die Torheit der Jugend in sich, ein Gefühl der Rebellion, Zärtlichkeit und Leidenschaft, und doch kämpfte er nie um den Sieg.“ Das meinte Khatia Buniatishvili zu Frédéric Chopin.

Genau das gelingt ihr mit ihrer hervorragenden Technik hörbar zu machen. Ihr Spiel wirkt unstet, absichtlich etwas unausgewogen und leidenschaftlich durchpulst. Sie bemüht sich also gar nicht sonderlich um den Eindruck von Klassizität. Die Tempi werden mit ausgeprägtem Rubato und deutlicher Agogik mächtig gespreizt. Die Dynamik ist sehr kontrastreich. Gegenüber der Rundfunkübertragung ein paar Monate zuvor klingen ihre schnellen Spielfiguren in Paris deutlicher.

Die Orchestereinleitung aus Paris wirkt zuvor sehr stimmungsvoll mit plastisch herausgearbeitetem Holz und gut hörbarem Blech. Das Orchestre de Paris wird von seinem damaligen Chef im weiteren Verlauf entsprechend stürmisch angetrieben, um den Faden der Pianistin gleichgestimmt weiterzuspinnen.

Im Larghetto gelingt es ihr mit ihrem wunderbar kantablen, flüssigen und geschmeidigen Spiel unter die blendende Oberfläche zu kommen. Es wirkt nie gefühlig und gerät schon vor dem „Recitativo“ fast außer Rand und Band. Selbiges wird nochmals emotional stark gesteigert, wobei die Pianistin die Intensität des vom Orchester gelieferten Tremolos deutlich übertrifft. Sie orientiert sich am Belcanto, allerdings mit fulminantem Espressivo „aufgepeppt“.

Ihr Allegro vivace bekommt ordentlich agitato mit auf den Weg, geht aufs Ganze und wirkt im Tempo schon ziemlich gehetzt. Sowohl die innigen Passagen als auch die tänzerisch-rasanten werden furios ausgespielt. Immer mit einer perfekten Pianistik geadelt, sehr gefühlvoll und mit viel Klangsinn. Der Satz klingt jung, frisch, originell und wohltuend anders.

Der Klang der Aufnahme ist beim Orchester sehr transparent, gut aufgefächert und dynamisch. Der Flügel steht deutlich, plastisch und in ausgezeichneter Balance davor.

Von Khatia Buniatishvili haben wir uns auch noch eine vom Saarländischen Rundfunk ausgestrahlte Live-Darbietung im Radio angehört. Es ist immer interessant zu hören, was von den Studio-Einspielungen live im Konzertsaal übrigbleibt. Sie lässt nicht lange auf sich warten. Nur ein „alter“ Bekannter „drängt“ sich galant dazwischen.

 

 

4-5

Artur Rubinstein

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

RCA

1968

14:19 9:11 8:32  32:02

Bei seiner letzten Plattenaufnahme des f-Moll Konzertes im Studio hat Herr Rubinstein das ehrwürdige Alter von 81 Jahren erreicht. Das Orchester ist gegenüber seiner letzten Aufnahme für RCA 1958 noch geschmeidiger und fülliger geworden. Aber leider auch deutlich gemütlicher. Rubinstein und Ormandy haben nun mit den originalen Metronomangaben nur noch wenig am Hut. In der Temponahme hat man den Mainstream nun erreicht. Was für ein Unterschied zu seiner Aufnahme aus den 30er Jahren! Der Klang des Klavieres wirkt nun noch sonorer als 1958 aber nicht mehr ganz so brillant. Inwieweit das mit der Aufnahmetechnik oder mit Rubinsteins Anschlag zu tun hat ist schwer zu entscheiden. Der Interpretation fehlt es gegenüber den Darbietungen in jüngeren Jahren ein wenig an Schwung, obwohl man angesichts des Alters und der vorhandenen pianistischen Substanz einfach nur den Hut ziehen muss. Er spielte das zweite Konzert besonders gerne und oft, es scheint sein persönlicher Favorit gewesen zu sein. Was für ein Erfahrungsschatz sich da über die Jahre angehäuft haben muss! Das merkt man seinem Spiel durchaus an. Es wirkt, auch wenn sein Anschlag nicht mehr so schnell und spritzig sein sollte wie früher, in seinen noch jugendlichen 70er Lebensjahren, trotzdem noch bereichernd. Nun singt auch das nun nicht mehr gar so schnelle Rankwerk und die Girlanden.

Das Larghetto wirkt nun noch etwas langsamer und verträumter, wird aber immer noch mit einem hellwachen Geist gespielt. Nicht mehr ganz so flink aber noch etwas freier im Vortrag und im Anschlag weicher und runder geworden und überhaupt nicht teigig.

Das Allegro vivace wirkt nun doch schon etwas zu sanft und kommod sodass das Tänzerische gegenüber früher ein wenig auf der Strecke bleibt. Das Raffinement des Orchesters beim Ponticello-Effekt (wenn der Bogen mit der Holzseite benutzt wird) lässt aufhorchen. Wo hätte man es erwartet, wenn nicht in Philadelphia?

1968 war die Living-Stereo-Ära der RCA leider schon beendet. Das Orchester rückt nun weiter weg vom Hörer, mit der „anmachenden“ Präsenz war es vorbei. Es klingt aber immerhin mit einem etwas wärmeren und sanfteren Grundton und das ist ja auch was wert. Der Flügel wirkt nun etwas fülliger als 58, das direkt-sehnige, etwas schärfer fokussierte, straffere, das uns eigentlich besser gefällt, geht dafür verloren. Aber das bleibt Geschmacksache. Manch einen Musikfreund, einer Musikfreundin mag die 68er mehr ans Herz wachsen als die 58er. Der Flügel dominiert die Szenerie etwas deutlicher als 1958.

 

 

4-5

Artur Rubinstein

Witold Rowicki

Warschauer Philharmoniker

Accord, Altara, Muza

1960, live

12:17 8:51 7:59  29:07

Nun geht es wieder acht Jahre zurück. Mister Rubinstein zeigt, dass es sich auch mit 73 noch in seinem besten Pianisten-Alter befand. Auch die Partnerschaft mit einem polnischen Dirigenten und einem polnischen Orchester macht sich musikalisch bemerkbar.

Die Orchestereinleitung wirkt schlank, dezent aber temporeich. Schneller als bei Wallenstein 1958. Leider klingen die Oboen damals auch in Warschau noch gnadenlos dünn. Dem Flügel wird zurecht viel Raum zur klanglichen Entfaltung gegeben, wenn diese Maßnahme auch ein wenig technisch manipuliert wirkt. Rubinstein wirkt sehr gut vorbereitet, spielt technisch sehr sauber und mit brillantem Klang. Das dezent-raffinierte Rubato bestätigt ebenfalls, dass er sich in seinem besten Pianisten-Alter befindet, zumindest was seine Einspielungen des f-Moll-Konzerts angeht.

Der Vortrag wirkt im Larghetto sehr beredt. Er wirkt wie selbstverständlich, als ob der Pianist in seiner ureigensten Sprache spricht. Das „Recitativo“ wirkt ein wenig zurückgenommen in der Lautstärke, aber ebenso suggestiv und mit aristokratischer Noblesse.

Das Allegro vivace wird zu einem charmant dargebotenen beschwingten Kehraus. Allerdings hätten wir uns gewünscht, dass das Orchester profilierter klingen würde. Es steht nun deutlich im Schatten des Solisten, wenngleich die Zusammenarbeit nach wie vor stimmig wirkt. Das Solo des Signalhorns wird immerhin nicht versteckt. Wenn es vor allem ums Klavierspiel geht und der Klang der Aufnahme keine Rolle spielt, ist diese Aufnahme ein Geheimfavorit bei den Rubinstein-Aufnahmen.

Das Orchester klingt leider dünn und zurückgesetzt. Das Klavier klingt im Verhältnis viel besser und steht groß und klar im Vordergrund. Die Vorliebe der Techniker für den Pianisten ist überdeutlich. Ein verlorener Landsmann und Weltstar ist ja auch wieder nach Hause gekommen, das Orchester nimmt man alle Tage auf. Die Publikumsgeräusche sind mehr oder weniger präsent immer hörbar. Die Klangqualität ist kaum mit den beiden RCA-Studioaufnahmen von 1958 und 1968 vergleichbar, selbst die 1946er mit Steinberg auf die wir bei den historischen Aufnahmen zu sprechen kommen wollen, hat da noch diverse Vorzüge. Das andere Live-Projekt mit Rubinstein 1960 mit Giulini überragt sie jedoch, sie ist ja auch schon in Stereo!

 

 

4-5

Khatia Buniatishvili

Ariel Zukerman

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern

SR oder SWR, das ist hier die Frage, unveröffentlicht

2011, live

13:11 8:28 7:26  29:05

Diese Aufnahme fand nur ein paar Monate vor der CD-Einspielung für Sony in Kaiserslautern statt. Die Pianistin war dabei 24 Jahre jung. Die Orchestereinleitung wartet mit guten dynamischen Kontrasten und einer bewegten und gut gesteigerten Gestaltung auf, der klang des Orchesters wirkt homogen, das Spiel geschmeidig. Das deutliche Holz ist eine Zierde.

Wie in Paris gefällt die Pianistin durch ein auffallend glutvoll-gespanntes, temperamentvolles sehr flüssiges Spiel und durch den guten Klang ihres Flügels. Dem noch höheren Tempo als in Paris ist es geschuldet, dass die Figurationen ein wenig undeutlicher erscheinen. Das Spiel wirkt sagenhaft beherzt, sehr kontrastreich und es ist ihm auch ein richtiges pp nicht fremd. Anders als bei Zimermann, Argerich, Pollini und bei ihr selbst in Paris sind in Kaiserslautern die einzelnen Anschläge kaum noch als solche wahrzunehmen, sie gehen klanglich ineinander über. Dieses wie geölt wirkende jugendliche Spiel mit dem flexiblen Rubato wird vom Orchester prima aufgegriffen.

Im Larghetto meint man, Frau Buniatishvili müsse Finger aus Gummi haben, so sehr werden die zierenden Spielfiguren hier in der Geschwindigkeit angezogen. Dennoch weiß sie die Dynamik enorm kontrastreich zu gestalten und die Flexibilität lässt staunen. Dass es bisweilen ein wenig schnoddrig hingelegt wird, lässt den jugendlich trotzigen Charakter eigentlich nur noch plausibler werden, schulmäßige Klarheit hört sich allerdings anders an. In Paris hat sich Frau Buniatisvili demgegenüber ein wenig gemäßigt. Da ging es weniger darum das Publikum „umzuhauen“, als etwas von zeitlosem Wert zu schaffen. Da muss man das Spiel ein wenig anpassen. Sehr leidenschaftliches „Recitativo“. Ein leiseres pp spielt live niemand.

Im dritten Satz hören wir sehr viel Allegro und sehr viel vivace. Durchpulst von enormer jugendlicher Spielfreude, scheint der Gestus mitunter sogar ein wenig über das Ziel hinauszuschießen. Ob die junge Frau so viel „Gas“ gibt um andere (z.B. Frau Argerich) noch zu übertreffen? Wie bei der Argentinierin steckt auch bei der jungen Frau aus Georgien viel überbordende, lebhafte Musikalität drin, die voll ausgelebt werden will. An ihr vermeintliches Vorbild kommt sie noch nicht ganz heran. Frau Argerich bringt zusätzlich noch eine größere Deutlichkeit ein. Allerdings war sie auch kein 24 mehr. Das Gegenteil wäre übrigens die intellektuell wirkende Julianna Avedeeva, die aber auf einem historischen Flügel spielt und deshalb in eine eigene Liste kommt. Das Orchester scheint seine liebe Not zu haben, der überstürzenden Solistin hinterherzukommen, aber das macht die Darbietung nur noch spannender. Jedenfalls wird die unglückliche Liebe, die Einsamkeit die daraus entsteht und der somit zerbrochen erscheinende Lebensentwurf der beiden Sätze zuvor wie im Sturm weggeblasen. Das ist mal ein echtes Happy End. Stürmisch-frenetischer Applaus in Kaiserslautern.

Der Klang der Aufnahme ist sehr gut aufgefächert und gut tiefengestaffelt. Die Transparenz also sehr gut für eine Live-Übertragung. Der sämige Streicherklang der offensichtlich nicht allzu kleinen Besetzung gefiel sehr gut. Der Flügel erklang nicht überproportioniert und befand sich in guter Balance zum Orchester. Für diese Besetzung ist der Raum der Übertragung nach zu urteilen offensichtlich sehr gut geeignet, bei Mahlers Fünfter war das anders.

 

 

4-5

Yu Kosuge

Philippe Herreweghe

Camerata Salzburg

ORF, unveröffentlicht

2010, live

14:54 10:00 8:42  33:36

Auch bei diesem Konzert war wahrscheinlich Chopins 200. Geburtstag Grund für die Programmierung des f-Moll Klavierkonzertes. Es wurde während der Salzburger Festspiele vom ORF im Haus für Mozart aufgenommen und gesendet. Die damals 27jährige Pianistin musste dabei innerhalb 24 Stunden für den erkrankten Ivo Pogorelich einspringen. Wie Alexei Volodin hat die Pianistin das Konzert unseres Wissens bisher nicht für Tonträger eingespielt. Das erscheint nach Kenntnis der Darbietung als sehr bedauerlich. Nach nur einer Verständigungsprobe muss man das Gehörte als bravouröse Glanzleistung bezeichnen. Es muss offenbleiben, was mit ein paar Proben mehr möglich gewesen wäre. Vielleicht wäre der Gestus ein wenig offensiver geworden und somit ideal? Übrigens kamen in diesem Konzert noch zwei Werke Robert Schumanns zur Aufführung, der im gleichen Jahr geboren wurde. Ein doppeltes posthumes Geburtstagsständchen also.

Wir hören ein schlankes, ja filigranes Orchestervorspiel mit einer sehr guten Hervorhebung der Basslinie, klaren Holzbläsern, die ähnlich gut hervorgehoben werden wie bei Skrowaczewski und einigen anderen polnischen Dirigenten und auch das Blech hört man gut heraus. Die Pianistin spielt zunächst etwas zurückgenommen im Tempo und Dynamik, weiß sich im Verlauf aber immer wieder gut zu steigern. Es wird nie in die Tasten gehämmert. Der Gestus ist sanft und gefühlvoll. Mitunter hat man das Gefühl, man bekäme das Konzert erklärt.  Nicht nur wegen des moderaten Tempos, sondern auch wegen der frappierenden Klarheit des Klavierspiels. Oft tritt der Flügel in Dialog mit dem Orchester und man fragt sich, warum das so vielen anderen Interpreten nicht auch so gut gelingt. Und das mit nur einer Verständigungsprobe. Man hört einander sehr gut zu. Das Orchester ist nie nur die Vorlage zu einer pianistischen Selbstdarstellung. Hier herrscht eine demokratische Grundordnung. Herreweghe gelingt ebenfalls eine Aufwertung des Orchesterparts.

Im Larghetto wird das Tempo ebenfalls ziemlich tragend gewählt. Aus gutem Grund, so empfindsam mit einer natürlich wirkenden Agogik wie Yu Kosuge spielt, wäre es schneller kaum möglich gewesen. Beim „Recitativo“ wird die Dynamik breit ausgespielt, besonders wird dabei den pp-Passagen nachgespürt. So leise, dass man wohl die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören. Tatsächlich kört man nichts als Musik, das Publikum schien sich verzaubern lassen. Erfreulich erneut wie gut Flügel und Orchester zueinander passen und wie gut der so gespielte Klavierpart das Orchester zur Geltung kommen lässt. Es ist also nicht nur ein hellhöriger Dirigent, der den Orchesterpart aufwertet, sondern auch eine partnerschaftlich gesinnte, ebenso hellhörige Pianistin.

Das Allegro vivace erklingt beschwingt aber mit reduziertem Tempo. Und auf gewisse Weise auch spannend. Allerdings hat man nie das Gefühl, man könne schon wissen, wie es weitergeht. Bei der 90sten gehörten Aufnahme war das schon ziemlich überraschend. Das Orchester trägt zu diesem Eindruck bei, z.B.  mit Akzenten der in den Aufnahmen sonst meist ignorierten Pauke. Aber vor allem die Pianistin. Sie hält ebenso die Spannung hoch. Leider „versemmelt“ das Signalhorn die Wiederholung des Signals total. Wäre ja sonst auch zu schön gewesen. Ansonsten hätte diese Aufnahme die Veröffentlichung mehr als verdient.

Damals sendete der ORF noch ein 5.1. Signal über den Satelliten. Der Flügel klingt sehr gut eingebettet ins Orchester, das wiederum transparent und weich aufgenommen wurde. Eine ausgezeichnete Aufnahme des Landesstudios Salzburg. Das Publikum war mucksmäuschenstill.

 

 

4-5

Bella Davidovich

Neville Marriner

London Symphony Orchestra

Philips

1982

14:37 9:34 8:41  32:52

Bella Davidovich war gemeinsam mit Halina Czerny-Stefanska, die das f-Moll-Konzert leider nie eingespielt hat die erste Goldmedaillen-Gewinnerin beim Chopin-Wettbewerb in Warschau nach dem Krieg. Das war 1949. Erst danach fand man zu dem Fünfjahresrhythmus, der bis heute Bestand hat. Nur durch die Corona-Pandemie wurde er einmalig von 2020 auf 2021 verlegt. Diese Einspielung erfolgte 1982, als die Pianistin 54 Jahre jung war. Ihr Debut im Westen erfolgte erst spät und auch die Zusammenarbeit mit Philips währte nur vier Jahre. Seit 1982 unterrichtete sie an der Juilliard School.

Ihr Zugang zum ersten Satz ist von einer lebhaften Leidenschaftlichkeit geprägt, es mangelt ihrem Spiel weder an Poesie noch am kraftvollen pianistischen Aplomb. Marriners Orchesterleitung wirkt großformatig aber noch ausgewogen. Er unterstützt die Pianistin mit einer guten Balance von Sachlichkeit und Leidenschaft.

Das Larghetto findet wie so oft, wenn Pianistinnen spielen zu einer atmosphärischen Wirkung mit viel Poesie. Dabei wirkt das diskrete Rubato von Frau Davidovich geschmackvoll und zurückhaltend, stilistisch unanfechtbar, wenn wir das mal behaupten dürfen. Ihr glasklarer Anschlag verbindet eine straffe Härte mit einem schönen weichen Legato. Sie triftet nie ins Gefühlige ab. Das Orchester spielt nun naturgemäß viel sanfter und sehr klangschön.

Im Allegro vivace lässt Marriner das Blech deutlich hervorklingen. Das Spiel von Pianistin und Orchester wirkt nicht übermäßig temperamentvoll, aber vital, beredt und pianistisch exzellent. Durchaus pulsierend. Auch orchestral ist dies eine typische A-Produktion auf hohem Niveau. Frau Davidovich spielt nicht ganz so nuanciert wie Frau Buniatishvili. Leider ist beim Horn die Wiederholung des Signals nicht mehr richtig zu hören, aber das ist eigentlich nur ein marginaler Einwand, zu dem es durch eine kleine Korrektur aber gar nicht hätte kommen müssen.

Im Gegensatz zum e-Moll-Klavierkonzert von 1980 wurde das f-Moll-Konzert bereits digital aufgezeichnet. So behaupten es wenigstens die Aufdrucke auf der damals veröffentlichten Platte. Zweifel daran erscheinen angebracht, denn auch das f-Moll-Konzert zeigt keine Anzeichen einer frühen Digital-Aufnahme. Die kritischste Gruppe des Orchesters, die Violinen klingen voll und rund. Die ganze Aufnahme ziemlich klangsatt. Allerdings hatte Philips, mit Sony der Entwickler und Pionier der damals neuartigen Technik, die Nase ein wenig vor den „Nachahmern“. Nur ein klein wenig vermisst man die analoge Wärme der damaligen Philips-Analog-Aufnahmen ab etwa Mitte der 70er. Der Flügel klingt aber sehr präsent und brillant und nur ein klein wenig härter. Die klangliche Verbesserung gegenüber der letzten Philips-Aufnahme des f-Moll-Konzertes mit Rafael Orozco und David Zinman ist jedoch immens.

 

 

4-5

Martin Garcia Garcia

Andrey Boreyko

Warschauer Philharmoniker

NIFC

2021, live

14:32 9:15  8:17  32:04

2021 hat man den 2020 wegen Corona ausgefallenen Chopin-Wettbewerb nachgeholt. Der gesamte Wettbewerb wurde vom ersten Ton an weltweit gestreamt. Mit vielen Kameras war man nun konfrontiert mit dem Gesicht, den Fingern und anderen Teilen der jeweiligen Spieler/innen. Wie entmutigend für die bemitleidenswerten ohnehin schon maximal aufgeregten Teilnehmer/innen. Als Hörer konnte man sich dann auf alles andere als auf die Musik konzentrieren, um dies es ja eigentlich ginge. Hoffentlich standen den Juroren nicht dieselben Möglichkeiten offen. Dann wären sie nämlich vom Konzerteindruck weit weg gewesen. Wahrscheinlich möchte man mittlerweile auch die Medientauglichkeit des jeweiligen Probanden mitbewerten. Herr Garcia war der erste Preisträger aus Spanien. Er landete auf dem 3. Platz. Aber er gewann zusätzlich noch den Sonderpreis für die beste Darbietung eines Konzertes. Er wählte sich wie auch der zweitplatzierte Alexander Gadjiev das f-Moll Konzert aus, sodass wir beide Mitschnitte, die beide als CD erschienen sind, in den Vergleich aufnehmen konnten. Gewonnen hat übrigens Bruce Liu, der sich wie so viele andere im Finale für das e-Moll Konzert entschieden hat. Noch ein Wort zum Orchester. Es muss oder darf, je nach Perspektive hintereinander weg alle meistens 12 Finalisten bei einem der beiden Klavierkonzerte begleiten. Wir sind uns nicht sicher ob die Musiker da immer noch mit dem ganzen Herzen dabei sind. Geläufig dürften sie jedoch sein, die beiden Konzerte.

Die Tempi sind bei beiden Preisträgern, also den Herren Gadjiev und Garcia nahezu identisch, der Dirigent (es war der gleiche und es ist immer der jeweils gerade amtierende Chef, damals also Andrey Boreyko) hat da sicher auch noch ein Wörtchen mitzureden. Garcias Flügel klingt brillanter und nuancenreicher. Er scheint sich besser in den Orchesterklang einzufügen. Uns erschien der Flügel von Fazioli bei Garcia, dem Kawai bei Gadjiev überlegen. Garcias „Redefluß“ wirkt noch nicht so glatt, er setzt immer wieder gliedernde Akzente, die die Musik sinnvoll aufteilen. Sein Vortrag wirkte noch eingängiger. Der Preis für die beste Darbietung eines Konzerts erscheint aus unserer Sicht verdient.

Diese Einschätzung setzt sich im Larghetto fort. Da wirkt Señor Garcia gedankenvoller, inspirierter. Er formuiert seine Phrasierung detaillierter und mit mehr Ruhe aus. Sein „Recitativo“ erscheint aufgewühlter. Dass das Orchester so „laumalerisch“ begleitet (stöhnen, murmeln, brummen) muss angesichts der Umstände besonders positiv überraschen. Man bricht hier viel mehr aus der vorherigen Gefühlslage aus. Auch das Fagott-Solo wird besser ins Klavierspiel integriert.

Das Orchester fühlt sich auch im Allegro vivace zu einer reicheren Farbpalette stimuliert und beteiligt sich besser. Wenn Herr Garcia als erster sein Konzert spielen durfte und Herr Gadjiev als zwölfter würde das einiges erklären. Der Vortrag von Herrn Garcia wirkt pointierter, emotional stärker durchdrungen, äußerst differenziert und klanglich herausragend. Zudem spontaner, zumindest für uns Zuhörer, die zusätzlich keine Bilder zu verarbeiten haben. Schade, dass der Wettbewerbsgewinner, Herr Liu, das e-Moll-Konzert ausgewählt hatte, ihn hätten wir auch gerne mit dem f-Moll-Konzert gehört. Es überrascht, wie einfühlsamer das Orchester mit Herr Garcia zusammenspielt. Tosender Applaus schon in die letzten Takte des Konzertes hinein. Das hat übrigens Tradition in Warschau.

Klanglich klingt das Orchester (es ist das gleiche in demselben Konzertsaal, der Warschauer Philharmonie) etwas transparenter und fülliger als mit Gadjiev. Auch der Flügel (da ist es wie bereits erwähnt ein anderes Modell) runder, weicher, brillanter und sinnlicher. Besserer Gesamtklang.

 

 

4-5

Maurizio Pollini

Claudio Abbado

Wiener Philharmoniker

ORF

1973, live und unveröffentlicht

13:33 9:01 7:44  30:18

Bei diesem Mitschnitt handelt es sich um eine Darbietung, die der ORF bei den Salzburger Festspielen aufgenommen hat. Wir haben sie auf YouTube entdeckt und sogleich kennengelernt. Obwohl es sich um eine typische Besetzung für eine DG-Aufnahme handeln könnte, kam es zu keiner Veröffentlichung. Das überrascht, denn das f-Moll-Konzert stellt eine Lücke in Pollinis Chopin-Diskographie der offiziellen Einspielungen dar. Und er spielte das Salzburger Konzert zur Zeit seiner damals bahnbrechenden Chopin-Einspielungen für die DG ein (z.B. die Etüden), war also mit dem Komponisten bestens vertraut und pianistisch in den besten Jahren, gerade einmal 31 Jahre jung. In unserem Vergleich kommen wir noch einmal auf Signore Pollini zurück, denn es gibt noch einen weiteren Mitschnitt: 1960 aus Milano, allerdings noch monaural aufgenommen.

In Salzburg hören wir ein erheblich gefühlvolleres, besser gespieltes und viel schöner klingendes, energischeres Orchestervorspiel als in Mailand. Auch Signore Pollini ist kaum wiederzuerkennen. Er spielt mit seinem klaren, recht harten Anschlag, den wir bereits von seiner DG-Aufnahme der Etüden kennen, treffsicher und äußerst virtuos. Sein Klang ist knackig und perlend. Er zeigt mehr Rubato und eine feinere Agogik als 1960 in Mailand, aber besonders elegant oder geschmeidig würden wir sein Spiel nicht unbedingt bezeichnen. Immer noch spielt der jugendliche, unbedingte Drang nach vorne die Hauptrolle. Aber nicht mehr so ausschließlich wie acht Jahre zuvor. Er spielt nun etwas freier und beweglicher. Sein Spiel hat dem gegenüber also an Flexibilität gewonnen. Dem damaligen Ideal kann man heute nicht mehr so uneingeschränkt zustimmen. Denn ein gewisse Resthärte und Steifigkeit verbleibt. Pollini spielt mit wenig Pedal. Das Zusammenspiel mit den Wienern könnte indes kaum stimmiger ausfallen.

Das Larghetto wirkt nun etwas ruhevoller, der Klang deutlich intensiviert, nuancenreicher als 1960. Da wird man nicht eingelullt. Immer noch sehr wenig Pedal, ausgezeichnete Pianistik. Das jugendliche Aufbegehren dominiert immer noch mit hoher Intensität die Szenerie.

Im Allegro vivace wirkt das Spiel Pollinis äußerst virtuos. Mit einigem tänzerischen „Swing“ und völlig frei. Die überaus engagierten Wiener und ihr Leiter Claudio Abbado sind beinahe ausschließlich für die Wärme in der Musik zuständig, ganz im Gegensatz zum Pianisten. Diese Darbietung wirkt von der ersten bis zur letzten Note überlegen gestaltet. Man fragt sich am Ende angekommen erneut, wieso keine Produktion erfolgt ist.

Es klingt erheblich ausgewogener, offener und viel differenzierter als 1960 in Mailand. Und mit mehr Wärme. Natürlich könnte es noch viel transparenter und dynamischer klingen, aber für eine Radiosendung von 1973 und dann noch auf YouTube transferiert klingt es sehr vielversprechend. Auf Tonträger aufgenommen, vielleicht ohne Publikum, in Ruhe und unter Studiobedingungen gespielt, hätten diese Musiker vieles überragt, was damals auf dem Markt veröffentlicht wurde.

 

 

4-5

Nikolai Tokarev

Tugan Sokhiev

Deutsches Sinfonieorchester, Berlin

RBB, unveröffentlicht

2011, live

13:09 8:20 7:01  28:30

Zum 200. Geburtstag hat man es nicht ganz geschafft, des f-Moll-Konzert zu programmieren, aber zum 65. Jubiläum des DSO wollte man auf das Konzert ebenso wenig verzichten. Der Pianist nun 28 Jahre jung, hatte das Konzert 2008 mit Olari Elts bereits für Sony in Luzern eingespielt. Die Live-Aufnahme aus Berlin gefällt uns erheblich besser.

Das Orchester eröffnet das Konzert mit seinem damals gerade neu bestellten Chef mit einem weichen, großformatigen und sehr homogenen Klang. Holz und Blech gehen nicht unter, sondern sind mit den Streichern (fast) gleichwertig. Tendenziell hebt sich der Klang des Flügels in Berlin etwas deutlicher von Orchester ab, was dem nachsinnenden Spiel des Pianisten mehr Zuwendung sichert. Gegenüber der Luzerner Aufnahme wirkt sein Spiel immer noch nuanciert aber vor allem erheblich temperamentvoller. Regelrecht beflügelt vom temperamentvoll aufspielenden Orchester. Er bringt die Melodien sehr gut heraus und schwächt demgegenüber die zierenden Arabesken in der Lautstärke oft ein wenig ab.

Das Larghetto geht Herr Tokarev viel weniger introvertiert an als 2008. Das Tempo erscheint zügiger, das Spiel vor allem im „Recitativo“ kräftiger. Es wird auch vom Orchester mit viel mehr Dramatik erfüllt. Es geht in Berlin zudem virtuoser, ausdrucksvoller und anscheinend viel selbstbewusster zu.

Im Allegro vivace geht der Pianist viel mehr aus sich heraus und lässt seine Virtuosität immer mal wieder deutlich aufblitzen. Das Tempo ist schneller, der Gestus ungleich temperamentvoller als in Luzern. Pianist und Dirigent harmonieren anscheinend viel besser miteinander. Es werden Stimmen anders betont und dadurch wenig gehörte Melodien schön hervorgezaubert. Die Berliner Darbietung ist der Luzerner deutlich überlegen. Leider hatte man da die Luzerner bereits veröffentlicht.

 

 

4-5

Boris Beresowski

John Nelson

Ensemble Orchestral de Paris

Mirare

2007

13:24 7:53 7:50  29:07

Der bei der Aufnahme 38jährige Pianist scheint den Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau nicht besucht zu haben, er orientierte sich nach Moskau und gewann dort 1990, also mit 21 den Tschaikowsky-Wettbewerb bei seinem Instrument, denn der Moskauer Wettbewerb ist neben dem Klavier auch für Violine und Cello offen.

Herr Beresowski gehen die Schwierigkeiten, die ihm das Konzert abverlangen offensichtlich leicht von der Hand. Dennoch fehlt ihm der ultrapräzise Anschlag von Krystian Zimerman oder die brodelnde Musikalität einer Martha Argerich. Beresowski nimmt die Virtuosität nicht auf die leichte Schulter, wie in neueren Konzertdarbietungen, sondern präsentiert sich gewissenhaft vorbereitet, er wuchert jedoch auch nicht mit seiner Technik nur der Show wegen. Das Orchester spielt sehr sorgsam und sehr musikalisch. Es begreift sich als ein Teil des dramatischen Geschehens und wertet so seinen Part spürbar auf. Pianist und Orchester gehen hellhörig Dialoge ein, soweit es die Partitur zulässt, stärker als in den meisten anderen Einspielungen. Den Gestus könnte man als rasant energisch und dramatisch geschärft bezeichnen und er geht mehr auf das Orchester zurück als auf den Pianisten. Zum Teil schäumt es mächtig auf.

Das Larghetto erklingt eher liedhaft, als dass es den großen Belcanto-Auftritt liefern würde. Das Klavier kommt nun erheblich deutlicher zur Geltung als zuvor. Eher schlicht versagt sich der Pianist einer gewissen Pathetik und auch an einem verträumten Verweilen hat er wenig Interesse. Zügig vorankommen auch im Liebesleid heißt hier die Devise. Das Tremolo bleibt, auch wenn es p zu spielen ist, immer deutlich hörbar und verschwindet nicht wie in sehr vielen minderen Einspielungen mehr oder weniger wirkungslos hinter dem Flügel. So erzeugt man dann doch eine dramatische, sehr spannende Grundstimmung. Der Pianist lässt das Orchester durchaus auch brillieren.

Im Allegro vivace wirkt das Musizieren frei, spontan, virtuos und noch unverbraucht. Allegro und vivace werden überzeugend umgesetzt. Mit Pauken und Trompeten. Hellwach und zupackend. Auffallend gut realisierter Orchesterpart.

Der Klang der Aufnahme präsentiert ein offen klingendes, präsentes und transparentes Orchester. Die Holzbläser kommen gut zur Geltung und wissen zu gefallen. Der Flügel wirkt vor allem im ersten Satz noch mehr ins Orchester eingebettet als deutlich von ihm abgehoben. Das Orchester wirkt in der Relation brillanter als der Flügel, was nur sehr selten vorkommt. Ihm fehlt die klangtechnische Autorität um aus dem guten Klang einen sehr guten zu machen. Vielleicht kann man sich aber gerade deshalb so am gelungenen Orchesterpart erfreuen.

 

 

4-5

Maria Joao Pires

André Previn

Royal Philharmonic Orchestra, London

DG

1992

14:28 9:09 8:44  32:21

Von Maria Joao Pires sind zwei Einspielungen des f-Moll-Konzertes bekanntgeworden. Bereits 1977 spielte sie das Konzert, damals noch für Erato, mit Armin Jordan in Monte-Carlo ein. Der neueren DG-Einspielung gilt unsere eindeutige Empfehlung.

Sie wurde in den Abbey Road Studios eingespielt. Rubati gibt es nur da, wo sie musikalisch Sinn ergeben, nicht um unangemessene sentimentale Stimmungen zu verstärken. Die Virtuosität wirkte auf uns sehr angenehm, sie ist nie Vehikel zum Selbstzweck. Der Flügel klingt wie ein Chopin-Klang zu klingen hat, das Musizieren wirkt hellwach. Die Phrasierung wirkt natürlich und nicht wie bei einigen Pianisten aus Fernost wie am Reisbrett ausgezirkelt. Wir denken da auch an den Chopin-Wettbewerbsgewinner von 2015 Seong Jin Cho oder Lang Lang, die mit ihren Einspielungen bei der DG der Einspielung von Frau Pires folgten. Der Anschlag von Frau Pires klingt allerdings ein wenig diffuser als bei den beiden Herren. Auch die Brillanz einer Martha Argerich (1999) erreicht sie nicht ganz. Dafür klingt es bei der Portugiesin wärmer, der Vortrag musikalisch „atmend“. Man hat den Eindruck, dass die Pianistin von sich selbst überhaupt kein Aufheben machen möchte. Sie hat die rechte Freizügigkeit um nicht an den Noten kleben zu bleiben und bei ihr wirkt nicht jedes Rubato, jede kleine agogische Verschiebung bis ins Kleinste einstudiert, sondern erlebt. Das ist ein großer Unterschied und ein immenser Qualitätsgewinn.

Das Larghetto wirkt organisch und gespannt, die Pianistin wirkt so, als spiele sie mit viel Herz, was nicht zuletzt an den subtilen Nuancen, die sie ihrem Spiel verleiht. So kommt der Belcanto vortrefflich zur Geltung. Das Orchester agiert nun leider etwas zu sehr im Hintergrund, um die Seelenqualen, die uns die Pianisten zeigt, angemessen zu verstärken. Es bleibt so nur koloristisch. Die Figurationen wirken nun erfühlter und nicht mehr nur technisch ausgeführt.

Im Allegro vivace beginnt man recht langsam und nachdenklich, um sich erst später im Tempo einzufinden. Die organischen Rubati fesseln trotzdem und es „swingt“. Bei Frau Pires kann man die Spieltechnik vergessen, sie scheint aus dem Herzen zu spielen. Das war 1977 bei ihrer ersten Einspielung noch anders. Das Horn spielt sein Solo mit schönem Echo-Effekt, obwohl es gar nicht so in der Partitur steht. Der letzte Satz wirkt charmant, vielleicht ein wenig zu schwelgerisch aber in jedem Fall betörend.

Die DG spendiert dem Klang mehr Wärme als fast 30 Jahre später in der Aufnahme mit Seong-Jin Cho und Gianandrea Noseda. Die Klangfarben wirken weniger bunt und eher einem Aquarell angenähert. Das passt sehr gut zur musikalischen Interpretation.

 

 

4-5

Annerose Schmidt

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Berlin Classics, Eterna

1982

13:37 9:43 8:04  31:24

1955 setzte sich die damals gerade einmal 19jährige Pianistin aus der damaligen DDR dem Chopin-Wettbewerb in Warschau aus. Sie erreichte immerhin die Finalrunde, bekam eine Auszeichnung, aber keinen Preis. Die gingen an Adam Harasiewicz, Vladimir Ashkenazy und Fou T´song. Bei der Aufnahme des f-Moll-Konzerts war sie dann 46 und soweit wir das erkennen können war ihr Spiel frei von Schwächen und soweit gereift, dass wir ihr eine Position vor so manch einem vorherigen oder auch späteren Preisträger angedacht hätten, wenn man uns gefragt hätte. Mit 19 kann man jedoch kaum schon mit allen musikalischen Wassern gewaschen und in jedes Geheimnis des Chopin-Spiels eingeweiht sein. Der Wettbewerb versteht sich ja in erster Linie als Instrument zur Förderung junger Pianisten und Pianistinnen von 17 bis 28. Mit 46 hätte sie wahrscheinlich gewinnen müssen. Ab jetzt beenden wir unsere nicht ganz ernst gemeinten Spekulationen wieder.

Die Darbietung beginnt mit dem geschmeidigen und vorwärtsdrängenden Spiel des Gewandhausorchesters, das mit seinem warmen, vollen Klang wie in voller Blüte erscheint. Sehr gut gefallen besonders die homogenen, weich klingenden Violinen und die recht plastisch ins Bild kommenden Holzbläser. Man spielt durchaus empathisch, nimmt den Orchesterpart ernst und führt sehr gut über die vermeintlichen Schwächen der Instrumentierung hinweg. Die Pianistin verfügt über einen gut fokussierten, nie weichlichen, nie harten Anschlag. Sie spielt virtuos, lediglich mit ein paar Ungleichmäßigkeiten bei den Skalen, die nie langweilig klingen (was bei minderen Einspielungen ziemlich regelmäßig vorkommt). Ihr Vortrag wirkt lebendig, ihre Technik geschmeidig. Dass sie an ein Limit kommen würde, spürt man nie. Das Zusammenspiel mit dem Orchester erscheint nahtlos, man meint, dass sich die Partner fast blind verstehen. Angenehm ist neben dem warmen vollen Klang von Flügel und Orchester, dass die gezeigte Brillanz nie plakativ wirkt.

Dieser Eindruck verstärkt sich noch beim Larghetto das im warm getönten VEB-Klang sehr schön zart klingt. Man lässt ihm genug Zeit dafür. Der gefühlvoll agierende Kurt Masur unterstreicht die Absichten der Pianistin mit dem dunklen Gewandhausklang vortrefflich. Sein Tremolo ist im „Recitativo“ in seiner Stärke angemessen. Frau Schmidts Klang könnte allenfalls im Diskant etwas mehr Brillanz vertragen.

Dieser Eindruck bestätigt sich im Allegro vivace noch weiter. Der Flügel könnte sich mit einem brillanteren Klang, also mehr Glanz und Frische vor allem im Diskant nun auch besser gegenüber dem üppigen Orchesterklang durchsetzen. Man meint, dass das Orchester der Pianistin den Führungsanspruch öfter mal streitig macht, wobei der Luxusklang aus Leipzig dem Orchesterpart viel eher guttut, als ihm zu schaden. Hier steht eindeutig musizieren im Vordergrund, nicht brillieren. Bei dieser Einspielung, nun erst lange nach ihrem Erscheinen gehört, bestätigt sich der Eindruck, dass die Musiker in der damaligen DDR besser waren, als uns das die Kritik im Westen weismachen wollte. Umgekehrt mag es nicht anders gewesen sein. Man war sich nicht wohl gesonnen, das verstellt den objektiven Blick. Diese Einspielung wäre jedenfalls ein sehr gutes Beispiel dafür.

Der Klang aus Leipzig ist voll, weich, dunkel, offen, rund, warm und natürlich. Während man im Westen den Klang mit digitaler Aufnahmetechnik verbessern wollte, blieb man im Osten noch ein paar Jahre bei der analogen Methode. Eine weise Entscheidung, selbst wenn sie aus finanzieller Not geboren worden sein sollte. Auch der Klang des Flügels ist sehr schön weich und brillant, selbst wenn ihm im Diskant ein paar hohe Frequenzen fehlen sollten. Audiophile können trotzdem ihre Freude an dieser Einspielung haben, ob als LP oder CD.

 

 

4-5

Charles Richard-Hamelin

Kent Nagano

Orchestre Symphonique de Monréal

Analekta

2018

15:06 10:08 8:42  33:56

Beim Namen Hamelin denkt man wahrscheinlich gleich an den älteren Marc-André Hamelin. Beide sind zwar Frankokanadier, aber so wie wir in Erfahrung bringen konnten nicht mit einander verwandt oder verschwägert. Charles war im Alter von 26 Jahren hinter dem Gewinner Seong-Jin Cho Silbermedaillengewinner beim Chopin-Wettbewerb in Warschau 2015. Die Aufnahme machte er mit 29 Jahren im Maison Symphonique de Montréal.

Der Pianist lässt sich für seine ruhige und souverän wirkende Gestaltung viel Zeit. So kann er die virtuosen Elemente der Ornamentik und der Skalen und Läufe ohne Zeitdruck ausdrucksvoll ausgestalten. Sein Anschlag wirkt prägnant und vermeidet Härte und Mulm gleichermaßen. Nicht zuletzt wegen des erwärmenden Grundtons gefällt uns der erste Satz der Einspielung des Silbermedaillengewinners besser als die des Goldmedaillengewinners, auch wegen des wunderbar „atmenden“ Nuancenreichtums. Beim Wettbewerb mag das anders gewesen sein. Es gibt kein Tastengedonner, Musikalität und melodiöse Entfaltung gehen vor Virtuosität. Seong-Jin Cho ist sicher der virtuosere Pianist, aber auch der musikalischere? Die Linien der Holzbläser dürfen sich in Montréal ruhig mal in den Vordergrund schieben. Allerdings gefallen die Oboen nicht mehr so, wie noch zurzeit Dutoits. Er geht nun wieder in Richtung französischer Klang der 50er und 60er Jahre. War vielleicht nur eine Aushilfe. Im Ganzen ergibt sich ein erster Satz, der fast wie frei erfunden wirkt, erfühlt und ohne jede Hektik.

Im Larghetto wird der Flügel nun näher an die Hörenden herangerückt, er wirkt nun etwas präsenter Die Uhr tickt nun fast im Largo-Tempo, aber wenn es dabei so klar und gelassen klingt, soll es seine Berechtigung haben. Traumhaft schön.

Auch im dritten Satz; entschleunigtes empathisches Spiel, auch vom Orchester. Der Tanz erscheint nun mit mehr Melancholie erfüllt als sonst, er schwebt dabei sehr schön. Selbst das Signalhorn scheint vom „Blues“ angesteckt. Wer sich an einem Schwelgen in Schönklang nicht stört, darf bei dieser Einspielung, die so etwas wie einen Schönheitspreis verdient hätte, beherzt zugreifen.

Der Klang der Aufnahme ist weich, rund, geschmeidig, sonor und farbig. Wie die Aufnahme von Dux mit Herrn Nehring, nur noch etwas brillanter. Gute Balance von Flügel und Orchester.

 

 

4-5

Jan Milosz Lisiecki

Alondra de la Parra

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

Deutschlandfunk, unveröffentlicht

2019, live

13:55 8:44 7:56  30:35

Vom Kanadier Jan Lisiecki, dessen zweiten Vornamen wir mal mit aufgenommen haben, damit man seine Wurzeln im Land des Komponisten besser erkennen kann, gibt es auch noch eine Aufnahme aus Warschau, bei der er gerade mal 13 Jahre alt war. Beim Mitschnitt aus der Bremer Glocke war er immerhin schon 24. Er zeigt sich nun wesentlich gefestigt in Technik und Ausdruck. Der Ausspruch: „Wenn Du die Technik hast, kannst Du dich um die Musik kümmern“, stammt von ihm. Allerdings ist (im Gegensatz zur Warschauer Aufnahme, die später in unserer Liste noch folgen soll) die Virtuosität nun kein Selbstzweck, sondern dem Ausdruck untertan. Die Leichtigkeit seiner virtuosen Passagen ist mit Melancholie gemischt, der virtuose Glanz bringt immer auch Schatten mit. Der Anschlag des jungen Mannes ist brillant, nicht aufgeweicht, sondern klar und definiert. Sehr präzise und nuanciert. Er spielt traumwandlerisch sicher, aber eine Spur von Maschinenhaftigkeit ist seinem Spiel noch inne. Die lyrischen Passagen, technisch enorm sauber, wirken vielleicht wegen des etwas harten Anschlages stets ein wenig kühl. Die DKP zeigt ordentlichen Blecheinsatz und zugespitzten Verlauf in den dramatisch geprägten Zwischenspielen. Das Fagott wird mal nicht verschämt versteckt, sondern darf in Konzertlautstärke klingen. Manchmal hat man das Gefühl, im ersten Satz wird es stets ein wenig schneller, wenn es lauter wird.

Die doch ein wenig fehlende Wärme im Klang des Flügels macht sich im Larghetto ebenfalls bemerkbar. Er passt aber zu einem auch sonst eher herben Zugriff. Im wie gestochen gespielten „Recitativo“ macht sich die polnische Tradition von früheren Pianisten des Landes wieder bemerkbar (ähnlich auch bei Zimerman zu hören). Das Fagottsolo ist große Klasse. Es schwingt sich zur Lautstärke des Flügels auf, vielleicht war auch ein hellhöriger Tonmeister zur Stelle, der ein Mikrophon günstig positioniert hat.  In den meisten Aufnahmen ist es viel zu leise und klein geraten. Wie soll es der Pianist schön umspielen, wenn man es nicht richtig hört und er vorne auf dem Präsentierteller sitzt? Hier klappt es vorzüglich.

Der dritte Satz erklingt temperamentvoll, pointierter und überraschender als 11 Jahre zuvor in Warschau. Lisiecki erweist sich als Supertechniker. Das „Signalhorn“ setzt leider die Wiederholung seines Motives total „in den Sand“. Erneut gibt es ein Opfer der „Glücksspirale“ unter den Musikinstrumenten zu beklagen. Frenetischer Jubel in Bremen für die Musiker (wahrscheinlich besonders für den Pianisten).

Die Aufnahme ist transparent, recht voll, räumlich und schön gerundet. Der Flügel ist deutlich vor das Orchester gesetzt worden und klingt brillant und sehr körperhaft. Seine Dynamik ist durch die hohe Präsenz sehr hoch. Er hat mehr Bass als das Orchester.

 

 

4-5

Gina Bachauer

Antal Dorati

London Symphony Orchestra

Mercury

1964

14:32 9:01 8:11  31:44

Die aus Griechenland stammende Pianistin Gina Bachauer studierte drei Jahre bei Alfred Cortot in Paris.

Die Einspielung beginnt mit einem energisch, dynamisch und straff aufspielenden LSO, das den Maestoso-Charakter keineswegs unterschlägt. Leider klingen die Oboen des LSO dieses Mal wieder sehr dünn. Die Pianistin spielt bestimmt und doch gelassen, anmutig und großzügig. Ihr Spiel strahlt eine gewisse Zuneigung zur Musik aus, was bei jungen Wettbewerbssiegern oft noch ein wenig zu kurz kommt. Sie spielt aber genauso klar und formt ihre Phrasierungen gekonnt. Natürlich und kultiviert erscheint das Spiel wie eine Mischung aus musikalischer Intelligenz und technischer Brillanz. Ihr Klang ist brillant, der Anschlag klar, die Technik zumeist leichgängig. Ihre Rhythmen erscheinen eher weniger flüssig und eher auf der kraftvollen und leidenschaftlichen Seite beheimatet. Dennoch erscheint sie nicht als Supertechnikerin wie eine Argerich, denn oft nimmt das Spiel auch monolithisch-robuste Züge an. Da wirkt jedoch nichts überspannt, sie und Dorati behalten immer die große Linie im Auge.

Das Larghetto ist erfüllt von einer gewissen Herzenswärme und spendet dadurch Trost in der Pein, wenn man so will. Vor allem nach dem großen Verzweiflungs-Recitativo, das in der Satzmitte einen großen dramatischen Aufriss erfährt.

Das Allegro vivace klingt völlig unverzärtelt und kraftvoll, da sind sich Frau Bachauer und Herr Dorati völlig einig. Die Pianistin widersetzt sich einer übermäßig flüssigen Gangart, indem sie immer wieder starke Akzente setzt. Das LSO spielt dazu passend urwüchsig und saftig und steht der Pianistin im kraftvoll akzentuierten, stämmigen Tanzrhythmus nicht nach. Das Solohorn klingt markant heraus. Da wird der Geist des eleganten Salons zugunsten des nationalen, volkstümlichen Tanzes ein wenig aufgebrochen.

Der Aufnahme ist ein relativ starkes Bandrauschen eigen, sie klingt aber luftig, klar, präsent, breitbandig und sehr dynamisch. Der Flügel steht groß und erhaben vor dem Orchester, ziemlich klangmächtig, besonders klar und gut fokussiert. Und sogar bereits ziemlich körperhaft. Eine typische Mercury eben.

 

 

4-5

Andras Schiff

Antal Dorati

Concergebouw Orchestra, Amsterdam

Decca

1985

14:49 9:09 9:29  33:27

Andras Schiff hat sich als junger Pianist ebenfalls an Wettbewerben beteiligt, allerdings nicht in Warschau. 1974 wurde er Vierter beim Tschaikowsky Wettbewerb in Moskau und 1975 Finalist in Leeds. Dennoch hat er eine bis heute anhaltende Weltkarriere gemacht. Als Chopin-Interpret ist er jedoch nie besonders hervorgetreten und obwohl seine Diskographie reich bestückt ist, findet man außer dieser Aufnahme des f-Moll-Konzertes keinen Chopin darunter. Es kann ja auch nicht jeder Chopin lieben. Bei der Aufnahme war Schiff 32 Jahre jung.

Gegenüber der gerade zuvor gelisteten, ebenfalls von Antal Dorati dirigierten Einspielung, ist die Orchestereinleitung kaum wiederzuerkennen. Das Orchester klingt zwar sehr schön, aber man hat den Eindruck, dass der mittlerweile 79jährige Dirigent durch die Partitur schlafwandelt. So schlaff und langsam sollte die im Satz „lichte“ Orchestrierung nicht gespielt werden, da droht ihr die Substanz auszugehen. Im Laufe des Satzes ändert sich das jedoch noch, aber der Schwung der Einspielung mit Gina Bachauer stellt sich nicht mehr ein. Beim Klavier sieht es anders aus, da wirkt Schiff vom ersten Ton an sehr bewusst mit hauchzarten, sanften Kaskaden. Seine Agogik wirkt zwar recht frei, aber sie scheint uns neben aller Sorgfalt auch Bedenken ausdrücken zu wollen. Die Temposchwankungen gehen fast ins Rhapsodische. Sein Anschlag wirkt klarer als beim ebenfalls von Decca aufgenommenen Ashkenazy, dessen Klang ein wenig aufgedunsen wirkt.

Im Larghetto kann sich der Flügel vom Orchester wie auf weichen Federn gebettet fühlen. Das klingt fast schon entrückt. Im „Recitativo“ werden wir jedoch aus den saft melancholischen Träumen gerissen. Das klingt nun dramatisch und aufgewühlt und das Orchester lässt bedrohliche Akzente hören. Den Flügel hätten wir uns etwas präsenter gewünscht bei dieser besonders romantischen Lesart.

Das Allegro vivace wirkt nachdenklich und gebremst, behutsam, selten einmal tänzerisch und nie spritzig. Aber auch nicht schwerfällig. Schiff spielt, als ob jeder Ton einzeln abgewogen werden würde. Die nostalgisch wirkenden Rückblenden bekommen die Oberhand. Gegen den Mainstream gespielt würde man den Satz heute vielleicht als „entschleunigt“ bezeichnen. Das Konzert erfärt in seiner Gänze eine sehr individuelle Deutung.

Das Orchester wirkt leicht distanziert, der Klang leicht hallig, die Violinen leicht spröde (eine frühe Digitalaufnahme). Das Klavier klingt klarer als bei Ashkenazy (1964) und allenfalls ansatzweise leicht aufgedunsen. Seltener kommt es vor, dass auch das Klavier vom Hörer abgerückt wird, als ob man das distanzierte Verhältnis Schiffs zu Chopin schon mit der Aufnahmequalität unterstreichen möchte. Im lauten Tutti wirkt der Klang etwas verunklart und mitunter nicht ganz unverfärbt.

 

 

4-5

Janusz Olejniczak

Gregorz Novak

Sinfonia Varsovia

Accord

2011

14:44 9:59 8:33  33:16

Dem polnischen Pianisten Janusz Olejniczak werden wir in unserem Vergleich insgesamt dreimal begegnen. Dies ist die letzte uns bekannt gewordene Einspielung, bei der er 59 Jahre jung war. Sie entstand als eine Studio-Aufnahme aus dem Studio 51 bei Polskie Radio. Bei den beiden anderen Einspielungen nutzt der Pianist übrigens ein historisches Hammerklavier, während er mit der auf modernen Instrumenten spielenden Sinfonia Varsovia einen brillanten Steinway bevorzugt. Er überzeugt anscheinend mit Instrumenten jeden Alters, allerdings hatten wir den Eindruck, dass er sich bei dieser Einspielung besonders wohlgefühlt haben könnte. So klingt es jedenfalls. 1970 war auch er beim Chopin-Klavierwettbewerb dabei. Er belegte dabei als jüngster Teilnehmer bisher (17 oder 18) den sechsten Platz, war also noch 6. Preisträger. Ab dem siebten Platz ist man nur noch ein weiterer Preisträger.

Die Orchestereinleitung ist sehr temperamentvoll und zupackend und fast typisch für polnische Dirigenten werden die Pauken und Trompeten nicht verschmäht. Das chopinkundige Orchester ist übrigens aus dem von Jerzy Maksimiuk gegründeten Polnischen Kammerorchester hervorgegangen. Olejniczak spielt souverän, völlig klar und verfügt über eine reiche, einfühlsame Agogik. Man merkt, dass er das Stück in- und auswendig kennt. 2011 merkt man auch, dass er niemandem noch etwas beweisen muss. Da sitzt jede Kleinigkeit und das Zusammenspiel mit den polnischen Landsleuten ist traumwandlerisch sicher.

Völlig entspannt und verträumt erzählt er das Larghetto, bevor im „Recitativo“ alle Register seiner pianistischen Kunst gezogen werden. Prototypisch gelingt ihm die Opernszene á la Belcanto. Mit hervorgehobener Sotto voce, aber doch schlicht. Das wirkte auf uns sehr sympathisch. Übrigens fällt uns gerade ein, dass der Pianist Chopin bereits in zwei Filmen dargestellt hat, ihm nicht nur die Finger beim Spielen lieh, wie in anderen Filmen bei denen er ebenfalls mitgewirkt hat, sondern als ganzer Schauspieler. Seine äußerliche Ähnlichkeit mit dem Komponisten ist allerdings entsprechend groß. Damals lag wirklich niemand nähe als er, um die Rolle glaubhaft zu besetzen. Herr Olejniczak ist im Oktober 2024 leider im Alter von 72 Jahren verstorben.

Doch nun zurück zu seiner Aufnahme von 2011. Im dritten Satz wird die Gesanglichkeit des Satzes wunderbar ausgekostet, Strömen lassen heißt die Devise. Auffallend schön klingende Klarinetten bei Takt 309-317. Einziger Einwand unsererseits: Für ein Jugendwerk wirkt die Einspielung wenig vordergründig erregt und bereits sehr weise und gelassen. Die erworbene Erfahrung lässt sich nicht so einfach wieder subtrahieren.

Auch der Klang der Aufnahme überzeugt. Er ist weich, samtig, räumlich, farbig und körperhaft. Das Klavier brillant und ebenfalls sehr körperhaft. Insgesamt klanglich ausgewogen und in bester Balance zum Orchester. Durchaus nicht nur eine audiophile Empfehlung.

 

 

4-5

Ewa Kupiec

Stanislaw Skrowaczewski

Radio-Sinfonieorchester Saarbrücken (heute: Deutsche Radio Philharmonie)

Oehms

2003

14:36 9:26 8:31  32:33

Ob auch Ewa Kupiec als Polin am Chopin-Wettbewerb teilgenommen hat, konnten wir nicht ermitteln, 1992, also mit 28 gewann sie jedoch den ARD-Musikwettbewerb in der Kategorie Duo Cello/Klavier. Mit ihr gibt es im Folgenden auch noch zwei Live-Aufnahmen zu besprechen. Dies Einspielung entstand in der Saarbrücker Kongresshalle.

Die Einspielung beginnt natürlich mit dem Orchester. Es spielt sehr akzentuiert mit einer beherzten Phrasierung. Hier wird mit geatmet und mitgefühlt. Die beiden Einspielungen mit Zubin Mehta fallen z.B. dagegen ab, natürlich nicht klanglich, denn da spielen immerhin die Wiener Philharmoniker und das Israel Philharmonic. Alle Details (so viele sind es ja gar nicht) bei den Bläsern sind leicht zu hören. Nichts wird hier verschleiert. Verschiedentlich sind Modifikationen des Dirigenten zu hören, wie bereits in der Aufnahme mit Alexei Volodin in München von 2012.

Leider tritt der Flügel in dieser Einspielung ein wenig zurück. Er hätte etwas mehr Gehör seitens der Tontechnik verdient gehabt, vielleicht wollte man aber nur die sonst oft vernachlässigte Orchestrierung einmal ins verdiente Licht rücken? Ein Rehabilitierungsversuch von Skrowa, wie er in Saarbrücken als langjähriger Erster Gastdirigent liebe- und respektvoll genannt wurde?  So fällt es deutlich auf, dass Frau Kupiec nicht ganz die Kraft eines Lang Lang oder Murray Perahia (die Pianisten der Aufnahmen mit Zubin Mehta) hat, dafür verfügt sie über ein beeindruckendes pp und weiß mit ihrer geschmackvollen Agogik zu überzeugen. Tendeziell spielt sie mit mehr Gefühl und weniger mit der Pranke. Ihr Anschlag erreicht nicht ganz die Clarté der Besten. Die partnerschaftliche Begleitung wirkt aufgewertet und spielt viel mehr in den Klavierpart hinein als sonst. Es versteht sich explizit als Ausdrucksverstärker der Solistin (wie bereits bei Volodin in München und ansatzweise auch mit Weissenberg in Paris). Die Orchesterritornelle wirken sehr lebendig. Leider wirkt das Klavier etwas zu klein geraten, entsprechend ist man es etwas brillanter und farbiger gewöhnt.

Im Larghetto kommt es besser zur Geltung, die Pianistin geht nun mehr aus sich heraus. Für die Farbnuancen sorgt hier genauso das Orchester.

Der dritte Satz lässt vor allem im Orchester etwas Kämpferisches und Militärisches aufblitzen. Auch die Pianistin wirkt nun entschlossener und temperamentvoller. Da ist nun Saft und Kraft mit an Bord, vor allem beim Orchester. Wir hören hier mit die beste Orchesterarbeit mit hervorragenden Tutti, feinen, gefühlvollen Soli (z.B. Horn) und eine eng verzahnte Partnerschaft. Da wird viel Leidenschaft für den Komponisten und seine Komposition spürbar.

Zum Klang der Aufnahme: Der Flügel klingt weiter ins Orchester eingebettet als üblich. Die Einspielung ist natürlich kein Starvehikel wie bei Lang Lang, Murray Perahia oder Rubinstein. Hier spielen akustisch gleichberechtigte Partner. Der Gesamtklang ist ein leider wenig trocken.

 

 

4-5

Abbey Simon

Heribert Beissel

Hamburger Symphoniker

Vox

1973

13:33 8:32 7:56  30:01

Während dies die einzige Einspielung des Konzertes des damals 53jährigen amerikanischen Pianisten in unserem Vergleich ist, gibt es darin von Herr Beissel noch zwei weitere Einspielungen, die beide im Verlauf noch erscheinen. Dies ist seine erste Einspielung mit dem Orchester, dem er damals 40jährig als Chefdirigent vorstand. Abbey Simon war u.a. Schüler bei Józef Hoffamm am Curtis Institut in Philadelphia.

Die Streicher in der Orchestereinleitung klingen ziemlich hell und auch nicht ganz homogen, besonders in der hohen Lage. Der Klang wirkt frisch aber das Blech wird noch ziemlich versteckt und hat allenfalls füllende Funktion. Vielleicht ist es dem neuen Remastering zu verdanken, denn es klingt nicht nach muffigem 70er-Jahre-Sound.  Mister Simon legt ein flotteres Spiel vor als die beiden Pianistinnen Ewa Kupiec und Katharina Litwinseva in den beiden anderen Aufnahmen mit Herrn Beissel, bei denen der Dirigent selbst allerdings schon beträchtlich älter war. Er phrasiert prägnant und geradlinig, arbeitet die Höhepunkte gut heraus, was genauso für das recht feurige Dirigat gilt. Beissel passt sich den jeweiligen Solist/innen in allen drei Fälle gut an. Das Klavier Simons klingt elegant, farbig und sonor mit einer angenehmen „analogen“ Brillanz. Er macht das Virtuosenkonzert deutlicher erlebbar als die beiden Pianistinnen, die ihrerseits mehr Wert auf warme Emotionalität legen (Frau Litwinseva mehr als Frau Kupiec).

Im Larghetto schwingt sich Abbey Simon trotz des recht zügigen Tempos mehr zu einer großangelgten Gesangsszene auf als die beiden Pianistinnen. Der Klavierklang zeigt deutlich den brillantesten Diskant.

Im Allegro vivace hören wir die temperamentvollste der drei Beissel-Aufnahmen. Dazu hilft die brillante Technik des Pianisten ungemein, er spielt von den dreien am Virtuosesten. An seiner Anschlagstechnik kann man sich alleine schon erfreuen. Sein federndes Spiel bleibt den Anforderungen des Werkes nichts schuldig.

Kürzlich wurde die Aufnahme innerhalb einer „Vox Audiophile Edition“ neu aufgelegt. In den 70er Jahren konnte man mit dem Klang der miserabel gepressten, „beknackten“ Vox-LPs in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen. Damals huldigte man noch der Quadro-Technik, sodass es aus vier Ecken knackte. Das präsente Orchester (nun völlig störungsfrei) blüht schön auf und erfreut mit warmem Klang. Der Flügel wird sehr gut abgebildet in einer schönen aber dezenten Räumlichkeit und klingt sonor und knackig (nicht mehr beknackt!), aber nie hart. Die Balance von Flügel und Orchester kann als perfekt gelten. Das vom Hersteller selbst vergebene Label „Audiophil“ ist nicht zu viel versprochen. Damals galt das Produzentin-Tonmeisterpaar Joanna Nickrenz und Marc J. Aubort von Elite Recordings, die die Aufnahmen für Vox machten als Könner ihres Metiers, was man in Deutschland wegen der Qualität der Pressungen nie nachvollziehen konnte. Jetzt schon.

 

 

4-5

Ewa Kupiec

Heribert Beissel

Brandenburgisches Staatsorchester, Frankfurt (Oder)

RBB

2002, live und unveröffentlicht

14:33 9:03 8:18  31:54

Dieser Radio-Mitschnitt entstand in der Konzerthalle Carl-Philipp-Emanuel-Bach in Frankfurt an der Oder. Das ist eine ehemalige Klosterkirche der Franziskaner mit einer auffallend langgezogenen und sehr spitz zulaufendem Dachkonstruktion. Wir hören im Gegensatz zur Produktion mit dem Bonner Orchester nun eine ziemlich große Besetzung. Obwohl Franfurt (Oder) gar nicht einmal so groß ist, handelt es sich um ein stattliches Orchester, das im deutschen Tarifsystem als A-Orchester geführt wird. Heribert Beissel war von 2001-2007 Chefdirigent. Er war damals 69 Jahre.

Die Farben der Holzbläser sind voller und wärmer als der des Orchesters aus Tasmanien, das in der dritten Aufnahme von Ewa Kupiec spielt. Im Vorspiel erreicht das Orchester bzw. sein Dirigent hier lange nicht den Impetus von Stanislaw Skrowaczewski in der Saarbrücker Aufnahme aus dem gleichen Jahr. Es ist eher romantisch eingefärbt. Die Klangtechnik des RBB billigt dem Flügel hier erheblich mehr Raum zu als der SR in der Saarbrücker Aufnahme. Hier darf es wieder uneingeschränkt in die Hauptrolle schlüpfen. Größer im Klangbild hört man ihre Abschattierungen deutlicher, sie lässt sich gefühlt mehr Zeit für ein feines Rubato und zum Nachsinnen. Erneut zu loben ist ihr flexibles, zartes pp. Bei ihr atmet der Klavierpart und wird nicht zur Einheitseleganz gezwungen. Brillante Virtuosität ist längst nicht alles. Wir empfinden ihr Spiel als sehr geschmeidig. Es bleibt rhetorisch z.B. dem Lang Langs deutlich überlegen und technisch ist es absolut sicher, auch live.

Das Larghetto lebt von der erzählerischen Kraft der Pianistin beflügelt sehr schön auf. Die Musik scheint zu „verströmen“.

Das Allegro vivace wirkt völlig gelassen und gerade noch so beschwingt. Selbst wenn die Spieldauer anderes suggeriert. Neben dem makellosen Spiel der Pianistin und dem guten Miteinander gefällt diese Darstellung besonders durch die Herzenswärme, die sie verströmt. Auffallend sticht das bedeutungsschwangere und intonationssichere Signalhorn aus dem sonst beschwingten Umfeld heraus.

Der Flügel steht sehr klar und deutlich vor dem Orchester. Für eine Radio-Übertragung auffallend warmer, recht differenzierter Klang, da scheint die Halle mit der auffallenden Dachkonstruktion doch eine sehr gute Akustik zu bieten.

 

 

4-5

Murray Perahia

Zubin Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1989, live

13:08 8:19 7:39  29:06

Murray Perahia hat das f-Moll Konzert nur ein Mal aufgenommen, gerade ein Jahr bevor ihn seine Verletzung des rechten Daumens und die sich daran anschließenden Komplikationen traf, die ihn mehrere Jahre vom Podium fernhielten.

Seine Darbietung wirkt musikalisch, ernsthaft, flexibel und fast ein wenig schüchtern. Er lässt sich kaum mit den Auftritten von Zimerman, Argerich, Samson François oder auch Rafal Blechacz vergleichen. Das israelische Orchester mit seinem Dirigenten verbreitet zwar durchaus Kraft und Sensibilität, auch einigen Schwung, aber Spannung will sich nicht einstellen. Perahia bevorzugt ein fein abgewogenes Rubato, einen gedeckten Klang, der jedoch klar durchscheint. Da wo erforderlich auch mit Kraft und Attacke, aber kaum im Übermaß oder herausragend. Sein Anschlag wirkt weich und rund, ohne je teigig zu werden, Härte ist ihm fremd. Es gibt durchaus brillantere Chopin-Spieler. Sein „Chopin“ wirkt eher ausgleichend und verbindlich, mutmaßlich nicht unähnlich Chopins eigenen Spiel. Wir hören keinen einzigen harten Ton. Insgesamt nicht ganz so gelungen wie seine Aufnahme des Konzertes e-Moll.

Herr Perahia ist kein Pianist, der im Larghetto seine Gefühle lauthals heraussingt, aber seine Linie überzeugt, sein Klang bezaubert. Nun viel mehr als noch im ersten Satz. Er klingt ein wenig wie wattiert, fast so, als ob er dem Klang eines Érard angenähert sein sollte, er verursacht keinen Gefühlsschwall wirkt aber doch alles andere als zurückhaltend. Das Fagottsolo wird schön gespielt, kommt aber wie so oft kaum durch.

Auch im dritten Satz ist Dezenz Trumpf. Die Musik wird schön fließend gehalten, erklingt nicht unpointiert, sogar recht flott. Die Brillanz wirkt indes ein wenig stumpf. Etwas mehr Glanz hätte dem Allegro vivace sicher ganz gutgetan, mehr als den Sätzen zuvor. Perahia bietet jedoch mehr Impetus als Emmanuel Ax, der ihm klanglich gleicht.

Der Orchesterklang wirkt in dieser Live-Aufnahme weniger definiert und weniger differenziert. Er wirkt aber angenehm warm und er erwärmt auch wenn sich die Violinen nicht ganz frei von digitaler Härte präsentieren. Für eine recht neue, kommerzielle Aufnahme bietet die Einspielung viele Huster zur Musik. Weder das Orchester noch der Flügel klingen brillant und sind auch nicht sonderlich präsent.

 

 

4-5

Martha Argerich

Mstislaw Rostropowitsch

National Symphony Orchestra of Washington

DG

1978

13:53 8:45 7:53  30:31

Bei dieser Aufnahme aus dem John F. Kennedy Center in Washington, 13 Jahre nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs in Warschau, war die Pianistin 37. Chopin war zuvor und danach jederzeit fester Bestandteil ihres Repertoires.

Ihr unverzärtelter, griffsicherer, feurig-direkter Zugriff gefällt wie 1999 mit viel Temperament. Frau Argerich bietet die volle dynamische Palette, die auch ins echte pp hineingeht, was längst keine Selbstverständlichkeit ist. Immer ist die spezielle Argerich-Spontaneität mit dabei. Technisch ist sie mehr als souverän. Rostropowitsch wird dem Maestoso der Einleitung sehr gut gerecht, sein Orchester, dem er damals als Chef vorstand, bildet ein gutes Gegengewicht, könnte aber klarer klingen.

Nach dem gut ausbalancierten Larghetto wirkt das Allegro molto etwas verspielt, verhalten und sanftmütig. Claudio Arrau ließ da in seinen älteren Live-Aufnahmen ein farbigeres Feuerwerk hören (vor allem 1954). Besonders vom Orchester kommt auch in diesem Satz (wie in den beiden anderen auch schon) verhangene Melancholie ins Spiel, die einen fröhlicheren Kehraus verhindert.

Die recht natürlich und räumlich klingende Aufnahme bringt eine gute Staffelung mit. Das Holz wirkt ziemlich plastisch, obwohl die Instrumente von weit her klingen. Gedeckte Klangfarben herrschen vor. Der Flügel bringt eine recht warme Brillanz mit. Mit dem kühleren aber ungleich farbigeren Feuerwerk der Einspielung von 1999 kann die 1978er Einspielung nicht mithalten zumal die Dynamik dagegen besonders stark abfällt.

 

 

4-5

Ewa Kupiec

Sebastian Lang-Lessing

Tasmanian Symphony Orchestra

ABC (Australian Broadcasting Corporation)

2011

14:58 9:58 8:44  33:40

Diese Aufnahme stammt aus der Federation Concert Hall in Hobart. Das Orchester klingt in den Tutti undeutlicher als das RSO Saarbrücken in der Kupic-Einspielung von 2002, es spielt zwar gefühlvoll und durchaus jugendlich-frisch, aber die kräftige kämpferische Note wie bei Skrowaczewski 2002 hören wir nicht. Dagegen klingt die Pianistin, nun 47 Jahre jung, jetzt etwas brillanter und farbiger, denn sie wird gegenüber dem Orchester stärker in den Fokus gerückt als in Saarbrücken. Sie spielt erneut gut strukturiert, lebendig, flexibel und durchaus auch kraftvoll, aber sie vergisst auch die leisen Töne nicht. Erneut ergibt sich ein gutes Miteinander von Pianistin und Orchester.

Das Larghetto klingt erneut sehr schon, das gefühlvolle Spiel der Pianistin wirkt völlig idiomatisch. Das eigentlich dramatisch aufgewühlte „Recitativo“ klingt orchestral ein wenig gemäßigter als mit Skrowaczewski.

Deutlicher abgemildert wirkt das Allegro vivace, lange nicht so revolutionär gestimmt wie bei Skrowa 2002 in Saarbrücken. In der australischen Einspielung führt die Pianistin viel mehr als in der deutschen. Erneut ist ihre große Meisterschaft im Umgang mit der Musik Chopins festzuhalten. Trotz der guten Orchesterarbeit vermisst man die bessere Skrowczewskis.

Die Aufnahme wirkt etwas heller und dünner als die Oehms-Aufnahme aus dem Saarland. Man kann sie jedoch noch als warm grundiert bezeichnen. Das Holz kommt recht klar heraus und obwohl das Orchester (wieder einmal) klanglich recht weit zurückgesetzt wurde wirkt sie ganz gut gestaffelt. Die Dynamik wirkt gegenüber der Oehms-Aufnahme reduziert, die Balance nun in Richtung Flügel verschoben, der nun sonorer und etwas brillanter klingt als in Saarbrücken.

 

 

4-5

Ekatarina Litvinseva

Vahan Mardirossian

Czech Philharmonic Chamber Orchestra, Paradubice

Piano Classics, Brillant Classics

2023

14:14 8:57 9:03  32:14

Mit Frau Litvinseva liegen nun zwei Aufnahmen des f-Moll-Konzertes vor. Mit der Einspielung von 2023, bei der sie 37 Jahre jung war, übertrifft sie ihre ältere Einspielung mit Heribert Beissel von 2016 deutlich, was insbesondere an der besseren Aufnahmequalität, am vital dirigierenden Dirigenten und am besseren Orchester liegen mag. Ihr Spiel als solches gefällt in beiden Einspielungen gleichermaßen.

Das Orchestervorspiel klingt nun erheblich vitaler, es ist besser durchhörbar und das Orchester spielt und klingt besser als 2016. Der Flügel der Pianistin klang allerdings 2016 wärmer, der Klang bekommt 2023 keine metallische Note sondern bleibt sonor. Die virtuosen Verzierungen wirken nie aufgesetzt sondern bleiben stets Teil des Ganzen, die immense Virtuosität spielt nicht die Hauptrolle und wird nie zur Schau gestellt. Ihr Anschlag ist nach wie vor nicht so wieselflink und gehört zur weichen Seite, Härte ist ihm fremd, die Brillanz wird in das natürlich fließende Spiel aufgenommen. Beim tschechischen Kammerorchester könnten die gut klingenden Bläser noch ein bisschen besser herauskommen. Die musikalische Partnerschaft passt. Frau Livinseva über Herrn Mardirossian: „Wir sind ein gutes Team.“

Im Larghetto trifft „das gute Team“ den Notturno-Charakter sehr schön. Zart und gedämpft mit einer wunderbaren Kantabilität strebt man nun einmal keine große Opernszene an. In der Stellung zwischen Salon und Konzert gibt es eher eine intime Aussprche, die man eher im Salon erwarten würde. Aber Raum und Zeit spielen eigentlich keine Rolle. Im „Recitativo“ bietet man entsprechend nicht das letzte Aufgebot an f oder ff-Gewalt auf. Muss man ja auch gar nicht, wir sind ja bei keinem Wettbewerb. Trifft ins Herz, das ist viel wichtiger.

Das Orchester bietet beim Allegro vivace jetzt mehr Schwung auf als das Bonner 2016. Sonst bemerkt man kaum Änderungen. Erneut gibt man dem Satz eine gelassene, charmante Brillanz mit. Erfülltes und erfühltes Musizieren, weniger spritzig, aber nie langweilig. Noch etwas besser als die erste Aufnahme von 2016. Ein Chopin von Herzen.

Der Klang der Aufnahme bildet das Orchester präsent ab, es klingt erheblich differenzierter als 2016 bei Hänssler. Der letzte Glanz fehlt ihm allerdings. Der Flügel wirkt etwas brillanter und sonorer als 2016.

 

 

4-5

Clara Haskil

Igor Markevitch

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

Philips

1960

13:44 8:49 8:40  31:13

Clara Haskil starb (noch im gleichen Jahr als die Aufnahme dieses Konzertes erfolgte) an den Folgen eines Treppensturzes am Brüsseler Bahnhof. Da war sie gerade einmal 65 Jahre alt. Dabei laborierte sie zuvor schon an vielen Krankheiten, litt an schlimmem Lampenfieber, hatte einen Tumor an der Hypophyse und musste vor den Nazis fliehen. Finanziell war sie ebenfalls nicht auf Rosen gebettet, wobei die Tatsache, dass sie sich als Pianistin erst 1949 (sie wurde 1895 geboren) einen eigenen Flügel leisten konnte, sicher noch eines der geringeren Probleme war.

Igor Markevitch und sie nutzen übrigens die Orchestrierung von Alfred Cortot (dessen Schülerin Clara Haskil u.a. war), der anscheinend auch der Meinung war, sie hätte eine Verbesserung verdient. Sie macht sich nur in Details bemerkbar, ähnlich wie die Bearbeitung von Ingolf Wunder, der unserer Ansicht nach auf der Cortot-Bearbeitung aufgebaut hat.

Die Orchestereinleitung ist dramatisch erregt, hochemotional, fast aufgepeitscht. Der Streicherklang ist eigentlich ganz schön, man hätte allerdings mehr davon, wenn der Philips-Klang nicht so altbacken wäre. Der Klang ist leider ein Bremsklotz, sonst würde die Einspielung viel weiter vorne platziert werden müssen. Davon später noch etwas mehr. Doch nun weiter im Text: Frau Haskil nimmt den Vortrag des Orchesters auf: Das ist kein Chopin für Träumer oder Träumerinnen. Ihr Anschlag ist bestens konturiert, der Klang des Flügels bietet ähnlich wie bei Samson Francois noch nicht die sonore Fülle und Brillanz neuerer Philips-Aufnahmen. Die Firma war noch gar nicht so lange im Geschäft, da gelang noch nicht jede Aufnahme gleichermaßen gut. Die Härte des Flügelklangs geht mindestens zur Hälfte auf das Konto der Aufnahme. Das Legato wirkt wunderbar geschmeidig, das Non-Legato mit klar abgegrenzten Einzeltönen. Staccato ist im gesamten Konzert nicht gefragt, sind da überhaupt einmal Staccato-Pünktchen zu sehen gewesen? Nein! Das Orchester hat gute Solisten in seinen Reihen, besonders die Klarinetten und Flöten, die hätten gerne mal in Monte-Carlo bei der François-Aufnahme aufhelfen dürfen.  Extrem exaltiertes Finale. Enorm ausdrucksvoller erster Satz.

Con delicatezza, dolcissimo, legatissimo, con forza: Alles da, alles drin in dieser Darbietung des Larghetto. Nur das con fuoco 2 T. nach G bleibt etwas schwach. Die Klänge schweben, trotz der bescheidenen Klangtechnik. Die schicksalhafte Pauke ist eine spezielle Zutat der Orchestrierung Cortots. Sie werden hier zur Unterstützung der Kontrabässe gebraucht („Recitativo“,T. 48 und 49), aber auch danach werden die Bässe bei ihrem Pizzicati enorm gefordert, endlich einmal wird ihr Ausdruckspotential erkannt und gefördert. Das Fagott-Solo wird, wie später bei Wunder (und Pletnev), von Celli ersetzt. Es wird dadurch nicht besser, zumal die Celli gerade an dieser Stelle seltsam leise bleiben. Absicht dürfte hingegen gewesen sein, das notorisch hintergründige, zu leise, untergehende Fagottsolo, da es so schön ist, auch gut hörbar zu machen. In dieser Einspielung wurde die Chance verpasst.

Im Allegro vivace beginnt das Orchester etwas lärmend, das legt sich aber im Verlauf. Die Instrumentierung Cortots bleibt weitgehend unauffällig, es werden ein paar Flageoletts der Violinen eingefügt, die Bläser werden häufiger zum Einsatz gebeten, auch mal da, wo sonst die Streicher spielen und die Bässe raunen oder grummeln öfter mal dazwischen. Auch bei den langen Skalen, die in vielen Darstellungen leicht etwas monoton wirken, gibt es jetzt ein paar Farbtupfer vom Orchester. Die Attraktion ist aber eher die Pianistin, die brillant und inspiriert spielt. Sie wird zwar immer wieder als „Heilige“ beschrieben, hier zeigt sie sich aber alles andere als sanft und zurückhaltend. Von körperlicher Schwäche, wenn man ihr Spiel nicht gerade mit dem kraftbetonten Spiel von einigen männlichen Pianisten vergleicht, konnten wir keine Spur feststellen.

Der Klang der Aufnahme ist leider selbst für die frühen 60er Jahre nicht gerade gelungen. Das Orchester klingt nicht sonderlich transparent, klobig wirkt es indes noch nicht. Der Flügel wird deutlich und prominent vor das Orchester gestellt und klingt ähnlich wie bei der 65er Aufnahme von Samson François eingedunkelt und hart. Analoge Wärme darf man nicht erwarten.

 

 

4-5

Jewgeni Kissin

Dmitri Kitajenko

Moskauer Philharmoniker

Melodija

1984, live

13:04 7:39 7:39  28:22

Als diese Live-Einspielung gemacht wurde, war Herr Kissin gerade einmal 12 oder 13 Jahre jung. Es gibt zwar noch eine zweite Einspielung mit ihm, anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten in der Warschauer Philharmonie mit den dortigen Philharmonikern unter Antoni Wit für Video und Fernsehen aufgezeichnet. Sie erschien nie auf CD und lag uns nicht zum Vergleich vor. Wenn man die 84er Einspielung hört, bleibt einem häufiger mal “die Spucke“ weg, denn dass da noch ein Kind spielt kann man kaum fassen.

Die Orchestereinleitung klingt recht bewegt, das Orchester wirkt angetrieben, aber es spielt nicht brillant und besonders transparent wirkt es ebenfalls nicht. Der Knabe langt ebenfalls voll zu, spielt kräftig und verfügt bereits fast über einen Anschlag der besten Erwachsenen. Phrasierung und Dynamik sind ebenfalls auf dem Niveau der diskographischen Nachbarschaft. Seine Technik ist unglaublich, und das auch noch live. Man könnte nun vermuten, es handele sich um eine Art Fernsteuerung und der auch körperlich noch recht kleine Junge würde nur das von den Lehrern gelernte abspulen, aber dieser Eindruck ließe sich objektiv nicht verfestigen. Unseres Wissens befindet sich Herrn Kissins Lehrerin allerdings immer noch bei ihm und bereichert seine familiäre Entourage mit der er nach wie vor gemeinsam wohnt und auf Tournee geht. Es fehlt ihm nicht an Differenzierungsvermögen im Dynamischen, wenngleich er gerne ein gesundes f oder ff spielt, mit den ganz leisen pp scheint er sich noch nicht so recht angefreundet zu haben. Agogik und Rubato sind noch nicht so ausgeprägt wie in seinen späteren Chopin-Einspielungen, wenn sollte das wundern? Genauso wie das noch nicht ganz so crèmige Legato. Er spielt äußerst behände und temperamentvoll. Die Orchesterritornelle im ersten Satz gelingen recht feurig, klingen jedoch ein wenig pauschal.

Im Larghetto, wo Chopin ja kompositorisch sein Innerstes nach Außen kehrt, spielt der Junge schon so, als ob er wüsste, worum es geht. Vielleicht bleibt er in den vielsagenden Zwischentönen noch etwas schuldig und seine Agogik noch ein wenig starr, aber wenn man es nicht wüsste, dass da ein kleiner Knirps sitzt, würde man es überhaupt bemerken? Jedenfalls ist alles so haarfein eingeübt, dass es so oder so bewunderungswürdig erscheint.

Das Allegro vivace erklingt sehr temperamentvoll, kraftvoll und außerordentlich virtuos. Mit kindlichem Spieltrieb hat diese Darbietung nichts zu tun. Eher schon leidenschaftlich, intensiv und rhythmisch enorm präsent. Mit jugendlicher Frische, was uns jetzt mal nicht zu wundern braucht. Wir hören eine sehr frühe Talentprobe eines Klavier-Genies, der für die einschlägigen Wettbewerbe einfach noch zu jung war. Er spielt weder wie eine gedrillte Puppe noch wie ein programmierter Roboter. Diese Einschätzung wäre weit gefehlt. Und wir haben keinen Kinder-Bonus mit verrechnet.

Der Klang der Aufnahme ist räumlich, recht ausgewogen und recht transparent. Das Holz kommt ganz gut durch, der Flügel steht groß und deutlich vor dem Orchester, wie es sich für eine Star-Einspielung gehört. Das Publikum verhält sich bei der Aufnahme mustergültig diszipliniert. Wahrscheinlich traute es weder seinen Augen noch seinen Ohren, da blieb nur ungläubiges Staunen.

 

 

4-5

Shura Cherkassky

Richard Hickox

BBC Symphony Orchestra, London

Ica Classics

1983, live

13:50 9:00 8:31  31:21

Diese Live-Aufnahme entstand bei einem Konzert anlässlich der Proms in der Royal Albert Hall. Der Pianist, einst u.a. Schüler von Józef Hofmann, war dabei 74 Jahre jung, der Dirigent 35 und zu jener Zeit Leiter der Northern Sinfonia in Leeds. Shura Cherkassky hat das f-Moll-Konzert zwar bereits 1966 mit Rudolf Kempe für RCA eingespielt, aber diese Einspielung war leider nicht zu beschaffen, anscheinend ist sie ziemlich rar oder man hat es versäumt sie ins digitale Zeitalter zu portieren. Das wäre verwunderlich, denn der Pianist ist zwar als recht eigenwillig bekannt, aber seine Technik, Spontaneität und seine Farbpalette würden ihn eigentlich zu einem Chopin-Spieler par excellence machen. Leider geraten immer wieder Einspielungen, die es wert wären, dass sie spätere Generationen kennenlernen können, unter die Räder. Eigenwillig und flexibel spielt er seinen Chopin auch in der riesigen Halle der Royal Albert Hall 1983, die die BBC übrigens heutzutage klanglich viel besser im Griff hat als damals. Er bringt sehr viele agogische Freiheiten mit in sein Spiel ein, auch fast schon kapriziös zu nennende Veränderungen in Phrasierung, Akzentuierung und Dynamik. Markant und brillant klingt es immer noch. Er beleuchtet die dekorativen Elemente recht charmant und es gelingt ihm immer wieder wiederholte Elemente fast unmerklich zu variieren. Seine Virtuosität ist den besten Kollegen und Kolleginnen gleichzustellen und weisen ihn als „Übervirtuosen“ aus. Vielleicht gelingt es Zimerman, Argerich oder Arrau den lyrischen Passagen ein wenig mehr Innigkeit abzuringen. Der junge Richard Hickox geht den Satz kraftvoll, geradlinig und entschlossen an und gibt der Aufführung einen festen Rahmen.

Im Larghetto phrasiert Herr Cherkassky mit ausgeprägten Rubati, jedoch nie grob, spannend und ausdrucksstark. Im „Recitativo“ wird es dann feurig und sehr laut. Das typisch Großzügige in der Darstellung ist der älteren Pianisten-Generation eigen, da wird in den Trillern und Arabesken stark abschattiert, so schnell gespielt, dass Vorschlagsnoten nur „zitiert“ werden. Eine herausragende Vorstellung und dann auch noch 74jährig und live in der riesigen Halle! Respekt!

Das Allegro vivace wird bezaubernd gespielt und mit Witz. Nicht ganz in der atemberaubenden Geschwindigkeit, die wir erwartet hätten, weil sie vom Booklet versprochen wurde. Heftiger Jubel im weiten Londoner Rund. Wahrlich ein großes pianistisches Kaliber. Und auch das sich befeuernde Miteinander mit dem Dirigenten und dem Orchester, das mit Feuereifer alle Anregungen aufnimmt, sollte noch die gebührende Erwähnung finden.

Der Klang kann nicht annähernd mit der Interpretation oder der Pianistik mithalten. Die Streicher könnten weicher klingen, sie haben aber immerhin einen angenehmen Glanz. Das Holz klingt überdeutlich, als ob es direkt am Flügel sitzen würde. Also nicht wie sonst kritisiert irgendwo weit weg im hinteren Raum, wo es kaum noch hörbar ist. So ist es aber auch nicht gut! Der Flügel selbst klingt wenig sonor, sogar hart und leicht verklirrt. Es fehlt seinem Klang entschieden an Wärme und Rundung. Was auch für den Gesamtklang gilt. Manchmal muss man sich wundern, warum es bei den Aufnahmen des wahrscheinlich klassikverrücktesten Senders überhaupt so mies klingt. Vielleicht hat man mit einer noch unreifen Digitaltechnik rumgedoktert? Dass die tückische Akustik der Royal Albert Hall noch nicht wie heute gebändigt war, hatten wir bereits erwähnt. Hauptmangel der Aufnahme ist der harte Klang.

 

 

4-5

Tamas Vasary

in Personalunion Pianist und Dirigent

Northern Sinfonia of England

ASV

1982

14:01 8:57 7:58  30:56

19 Jahre nach seiner ersten Einspielung für die DG, die besonders vom Orchester her enttäuschte, obwohl die Berliner Philharmoniker 1963 zugegen waren, erfolgte die zweite Einspielung des Ungarn Tamas Vasary. Er war nun inzwischen 49 Jahre jung und Co-Direktor (1979-82) des aus dem englischen Leeds stammenden Orchesters. Weitere Stationen als Dirigent waren Bournemouth (1989-1997) und Budapest (1993-2004).

Nun ist das Tempo etwas zügiger geworden und die Orchestereinleitung wirkt besser gegliedert. Man spielt rhythmisch und sauber. Und erheblich akzentuierter als die Philharmoniker damals unter Janos Kulka. Am Klang des Flügels hat sich indes nicht viel geändert, Herr Vasary spielt immer noch brillant und verfügt nach wie vor über seinen gut fokussierten Anschlag. Seine Phrasierung ist nach wie vor anmutig.  Und klar und er verfügt über ein großes dynamisches Spektrum. Sein Vortrag wirkt sehr gut durchdacht, akzentuiert, kontrastreich und spieltechnisch hochrangig. Das nun selbst geleitete Orchester wirkt lebendiger und besser konturiert als die Philharmoniker und passt sich seinem Spiel besser an.

Im dynamisch weit gespreizten „Recitativo“ des Larghetto wird der Flügel fast an seine Grenzen gebracht, an sanfter Lyrik fehlt es ebenfalls nicht. In Rührseligkeit driftet man jedoch lang nicht ab. Schade gerade für den zweiten Satz, dass die Aufnahmetechnik keinen erwärmenden Klang bereitstellen konnte. Das Spiel des Pianisten wäre es gewesen.

Das Allegro vivace gelingt perlend und virtuos. Leider wirken die reichlich vorhandenen Skalen ein wenig äußerlich heruntergeleiert, während die Melodien schön zum singen gebracht werden. Es wird mit Impetus dirigiert und akzentuiert gespielt. Das Signalhorn klingt richtig satt (nicht von weit hinten wie sonst, sondern weit im Vordergrund und der Hornist (oder die Hornistin) spielt die Motivwiederholung mit einem schönen Echoeffekt. Sehr gute Leistung Vasarys als Pianist und als Dirigent.

Der Klang der Aufnahme ist großräumig, leicht hallig, gut durchhörbar und mit einiger Tiefenstaffelung versehen. Kühle Klangfarben herrschen vor. Der Flügel klingt brillant und klar, allerdings ebenfalls, wie bereits erwähnt wenig warm. Insgesamt ist die Aufnahme jedoch für eine frühe Digitalaufnahme angenehm zu hören, wenn die etwas „sterilen“ und kühlen Violinen nicht stören.

 

 

4-5

Adam Harasiewicz

Kazimierz Kord

Warschauer Philharmoniker

Capriole

1979

13:15 8:24 8:02  29:41

Adam Harasiewicz nahm 1949 als 17jähriger das erste Mal am Chopin-Wettbewerb in Warschau teil, dabei ging er noch ohne Preis aus. Beim folgenden Jahrgang 1955 gewann er dann die Goldmedaille und setzte sich dabei gegen Vladimir Ashkenazy, Fou Ts´ong oder Bernard Ringeisen durch. Drei Jahre später 1958 erfolgte eine erste Aufnahme des f-Moll-Konzerts im Rahmen einer Gesamtaufnahme aller Chopin-Klavierwerke. Da wurde er von Heinrich Hollreiser und den Wiener Symphonikern unterstützt. Auch für Herrn Harasiewicz gilt, dass er vor allem als Chopin-Interpret bekannt wurde. Insgesamt gefällt die polnische Aufnahme besser als seine Wiener, wenngleich bei ihr ein nicht oder fehlerhaft gestimmter Ton bei seinem Flügel den Vortrag empfindlich stört. Dies weist darauf hin, dass es sich um eine Live-Aufnahme handeln müsste, denn ansonsten hätte man den Klavierstimmer sicher erneut kommen lassen oder einen Ersatzflügel besorgt.

Das Orchestervorspiel wirkt elegant mit einem betonten Legato-Spiel, das Holz wird dabei nicht gerade betont und vom Blech ist nahezu gar nichts zu hören. Seltsam für einen polnischen Dirigenten. Die Darbietung des nun 47jährigen Pianisten wirkt nicht mehr ganz so glatt wie 1958, er differenziert sowohl in der Phrasierung als auch in der Dynamik stärker und er erzählt seine Geschichte etwas spannender. Der Klavierklang gefällt uns besser als in Wien, was sowohl aufnahmetechnisch als auch vom Instrument her bedingt sein könnte. Leider klirrt er immer bei Betätigung derselben Taste. Es ist immer nur die eine! Die Orchesterzwischenspiele wirken noch etwas temperamentvoller und engagierter als in Wien.

Auch im Larghetto wirkt Harasiewicz´ Spiel nuancenreicher, wenngleich es sich dynamisch immer noch mehr im mittleren Bereich aufhält, also die Extreme meidet. Das „Recitativo“ klingt wie bereits in Wien dynamisch zu sehr den Außenteilen angeglichen. Die Warschauer klingen im Tremolo harmloser als die Wiener Symphoniker unter Hollreiser. Man bemerkt jedoch einen Zugewinn an Wärme, der dem Satz gut ansteht. Das Fagottsolo klingt so zurückhaltend, dass es teilweise vom Orchester überdeckt wird.

Im beschwingt genommenen Allegro vivace wird der „verklingelte“ Ton (As) leider ziemlich oft betätigt. Man muss es dem Pianisten hoch anrechnen, dass er sich von ihm nicht ablenken ließ und er die Darbietung mit stoischer Gelassenheit unbeirrt zu Ende gebracht hat. In Zukunft hat man in Warschau den Flügel vor jedem Konzert sicher sorgfältiger überprüft oder noch besser einen zweiten gleich „griffbereit“ daneben in Reserve in einer gesicherten Kammer stehen.

Nun zum Klang der Aufnahme: Das Orchester klingt weiter entfernt als in Wien, das Holz speziell noch etwas weiter. Die Basslinie klingt gut, der Gesamtklang ist etwas zu hallig.  Der Klang des Flügels wirkt offener als der des Orchesters, aber nicht so farbig wie in Wien. Zudem klingt er nicht über alle Töne hinweg gleich gut.

 

 

4-5

Jan Simon

Jiri Belohlavek

Prague Philharmonia

Clarton, Supraphon

1997

14:06 8:44 8:28  31:18

Der Schüler von Ivan Moravec, Homero Francesch und James Tocco war bei der Aufnahme 31 Jahre. Die Aufnahme aus dem Domovina-Studio in Prag erschien 1998 zum ersten Mal bei Clarton und wurde anlässlich des 200, Geburtstags Chopins 2010 von Supraphon wieder neu aufgelegt.

Das Orchester spielt die Einleitung sorgsam, besonders auf die Melodien wird viel wert gelegt. Simons Spiel wirkt flexibel und jugendfrisch-spritzig. Sein Anschlag ist gut fokussiert, aber seinem Flügel fehlt die Brillanz eines Steinways. Der von ihm bevorzugte relativ wenig voluminöse Bösendorfer klingt zwar einem historischen Érard-Flügel ähnlicher, aber auch im ff offenbart der Bösendorfer Schwächen. Dennoch behaupten viele, wenn man schon einen modernen Flügel für die Musik Chopins auswählt, dann doch besser einen Bösendorfer. Aber wie so oft, wenn es um Geschmacksfragen geht, sind die Ansichten verschieden. Uns hat auch der Fazioli gut gefallen. Simons Spiel nutzt ein weites Spektrum, sein temperamentvoller Zugriff vermittelt viel Unruhe.

Im Larghetto hören wir einen zügigen, freien und dynamischen Vortrag, der allerdings zu kleinen Teilen noch ein wenig einstudiert wirkt. Das Zusammenspiel mit dem Orchester erscheint als er erfreulich, das Tremolo der Prager ist toll, das Fagott-Solo sitzt. Dem Bösendorfer fehlt in der sotto voce die Sonorität. Das Spiel ist perlend und zart, kraftvoll genug und zurückhaltend im Diskant-Geglitzer. Da hat der Bösendorfer unbestreitbar Vorteile, wenn man Geglitzer nicht mag. Da muss wie gesagt der Geschmack entscheiden.

Das Allegro vivace klingt leicht und ziemlich sorglos, die Triolen „funkeln attraktiv“ und wegen des Bösendorfers wirkt das Spiel nie knallig. Insgesamt flüssig und ein wenig drängend.

Der Klang ist beim Orchester hinreichend transparent und gut aufgefächert, es klingt warm und farbig, höchstens ein klein wenig matt. Der Flügel ist gut konturiert, sonor, präsent, deutlich und klar. Hier wird löblicherweise mal nichts eingehallt und nichts von der Ferne betrachtet.

 

 

4-5

Pietro de Maria

Daniele Rustioni

Orchestra della Toscana

Dynamic

2021

15:15 9:57 9:21  34:33

Diese Aufnahme stammt aus dem Teatro Verdi in Florenz. Der Pianist, bereits 54 Jahre jung studierte unter anderem bei Maria Tipo und wurde bisher in unseren Breiten weniger bekannt. Dass er ein großer Freund der Musik Chopins ist, kann man schon daran erkennen, dass er für Decca dessen gesamtes Klavierwerk eingespielt hat.

Bei der Orchestereinleitung fällt ein seltsamer Klang bei den Violinen auf, die demgemäß erschreckend dünn besetzt sein müssen. Sie spielen auch nicht gerade homogen auf und vibratoarm ist das Spiel noch dazu. Im Streichertutti und mehr noch im Gesamtklang gehen sie jedoch auf, sodass man nicht ständig von ihnen unangemessen abgelenkt wird. Der Vortrag des Pianisten fällt durch seine agogisch freie Art und das geschmeidige Spiel angenehm auf. Dass hier nichts überhitzt wird, erkennt der aufmerksame Beobachter bereits an der zeitlichen Ausdehnung des Satzes. Der Klang des Flügels wirkt indes nicht sonderlich brillant (kein Steinway-Klang) und wenig tragend.

Im Larghetto empfindet man den wenig tragfähigen, d.h. schnell wieder verklingenden Klang des Flügels zunächst eher als noch nachteiliger als im ersten Satz. Man fühlt sich an einen Érard oder Pleyel erinnert, es ist aber trotzdem ein moderner Flügel. Das „Recitativo“ wird sehr gut herausgearbeitet. Das langsame Tempo wird dabei durch den stimmigen, gefühlvollen Vortrag bestens gefüllt: Sehr gefühlvoll mit empathischem Tiefgang, weiß der italienische Pianist ganz genau, wie „sein“ Chopin klingen soll. Wir hätten ihm ein klangvolleres Orchester gewünscht.

Das Allegro vivace klingt fast schon rubatoselig, dadurch aber auch überraschend und von inspirierender Wirkung. Der detailbetonte, jedoch die Linien gut im Auge behaltenden, freie Vortrag hat viel Atmosphäre, wirkt spannend um nicht zu sagen aufregend.

In dieser Einspielung treffen sich ein guter, „zaubernder“ Pianist und ein klanglich ziemlich unausgewogenes Orchester und ein wenig zeitgemäßer Gesamtklang. Der könnte nämlich für so eine aktuelle Aufnahme wesentlich breitbandiger sein. Man ahmt vielleicht auch einen historisch informierten Klang nach. ⁶Der Flügel dominiert den Orchesterklang recht deutlich. Der Gesamtklang wirkt allzu trocken.

 

 

4-5

Nelson Freire

Lionel Bringuier

Gürzenich Orchester Köln

Decca

2013, live

13:17 8:15 8:00  29:32

Bei seinem Gastspiel in der Kölner Philharmonie war Nelson Freire 69 Jahre jung. Das Kölner Orchester begrüßt ihn voll besetzt und gut klingend (gutes Holz) und begleitet ihn im Verlauf mit jugendlichen, gar recht feurigen Zuspitzungen. Der Pianist spielt mit klarer Diktion, geschmeidigem Legato, vollem Klang und kraftvollen Dynamikunterschieden. Sein Anschlag stellt einen guten Kompromiss von Härte und Weichheit dar, der letzten Endes ein hohes Maß an Wärme vermitteln kann.

Im Larghetto findet Herr Freire trotz des zügigen Tempos zu einem ruhigen Spiel mit Tiefe, da er nicht zuletzt gerade in diesem Satz seinen warm getönten Klang voll ausspielen kann. Die straffen Kaskaden Freieres passen im „Recitativo“ besonders gut zum vollen und dunklen Tremolo der Kölner Streicher.

Im Allegro vivace erwartet uns kein Einschlaftempo. Die Kölner könnten hier mitunter ein wenig dezenter begleiten. Es klingt bisweilen ein wenig dick und kann auch mal etwas lärmen. Das Blech wird von Monsieur Bringuier nicht gerade zurückgehalten. Den Pianisten setzt man so gefühlt ganz schön unter Druck., man bringt jedoch auch einige sonst wenig gehörte Motive zu Gehör. Der ganze Satz wirkt so ein wenig burschikos und hätte durchaus ein wenig Feinschliff vertragen und differenzierter ausfallen dürfen.

Der Klang der Aufnahme bietet ein präsentes Orchester, das noch recht transparent wirkt und gut gestaffelt erscheint. Das brillante Klavier steht in guter Balance zu ihm.

 

 

4-5

Kun Woo Paik

Antoni Wit

Warschauer Philharmoniker

Decca

2003

15:25 10:34 8:41  34:40

Kein Orchester dürfte die Klavierkonzerte Chopins öfter gespielt haben als die Warschauer Philharmoniker. Nicht nur wegen des alle fünf Jahre stattfindenden Chopin-Wettbewerbs, wo sie in der Finalrunde die Konzerte meist zehn bis zwölf Mal mit den jeweiligen Finalist/innen spielen dürfen, auch daneben ist der Appetit oder Hunger nach Chopins Musik in Polen ungebrochen. Nur wenn ein historischer Flügel verwendet wird, lädt man sich ein Originalklangensemble dazu ein. Sehr rührig ist dazu auch noch die Chopin-Gesellschaft, die das alljährliche Sommerfestival Chopin und sein Europa organisiert.

Im Alter von 57 spielte der Koreaner die Chopin-Konzerte und die anderen Werke für Klavier und Orchester ein. Es wurde eine ziemlich epische Angelegenheit. Schon das Orchester hebt den majestätischen Zug der Orchestereinleitung stark hervor, es ist groß besetzt und klingt sehr gut. Herr Paik lässt sich viel Zeit ohne schwer oder schwerfällig zu werden. Sein Klang ist brillant, nie hart, durchaus kraftvoll. Sein Anschlag nuancenreich im Dynamischen. Er spielt mit großen Tempogegensätzen. Das Langsame wirkt besonders nachdenklich und gefühlvoll und mit besonderem Bedacht gespielt, Steigerungen werden sorgfältig und nachhaltig angegangen. Das Orchester denkt die Ideen, soweit möglich weiter. Herr Paik behandelt seinen Part mit einer gewissen Demut. Auf seine Virtuosität hinzuweisen liegt ihm anscheinend denkbar fern.

Auch im Larghetto lässt man sich Zeit. Es wird zu einem echten Notturno. Weich, zart und zerbrechlich. Meilenweit entfernt von den vielen „seelenlosen“ Versionen, in denen nur die Noten gespielt werden. Das „Recitativo“ wirkt jedoch beispielsweise gegenüber Kowalski regelrecht gesoftet, im ehrlichen Vergleich mit vielen anderen Versionen aber immer noch recht dramatisch. Der Pianist könnte hierfür mehr aus sich herauskommen und sein ff mit mehr Nachdruck versehen. Die dekorativen Elemente wirken bei ihm jedoch nicht als hübsche Beigaben. Sein Ernst ist evident und durchgreifend. Nach dem „Recitativo“ entspannt der Koreaner seinen Vortrag jedoch zu sehr und er verliert stark an Spannung. Das Tempo wirkt dann auf uns etwas träge. Da hat er anscheinend den Spannungbogen überspannt und die Saite des Bogens ist gerissen.

Der dritte Satz ist nicht unbedingt Allegro vivace zu nennen. Er wirkt konventioneller als die beiden Sätze zuvor. Immer sehr gefühlvoll, das tänzerisch schwingende könnte hingegen spritziger sein. Summa summarum eine eigenständige Einspielung auf hohem Niveau. Es gäbe aus dieser Warte keinen Grund, dass der Pianist auf dem Cover der CD dermaßen verdrießlich dreinschaut.

Der Klang der Aufnahme wirkt großformatig, dass man jedoch einen echten Raumklang hören würde, ließe sich nicht behaupten. Wie so oft bei den neueren und neusten Aufnahmen versucht man eine Illusion vom Raum der Aufnahme (in dem Fall: die Warschauer Philharmonie) wegzulassen um nur gleichermaßen vor unseren Ohren oder in unserem Kopf das entsprechende Ensemble aufzubauen. Die Tiefenstaffelung des Orchesters und seine Auffächerung in die Breite gelingt gut. Es klingt weich und voll. Das Holz klingt leider wie so oft zu leise. Der Flügel steht in guter Balance zum Orchester mit einem kleinen Übergewicht für den Flügel. Die Klangfarben sind warm getönt.

 

 

4-5

Reine Gianoli

Georges Sébastian

Orchester des Südwestfunks Baden-Baden

Adès, Musidisc, Decca

1965

15:33 10:04 9:13  34:50

Von der bei dieser Aufnahme in Baden-Baden 50jährigen Reine Gianoli dürften die wenigsten Musikfreunde heutzutage noch etwas wissen. Sie war Schülerin von Alfred Cortot, Yves Nat und Edwin Fischer und ihrerseits Lehrerin von Jean-Yves Thibaudet, auf dessen Einspielung wir später noch eingehen wollen. Dass sie bei der Einspielung bereits eine erfahrene Pianistin war, merkt man ihrem Spiel an. Es wurden damals auch von Westminster einige Aufnahmen mit ihr gemacht. Sie geht mit dem f-Moll-Konzert einen ähnlich epischen Weg wie Kun Woo Paik, nur wirkt ihrer nochmals gefühlvoller. Und es würde ihr nie einfallen so verdrießlich von ihrem Plattencover zu blicken. Es soll den Käufer ja zum Kauf animieren und nicht abschrecken. Ein gewinnendes Lächeln hilft da ungemein.

Schon die Orchestereinleitung, sehr langsam und getragen, besticht mit berückend schönen Passagen. Das Holz klingt dabei schön deutlich, das Blech leider nicht. Es würde wahrscheinlich die pure Schönheit zu sehr stören.

Die Pianistin bleibt ihrerseits dem getragenen Grundtempo ziemlich treu, so kann sie ihre Girlanden ohne jeden „Stress“ in aller Ruhe flechten. Kein noch so kleines Tönchen entgeht so dem Ohr der Hörenden. Nur ganz selten ist das Klavierspiel einmal so anschmiegsam. In keiner anderen Version wirkt die Musik Chopins so zauberhaft wie bei Reine Gianoli. Das Zeitmaß hat mit den Metromomangaben der Partitur, die ihr Lehrer Alfred Cortot oder Artur Rubinstein in ihren ältesten Aufnahmen noch verwendet haben und die heute meist als absurd zu schnell angesehen werden, nichts mehr zu tun. Im intimen Dialog mit der Musik wird es mit Reine Gianoli jedoch trotzdem nicht langweilig, denn ihr Spiel wirkt unverbraucht, frisch und natürlich. Sie tüftelt nicht herum um das Werk oder sich selbst interessanter zu machen oder sich von anderen abzuheben. Chopin geistreich und individuell. Heute würde man dazu sagen: Entschleunigt. Und was soll man sagen: Diese Art des Spiels entspannt ungemein. Diesbezüglich d.h. aus therapeutischer Sicht müsste diese Einspielung an erster Stelle in unserer Liste stehen.

Das Larghetto bekommt auch die Zeit, die es braucht um sich in aller Ruhe auszusprechen. Es wird sozusagen voller Poesie ausgesungen. Dass Reine Gianoli eine Meisterin des Rubato und der Differenzierungskunst ist, verwundert angesichts ihres Lehrers Alfred Cortot nicht. Auch im „Recitativo“ wartet sie mit ihrem weichen und warmen Ton und ihrer Formulierungskunst auf. Im zweiten Satz sollte man viel Zeit mitbringen, dann kann man langsam und sehr sanft davonschweben. Das Baden-Badener Orchester, bei dem man das „Sinfonie“ im Namen bei Chopin lieber nicht mit verwendet hat, steuert nicht nur ein sehr gelungenes Fagottsolo bei.

Der Vivace-Charakter im dritten Satz wird zwar nicht gänzlich missachtet, aber zumindest nicht forciert. Sehr mild und wieder enorm klangschön kommt er daher, erneut in bestem Einvernehmen mit Monsieur Sébastian. Man nimmt fast das ganze Tempo heraus, ganz schön mutig, vor allem wenn man sich der Tempogestaltung in den 30er bis 50er Jahren vergegenwärtigt. Und in einer Zeit, wo es in der Welt immer schneller zuzugehen hatte. Der Satz macht das aber mit und ist auf Anhieb bestens erfassbar, obwohl wir da die falschen Probanden waren, denn diese Einspielung war bereits unsere Nummer 71. Charmanter geht es wohl kaum noch und sanfter lässt es sich kaum tanzen. „Antivirtuoser“ hat das Konzert wohl noch nie geklungen und dermaßen gegen den Strich gebürstet, dürfte es lange nicht jedem gefallen. Man könnte auch einwenden: „Das ist doch alles viel zu langsam und behäbig“.  In etwa zeitgleich spielten übrigens Samson Francois, Vladimir Ashkenazy, Gina Bachauer, Charles Rosen oder Tamas Vasary ihre Versionen ein und Martha Argerich gewann den Chopin-Wettbewerb in Warschau.

Der Klang bringt bereits viel Wärme mit, sonst würde die Einspielung nicht so bezaubernd wirken. Es klingt recht transparent und wohlgeordnet, Das Orchester klingt bereits erheblich besser als in der Baden-Badener Mono-Aufnahme mit Nikita Magaloff und Hans Rosbaud. Sie verfügt über einen guten Bass und der Flügel klingt brillant.

 

 

4-5

Laure Favre-Kahn

Grzegorz Novak

Orchestre de Bretagne

Transart

2007, live

13:26 8:32 8:14  30:12

Die Schülerin von Bruno Rigutto war zur Zeit dieser Live-Aufnahme 31 Jahre jung. Herr Novak erscheint gleich mehrfach in der Diskographie des Werkes, nicht nur in Polen, auch im Ausland ist der Landsmann Chopins immer wieder ein gerne gesehener Gast, wenn es um das f-Moll-Konzert geht. Madame Favre-Kahn bietet zur gerade zuvor besprochenen Einspielung ihrer Landsmännin, oder sagen wir doch besser Landsfrau Reine Gianoli einen denkbar starken Kontrast.

Doch zunächst zum Orchester, denn das beginnt ja recht ausgedehnt allein zu spielen bei diesem Konzert. Herr Novak heizt dem französischen Orchester noch mehr ein als der Sinfonia Varsovia in der Einspielung mit Janusz Olejniczak. Das ist temporeich und zupackend. Der Anschlag der Pianistin ist nicht so superklar, aber sehr flott und energiegeladen und die Skalen laufen nicht immer in perfekter Ebenmäßigkeit. Da werden wirklich keine Gefangenen gemacht. Sie geht volles Risiko, was gerade in einer Live-Aufnahme bemerkenswert ist. Sie bietet zudem sehr starke Kontraste bei ihren Tempowechseln. Im Lyrischen unverzärtelt, aber noch mit feiner Agogik, heizt sie den Klavierpart dramatisch auf. Noch ein denkbar großer Kontrast zu Reine Gianoli (oder auch zu Frau Litvinseva) bietet sich ebenfalls im Klang des Flügels: Da schwingt bei Frau Favre-Kahn wenig Wärme mit. Der Klang bei Zimerman oder Martha Agerich (und anderer) wirkt brillanter.

Im Larghetto gibt es kein laues oder erwärmendes Notturno, sondern ein einfacher und völlig unkomplizierter (halbwegs) langsamer Satz. Die Pianistin gibt ordentlich Gas, sodass die schnellen Figurationen „schnoddrig“ zu wirken beginnen. Das „Recitativo“ wird bei ihr, wie nun bereits zu erwarten (aber auch vom Orchester) mächtig aufgeheizt. In diesem Satz stellte sich bei uns die Frage, ob das noch die Gefühlstiefe ist, die sich Chopin vorgestellt haben mag. Ganz wenig Eleganz, viel Furor. Technisch nicht immer makellos. Schönes, gut ins Bild gesetztes Fagottsolo.

Der dritte Satz gelingt demgemäß wieder viel besser. Da passen Tempo, Temperament, Pointierung und tänzerischer Aplomb sehr gut zum (wahrscheinlich) kompositorisch gewollten. Die Art des Spiels fällt wieder auf fruchtbaren Boden, sozusagen. Die Tempogegensätze werden jedoch nicht überreizt, man folgt ihrer tollen Technik gerne und wird nicht von Eigenwilligkeiten abgelenkt. Hier herrscht jugendlicher Überschwang und die Wirkung ist nicht vordergründig. Eine eigenständige Darbietung mit viel Temperament mit kleineren Einschränkungen bei Larghetto.

Die Klangqualität geht in Ordnung, sie wirkt aber nicht so gut ortbar und edel in der Farbgebung wie in Nowaks polnischer Einspielung mit der Sinfonia Varsovia und Janusz Olejniczak, die vier Jahre später entstanden ist.

 

 

4-5

Janne Mertanen

Hannu Koivula

Joensuu City Orchestra

Alba

2007

14:06 9:36 7:58  31:40

Der finnische Pianist wurde in Joensuu geboren und besuchte auch die dortige Musikhochschule. Da fragt man sich als Finne oder Finnin sicher, wozu man in die Ferne schweifen muss, wenn man auch zuhause zu diesen grandiosen Aufnahmen gelangen kann. Allerdings hat der junge Mertanen auch bei Lazar Berman in Siena Unterricht genossen. Es wird geschrieben, dass er sich ein wenig auf Chopin spezialisiert habe. Das könnte gut sein, denn gegenüber vielen Warschauer Preisträgern bemerkt man keinerlei Qualitätsgefälle. Im Gegenteil. Falls man nicht weiß, wo Joensuu liegt (es könnte vom Namen her auch in China liegen), wäre das keine Schande. Es ist die Hauptstadt der finnischen Provinz Nordkarelien, liegt fast an der russischen Grenze und hat gerade einmal 70000 Einwohner. Uns fiele kein Orchester aus einer ähnlich kleinen Stadt ein, das alleine die Orchestereinleitung so homogen und wunderbar farbig klingend spielen könnte, wie man es auf dieser Aufnahme hören kann. Die Orchestereinleitung ist immer so eine Art Visitenkarte für das Orchester, danach weiß man bereits, wo „der Hase hinläuft“. Sie klingt aber nicht nur gut, sie wirkt auch kontrastreich, recht schlank aber beileibe nicht dünn, flott und mit viel jugendlichem Drang nach vorne.

Herrn Mertanens Vortrag wirkt extrem sicher und virtuos und ist versehen mit einem weichen, recht brillanten und wunderbar aus-schwingenden, körperhaften Klang. Der Anschlag erreicht nicht ganz die pralle Schnelligkeit und genaueste Fokussierung der Allerbesten. Den Ansprüchen des Belcantos wird er schon in den lyrischen Passagen des Maestoso sehr gut gerecht. Die diffizilen Arabesken sind kein Problem, sie wirken weitgehend klar ausformuliert. Das Pedal scheint reichlich zum Einsatz zu kommen, es kommt jedoch nie zu störenden Halleffekten oder Überlagerungen einzelner Töne. Er bleibt immer gut im Fluss, sein Spiel wirkt kontrastreich und differenziert, wobei er auf ausgepichte Delikatessen verzichtet, wichtiger ist der jugendliche Zug nach vorne und das ausgezeichnete Zusammenspiel mit dem völlig empathisch wirkenden Orchester seiner Heimatstadt. Haben wir schon er-wähnt, dass es sich bei Joensuu um die dreizehntgrößte Stadt des ab Bewohnern eigentlich ziemlich armen Finnland handelt? Kaum zu glauben, wie hoch das Niveau der Musikerausbildung dort sein muss.

Dem Larghetto nähert sich Herr Mertanen mit recht langsamem, entspanntem, sehr klangschönem Spiel mit viel Gefühl. Bellini wäre höchstwahrscheinlich verzaubert, wenn er den finnischen Belcanto auf einem Flügel hören könnte. Bewundernswert wie schön und passend die Streicher des Orchesters auch bei den langen, schier nicht enden wollenden Liegetönen klingt. Das Klavierspiel wirkt frei und spontan. Beim „Recitativo“ kommt Janne Mertanens Ton mächtig heraus und er wirkt sehr expressiv. Das Tremolo des Orchesters verstärkt die Dramatik ausgezeichnet. Es kommt danach zu einem sehr schönen, verträumten Ausgang dieser Opernszene für Klavier und Orchester.

Im Allegro vivace wirkt das Spiel pointiert, teils sehr tänzerisch und mit überraschenden Phrasierungen und einem erneut ganz ausgezeichneten Zusammenspiel. Der in dieser Einspielung aufgewertete Orchesterpart wirkt absolut vollwertig und inspiriert.

Die Aufnahmequalität bringt die Interpretation nicht unerheblich nach vorne. Sie ist sehr dynamisch und kraftvoll, glasklar, sehr räumlich, körperhaft und offen. Das Orchester wird gut in die Tiefe des Raumes hinein abgebildet ohne nennenswert an Präsenz einzubüßen. Das Klavier wirkt groß abgebildet, ebenfalls körperhaft und brillant. Es ist perfekt mit dem Orchesterklang abgestimmt. Ein audiophiler Topp-Klang aus Finnland. Der Klang der Ars-Aufnahme mit William Youn und Friedemann Riehle, die nur unwesentlich früher entstand, wird klar distanziert. Um nur eine zu nennen. Gratulation an die Musiker und Techniker gleichermaßen.

 

 

4-5

Szymon Nehring

Jurek Dybal

Sinfonietta Cracovia

Dux

2016

14:38 9:49 8:57  33:24

2015, als Seong-Jin Cho den internationalen Chopin-Wettbewerb gewonnen hat, war Szymon Nehring immerhin Finalist und er war Gewinner des Publikumspreises, der durch Online-Abstimmung ermittelt wurde. Er war beim Wettbewerb 20, bei der Aufnahme 21 Jahre jung. Wie bei vielen Wettbewerbsteilnehmern schloss auch Herr Nehring noch ein weiteres Studium an, in diesem Fall an der Yale School of Music in New Haven. Mit dem Erfolg, dass er dann 2017 den renommierten Artur-Rubinstein. Klavierwettbewerb 2017 gewann. Man nahm übrigens die sogenannte Originalausgabe des Konzertes auf, die man nur in neueren polnischen Aufnahmen antrifft. Man erkennt sie an den schon früh erscheinenden Akzenten der Holzbläser in der Orchestereinleitung. Besonders bei den Aufnahmen des NIFC, wenn Originalinstrumente beteiligt sind.

Der Klang des Klavieres wirkt eher schwer und dunkel, besonders sonor, mit kräftigen tiefen Frequenzen und eher gedeckt, obwohl es am brillanten Diskant nicht fehlt. Der Anschlag wirkt sehr fein. Man lässt sich gefühlt alle Zeit der Welt, der Duktus wirkt aber leicht und besonders lyrisch. Dramatische oder gar kämpferische Akzente werden kaum gesetzt. Trotzdem wirkt der Vortrag nie monochrom oder gar langweilig, denn es wird gut nuanciert. Das Raffinement wird in den Dienst der Poesie gestellt. Die Beiträge des Orchesters sind sehr transparent und wirken tendenziell temperamentvoller als die des Pianisten. Sehr gutes Zusammenspiel. Überraschend für eine polnische Einspielung: Der völlige Verzicht auf die sonst anzutreffenden kämpferisch-revolutionären Züge des Satzes.

Im Largetto wirkt Herrn Nehrings Spiel ganz besonders zart, gefühlvoll und klanglich höchst kultiviert, berührend und schwebend. Dem „Recitativo“ wird hingegen keine aus dem Satzzusammenhang hervorgehobene Stellung gewährt. Keine berstende Intensität also, kein bebendes Tremolo. Trotzdem ist dies eine sehr schöne Darstellung des zweiten Satzes, der man gebannt zuhört. Besonders gelungen: das weiträumige Entschweben des Klanges am Satzende. Gefällt uns besser als die Einspielung des Gewinners von 2015.

Im Allegro vivace hören wir einen ganz ruhigen, stark „entschleunigten“ Grundgestus, rhetorisch ausdrucksvoll, ganz behutsam. Kaum vivace im herkömmlichen Sinn, dennoch emotionaler und bewegter als manch ein Hochgeschwindigkeitsdurchgang in anderen Einspielungen. Die Bläser erhalten den Freiraum, den sie zur Entfaltung brauchen. Dennoch bleiben kämpferische oder revolutionäre Aspekte der Komposition, wie man sie bei Zimerman (1999), Grosvenor und einigen anderen vornehmlich polnischen Einspielungen hören kann, gänzlich außen vor.

Der Klang ist räumlich, klar, sonor, körperhaft und weich, aber noch gerade nicht flauschig. Die Klangfarben wirken eher dunkel. Insgesamt gut konturiert und trotz der Weichheit noch kernig. Der Bassbereich wird keinesfalls vernachlässigt, wie man am prallen Klang des Steinways exemplarisch hören kann. Die Räumlichkeit hat eine gute Tiefe und die erlesen klingenden Holzbläser erklingen in glasklarer Transparenz. Diese Aufnahme ist ein Fall nicht nur für die für Klanggourmets.

 

 

4-5

Michie Koyama

Jacek Kaspszyk

Sinfonia Varsovia

Sony

2009

14:36  9:48 8:45  33:09

Michie Koyama errang 1982 den 3. Preis beim internationaler Tschaikowsky-Wettbewerb und den 4. Preis beim internationalen Klavierwettbewerb in Warschau. Im Gefolge dieser Erfolge kam es bereits zu einer ersten Aufnahme des damals 26jährigen des f-Moll-Konzertes, der wir jedoch nicht habhaft werden konnten. 2009, im Lutoslawski-Studio in Warschau, war er dann 50 Jahre jung und konnte bereits seine ganzen Erfahrungen mit einbringen. Sicher eine Produktion speziell für den japanischen Markt und in Aussicht auf den 200. Geburtstag des Komponisten.

Wie immer bei diesem Dirigenten gelingt die Orchestereinleitung impulsiv und akzentuiert, dieses Mal eher im Kontrast zum eher nachdenklich und melancholisch spielenden Pianisten. Herr Koyama spielt mit weichem Anschlag sehr kantabel und meist mit zarter Diktion, dynamisch sehr differenziert mit einem guten Gespür für feine Agogik. Da mag es allenfalls an Kraft, etwas Spritzigkeit und dramatischer Zuspitzung fehlen, falls man ebendiese Attribute vom ersten Satz erwartet. Herr Kaspszyk passt sich dem Solisten, soweit es seine eigentlich dramatische Sichtweise erlaubt, gut an.

Im Larghetto gefällt der gefühlvolle Vortrag Koyamas noch besser. Beim „Recitativo“ gibt man für die Steigerung des Ausdrucks alles.

Im Allegro vivace nähert sich das behutsame, tänzerisch leichte Spiel eigentlich der Vollkommenheit. Wenn es noch ein wenig spritziger wäre, aber da bewegen wir uns schon wieder im Bereich des persönlichen Geschmacks. Der Gestus wirkt rundum musikalisch und es klingt wunderschön. Man könnte den Eindruck haben, dass sich Herr Koyama von Reine Gianoli und ihrer wunderschönen, weichen Sicht auf die Dinge inspirieren ließ, falls er diese heute eher rare Aufnahme überhaupt gekannt hat. Jacek Kaspszyk, der das Stück wahrscheinlich vorwärts und rückwärts kennt, lässt das Orchester trotzdem kräftig klingen, ohne die Eleganz aus den Augen zu verlieren, woraus sich ein aparter Kontrast zum feinsinnigen Spiel des Pianisten ergibt.

Das Orchester klingt in dieser Aufnahme weich, voll und transparent. Leider wirkt das Studio ein wenig hallig, was es höchstwahrscheinlich gar nicht ist, wie wir von anderen Aufnahmen wissen. Ein wenig Nachhall macht sich jedenfalls besser als eine zu trockene Studioakustik. Der Flügel steht mustergültig proportioniert in bester Balance vor dem Orchester. Breitbandig und brillant vor allem im Larghetto. Unmäßige Härte bleibt außen vor. Schöne, natürlich wirkende Räumlichkeit.

 

 

4-5

Bruno Rigutto

Erich Bergel

Budapester Philharmoniker

Denon

1992

14:03 9:24 8:25  31:52

Der Schüler von Samson François und Paul Badura-Skoda wurde beim Tschaikowsky-Wettberwerb in Moskau 1966 hinter Valeri Sokolov, Misha Dichter und Victor Eresko Gewinner des undankbaren 4. Preises. Damals war er gerade mal 21. Es existiert noch eine weitere Einspielung des f-Moll-Konzertes mit Louis de Froment und dem Orchester von RTL aus den frühen 70er Jahren, die seinerzeit zumindest in Frankreich auf Decca veröffentlicht wurde. Leider hatten wir auf sie keinen Zugriff. Bei der Einspielung für Denon in Budapest (Mafilm-Studio) war er dann bereits 47.

1992 waren die Budapester Philharmoniker gut in Form. Der Klang des Orchesters wirkt strahlend, wobei vor allem die Violinen mit Schmelz und Leuchtkraft überraschen. Das Blech bleibt leider mal wieder weitestgehend außen vor, sodass sich ein majestätischer oder gar militant-kämpferischer Impetus kaum einstellen möchte. Durch den recht halligen Klavierklang wirkt der Pedalgebrauch Riguttos überreich. Damit mag auch der recht kühle Klang des Flügels zusammenhängen, während die Sonorität und Brillanz durch die aufnahmetechnische Disposition eher gefördert werden. Der Anschlag des Franzosen wirkt weich und prägnant. Technisch gibt es keine Probleme für ihn, auch nicht beim Legato oder Non-Legato. Durch den spezifisch halligen Klang um den Flügel bildet sich so etwas wie eine Hall-Glocke, bei der das Orchester außen vor bleibt. Die Agogik gefällt bei Monsieur Rigutto besser als bei seinen Landleuten Duchâble oder Weissenberg. Die gelungene Verzahnung mit dem Orchester gibt keinen Anlass zur Kritik.

Die gewählte Akustik mit dem besonderen Hall auf dem Klavier passt unserer Ansicht zum Larghetto viel besser. Hier verschwinden auch die Konturen nicht. Der Pianist spielt angemessen leise und phrasiert agogisch frei und mit angemessen freiem Rubato. Der Effekt wirkt romantisch-verträumt. Das „Recitativo“ klingt expressiv, zumal die Budapester ihr Tremolo ordentlich steigern.

Im dritten Satz, dem Allegro molto, wird man Gewahr, dass im Orchester auch Blechblasinstrumente mit dabei sind. Sie spielen diszipliniert und klingen wohl. Generell wirkt das Orchesterspiel stets atmosphärisch, was auch für das versierte und einfühlsame Spiel des Pianisten gilt. Der Gestus passt: impulsiv, leicht vorantreibend, tänzerisch und brillant.

Der Klang lässt das stark besetzte Orchester großräumig zur Geltung kommen, allerdings wie so oft etwas distanziert. Wahrscheinlich um dem Flügel eine bessere, größere Bühne zu bieten. Es wird gut gestaffelt und klingt weder hart, noch besonders weich. Der Flügel ist wie bereits erwähnt leicht eingehallt worden, was beim Orchester nicht auffiel. Er ist ebenfalls nicht gerade präsent zu hören. Im Tutti wird der Gesamtklang dichter und verunklart sich leicht.

 

 

4-5

Nicolai Lugansky

Alexander Vedernikov

Sinfonia Varsovia

Naive

2013

14:10 10:10 8:07  32:27

Der Schüler von Tatjana Nikolayeva und Sergei Dorensky gewann 1994 22jährig den Tschaikowsky-Wettbewerb im Fach Klavier; bei der Einspielung des f-Moll-Konzertes war er 41 Jahre jung. Die Aufnahme entstand mit Hilfe des Polnischen Rundfunks im Witold Lutoslawski-Studio in Warschau.

Dem Orchester begegnet man in der Diskographie der Chopin-Konzerte ziemlich oft, geschätzt ist es nach den Warschauer Philharmonikern an den meisten Aufnahmen beteiligt. Es kennt „seinen“ Chopin also und ist dieses Mal ohrenscheinlich groß besetzt, weich gerundet und ausgewogen. Die Holzbläser spielen klangvoll und das Blech schmettert für Chopin-Verhältnisse ganz schön drauflos. Der 1. Satz klingt durchweg vorantreibend und musikantisch geprägt, bisweilen vermisst man die feinen Nuancen und eine raffiniertere Agogik. Klaviertechnisch geht alles flott von der Hand, das motorische Potential des Pianisten scheint enorm und wirkt noch nicht einmal ausgereizt. Bisweilen fegt man allzu mühelos durch das Stück wie ein Wirbelwind. Durch das prononcierte Blech wirkt der erste Satz wie ein Stück des Aufruhrs, ein „Pièce de Résistance“ sozusagen.

Im langsam genommenen Larghetto hört man dann doch ein musikalischeres Spiel mit einer feineren Agogik, wie man sie heute eigentlich erwarten darf, da sie über die Zeit gesehen zum Standard geworden ist. Das „Recitativo“ wird gut hervorgehoben mit kraftvollem Aufbegehren, großem Klang, einem weiten dynamischen Spektrum und schmelzenden Streichereinlagen.

Den dritten Satz erlebt man vital und erneut klangkräftig gestaltet wie er nun mal wird, als eine Art Befreiungsschlag. Sehr virtuos und weitgehend unbekümmert versprüht er viel gute Laune. Die melancholische Nuance hat weniger Chancen sich nach vorne zu spielen als sonst. Die Brillanz erscheint dabei als ziemlich vordergründig. Man vergleiche nur einmal die ebenfalls 2013 aufgenommene Version mit Ingrid Fliter und Jun Märkl mit dieser hier, da merkt man überdeutlich, um wieviel differenzierter und subtiler im Klavier, aber vor allem im Orchester gerade der letzte Satz klingen kann. Der Dirigent scheint sich ein wenig zu sehr nur auf die große Linie zu konzentrieren.

Der Klang der Aufnahme wirkt rund, voll und warm. Das Orchester klingt transparent, das Klavier brillant, beides erscheint sehr präsent und plastisch.

 

 

4-5

Ivo Pogorelich

Claudio Abbado

Chicago Symphony Orchestra

DG

1982

13:46 10:01 7:25  31:12

Ivo Pogorelich wurde 1958 in Belgrad geboren. Seine pianistische Ausbildung begann er mit sieben Jahren. 1970 wechselte er an die zentrale Moskauer Musikschule und studierte später am dortigen Tschaikowsky-Konservatorium. 1978 siegte er beim Casagrande-Wettbewerb im italienischen Terni und zwei Jahre später beim Musikwettbewerb in Montreal. Die Teilnahme am Chopin-Wettbewerb in Warschau machte ihn international bekannt. In den 1980er Jahren ein vielbeachteter Pianist, der an allen großen Konzerthäusern und mit bedeutenden Orchestern auftrat, zog er sich jedoch in den 1990er Jahren nach dem Tod seiner Frau und aus gesundheitlichen Gründen von der Bühne zurück. Mittlerweile konzertiert er längst wieder, aber immer wieder kommt er in Zusammenhang mit dem 1980er Wettbewerb in die Presse. Er lässt den Pianisten einfach nicht los, da er sich entweder mit seiner Niederlage nicht abfinden kann oder er immer wieder den Push durch eine erneut angefachte öffentliche, kontrovers geführte Diskussion benötigt, um seiner Karriere die besondere Note zu erhalten.

Das kam alles so: Eine Sensation, die es sogar damals in die aktuellen Nachrichtensendungen geschafft hat, was klassischer Musik höchst selten einmal gelingt (es sei denn, ein großer Protagonist der Szene stirbt), gab es beim Chopin-Wettbewerb 1980 in Warschau, als Ivo Pogorelich entgegen der Meinung des Publikums wegen seiner unkonventionellen Interpretationen nicht zur Finalrunde zugelassen wurde. Grund dafür waren große Diskrepanzen bei der Bewertung durch die Jury; die eine Hälfte der Jury vergab ihm die höchste, die andere die niedrigste Punktzahl. Lediglich ein Sonderpreis wurde ihm für sein „außerordentlich originelles pianistisches Talent“ zuerkannt. Anderen gefiel sein unkonventioneller Spielstil weniger. Jurymitglied Eugene List erklärte: „Ich bin der Erste, der sagt, dass der Junge sehr talentiert ist […], aber ich habe ihm sehr wenig Punkte gegeben. Das ist ein Wettbewerb besonderer Art. Es ist nur Chopin. Er respektiert die Musik nicht. Er verwendet Extreme bis zur Verzerrung. Und er spielt zu viel.“ Louis Kentner trat nach der ersten Etappe zurück, nachdem alle seine Schüler aus dem Wettbewerb ausgeschieden waren, und sagte: „Wenn Leute wie Pogorelich es in die zweite Etappe schaffen, kann ich nicht an der Arbeit der Jury teilnehmen. Wir haben andere ästhetische Kriterien.“

In der dritten Runde sorgte Pogorelich erneut für Kontroversen, indem er sein Programm in der falschen Reihenfolge aufführte, die Bühne mittendrin verließ und eine extravagante Konzertkleidung trug, die ihn aussehen ließ wie „ein Prinz, der mitten in der Wüste ausgesetzt wurde“. Am Ende wurde Pogorelich nicht ins Finale zugelassen. Martha Argerich trat aus Protest zurück und bezeichnete ihn als „Genie“, das „ihre Kollegen aufgrund eines tief verwurzelten Konservatismus nicht schätzen konnten“, weshalb sie sich „schämte, mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden“. Nikita Magaloff und Paul Badura-Skoda erklärten ihre Solidarität mit Argerich, gaben jedoch selbst nicht auf und erklärten, es sei „undenkbar, dass ein solcher Künstler es nicht ins Finale schafft“. Laut Dang Thái Sơn, dem späteren Gewinner, schickte Argerich dennoch ein öffentliches Telegramm nach Warschau, um ihm zu gratulieren, nachdem sie die Endergebnisse erfahren hatte.

 

Pogorelich erhob später in einem einseitigen Interview im Jahr 1993 die Anschuldigung: „Die Behörden des Ostblocks hatten Monate vor dem Wettbewerb entschieden, dass es politisch notwendig sei, einen nordvietnamesischen Gewinner zu haben. Meine Entscheidung zur Teilnahme war überhaupt nicht willkommen. Mir wurde gesagt, ich solle ein Jahr auf den Tschaikowsky-Wettbewerb warten, dann wäre mir der erste Preis garantiert.“ Im Jahr 2008 forderte er eine offizielle Untersuchung der Juryentscheidungen des Wettbewerbs von 1980, das Chopin-Institut lehnte es jedoch ab, den Fall wieder aufzunehmen. Hatte die Chopin-Jury nicht Recht, Pogorelich auszuschließen? Dazu haben wir uns die zwei Jahre nach dem Wettbewerb von der DG gemachte Einspielung genauer angehört und es erging uns nicht anders als der Jury. Wir sind ebenfalls geteilter Meinung, denn da steht außerordentlich gelungenes neben außerordentlich misslungenem. Wir haben uns entschlossen der Einspielung diesen Platz zu geben. Man könnte jedoch mit Fug und Recht behaupten, sie wäre viel schlechter als die folgende Einspielung mit Vladimir Ashkenazy, genau wie man behaupten könnte sie wäre besser als die Claudio Arraus, dann müsste man jedoch erst einmal begründen warum?  Da ließen sich jedenfalls Argumente für alles und nichts finden. Die DG hat sich jedenfalls alle Mühe gegeben, dem „verhinderten Star“, der durch den Skandal so viel gewonnen hat (viel mehr Popularität als wenn er als Sieger gekürt worden wäre) aber auch viel verloren hat, denn er musste so irgendwie immer der Exzentriker bleiben, mit Claudio Abbado und den Chicagoern beste Voraussetzungen für die Aufnahme des f-Moll-Konzertes mitzugeben. Nebenbei: Andere „Verlierer“ nehmen weiterhin Unterricht, wenn möglich bei einem anderen Lehrer und probieren es noch einmal und gewinnen dann vielleicht beim zweiten Mal. Alles wäre drin gewesen, aber so? Hören wir einfach mal unvoreingenommen zu:

Nun durfte der Jugoslawe also das für den Wettbewerb vorbereitete Chopin-Konzert f-Moll in der Chicago Symphony Hall präsentieren und die Bänder (Festplatten gab es ja damals noch nicht) liefen mit. Das Orchester ist groß besetzt, das Blech ganz weit weg, das Holz allenfalls gerade mal passabel weit, man hört es immerhin ganz gut. Business as usual also beim f-Moll-Konzert, wie bei Dutzenden anderen Aufnahmen auch. Der Pianist nimmt sich mit seinem klaren, gar nicht mal besonders harten, aber gut fokussierten Anschlag tatsächlich sehr viele agogische Freiheiten, differenziert die Dynamik extrem und er nimmt der Musik den Fluss. Manche Passagen wirken spieldosenhaft runtergerissen, andere Passagen überdreht er, sodass man kaum noch mitkommt und als ob gerade diese Passagen völlig unwichtig wären, wie beiseitegeschoben oder in Klammer gesetzt. „Komm Chopin kürze das doch bitte noch weg, das brauche ich hier eigentlich gar nicht.“ Die lyrischen Passagen erklingen dann breit und bedeutsam und werden schulmeisterlich hervorgehoben. Tempomäßig befinden wir uns auf einer Achterbahn, mal geht’s ganz langsam wie berghoch, mal rasant wie bergab. Das wirkt schon mitunter willkürlich und unorganisch. Künstlerische Freiheit? Das musste die Jury da auch mit entscheiden. Pianistisch wirkt das alles ziemlich gekonnt, mitunter sogar bestechend. Mal säuselts, mal haut der junge Mann rein wie ein Berserker. Mal wirkt es lethargisch, mal feurig. Bei der Aufnahme war er 24. Insofern schon entscheidende fünf Jahre weiter als Chopin bei seiner Komposition des Konzertes. Der dargestellte jugendliche Hormonhaushalt wirkt jedoch noch sehr unausgeglichen um nicht zu sagen „voll pubertär“. Signore Abbado unterstützt den jungen Pianisten mit dem flexiblen Orchester wo er nur kann.

Das Larghetto ist im Tempo auf der langsamen Seite unseres Vergleiches und es wirkt weniger exzentrisch als das Maestoso des ersten Satzes. Klanglich stört jetzt der harte Klang des Flügels und das harsch klingende Orchester viel mehr als im ersten Satz. Das beeinträchtigt die Atmosphäre deutlich, Kälte macht sich breit. Dafür können Solist und Orchester jedoch wenig, das ist der typische DG-Klang der frühdigitalen Zeit. Die schön gespielte Kantabilität stemmt sich jedoch sozusagen gegen die Kälte. Im spannenden „Recitativo“ zeigt sich die Spannweite des pianistischen Könnens wieder sehr gut. Da hören wir Dynamikkontraste vom Feinsten. Minimale Schattierungen und die komplexesten Spielfiguren werden locker nur so aus dem Ärmel geschüttelt, genauso wie es an Kraft nicht mangelt. Das Ganze wirkt aber, wenn wir die 119 bis hierhin bereits gehörten Einspielungen nochmal Revue passieren lassen, schon ziemlich geschmäcklerisch.

Das Allegro vivace wirkt sportlich-flott und eher weniger elegant. Man ist auf die Einzelereignisse aus, die möglichst effektvoll präsentiert werden. Am besten spektakulär und möglichst anders als die Anderen. Es gibt auch gelungene Details und staunenswert rasante Einlagen. Was bei Martha Argerich nach sprühender Musikalität klingt, die sich durch jedes Knopfloch nach außen drängt, wirkt bei Herrn Pogorelich meist nur übertrieben-exzentrisch und plakativ. Da sind wir froh, dass wir nicht in der Jury sitzen mussten.

Der Klang der Aufnahme wirkt großräumig, luftig, hallig, etwas schwammig und leicht aufgedunsen. Dem harten frühdigitalen Sound der Violinen mangelt es an Schmelz und Wärme und er fällt gegenüber der Vorgänger-Aufnahme der DG mit Zimerman und Giulini weit ab. Die wurde noch analog aufgenommen.

 

 

 

4

Vladimir Ashkenazy

David Zinman

London Symphony Orchestra

Decca

1965

13:37 9:05 8:14  30:56

Auch Vladimir Ashkenazy beteiligte sich einmal am Chopin-Wettbewerb in Warschau. Das war 1955 und er belegte als 18jähriger hinter Adam Harasiewicz und vor Fou Ts´ong den zweiten Platz. Im folgenden Jahr gewann er den Concours Reine Elisabeth in Brüssel und 1962 den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Daraufhin hatte er seinen Platten-Vertrag bei Decca in der Tasche. Bei ihrem Erscheinen 1965 oder 1966 war die Platte mit dem f-Moll Klavierkonzert ein voller Erfolg, denn sie erhielt sowohl einen Grand Prix du Disque als auch einen Edison Preis.

Das Orchester wirkt 1965 sehr groß besetzt und fast ein wenig massiv, mit leuchtenden Violinen. Der junge David Zinman, der als Assistent Pierre Monteuxs einige Dirigieraufträge für den greisen und schließlich 1964 verstorbenen Chef erfüllen durfte, unterläuft das Maestoso des ersten Satzes ein wenig mit einem schnellen Tempo. Der Pianist Ashkenazy, den Dirigenten haben wir ja bereits mit Frau Leonskaja erlebt, verfügt in dieser und in vielen weiteren Aufnahmen für Decca über einen weniger klar fokussierten, etwas stumpfen und weniger brillanten Anschlag bzw. Klang als z.B. Claudio Arrau oder Martha Argerich. Hinter deren Prägnanz steht er zurück. Innerhalb unseres Vergleiches hörten wir Herrn Ashkenazy jedoch zusätzlich zu dieser unter Studiobedingungen in der Kingsway Hall produzierten Aufnahme in verschiedenen Live-Aufnahmen. Kurioserweise stellte sich da sein Anschlag und infolgedessen sein Klang des Flügels als erheblich konziser bzw. klarer und brillanter dar. Der landläufig bekannte leicht schwammige Anschlag scheint also weniger von Herrn Ashkenazy selbst zu kommen, als von der Decca-Aufnahmetechnik. Man hört ihn in beinahe unzähligen Einspielungen und es ist zu vermuten, dass er den Produzenten aber auch Herrn Ashkenazy selbst gut gefallen haben muss, denn sonst wäre man nicht über lange Jahre dabeigeblieben. Vielleicht hat sich Herr Ashkenazy auch, wie Maurizio Pollini, einen Steinway nach eigenen Klangvorstellungen bauen lassen, wir wissen es nicht. Vor dem Hintergrund der originalen Érard- oder Pleyel-Flügel kann die gedeckte Brillanz Ashkenazy vielleicht bereits als Annäherung verstanden werden, jedoch als unbeabsichtigte. Wie dem auch sei, wir sind kein Fan des Ashkenazy-Decca-Flügel-Klangs. David Zinman bringt das jugendlich-frische und aufgewühlt-leidenschaftliche der Komposition sehr gut zur Geltung. Er versucht, dem Pianisten ein gleichwertiger Partner zu sein und das gelingt bereits ziemlich gut.

Im Larghetto leuchtet das Klavier recht matt, weshalb die virtuosen Läufe und Arabesken nicht so brillant herauskommen wie bei Zimerman, Argerich oder auch Samson François. An der beherzten Phrasierung dem kräftigen ff Ashkenazys könnte man großen Gefallen finden, aber obwohl Herr Zinman die Londoner Bässe richtig beben lässt, bleibt das „Recitativo“ gegenüber der betreffenden Stelle bei Argerich zurück.

Der Dynamikbereich wird genauso im Allegro vivace nicht so exzessiv in Richtung p oder pp genutzt. In Richtung f und ff sieht es allerdings viel besser aus. Die kräftigen Linien herrschen vor, die pianistischen Details wirken pauschaler behandelt als bei Arrau oder Argerich. Der Tanz-Rhythmus wird gut herausgestellt. Insgesamt wirkt der Satz sanguinisch, aber es fehlt ihm etwas an schlanker Detailakribie.

Die Aufnahme stammt aus der Hochzeit der Decca-Analog-Ära. Wir hören ein leichtes Rauschen und eine leichte Halligkeit, die die bestmögliche Transparenz zu verhindern scheint. Für eine angenehm große Räumlichkeit ist gesorgt. Teils wirkt der Klang schön schwebend, meist wirkt er jedoch schön prall, mitunter auch ziemlich ungeniert massiv. Das gilt fast genauso für den Flügelklang mit den bereits erwähnten Einschränkungen. Die Basswiedergabe ist profund. Die bestmögliche Decca-Qualität wird nicht erreicht. So klingt das Klavier beispielsweise bei Julius Katchen im Ravel-Konzert besser und das LSO in derselben Aufnahme auch. Kompositionsunabhängig. Da fällt uns gerade auf, dass es von Katchen kein f-Moll-Konzert gibt und von Gilels, Lipatti, Richter, Gelber, Cziffra, Graffman, Czerny-Stefanska, Vladimir Horowitz und Friedrich Gulda ebenfalls nicht. Schade. Von Benedetti-Michelangeli ebenfalls nicht, aber das ist ja bei ihm nichts sonderlich Bemerkenswertes.

 

 

4

Artur Rubinstein

André Previn

London Symphony Orchestra

ZDF, Arte, C-Major

1975

14:24 9:11 9:05  32:40

Vor seiner völligen Erblindung wollte der nun 88jährige noch ein Vermächtnis in Bild und Ton hinterlassen. Dazu wählte er das f-Moll-Konzert aus, das ihn bereits fast sein ganzes Leben begleitet hat. So oder so ähnlich lautete die Produktbeschreibung der nur als Video oder DVD vorliegenden Einspielung. In der Fairfield Hall spielt er es erneut für die Filmkameras und ohne Publikum ein. Als eine Art Finale eines Lebenswerks. Bereits mehrmals im Fernsehen gesendet, kann man die Produktion mittlerweile jederzeit über YouTube anhören und anschauen.

Die Orchestereinleitung klingt ausgewogen und konventionell. Der Flügel Rubinsteins dominiert sowohl den Gesamtklang als auch die Bildregie. Der Pianist ist sachlich und konzentriert wie eh und je bei der Arbeit. Die Treffsicherheit und der dynamische Ambitus sind etwas geringer geworden und die Farbgebung ist pastellener geworden. Ohne Mätzchen und Rumgehampel ist er immer noch dicht dran an der Komposition, die er anscheinend besonders geliebt hat oder die ihm besonders lag. Nicht mehr so spritzig aber wunderbar ausgewogen und immer noch natürlich atmend. Was für ein langer Weg von der ersten Aufnahme mit Barbirolli 1931, bei der er noch wenig geübt haben mag bis zu seiner letzten. Der zweite Satz wirkt vielleicht bereits ein wenig betulich, der dritte immer noch charmant und herzerwärmend.

Etwas zu dominant steht der Flügel akustisch im Vordergrund. Das Orchester flankiert ihn oder besser bettet ihn weich. Was für ein imperialer Klang die Abmischung dem Flügel mitgibt! Über YouTube gehört könnte der pauschal wirkende Klang etwas transparenter und dynamischer sein. Aber es ist zu bedenken, dass der Ton bei den damaligen Video-Produktionen für einfache Fernsehgeräte ausgelegt war und sowieso keinen höheren Ansprüchen genügen sollte.

 

 

4

Adam Harasiewicz

Heinrich Hollreiser

Wiener Symphoniker

Philips

1958

14:03 9:36 8:29  32:08

23 Jahre jung war Adam Harasiewicz als er 1955 den Internationaler Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann. Trotz des Sieges nahm er danach noch Unterricht bei Arturo Benedetti-Michelangeli. Drei Jahre danach erfolgte eine Aufnahme des f-Moll-Konzertes für Philips, die Teil einer Gesamtaufnahme aller Werke für Klavier wurde. Trotzdem gelang ihm nicht eine ähnlich nachhaltige Weltkarriere wie dem zweitplatzierten Vladimir Ashkenazy. Besonders in Amerika blieb er unauffällig. Vielleicht bot Ashkenazy mehr Flair bei weniger Anstrengung? Auffallend an der ersten Einspielung von Herr Harasiewicz ist der sehr geringe Dynamikumfang. Es erklingt alles mehr oder weniger in einem Dauer-Mezzoforte. Sein Anschlag ist klar, technisch ist alles da und die Phrasierung als solche wirkt gut ausgeformt. Man konstatiert einen gewissen Mangel an Hingabe bei den Höhepunkten, die funktionieren eben nicht richtig im Mezzoforte. Der Klang des Flügels also solcher gefällt uns jedoch besser als der dumpfe, igenwie weichlich-aufgeblähte Klang bei Ashkenazy und Decca. Insgesamt ist dies immer noch eine gute Darstellung des ersten Satzes ohne interpretatorische Zutaten und mit leicht verschliffenen Höhepunkten. Das Orchester ist aufmerksam bei der Sache, verhält sich aber wenig innovativ, es gibt keine Exponierung der Holzbläserstimmen und vom Blech hört man eigentlich gar nichts.

Im Larghetto spielt Herr Harasiewicz kantabel und träumerisch, er bleibt dabei aber ein wenig blass. Sein Klang (d.h. der Klang der damaligen Philips-Aufnahmen) verfügte noch nicht über die dazu erforderliche Wärme und den Reichtum an Klangfarben. Und so brillant wie bei Zimerman oder Argerich klingt es eben auch nicht. Es fehlt auch ein wenig die Rubato-Finesse. Beim „Recitativo“ werden dann vom Orchester beträchtliche Ressourcen aktiviert, da bemerkt man den Operndirigenten Hollreiser. Auch im Larghetto wird stimmig musiziert.

Im Allegro vivace wirkt das Tempo recht moderat, die Phrasierung wirkt mitunter gewollt pointiert, sie bleibt aber meist unauffällig kantabel. Herr Harasiewicz ist eigentlich ein Chopin-Ritter ohne Fehl und Tadel, mit Genialität ragt er nicht unbedingt hervor, wohlgemerkt innerhalb unseres Vergleiches, bei dem sich allerdings eigentlich nur extrem begabte Pianist/innen die Klinke in die Hand geben. Man hört ihm in jedem Fall gerne zu. Die Warschauer Einspielung gefiel uns, trotz des fehljustierten Tons, noch besser. Er scheint sich als Chopin-Interpret seit Wien noch weiter entwickelt zu haben.

Der Klang des Orchesters gefällt und der präsent aufgenommene Flügel steht in guter Balance zu ihm. Es klingt bereits erstaunlich voluminös und recht körperhaft, schon fast füllig. Ein Klassiker des Repertoires.

 

 

4

Yundi

ist Pianist und Dirigent in Persoalunion

Warschauer Philharmoniker

Warner

2019

13:50 9:08 8:17  31:15

Yundi, der sich damals noch Yundi Li nannte gewann den Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau im Jahr 2000. Er war damals der jüngste Gewinner überhaupt und der erste Gewinner aus China. Übrigens vor Ingrid Fliter. Danach unterzog er sich noch weiteren Studien an der Musikhochschule Hannover. 2015 war er dann erneut vor Ort als der damals jüngste Juror. In seiner Aufnahme von 2019, die übrigens beide Klavierkonzerte umfasst (das e-Moll-Konzert hatte er vorher schon einmal alleine für die DG eingespielt), bei der er 37 Jahre jung war, waren erneut die Warschauer Philharmoniker zur Stelle, die das Werk wahrscheinlich verinnerlicht haben wie kein zweites Orchester.

In dieser Einspielung, die klangtechnisch zu den allerbesten gehört, spielt der gereifte Pianist immer ganz besonders klar, klanglich besonders ausgewogen und elegant. Er nutzt die bei Chopin für einen lebendigen Vortrag so wichtige Agogik sehr wenig. Im Vergleich zur 20 Jahre früher entstandenen Einspielung von Zimerman (1999) oder auch Grosvenor, ebenfalls 2019 eigespielt, hören wir erheblich weniger Detailarbeit im Pianistischen und im Orchester. Yundi spielt ihnen gegenüber verhältnismäßig glatt durch. Es stellt sich eine gewisse Starrheit ein, die aber in Verbindung mit dem glänzenden Klang, eine gewisse lichtdurchflutete Erhabenheit ausstrahlt, bei der Emotionen kaum noch eine Rolle spielen sollen.

Im Larghetto erleben wir erneut ein entspanntes Tempo und eine gewisse noble Distanz beim Interpreten. Yundi sieht sich mehr als der Betrachter, denn als „Ich-Erzähler“. Sehr, sehr schöner Klavierklang, wenig Spannung, eine einfach und schlicht wirkende Darbietung der Komposition. Beim „Recitativo“ werden leider keine zusätzlichen Kräfte mobilisiert. Hier werden eigentlich nur die Noten gespielt, es ist gar kein Engagement spürbar. Das hört sich dann schon nach „L´art pour l´art“ an. Oder vielmehr lässt er die Musik nur durch sich selbst sprechen, ohne persönliche Zutaten. Es klingt makellos. Allerdings klingt das Fagottsolo in diesem Konzept einfach nur schlapp. Überhaupt passt sich das Orchester der pianistischen Initiativlosigkeit gänzlich an. Eine gewisse marmorne Blässe (oder ist es doch Alabaster?) stellt sich ein, durch die hervorragende Klangtechnik wird sie allerdings ins helle, funkelnde Licht gerückt. Eine interessante, allerdings einseitige eigene Sichtweise auf diesen eigentlich als hochemotional bekannten Satz. Viele werden nicht zu Unrecht sagen: „Das ist zu wenig“. Da schließen wir uns dann an: Sehr schön, aber da steckt doch noch viel mehr drin.

Im Allegro vivace entscheidet sich Yundi bei der Alternative zwischen leidenschaftlichem Feuer und struktureller Klarheit für das letztere. Es stellt sich nie ein Eindruck von angetriebener Virtuosität sein oder gar von Temperament ein. Yundi scheint für sich selbst zu spielen. Auch vom Orchester sind keine befeuernden Aktivitäten zu bemerken. Allerdings wirkt der Klang sehr fein, so fein, dass er den menschlichen Emotionen enthoben scheint. So wird das ganze Konzert ein Instrument zur Repräsentanz, vielleicht der „Schönheit“ allein? Ein Übermaß an Oberflächlichkeit konnte dabei vermieden werden, weshalb der Höreindruck immer sehr interessant bleibt.

Dies ist eine klangtechnisch wunderbar offene, sauber gerundete Einspielung mit einem klaren Orchesterhalbrund. Der mustergültig mittig und groß, aber auch nicht zu groß angepasste Flügel passt dazu perfekt. Am Klang des Flügels gibt es nichts auszusetzen. Ein wirklich farbiger (auch wenn uns vor allem strahlendes Weiß und sonstige Farben eher weniger in den Sinn kommen, aber etwas braucht man ja dazu noch als Kontrastmittel), hervorragender Klang, bei dem leider die Bläser wieder einmal reichlich weit abgerückt erscheinen.

 

 

4

Charles Rosen

John Pritchard

New Philharmonia Orchestra, London

CBS-Sony

1966

14:05 9:31 8:19  31:44

Dem Pianisten Charles Rosen scheint eine vielseitige Begabung eigen gewesen zu sein. Neben seiner Eigenschaft als Pianist war er auch ein erfolgreicher Lehrer und Buchautor. Viele der Texte auf den Plattenhüllen hat er ebenfalls selbst verfasst.

Als Pianist verfügt er in dieser Einspielung bei der er übrigens 39 Jahre jung war über einen klaren, sehr gut konturierten Anschlag. Da ist wenig Pedaleinsatz hörbar und verschwommene Linien gibt es nicht. Seine Agogik erscheint angenehm und sinnvoll. Sein lebendiges Spiel, macht einen reichhaltigen, inspirierten Eindruck. Gleichförmigkeit wird gekonnt unterlaufen. Das Orchester bringt einiges an Feuer mit, ohne dass es ein besonders geschärftes Profil bekäme.

Das Larghetto erklingt mit viel Ruhe und Souveränität, das „Recitativo“ wird als Extremsituation begriffen und dynamisch hervorgehoben, ganz anders als beim gerade besprochenen Yundi oder dem ziemlich zeitgleich aufgenommenen Frantisek Rauch. Hier klingt es expressiv und differenziert.

Im Allegro vivace zeigt uns Herr Rosen seine ausgezeichnete Technik. Sein Vortrag ist straff und pointiert, das Zusammenspiel mit dem Orchester ziemlich passgenau. Wieder einmal hätte das Holz präsenter sein können, man konnte anscheinend über lange Zeit mit ihm nicht viel anfangen und überhaupt hätte man sich das Orchester im 3. Satz etwas lauter gewünscht. Die Aufnahme wirkt flach und trocken und ist der größte Hemmschuh in dieser Einspielung. Richtig räumlich wird es nur, wenn das Horn erklingt, da kann die Aufnahme auf einmal räumliche Tiefe und sogar die Unterscheidung oben und unten klappt.

Vom Holz hört man nur zu Beginn die wünschenswerte Präsenz. Trotz einer leichten Hallzugabe klingt die Aufnahme flach und ziemlich trocken, Tiefenstaffelung ist kaum vorhanden. Der Flügel wirkt sehr deutlich ist aber in seiner Ausdehnung stark eingegrenzt, seine Größe und Körperhaftigkeit muss man sich dazu denken. Der Gesamtklang wirkt rau und leicht gepresst. Wir hören dazu ein beständiges leichtes Rauschen.

 

 

4

Jan Milosz Lisiecki

Howard Shelley

Sinfonia Varsovia

NIFC

2008, live

14:06  9:35 8:04  31:45

Auf dieser Einspielung treffen wir den Pianisten Jan Lisiecki noch als 13 oder 14jährigen Halbwüchsigen an. Zur Zulassung zum Chopin-Wettbewerb war das Wunderkind noch zu jung. Daher lud man es anlässlich des Festivals „Chopin und sein Europa“ ein, das vom Fréderic-Chopin-Institut organisiert wird und zu dem das hier aufnehmende Label gehört. Es wird uns im Laufe des Vergleichs noch häufiger begegnen. Bei diesem Festival hatte der junge Pianist, der zwar Kanadier ist, aber polnische Wurzeln hat, seinen internationalen Durchbruch. Man spielte in der Warschauer Philharmonie.

Das Orchester ist ja ein „alter Bekannter“, da kann eigentlich nicht viel schiefgehen. Es spielt auch hier gut, leicht und recht filigran, präzise und locker und recht klangschön differenziert. Allerdings ist es wie so oft bei diesem Konzert nur entfernt aufgenommen worden. Der junge Herr Lisiecki spielt bereits enorm präzise und präsentiert sich technisch bereits als erstaunlich erwachsen. Eher nachdenklich als forsch merkt man bereits jetzt, dass er ein ernsthafter Musiker und kein „Schaumschläger“ ist, der mit seinem Potential Eindruck schinden möchte. Er zeigt bereits einigen Biss, der auch manch einen erheblich älteren Star-Pianisten erblassen lassen müsste. Der junge Kissin spielte in diesem Alter allerdings noch virtuoser, aber vielleicht noch nicht ganz so differenziert im Dynamischen und nuanciert in der bereits erstaunlich freien Agogik.

Im Larghetto werden in einem recht langsamen Tempo die Verzierungen nicht schnellstmöglich dargeboten, sondern erstaunlich weich und perlend gespielt, das „Stanzen“, das vielen Pianisten aus dem Osten eigen ist, fehlt dem Kanadier, die Schulen vermischen sich mitunter, wen wundert es bei der Globalisierung. Der Gestus verbleibt hier noch in einem leicht depressiven Bereich. Im „Recitativo“-Mittelteil, der in vielen Interpretationen stark aufbegehrt und die Verzweiflung stark zum Ausdruck bringt, hatte man sich das Spiel dann doch etwas härter gewünscht. Der junge Mann spielt diesen Satz etwas flexibler als sein Altersgenosse Jewgeni Kissin. Er wirkt aber weniger spannend. Das Fagott-Solo (ab T. 81) kommt nur schwach ins Bild.

Der dritte Satz wirkt etwas gedämpft und weniger temperamentgeladen, was auch an der etwas flauen Aufnahme liegt. Noch eher als am flotten Spiel Lisieckis und dem um Impulsivität bemühten Orchester. Tosender Applaus für den jungen Mann.

Die Aufnahme bringt einen geringen Aufsprechpegel mit, was bedeutet, dass sie sehr flach bleibt, wenn man den Pegel nicht gegenüber dem üblichen erhöht. Das Orchester wirkt wieder einmal entfernt, klingt jedoch transparent und recht räumlich. Uns hätte es ein wenig präsenter noch besser gefallen (wie in der Aufnahme von Accord mit Olejniczak und Gregorz Novak von 2011). Das Klavier ist recht scharf umrissen und hat anders als bei der Aufnahme mit Charles Rosen eine realistisch große Klangentfaltung. Der Gesamtklang ist zwar nicht dumpf, aber brillant kann man ihn ebenfalls nicht nennen.

 

 

4

Eugen Indjic

Kazimierz Kord

Warschauer Philharmoniker

Claves

1989

13:51 9:13 8:11  31:15

Das Teilnehmerfeld auf das der damals 23jährige Eugen Indjic beim internationalen Chopin-Wettbewerb 1970 traf, war stark besetzt. Schließlich gewann der Amerikaner Garrick Ohlsson, von dem im Verlauf unseres Vergleiches noch zwei Aufnahmen folgen sollen. Zweite wurde Mitsuko Uchida, dritter Piotr Paleczny. Auf dem vierten Platz, dem keine Medaille mehr übergeben wird, der aber immer noch eine Auszeichnung und ein Preisgeld bekommt, landete Eugen Indjic. Als weitere Preisgeldempfänger (alle Finalisten bis Platz zwölf bekommen eine gewisse Summe), ab Platz sieben werden sie „nur“ noch „weitere Preisträger genannt“. Bei den weiteren landeten damals noch solche Könner wie Emmanuel Ax und Ivan Klansky.

Die Einleitung erklingt auf dieser Einspielung, die erneut in der Warschauer Philharmonie stattfand, ohne Besonderheiten, mit eher wenig Biss, aber noch nicht langweilig. Mitunter erliegt man offensichtlich dann doch der Routine, wenn man die Konzerte allzu oft spielt. Vielleicht dachten die Philharmoniker bereits an den Wettbewerb 1990, wenn die Konzerte zwölfmal hintereinander zum Besten gegeben werden müssen. Der Pianist, 19 Jahre nach seiner Wettbewerbsteilnahme nun 43, zeigt einen runden, mittelharten, recht gut fokussierten Anschlag und einen sehr schön perlenden, brillanten Klang des Flügels. Seine Technik läuft wie geschmiert, sodass sein Spiel leicht und souverän wirkt. Ein zweifellos exzellenter Techniker. Die Agogik wird nie übertrieben, sein Gestus emotional eher zurückhaltend. Einem auftrumpfenden ff ist er jedoch nicht abgeneigt. Generell erscheint seine Dynamik in Richtung f und ff verschoben. Das gilt auch beim in dieser Einspielung immer präsenten Orchester, das den Pianisten jederzeit gut hörbar bei allem unterstützt. Mit anderen Worten: so sehr leise spielen die Philharmoniker dieses Mal nicht.

Im Larghetto spielt Herr Indjic erwartungsgemäß gefühlvoller. Im „Recitativo“ reizt er das beträchtliche Klangvolumen seines voluminös aufgenommenen Flügels vortrefflich aus. Das Orchester steuert mit den deutlich aufgenommenen Bässen seine kräftigen Tremoli bei. Die Läufe klingen brillant, werden aber von der Technik leider zum reichlich verwendeten Pedal hinzu noch zusätzlich eingehallt. Das war übrigens im ersten Satz schon so.

Im Allegro vivace hören wir viel „geölten“ Tastenzauber, leider immer mit viel Pedal und zudem noch mit den „Hallfähnchen“ versehen. Dadurch dass Herr Indjic wenig variiert stellt sich ein gewisser Perpetuum mobile-Charakter ein. Gute Orchesterleistungen.

Die Aufnahme zeichnet das Orchester ein wenig diffus, was der Transparenz nicht eben förderlich ist. Die Staffelung ist gut und von frühdigitaler Härte ist man kaum beeinträchtigt. Der Klang des Flügels wirkt weich, rund, großformatig und räumlich, voluminös und schwebend. Etwas Hall soll sicher das bruchlose Legato unterstützen, was der Pianist jedoch nicht nötig gehabt hätte. So bekommen die schnellen Läufe immer kleine „Hallfähnchen“ mit, die überdeutlich machen, dass die Warschauer Philharmonie an diesem Tag auch noch leer und zu wenig bedämpft war. Gute Dynamik.

 

 

4

Cyprien Katsaris

Edvard Tchivzhel

Oueensland Symphony Orchestra

Piano 21

2010, live

12:46 8:37 8:07  29:27

Diese Live-Einspielung stammt aus dem Privatarchiv des Pianisten und das Label Piano 21 hat er selbst 2001 gegründet. Er ist der einzige uns bekannte Pianist, der alle vier Versionen des Konzertes aufgenommen hat, für Soloklavier, für zwei Klaviere, Klavier und Streichquintett und die uns nun vorliegende für Klavier und Orchester. Das Orchester spielt meist in der australischen Provinzhauptstadt Brisbane, wo die Aufnahme entstanden ist.

Herr Katsaris sprintet im ersten Satz jedem Sentimentalitätsverdacht zügig und virtuos davon. Sein Speil wirkt angetrieben, sehr gewandt und klar in der Phrasierung, dagegen wirken sein Klang zumindest in dieser Aufnahme eher klein und sein dynamischer Umfang eher gering. Im unverzärtelten Gestus ist sich der Pianist mit dem Orchester einig, dieses kann auch leise und wirkt recht spritzig. Das wirkt alles gut geprobt und gekonnt. Tiefe Gefühle wollen allerdings nicht aufkommen. Die Orchesterzwischenspiele gehen sogar ins Feurige.

Wie in einigen anderen Einspielungen mehr scheint der Flügel im Larghetto etwas größer abgebildet und an den Hörer (virtuell) angenähert. Das Spiel des Pianisten ist nun wesentlich gefühlvoller. Er hebt die linke Hand immer sehr deutlich hervor, während er die rechte wahrlich schnell umherfliegen lässt. Diese Balance haben wir schon ausgewogener und souveräner gemeistert gehört. Vielleicht wollte er auch gegen den Strich bürsten. Beim „Recitativo“ werden von der Aufnahmetechnik leider keine hinreichenden Dynamikreserven bereitgestellt. Es klingt dadurch so wie ein Sturm im Wasserglas. Die Transparenz hingegen gefällt, auch im Orchester (Fagott-Solo!).

Das Allegro vivace kommt wie auf Samtpfötchen daher. Der Techniker Katsaris zeigt uns nun, was er kann. Und es ist alles da, hört sich aber an wie gespielt für den Salon, nicht für das große Konzert. Das Orchester wirkt rhythmisch profiliert, aber klanglich ziemlich stumpf. Das Horn spielt sein Signal mit schön ausgeprägtem Echoeffekt.

Der Klang der Aufnahme präsentiert uns präsente und klare Holzbläser (das ist wirklich selten genug!) und ein sehr klares Klavier, das wie vom Orchester umschlossen gebührend im Fokus steht. Die Balance ist also gelungen. Der Gesamtklang wirkt recht räumlich, aber trocken und nicht sonderlich brillant. Obwohl es sich um eine Live-Aufnahme handelt gibt es kaum Störgeräusche. Die Pauke klingt mulmig.

 

 

4

Abdel Rahman El Bacha

Stefan Sanderling

Orchestre de Bretagne

Forlane

2003

14:00 8:22 8:27  30:49 

Monsieur El Bacha scheint am Warschauer Wettbewerb nicht teilgenommen zu haben, dafür gewann er 1978 den Brüsseler Wettbewerb Concours Reine Elisabeth im Fach Klavier nach dem einstimmigen Votum der Jury und gleichzeitig den Publikumspreis. Zur Art und Weise seiner CD-Einspielungen betont Abdel Rahman El Bacha, dass es ihm ein wichtiges Anliegen sei, die Kompositionen ohne Korrekturen und Schnitte aufzunehmen, um einen nicht unterbrochenen Spannungsbogen hörbar werden zu lassen.

Er spielt mit teilweise stark ausgeprägter Agogik, technisch nicht immer mit der höchsten Meisterschaft (dafür ungeschnitten), manchmal scheint ein Ton minimal zu lange gedrückt zu bleiben. Dynamisch ist der Pianist differenziert unterwegs, der Vortrag wirkt dennoch ein wenig monochrom. Sanderling und sein Orchester sind mit Temperament und Leidenschaft bei der Sache, Das Holz wird präsent und deutlich hörbar gemacht, das Zusammenspiel gelingt nicht mit innigster Verschmelzung. Das könnte auch eine Folge der Priorisierung des Spannungsbogens vor der Auflösung aller Detailfragen sein. Die langen Passagen der Läufe wirken mitunter ein wenig vordergründig.

Das Larghetto wirkt unverzärtelt, aber auch ein wenig starr. Das „Recitativo“ wird allerdings mit großer Intensität aufgeladen. Das Orchester lässt deutlich die Bässe vernehmen, an Kraft und Bedrohungspotential mangelt es nicht. Das Fagott-Solo erklingt deutlich.

Das Allegro vivace wirkt zuerst noch etwas verbissen und wenig locker, auch im Orchester. Mit zunehmender Dauer wird es jedoch immer heller, als ob die Sonne aufgehen würde. Nichtsdestotrotz wirken die Skalen mitunter etwas nähmaschinenhaft.

Die Aufnahme klingt offen und präsent, mit transparentem, unverstelltem Holz, was ein großer Vorteil gegenüber vielen anderen Aufnahmen darstellt. Der Flügel ist gut konturiert, sonor und bassstark. Und er wird klar und präsent vor das Orchester gestellt. Die Balance zwischen Flügel und Orchester ist gut.

 

 

4

Nikolai Demidenko

Heinrich Schiff

Philharmonia Orchestra, London

Hyperion

1993

14:10 9:00 8:13  31:23 

In der Orchestereinleitung wirkt der Gestus leidlich jugendlich. Man spielt streicherorientiert und hat eigentlich nichts Besonderes zu sagen. Business as usual also, was ja per se nichts Schlechtes sein muss. Zumal wenn es so schön warm klingt wie mit dem Philharmonia. Die Wärme zeigt sich auch im Klang des Flügels. Herr Demidenko spielt technisch brillant, auch mit der gewünschten Agogik. Sein Anschlag wirkt weich und rund. Ansonsten lässt der Vortrag jedoch ziemlich kalt. Was vielleicht daran liegt, dass es ihm an Dringlichkeit fehlt und er ein wenig unruhig wirkt.

Im Larghetto schwingt die Musik besser. Das Unverzärtelte geht jedoch schon ein wenig in Neutralität über und wirkt ein wenig unnatürlich, also gewollt. Pianistisch wirkt der Vortrag nahezu perfekt, aber emotional seltsam unbeteiligt.

Im Allegro vivace wirkt das Musizieren lebendig, das Tempo passt, die Bläsersoli klingen sehr schön, der Pianist spielt meist sanft, aber pointiert, erst recht spät packt er auch mal richtig zu. Das Nationale im Tanz wird nicht hervorgekehrt. Flügel und Orchester erklingen eng verzahnt bis zur Vermischung des Klangs. Da hätte man sich sogar mitunter eine deutlichere Abgrenzung gewünscht. Das Orchester akzentuiert besser als im ersten Satz.

Der Klang der Aufnahme wirkt weich, rund und warm. Das Orchester erfährt relativ wenig Konturierung, klingt mitunter ein wenig massiv und nicht sonderlich transparent, die Bläsersoli sind mal wieder ziemlich weit entfernt. Der Flügel wird gut ins Orchester eingebettet, steht also nicht als Triumphator mächtig vor ihm. Er könnte etwas sonorer, mit reicheren Mitten sozusagen erklingen. Aber das ist dann schon jammern auf hohem Niveau.

 

 

4

Anna Malikova

Julian Kovatchev

Orchestra Filarmonica di Torino

RS, Channel Records

2009

14:13 9:11 8:44  32:08 

Anna Malikova hat das f-Moll-Konzert bereits 1999 mit dem Moscow Symphony Orchestra unter Constantine Krimets aufgenommen. Eine Einspielung, die uns nicht vorlag. Zuvor belegte sie beim Warschauer Chopin-Wettbewerb 1990 den fünften Platz und gewann 1993 den ARD-Musikwettbewerb in ihrem Fach. Bei der Turiner Einspielung war sie 39.

In der Einspielung aus Turin wirkt die Orchestereinleitung farbig und sogar die tiefen Streicherstimmen sind gut zu verfolgen, was eine Seltenheit ist. Der Klang der Violinen ist nicht immer ganz homogen und beim Blech sind ein paar Intonationsprobleme feststellen. Der Klang des Flügels wirkt klar, aber weniger brillant.

Frau Malikovas Spiel wirkt poetisch, was nicht zuletzt auf eine differenzierte Agogik zurückgeht, eine Domäne, gerade vieler Pianistinnen. Ihr Klang wirkt recht warm, die Phrasierung wirkt stimmig und schön, die Ornamente werden ohne Forcieren locker dargeboten. Leider klingt der Flügel in dieser Aufnahme wenig sonor.

Im Allegro vivace phrasiert die Pianistin deutlich, besonders präzise und rhythmisch. Die Melodien werden ebenfalls sehr gut herausgearbeitet.

Der Klang des Orchesters wirkt im Tutti leicht hallig, er ist aber räumlich und transparent aber alles andere als präsent. Wir konstatieren wieder einmal ein etwas zurückgesetztes Orchester, immerhin hebt sich der Flügel gut davon ab. Die Aufnahme ist recht „kühl“ timbriert.

 

 

4

Yukio Yokoyama

Naoto Otomo

Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra

Sony

2022, live

13:13 8:52 8:06  30:11 

Mit 19 Jahren nahm der japanische Pianist am Chopin-Wettbewerb 1990 teil Er belegte dabei einen 3. Platz. Zweiter wurde Kevin Kenner. Eine Goldmedaille wurde bei diesem Jahrgang nicht vergeben. Der junge Yokoyama studierte zuvor in Paris bei Vlado Perlemuter und Jacques Rouvier. Im Jahr des Wettbewerbs, also 1990 schloss er sein Studium ab.

Der Klang von Herrn Yokoyamas (inzwischen 51) Flügel ist leicht und brillant aber von geringerer Durchschlagskraft und einer wenig persönlicher Färbung. Sein Anschlag ist gut konturiert und nuancenreich. Seine Virtuosität ist flink und unaufdringlich, er kann sich gut zurücknehmen und muss nicht immer lauter spielen als das Orchester. Das Zusammenspiel mit dem gut aufgelegten Orchester ist gut. Es fehlt ihm etwas die Wärme, die gerade viele Pianistinnen (aber längst nicht alle) mit einbringen und der hochvirtuose Zugriff der Supervirtuosen (Zimerman, Argerich, Arrau und wenige andere) und eine gewisse persönliche Note. Ein Chopin der Mitte, sauber und präzise, aber etwas glatt.

Überzeugend die trotz zügigem Tempo im Larghetto gefühlvolle, leicht verträumte Vortragsweise gerade in den Außenteilen, die nie gefühlig wirkt. Das „Recitativo“ wirkt jedoch weniger expressiv, das Aufwallen der Gefühle wirkt dynamisch gebremst und wenig geschärft. Da bleibt er zu moderat, was genauso für das Orchester gilt.

Im Allegro vivace bleibt der Gestus zart und fließend. Es gibt wenig Fingerzeige auf einen nationalen Volkstanz, noble Eleganz hat Vorrang. Das Orchester begleitet geschmeidig, tritt aber nie energisch hervor. Bis auf das stattliche Signalhorn. Solide Handwerkskunst und als solche ohne Fehl und Tadel. Wie in Warschau brandet der Applaus bereits in die Schlusstakte des Orchesters hinein.

Obwohl das Orchester wieder etwas eingehallt wird, klingt es sehr transparent und räumlich. Die Brillanz wirkt unaufdringlich.

 

 

4

Emanuel Ax

Semyon Bychkov

Sinfonieorchester des BR

BR

2008, live und unveröffentlicht

14:41 9:00 8:22  32:03 

Von Emanuel Ax liegen uns drei Einspielungen des f-Moll Konzertes vor.  Bei seiner ersten mit Eugene Ormandy war er 31 Jahre, als er das Konzert im Herkulessaal mit Semyon Bychkov spielte 59. Legato war dabei Trumpf. Die dritte Einspielung erfolgte mit einem Érard (und mit Charles Mackerras) und wird daher bei den Einspielungen mit historischen Instrumenten erscheinen.

Der Dirigent lässt das Orchester seidenweich, aber doch ziemlich akzentschwach und neutral spielen, gerade wenn man an den Auftritt mit dem BRSO mit Stanislav Skrowaczewski, der weiter oben gelistet ist, zurückdenkt. Das Holz spielt erneut klangschön, besonders die Fagotte wären dieses Mal hervorzuheben. Ax spielt sehr geschmeidig, also mit höchster Legato-Kultur, als ob er die Tasten nur zu streicheln bräuchte. Sein Ton ist besonders weich und sanft. Den Klavierpart hat man schon feuriger gehört und in der Aufnahme mit Mackerras, bei der Ax einen Érard spielt, klang es detailreicher. Alles klingt bei ihm sehr schön und stilistisch in einem gediegen wirkenden Rahmen. Die Aufbruchstimmung, die dem Satz innewohnt, wird stark abgeschwächt.

Im Larghetto klingt der moderne Flügel mit ihm fast so rund und matt wie ein Erard, andererseits geht es auch kaum perlender, die Brillanz jedoch wie gesagt abgedämpft. Zum Notturno-Charakter passt die erzeugte Stimmung sehr gut. Der balsamische Klang des Ensembles aus Flügel und Orchester rundet und mildert den gerade im „Recitativo“ dramatisch gespannten jugendlichen Liebeskummer merklich ab und wirkt schon tröstend. Fast wie eine therapeutische warme Decke. Besonders gut gefällt erneut das Fagott-Solo.

Der dritte Satz wirkt traumhaft sicher gespielt, ausfinessiert und edel. Er strahlt viel Wärme und Souveränität aus. Man wird als Hörer fast schon eingelullt. Der „Tiger auf Samtpfoten“ des Klaviers liefert eine bewundernswert perfekte Live-Aufnahme ab, mitgerissen wird man allerdings nicht.

Wir hören einen warmen, weichen und recht transparenten Luxusklang vom Flügel und vom Orchester. Typisch für eine Rundfunk-Konzertübertragung fehlt eine ausgereizte Dynamik. Die hätte aber zu Interpretationsansatz nicht so recht gepasst.

 

 

4

Rafael Orozco

Edo de Waart

Rotterdamer Philharmoniker

Philips

1975

14:27 9:42 8:13  32:22 

Rafael Orozco studierte u.a. bei Alexis Weissenberg und Maria Curcio, der letzten Schülerin von Artur Schnabel. Er gewann 1966 den ebenfalls recht renommierten Klavierwettbewerb in Leeds, beim Wettbewerb in Warschau scheint er nicht angetreten zu sein. Er starb viel zu früh (wie seine Pianisten-Kollegen Youri Egorov und Paul Jacobs) als ein Opfer der AIDS-Epidemie. Er wurde im gleichen Jahr geboren wie Vladimir Ashkenazy, Maurizio Pollini und Nelson Freire. Im Gegensatz zu Egorov und Jacobs blieb ihm immerhin die Zeit einige Aufnahmen für Philips einzuspielen. Er wurde 50 Jahre alt.

Bei ihm ist Chopin kein Salon-Komponist, zumindest nicht beim f-Moll-Konzert. Er spielt mit großem Klang, geradlinig, ausdrucksstark und kaum einmal eigenwillig. Ein Pianist für den großen Konzertsaal. Seine Mittellage klingt sonor, fast vollmundig, sein fokussierter Anschlag ist erstklassig, seine Bass-Lage kräftig. Leider bietet ihm der Philips-Klang, trotz neuem Remastering nicht die Klangwiedergabe, die er verdient hätte, es klingt nicht ganz frei und mitunter seltsam klingelig. Er phrasiert klar, sein Spiel wirkt spontan, mit dem gewissen Feuer und ordentlicher (aber nicht überragender) Durchschlagskraft und er weiß mit feiner Agogik damit eine Geschichte zu erzählen. Das Orchester begleitet etwas neutral aber nicht langweilig. Dem Holz fehlt noch die Wärme, die es in neueren Aufnahmen zeigt.

Im Larghetto zeigt Herr Orozco erneut die Kunst des freien Vortrags mit feiner Agogik und einer breiten Ausdruckspalette, erneut oder besser: immer noch vom zweitklassigen Klang der Produktion eingeschränkt. Das Spiel des Spaniers gefällt sehr gut.

Mit gelassenem Schwung, nuanciert und entspannt gefällt das Klavierspiel viel besser als das Orchester. Diesem fehlt die letzte Homogenität und Brillanz. Das Holz ist recht gut durchhörbar, der Gesamtklang etwas hallig. Richtig störend wird der Nachhall dann bei den lauten Schlussakkorden. Beim Hornsolo wird bei der Wiederholung des Signalmotivs extra eine Hallfahne drangesetzt. Dieser Spielerei hätte es nicht gebraucht, man hätte besser auf einen volleren und brillanteren Gesamtklang achten sollen.

Der Klang der Aufnahme erreicht nicht das Niveau des Pianisten. Sie klingt recht weich, recht warm, recht farbig und hat eine recht gute Transparenz. Mit anderen Worten sie macht nichts richtig gut. Die Aufnahme erfüllt nicht die Erwartungen, die das Label ab Mitte der 70er Jahre andernorts gesetzt hat,

 

 

4

Ekaterina Litvinseva

Heribert Beissel

Klassische Philharmonie Bonn

Hänssler

2016, live

15:04 9:36 9:10  33:50 

Diese Einspielung des f-Moll-Konzertes ist die erste der damals 20jährigen Pianistin vom nördlichen Polarkreis und die letzte der drei uns vorliegenden des damals 83jährigen Heribert Beissel. Ein Orchestereinleitung wird zwar bereits wie in Frankfurt/Oder mit Ewa Kupiec sauber gespielt, aber es ist doch die, die am wenigsten Energie spüren lässt. Das Orchester selbst klingt nicht erstklassig und es mag das drittbeste der drei Beissel-Einspielungen sein. Die Solistin begeistert hingegen mit einem durch und durch musikalischen Spiel, das sie in ihrer zweiten Einspielung zwar etwas variiert aber doch auf einem gleich hohen Niveau wiederholt. Sie steht vor allem wegen des besseren Orchesters, der jugendlichere Orchesterleitung und des besseren Klanges vor dieser. Dabei schwingt sie eigentlich auch 2016 auf der gleichen Wellenlänge. Ihre Technik ist sehr solide, aber nicht überragend, wenn man sie mit den allerbesten vergleichen müsste. Es fehlt aber nicht an geschmeidiger Agogik und ihr Spiel strahlt ein hohes Maß an glaubwürdiger Selbstverständlichkeit und intimer Werkkenntnis aus. Das Orchester bremst sie immer mal ein wenig ab, was sie aber locker abfedert.

Ihr warmer Klang kommt im zweiten Satz naturgemäß noch besser zur Geltung. Da spielt sie auch herzerwärmend und bezaubernd. Beissel rollt ihr den Teppich aus. Frau Litvinseva „macht“ nicht viel, aber das was sie macht hat Hand und Fuß, natürlichen Fluss und genau das richtige Maß an Rubato. Es klingt mit emotionaler Tiefe und einfach traumhaft schön. Sogar das Fagottsolo ist schön geblasen, aber leider lässt es sich nicht bis zum Ende verfolgen. Was man Frau Litvinseva allenfalls ankreiden könnte ist, dass es bei ihr kein durchdringendes f oder ff zu hören gibt. Vielleicht hätte es aber auch den Zauber durchbrochen.

Das Allegro vivace wirkt ein wenig flügellahm, aber doch sinnlich im gemeinsamen Tanzen. Das gefällt auf seine Weise sehr gut obwohl man keine Diskantbrillanz zu hören bekommt. Hier hört man anscheinend tiefer hinein. Inmitten so vieler perfektionistischer Hochglanz-Produkte im Dunstkreis von kühl wirkenden Wettbewerbssiegern und beinahe Siegern, die Chopin manchmal eher als Sport begreifen ist dies eine Durch und Durch erwärmendes Produkt. Nur wegen des Klangs, der Orchesterqualität und der bisweilen seniorenhaften Tempi ist dies nicht ebenso eine 4-5 geworden wie Frau Litvinsevas zweite Einspielung. Die Violinen sind nicht erste „Sahne“, aber sie klingen immerhin homogen.

Die Transparenz der Aufnahme könnte besser sein. Es kommt uns aber so vor, dass daran mehr dem Orchester selbst anzulasten ist als der Klangtechnik. Während die Auffächerung in die Breite gut funktioniert, fehlt die Tiefenstaffelung weitgehend. Der Flügel steht klar und nicht extra vergrößert vor dem Orchester. Er klingt angenehm, recht brillant, körperhaft und warm getönt.

 

 

4

Cecile Licad

André Previn

London Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1984

14:27 9:36 8:47  32:50 

Die bei der Einspielung 23jährige Pianistin war Schülerin am Curtis-Institut u.a. von Mieczyslaw Horzowski, Seymour Lipkin und dann noch privat bei Rudolf Serkin.  Unserer Recherche nach wurde sie am Warschauer Klavierwettbewerb nicht vorstellig, sie gewann aber mit 20 den Leventritt 1981.

Das Orchester spielt homogen und weich abgerundet auf, lediglich die Oboen scheinen noch in den 50er und 60er Jahren hängen geblieben und klingen hart. Der Flügel von Frau Licad klingt nur im p und mf weich und rund, im f und ff fängt er an zu scheppern. Unverständlich, dass es in London keinen besseren gab. Vielleicht ist es aber auch ein Lapsus der Klangtechnik. Keine Probleme mit der erforderlichen Technik, die das Werk erfordert, hat hingegen die Pianistin. Ihr Anschlag wirkt, wie meist bei guten Pianistinnen, rund und fein. Ihr Spiel wirkt nicht zuletzt wegen der feinen Agogik und des spezifischen Klangs des Instruments gerade im pp bezaubernd. Je lauter es zugeht, desto mehr verliert der sagen wir mal „digitaleske“ Klavierton an Faszination. Selten, dass ein Klavierton an Leuchtkraft verliert, je lauter er wird. Das hat die Pianistin während ihres Spiels natürlich nicht bemerken können, nur beim Abhören der Bänder vielleicht. Sie bewahrt sich immer eine gewisse Spontaneität.

Im Larghetto baut sie ganz zart mit einem leisen p eine intime Stimmung auf. Nun gibt sie einer freien Agogik mehr Raum als im ersten Satz. Sie hat die flinken Finger für die schnelle Ornamentik. Das „Recitativo“ wirkt etwas flach, obwohl sich die junge Frau nicht schont, aber die frühdigitale Aufnahmetechnik scheint nicht mehr herzugeben. Schade.

Im Allegro vivace hebt Frau Licad die Melodien in der linken Hand immer mal etwas stärker vor als üblich, was die virtuosen Ornamente in der rechten Hand weniger dominierend erscheinen lassen. Das fällt positiv auf. Ihr Spiel „atmet“ schön, wirkt aber auch im Tänzerischen etwas gebremst. Inzwischen gibt es Aufnahmen, die noch inspirierter wirken. Die Einspielung hat, so ist es einem Aufkleber auf der CD-Hülle zu entnehmen, einen Grand Prix du Disque der Chopin-Gesellschaft Warschau gewonnen (1985), damals sicher nicht zu Unrecht. Die Aufnahmetechnik ist allerdings sehr unvorteilhaft gealtert, was auf fast alle frühen Digitalaufnahmen zutrifft.

Der Klang insbesondere der Violinen ist erstaunlicherweise nicht einmal so sehr von frühdigitaler Härte geprägt, aber warm klingen sie eben auch nicht. Der Gesamtklang ist recht transparent und schon einigermaßen farbig, aber etwas verhangen. Der Flügel klingt recht dynamisch, ebenfalls nicht hart, aber auch nicht warm, aber doch belegt. Die Mitten nicht warm, der Hochton nicht brillant.

 

 

4

Seong Jin Cho

Gianandrea Noseda

London Symphony Orchestra

DG

2021

14:16 8:49 8:21  31:16 

Seong Jin Cho war 2015 der erste Goldmedaillengewinner beim Chopin-Wettbewerb in Warschau, der aus Südkorea kam. Seine Popularität in seinem Heimatland gleicht dem eines Popstars. Von allen bei einem börsennotierten Streamingportal gelisteten Einspielungen des f-Moll-Konzertes hatte seine Einspielung die exorbitant meisten Abrufe erhalten, viel mehr als alle anderen zusammen, das sei nur als Beleg für die Behauptung zuvor genommen. Zweiter wurde übrigens 2015 der Kanadier Charles Richard-Hamelin, dessen spätere Einspielung uns übrigens besser gefiel als die des Siegers. Der ebenfalls mit einer schönen Einspielung veröffentlichte (und bereits weiter oben gelistete) Szymon Nehring erreichte immerhin die Finalrunde und darf sich „weiterer Preisträger“ nennen. Erwähnenswert erscheint vielleicht noch, dass die DG den Wettbewerb 2015 komplett mitschnitt (online war er ebenfalls weltweit zu verfolgen), damit man vom späteren Gewinner/in alle Beiträge veröffentlichen konnte. Beim Wettbewerb war Seon-Jin Cho 21, bei der Aufnahme 27 Jahre jung. Aufgenommen wurde in St. Lukes in London, wobei man von einer Kirchenakustik nichts bemerkt. Die Akustik erscheint eher als die eines Studios. Davon später mehr.

Das LSO wirkt recht klein besetzt, die Violinen wirken dennoch klangvoll, aber wenig erwärmend. Die Bläser erfahren demgegenüber mal wieder weniger Augenmerk. Die Phrasierung erscheint mitunter etwas schwerfällig, der Klang könnte transparenter sein. Wenn das Klavier spielt wirkt die Begleitung einfühlsam. Akustisch recht distanziert setzt der Pianist ein, seine Phrasierung wirkt klar und deutlich, jedoch seltsam gedrungen. Zudem wirkt sie ziemlich absichtlich, d.h. weniger natürlich, mitunter gar mechanisch. Die Klangpalette wirkt erheblich geringer als bei Argerich oder Zimerman. Rubato wird wenig gebraucht. Man verspürt wenig echte Emphase und wo bleibt die Poesie? Der Vortrag macht auf uns einen abgezirkelten Eindruck, d.h. alles erscheint wohlüberlegt und keineswegs willkürlich, wirkt aber doch noch einstudiert und genauso minutiös reproduziert wie erlernt. Das hängt mit einer wenig freien Agogik zusammen. Der Anschlag selbst wirkt bei Bedarf durchaus zupackend, die Präzision des Spiels erfurchtgebietend perfekt. Die Beiträge des Orchesters wirken einigermaßen spannend und agil. Bei den Interaktionen passt der Klang des Flügels gut zum schlanken, präzisen Orchesterklang.

Das Larghetto wirkt opernhaft ohne den Notturno-Charakter außeracht zu lassen. Allerdings aufgeladen mit reichlich Pathos. Herr Cho setzt durchaus auch sanfte Akzente. Die Ornamentik wird schnell und auf eine technische Art ausgespielt. Der Gefühlsgehalt wird weniger vermittelt, geschweige denn ausgekostet. Der Vortrag wirkt im Ganzen etwas fest und wenig spontan.  Ob der junge Strahlemann jemals das Gefühl von Liebeskummer kennengelernt hat? Da steht nicht das melodiöse Aufblühen im Vordergrund, sondern die fast schon unerträgliche Leichtigkeit artistischer Tastenperfektion. Ein Meister des Handwerklichen ist der junge Mann, das steht fest, mit erregter Wildheit im Dynamischen, schwebenden Piani, feinchirurgischer Anschlagskunst jetzt schon, ein Meister der musikalischen Vermittlung von zwischenmenschlichen Gefühlswelten wird er wohl noch werden. Die Damen Gianoli oder Litvinseva waren bzw. sind (beispielsweise) bei letzterem deutlich weiter. Ohne ersteres zu erreichen. Und man kann polemisieren: Was ist Chopin ohne das richtige Maß an Poesie?

Das Allegro vivace erklingt durchaus mit Witz und wirkt spontaner als die ersten beiden Sätze, obwohl der Pianist auch im dritten Satz viel „macht“. Das handwerklich exzellente Spiel verliert sich in diesem Satz am wenigsten ins artistische. Die linke Hand wird mitunter etwas stärker betont als üblich, sodass man mal andere Linien zu hören bekommt, die sonst weniger auffallen.  Das Spiel wirkt hier ziemlich bravourös, obwohl man den Zusammenhang mitunter vermisst. Dem Orchester verleiht Noseda weniger Profil als Skrowaczewski dem Orchester aus Saarbrücken (oder München und sogar Paris).

Der Klang der Aufnahme wirkt ziemlich offen. Der Flügel steht deutlich und präsent vor dem recht dezent wirkenden Orchester. Der Flügel selbst wirkt nicht kühl oder gar kalt, aber erwärmend eben auch nicht. Neutral würde den Sachverhalt gut treffen. Er könnte sonorer klingen. Das Orchester wirkt für so eine aktuelle Aufnahme ziemlich matt. Der Eindruck vom Raum, in dem sich der Klang ereignet ist denkbar gering, weshalb wir, wie zu Beginn bereits erwähnt eher an ein Studio denken als an eine Kirche. Der Gesamtklang ist leidlich brillant. Die Live-Aufnahme aus dem Concertgebouw mit Rafal Blecharz bot mehr Raumgefühl, hatte mehr Körper und gefällt daher besser, wenn es um die zeitlich nächstgelegene DG-Aufnahme geht. An die beiden Zimermans und an die Pires kommt die Aufnahme klanglich ebenfalls kaum heran.

 

 

4

Alexander Gadjiev

Andrey Boreyko

Warschauer Philharmoniker

NIFC

2021, live

14:27 8:52 8:16  31:35 

Der Pianist war Student bei Pavel Gililov in Salzburg und Eldar Nebolsin in Berlin. Er errang im wegen Corona von 2020 auf 2021 verschobenen Chopin-Wettbewerb den zweiten Platz. Gewinner war damals Bruce Liu, der beim Finale das e-Moll-Konzert gewählt hatte, weshalb er in unserem Vergleich leider nicht erscheint. Das f-Moll-Konzert existiert mit ihm in der Fassung für Klavier allein! Die vorliegende Aufnahme entstand live beim Wettbewerb. Er nutzte dabei keinen Steinway und auch keinen Bösendorfer, sondern einen Kawai-Shigeru, was klanglich in der Aufnahme nicht verborgen bleibt. Interessant war der Vergleich mit Martin Garcia Garcia, der im gleichen Finale 2021 einen Steinway spielte, mit dem gleichen Orchester, dem gleichen Dirigenten, ebenfalls in der Warschauer Philharmonie und aufgenommen vom gleichen Label. Wir erinnern noch einmal daran, dass die Philharmoniker bis zu zwölf Mal hintereinander eines der beiden Chopinkonzerte spielen muss, mit jeweils einem anderen Finalisten (jedoch nicht an einem Tag). Das mag vielleicht die weniger leidenschaftliche Ausführung in diesem Fall erklären. Bei Herr Garcia war man stärker engagiert.

Der Klang des Flügels ist gedeckt, weniger brillant als der Steinway bei Herrn Garcia, aber vielleicht etwas brillanter als der Bösendorfer. Der Kawai klingt klar und über die Oktaven hinweg sehr gleichmäßig. Der Vortrag des bei der Aufnahme 27jährigen Pianisten wirkte souverän und recht entspannt. Die Phrasierung wirkt gut dynamisiert, Anschlag und Farbe etwas gleichförmig, da bot eine Reine Gianoli 1965 bei einem noch beschaulicheren Tempo mehr. Der „Schuss“ Poesie, die der Pianist dem Vortrag mitgibt, kann nicht verhindern, dass sich eine gewisse Glätte breit macht.

Der Klang des Kawai passt zum Larghetto gut. Zudem rückt er dem heimischen Hörer noch einmal ein Stückchen näher als im ersten Satz. Das Tempo wirkt recht zügig und der Nuancenreichtum im Anschlag erscheint noch begrenzt, alle Töne klingen exakt gleich. Im „Recitativo“ gibt es zwei kleine Fehlgriffe. Es wird aber im Ausdruck deutlich von den beiden Außenteilen abgegrenzt. Der Mittelteil wird deutlich kräftiger ausgespielt.

Das Allegro vivace klingt ziemlich beschwingt, das Spiel des Solisten kraftvoll, das Spiel von Holz und Blech wenig profiliert. Also im Ganzen etwas eindimensional. Ganz leichte Unsicherheiten werden spürbar, trotzdem ist die technische Solidität offensichtlich. Innerhalb unseres Vergleiches ist das Spiel von Herrn Gadjiev aber keine Offenbarung. Mit dem Pianisten gibt es bei YouTube noch einen Mitschnitt mit Zubin Mehta aus Florenz, der mehr Schwung und Klangfülle verspricht. Wie in Warschau üblich gibt es auch 2021 für Herrn Gadjiev schon tosenden Applaus währenddessen das Orchester seine letzten Takte noch spielt. Summa Summarum ist es nachvollziehbar, dass man den Sonderpreis für die beste Darbietung eines Konzertes an Herrn Martin Garcia Garcia vergeben hat. Uns gefällt seine Darbietung ebenfalls besser als die von Herrn Gadjiev.

Der Klang der Aufnahme ist klar und recht deutlich. Das Orchester erscheint gut gestaffelt, könnte aber präsenter klingen, vor allem wieder einmal Holz und Blech. Der Flügel ist direkt vorm Orchester positioniert, die Dynamik ist eher gering ausgeprägt.

 

 

4

Nicolai Tokarev

Olari Elts

Luzerner Sinfonieorchester

Sony

2008, live

13:37 8:58 7:36  30:11 

Von Nicolai Tokarev haben wir bereits eine zweite Einspielung weiter oben vorgestellt (DSO, Sokhiev, live, unveröffentlicht), die uns viel besser gefallen hat, als die CD-Einspielung für Sony.

Im zügigen Tempo des Maestoso will sich der damals 25jährige Pianist gar nicht so recht als Belcanto-Sänger verstehen. Er bleibt eigentlich in jeder Situation eher in der Defensive, obwohl er offenkundig keine Probleme hätte, exponierter zu klingen, was ihm in Berlin übrigens problemlos gelingt. Sein Anschlag wirkt, ganz ähnlich dem von Emmanuel Ax, sehr weich. Das Theatralische, Repräsentative, Nationale, Kämpferische wird weitgehend unterspielt. Er singt sozusagen in sich hinein, statt aus sich heraus. Der Vortrag wirkt auf diese Art wenig expressiv, beinahe beiläufig.

Der Pianist kommt auch im „Recitativo“ des Larghetto nicht aus sich heraus. Insgesamt gefällt dieser Satz jedoch viel besser als der erste, obwohl er relativ leichtgewichtig ausfällt. Hier haben wir einen Sänger vor uns, der vielleicht vor lauter Liebeskummer, gar kein Sänger sein will. Seine Stimme schillert, nicht gerade in kräftigen Farben, eher pastellfarben.

Im Allegro vivace begegnet uns dann pures Understatement. Mit wenig Glanz und ganz und gar nicht überladen hat man fast den Eindruck, der Flügel würde sich am liebsten im Orchester verstecken. Allerdings technisch enorm gewandt, aber so unbrillant, als ob sich der Pianist für seine Fähigkeiten schämen würde. Wollte er einen Érard imitieren? Das Orchester scheint den emotionalen Feinheiten in diesem Satz eher nachzuspüren als er, passt sich jedoch ansonsten dem seltsamen, aber irgendwie sympathischen Tiefstapeln an.

Der Flügel wirkt in den Orchesterklang integriert. Er klingt gedeckt und wenig brillant. Auffallend ist jedoch, dass die Bässe des Flügels deutlich herauskommen. Auch die Klangtechnik wirkt gediegen und so gar nicht auf Glamour aus. Der Raumeindruck der die Aufnahme vermittelt bleibt gering. Der Raum (und wir wissen, dass er eigentlich im KKL zu Luzern exzellent ist) tut sich nur beim Signalhorn-Einsatz richtig auf.

 

 

4

William Youn

Friedemann Riehle

Nürnberger Symphoniker

Ars

2004

13:55 9:32 8:48  32:18 

Den bei der Aufnahme 22jährigen Pianisten haben wir bei unserem „Werkhintergrund“ bereits zitiert und kennen so bereits seine Einstellung zu den beiden Konzertes Chopins.

Sein Spiel ist deutlich, mit eher weichem, aber nicht weichlichem Anschlag, einer natürlichen, präzisen Phrasierung und einer flexiblen Agogik. Man vermisst bei dem jungen Mann jedoch ein Quäntchen mehr jugendliches Feuer. Den Maestoso-Stolz haben andere ebenfalls bereits zurecht ein wenig zurechtgestutzt, andere genauso zurecht viel mehr herausgestellt. Das Orchester lässt mit reichlich Pauken und Trompeten deutlich mehr davon spüren als der Pianist.

Das Larghetto klingt unsentimental, aber auch etwas zu ruhig, fast möchte man meinen artig und brav. Den Belcanto vernimmt man nur auf Sparflamme.  Der eigentlich schöne und ausgeglichene Klang des Flügels wirkt ein wenig klein geraten. Gerade im „Recitativo“, das wenig schmerzgepeinigt wirkt. Wohlgemerkt immer in Relation zu den bereits gehörten Einspielungen gesetzt. Das Tremolo der Nürnberger wirkt statt bedrohlich à la „Wolfsschlucht“ eher beschaulich-tröstend. Ob es so gedacht war? Der Dynamikumfang des Flügels wird auf den eines Hammerklaviers zurechtgestutzt. Vielleich ein Tribut an den historisch orientierten Klang? Die stechenden und schmerzenden Dämonen, die in der jugendlichen Seele herumgeistern kommen in dieser Interpretation nicht zum Vorschein.

Der dritte Satz wirkt klanglich profiliert und kultiviert, aber wenig flüssig. Das eigentlich gute Orchester mit guten Soli von Holz und Horn wirkt ziemlich massiv.

Der Klang der Aufnahme wirkt angenehm weich, klar, offen und räumlich. Das Orchester ist gut gestaffelt, die Präsenz der Holzbläser ist gut, obwohl auch sie ein wenig entfernt klingen. Der Klang des Klaviers ist sonor und brillant und er steht in sehr guter Balance zum Orchester. Übermäßig hochtonreich ist er nicht. Der gesamte Klang könnte etwas schärfer konturiert sein, vor allem im Tutti.

 

 

4

Garrick Ohlsson

Krzystof Urbanski

Orchestra della Svizzera Italiana

2022

RTI, gesendet vom HR, live und unveröffentlicht

15:22 9:40 9:09  34:11 

Garrick Ohlsson gewann den Chopin-Wettbewerb 1970 als 22jähriger vor Mitsuko Uchida und Piotr Paleczny. Bei der Aufnahme des Konzertes im neuen als Konzerthaus nutzbaren Lugano „Arte e Cultura“, das dem KKL in Luzern in gewisser Weise ähnelt und ebenfalls eine gute Akustik zu haben scheint war er 75. Von gibt mit Herrn Ohlsson es zwei weitere Einspielungen: 1975 auf EMI, die etwas weiter unten in der Liste folgt und eine neuere, wieder einmal mit den Warschauer Philharmonikern unter Kazimierz Kord auf Hyperion eingespielte, die uns leider im Sortiment fehlt. Eine Videoaufzeichnung ebenfalls mit den Warschauern (machen die eigentlich auch noch was anderes?) dieses Mal unter Antoni Wit gibt es auf Medici. In Polen genießt der Goldmedaillen-Gewinner noch immer einen glänzenden Ruf.

Wir hören in Lugano (übrigens an der Seite des neuen und gerade aktuellen Chefdirigenten der Warschauer Philharmoniker Urbanski, in Lugano wurde er gerade neuer Gastdirigent) ein klares, unpathetisches Spiel mit typischem Steinway-Klang, in der Diktion etwas bedachter, im Gestus getragener und nicht mehr so jugendlich frisch, verglichen mit seiner EMI-Aufnahme vor fast 50 Jahren. Wen sollte es wundern. Sein Flügel klingt jedoch brillanter als damals. Herr Urbanski lässt die Bläser stark hervortreten und nutzt dazu ihr ganzes Klangvolumen. Er nimmt dabei auch gerne ein Forcieren in Kauf. Er setzt die Tradition der polnischen Dirigenten fort, die die Bläserstimmen seit jeher achten und ins rechte Licht setzen.

Der Vortrag im Larghetto wirkt einfühlsam und immer noch enorm virtuos. Ohlssons Klang sogar (aufnahmetechnisch bedingt) brillanter als 1975. Das Recitativo erklingt nun kantiger, die harte Brillanz des Flügels wird deutlich gemacht. Das Orchester bleibt leider hinter den im ersten Satz geweckten Erwartungen zurück (z.B. laues Tremolo). Dies ist ein Larghetto, das trotz der kantigen pianistischen Brillanz, eher zum Träumen als zum Verzweifeln einlädt.

Und im Allegro vivace kann man getrost weiter träumen. Das Orchester scheint sich durch zu buchstabieren und man hat den Eindruck, es würde trotzdem gerne etwas schneller spielen. Das tänzerische Moment wirkt ein wenig eingeschlafen. Bei dem 75jährigen Pianisten steht es nicht mehr so im Vordergrund. Das Orchester klingt schlanker als das polnische Orchester aus Kattowitz 1975 und Urbanski bringt immer wieder bisher wenig aufgefallene Motive zu Gehör und lässt wie im ersten Satz die Bläser immer wieder kräftig erklingen. Eine grundsolide Darbietung, die auf der Seite des angeblich so langweiligen Orchestersatzes überraschender wirkt als beim Klavierpart. Nächstes Jahr (2025) können wir Herrn Urbanski erleben, wie er eines der Chopin-Konzerte bis zu zwölf Mal hintereinander dirigiert, da ist nämlich wieder Wettbewerb in Warschau und der ist immer Chefsache.

 

 

4

Sa Chen

Lawrence Foster

Gulbenkian Orchester, Lissabon

Pentatone

2008

14:47 9:36 8:49  33:12 

Sa Chen hat ebenfalls am Chopin-Wettbewerb in Warschau teilgenommen. Sie wurde im Jahr 2000 Vierte. 2021 war sie wieder dabei, allerdings als Jurorin. In Lissabon hört sich die Orchestereinleitung ebenfalls so an, als ob kein Blech anwesend wäre, Business as unsual auch musikalisch. Die Pianistin, als die Aufnahme entstand 29 Jahre jung, zeigt eine meisterhaft gelenkige Technik, hohes Differenzierungsvermögen und mehr Einfühlungsvermögen als ihre Landsmänner Lang Lang und Yundi Li. Den Aufschwüngen im ersten Satz kann sie einiges Temperament mitgeben, über den brillanten Anschlag und die kräftigen ff der beiden Herren oder der Damen Martha Argerich, Elisabeth Leonskaja oder Khatia Buniatishvili verfügt sie jedoch nicht.

Ganz zart erklingt dann auch das Larghetto. Während die Ornamentik keinerlei Probleme verursacht, wirken die Ausbrüche im „Recitativo“ wenig kraftvoll und weniger expressiv. Man hört eine fabelhafte Virtuosität im Kleinen, das Spiel wirkt nicht unattraktiv, ein wenig elfenhaft blass eben.

Im dritten Satz hat ihr Anschlag etwas an Kontur verloren, dennoch gelingt noch eine ganz gute Differenzierung, durchweg immer noch gelenkig aber mit etwas geringerer Brillanz als im ersten und im zweiten Satz.

Der Klang der Aufnahme wirkt offen, recht voll und räumlich, die Bässe werden nicht vergessen, die Dynamik wirkt zurückhaltend.

 

 

4

Noboyki Tsujii

Vladimir Ashkenazy

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

Avex

P 2018, live

13:40 8:35 7:59  30:14 

Als der von Geburt an blinde, junge Mann im Jahr 2005 mit 17 Jahren am Chopin-Wettbewerb in Warschau teilgenommen hat, kam er bis ins Halbfinale und erhielt sogar den Kritikerpreis. Seit 2024 hat er als erster japanischer Pianist überhaupt einen Exklusivvertrag mit der DG, der auch die Wiederveröffentlichung seiner älteren Einspielungen umfasst. Die CD mit den beiden Chopin-Konzerten soll auch wieder (dieses Mal bei der DG) erscheinen.

Ashkenazy geht wie 1998 mit der Tschechischen Philharmonie rhythmisch, akzentuiert und sehr klangschön mit dem Orchesterpart um. Da wird erneut einiger Enthusiasmus hörbar. Der Pianist, nun 30, ist technisch mit allen Wassern gewaschen und sein Klavierklang gehört zu den besten.

Beim Larghetto überrascht er mit einem flotten und vor allem völlig unverzärtelten Zugriff. Er ist jedenfalls kein Kind von Traurigkeit, sondern arbeitet gerne mit kraftvoll-stabilen f und ff. Man kann es auch „kraftstrotzend“ oder klangmächtig nennen. Die Melodien werden hervorragend klar und deutlich herausgebracht. Mit den niedrigen Lautstärken gibt er sich offenkundig weniger gerne ab, denen gibt er ebenfalls lieber einen kraftvollen Sound mit. Da hätten wir uns etwas mehr Mut zur Nuancierung gewünscht.

Im Allegro vivace ist nun der Flügel etwas leiser eingepegelt worden, er steht nun nicht mehr so überproportioniert vor dem Orchester. Jetzt wirkt dafür das Orchester noch mehr als Partner. Im Zusammenspiel gibt es übrigens keinerlei Probleme, die Präzision ist ausgezeichnet. Auch in diesem Satz lässt sich Herr Tsujii wenig auf die leisen Töne ein, als ob er Sorge hätte, dass sein Klang nicht überall in der Philharmonie hinreichend gehört werden könnte. Für die Mikros wäre es allerdings besser gewesen, wenn er der Partitur, die er sich nur hörend erarbeiten konnte, mehr Vertrauen geschenkt hätte. Der Satz wirkt ein wenig überhastet und bloß durchgespielt. Es fehlen noch die wichtigen Zwischentöne, die Chopin eigentlich erst zu dem machen, was er ist.

Der Klang der Aufnahme ist sehr transparent und plastisch, räumlich, bestens aufgefächert und mit einer ordentlichen Raumtiefe versehen. Der Flügel klingt herausragend, brillant, aber auch voll und warm in der Mittellage. Wenn da beim Pressvorgang bei der DG nichts von der Qualität der japanischen Qualitätsarbeit verloren geht, dann kann man sich auf eine audiophile Aufnahme mehr im Portfolio freuen.

 

 

4

Garrick Ohlsson

Jerzy Maksimiuk

Polnisches Radio-Sinfonieorchester Kattowitz

EMI

1975

13:50 9:26 8:16  31:32 

Wie bereits bei seinem Mitschnitt aus Lugano erwähnt, war der bei der Aufnahme 27 Jahre junge Pianist 1970 der erste Amerikaner, der den Chopin-Wettbewerb gewinnen konnte. Man hat das Gefühl, dass man bei den Siegern immer auch auf die Nationalität geachtet hat, also diesbezüglich ausgewogen bleiben wollte, auch zu Zeiten des kalten Krieges und dass auf keinen Fall zu viele Landsleute gewinnen (in der direkten Nachkriegszeit war das möglicherweise noch anders).

Der Pianist macht, fünf Jahre nach seinem Sieg in Warschau, wie selbstverständlich musikalisch alles richtig. Technisch virtuos, schlackenlos, mit feiner Agogik. Rubati unterstreichen die Phrasierung. Sein Spiel wirkt jedoch geradlinig und trotz nuancenreicher Dynamik wenig anmutig und bisweilen noch ein wenig etüdenhaft. Bei einem Rubinstein wirkt eben auch der „Zierrat“ noch feinfühliger, selbstverständlicher und natürlicher ausgestaltet.

Obwohl eigentlich schattierungsreich gespielt wirkt das Larghetto etwas „technisch“ und oberflächlich. Da kann auch das diffus klingende Orchester nicht daran ändern. Die Tremolos im „Recitativo“ verklingen, ohne Wirkung zu erzielen.

Das Allegro vivace könnte man als den gelungensten Satz der Darbietung bezeichnen. Beim Orchester merkt man jetzt, dass es quasi in seiner Muttersprache spielt, es setzt freudige Akzente und der junge Herr Ohlsson spielt nun befreit und pointiert auf. Nun klingt es temperamentvoll.

Leider wurde das Orchester wenig schlank aufgenommen, es wirkt bisweilen klobig. Der diffusen Weiträumigkeit merkt man die Herkunft der Aufnahme aus Quadro-Zeiten noch an. Supertransparent ist sie auch nicht. Der Flügel wird groß, fast mächtig vor dem Orchester aufgebaut. Dennoch wirkt er nicht aufgebläht und er wirkt recht dynamisch. Eine gewisse analoge Wärme bleibt trotz der frühen Digitalisierung noch erhalten. Insgesamt wirkt der Klang ein wenig pauschal und die letzte Brillanz fehlt ihm leider ebenfalls.

 

 

4

Ingolf Wunder

Jacek Kaspszyk

Warschauer Philharmoniker

DG

2015

14:40 8:22 9:13  32:15 

Ingolf Wunder belegte bei Chopin-Wettbewerb 2010 den zweiten Platz hinter Julianna Avdeeva. Er bekam allerdings den Sonderpreis für die beste Darbietung des in der Finalrunde zu spielenden Konzerts. Damals hatte er das e-Moll-Konzert gewählt, das übrigens erheblich häufiger in der Finalrunde vertreten ist als das f-Moll-Konzert. Das e-Moll Konzert spielte er schon früher für die DG ein, das f-Moll-Konzert folgte erst 2015. Jacek Kaspszyk war 2013-2019 Leiter der Philharmoniker, er folgte auf Antoni Wit 2002-2013, 2019-2024 folgte dann Andrey Boreyko und ab 2024 Herr Urbanski.

Der Orchesterklang wirkt dieses Mal wenig dynamisch ausdifferenziert, recht langsam und etwas steif. Akzente klingen abgestumpft oder weich, Legato ist Trumpf. Der Gestus getragen. Herr Wunders Spiel mutet genau, aber sachlich an, sein Ton wirkt neutral. Weder besonders warm oder besonders brillant. Er beschränkt sich auf die korrekte Darstellung des Notentextes, der zwar musikalisch und mit etwas Rubato dargestellt wird, aber auch seltsam monochrom wirkt. Der Notentext des Orchesters erscheint leicht verändert, sodass das Blech häufiger zum Zuge kommt und deutlicher prononciert erscheint. Später fiel uns auf, dass er offensichtlich die Orchestrierung von Cortot weiterentwickelt hat. Dass dadurch etwas an der generellen Aussage oder des Gefühlsgehaltes geändert worden wäre, ließe sich von unserer Warte aus nicht behaupten. Es ist einfach interessant mal ein paar andere Akzente zu hören. Besser als das Original ist die Bearbeitung unserer Meinung nach nicht.

Im Larghetto verbreitet Ingolf Wunder wenig Ruhe, es scheint ihm mehr daran gelegen zu sein, jugendliche Unruhe auszudrücken, was völlig legitim erscheint. Das „Recitativo“ gelingt eindrucksvoll, freilich mit Unterstützung einer nun mächtig dreinfahrenden Pauke, die jedenfalls bisher nicht so machtvoll und besonders auch nicht an dieser Stelle zu hören war (nur bei Cortot). Statt des Fagottsolos spielt nun ein Cello dieselben Noten, so wie es dann für uns später auch bei Cortot zu hören war (ab T. 81)

Das Allegro vivace wird korrekt ausgeführt, wir empfanden dabei ein paar Längen, hatten aber auch gerade Martin Garcia Garcias Meisterleitung vom Wettbewerb 2021 noch im Ohr, der allerdings nur Dritter wurde aber wie Herr Wunder ebenfalls den Sonderpreis für die beste Darbietung eines Konzertes erhalten hat.  

Der Flügel wurde ziemlich groß und auch breit vor das recht voll und weich klingende Orchester gestellt. Die Balance erscheint zugunsten des Flügels verschoben. Aufnahmetechnisch ragt die Einspielung ebenfalls nicht aus dem reichen Bouquet an DG-Aufnahmen des Konzertes heraus.

 

 

4

Alicia de Larrocha

Sergiu Comissiona

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1971

15:18 9:33 8:41  33:22 

Bei dieser Einspielung beginnt das Orchester wieder energischer, bekannt mit seinem typischen Holz und den französisch klingenden Oboen. Der Anschlag Frau de Larrochas erklingt klar, aber nicht ganz konsistent, er kennt keine Härten und gemeinsam mit der Analogtechnik klingt es warm und rund. Auch bei den schnellsten Figuren oder Skalen bleibt immer der einzelne Anschlag zu hören, es kommt zu keiner Verwischung, z.B. durch ein Übermaß an Pedal-Einsatz. Mitunter erscheint die Phrasierung ein wenig gedehnt, was den Fluss der Musik eher etwas hindert als ihn zu fördern. Das Orchester lässt ordentlich auch was vom Blech vernehmen und zeigt in seinen Zwischenspielen einen temperamentvolleren Zugriff als die Pianistin.

Im Larghetto spielt die Pianistin leiser als üblich, die deutliche Orchesterbegleitung dagegen etwas lauter als üblich. Schon erscheint die Balance etwas aus dem Lot geraten, sodass man sich den Flügel etwas lauter wünscht. Das „Recitativo“ spielt Frau Larrocha sehr engagiert, sie wirft offenbar ihre ganze Kraft hinein, dennoch wirkt sie gegenüber dem heftig tremolierenden Orchester keineswegs dominant, wie man das vom Gros der Einspielungen kennt. Die Schweizer werden allerdings von Herr Comissiona in keiner Weise zurückgehalten, da gibt das Orchester und die Pianistin viel Expressivität ins Spiel.

Im Allegro vivace kommt man nur gemütlich voran. Es ergeht sozusagen keine nachhaltige Einladung zum Tanz. Jugendlicher Schwung ist kaum zu vernehmen. Alles ist in diesem Satz wirkt ziemlich vorhersehbar. Im Unterscheid etwas zu Lise de la Salle ist die Klavierstimme jedoch immer sehr deutlich.

Die Aufnahme aus Genf wirkt räumlich, aber nur leidlich transparent, obwohl die Staffelung des Orchesters in die Tiefe nicht schlecht ist. Der Klang ist weich und farbig, wie man das von einer analogen Decca aus dieser Zeit erwarten konnte. Der Flügel könnte etwas sonorer und brillanter klingen. Er ist gegenüber dem Orchester eher ein Partner als der Chef im Hause. Wir hörten eine Belart-Pressung.

 

 

4

Jorge Bolet

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1989

14:24 9:07 9:23  32:54 

Jorge Bolet galt von jeher als ein großer Virtuose, dem es allerdings erst spät in seinem Leben vergönnt war, einen Platten-Vertrag mit einem großen Label zu erhalten. In seinen späten Auftritten und Aufnahmen wollte er Virtuosität als Selbstzweck unbedingt vermeiden. Die Aufnahme, bei der er 75 Jahre zählte, wurde in der Kirche St. Eustache in Montréal gemacht, aus der viele Decca-Einspielungen jener Zeit stammen. Mittlerweile hat man in Montréal einen guten Konzertsaal in dem man auch die Aufnahmen erstellt.

Der Pianist zeigt auch in diese Aufnahme, die ein Jahr vor seinem Tode entstand, dass er immer noch über einen großen Ton und eine außergewöhnliche Fingerfertigkeit verfügt. Dass er Virtuosität als Selbstzweck vermeidet hört man seinen Kaskaden und Skalen, die er immer noch perlend aus dem Ärmel zu schütteln vermag ebenfalls an. Vielleicht ist die Leichtigkeit und die dramatische Zuspitzung aber doch über die Jahre ein wenig verloren gegangen, denn der Vortrag wirkt mittlerweile ein wenig schwerfällig und weniger kontraststark. Schwerer als bei Arraus letzter Einspielung bei Philips. Die Spannung hingegen wird immer noch gut aufrecht gehalten. Beim Pianisten besser als beim Orchester.

Einen kleineren Ton, sehr schön kantabel, mit viel Wärme, fast demütig und bedächtig hören wir im Larghetto. Die sogenannten Verzierungen fangen bei Herrn Bolet an zu sprechen, das ist die hohe Kunst. Leider steuern Monsieur Dutoit und seine Kandier zum altersmilden Spiel nur schwache Tremoli bei, sodass die Espressivo-Attacke im „Reciativo“ nur wenig jugendlich-aufbegehrend wirkt. Da schwingt der Trost eines Mannes mit, der schon Schlimmeres erlebt hat. Aus seiner zurückblickenden Sicht aus gesehen mag er Recht haben.

Das Allegro vivace noch leicht und anmutig hinzulegen fällt dem Pianisten noch leichter als dem schwerfällig wirkenden Orchester. Da fehlt es aber doch beiderseits an Elan und Spritzigkeit, für einen Tanz sehr melancholisch. Schwermut beginnt sich des Satzes zu bemächtigen. Das Lebhafte des Satzes scheint abhandengekommen. Gegen Ende kommt er sogar ins Stocken. Insgesamt ist dies eine Darstellung des Werkes die den speziellen Anforderungen, die ein Jugendwerk stellen mag auf eine seltsame Art gerecht werden will.

Der Klang der Aufnahme ist leicht hallig, lässt also die Kirchakustik nicht ganz verleugnen. Der Hall ufert aber nicht aus wie bei der Aufnahme mit Idil Biret. Die Farben leuchten, ohne dass heller Glanz vorhanden wäre. Die Balance Flügel/Orchester ist recht ausgewogen. Die Dynamik eher zurückhaltend. Die EMI-Aufnahme aus Montréal von 1998 klingt in allen Belangen besser.

 

 

4

François-René Dûchable

Michel Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1997

13:14 10:43 7:58  31:55 

Diese Aufnahme entstand in der Halle-aux-Graines in Toulouse. Sie legt zügig los aber der Klang des Flügels befriedigt wenig. Es fehlt ihm an Resonanz und Sonorität. Dûchable scheint mit wenig Pedaleinsatz zu spielen, es verschwimmt ihm nichts, der Klang wirkt trocken und verspricht wenig „Romantik“. Da wird zudem mit wenig Agogik ziemlich straff „durchgezogen“. Mit anderen Worten vom Pianisten hören wir hier einen sachlich-neutralen Zugriff auf das Werk, der auf uns ziemlich „kurz angebunden“ wirkt. Temporeich und recht vorantreibend verhält sich auch das Orchester. Ein großes Plus der Einspielung ist hingegen die Transparenz, bei der dem Hörer nichts entgeht. Dennoch lädt die Art des Musizierens, von der Klangtechnik maßgeblich mitverursacht, nicht gerade zur emotionalen Anteilnahme ein.

Im Larghetto hören wir nun ein verhältnismäßig langsames Grundtempo, das mehr gefühlvolle Agogik möglich macht. Der kühle Klang aus Toulouse behält trotzdem die Vorherrschaft über die Emotionalität. Der trockene Flügelklang lädt kaum zum Träumen ein, zumal der Vortrag zwar hellwach aber auch kontrolliert und nicht richtig frei wirkt. Monsieur Dûchable ist allerdings immer dicht dran am Notentext. Obwohl sich im „Recitativo“ das Tremolo der Streicher recht laut erhebt, will sich kaum Spannung einstellen. Auch in diesem exponierten Teil des Satzes trumpft der Pianist nie auf. Fast hätten wir es uns einmal gewünscht. Der Flügel- und der Orchesterklang finden nie so recht zusammen, es gibt auch nicht ansatzweise eine Art Verschmelzung.

Im Allegro vivace kommt der Pianist etwas mehr aus sicher heraus, wir hören ein schnelles und sauberes Spiel. Obwohl recht rhythmisch und klar allerdings kaum mit tänzerischer Wirkung. Immerhin hören wir einen besonders ausgeprägten Echoeffekt, da dieses Mal nicht nur das Solohorn beteiligt ist, sondern sich zwei Hörner einander gegenüberstehend das kurze Solo aufteilen. Laut Partitur sollte nur eines spielen. Ansonsten ist man ganz und gar nicht auf Effekt aus und irgendwie wirkt die Darbietung bei aller technischen Sauberkeit etwas steril und wenig empathisch.

Der Klang der Aufnahme ist glasklar und offen. Das Holz klingt recht präsent, das Orchester wie so oft um dem Flügel ein „bisschen“ Platz zu machen als ganzes etwas zurückgesetzt. Die Violinen klingen wenig warm und wenig weich, was auf den Rest des Orchesters eigentlich weniger zutrifft. Insgesamt klingt es ziemlich trocken. Auch der Flügel klingt nicht gerade samtig-weich, eher wenig sonor und räumlich eher klein und eng begrenzt.

 

 

4

Alexis Weissenberg

Stanislaw Skrowaczewski

Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire

EMI

1967

14:58 10:49 8:42  34:29 

Dies ist eine Aufnahme aus der Salle Wagram in Paris. Das Orchester befand sich in einem Umbruch, ein Jahr später heißt es dann schon Orchestre de Paris. Zu Beginn fällt das groß besetzte, ziemlich massiv klingende Orchester mit dem für die drei Skrowaczewski-Aufnahmen typischen prononcierten Blech auf. Leider quäken die französischen Oboen genau wie in Monte-Carlo. Gerade die Flöten klingen ungleich schöner. Man geht in Paris vor allem noch dem Maestoso nach, die revolutionären Akzente sind in Saarbrücken und München stärker zu hören. Monsieur Weissenberg spult „seinen“ Chopin ziemlich perfekt ab und wirkt dabei ebenso kühl wie sein Flügel klingt. Die Rubati wirken kalkuliert, die Agogik bisweilen gezogen. Auf uns wirkte die Art des Spiels ein wenig überspannt, nicht unbedingt willkürlich, aber doch wenig organisch. Das Orchester und sein kundiger Dirigent ziehen zügig mit und verleihen dem Orchestersatz Präsenz und Detailfülle. Zur Perfektion kann der Dirigent das Orchester nicht bewegen und klanglich muss man den damaligen französischen Holzbläserklang als Ganzes einfach mögen, um ihn gut zu finden. Andere Zeiten, andere Klänge.

Das Larghetto bekommt genug Zeit zur Entfaltung, es wirkt inniger und nuancenreicher, nicht zuletzt, weil Herr Weissenberg über die wenigen im ersten Satz gezeigten Dynamikstufen hinausgeht. Seine Triller wirken forciert. Auch in diesem Satz gelingt es dem Pianisten nicht recht die Distanz gänzlich abzubauen. Die Distanz zum Stück und die Distanz zum Zuhörer. Die Begleitung des Orchesters gefällt durch die genaue Abstimmung zum Klavier.

Beim zu vollkommenen L´art pour l´art-Spiel des Allegro vivace ist kaum eine innere Regung des Pianisten spürbar. Vielleicht spielt er auch nur zu intellektuell? Das Fagott hat beträchtliche Intonationsprobleme. Das Miteinander erfolgt reibungslos.

Beim Klang der Aufnahme finden sich ausgeprägte, im Übrigen recht hallige Stereoeffekte. Die Stereobühne wird in der Breite gut genutzt, die Transparenz bleibt trotzdem eher gering. Das Holz kommt wieder einmal aus weiter Ferne, wobei uns nicht bekannt ist, dass die Einspielung einmal zur quadrophonen Verwendung vorgesehen war. Der Flügel klingt ohne jede Wärme, fast so, als ob nicht nur die Saiten aus Metall gefertigt wären, sondern auch der Korpus (was selbstverständlich nicht der Fall war). Die Aufnahme klingt aber immer noch besser als das damalige CBS-Konkurrenzprodukt mit André Watts und Thomas Schippers.

 

 

 

 

3-4

Emanuel Ax

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

RCA

1980

14:54 9:17 8:42  32:53 

Eugene Ormandys Tempo ist gegenüber der 68er Einspielung mit Artur Rubinstein langsamer und im Gestus behäbiger geworden. Die Akzente wirken schwach, der Bass plump. Emanuel Ax, 1970 mit 21 Jahren in Warschau beim Chopin-Wettbewerb dabei und immerhin bis in die Finalrunde vorgedrungen und da „weiterer Preisträger“ geworden (das wird man, wenn man den 6. Platz nicht erreicht hat), ist nun mit 31 der kraftvolle „Tastenlöwe“, der mit souveräner Legato-Kultur, geschmeidigem Anschlag, filigran arbeitender rechten Hand und vollmundigem Klang auffällt, Das Orchester klingt auch in den Zwischenspielen breit und gibt wenig Impulse. Sein Klang neigt zum Mulmigen. Beim Pianisten und Orchester wären etwas mehr Schwung und Schubkraft, auch in der Zusammenarbeit wünschenswert.

Im Larghetto rückt das Orchester weit in den Hintergrund und es klingt nun ziemlich aufgebläht und „bassgeschwängert“. Der Klavierklang wirkt deutlich heller als in der Live-Aufnahme der BR in München. 1980 spürt man bei Herrn Ax noch keine Annäherung an den später ebenfalls voll akzeptierten Klang des Érard (wie man es in München meint zu entdecken). Auch der Flügel wirkt bassstark, wenn einmal laute, tiefe Töne bemüht werden.

Den dritten Satz spielen Ax und Ormandy noch langsamer als Ax und Bychkov in München, aber vielleicht ein wenig pointierter. Immer mehr melancholisch als tänzerisch durchtränkt. Das f-Moll-Konzert klingt hier nach dem Werk eines reifen Komponisten, vom Jugendwerk hören wir eher wenig. Rubinstein/Ormandy bleibt die erste Wahl, wenn es eine Einspielung aus Philadelphia sein soll.

Das Orchester klingt 1980 keinesfalls besser als 1968, die Violinen sogar grobfaseriger, den Steinway hat man weiter zurückgesetzt als den Flügel von Herrn Rubinstein und zudem viel kleiner abgebildet. Er klingt bei Ax im Diskant viel kühler als bei Rubinstein oder als bei Ax selbst in München. Mitunter sogar ein bisschen schrill. Live klingt Ax nicht so (ganz im Gegenteil), das sind Artefakte der sehr frühen Digitalaufnahme. Klavier und Orchester sind wenig brillant eingefangen. Das Holz ist wie meist entfernt abgebildet, mit einem leicht sterilen-synthetischen Klang. Manchmal kommen sie uns jedoch einfach auch mal näher. Der Klang des Flügels ist noch eher zufriedenstellend als der des Orchesters. Er lässt sehr viele Wünsche offen.

 

 

3-4

Támas Vásáry

János Kulka

Berliner Philharmoniker

DG

1963

14:55 9:38 8:40  33:13 

Bei der ersten Einspielung des ungarischen Pianisten und später auch Dirigenten Támas Vásáry war er 30 Jahre jung. Es standen ihm dabei sogar die Berliner Philharmoniker zur Verfügung, obwohl die bereits ein Jahr zuvor mit Stefan Askenase und Leopold Ludwig für das Werk aktiv waren. Leider enttäuscht bei dieser 63er Einspielung, wie 62 in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem entstanden, gerade das Orchester. Der Pianist überzeugt viel mehr.

Die schlechte Homogenität der Streicher zu Beginn ließ uns sogar zusammenzucken, die wäre doch leicht zu korrigieren gewesen. Im weiteren Verlauf klangen die Philharmoniker selten so unmotiviert und ja, jetzt ist es raus: zweitklassig wie hier. Da war das 1962 mit Leopold Ludwig ein ganz anderer Auftritt. Vielleicht lag es auch am Dirigenten, denn das e-Moll-Konzert mit Vasary hat man dann etwas später mit Jerzy Semkov als Dirigenten eingespielt. Denn auch die Zwischenspiele klingen lahm und schleppend, der Dirigent, damals hauptberuflich als Kapellmeister an der Hamburgischen Staatsoper tätig, bringt denkbar wenig Initiative mit ein oder er wurde vom Orchester wenig unterstützt. Soll ja vorkommen. Die Höhepunkte wirken kaum ausgespielt. Der Pianist hingegen bringt einen sauberen, brillanten Anschlag mit und seine Phrasierung wirkt recht anmutig. Das Legato hört man bei anderen noch etwas dichter und mit noch inniger verbundenen Tönen.

Das Larghetto gefällt besser, da das Zusammenspiel besser harmoniert und Herr Vásáry seinen Flügel, gerade im „Recitativo“, nicht schont. Die Läufe perlen wunderbar und sein Spiel wirkt ziemlich frei. Dennoch wirkt der Vortrag wenig emotional, vielleicht auch wegen der dieses Mal weniger „warm“ wirkenden Akustik. Wir hörten allerdings ein Japan-CD, die vielleicht anders abgestimmt ist, als eine deutsche. Wir hatten leider keinen anderen Tonträger zum Vergleich zur Hand.

Im Allegro vivace spielt der junge Herr Vásáry spielerisch leicht und brillant, auch das Orchester überzeugt nun mehr, weiß dem Satz aber keine Glanzlichter aufzusetzen. Das „Signalhorn“ spielt ansatzweise ein Echo. Der Satz geht ziemlich glatt durch, wobei der Pianist immer noch inspirierter erscheint als die Orchesterleitung und das Orchester selbst. Da wird nur Dienst nach Vorschrift abgeleistet und das ist eine Enttäuschung.

Das Orchester klingt wieder einmal ein wenig weit entfernt, da konnten wir uns im Verlauf unseres Vergleiches dran gewöhnen. Im Tutti zu Beginn wirkt es noch ziemlich diffus, wobei die Holzbläsersoli noch recht deutlich wirken. Die Violinen klingen wenig warm und irgendwie schmalbrüstig. Irgendwie hat die Aufnahmetechnik den Orchesterpart (ob seiner vermeintlich geringen Qualität) nicht gerade auf Rosen gebettet. Das Klavier hat mehr Aufmerksamkeit erfahren und klingt immerhin brillant, wenn auch etwas hart und kühl, aber nicht metallisch. Insgesamt wirkt die Aufnahme hallig, sodass die Durchhörbarkeit leidet. Da hätte das Kirchenschiff in Dahlem besser bedämpft werden sollen. Es sind aus diesem Aufnahmeraum viele hervorragende Aufnahmen dokumentiert, dieses Mal haben die renommierten DG-Techniker keine Glanzleistung abgeliefert.

 

 

3-4

Lang Lang

Zubin Mehta

Wiener Philharmoniker

DG

2008

14:15 9:40 8:45  32:40 

Bei dieser Aufnahme im Wiener Musikvereinssaal war der junge chinesische Pianist 26 Jahre jung. Von spektakulären Wettbewerbsteilnahmen ist uns nichts bekannt, auch in Warschau beim Chopin-Wettbewerb scheint er nicht teilgenommen zu haben. Eine Weltkarriere ist also auch ohne Stress in Warschau, Moskau, Leeds, Tel Aviv oder Brüssel möglich.

Zubin Mehta lässt die Orchestereinleitung recht zügig spielen. Leider wirkt sie ziemlich einförmig und spannungslos abgespult, dass ein hervorragend klingendes Orchester spielt, ist dennoch jederzeit zu hören. Aber es wird kaum gefordert, Akzente bleiben rar. Beim Klavierpart geht es ziemlich glatt durch, da Lang Lang kaum mit einer flexiblen Agogik arbeitet. Die verdeckte Polyphonie Chopins findet kaum Beachtung, hier wird immer nur eine Stimme gesungen. Lang Langs Anschlag wirkt etwas straffer, sein Klang etwas brillanter als der Murray Perahias in der ersten Einspielung mit Zubin Mehta. Beides könnte allerdings auch von der neueren Klangtechnik verstärkt worden sein. Mitunter phrasiert Lang Lang übertrieben deutlich, gar didaktisch, manchmal allerdings auch stromlinierförmig-sportlich. Seine Technik macht es Lang Lang möglich alle technischen Klippen widerstandslos zu durchqueren. In unser Herz konnte er sich damit nicht spielen, dazu fehlen einfach die Nuancen, wie sie bei anderen nun einmal hörbar sind. Sie zeugen letztlich von einem tieferen Werk-Verständnis. Die orchestralen Zwischenspiele klingen erheblich brillanter als beim Israel Philharmonic in Mehtas erster Aufnahme und noch mehr auf die repräsentative Funktion des Satzes reduziert. Es ist zwar alles da, auch die Bläser sind gut hörbar und es wird auch in den passenden Zusammenhang gesetzt, aber man passt sich doch irgendwie dem widerstandslosen Impetus des Pianisten an. Klanglich und solistisch allerdings prima.

Im Larghetto, das erneut vom klaren, geradezu makellos sauberen Spiel zeugt, fällt der monochrome Anschlag noch mehr ins Gewicht. Man hört fast nur die reine Technik, es fehlt die feine Ansprache der Gefühlswelt und die Herzenswärme, die sich nicht nur über einen warmen Klang, sondern besonders über eine feine Nuancierungskunst offenbart. Bei Lang Lang klingt auch das „Recitativo“ erstaunlich harmlos. Gerade wenn man schon einige hoch erregte Versionen gehört hat, hört sich Lang Langs Version schon fast belanglos, allerdings bravourös-belanglos an.

Das Allegro vivace wirkt pianistisch seltsamerweise nicht ganz so perfekt wie die beiden Sätze zuvor. Das Tänzerische macht einen eher abgezirkelt-artifiziellen Eindruck, also eher sublimiert und weniger volkstümlich. Das ist immer eine kleine Gradwanderung, was man stärker betonen möchte. Dennoch empfinden wir diesen Satz als den gelungensten in Lang Langs Einspielung, denn er wird recht differenziert dargeboten und wirkt packender. Auch das Orchester mit seinen erstklassigen Solisten darf sich hier von seiner temperamentvolleren Seite zeigen. Das wirkt delikat und auch das Wiener Horn mit seinen beiden Signalen gefällt sehr gut.

Der Klang der Aufnahme wirkt erheblich plastischer und farbiger als in Mehtas erster Einspielung mit dem Israel Philharmonic Orchestra. Die Wiener klingen sehr schön brillant. Eine gewisse Halligkeit verbleibt dem Klang, sie stört aber nicht weiter. Der Flügel wir sehr präsent und groß vor die Hörerschaft gesetzt, man soll auf keinen Fall vergessen, wer hier der Star ist. Er klingt wie das Orchester ziemlich luxuriös. Der Klang der Aufnahme hätte durchaus eine Referenzaufnahme erlaubt.

 

 

3-4

Stefan Askenase

Leopold Ludwig

Berliner Philharmoniker

DG

1962

15:44 10:07 8:59  34:51 

Stefan Askenase war ein bekannter und geschätzter Chopin-Interpret seiner Zeit. Als Lehrer genoss er ebenfalls einen sehr guten Ruf, so suchten ihn unter vielen anderen auch Martha Argerich und Mitsuko Uchida auf. Das f-Moll-Konzert hatte Herr Askenase bereits in den frühen 50er Jahren (1953?) ebenfalls für die DG und mit den Philharmonikern, damals noch unter Fritz Lehmann eingespielt. Diese Mono-Aufnahme lag uns leider nicht vor. Es ist zu vermuten, dass sie zumindest etwas vitaler ausgefallen sein könnte. 1962 im Alter von 66 Jahren betont der Pianist eine gewisse Nähe der Komposition zum Klassizismus, jedenfalls ist er wie kein zweiter der oberflächlichen Bravour gegenüber abgeneigt. Ob er die Blütezeit seiner Virtuosität schon hinter sich hatte, oder ob er mit voller Absicht jeden Glamour, mit der man Chopin doch zumindest einmal oberflächlich betrachtet landläufig verbindet, wollen wir mal offenlassen.

Langsam und fast unentschlossen (oder suchend) beginnt Leopold Ludwig die Orchestereinleitung. Man könnte auch meinen: behäbig. Immerhin und das im Gegensatz zur ein Jahr später entstandenen Einspielung unter Janos Kulka sauber und klangschon gespielt und mit dem weichen und samtenen Sound versehen, den man damals mit dem Karajan-Orchester verband. An T. 35 kommt es nochmals zu einer Verlangsamung. Auffallend ist die geringe dynamische Differenzierung. Man setzt sich dezidiert über die Metronom-Angaben der Partitur hinweg, was in den 60er Jahren aber in Mode kam. Das führte durchaus, wenn man den Blickwinkel der 30er bis 50er Jahre einnimmt zu einer gewissen Sentimentalisierung. Im weiteren Verlauf begleiten die Philharmoniker ihren Solisten ziemlich hautnah und spielen ziemlich emphatisch „ihren“ Chopin. Askenases Spiel wirkt entsprechend besinnlich oder im Vergleich durchaus betulich, jedoch stets mit einer bestechenden Klarheit in Artikulation und Anschlag. Spannung wird dabei kaum erzeugt, der lyrische Charakter erhält so ein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt keinen Zug ins Dramatische. Mitunter scheinen die Interpreten so langsam zu werden, dass man fast schon einen Stillstand befürchtet. Mitunter lässt Askenase dem Orchester den Vorrang auch an Stellen die landläufig nicht dafür vorgesehen scheinen, so sehr nimmt er sich zurück. Bei der Artikulation sind Melodie und Verzierung nicht immer genau zu unterscheiden. Auffallend am Klang des Flügels ist, dass er trotz des reduzierten Tempos immer noch leicht und anmutig klingt, was übrigens auch für das Spiel des Orchesters gilt.

Das Larghetto wirkt langsam, gar langatmig und ziemlich statisch. Aus dem Rhythmus wir keinerlei Spannung gewonnen. Im „Recitativo“ verliert die Darbietung dann allerdings ihren flauen Charakter ein wenig, richtig durchdringend oder gar aufrüttelnd wirkt sie jedoch immer noch nicht.  Auch wenn die Philharmoniker ihr schönstes Tremolo dazu zaubern. Diese Darstellung ist ideal zum Mitlesen der Partitur geeignet. Sehr schönes Fagott-Solo ab T. 81. Zu einem innigen Untermalen durch das Klavier kommt es währenddessen jedoch nicht.

Das Allegro vivace wirkt weder Allegro noch vivace. Eher gebremst bis träge. Aber sehr klangschön. Aus dem drangvollen Jugendwerk wirdt leider eine Alte-Herren-Musik. Da fehlen einfach Energie und Lebensfreude, die diesen Satz sonst auszeichnen. Die Übergänge klingen meisterlich.

Der Klang der Aufnahme hat das Niveau der DG-Aufnahmen jener Zeit. Das Orchester klingt besser als mit Janos Kulka, aber auch besser als in der 48 Jahre jüngeren Aufnahme mit Barenboim (ebenfalls DG, da war es allerdings die Staatskapelle), was übrigens auch für den Klavierklang gilt. Für Fortschrittsgläubigkeit gibt es in der Aufnahmetechnik klassischer Musik kaum einen Grund. Es gibt einfach zu viele Gegenbeispiele. 1962 klingt es bereits weich und rund, klar bei guter Balance von Flügel und Orchester, farbig und brillant.

 

 

3-4

Istvan Szekely

Gyula Nemeth

Budapester Sinfonieorchster

1988

Naxos

13:58 8:56 8:03  30:57 

Das Orchester nimmt in dieser Einspielung die von je her ausgeübte Rolle ein, d.h. den Solisten zu untermalen, zu stützen und ab und an einmal einen Impuls zu geben. Es ist wie zu allermeist kein richtiger Partner. Isvan Szekely ist ein guter Pianist, der die Anforderungen, die das Konzert stellt mit Leichtigkeit, ja mit Bravour meistert. Die lyrischen Passagen erklingen mit einer gewissen Wärme, bei den vielen Läufen wird erfolgreich Monotonie vermieden. Es wird stilistisch stimmig musiziert. Der typische, flaue Naxos-Klang der Frühzeit des Labels kann dem Flügel und dem Orchester jedoch vor allem nicht die gebührende Brillanz zur Verfügung stellen. Herr Szekely spielt sie, man hört sie aber nicht richtig.

Das Tempo im Larghetto empfinden wir als passend. Der ungarische Pianist spielt gefühlvoll und mit hoher Expressivität, mit makelloser Technik sowieso. In einer weniger bescheidenen und begrenzenden Aufnahmequalität wäre dies eine auffallend gute und schön klingende Darstellung des Larghetto geworden. Sie ist ein besonders gutes Beispiel wie die Klangqualität einer Aufnahme negativ in die Rezeption von Musik einwirken kann.

Im Allegro vivace entsteht eine schöne Atmosphäre, die mangelnde Stimmentransparenz schränkt das Vergnügen daran jedoch merklich ein. So wird eine ausgezeichnet gespielte Interpretation in einer „grauen Verpackung“ verborgen, wie übrigens auch in der Einspielung mit Idil Biret, die jedoch noch mehr von der Technik in Mitleidenschaft gezogen wird. Die ungarische Version hat der Version mit der türkischen Pianistin noch den entschieden wärmeren und angenehmeren Klang voraus und leidet nicht ganz so sehr wie die Aufnahme Idil Birets, die klingt wie in einer riesigen leeren Bahnhofshalle.

Hier klingt das Orchester fast mulmig und wie so oft zurückgesetzt. Die Violinen, glücklicherweise weich und rund klingend, dominieren immer den Gesamtklang etwas zu sehr. Der Flügel erklingt nur etwas präsenter, das Blech sogar ganz gut, das Holz jedoch nur bei seinen Soli. Insgesamt ein unscheinbares, distanziertes und distanzierendes, dumpfes Klangbild mit schwach ausgeprägter Dynamik. Das ist viel zu wenig angesichts des allerdings nur mit überaus „gespitzten“ Ohren hörbaren vorzüglichen Spiels Istvan Szekelys.

 

 

3-4

Jean-Yves Thibaudet

Valery Gergiev

Rotterdamer Philharmoniker

Decca

1999

14:22 9:48 8:08  32:18 

1999 war der 150. Todestag Chopins. Zahlreiche Aufnahmen sind daher in den Jahren um dieses Datum entstanden (Argerich II, Zimerman II, Leonskaja, Dûchable, Giacometti und jetzt Thibaudet). Das Orchester, das wenig an Feinschliff interessiert zu sein scheint, ist betont kraftvoll unterwegs. Der Pianist, fast ganz alleine für den Feinschliff zuständig, phrasiert sorgfältig, bietet beste Geläufigkeit und einen schönen Klang, der Weichheit mit Rundung mit einem angenehmen Maß an Straffheit im Anschlag verbindet. Ein hartes Forte hört man von Herrn Thibaudet nicht. Dennoch waren wir vom passagenweise monotonen Spiel überrascht und besonders gelungene Einfälle sind uns nicht aufgefallen. Generell schien der Pianist dem f und ff stärker zugewandt als die Partitur es will.

Auffallend beim Larghetto ist die betont schwere linke Hand. Den relativ geringen dynamischen Kontrasten begegnen wir in diesem Satz erneut, das wirkt bei diesem Pianisten unerwartet einheitlich, denn wir hätten einen größeren Nuancenreichtum erwartet. Orchester und Pianist sind nicht immer ganz präzise zusammen (z.B. ab T. 81 Flügel und Fagott).

Das Allegro vivace erklingt nicht unelegant, aber erneut weniger differenziert und im Ausdruck alles mehr oder weniger einheitlich brillant. Der Orchesterpart klingt zwar gut, weil das Aufnahmeteam seine Arbeit gut erledigt, aber er war schon erheblich liebevoller gestaltet und präziser ausgearbeitet zu hören. So einfach erscheint es gar nicht, zumindest dieser Einspielung nach zu urteilen, den doch so einfach gestrickten Orchesterpart vollauf zur Geltung zu bringen. Entweder man hat ihn von Seiten der Orchesterleitung (Gergiev) unterschätzt oder war nur unterprobt zur Stelle. Ein Chopin von Herzen hört sich anders an.

Der Klang der Aufnahme zeigt einen guten, weich gerundeten Orchesterklang. Der Klang des Klavieres ist sonor und brillant. Der Flügel wird gegenüber dem Orchester deutlich vorgezogen. Der Gesamtklang ist präsent, farbig und brillant. Gerne hätte man den sorgfältigen, gewissenhaften Ungarn um Istvan Szekely den frischen, farbigen, gut sortierten und offenen Decca-Klang zur Verfügung gestellt und Herrn Gergiev den lauen Naxos-Klang. Das hätte besser zusammengepasst.

 

 

3-4

Paolo Giacometti

Arie van Beeck

Rotterdam Young Philharmonic Orchestra

Brilliant Classics

1998

13:48 10:07 8:23  32:18 

Das Orchester ist ein Gemeinschaftsprojekt aus Rotterdamer Philharmonikern und Rotterdamer Konservatorium. Wie der Anteil aus Profis und Studenten im Orchester war, können wir nicht sagen, Arie van Beeck und das teilweise junge Orchester bringen in jedem Fall mehr Begeisterung mit als die Philharmoniker alleine unter ihrem Chef Gergiev ein Jahr später. Das merkt man sogleich an der Orchestereinleitung, ein flottes Maestoso mit exponierten Bläsern (auch die Hörner sind akustisch zur Stelle). Der Pianist hingegen wirkt nicht sonderlich poetisch, sondern er perl sich nur locker durch seinen Klavierpart. Prosaisch sozusagen, nicht grob, aber auch nicht nuancenreich. Vor allem die Dynamik hätte einer genaueren Beachtung bedurft. Sein Anschlag wirkt ziemlich weich kontriert, die Technik solide und gut geölt. Die schnellen Figuren und Skalen kommen mitunter ein wenig nebulös bei uns Hörern und Hörerinnen an.

Im Larghetto lässt man sich viel Zeit, der Anschlag wirkt jetzt leicht und zart im Klang gedeckt. Die von Chopin gesetzten Möglichkeiten im „Recitativo“ werden nicht ganz ausgeschöpft, besonders was das Espressivo angeht. Die lyrischen Passagen liegen dem Pianisten anscheinend viel besser, da perlen die Töne wunderbar. Das Orchester bleibt jederzeit weit im Hintergrund. Da darf man dann schon sagen: zu uneitel.

Das Allegro vivace klingt verspielt und geschmeidig mit insgesamt wenig Drang nach vorne. Die ganze Einspielung erschien uns wenig aufregend. Aber im Gegensatz zu Thibaudet und Gergiev haben wir von dieser Rotterdamer Einspielung und ihrem geringen Kaufpreis nicht mehr erwartet.

 

 

3-4

Eldar Nebolsin

Antoni Wit

Warschauer Philharmoniker

Naxos

2009

13:56 8:05 8:32  30:33 

Im Maestoso hören wir einen unaufgeregten, souverän agierenden 35jährigen Pianisten mit guten dynamischen Abstufungen, dessen Vortrag trotz Verwendung von Agogik und Rubato insgesamt zu mechanisch wirkt. Beides darf jedoch nicht nur verwendet werden, sondern muss gleichsam zu einer immanenten Musizierhaltung werden und darf nicht aufgesetzt wirken oder ein Privileg der lyrischen Abschnitte oder der schmachtenden langsamen Sätze sein.

Dieser Sachverhalt, oder besser fehlende Sachverhalt zeigt sich auch im Larghetto, das zwar zügig und fließend gespielt wird, aber die Poesie zwischen den Noten nicht erzählt. Man hört nur die Noten. Das Orchester gefällt unter dem damaligen Chef sehr gut (man kennt das Werk von zahllosen Proben und Aufführungen), besser als der Solist. Das „Recitativo“ bleibt ziemlich zahm. Insgesamt wirkt der Satz ein wenig zu schnell, was oft Intensität kostet, das haben viele andere Einspielungen ebenso gezeigt.

Im Allegro vivace wird stimmiger zusammen musiziert. Der Gestus ist tänzerisch und nostalgisch. Er klingt brillant und ziemlich spannend, wenn auch nicht wirklich überraschend.

Der Klang ist der weitaus beste unter den Einspielungen von Naxos. Er wirkt voll, farbig, warm und räumlich. Das Orchester wurde gut gestaffelt und agiert als gleichberechtigter Partner zum in gut balancierter Lautstärke aufgenommenen brillanten, voll klingenden Flügel. Trotzdem erscheint es so, als würden Flügel und Orchester wie in zwei Räumen spielen. Dieses Mal wirkt die Warschauer Philharmonie nicht so hallig. Insgesamt fehlt es jedoch ein wenig an „anmachender“ Präsenz. Im ff wird der Klang ein wenig massiv. Der beste Klang aus der Warschauer Philharmonie, das ist ein klarer Fall, hören wir jedoch in der Einspielung mit Yundi auf Warner. Von der Naxos-Aufnahme gab oder gibt es immer noch eine Blu-Ray, die den Klang im Multi-Channel-Modus besser auffächert. In Sachen Präsenz kann sie nicht viel zulegen, aber das Klavier hebt sich noch besser vom Orchester ab und es kommt zu keinerlei Überdeckungen Flügel/Orchester mehr.

 

 

3-4

André Watts

Thomas Schippers

New York Philharmonic

CBS-Sony

1965

14:19 9:46 8:16  32:21 

Der Schüler u.a. von Leon Fleisher war bei dieser Einspielung im Manhattan Center 21 Jahre jung. Das Orchester spielt in der Orchestereinleitung jugendlich und ziemlich ungestüm auf, kein Wunder, denn Thomas Schippers war gerade mal 35. Der junge Herr Watts spielt etwas robust und plakativ und eher mit wenig Feingefühl. Es fehlt an artikulatorischer und klanglicher Flexibilität. Er und das Orchester leiden jedoch beide deutlich am miesen und harten Klang der CBS-Aufnahme. Da hat man bei CBS schon vieles deutlich besser produziert.

Im Larghetto steuert das Orchester nur dünne, harsche Streicherklänge bei und bietet so dem nun besser nuancierenden, technisch versierten André Watts wenig Unterstützung. Atmosphärisch wird dieser Satz stark durch den schon 1965 unzeitgemäßen Klang eingeschränkt. Schade um das Larghetto. Flügel und Orchester finden gar nicht so richtig zusammen.

Im Allegro vivace wird der Flügel nun größer abgebildet und das Orchester passt nun besser dazu als in den vorherigen Sätzen. Es geht recht flott und rhythmisch vorwärts, an den entscheidenden Feinheiten mangelt es noch immer.

Dies ist jedoch vor allem eine aufnahmetechnisch misslungene Einspielung, noch mehr als musikalisch.  Flügel und Orchester scheinen nicht im gleichen Raum zu spielen, der Flügel wird nah mikrofoniert, das Orchester mit viel Distanz. Als Ganzes wirkt der Klang nicht frei, wenig räumlich, ja eng und wenig warm, wenig transparent, t

 

 

3-4

Alexander Madzar

Dmitri Kitaenko

Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (heute: HR- Sinfonieorchester)

BMG

1992

14:45 9:26 8:58  33:04 

Bei der Aufnahme in Frankfurt war der Pianist 24 Jahr jung. Drei Jahre später stellte er sich noch dem Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau und schied bereits in der ersten Runde aus. Bei anderen Wettbewerben klappte es besser. Heute hat der Pianist eine Klavier-Professur in Hamburg inne.

Das Orchester unter seinem damaligen Chef spielt sehr sorgfältig und mit einem trotz der wieder einmal deutlichen Distanzierung klaren und weichen Klang. Das Tempo ist recht langsam. Der Pianist pflegt eine sowohl nachdenklich als auch reserviert wirkende Herangehensweise. Sein bestechend klares Spiel wirkt wenig jugendlich, zwar mit einer poetischen, aber uns nicht unmittelbar treffende Geste. Ein Chopin bereits im mittleren, gesetzteren Alter? Auch vom Orchester geht keinerlei Forcieren in Tempo oder Emotionalität aus, da ist man sich einig. Mitunter hat man sogar das Gefühl, dass man auf der Stelle tritt, obwohl die leiseren Passagen schön ausmodelliert werden. Es fehlt einfach der gewisse Drang und die gewisse Dringlichkeit.

Auch im Larghetto wirkt der Gestus sehr zurückhaltend., fast erschöpft. Im „Recitativo“ kann der respektable Kraftaufwand des Pianisten und des Orchesters von der Technik nur unzureichend vermittelt werden.

Der dritte Satz wirkt für ein Allegro vivace zu schwer und zu schwerfällig von Kitajenko begonnen. Das lässt jedoch nach und man gibt sich dem Stück mit höchster Sorgfalt hin, als ob man ein kostbares Schmuckstück zu pflegen hätte. Die schnellen Verzierungen werden ausziseliert und man sucht das schöne Wechselspiel mit dem Partner immer wo es möglich ist. Das klingt sehr schön und freundlich, gelassen und entspannend und dadurch wohltuend. Akzente werden weitgehend beiseitegelassen. War das von Chopin so gedacht? Da wühlt nichts auf, zurückhaltende Eleganz überwiegt bei weitem. Trotzdem ist der letzte Satz der beste.

Der Klang der Aufnahme ist offen, räumlich weit und sehr gut aufgefächert. Es gibt klare Holzbläsersoli, wenn auch wenig präsent. Der Flügel wird weit ins Orchester eingebettet, ist jedoch gut heraushörbar, obwohl ebenfalls etwas entfernt. Da wären eine höhere Präsenz und eine bessere Konturierung wünschenswert.

 

 

3-4

Mari Kodama

Kent Nagano

Russian National Orchestra

Pentatone

2003

14:02 9:07 8:33  31:42 

Diese Einspielung mit der damals 36jährigen Pianistin entstand in der Konzerthalle des Moskauer Konservatoriums. Das russische Orchester (von Mikhail Pletnev gegründet) spielt eine ein wenig soft, aber sehr gut abgestufte Orchestereinleitung mit plastischem Holzbläsereinsatz. Das Blech bekommt man hingegen kaum zu hören. Der Flügel von Frau Kodama (übrigens der Ehefrau des Dirigenten) erklingt weich gerundet und farbig. Ihr Spiel wirkt schwärmerisch und sie hat wie bereits bei der anderen Pentatone-Solistin Sa Chen keinerlei Probleme mit den virtuosen Verzierungen, wohl aber mit den dynamischen Kontrasten, die nahezu eingeebnet wirken. Dem Spiel der Japanerin geht die kraftvolle Attacke weitgehend ab. Die Figurationen plätschern bisweilen nur kultiviert dahin, ohne den Sturm und Drang, den andere hörbar machen. Das Zusammenspiel mit dem Orchester findet auf hohem Niveau statt.

Im Larghetto hören wir viel schönen Klang, wenig Agogik und wenig Dringlichkeit. Das gute Orchester trägt den Flügel mitsamt der Pianistin klanglich geradezu auf Händen. Das „Recitativo“ bleibt sehr zurückhaltend wirkt viel eher ausgezählt als „improvisiert“. Es gibt kein emotionales Aufwallen. Somit wirkt es blass und insgesamt betulich, zerfließt sozusagen in Sanftmut.

Erst im Allegro vivace erleben wir die Pianistin etwas dynamischer, auch das Orchester zeigt passend nun mehr Vitalität. Das Tänzerische wird jedoch nur angedeutet und wirkt eher bemüht als pointiert. Es beleibt der weitgehend immer gleiche weich perlende Klang des Flügels, der uns geradezu einzulullen droht. Es wird meist deutlich phrasiert. Das Echo beim Horn wird übertrieben, es kommt nun räumlich getrennt von zwei Seiten. In der Partitur wird es nur vom Solohorn gespielt und eine Echoandeutung findet man auch nicht. Zweifellos wurde sie von Chopin oder seinem Instrumentator jedoch mitgedacht. Diese Einspielung kann man insgesamt höchstens als gefällig bezeichnen.

Die Aufnahme klingt noch etwas transparenter als die fünf Jahre später in Lissabon entstandene Pentatone-Einspielung mit Sa Chen. Die Balance zwischen Flügel und Orchester ist ausgezeichnet. Der Klang von beidem ist besonders weich und abgerundet, die Dynamik nur schwach ausgeprägt. Der Weichzeichner im Spiel der Pianistin findet sich so in der Aufnahmequalität wieder.

 

 

3-4

Maria Joao Pires

Armin Jordan

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Erato

1977

14:57 9:23 8:58  33:18 

Die 33jährige Portugiesin nahm ihre erste Einspielung des f-Moll-Konzertes in der Oper Monte-Carlos vor. Sie ist in jeder Hinsicht matter als die zweite.

Die Orchestereinleitung wirkt zwar recht gefühlvoll, aber auch etwas schwerfällig. Da wird mehr Eleganz als Esprit verströmt. Kämpferische oder gar revolutionäre Akzente werden nicht gesetzt. Frau Pires spielt viel vorsichtiger als 1992 in London, als ob es ihr noch an Selbstbewusstsein fehlen würde. Es klingt zwar schon recht locker und duftig aber noch ohne den späteren Farbenreichtum. Melodik und Ornamentik verbleiben in vornehmer Blässe. Es gibt kaum Dynamikunterschiede und der Vortrag wirkt akzentarm. Er plätschert mitunter geradezu dahin. Spannung wird kaum aufgebaut. Es klingt alles salonhaft-weich, einen Platz für das majestätische Nationalgefühl, das Chopin ebenfalls wichtig war und das in anderen Aufnahmen (vornehmlich polnischer Provenienz) aufleuchtet, hat man in dieser Interpretation nicht gefunden.

Das Larghetto ist durch und durch mit Sanftmut erfüllt. Dem überaus harmlos klingenden „Recitativo“ versucht die Pianistin möglichst viel Belcanto-Kantabilität mitzugeben. Auch im zweiten Satz ist ihre 92er Einspielung also erheblich plastischer und tiefgründiger geraten. Das Orchester unternimmt noch nicht einmal einen Versuch, die Saga vom kargen und schwachen Orchestersatz zu widerlegen. Man belässt es bei der Bestätigung derselben und bleibt weitgehend nicht nobel, sondern eher schwächlich im Hintergrund.

Im Allegro vivace ist das Spiel von Frau Pires manch einem Wettbewerbsgewinner vorzuziehen, wenn es um Charme oder Charisma ginge. Es wirkt aber ziemlich schüchtern. Der Tanzcharakter, verbunden mit Chopins Vaterlandsliebe (Nationalcharakter des Tanzes) kommt vor lauter Sanftmut nur auf eine weichgespülte Art zum Ausdruck. Das mag allerdings zu großen Teilen an einer schwachen Aufnahmetechnik liegen und auch Dirigent und Orchester bemühen sich wenig die Komfortzone zu verlassen und scheinen sich selbst ein wenig einzulullen.

Die französische Erato-Einspielung klingt erheblich stumpfer als die DG-Produktion 15 Jahre später. Der Flügel ist in Monte-Carlo etwas zu weit nach links gerutscht. Man hört kaum eine nennenswerte Dynamik. Der Klang wirkt weich, gesoftet und fast schon wie aufgeplüscht und fade. Insgesamt verwaschen und matt.

 

 

3-4

Bianca Sitzius

Woyciech Rajski

Polnische Kammerphilharmonie Sopot

Mediaphon

1994

12:56 9:31 7:58  30:25 

Das polnische Orchester wirkt idiomatischer als das französische zuvor und durchaus gut besetzt. Die Streicher lassen kaum zu wünschen übrig und die Bläser könnten etwas besser durchkommen, was jedoch eher der Aufnahmetechnik anzulasten wäre. So wirken sie nur als dekoratives Beiwerk und beleben wenig profiliert, dabei klingen sie richtig gut. Das Tempo würde eigentlich gut zum Maestoso passen, doch wird man das Gefühl nicht los, dass ein langsameres der Pianistin entgegengekommen wäre, dann hätte sie vielleicht mehr Nuancen in ihr Spiel einbringen können. Ihre Läufe wirken nicht immer ganz gleichmäßig, ihr Anschlag weitaus weniger prägnant als bei Zimerman, Pollini oder Argerich und weniger brillant. Der Klang ihres Flügels wirkt nicht sonderlich voll, sondern ein wenig schmalbrüstig, also mit wenig Körper. Der Flügel klingt über die Register hinweg auch nicht so ausgewogen wie gewohnt. Er lässt eine gewisse Sonorität vermissen.

Im Larghetto hat sich der Klang des Flügels naturgemäß nicht geändert, manchmal ändert man im zweiten Satz jedoch die Aufnahmedisposition. Davon ist nichts zu spüren, die Klänge könnten immer noch mehr leuchten und sonorer sein. Der Vortrag wirkt etwas geziert und weniger frei. Das „Recitativo“ hebt sich dynamisch oder im Gestus kaum vom vorherigen Teil ab. Das werden Grenzen spürbar. Ihrem Spiel fehlt zudem die Wärme der ganz Großen und sicher bespielt die Pianistin kein Spitzeninstrument.

Im Allegro vivace wird ein recht flottes Tempo vorgelegt, die Kaskaden und Skalen klingen etwas klimpernd aber mit Schwung. Die Orchester-Einwürfe sind pointiert.

Der Klang der Aufnahme wirkt etwas flach, vor allem beim Orchester. Nur wenn der Flügel mitspielt bildet sich eine gewisse Räumlichkeit aus. Pauke und Holz wirken unterbelichtet.

 

 

3-4

Arthur Moreira Lima

Witold Rowicki

Warschauer Philharmoniker

NIFC

1965, live

12:17 8:16 7:35  28:08 

Dieser Mitschnitt stammt live aus der Finalrunde des Chopin-Wettbewerbs 1965, als Martha Argerich gewann und Herr Lima, damals 25, zweiter wurde. Leider spielte Frau Argerich das e-Moll-Konzert, das sich übrigens auf der gleichen CD befindet wie das f-Moll-Konzert gespielt von Herrn Lima. Da wäre der vergleich noch interessanter gewesen. Herr Lima war nach Warschau auf weiteren Wettbewerben erfolgreich, so wurde er dritter in Leeds 1969 und dritter in Moskau 1970. Der Brasilianer ist am 30.10.2024 verstorben. Es sind nur wenige Aufnahmen von ihm veröffentlicht worden, was vielleicht daran lag, dass ihm die Gemeinnützigkeit der Musik später wichtiger wurde als den Ruhm in Konzerten zu mehren. In den letzten Jahrzehnten trat er nur noch in seiner Heimat auf.

Witold Rowicki, der übrigens zweimal Leiter der Warschauer war (1950-55 und 1958-77), verschärft das Tempo bereits in der Einleitung. Lima spielt mit großem Energieaufwand, vorantreibend und mit Leidenschaft, darin seiner argentinischen Mitbewerberin nicht unähnlich.

Auch im Larghetto hat der junge Mann, erneut bei zügigen Tempi keine hörbaren Grenzen (sonst wäre es vermutlich gar nicht bis in die Finalrunde gekommen). Flink und geschmeidig werden alle technischen Gemeinheiten gemeistert. Einige Mal trifft er jedoch kaum hörbar nicht ganz mittig auf die Taste. Ob ihn das den Sieg gekostet hat? Allerdings muss es auch ein perfekt spielender Mitbewerber gegen die sagenhafte Musikalität der Argerich äußerst schwer gehabt haben. Von der äußerlichen Präsenz der jungen Frau einmal ganz zu schweigen. In Warschau gibt es keine Blindvergleiche, d.h. die Juroren sehen die Teilnehmer immer bei ihrem Spiel. Es gibt kein Vorhang wie bei einem Probespiel für eine Orchesterstelle.

Im dritten Satz bricht sich verstärkt eine gewisse Nervosität Bahn beim jungen Brasilianer. Das gibt nochmal ein paar Verspieler. Das Orchester gefällt (man möchte fast sagen typisch für polnische Dirigenten) mit gehörigem Einsatz des Blechs. Es begleitet den Solisten sehr aufmerksam, was man gar nicht genug bewundern kann, denn man muss die zwei Konzerte zehn bis zwölf Mal hintereinander mit den Finalteilnehmern zu Gehör bringen. Rowicki nimmt die Sache sehr ernst. Da Herr Lima im dritten Satz konzentrationsmäßig und in der Treffsicherheit stark abbaut (wie sehr können wir es ihm nachfühlen!) dürfte ihn das sicher endgültig den Sieg gekostet haben. Vielleicht wäre ein gemäßigteres Tempo hilfreich gewesen. Was hätte es gebracht gegen den argentinischen Wirbelwind? Da fiel die Wahl für die Juroren nicht schwer.

Die Aufnahme erfolgte bereits in Stereo. Das Orchester klingt jedoch etwas gepresst und ein wenig pauschal, was Staffelung und Farbigkeit angeht. Das Klavier ist eindeutig die „Hauptsache“ und entsprechend präsent in Szene gesetzt und sehr gut auch in allen Details hörbar. Nur ein klein wenig in der Brillanz gekappt und die Mittellage erscheint ein bisschen dünn. In den Satzpausen gibt es ein Husteninferno zu bestaunen. Dem Klang gehe das Sonore, die substanzreiche Rundung und der verführerische Glanz neuerer Spitzenaufnahmen fast gänzlich ab. Man würde ihn auch nicht erwarten.

 

 

3-4

Allessandro de Luca

Dsansug Kachidze

Sinfonieorchester Tiflis

HDC

vor 2002

13:37 9:21 8:10  31:08 

Das Orchester der georgischen Hauptstadt wurde erst 1993 von Dsansug Kachidze gegründet. Das Aufnahmedatum konnten wir nur durch das Datum des Todes des Dirigenten etwas eingrenzen. Es wurde nirgendwo vermerkt.

Dies ist eine Einspielung die in ihrer Qualität vornehmlich von der unausgewogenen Akustik und einer ebensolchen Aufnahmetechnik beeinträchtigt wird. Dabei ist dieses Mal das Holz wunderbar deutlich zu hören, es spielt allerdings zu vibratoreich. Der Pianist spielt seine Läufe und Figuren sehr schnell. Sein Gestus ist vorantreibend, seine Tongebung wirkt kristallklar, aber auch ein wenig hart. Der Aufnahme zufolge spielt er enorm laut und deutlich, selten einmal weich, leise oder gar sanft. Bei ihm geht Deutlichkeit deutlich vor dynamischer Abstufung, sodass man häufiger mal an Alexis Weissenberg zurückdenkt. Das Orchester ist oft grob und recht undifferenziert zu hören, es fehlt ihm an Feinschliff. Die Wirkung des Satzes ist zwar kraftvoll und jugendfrisch aber auch hemdsärmelig und unkultiviert.

Im Larghetto verliert sich der durchaus virtuos aufspielende Pianist nicht in den Details. Sein Flügel mit dem weittragenden Klang verbreitet kühlen Glanz. Das „Recitativo“ wird geradezu expressiv „herausgeknallt“, wobei die Unterstützung von der den Flügel nah abbildenden Klangtechnik nicht zu unterschätzen ist. Pianist und Technik nutzen die verfügbaren Dynamikreserven jedenfalls voll aus. Demgegenüber fällt das Fagott-Solo sehr leise aus.

Im Allegro vivace dominiert der Pianist das Klangbild noch stärker als im ersten Satz. Sein Flügel klingt enorm blank poliert und brillant, aber etwas undifferenziert. Mitunter mag auch zu viel Pedal im Spiel sein, die hallige Akustik mag in dieselbe Kerbe schlagen. Der Satz wirkt burschikos, die gewohnte Eleganz muss hintenanstehen. Der Schlussakkord verhallt mindestens fünf Sekunden.

Bei dieser Aufnahme erzielte man die höchsten Lautstärken von allen gehörten Einspielungen. Ein maximal ausgereizter Aufsprechpegel macht es möglich. Der riesengroß wirkende Raum klingt enorm hallig. Dennoch wirkt das Klangbild sehr klar. Leider ist das in der Einleitung im Maestoso klar zu hörende Holz im weiteren Verlauf nicht immer gut belichtet und es wirkt seltsam körperlos. Der Flügel klingt voll, sehr präsent, groß und mächtig, sehr brillant aber auch hart und glasig. Die Balance zwischen Flügel und Orchester ist sehr stark zugunsten des Flügels verschoben. Das Orchester wirkt in den lauten Passagen nicht ganz frei und seine Präsenz ist ein wenig wechselhaft, mal ist es ziemlich weit vorne, mal ist es recht weit hinten abgebildet. Die Violinen klingen immer mal wieder rau. Das Klavier klingt insgesamt besser als das Orchester. Fazit: Eine leider ziemlich unausgewogene Angelegenheit.

 

 

 

 

3

Daniel Barenboim

Andris Nelsons

Staatskapelle Berlin

DG

2010, live

14:07 8:50 8:40  31:37 

Dies ist eine Einspielung, die anlässlich des 200. Geburtstages des Komponisten im Rahmen des Ruhr-Klavier-Festivals 2010 in der Essener Philharmonie stattgefunden hat. Es ist unseres Wissens die einzige Einspielung des f-Moll-Konzertes mit Daniel Barenboim.

Das Orchester bietet nichts Neues in der Einleitung vor dem ersten Einsatz des Flügels. Es bietet gutes Niveau, scheint die Anfahrt aus Berlin aber nicht gut überstanden zu haben. Der Enthusiasmus scheint auf der Strecke geblieben zu sein. Und besondere Klangschönheiten bietet es ebenfalls nicht. Daniel Barenboims Anschlag wirkt nun nicht ganz so teigig, wie wir ihn zuvor schon erlebt haben, schnell, klar, gut fokussiert oder gar brillant möchte man ihn aber nicht nennen. Nicht alle Ornamente sind rhythmisch ganz exakt, manche wirken überhastet oder verschliffen. Die große Linie ist Herrn Barenboim wichtiger als Nuancierungen nachzugehen, dazu scheint ihm die Zeit zu fehlen. Spielanweisungen wie con anima, poco ritardando, piu stretto, con forza oder risoluto werden nicht konsequent berücksichtigt und finden oft überhaupt keinen Niederschlag in Spielweise, Gestus oder Klang. Manchmal werden die Höhepunkte gehämmert, ansonsten herrscht „Einheitsforte“ vor. Detailfinesse findet man kaum. Markante Details sind Mangelware, Eleganz stellt sich kaum ein. Das Orchester bleibt ebenfalls pauschal und wenn man sich die zahlreichen Einspielungen des Konzertes bei der DG ansieht, bleibt zumindest beim Maestoso im internen Ranking nur der letzte Platz.

Im Larghetto wird es etwas besser. Man bemerkt eine gute Harmonie zwischen dem Solisten und dem Orchester, man geht durchaus spürbar aufeinander ein. Klanglich vermisst man freilich immer noch die Brillanz, man höre sich kurz eine Passage einer Einspielung mit Herrn Zimerman an und man versteht sofort was gemeint ist. Auch gegenüber Arrau, Argerich, Rubinstein oder Frau Bachauer. Auch im „Recitativo“ bleibt der Ton matt, glanzlos, das Spiel bemüht und nicht richtig frei.

Das Spiel bleibt auch im dritten Satz sämig und das Klangbild für so eine neue Aufnahme so wenig differenziert. In Sachen Anschlag scheint die Qualität der bereits früher vernommenen Teigigkeit nun doch wieder erreicht. Das Horn spielt sein Signalmotiv bei der Wiederholung schneller als beim ersten Mal, da musste es nachspringen. Auf diese Einspielung hätte man besser verzichtet. Der damals noch äußerst vielbeschäftigte Daniel Barenboim wollte anscheinend aber auch seine Auseinandersetzung mit dem f-Moll-Konzert für die Nachwelt dokumentiert sehen. Damit hat er sich einen Bärendienst erwiesen.

Die Klangqualität der Live-Aufnahme lässt sehr zu wünschen übrig und markiert einen Tiefpunkt in der Aufnahmehistorie der DG was das f-Moll-Konzert angeht. Das gilt zumindest einmal für die zahlreichen Aufnahmen, die wir für den Vergleich gehört haben.  Sie rauscht zwar weniger als die 64er von Gina Bachauer, aber ansonsten wird sie von der 56 Jahre älteren Mercury in allen Belangen überragt. Sie klingt weniger transparent, sogar verhangen, viel weniger körperhaft, weniger räumlich und erheblich weniger brillant. Das Orchester ist nicht differenziert zu hören, Binnenstreicher aus dem Gesamtklang heraus erkennen zu wollen, das wäre unmöglich. Statt räumlicher Großzügigkeit bleibt der Klang kompakt, flach, eng und matt.

 

 

3

Idil Biret

Robert Stankowski

Tschechoslowakisches Philharmonisches Orchester Kosice

Naxos

1991

14:06 9:21 8:30  31:57 

In der Einleitung, die auf das Entrée des Pianisten und seines Spiels vorbereitet, bei der zur Chopin-Zeit die Pianisten tatsächlich erst kurz vor dem ersten Einsatz auf die Bühne gekommen sind, also während des Spiels des Orchesters, runden die Musiker die Phrasen nicht schön ab, man neigt zum „Abhacken“ derselben. Das verwundert, denn man ist durchaus engagiert bei der Sache. Die Pianistin nutzt einen großen dynamischen Ambitus und verfügt über einen glasklaren Anschlag, dem es ein wenig an einer „gesunden“ Härte fehlt. Sie rundet im Gegensatz zum Orchester ihre Phrasen schön ab. Agogisch wirkt ihr Spiel frei und ihre Tempi wirken flexibel. Das Orchester begleitet sie recht aufmerksam. Klanglich wirkt diese Einspielung sowohl was den Flügel angeht, als auch den Orchesterklang sehr monochrom. Hauptgrund: Die Naxos-Aufnahmequalität.

Im Larghetto wirkt der gelieferte „Kirchenschiff-Nachhall“ aus dem Haus der Künste in Kosice nicht ganz so fehl am Platz wie im ersten. Dennoch hat er Folgen, wenn er auch nicht ganz so verunklarend auf die Struktur der Musik wirkt wie im Maestoso. Der Nachhall ist so lange, dass die Pianistin zur Unterstützung der Bindung der einzelnen Töne im Legato gar kein Pedal gebraucht hätte. Es hört sich indes so an, als ob Frau Biret ausschließlich auf dem Pedal stünde. Sehr schade um das eigentlich einfühlsame Spiel der türkischen Pianistin. Im dritten Satz wirkt die aufnahmetechnische Disposition bzw. das, was sie aus der Musik macht, fast unerträglich. Das Scheitern dieser Einspielung ist ausschließlich der Aufnahmetechnik zuzuschreiben, die die Musik unnötigerweise stark verunklart.

Der viel zu lange Nachhall ist vor allem an den Endtönen einer jeden Phrase zu bemerken. Besonders wenn es nach einem Tutti leise weitergeht. Der schwebende Klang des Klaviers wird so ebenfalls auf den Flügeln des Nachhalles davongetragen. Entsprechend diffus klingt es dann. Pauke und Holz sind mal wieder zu weit vom Geschehen entfernt. Fünf Sekunden Nachhall ist einfach zu viel. Als ob man das Jugendwerk in eine sakrale Aura tauchen wollte. Die Einspielung ist unangenehm zu hören. Frau Biret (aber auch dem wackeren Orchester) hätte man wirklich bessere Produktionsbedingungen gewünscht.

 

 

3

Frantisek Rauch

Vaclav Smetacek

Prager Symphoniker

Supraphon

1964

14:33 9:37 8:33  32:42 

Der Pianist, zugleich Präsident der tschechischen Chopin-Gesellschaft war bei der Einspielung 54 Jahre alt. Bei ihm steht die exakte Ausführung des Notentextes im Vordergrund. Gemeinsam mit Herrn Smetacek lässt er das Maestoso ernst und erhaben klingen. Seine Virtuosität erscheint bemüht und etlichen Passagen haftet etwas schulmeisterlich-didaktisches an, was vom sehr wenig brillanten Flügel noch verstärkt wird. Es gibt hier keine jugendliche Schaumschlägerei, aber auch keine „produktive“ jugendliche Unruhe. Auffallend ist die wirklich sehr geringe Dynamik im Spiel des Herrn Rauch. Im Rahmen unserer Recherchen über den Warschauer Chopin-Wettbewerb ist sein Name übrigens bei den Juroren erschienen.

Die lasche Handhabung mit der in der Partitur notierten und daher zu spielenden Dynamik setzt sich im Larghetto fort. Das Tempo ist langsam, der Gestus verträumt. Das Legato klingt butterweich. Der Klang des Flügels erscheint nun durchaus „schön“. Das Zusammenspiel mit dem Orchester wirkt gekonnt, allerdings wird der Flügel mitunter übertönt. Das „Recitativo“ ragt wenig aus seiner Umgebung hervor und schreckt niemanden auf, es gibt einfach kaum einen nennenswerten Unterschied von p und f. Das Tremolo des Orchesters wirkt viel zu hintergründig um zu einer gewissen Emotionalität beizutragen. Die Wirkung des Satzes auf den Hörer bleibt letztlich eindimensional und viel zu abgeklärt für ein Jugendwerk.

Das Allegro vivace lässt in der elfenhaft-sanften Art des Spiels an Mendelssohns Sommernachtstraum erinnern, obwohl das Blech dieses Mal noch nicht einmal versteckt wird. Ob sich das notturnohafte des Larghetto in den dritten Satz verirrt hat? Es klingt wenig schwungvoll, es gibt kein Aufwallen, der Gestus wirkt überdeutlich und übervorsichtig-reserviert. Wir bemerkten keinerlei Risikobereitschaft. Wo bleibt das Volkstümliche im Tanz? Der Satz wirkt irgendwie lahmer, als es die tatsächliche Spielzeit vermuten lässt. Statt Glanz dominiert hier die Blässe und von Humor keine Spur.

Der Klang der Aufnahme ist noch recht transparent zu nennen, er wirkt aber wenig räumlich und ziemlich klein dimensioniert. Die Violinen klingen hell, das ganze Orchester leicht hallend und flach (d.h. es gibt keine nennenswerte Tiefenstaffelung). Der Flügel klingt allenfalls halbwegs sonor und brillant. Die Präsenz von Flügel und Orchester ist nicht zufriedenstellend. Es gibt deutliches Rauschen zu hören. Wäre interessant zu erfahren, was Herr Rausch, der erfahrene Pädagoge und Juror, zu seiner eigenen Einspielung innerhalb des Vergleiches zu sagen hätte.

 

 

3

Lise de la Salle

Fabio Luisi

Staatskapelle Dresden

Naive

2009

15:23 11:33 8:24  35:20 

Die damals 22jährige Schülerin u.a. von Bruno Rigutto nahm das f-Moll-Konzert in der Semperoper auf. Die Staatkapelle macht einen groß besetzten Eindruck, sie klingt voll, mit ausgesprochen seidigen und fülligen Violinen. Der Flügel klingt ebenfalls weich und samtig, neigt jedoch zu einer gewissen Verschwommenheit. Madame de la Salle spielt mit viel Agogik und niemals protzig. Ihr Anschlag verfügt über wenig bis keine Härte und die lyrischen Passagen scheinen ihr anscheinend erheblich besser zu liegen als die dynamisch-vorantreibenden. Obwohl sie da zum Gemütlichen neigt. Störend ist eigentlich die verschwommen wirkende Linienführung.

Das Larghetto, wahrscheinlich nicht zuletzt, weil es sehr langsam voranschreitet, wirkt klanglich sehr viel klarer. Man träumt sich voran, wie selbstvergessen, aber auch larmoyant. Larmoyanz ist uns in diesem Satz eigentlich bisher nicht begegnet. Es klingt zart und fragil, leicht und eben doch so schwer. Im „Recitaivo“ zeigt die junge Frau dann mal ihre „Pranke“, dennoch wird der Satz über Gebühr in die Länge gezogen. Sehr gelungen hier mal das ausnahmsweise als die „Hauptsache“ dargestellte Fagottsolo. Da nimmt sich die junge Pianistin vorbildlich zurück und umspielt es sehr schön.

Im Allegro vivace fehlt wie bereits im Maestoso die Präzision im Zusammenspiel, wodurch alles unscharf wirkt. Die Dynamik erscheint nivelliert und das jugendliche Temperament muss man leider ebenfalls vermissen. Gerade gegenüber dem Larghetto hat das Spiel erheblich an Geschmeidigkeit eingebüßt. Das Orchester rettet leider diesmal auch nichts. Glanzlos.

Die Aufnahme geriet recht transparent, voll und farbig. Eine gewisse Halligkeit gehört anscheinend für Tontechniker und Produzenten zu diesem Konzert wie das Salz in die Suppe. Der Flügel erscheint ziemlich weit links positioniert und er könnte sich klarer vom Orchester abheben.

 

 

3

Ekaterina Mechetina

Yuri Simonov

Moskauer Philharmoniker

Melodija

2021

15:19 9:44 8:20  33:33 

In dieser Einspielung ist die Pianistin 43 Jahre, der Dirigent 80. Als erstes fragt man sich, was mit den Moskauer Philharmoniker los ist! Es klingt keineswegs hauptstädtisch, sondern eher provinziell. In der Aufnahme mit Kissin und Kitajenko aus den 80er Jahren, die zudem noch live aufgenommen wurde, war erheblich mehr Klasse hörbar. Vor allem die Bläser wackeln gewaltig. Die Einleitung wirkt antriebslos und träge. Die Pianistin spielt ebenfalls wenig zupackend und vielmehr sanft dahinplätschernd. Fast spieldosenhaft und ohne durchgreifende Gestaltung. Die solide Technik wirkt wenig nuancenreich und auch dynamisch bleibt die Pianistin viel schuldig. Es könnte sich allerdings um eine Aufführung unter Coronabedingungen gehandelt haben, man beachte das AD. Da hätte man dann Verständnis für die kraftlose Spielweise.

Im Larghetto herrscht lasche Solidität mit wenig Brillanz und wenig Wärme. Der Vortrag wirkt flach, geht nicht in die Tiefe. Das „Recitativo“ ist kaum vom Rest zu unterscheiden, kein mehr an Intensität spürbar. Da lässt wirklich gar nichts aufhorchen und vom Orchester kommen ebenfalls keine Ideen.

Das Allegro vivace klingt denkbar uninspiriert und besonders das Orchester plump. Vielleicht hätte man die Aufnahme besser verschoben bis wieder alle bei Kräften sind und ein wenig Freude an ihrem Beruf mit einbringen können.

Die Klangtechnik verleiht der Einspielung ebenfalls keinen zusätzlichen Schub. Sie wirkt zwar klar und gut ausbalanciert, hat aber wenig Raumtiefe und wirkt ziemlich trocken. Die Dynamik wirkt angesichts des Aufnahmedatums einfach nur flach. Der Flügel klingt nur leidlich brillant.

 

 

Einspielungen mit Originalinstrumenten wie sie zur Zeit der Komposition gebräuchlich waren:

 

 

5

Denis Pascal

François-Xavier Roth

Les Siècles

Polymnie

2005

13:13 7:53 7:57  29:07 

Das Orchester Les Siècles wurde erst 2003 gegründet, angesichts des AD gerade einmal zwei Jahre später darf man sich über seine Qualität durchaus wundern. Die Aufnahme entstand im Theater von Compiègne, nicht gerade der musikalische Nabel der Welt, aber alle haben einmal klein angefangen. Die Aufnahme ist in Deutschland kaum bekannt geworden und im Zuge der Übernahme der älteren Aufnahmen des Ensembles von Harmonia Mundi fehlt sie bisher noch.

Die Orchestereinleitung (vibratolos gespielt) wirkt erheblich belebter und dramatischer als beispielsweise bei Haselböck und trotz der relativ wenig brillant (Darmsaiten) klingenden Streicher viel hochtonreicher. Sie wirkt stark akzentuiert und sehr „sprachbegabt“.  Monsieur Pascal verwendet als Hammerflügel einen Pleyel, der für damalige Verhältnisse sehr schön brillant und voluminös klingt, eigentlich schon fast wie ein heutiger Flügel (natürlich nicht wie ein Steinway oder Fazioli, eher einem Bösendorfer ähnlich), noch etwas gedeckter und samtiger. Sehr gut gefällt das angesichts des Instruments ausgeweitete dynamische Spektrum, gewandt und flexibel artikulierend wie das Orchester. Beide Protagonisten passen klanglich ausgezeichnet zusammen, auch was das deutlich spürbaren gemeinsame concertare anlangt. Dieser Pleyel klingt nicht so dick wie die Érard, die wir anlässlich unseres Vergleiches kennenlernen durften, z.B. der Érard von Emanuel Ax in seiner Aufnahme von 1997 mit Charles Mackerras. Es wird mit viel jugendlicher Verve und ausgesprochen nuanciert gespielt. Die revolutionäre Aufbruchstimmung wird schon spürbar.

Das Larghetto, flott und im Gestus expressiv ist das Gegenteil von so vielen an Lethargie grenzenden Einspielungen mit einem modernen Flügel. Die kurze „Verweildauer“ des Klangs der alten Hammerflügel erfordert ein gewisses Mindestmaß an Zügigkeit.

Im Allegro vivace gibt das bereits ausgewogen besetzte Orchester seinem Part ein außergewöhnlich plastisches Gesicht. So genau und so viel vom Orchesterpart ist in kaum einer anderen Einspielung zu hören. Man spürt aber auch das Verständnis der Musiker für diese spezielle Musik in einem besonderen Maß. Der Gestus wirkt sehr expressiv und äußerst inspiriert. Manchmal fast schon eruptiv. Man sieht, dass es keinen Sieg beim Chopin-Wettbewerb braucht um eine exzellente Aufnahme des f-Moll-Konzertes um es meisterhaft darzustellen, strahlend und funkelnd. Einer besseren Resonanz der Einspielung wäre er jedoch sicher zuträglich gewesen. Von allen historischen Instrumenten gefiel uns der Pleyel in dieser Aufnahme am besten.

Der Klang der Aufnahme ist sehr klar, räumlich, präsent, natürlich, leuchtkräftig und sehr dynamisch. Beste Balance von Flügel und Orchester, die beide zudem brillant rüberkommen. Bester Klang der historischen Einspielungen.

 

 

5

Emanuel Ax

Charles Mackerras

Orchestra oft he Age of Enlightenment

1997

Sony

14:10 9:09 8:06  31:25 

Bei dieser Einspielung, die in der Londoner Henry Wood Hall aufgenommen wurde war Herr Ax 48 Jahre jung. Er spielt dabei einen Érard von 1851. Mackerras holt aus dem Orchester noch mehr Glanz und einen bis zum Schroffen gesteigerten Ausdruckswillen heraus als Christoph Spering, was man von Herrn Ax´ Érard nicht unbedingt behaupten möchte. An den zunächst etwas stumpfen Klang gewöhnt man sich jedoch schnell, wenn denn erst all die prägenden Steinways aus dem Gedächtnis vertrieben sind. Dann gefällt der Londoner Érard mindestens genauso gut wie der Kölner in der Aufnahme mit Olejniczak und Spering. Der Darstellung von Herrn Ax mangelt es (wie bereits bei den gehöhrten Aufnahmen mit modernem Flügel) nicht an Wärme, Anmut und Grandezza. Uns erschien es jedoch, dass das virtuose Können mit dem Erard mehr gefordert schien, Herr Ax kam etwas mehr aus der Reserve. Und in der Reserve liegt bei ihm noch einiges, wie man hören kann. Nun geht sein virtuoser Aplomb noch ein wenig über den Olejniczaks (1999) hinaus. Mackerras und das OAE liefern für den Solisten den Rahmen für ein „großes“ Konzert.

Im Larghetto spielt Herr Ax sehr expressiv auf. Erfreulich ist, dass dem Érard ein richtig gutes tiefes, profundes Register mitgegeben wird. Da will das Orchester nicht zurückstehen: Es bietet das tiefste Tremolo aller HiP-Einspielungen. Es spielt darüber hinaus absolut homogen und bietet viel mehr mit seiner erstklassigen Arbeit als nur einen flauschigen Klangteppich. Das Fagott ist dann auch noch viel besser disponiert als beim Gastspiel des Orchesters in Polen mit Frau Avdeeva und Herrn Kaspscyk 2011.

Im brillant und pointiert gespielten Schlusssatz wird das Tänzerische gut deutlich gemacht, dennoch bleibt das schnelle Passagenwerk schön gesanglich. Man spürt stets die Kraftreserven und die Schnelligkeit des „Tastenlöwen“, die er in dieser Einspielung (von den drei) am besten aufblitzen lässt. Da wird höchstes Niveau geboten, nicht zuletzt auch wegen eines inspirierten Dirigenten und eines bestens disponierten Orchesters.

In dieser Aufnahme ist der Flügel weiter in das Orchester eingebettet als in der nachfolgenden Einspielung mit den Herren Olejniczak und Spering Sie wirkt insgesamt voluminöser, sie weist noch etwas mehr Raumtiefe auf und bietet einen kräftigeren Bass. Das Orchester wirkt stärker besetzt. Im Ganzen bietet die Einspielung mehr Glanz.

 

 

5

Janusz Olejniczak

Christoph Spering

Das Neue Orchester

Opus 111

1999

14:50 9:41 8:41  33:12 

Bei dieser Einspielung, der ersten von drei, zählte Janusz Olejniczak 47 Jahre. Sie wurde im Studio der Stadt Köln aufgenommen. Das Orchester wurde explizit gegründet nicht um Werke der Barockmusik mit dem dafür richtigen Instrumentarium aufzuführen, sondern Werke aus der Epoche der Romantik. Herr Olejniczak dürfte der einzige im Vergleich vertretene Pianist sein, der den Komponisten Chopin, mit dem er äußerlich in jüngeren Jahren eine große Ähnlichkeit hatte, in zwei Filmen gespielt hat. zudem spielte er auch den polnischen Komponisten Ignaz Paderewski. Darüber hinaus war er im Film des Öfteren als Handdouble für andere Schauspieler tätig.

Die Einleitung erklingt mit kräftigen und nicht nur angedeuteten Akzenten im ff. Das Tempo nimmt man in der für die neueren Einspielungen inzwischen üblich gewordenen Weise. Herr Olejniczak spielt wie in Warschau auf einem Érard. Der Kölner Flügel klingt viel mehr als der Flügel des Warschauer Chopin-Instituts nach einem modernen Flügel, also offener und brillanter. Sein Anschlag und der Klang des Flügels wirkt schlanker als bei Ax. Olejniczak spielt genau und lässt der Poesie in der Musik genug Spielraum ohne deshalb die Attacke zu vergessen. Dies gilt übrigens genauso für das klangvolle, mit Esprit und beherzt aufspielende Orchester. Es ist mit guten Holzbläsern besetzt, die sich nicht so einfach „ausblenden“ lassen. Insgesamt gefällt es besser als das Orchester des 18. Jahrhunderts und als das OAE bei seinen Gastspielen in Polen, die in der Liste noch folgen. Es ergibt sich so eine sehr differenzierte, jugendlich-frische Darstellung des Maestoso, die viel schneller vergeht, als es die tatsächliche Spielzeit nahelegt. Da ist ordentlich Pfeffer mit drin und Würze im Spiel.

Im Larghetto klingt es nach jugendlicher Schwärmerei genauso wie nach Tragik. Das „Recitativo“ wirkt sehr intensiv. Dieser Erard kann auch Belcanto. Besser als das Modell der Warschauer Chopin-Gesellschaft. Das Orchester macht erneut positiv auf sich aufmerksam.

Das eigentlich moderate Tempo wird kraftvoll bis stürmisch aufgeladen, vor allem vom temperamentvoll und saftig klingenden Orchester. Das Holz klingt schön dunkel und spielt solistisch sehr eloquent. Da ist ordentlich „Schmackes“ drin. So wird die Instrumentierung richtig aufgewertet.

Der Klang der Aufnahme ist klar und räumlich. Vor allem klingt sie erheblich präsenter als die polnischen Einspielungen mit Originalklangensembles.  Die Klangfarben wirken schön warm, die dynamische Spannweite ist groß.

 

 

5

Yulianna Avdeeva (auch Awdejewa geschrieben)

Frans Brüggen

Orchestra of the 18. Century

NIFC

2012, live

14:54 9:11 8:42  32:47 

NIFC ist das Label des Nationalen Chopin-Instituts in Warschau. Die Aufnahme stammt aus dem Witold-Lutoslawski-Studio des Polnischen Rundfunks, zwei Jahre nach Julianna Avdeevas Teilnahme am Chopin-Wettbewerb. Brüggen und sein Orchester waren in jenen Jahren oft in Warschau zu Gast, um diversen Solisten, die die Chopin-Konzerte mit dem historischen Hammerflügel spielen wollten, zu begleiten. Auch bei diversen Aufnahmen. Julianna Avedeeva gewann 2010 den Chopin-Wettbewerb damals mit 25 Jahren vor Ingolf Wunder, Lukas Genuisas (beide Silbermedaillen) und Gabriela Montero.

Das Orchester beginnt schlank und transparent, auch das Holz ist gut zu hören, die Artikulation wirkt zart und anschmiegsam, der Gestus melancholisch und nicht gerade jugendlich-frisch. Der Érard-Flügel passt sehr gut zum Klang des Orchesters. Er hat gegenüber den großen Konzertflügeln von heute eine leichtgängigere Mechanik und einen gedeckten nicht von jedermann als brillant empfundenen Klang. Seine Töne halten trotz gedrücktem Pedal viel weniger lange an, als bei den heutigen Exemplaren.  Sie fordern daher ein eher schnelleres Tempo, vor allem bei den langsamen Sätzen (hier beim Larghetto). Immer wenn man vom Klang des Steinways kommt, dauert es eine gewisse Zeit bis man sich umgewöhnt hat. Frau Avdeeva spielt ihr Instrument (es ist von 1849) mit wunderbarer Agogik, sehr detailreich und schwebend-zart. Das donnernde ff fehlt in ihrer Palette, das Instrument gäbe es wahrscheinlich auch gar nicht her. So wirkt der Satz vornehmlich recht lieblich mit einer ganz auf- und sinnfällig atmenden Phrasierung. Sie setzt die Rhythmik gut unter Spannung, gerade in der sogenannten Ornamentik. Das Orchester trägt sicher zum bestmöglichen Konzertieren viel bei, könnte aber unserer unmaßgeblichen Meinung nach etwas mehr Durchzugskraft zeigen und vitaler klingen, geht es doch um das Werk eines 19jährigen, der im ersten Satz noch gar nicht seinem Liebeskummer nachspüren möchte.

Molto con delicatezza: Voilà, so geht´s. Sogar die simplen Füllstimmen im Orchester wirken sehr gefühlvoll währenddessen die Pianistin frei gestaltet. Das kadenzartige, allerdings begleitete „Recitativo“ spielt sie sehr spannend und anschaulich. Das ff bleibt gegenüber dem des modernen Flügels jedoch einfach begrenzt. Frau Avdeeva spielt ja auch auf modernen Flügeln, Chopin, so meint sie, gehöre jedoch zum älteren Instrument.

Das Allegro vivace klingt zierlich im besten Wortsinn, es gibt kaum einmal perkussive Härte zu hören, schon alleine wegen der Art des Flügels. Die Art des Vortrages muss man wohl als bezaubernd bezeichnen. Vivace, wenn auch nicht so rasant, wie es einige Altmeister zu tun pflegten. Immer wieder erfreut man sich, wie gut die Klangfarben der Streicher und des Holzes zum Klang des Érard passen.

Der Klang ist transparent, räumlich und einigermaßen körperhaft. Dem Orchester hätte man mehr Präsenz gewünscht, er wirkt vor allem, wenn der Érard nicht mitspielt weit weg, das Holz dann nochmals ein Stück weiter.

 

 

5

Dang Thai Son

Frans Brüggen

Orchestra of the 18. Century

NIFC

2006, live

14:26 8:56 8:06  31:28 

Dang Thai Son (22) gewann den Chopin-Wettbewerb 1980, also in dem Jahr als Ivo Pogorelich der Einzug ins Finale verwehrt wurde und Martha Argerich sich genötigt sah, die Jury zu verlassen und abzureisen. Dang Thai Son gelang es dennoch nicht eine nachhaltige Weltkarriere anzutreten, falls er es überhaupt beabsichtigt haben sollte. Eine gewisse Ähnlichkeit zum Fall Stanislav Bunin könnte man erkennen. Der vietnamesische Pianist spielte übrigens bei Wettbewerb ebenfalls das f-Moll-Konzert und bekam damals auch noch den Sonderpreis für die beste Darbietung eines Konzerts. Als die Aufnahme in der Polnischen Nationaloper anlässlich des Festivals „Chopin und sein Europa“ entstand, war der Pianist 48 Jahre jung. Das Konzert hatte er übrigens bereits 1995 mit der Sinfonia Varsovia unter Jerzy Maksimiuk für Accord eingespielt. Eine Aufnahme auf die wir leider keinen Zugriff hatten. Frans Brüggen war damals noch mutiger (oder gesünder?) als in der Aufnahme mit Julianna Avdeeva sechs Jahre zuvor, wenn man von der Kraft mit der die Akzente gespielt werden, ausgehen will. Im Tempo gibt es keine spürbaren Unterschiede. Im Verlauf wirkt der Orchesterpart ebenfalls etwas zupackender als 2012. Es wird, wenn es um Aufnahmen des NIFC geht, übrigens immer auf die Neuausgabe des Notenmaterials zurückgegriffen, das von der Gesellschaft selbst herausgegeben wurde. Man erkennt sie schon ziemlich am Anfang der Orchestereinleitung, wenn die Oboe Akzente bei T. 11 und T. 13 spielt, die in der alten Partitur noch fehlen. Außerhalb Warschaus nutzt die neue Ausgabe aber so gut wie niemand, wie uns scheint. Der Klavierpart erklingt völlig unaufgeregt, man möchte wohl schon von fernöstlicher Gelassenheit sprechen. Sensibel und (natürlich) historisch orientiert und ohne nur eine Sekunde zu langweilen. Der Klang unterscheidet sich kaum von dem von Frau Avdeeva, es wird wahrscheinlich der gleiche Érard genutzt wie bei Frau Avdeeva, er war jedenfalls ebenfalls von 1849. Bei Herrn Son klingt der Klavierpart allerdings nicht ganz so eng verwoben mit dem Orchesterpart, was auch klangtechnische Gründe haben könnte. Das Orchester klingt bis zum Schluss mit mehr Saft und Kraft als 2012.

Das Larghetto klingt etwas brillanter und zupackender als bei der russischen Pianistin, aber nicht ganz so zauberhaft im Lyrischen. Obwohl der Klang manchmal fast schon klingt wie ein Bösendorfer (aber nur fast), bleibt das ff auch bei Herrn Son doch weit gegenüber einem modernen Flügel zurück.

Das Allegro vivace klingt sauber, musikalisch und etwas zügiger als bei Avdeeva. Herr Son macht keinerlei Aufhebens von sich und spielt auf sehr unaufdringliche Art perfekt. Also im Gegenteil von Ivo Pogorelich ohne jede Exzentrik. Hier geht es nur um Chopin. Bei Frau Avdeeva klingt es noch ein wenig detailreicher und subtiler, aber nicht ganz so vital und kraftvoll. Ein Kopf an Kopf-Rennen zwischen den beiden Gewinnern, zwischen deren Teilnahme 30 Jahre liegen. Bei Herrn Son wurde der Applaus mit auf den Track gebracht bei Frau Avdeeva nicht.

 

 

 

 

 

4-5

Janusz Olejniczak

Frans Brüggen

Orchestra oft he 18. Century

NIFC

2010, live

14:15 9:24 8:20  31:59 

Bei dieser chronologisch gesehen mittleren der drei uns vorliegenden Einspielungen, die der 58jähirge Pianist fand die Aufnahmen in der Warschauer Philharmonie statt. Vor 40 Jahren bestritt der damals 18jährige „seinen“ Chopin-Wettbewerb bereits an der gleichen Stelle. Gerade ein Jahr zuvor spielte er das Konzert mit einem modernen Flügel ein. Dass er sich auch auf den Umgang mit dem historischen Instrument versteht hat er bereits in seiner Einspielung von 1999 mit Christoph Spering bewiesen. Dieses Mal hören wir wieder den schon von Dang Thai Son und Frau Avdeeva bekannten Érard von 1849, ein oft genutztes Instrument, wenn das NIFC aufnehmen lässt. Herr Olejniczak spielt erneut flexibel und ist technisch mit allen Wassern gewaschen. Allerdings gefällt und das farbigere Neue Orchester und das angriffslustigere Dirigat von Herrn Spering besser als das recht matt klingende Orchester des 18. Jahrhunderts. Und das etwas dröge Dirigat von Herrn Brüggen.

Im Larghetto wird durchaus zupackend die gesamte dynamische Skala des Érard ausgenützt. Der Schlussapplaus braust bereits ins Spiel des Orchesters hinein. Eine dumme Angewohnheit in Warschau, die von wenig Respekt dem Werk gegenüber zeugt und nur den Solisten in den Fokus zu nehmen scheint. Zumindest wenn man das Konzert auf der Konserve festhalten möchte, könnte man darauf verzichten.

Der Klang wirkt recht warm, aber ein wenig dicht zusammengedrängt und relativ wenig transparent. Insgesamt natürlich wünschte man sich das Klangbild räumlicher (die Philharmonie ist ja nicht gerade klein geraten) und brillanter.

 

 

4-5

Yulianna Avdeeva

Jacek Kaspscyk

Orchestra of the Age of Enlighenment

2011

Polnischer Rundfunk, gesendet vom MDR, live und unveröffentlicht

15:15 8:41 8:25  32:21 

Bereits im Jahr nach ihrem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs wurde die russische Pianistin erneut nach Warschau eingeladen, vom Chopin-Institut, das seit 2010 mit der Ausrichtung des Wettbewerbs betraut ist. Dieses Mal spielt man im Rahmen des Festivals „Chopin und sein Europa“, das ebenfalls vom Institut organisiert wird, allerdings zur Abwechslung mal im Warschauer Opernhaus. Der uns bereits bekannte Erard von 1849 kam dabei erneut zum Einsatz. Gegenüber der Aufnahme, die der CD-Einspielung 2012 zugrunde liegt und die im Studio entstand, scheint sich Frau Avdeeva vielleicht durch den größeren Raum oder die weniger hellhörige Akustik ein wenig mehr zum Forcieren herausgefordert zu fühlen. Dennoch erweist sie sich eine Meisterin der Chopin-Poesie. Frau Avdeeva reizt die Möglichkeiten des Instruments durchaus voll aus, sie wirkt jedoch noch nicht so vertraut mit ihm und spielt es letztlich noch nicht so geschmeidig und entsprechend nuanciert wie ein Jahr später. Andererseits klingt der Érard etwas dunkler und die Läufe schimmern etwas silbrig. Das Blech klingt bei den Briten erheblich exponierter als bei dem niederländischen Originalklangorchester und es wird vehementer zum Einsatz gebracht. Da macht sich in erster Linie der polnische Dirigent bemerkbar, man erkennt im Laufe des Vergleiches persönliche Handschriften und wenn man so will „nationale“ Schulen wieder. Das Orchester aus London spielt ebenfalls sanft und geschmeidig wie die Niederländer, erfreut aber mit helleren und „würziger“ klingenden Oboen.

Im Larghetto fehlen der große Glanz und die Eindrücklichkeit der großen Kraftausbrüche, die eben auch nicht gerade die Stärke des Instruments sind. Die Balance zum Holz stellt sich fast wie automatisch ein, zumindest wenn der Flügel nicht zu laut aufgenommen wurde. Das Fagott klingt in dieser Aufnahme, als wäre es eines der ersten Stunde der HiP, also klanglich unausgewogen und intonationsschwach. Der dritte Satz schließt sich attaca an. Auch hier dominiert das Fagott klanglich den ganzen Bläsersatz, was jedoch deutlich zu einer ländlich-bukolischen Stimmung beiträgt.

Diese Aufnahme klingt halliger als die Studio-Aufnahme ein Jahr später und der Flügel steht prominenter an der Rampe, Warm timbriert ist auch sie und recht transparent.

 

 

 

4

Yulianna Avdeeva

Jakob Lehmann

Orchester des 18. Jahrhunderts

Deutschlandfunk

2023, live und unveröffentlicht

14:54 8:37 8:45  32:16 

Dieses Mal ist die Pianistin in der Bremer „Glocke“ zu Gast, so nennt man dort das Konzerthaus. Die Oboen-Akzente der Orchestereinleitung, die man in Warschau immer hört, sind nun wieder verschwunden. Es sieht nicht so aus, dass die Neuausgabe aus Warschau sich auch im Ausland durchgesetzt hätte. Die Einleitung vom Orchester klingt differenziert, wobei die Bläsersoli noch gedeckter klingen als elf Jahre zuvor mit Brüggen. Und sie bleiben leider sehr, sehr leise. In dieser Aufnahme fließen Hammerflügel und Orchesterklang stärker ineinander. Die Pianistin spielt etwas verträumter als in ihren älteren Darbietungen. Die Poesie aht das Zepter ganz übernommen, so meint man fast. Sie fügt immer wieder retardierende Momente ein und spielt sehr feingliedrig und besonders leise. Den großen Zugriff bleibt sie dieses Mal noch mehr schuldig als zuvor und damit auch das stattlich, brillanter ff. Der Bremer Érard stammt übrigens von 1837. Man sagt zwar, dass nur mit dem Originalinstrument die Partitur-Anweisungen Chopins richtig umsetzbar und plausibel wären und letztlich nur mit ihm machbar. Aber das Instrument alleine mag vielleicht die Voraussetzung sein, aber alleine spielt es sich nicht in den Olymp.

Im Larghetto zeigt sich, dass die dynamische Spannweite dieses Flügels besonders gering zu sein scheint oder die Pianistin wollte sich noch nicht verausgaben, denn sie hatte im Bremer Konzert auch noch das e-Moll-Konzert zu spielen. In jedem Fall erscheint die Eindringlichkeit des „Recitativo“ geschmälert. Das Orchester scheint beim Tremolo alles zu geben. Die beiden Rahmenteile gelingen besser und wirken wie reine Poesie.

Das Allegro vivace wird von vorne bis zum Schluss sehr partiturgenau und brillant gespielt. Die Begleitung gelingt plastisch. Die Darbietung dürfte besonders für „Leisehörer“, die das Gras wachsen hören können, ein Gewinn sein.

Der Klang der Aufnahme, die mit Schützenhilfe von Radio Bremen erstellt worden sein sollte, obwohl davon während der Sendung keine Rede war, ist transparent, hat eine ganz gute Dynamik aber wenig Raumtiefe. Das Publikum verhielt sich mucksmäuschenstill und der Applaus brauste erst los, nachdem die Musiker den letzten Zon gespielt haben. Frau Avdeeva saß beim Konzert mitten im Orchester und schaute über den Flügel hinweg ins Publikum.

 

 

 

3-4

Margarita Höhenrieder

Martin Haselböck

Orchester Wiener Akademie

Solo Musica

2022

13:26 8:43 8:55  31:04 

Diese Einspielung entstand im Wiener Musikverein, besser im Konzertsaal des Gebäudes des Wiener Musikvereins. Verwendet wurde ein Pleyel von 1848. Chopin meinte noch 1831, dass „Pleyels Instrumente das Non plus Ultra sind“. Das Orchester macht einen ausgewachsenen Eindruck und es spielt die Einleitung flott und dynamisch, akzentreich und geradezu kämpferisch. Auf uns machte der „Pleyel“, zumindest der von Frau Höhenrieder gespielte, allerdings einen noch begrenzteren Eindruck als die gehörten Érards. Das Orchester ist zumindest jederzeit auch in seiner Rolle der dezenten Begleitung erheblich deutlicher als in den anderen Einspielungen. Akustisch ist dieser Pleyel das kleinste Instrument aller Einspielungen und er erreicht nie eine signifikante Dominanz über das Orchester. Es gibt ein Gemälde, das Chopin bei einem Gastspiel in Wien zeigt. Da spielt er oben alleine auf der Bühne, das Orchester unten im Graben. Da stimmen dann die Proportionen wahrscheinlich. Die Orchesterritornelle sind dann allerdings in ihrer Wucht, die man dann im Geiste aus der prominenten Begleitung hochrechnet, gezähmt. Unserer bescheidenen Ansicht ist in dieser Einspielung die wünschenswerte Balance nicht glücklich gewählt worden.

Im Larghetto klingt der Pleyel von Frau Höhenrieder verhältnismäßig noch etwas matter als die Érards. Er wäre für die Solowerke sicher besser geeignet als zur Aufführung des Konzertes. Oder es hätte aufnahmetechnisch besser gegengesteuert werden müssen. Wenn wir uns an den Pleyel von Monsieur Pascal zurückerinnern, ist der Unterschied sogar noch größer. Die Balance zum Orchester wirkt etwas stimmiger als im ersten Satz. Das ff des Pleyel reicht jedoch nicht im Entferntesten an das ff des Orchesters heran. D. h. die Balance passt nur, wenn das Orchester ganz leise spielt. Vielleicht wäre die Besetzung statt des Orchesters mit dem Streichquintett die bessere Wahl gewesen. Sonst dominiert der moderne Konzertflügel meist über das leise spielende Orchester bei in den Rückraum verlegtem Holz. Frau Höhenrieder scheint uns nicht immer ganz konform mit der Partitur. Sie spielt oft statt pp schon f. Oder traut sie dem pp des Pleyel nicht über den Weg? Viele der Verzierungen sind bei ihr nur erahnbar statt wirklich präsent. Dem Fagott mangelt es angesichts der anderen Holzbläser des Wiener Originalklangorchesters ein wenig am opulentem Schönklang.

Das Allegro vivace wirkt durch die mäßigen Tempi etwas behäbig, vor allem da, wo es eigentlich tänzerisch vorangehen sollte. Da hat man den Eindruck, dass Frau Höhenrieder ein wenig die Puste auszugehen scheint. Das Orchester ist immer präsent, auch da, wo es nur stützen oder untermalen sollte. Manche Liegetöne nerven schon fast, so sehr drängen sie sich in den Vordergrund. Wenn es partiturkonform an der Reihe wäre, spielt es sehr aufmerksam. Und was für ein Signalhorn! Das „Signal“ darf in dieser Einspielung wortwörtlich genommen werden. Wenn man bedenkt, wie oft es schamhaft versteckt wurde. Da hat sich das Wiener Horn ein Extra-Bravo verdient in einer Aufnahme die als Ganzes etwas glücklos wirkt.

Der Klang der Aufnahme zeigt den Pleyel recht klein, er wirkt geradezu schmächtig gegenüber dem stark besetzten Orchester, das keine scheu hat, seine Qualitäten zu zeigen. Er steht nicht vor dem Orchester, sondern wirkt darin eingebettet. Insgesamt klingt besonders der Flügel aber auch das Orchester ziemlich stumpf und matt in den Farben. Die Balance zwischen Flügel und Orchester scheint aus dem Lot geraten.

 

 

Einspielungen in historischem Mono-Klang:

 

 

5

Claudio Arrau

Eugen Jochum

RIAS Sinfonieorchester Berlin

NAR, Hunt

1954, live

13:44 9:58 7:53  31:35 

Von Herrn Arrau haben wir drei Live-Aufnahmen in Mono-Technik und die schon weiter oben rezensierte Londoner Aufnahme in Stereo-Technik gesichtet. Musikalisch gefällt uns seine Berliner Aufnahme von 1954 am besten und klanglich ist sie die weitaus beste Mono-Aufnahme.

Hier klingt Chopin am meisten nach Chopin, während in den beiden anderen Monos, auf die wir weiter unten in der Liste noch zurückkommen wollen, ein bisschen mehr nach Liszt klingt. In Berlin hören wir bestes „concertare“, was daran liegen könnte, dass Claudio Arrau den Dirigenten der Aufnahme, Eugen Jochum ganz besonders schätzte. Man meint, es der Darbietung anzuhören, denn mit Szell zusammen kommt es einem so vor, als ob um die Vorherrschaft gerungen werden würde. Eigentlich wäre jedoch in der Komposition zu diesem Thema bereits alles gesagt. Arrau meinte von Herrn Jochum, er sei der einzige Dirigent gewesen mit dem er zusammengearbeitet hätte, der das Vierte Klavierkonzert Beethovens verstanden hätte. Schade, dass es zu keiner Einspielung dieses Konzertes mit den beiden gekommen ist.

Im Larghetto lassen sich Arrau und Jochum viel mehr Zeit, um sanftere und zartere Gefühle verströmen zu können als mit den Herren Busch und Szell. Arrau erreicht nun schon die Tiefe seiner späteren Philips-Einspielung. Ein größerer Gegensatz zu den beiden New Yorker-Aufnahmen mit Busch und Szell (nur ein Jahr später) ist kaum vorstellbar. Wenn sein Spiel bei der Inbal-Einspielung nicht ähnlich klingen würde, so würde man mit Busch und Szell von einem anderen Pianisten ausgehen.

Beschwingt und sehr charmant und ähnlich locker wie in den Sätzen zuvor wirkt Herr Arrau gegenüber den drei anderen Einspielungen wie „aufgetaut“. Sein Anschlag wirkt sogar ein wenig weicher, natürlich, ohne je gesoftet zu wirken. Der dynamische Ambitus wirkt enorm weit und das Orchester klingt weich und rund, so wie man es in jener Zeit in den DG-Aufnahmen kaum je gehört hat. Diese Aufnahme kombiniert Arraus großartige pianistischen Fähigkeiten seiner jüngeren Jahre mit der Reife und dem guten Klang der Philipps-Aufnahme.

Von den drei Mono-Aufnahmen klingt die vorliegende bei Flügel und Orchester weitaus am besten. Sie klingt heller, im Sinne von aufgelichtet, frischer, brillanter und erstaunlich frei. Es gibt kaum Rauschen. Beim Klavier ergibt sich eine angenehme Rundung mit weicher und voller Tongebung. Zudem ist der Gesamtklang erstaunlich klar. Die beste Wahl, wenn es eine Aufnahme mit Claudio Arrau sein soll.

 

 

5

Samson Francois

Paul Kletzki

Orchestre National de la Radiodiffusion Française (heute: Orchestre National de France)

EMI

1958

12:46 8:29 8:53  30:08 

Samson François war seinerzeit ein „Enfant terrible“. In den 50ern bemängelten Musikkritiker, sein Klavierspiel sei „ungestüm und wirr wie seine Haarpracht“. Er stand der Musiktradition des 19.Jahrhunderts und dem Spiel seines Lehrers Alfred Cortot näher als dem Ideal der Notenreue. Er schockierte mit der Äußerung Brahms´ Klavierwerke verursachten ihm „körperliches Unbehagen“ und die Sonaten Beethovens langweilten ihn. Sein exzessiver Lebensstil mit seiner Passion für´s Nachtleben und der exzessive Genuss von Alkohol, Nikotin und anderen Drogen führten mit 44 zu einem Herzinfarkt während eines Auftritts. Zwei Jahre (1970) später starb er. Bei dieser Einspielung in der Salle Wagram in Paris war er 34 Jahre alt. Sieben Jahre später erfolgte in Monte-Carlo ein „Remake“ in Stereo.

Das Maestoso im stark geschnittenen ersten Satz wird voll umgesetzt, groß, getragen, dann auch lebendig. Der Klang des Flügels wirkt klar, die Phrasierung und die Diktion hat nichts Selbstgefälliges oder gar Glattes. Sein Vortrag wirkt natürlich, hellwach und von hoher technischer Kompetenz. Das Orchester begleitet wie so oft besonders in älteren Aufnahmen unauffällig, die Bläsereinwürfe sind schlecht hörbar, es sein denn, die schnarrende Oboe spielt mit. Sie hat keinerlei Tendenzen sich mit irgendjemandem mischen zu wollen. Die beste französiche Oboe, zumindest einmal unserem Vergleich nach, spielte damals in Markewitschs Orchestre Lamoureux.

Im Larghetto spielt Samson François straff, unverzärtelt und ungekünstelt. Das „Recitativo“ gelingt hervorragend und wird von einem ausdrucksvollen Tremolo des Orchesters zusätzlich emotionalisiert.

Das Allegro vivace wird sehr engagiert vorgetragen. Das Klavierspiel wirkt brillant, mitunter charmant-locker und pulsierend, mitunter mit einem spezifisch französischen Unterton aber immer deutlich, nie unkonzentriert. Monsieur François befand sich bei der Aufnahme offensichtlich in sehr guter Verfassung.

Das Orchester klingt hell, wenig transparent mitunter gar diffus. Der Flügel etwas blechern, aber schon recht brillant. Es rauscht leise. Warum man in Paris 1958 noch in Mono produzierte wissen wir nicht, man hinkte den amerikanischen, britischen und sogar deutschen Labels ein paar Jahre hinterher. Der Klavierklang ist in dieser Produktion dem Orchesterklang deutlich voraus. Es war eine weise Entscheidung dieser Produktion nach sieben Jahren ein Remake in Stereo folgen zu lassen. Zu diesem Remake sollte man unbedingt greifen, wenn man einen Chopin á la Française wünscht.

 

 

5

Alfred Cortot

John Barbirolli

ein Orchester

EMI

1935

13:36 8:50 8:12  30:38 

Diese Einspielung des 58jährigen Pianisten mit dem 36jährigen Barbirolli entstand im wohl bekanntesten Studio überhaupt, dem Abbey Road Studio No. 1 in London. Uneinigkeit herrscht bei der Angabe des Orchesters. Bei den alten Platten hieß es noch „ein Orchester“, heutzutage kann man sowohl das London Symphony (wie in der noch etwas älteren Einspielung mit Rubinstein) aber auch das Philharmonia Orchestra firmieren sehen. Alfred Cortot, der sich eigens in Sachen Chopin von Émile Decombes, einem direkten Schüler Chopins unterweisen ließ, studierte auch Gesang, was nun eigentlich ganz besonders gute Voraussetzungen sein müssten, dem Anspruch Chopins, seine Werke im Sinne des „Belcanto“ zu spielen, genüge zu tun. Cortot galt als Pianist als brillant und unberechenbar. Als Lehrer war Monsieur Cortot ebenfalls sehr erfolgreich, als seine bekanntesten Schüler dürfen wohl gelten: Clara Haskil, Samson François, Gina Bachauer, Vlado Perlemuter, Idil Biret, Karl Engel, Monique de la Bruchollerie, Dino Lipatti, Madga Tagliaferro und Yvonne Lefèbure.

Es gibt mit Herrn Cortot auch noch einen Live-Mitschnitt aus dem Paris des Jahres 1944, bei dem seine technischen Fähigkeiten allerdings krankheitsbedingt schon deutlich nachgelassen hatten. Wir kommen darauf am Ende der Liste zurück.

Der junge Barbirolli wartet zwar mit einigen eigenwilligen Phrasierungen auf, in der Einleitung und den orchestralen Zwischenspielen zeigt er und das Orchester jedoch einen drängenden Verlauf mit teilweise rasenten Tempoverschärfungen. Die Violinen klingen zeitweise, als ob sie einen Abstecher nach Hollywood unternommen hätten, so süßlich, fast kitschig. Eine Eigenart, die man auch bei der 44er Aufnahme Cortots mit Mengelberg hören kann. Vielleicht ist sie daher auf Cortots eigene Modifikation der Orchestrierung zurückzuführen, die selbstverständlich bei dieser Aufnahme Verwendung fand.  Insgesamt wirkt die Orchesterleitung bei Barbirolli etwas konziser als beim zum starken Romantisieren neigenden Mengelberg. Beim ersten Einsatz des Klaviers pausiert das Orchester, was in der gebräuchlichen Partitur nicht vorgesehen ist. Cortot verfügt 1935 noch über einen nuancenreichen Anschlag, seine Phrasierung ist von einer poetischen Erzählweise bestimmt, wobei die große Linie dennoch nicht aus den Augen verloren wird. Bei Cortot ist zwar auch 1935 nicht jeder Griff ein Volltreffer, aber eigentlich stört es kaum, was man 1944 leider nicht mehr behaupten kann. Meistens wird sehr großer Elan entfacht, auch wenn man manch eine Skala nicht genau verfolgen kann. Cortot bietet im ersten Satz mit seinem Dirigenten gemeinsam ein Wechselbad der Gefühle und gibt der Musik über weite Teile einen improvisatorischen Charakter. Nach allem was man gehört und gelesen hat, könnte das Monsieur Chopin sehr gut gefallen haben.

Im Largetto bestätigt sich der Ruf des Pianisten durchaus, denn obwohl es sich um eine Studioaufnahme handelt klingt es „brillant und unberechenbar“, vor allem aber auch gesanglich und im Sinne des Belcantos geformt. Stark deklamatorisch und rubatoreich mit einem geradezu verschwenderischen Gebrauch von agogischen Mitteln. Durchaus auch mit Pathos, aber zu dieser Darstellung passt es einfach sehr, sehr gut und eigentlich gehört es dazu. Das Orchester spielt bei seinem Tremolo auch da ff, wo keines steht, wahrscheinlich ebenfalls ein Eingriff durch die modifizierte Orchestrierung des Pianisten. Das Tempo wirkt sehr griffig. Da bleibt keine Zeit zu verzärteln.

Das Orchester spielt im Allegro vivace mit starken Akzenten, wozu auch nachgedrückte sf gehören. Das klingt für heutige Ohren schon abenteuerlich aber auch vital und emotional. Es ist sehr erfreulich, wie gut die Holzbläser in dieser alten Aufnahme zur Geltung gebracht werden. Da könnte manche neuere Produktion nochmal Lehrgeld zahlen. Sehr gut gefällt, dass Monsieur Cortot einen auffallend prägenden Scherzando-Charakter in die Musik hineinlegt. Das Fagott leistet sich einen dicken Patzer (bei T. 169-171), außerdem klingt es fast wie ein Horn. Da müsste man tatsächlich nochmals nachhören, ob es nicht tatsächlich ein Horn war, wie gesagt die Instrumentierung wurde retuschiert. Den aufgelockerten, pointierten Charakter des Satzes kann es damit natürlich überhaut nicht verderben. Diese Einspielung erfreut besonders durch das kreative Klavierspiel und die einfallsreiche Orchesterleitung. Das Signalhornsolo wird bei seiner Wiederholung von einem weiter entfernten Horn gespielt. Das wird sogar bei der alten Aufnahme gemeistert und hörbar. Da waren die Techniker noch kreativ. Sie ist sicher nicht perfekt, von der Sorte kommen in der Aufnahmegeschichte noch genug langweilige und glatte Einspielungen hinterher, die lange nicht so interessant sind. Sie ist eine der inspirierendsten Einspielungen überhaupt. 

Über den dumpf aber überraschend wenig rauschenden Klang darf man sich angesichts des AD nicht beschweren. Der Flügel klingt mitunter leicht verzerrt und die Dynamik ist natürlich ebenso eingeschränkt wie der verführerisch-sinnliche Genuss. Letzterer wird aber durch die individuelle Klasse der Darbietung mehr als aufgewogen.

 

 

5

Józef Hofmann

John Barbirolli

New York Philharmonic Orchestra

Urania

1936, live

11:50 8:33 7:32  27:55

Der polnische Pianist war bei dieser Aufnahme 60 Jahre alt. Er war ein ehemaliges Wunderkind und man kann sagen, dass er von einigen Enthusiasten abgesehen, fast als vergessen gelten kann. Dabei konzertierte er bereits mit acht Jahren in Warschau und absolvierte mit 10 sein Debüt in New York. In den darauffolgenden 70 Tagen spielte er 52 Konzerte, bis die Gesellschaft zur Verhütung von Grausamkeiten an Kindern auf den Plan trat und es durch eine Spende von 50000 Dollar (!) möglich machte, unter der Bedingung, dass der kleine Józef nicht mehr vor seinem achtzehnten Geburtstag auftreten musste. Daraufhin konnte Józef bei Moszkowski, Anton Rubinstein und Eugen d´Albert in Dresden bzw. Berlin studieren. Seinerseits war Herr Hofmann, dem man eine unbegrenzte Technik und einen absolut sicheren Geschmack nachsagte, übrigens ebenfalls Lehrer, sein bekanntester Schüler dürfte Shura Cherkassky gewesen sein. Man sagte Rachmaninoff schätzte Hofmanns Können höher ein als sein eigenes. Ihm widmete Rachmaninoff sein 3. Klavierkonzert. Heute ungewohnt ist das Modulieren des Pianisten vor dem eigentlichen Beginn des Konzertes, was Herr Hofmann oft praktizierte. Er war ein Romantiker, aber schon „nüchterner“ als die Generation vor ihm, das wären dann schon die direkten Liszt- und Thalberg-Schüler. Nach seiner Pianisten-Karriere arbeitete Herr Hofmann auch als Erfinder z.B. optimierte er die Klaviermechanik bei Steinway, die noch heute Verwendung findet, erfand aber auch die Gasdruckfeder bei PKWs und einen rohölbasierten Heizkessel. Am besten man liest sich den gesamten Artikel bei Wikipedia durch, denn es lohnt sich.

Dies ist die dritte Einspielung Barbirollis in den 30er Jahren, 1931 mit Rubinstein, 1935 mit Cortot und jetzt, 1936 mit Józef Hofmann. Es geht ein wenig maßvoller zu als 1931 in London, aber immer noch sehr zügig und erneut mehrmals gekürzt. Der Pianist spielt mit viel Rubato. Das Orchester tritt, wenn der Flügel spricht sofort unscheinbar in den Hintergrund. Die Agogik erscheint heutzutage vielleicht nicht mehr jedem als einleuchtend, sie drückt aber eine besondere Dringlichkeit aus, die sich bis zum Feurigen steigern kann. Das Konzert stand auch unter einem besonderen Vorzeichen, denn ab 1936 durfte Chopin in Polen nicht mehr gespielt werden (und natürlich in Deutschland ebenfalls nicht), was Hofmann und Barbirolli sicherlich wussten. Manchmal wird die Musik auch zur Rasanz gesteigert, das wirkt heute vielleicht schon aufgestülpt, aber gerade wie das Orchester manchmal das Tempo antreibt und wie entflammt und rasend es spielt, das ist möglicherweise auch den Geschehnissen in Europa geschuldet. Das Tempo-Wechselbad und die sagenhaft „rausgeschleuderten“ Verzierungen weisen Hofmann tatsächlich als einen „Über-Techniker“ aus.

Im Larghetto fällt es besonders auf, wieviel präziser Hofmann gegenüber Artur Rubinstein 1931 spielt. Aber trotzdem ganz frei, wie improvisiert. Leider hört man vom Orchester sehr wenig, ein Tribut an die Live-Aufnahme und das Aufnahmedatum. Das „Recitativo“ klingt sehr spannend und man bemerkt die enorme dynamische Spannweite des Pianisten. Sein Anschlag ist der kristallinen Härte genauso fähig wie der warmen Rundung, wenn die rudimentäre Aufnahmetechnik nicht trügt. Das Rubato wird voll ausgereizt. Es gibt kein l´art pour l´art, alles ist einer im „Recitativo“ schon bedrohlich wirkenden Ausdruckskraft untergeordnet.  Das wohlklingende Fagott (!) wird gut in Szene gesetzt. Leider ist der Klang der Aufnahme richtig mies, sodass die Einspielung nicht auf den ersten Platz gesetzt werden konnte.

Im Allegro vivace wurde wieder einmal gekürzt und man bemerkt, dass die einzelnen Schellack-Platten, die uns immerhin die Kenntnis der Aufnahme ermöglichen, von sehr unterschiedlicher Qualität waren. Von der Pianistik könnte Magie ausgehen, alleine schon vom unglaublichen Spiel der linken Hand. Was für Basslinien! Man fragt sich, wo der Bass bei den anderen Pianisten geblieben ist. Leider gibt es große Probleme beim Postsignal des Horns. Das ist aber nur ein ganz kleiner Wermutstropfen.

Der Klang wird geprägt von Schleifgeräuschen der alten Schellackplatten und er ist topfig bis dumpf. Leise Huster hört man oft. Manchmal wird die Musik einfach leiser bis die Schleifgeräusche das Regiment komplett übernehmen. Die Musik klingt manchmal wie aus einem alten Analog-Festnetz-Telefon der 50er oder 60er Jahre, also sehr beschnitten. Leider gibt nur eine „hundsmiserable“ Aufnahmequalität für eine Jahrhundertaufnahme. 

 

 

 

 

4-5

Julian von Karoly

Leo Blech

RIAS Sinfonieorchester Berlin

Audite

1950, live

13:15 8:13 7:39  29:07

Diese Aufnahme stammt live aus dem Titania Palast, der damals neben seiner Eigenschaft als Luxus-Kino auch für Konzerte genutzt wurde, da er einer der wenigen großen Säle beherbergte, die durch den Krieg nicht gänzlich zerstört wurde und noch halbwegs nutzbar war. In den 50er Jahren galt Herr von Karoly als einer der führenden Pianisten seiner Zeit, dem man später allerdings musikalische Routine vorwarf. Obwohl im gleichen Jahr wie die Decca-Einspielung mit Frau Ballon und Ansermet entstanden, klingt es hier schon offener und wärmer, aber auch musikalisch weht ein ganz anderer Wind. Der Einstieg erfolgt ganz langsam und schwer und er scheint tragische Ereignisse anzukündigen. Dann wird das Tempo jedoch immer schneller und der Gestus immer vitaler um dann doch wieder in die „Misere“ zu Beginn zurückzufallen. Leo Blech bietet ein rhapsodisch angehauchtes Wechselbad der Gefühle. Langweilig wird es hier gewiss nicht. Julian von Karoly antwortet darauf allerdings zwar mit rubatoreichem Spiel, aber verbunden mit modern wirkender Agogik. Man hätte heute jedenfalls gegen die als virtuos einzuschätzende und vorbildlich wirkende Musikalität nichts einzuwenden. Von Routine keine Spur. Er spielt kontrastreich und spannend mit einer unerschütterlichen und glänzenden Technik und spontan wirkend. Einer Ellen Ballon zur gleichen Zeit in London wirkend weit überlegen. Der erste Satz wird leider nur leicht gekürzt gegeben. Von einem sich ergeben in Routine konnten wir wirklich nichts feststellen.

Im Larghetto ist leider nicht jeder Griff ein Volltreffer, was jedoch wenig ins Gewicht fällt, denn das Spiel ist expressiv, schattierungsreich und energisch (live). Erneut kein Hauch von Routine.

Im Allegro vivace empfinden wir das Spiel vom Pianisten und Orchester als besonders treffend, eigentlich sogar als wunderbar. Mit einer gewissen unterschwelligen Leidenschaft, aber doch ganz entspannt und spieltechnisch nun wieder außerordentlich souverän, nuanciert und spontan wirkend. Klar, es gibt auch mal ein paar Wackler, auch beim Orchester. Aber die Einigkeit zwischen den Protagonisten ist groß und man spielt mit viel Herzblut, das zählt immer mehr als glatte Perfektion. Da waren wahre Könner am Werk, die heute vielleicht zu Unrecht fast vergessen sind. Allerdings vier Jahre später war noch mehr Feuer und Perfektion drin mit Arrau und Jochum in der gleichen Stadt, siehe dazu oben mehr.

Audite macht aus den alten Aufnahmen eigentlich immer das Beste, was man heutzutage herausholen kann. Wie bereits anfangs erwähnt wirkt der Klang schon recht offen und besonders der Flügel klingt viel wärmer als der bei der Decca-Aufnahme aus London. Die Balance ist ausgewogen. Der Klang frei von Lästigkeit. Es gibt kaum störende Publikumsgeräusche.

 

 

4-5

Claudio Arrau

Fritz Busch

New York Philharmonic Orchestra

Urania, Grandi Interpreti

1950, live

13:19 9:01 8:03  30:23

Das Konzert fand anlässlich einer Gala der UNO zum Tag der Menschenrechte in der Metropolitan Opera statt. Das Orchester zeigt ein nahezu durchweg gefühlvolleres Spiel als fünf Jahre später mit George Szell und viel schwungvoller und charaktervoller als später das LPO in der Stereoeinspielung mit Eliahu Inbal. Buschs Tempo entspricht ungefähr dem von Szell. Leider wurde dem Flügel durch die Rauschunterdrückung viel Brillanz genommen, die er in der Aufnahme mit George Szell behalten durfte. Arrau brennt ein virtuoses Feuerwerk ab, in lisztscher Manier und mit ehrfurchtgebietendem Stehvermögen. Die Melodien werden sehr gut herausgearbeitet. Die Spannung wird von Arrau und Busch fast den ganzen Satz über gleichhoch gehalten.

Das Larghetto wird noch etwas zügiger genommen als bei Szell, womit dem Satz etwas Ruhe genommen wird aber auch ein Teil der eindringlichen Expressivität der 55er Aufnahme. Immer erheblich weniger sanft als in der Stereo-Aufnahme von 1970. Sehr gute Begleitung des aufmerksamen Orchesters.

Dem leicht herben, etwas harten Anschlag mit straffer Kontur findet sich auch im dritten Satz dieser Live-Aufnahme wieder, die Artikulation ist hervorragend deutlich, die Partiturtreue hoch. Busch sorgt dafür, dass trotz reduzierter, historisch wirkender Klangqualität Holz, Bässe und Pauken sehr gut durchkommen. Insgesamt wirkt der Satz charmanter und tänzerisch-befreiter als bei Szell und Inbal.

Das Rauschen wurde in dieser Aufnahme fast völlig eliminiert, dafür klingt sie aber auch erheblich dumpfer als fünf Jahre später die Aufnahme mit George Szell. Die Knackgeräusche der alten digitalisierten Schallplatte konnte dagegen nicht restlos entfernt werden.

 

 

4-5

Claudio Arrau

George Szell

New York Philharmonic Orchestra

Urania, West Hill Radio Archives

1955, live

13:32 9:23 7:50  30:45

Diese Aufnahme wurde live in der Carnegie Hall gemacht. Der Pianist war dabei 48 Jahre. Szell geht im ersten Satz mit deutlich schnellerem Tempo voran als Herr Inbal 15 Jahre später in der Philipps-Stereo-Aufnahme. Das Orchester verfügt über sehr gute Streicher (Violinen), die gut durch den Rauschschleier durchkommen. Der erste Satz wirkt sehr entschlossen, fast resolut. Claudio Arrau spielt mit erheblich mehr Feuer und deutlicheren Kontrasten als 1970. Die 70er wirkt dagegen fast schon rokokohaft-verspielt oder klassizistisch abgemildert. Aber eben nur im Vergleich zu den älteren Meilensteinen. Das vorgelegte Temperament wird wie bereits von Fritz Busch hervorragend aufgegriffen, wenn das Orchester seine Zwischenspiele gibt.  Der Gestus wirkt erheblich bewegter und ungestümer jugendlich als 1970. Der Impetus und der Geschwindigkeitsrausch fordern jedoch kleinere Einbußen bei der Nuancierungskunst, ohne dass man sich deshalb beschweren könnte, denn die Präzision bleibt staunenswert.

Der ganze zweite Satz wirkt wie eine Kadenz mit Orchesterbegleitung. Der freie Vortrag wirkt rhetorisch geprägt, wie improvisiert, das dolcissimo bei den schnellen Verzierungen ist frappierend gut gelungen und wirkt nie nur ansatzweise weichlich, immer sehr konturiert und selbstbewusst, was Chopins Haltung den Frauen gegenüber ein wenig verklärt: Hier lässt kein verzagter Jüngling seinen Gefühlen freien Lauf, sondern ein Mann in den besten Jahren kämpft gegen sein Schicksal an, um einmal halbwegs im Bild zu bleiben. Die dynamischen Abschattierungen gelingen vorbildlich. Genauso schön wie das dolcissimo kommt auch das legierissimo und das legatissimo. Alles pianistisch noch ein Quäntchen besser als 1970.

Im Allegro vivace variiert Claudio Arrau seine Gangart ein wenig. Sie wirkt nun etwas weniger fein, dafür kraftvoller und fast schon schroff. Für all jene, denen Chopin sonst zu gefühlig oder elegant vorgetragen wird, wäre das eine willkommene Alternative. Mit Szell zusammen spielt Arrau athletisch und erfrischend geschärft. Als ob die beiden einen Sieger zu ermitteln gehabt hätten.

Der Klang der Aufnahme ist wie erwartet deutlich schlechter als 1970 im Studio. Die 1970er dürfte daher wahrscheinlich den meisten Musikfreunden und Musikfreundinnen immer noch am besten gefallen, weil sie die heutigen Erwartungen an den Klang nicht enttäuschen sollte. 1955 klingt das Orchester wieder einmal entfernt und das Rauschen ist ziemlich laut, wurde aber irgendwie in einen Frequenzbereich gelegt, wo es weniger stört. Der Flügel klingt glasig und scheint (nur zu Beginn) auch noch von Gleichlaufschwankungen geplagt. Arrau-Fans kommen an den drei Live-Aufnahmen trotz der bescheidenen Klangtechnik eigentlich nicht vorbei. Davon die bestklingende ist die mit Eugen Jochum.

 

 

4-5

Vladimir Ashkenazy

Arvid Jansons

St. Petersburg Academic Symphony Orchestra

Artemisia

1960, live

13:38 8:49 7:32  29:59

Gegenüber der Einspielung von 1955, der Mitschnitt von Chopin-Wettbewerb, bei dem Herr Ashkenazy 18jährig die Silbermedaille hinter Adam Harasiewicz gewonnen hatte, ist der Mitschnitt aus St. Petersburg, damals noch Leningrad, musikalisch und klanglich ein guter Schritt nach vorne. In zwei Jahren wird der junge Mann dann auch noch den Tschaikowsky-Klavierwettbewerb gewinnen. Musikalisch hat er bereits eine weitere Entwicklung durchlaufen. Möglicherweise ist der Dirigent dieses Mitschnitts, der Vater von Mariss Jansons, an der Veränderung gegenüber 1955 nicht ganz „schuldlos“. Mit 23 spielt Herr Ashkenazy schon ausdrucksvoller, im Tempo maßvoller, ausgewogener und elegischer im Gestus. Dabei ist er keineswegs temperamentslos, sondern ganz im Gegenteil es wird dramatisch ordentlich zugespitzt. Der Anschlag wirkt ungleich brillanter als in der 64er Decca-Aufnahme aus London, was den gesofteten Klavierklang der Decca bei Ashkenazy eigentlich als technisch bedingt entlarvt. Der Klang 1960 ist jedoch nicht durchgängig gleich brillant, mitunter „dumpft“ er etwas ein, was auf die sowjetische Technik zurückzuführen sein dürfte. Sobald der letzte Ton des ersten Satzes ertönt ist gibt es eine schrecklich aufwallende Front von Hustenattacken furchteinflößenden Ausmaßes. Epidemie in Leningrad. Sowas haben wir noch nie gehört.

Der Vortrag im Larghetto hat an Freiheit gewonnen und der junge Mann (23) hat nun mehr Mut zur Poesie, vielleicht wie erwähnt herausgefordert von der viel dramatischeren Orchesterbehandlung Jansons´ die weit über das 1955 beim Wettbewerb in Warschau gehörte hinausgeht. Das „Recitativo“ könnte das Psychogramm eines äußerst aufgewühlten jugendlichen Geistes sein. Das Fagottsolo bei T. 81 wird schön gespielt und setzt sich sehr gut vom Klang des Flügels ab. Wegen der katastrophalen Hustensituation in Leningrad hat man das letzte fff des Orchesters schon einmal frühzeitig ausgeblendet.

Im dritten Satz wird das Tempo mächtig angetrieben. Gutes Rubato. Die Dynamikwerte könnten zugunsten eines besser ausgeformten pp-Spiels geweitet sein. Das Spiel Ashkenazys wirkt sehr schön flüssig und schwebend. Er spielt die letzten Takte, die eigentlich dem Orchester alleine vorbehalten sind einfach mit. Das war früher recht weitverbreitet, wenn wir z.B. an unseren Vergleich zum „Totentanz“ von Franz Liszt zurückdenken. Musikalisch ist dies die beste Einspielung Ashkenazys. Sie wirkt am spontansten und zeigt den Pianisten und das Orchester in bester Spiellaune. Leider wird sie durch die Husten-Epidemie noch mehr in Mitleidenschaft gezogen als durch die laue Klangtechnik. Der Klang selbst ist immerhin schon klarer als 1955 in Warschau, so kann man jetzt die Basslinie gut verfolgen, Der Flügel klingt brillanter und härter als bei Decca 1965. Insgesamt ist die Decca jedoch klanglich haushoch überlegen.

 

 

4-5

Vladimir Ashkenazy

Zdzislaw Górzynski

Warschauer Philharmoniker

Heliodor-DG als Übernahme von ARS Polonia, Urania, Testament

1955, live

11:44 8:46 7:00  27:30

Diese Einspielung von der Finalrunde des Warschauer Wettbewerbs 1955 wurde sogar durch die Aufnahme ins Portfolio der DG geehrt und als „Stereo-Transcription“ veröffentlicht. Ashkenazys Auftritt als junger Mann (18!) wirkt, als sei er völlig frei von Aufregung und Nervosität, also sehr ruhig und klar. Auch in dieser Aufnahme hat der Anschlag noch nichts von der leicht mulmigen Aura seiner späteren Zeit bei Decca. Er ist klar und gut fokussiert und es fehlt ihm noch der „Bauch“ der Decca-Zeit. Der Klang des Flügels gefällt uns so besser als zehn Jahre später bei der britischen Aufnahme in Stereo. Die Pianistik befindet sich bereits auf einem meisterhaften Niveau. Der Ausdruck der Musik, wenn man der Aufnahme glauben darf, wirkt allerdings noch ziemlich neutral, kaum ein Vergleich zur Aufnahme 1960 in St. Petersburg. Er spielt wenig risikofreudig, was ja auch verständlich ist, denn es soll und darf ja nichts schiefgehen. Ein wenig abgespult wirkt es dann doch. Die Kürzung am Satzende kennen wir auch von den alten Einspielungen mit Rubinstein.

Das Larghetto wirkt ganz zart und entrückt, auf eine einfache, unkomplizierte Weise. Das Orchester versteht sich mit auffallender Sorgfalt auf echtes pp-Spiel, wie man es nur selten hört. Zumindest suggeriert es die Aufnahmetechnik, dass Herr Ashkenazy nicht ganz so sehr in die leisen Bereiche vordringt, auch gerät ihm das „Recitativo“ ein wenig brav, denn sein Augenmerk liegt auf größtmöglicher Kultiviertheit. Bewundernswert aber dabei wieder die technische Meisterschaft und die innere Ruhe des jungen Pianisten, der anscheinend Nerven aus Drahtseilen zu haben scheint.

Im dritten Satz wird die Brillanz nicht zur Schau gestellt, das Spiel wirkt linienorientiert und virtuos, in einem wirklich atemberaubenden Tempo aber einer Wirkung, die man als pures Understatement bezeichnen kann.

Daran hat die Klangqualität sicher ihren Anteil. Man hat die Aufnahme eigentlich völlig endrauscht und dabei viel Atmosphäre gleich mit eliminiert. Flügel und Orchester wirken stark abgedämpft. Richtig lebendig wird der Klang erst im f und ff. Die Transparenz ist gerade einmal noch zufriedenstellend, wenn die Ansprüche nicht allzu hoch sind.

 

 

4-5

Artur Rubinstein

Carlo Maria Giulini

Philharmonia Orchestra London

NAR, Replica, BBC Music

1960 oder 1961

11:44 8:29 8:09  28:22

Beim Jahresdatum konnten sich die Anbieter dieser Aufnahme nicht einigen, in welchem Jahr sie denn stattgefunden haben könnte, 1960 oder 1961. Bei Tag und Monat (16.5.) war man sich indes einig. Da es sich höchstwahrscheinlich um eine Aufnahme der BBC handelt, sollte man im Zweifelsfall den Angaben auf der BBC-Music-CD vertrauen, dann wäre 1961 richtig. Rubinstein war je nachdem entweder 73 oder 74 Jahre alt. Das Orchesterspiel zeichnet sich durch eine schöneres Cantabile als bei den anderen beiden Mono-Einspielungen von 1931 und 1946 aus. Gekürzt ist es immer noch. Rubinstein selbst legt weniger Wert auf ausgeprägte Dynamikkontraste, ansonsten sind keinerlei manuelle Einschränkungen spürbar. Spürbar ist genauso das herzliche Miteinander der an der Aufführung in der Londoner Royal Festival Hall beteiligten Musiker.

Im zweiten Satz kommt der Flügel sehr gut heraus, was man vom Fagott-Solo leider nicht behaupten kann. Rubinsteins Spiel wirkt wie eine freie Fantasie. Er lebt das Stück. An den unpassendsten Stellen bringt sich das Londoner Publikum in Erinnerung. Mal wieder durch zahlreiche Huster, die man sich nicht bis zur Satzpause aufsparen konnte.

Das hätte in diesem Fall auch keinen Zweck gehabt, denn man spielte den dritten Satz gleich attacca weiter. Der auffallende Col-legno-Effekt der Streicher lässt man dieses Mal einfach aus, stattdessen belässt man es bei der normalen Bogenführung! Nochmals lässt sich Herr Rubinstein mehr Zeit, die Hektik der „jungen“ Jahre scheint endgültig abgelegt. Der Satz wirkt bei ihm so einfach passender, da das „Gehetzte“ verschwunden ist. Ein sehr großer Unterschied zwischen 1931 und 1961. Ein Heißsporn wird zu einem großzügigen Genießer. Genauso verhält es sich bei den Dirigenten: Hier der nicht lange rumfackelnde Barbirolli, da der ausbalancierte Giulini.

Die Aufnahme klingt allerdings viel dumpfer als die RCA von 1946, dagegen ist sie fast völlig rauschfrei. Ferner klingt es etwas hallig, die Deutlichkeit im Tutti ist ziemlich gering und das Orchester scheint dann auch etwas nach hinten „abzurutschen“. Insgesamt wirkt die Aufnahme ziemlich ungenau und deutlich ungenauer als die Studio-Aufnahme von 1946.

 

 

4-5

Nikita Magaloff

Hans Rosbaud

Südwestfunk-Orchester Baden-Baden (Orchester inzwischen zwangsfusioniert mit dem RSO Stuttgart zum SWR-Sinfonieorchester)

SWR-Classic

1951

13:39 9:29 7:33  30:41

Wie bei der Aufnahme mit Reine Gianoli verzichtete man 1951 noch auf die Bezeichnung „Sinfonie“-orchester. Dabei ging es kaum um die Besetzungsstärke. Die Aufnahme fand im Hans-Rosbaud-Studio statt, das damals sicher noch einen anderen Namen trug. Nikita Magaloff hatte u.a. Unterricht bei Isidore Philipp, einem Enkelschüler von Chopin. Der Begriff Enkelschüler impliziert, dass der Schüler der bekannten Persönlichkeit – der nun Lehrer des Enkelschülers ist – dem Enkelschüler einen Teil der Kenntnisse, Techniken und Fertigkeiten der bekannten Persönlichkeit vermittelt und weitergegeben hat.

Doch zunächst hat das Orchester und unmittelbar Hans Rosbaud das Wort. Die Orchestereinleitung wird sehr gut phrasiert, gut akzentuiert, wirkt bedeutungsvoll und hat einen guten Spannungsaufbau. Das Orchester befindet sich allerdings klanglich noch nicht auf den späteren Höhen (dünne Oboe, Violinen!). Rosbaud gibt dem Blech durchaus einen militärischen Akzent mit, den man bis heute (außerhalb Polens) nur selten so deutlich zu hören bekommt. Magaloff selbst wirkt zurückhaltend aber sehr gekonnt. Sein Klavierklang ist stämmig und gut genährt, der Diskant klar und recht brillant. Mit schönem Legato wird der Satz gut unter Spannung gehalten. Magaloffs Vortrag wirkt singend („Belcanto“). Die Einwürfe vom Orchester sitzen auf den Punkt. Diese Einspielung beachtet sozusagen auch den politischen Kontext der Komposition, der von vielen allzu oft und gerne unterschlagen wird.

Im Larghetto lässt man sich Zeit und trifft so den stimmungsvollen Gehalt des Satzes sicher. Schade wegen des plärrenden Klangs der Oboen, der in der Lage ist, die Stimmung kaputt zu machen. Aber Magaloff selbst und die Streicher des Orchesters spielen sehr gefühlvoll und poetisch. Zusammen mit Herrn Rosbaud wird auch das Larghetto unter einen Bogen geformt. Man überlässt sich diesem Pianisten sehr gerne, denn sein tiefgreifendes Spiel übertrifft das der Klavierstars von heute wie Lang Lang, Yundi oder Cho um eine ganze Tiefendimension. Magaloff, damals 39, war zur Zeit der Aufnahme auch nicht so viel älter.

Im Allegro vivace wird das Tänzerische betont, energisch aber auch einfühlsam. Magaloff spielt sehr dynamisch und Rosbaud und seine Trompeten blasen zur Mazurka. Immer mit einem klaren Blick für die Details.

Der Klang der Aufnahme wirkt recht transparent aber etwas dumpf oder stumpf, was bedeutet, dass das Klavier lange nicht so brillant klingt wie bei den besten Aufnahmen heute, sondern eher gedeckt, fast wie hinter einem Vorhang. Die Streicher wirken etwas rau, ihnen fehlt es vielleicht aber auch spieltechnisch noch am Feinschliff. Durch die stark exponierten Trompeten und Posaunen wirkt das Klangbild aber doch noch ziemlich knackig und nicht so blass, wie man das aus den Archiven der Rundfunkanstalten der 50er Jahre schon häufiger gehört hat.

 

 

4-5

Paul Badura-Skoda

Artur Rodzinski

Orchester der Wiener Staatoper

Westminster, Music and Arts

1954

12:18 9:15 8:00  29:33

Der Pianist war zur Zeit der Einspielung noch ein junger Mann von 27 Jahren. Wie üblich bei einer Einspielung aus den 50er Jahren wird die Orchestereinleitung nur gekürzt gespielt. Es fällt sehr schnell die eigenwillige Dynamisierung des Pianisten auf, der zudem mit seinem flinken und sehr temporeichen Spiel versucht die teilweise, so wie man es damals anscheinend annahm, banalen Verzierungen zu „entschärfen“ und interessanter zu machen. Selbst wenn man nicht annimmt, dass sie banal wären, so kann man sich kaum des inspirierten Spiels von Herr Badura-Skoda entziehen, besonders allerdings den lyrisch-intimeren Passagen, in die er sehr viel mehr Gestaltungswille investiert. Wie von Herrn Rodzinski nicht anders zu erwarten erklingen die Orchesterritornelle temporeich und vorantreibend. So forsch wie er manch anderes Werk angegangen ist, klingt es jedoch nicht. Er tritt mit dem Pianisten in intensiven Dialog und sorgt für präzises Zusammenspiel.

Auch das Larghetto wird einfühlsam und inspiriert gespielt. Beim „Recitativo“ gibt es wütendes Aufbegehren und bereits währenddessen hört man den melancholischen Unterton bestens durch. Das hört man so deutlich selten. Die Tonkaskaden perlen dank der exzellenten Spieltechnik Badura-Skodas sehr schön.

Auch das Allegro vivace gefällt mit dem elastischen und klaren Spiel und dem vorantreibenden, stark tänzerisch-bewegten, fröhlichen Gestus.

Der Klang der Aufnahme ist schon ziemlich breitbandig und recht transparent und erstaunlich dunkel getönt. Der Flügel klingt recht brillant und vor allem warm, was man bei den alten Aufnahmen selten antrifft. Er könnte passagenweise besser hervortreten. Insgesamt klingt es wie hinter einem Schleier und nicht gerade dynamisch.

 

 

4-5

Alexander Brailowsky

Charles Munch

Boston Symphony Orchestra

RCA

1954

12:01 8:28 8:26  28:55

Alexander Brailowsky war u.a. Schüler von Leschititztky in Wien und Busoni (als der noch in der Schweiz unterrichtete) in Zürich. Er war der erste Pianist, der sämtliche Solowerke Chopins (169) als Zyklus in sechs Konzerten hintereinander im Zusammenhang spielte. Das hat er häufiger gemacht. Munch geht mit viel Tempo und temperamentvollem Drive und dynamisch ziemlich ausladend und kämpferisch durch das Orchestervorspiel. Das Spiel des Holzes wird deutlich gemacht. Ganz ähnlich den frühen Rubinstein-Einspielungen, die damals anscheinend eine gewisse Vorbildfunktion erlangt haben. Brailowsky, damals 58, greift diesen Gestus sofort auf, schnell, energetisch, völlig unverzärtelt. Sein Klang wirkt wie so oft bei den Aufnahmen aus den 50ern etwas gedeckt und im Diskant leicht klirrend. Der Klang eines großen Steinways konnte damals oft noch nicht in seiner ganzen Pracht und in seinem ganzen Frequenzbereich aufgenommen werden, das wird nach dem Abhören so vieler Aufnahmen deutlich. Die lyrisch geprägten Passagen werden nicht besonders hervorgehoben, da sollen die Noten wohl durch sich selbst sprechen. Im unbedingten Vorwärtsdrang geht so mach eine Nuance verloren und so manch eine Verzierung kommt nicht zur Gänze zu Gehör. Dies ist eine motorisch geprägter, damals sicher modern wirkender Chopin-Stil voller Elan, aber auch diesbezüglich einseitig. Feine Agogik ist Herrn Brailowskys Sache weniger. So wird der Satz im Verbund mit dem einheizenden Munch wie unter einen einzigen Bogen gespannt. Wieviel von Munch ausgeht, kann man an den Orchesterzwischenspielen ermessen, die zusätzlich nochmal hitziger klingen.

Im Larghetto sollte Chopin eigentlich zu sich selbst kommen, denn hier schüttet er uns sein Herz aus. Da kommt die Klavierlyrik dann an frühe Grenzen, denn es fehlt dazu nicht nur ein angemessen weicher Klang, sondern auch die gefühlvolle Geste. Die hochfahrende Erregung im „Recitativo“ ist dann wieder eher die Sache des Herrn Brailowsky. Das Orchester findet hier von der Klangtechnik nicht die nötige Beachtung, um zur Stimmung entscheidendes beizutragen.

Im dritten Satz fällt das Holz mit erstaunlich viel Vibrato auf. Der Gestus profitiert vom rhythmisch geschärften Spiel, der Charme eines Artur Rubinsteins fehlt dieser Einspielung bei aller Ähnlichkeit merklich. Brailowsky: „Die Technik um Chopin zu spielen sollte fließend, flüssig, zart, luftig und zu einer großen Farbenvielfalt fähig sein.“ Davon konnten wir das Zarte und die großen Farbenvielfalt nicht gerade reichlich vorfinden. Ein großer Techniker in Sachen Chopin war Alexander Brailowsky aber trotzdem.

Obwohl man einen Vertrag mit Rubinstein hatte, spielte RCA das Konzert auch mit Brailowsky nochmal ein. Dass die Aufnahme die 46er Rubinsteins klanglich weit überragt, kann nicht behauptet werden. Dann hätte man noch ein oder zwei Jahre warten müssen, dann wäre die „Living-Stereo“-Ära bei RCA bereits angebrochen. Dafür musste dann Rubinstein selbst sorgen mit seiner 58er Einspielung mit Alfred Wallenstein. So fehlt es 1954 noch an Offenheit, Transparenz, Räumlichkeit und nuancierter Dynamik. Zudem kommen noch weniger Klangfarbe und der raue und etwas grobkörnige Ton der gesamten Aufnahme.

 

 

4-5

Guiomar Novaes

Otto Klemperer

Wiener Symphoniker

Vox

1951

14:12 9:09 8:33  31:54

Die bei der Aufnahme 54jährige Pianistin aus Brasilien wurde als siebzehntes von neunzehn Kindern ihrer Eltern geboren. Mit sieben Jahren nahm sie Klavierunterricht bei Luigi Chiaffarelli, einem Busoni-Schüler aus Italien. Er war angeblich „verantwortlich“ für ihren unvergleichlichen Ton, ihr nahtloses Legato, ihre linke Hand, mit der sie Phrasen „singen“ konnte, und ihre Pedalarbeit, mit der sie den Klang in der Luft schweben ließ. Nach dem Krieg trat sie selten in Europa auf und überließ so ihrem sieben Jahre jüngeren Berufskollegen aus Südamerika, Claudio Arrau das Terrain. Nicht zuletzt wegen ihrer Erziehungszeiten, denn sie war auch Mutter. In den USA konzertierte sie hingegen oft. So gibt es ebenfalls aus dem Jahr 1951 einen Live-Mitschnitt des f-Moll-Konzertes aus New York mit den dortigen Philharmonikern, wie 1955 mit Arrau, unter der Leitung von George Szell.

Das Maestoso erklingt unter Otto Klemperers Leitung recht langsam und getragen, wobei ein pulsierender Rhythmus stets spürbar bleibt. Das Spiel der Pianistin zeigt alle Attribute, die Frau Novaes nachgesagt werden: Herausragendes, nahtloses Legato, klarer, nicht sehr weicher, aber auch kein harter Anschlag, schwebender Klang, feine Agogik, nuancierte Phrasierung. Manchmal hat man das Gefühl, dass Frauen die besseren Chopin-Spieler sind. Bei Frau Novaes kommt dieses Gefühl, das uns schon häufiger im Laufe des Vergleiches beschlichen hat, erneut auf. Das wäre jedoch viel zu einfach und das Gefühl entbehrt ja auch der statistischen Basis, denn man könnte den Vergleich einmal diesbezüglich untersuchen und dabei käme wahrscheinlich nichts von Wert heraus. Mit Herrn Klemperer scheint sie sich über den ernsten Charakter zumindest des ersten Satzes einig zu sein. Die Musik wirkt gespannt, die Höhepunkte leidenschaftlich.

Vor allem beim Mittelsatz, dem Larghetto investieren die Damen der Zunft oft mehr Gefühl, auch bei Frau Novaes wirkt es zärtlich, bestens konturiert, stark nuanciert und einfach von hervorragender Musikalität. Das Orchester verhält sich erstaunlich zurückhaltend. Beim „Recitativo“ scheint Herr Klemperer der Pianistin zu galant den Vortritt zu lassen, da hätten wir uns ein stärkeres Gefühlsbeben der Symphoniker gewünscht. Vielleicht bleibt der Effekt aber auch wegen der wenig dynamischen Technik von Vox zurück. Den verträumten Rahmenteilen wird jedenfalls sehr viel Liebe zum Detail gewährt. Die Hörner der Symphoniker sind leider nicht ganz intonationssicher.

Das Allegro vivace erklingt deutlich und prononciert. Das pulsierende Rhythmusgefühl wird im dritten Satz erneut spürbar. Frau Guiomar leistet sich ein paar Fehlgriffe, genau, wie das Orchester auch mal ein bisschen daneben liegt. Das war damals kein Grund zur Korrektur. Bei einem Claudio Arrau gab es die Fehlgriffe nicht, weder live in Berlin noch live in New York und im Londoner Studio schon gar nicht, das relativiert das Gefühl vom überlegenen Chopin-Spiel der Damen der Zunft dann doch wieder. Ganz ohne Statistik. Aber gefühlvoller spielen sie schon…Zumindest im Larghetto.

 

 

 

 

 

4

Artur Rubinstein

William Steinberg

NBC Symphony Orchestra

RCA, Naxos

1946

12:20 8:02 7:42  28:04

Bei dieser Einspielung, es ist die chronologisch zweite von sieben in unserem Vergleich vertretenden Einspielungen Rubinsteins, 15 Jahre nach der ersten nun für „sein“ Label RCA entstanden, sind die Tempi immer noch sehr flott. Rubinstein war nun übrigens 57 Jahre jung, aber was bedeutet das bei einem Musiker der nahezu zeitlebens eine jungenhaft-schelmische Ausstrahlung behielt. Ein Phänomen. Auch die Kürzung ab T. 35 hat man dieses Mal verzichtet, die anderen Striche sind aber noch vorhanden. Die Orchestereinleitung klingt immer noch frisch und jugendlich, aber nicht mehr so draufgängerisch wie mit Barbirolli. Rubinsteins Spiel wirkt kontrollierter und strukturierter. Er scheint mehr geübt zu haben als 1931. Das Üben hat er ja erst intensiviert, als er seinen Konkurrenten Horowitz im Konzert gehört hatte und ihm aufging, was da noch alles ginge. Aber das hatten wir schon einmal erwähnt. Zugleich wirkt das Spiel erheblich freier, denn er wirkt nicht mehr so auf ein Tempo fixiert, die Agogik wirkt verfeinert. Gegenüber den „weisen“ späteren Einspielungen peitscht er seinen Klavierpart immer noch durch, nicht mehr ganz ohne Rücksicht auf Verluste. Die Kürzung zwischen T. 335 bis 342 bleibt bestehen und könnte als Charakteristikum für alle Rubinstein-Aufnahmen gelten.

In der kurzen Einleitung des Orchesters im Larghetto legt das Holz ein störendes Vibrato auf das man heutzutage nicht mehr so gerne hören möchte. Rubinstein spielt klar und lässt sich gefühlt mehr Zeit als 1931, so kann er „seine Gedanken“ schon ein wenig freier schweifen lassen. Sie wirken schon jetzt dem 31er Korsett entkommen, noch besser können sie sich in den Aufnahmen von 1958 und 68 bewegen. Die Dynamik wirkt 1946 schon viel genauer beachtet als 1931 und das Holz kommt schon viel besser durch. Um einen nuancenreichen Vortrag scheint er sich immer noch eher wenig zu sorgen.

Im Allegro vivace meißelt Herr Rubinstein das Non-Legato oft auffallend heraus, als ob er damit den stumpfen Eindruck der ersten Einspielung korrigieren möchte. Die typische Nonchalance seines Spiels prägt sich aber auch schon aus. Sein Spiel wirkt bereits flexibler und variantenreicher. Den tänzerischen Mittelteil pointiert Rubinstein besonders.

Der Klang der 1946er Einspielung übertrifft den der 1931er erwartungsgemäß deutlich. Es gibt kaum noch Rauschen und gar kein knacken mehr. Der Flügel klingt schon deutlich klarer und brillanter. Das Orchester erscheint schon sauberer vom Flügel getrennt. Es klingt nicht mehr muffig, insgesamt noch etwas hart und noch wenig räumlich, ist ja auch noch mono. Dafür und für das AD klingt es schon erstaunlich gut.

 

 

4

Branka Musulin

Otto Matzerath

Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks (heute: HR-Sinfonieorchester)

HR

1955, live und unveröffentlicht

12:48 8:42 7:33  29:03

Branka Musulin erwarb sich ihre Kenntnisse und Fertigkeiten u.a. mit Studien bei Alfred Cortot, Yvonne Lefébure und Alfredo Casella. Sie galt als Meisterin der Ausdrucksnuance und als besonders begnadet. Während diese Aufnahme aus dem HR-Sendesaal nicht veröffentlich wurde, gibt es das f-Moll-Konzert unterdessen auf einer CD mit Musulin und dem Orchester des Süddeutschen Rundfunks unter Hans Müller-Kray, die uns aber wegen der etwas steifen Orchesterführung weniger gefallen hat als diese Version mit dem damaligen Chef des Frankfurter Orchesters, Otto Matzerath.

Der gibt der Einleitung Tempo, gehörigen Drive und einen kämpferischen Gestus mit. Das Holz ist sehr gut herauszuhören. Das Spiel der Pianistin wirkt beherzt, jedoch genauso sanft und feingliedrig; ihr gut fokussierter, klarer Anschlag bringt eine recht große dynamische Spannweite in ihr Spiel.

Das Larghetto besticht durch ihr sanftes, zartes Spiel, es fehlt auch nicht das kleinste Tönchen bei den schnellen Ausschmückungen, jedoch kommen sie nicht immer ganz so glatt, wie man das heute von den besten Einspielungen kennt. Sie wirken nicht ganz so bruchlos in den Gesamtablauf integriert und fallen mitunter etwas heraus. Das „Recitativo“ wird von Pianistin und Orchester gut dramatisiert.

Das Allegro vivace wirkt lebhaft und temperamentvoll, im Orchester klingt es mitunter etwas hemdsärmelig. Die Klasse von heute kann das Orchester noch nicht vorweisen. Die Tanzeinlage kommt pointiert. Der Satz verliert mit zunehmender Spieldauer ein wenig an Tempo und Leichtigkeit.

Der Klang bietet nur einen Art Guckkastenbühne, das Klangbild wirkt flach und eng. Das Orchester klingt zwar etwas entfernt, aber schon recht differenziert. Es mangelt ihm an sinnlichem Wohllaut und Farbe. Der Flügel klingt noch gelegentlich etwas dumpf und vor allem in der Mittellage eingeschränkt, während der Diskant doch schon einiges an Brillanz transportiert (nicht wie bei den besten heute). Der Flügel wirkt übrigens vergleichsweise farbiger als das Orchester, dennoch mitunter etwas schemenhaft. Die Dynamik wirkt dynamisch eingeebnet. Die Technik bietet noch wenig Sinnenfreude aber immerhin rauscht es kaum noch.

 

 

 

 

3-4

Maurizio Pollini

Mario Rossi

Orchestra Sinfonica di Milano della RAI

Hunt, Classical Music Reference Recording

1968, live

12:49 7:53 7:43  28:28

Trotz des bereits weit in den 60er Jahren liegenden Aufnahmedatums erklingt diese Einspielung noch in waschechtem Mono-Klang. Die Rundfunkanstalten hinkten damals (genau wie heute noch) der technischen Entwicklung immer weit hinterher, nicht nur in Deutschland (in Japan ist das anders). Acht Jahre nach seinem Wettbewerbsgewinn in Warschau spielte Pollini das f-Moll-Konzert, das er nie für die Platte oder die CD eingespielt hat, live in seiner Heimat. Diese Aufführung kommt nicht im Entferntesten an die Klasse des Live-Mitschnitts aus Salzburg 1973 mit Abbado und den Wiener Philharmonikern heran, der unbegreiflicherweise nie veröffentlicht wurde. In Mailand war der Pianist 35 Jahre alt. Es gibt noch mindestens vier weitere Mitschnitte mit Pollini. Einer entstand mit dem RSO Stuttgart unter Michi Inoue. Wann dieses Konzert stattfand konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Ein zweiter entstand mit dem NDR-Sinfonieorchester unter Mosche Atzmon, ein dritter in Dubrovnik mit den Belgrader Philharmonikern 1968 unter Zubin Mehta und ein vierter mit dem Chicago Symphony Orchester unter Daniel Barenboim von 1981. Das Interesse an einer DG-CD mit Pollini und dem Konzert war oder ist offensichtlich groß, sonst gäbe es das Interesse an den Live-Mitschnitten gar nicht.

Bei dieser Aufnahme tritt der seltsame Fall ein, dass ein eigentlich dünn klingendes Orchester zugleich auch noch klobig klingt. Das gelingt durch eine sehr schlechte aufnahmetechnische Auffächerung. Die Oboen klingen dünn. Pollini peitscht die Tongirlanden mitunter etüdenhaft durch, gefühlvoll wirkt das nicht. Immer technisch klar und klanglich brillant, aber sehr maschinenhaft. Die lyrischen Passagen erfreuen sich zwar einer eingehenden Betrachtung, bleiben vom Gestus her allerdings ebenfalls sachlich.  Der gesamte Gestus zielt auf eine (ausschließlich) dramatische Zuspitzung ab, wobei die Pauke dabei mal richtig mitmischen darf. In Sachen Nuancierungskunst bleibt Maurizio Pollini vieles schuldig.

Beim sehr zügigen Larghetto wundert man sich, dass bei ihm gerade in der Stadt, die als eines der großen Zentren des Belcanto bekannt wurde (wir denken da nur mal an die Mailänder Scala, Bellini und Verdi), jedweder Charme ausgetrieben wird. Pollini durchlöchert des Satz geradezu mit seinem harten Anschlag wie eine Nähmaschine den Stoff. Seine Virtuosität bleibt unbenommen, sie wird der Musik aber kaum dienstbar gemacht. Der schlechte Klang der Aufnahme gibt der Einspielung ebenfalls nur schlechte Karten.

Im dritten Satz greift Pollini erneut voll in die Tasten. Selten innerhalb des ausgedehnten Vergleiches waren die einzelnen Töne unter einem Legato-Bogen einmal so wenig miteinander verschmolzen. Selten wurde einmal eine so kühle, distanzierte und wenig elegante Darbietung des dritten Satzes gehört. Der Hornist verpennt seinen Einsatz, bei dem er sein wichtiges Signal zu geben hätte. Na, er verpennt es nicht ganz, es beginnt nur nicht rechtzeitig. Diese Einspielung hätte man nicht unbedingt veröffentlichen sollen. Die Salzburger Darbietung 1973 viel eher.

Der Klang der Aufnahme rauscht ziemlich stark und er wirkt dünn und sehr wenig sinnlich. Der Flügel ist nur frequenzbeschnitten zu hören. Da hätte man vom italienischen Rundfunk mehr erwartet.

 

 

3-4

Fou Ts´ong

Peter Maag

London Symphony Orchestra

Westminster, MCA, Universal, Decca

1962

13:56 9:44 8:46  32:26

Beim Chopin-Wettbewerb in Warschau belegte Fou Ts´ong 21jährig 1955 hinter Adam Harasiewucz und Vladimir Ashkenazy den dritten Platz. Bei der Aufnahme in der Walthamstow Assembley Hall in London war er dann folglich 28. Auffallend klar sind in dieser Einspielung die Holzbläser im Fokus. Warum es 1962 nur zu einer dürftigen Mono-Aufnahme gereicht hat ist uns unbekannt. Der Standard war bei Decca schon längst die Stereo-Aufnahme. Seltsam auch, dass der Flügel nicht richtig eingestimmt scheint, dabei geht es nicht um die eigentliche Stimmung, sondern darum, dass das Timbre der einzelnen Töne nicht zusammenpasst. Sowohl der Pianist als auch der Dirigent können dem ersten Satz kein neues oder besonderes Gesicht verleihen oder ihm gar Glanzlichter aufsetzen. Er läuft sicher ab. Das war´s auch schon.

Der Klang des Flügels bleibt auch im Larghetto ziemlich hart, die Untermalung des Orchesters wäre an sich nicht schlecht, aber sie leidet unter einem seltsam dünnen Klang, den man von Decca eher zehn Jahre früher erwartet hätte.  Anfang der 50er, ähnlich wie bei Madame Ballon und Monsieur Ansermet ebenfalls in London.

Auch der dritte Satz kann man nicht als inspiriert bezeichnen, es fehlt am rechten Schwung und der wenig sinnliche Klang verbreitet kaum das gewohnte und gewünschte Chopin-Flair.

Der Decca-Klang kommt in keiner Weise an das Qualitätsniveau heran, das man von dem Label gewöhnt ist. Es fehlt an der typischen Offenheit und Farbigkeit mit der das Label schon so oft begeistert hat. Von Räumlichkeit ist keine Spur zu finden, der Klang wirkt eng und dicht und zudem noch gepresst, unausgewogen und kaum gerundet. All das nicht, was sonst am Decca-Klang zu loben wäre, fehlt. Statt einen der geschätzten Tonmeister hat man anscheinend einen „Tonlehrling“ an die Regler gelassen. Der Flügel schwingt nicht frei aus und ein paar Töne fallen unangenehm aus dem Spektrum heraus.

 

 

3-4

Orazio Frugoni

Michael Gielen

Orchester der Wiener Volksoper

Vox, Legends, Jube Classic

P 1959

12:59 7:20 7:32  27:51

Der Pianist, Jahrgang 1921 studierte einst bei Dinu Lipatti in Genf. Wir hören eine lebhafte Darstellung, in der Spieltechnik nicht immer ganz perfekt, was in den 50ern noch nicht so wichtig war wie heute. Leider klingt die Aufnahme in der Qualität einer Telefonverbindung. Da hat sich wieder einmal ein Profiteur (Jube Classic) des abgelaufenen Copyrights der Aufnahme bemächtigt und keinen Wert auf einen angemessenen Klang gelegt.

Im Larghetto erwartet uns eine der zügigsten Einspielungen überhaupt, virtuos und sachlich, pianistisch gekonnt und soweit erkennbar brillant. Die dynamische Spreizung ist erstaunlich weit. Technisch spiet Herr Frugoni im zweiten Satz sicherer als im ersten.

Im dritten Satz hören wir das typische Chopin-Spiel der 50er Jahre. Schnell und „gerade durch“ werden „keine Gefangenen gemacht“. Damals gehörte das wohl zu einer „Neuen Sachlichkeit“. In dem Fall wirkt es vor allem kaum nuanciert und somit „schlecht gealtert“.

Der Klang wirkt dumpf und eng und klingt eher nach den 30er als nach den 50er Jahren. Das Orchester ist ganz weit entfernt und der Flügel ist ebenfalls ganz weit entfernt.

 

 

3-4

Branka Musulin

Hans Müller-Kray

Südfunk-Sinfonieorchester Stuttgart (heute SWR-Sinfonieorchester)

SWR Classic Archive, Musidisc, Vergara, Nixa

1957

14:17 10:13 8:23  32:53

Diese Einspielung wurde vor kurzem erst veröffentlicht. Zuvor war sie allerdings als LP schon auf allerlei ausländischen Labels zu finden. Nicht zuletzt daran sieht man den hervorragenden Ruf der Pianistin, auch im Ausland. Die Orchesterleitung lässt den ersten Satz erheblich nachdenklicher und schwerer als in Frankfurt unter Otto Matzerath erklingen. Während das Holz besser durchhörbar sist, aber kaum besser klingt als in Frankfurt, werden die Hörner völlig unterbelichtet. Frau Musulin passt sich dem Dirigat mit einem ihrerseits melancholisch durchtränkten Spiel bestens an.  Uns gefällt die lebendigere Gangart mit dem kämpferischen Zugriff bei Matzerath viel besser, er wirkt inspirierter. Bei den Orchestern sind die klanglichen Unterschiede vernachlässigbar.

Den 2. Satz geht Hans Müller-Kray ebenfalls erheblich bedächtiger an. Hier scheint sich die Pianistin tatsächlich wohler zu fühlen als mit Matzerath. Sie spielt mit mehr Wärme und die Ornamente werden besser in den Gesamtfluss integriert. Die formschön gewirkten Girlanden wirken so ausdrucksvoller. Wir sehen, nicht alle preschen in den 50er Jahren durchs f-Moll-Konzert, auch damals gab es schon Geister, die mehr wert auf den Gefühlsgehalt legten, als vermeintliche Virtuosität zur Schau zu stellen. Der Satz erscheint allerdings jetzt völlig spannungslos. Das Fagottsolo spielt irgendwie für sich alleine. Da ist keinerlei Bindung zum Klavier spürbar. Es sollte vom Flügel umspielt werden.

Im 3. Satz herrscht dann reduzierter Schwung. Das Holz klingt so leise, dass es fast unhörbar wird. Überhaupt gibt Hans Müller-Kray dem Orchesterpart denkbar wenig Eigenprofil mit. Da wäre die Aufnahme vom HR mit Musulin und Matzerath die bessere Wahl gewesen, um eine Aufnahme der Klavierkonzerte mit Branka Musulin wieder zugänglich zu machen, der HR hat aber bisher kein eigenes Label gegründet und an eine Zusammenarbeit der Sender ist diesbezüglich bisher nicht zu denken. Vielleicht hilft dabei der nächste Sparzwang. Allerdings hätte mit Matzerath das e-Moll-Konzert als Partner auf der CD gefehlt. Das Horn-Solo bleibt denkbar blass und die Wiederholung wird ohne Pfiff und ohne Echowirkung immerhin sauber geblasen. Hermann Baumann war das wohl noch nicht. Der Wert der Einspielung ergibt sich nur durch das Spiel der kroatischen Pianistin.

Es gibt mit Frau Musulin noch eine dritte Aufnahme, die einmal zu LP-Zeiten mit Schüchter und den Berliner Symphonikern auf Eurodisc erschienen ist. Ihren Klang kennen wir nicht. Die Stuttgarter Aufnahme klingt etwas offener, aber genauso eng und ebenfalls flach. Der Flügel kommt etwas deutlicher heraus (ist ja auch keine Live-Aufnahme wie in Frankfurt) ist aber ebenfalls noch nicht über den kompletten Frequenzbereich hörbar. Es fehlt 1957 immer noch an Glanz und Fülle. Die Südfunkaufnahmen wirken oft besonders blass.

 

 

 

 

3

Ellen Ballon

Ernest Ansermet

London Symphony Orchestra

Decca

1950

11:50 8:10 7:32  27:32

Diese Aufnahme wurde in der Londoner Kingsway Hall gemacht. Als Madame Ballons Lehrer werden verschiedentlich (also nicht immer) Józef Hofmann und Wilhelm Backhaus genannt. Artur Rubinstein beschrieb die Kanadierin Ellen Ballon als „das größte pianistische Genie, das ich je getroffen habe“. In einer anderen Quelle heißt es: „...bezeichne ich als eine der genialsten Klaviergeister, die ich je getroffen habe.“

Wie oft bei alten Einspielungen des Konzerts kommt auch diese nicht ohne den Schnitt in der Einleitung aus. „Geschnitten“ war damals der Standard. Auch später werden wieder ganze Abschnitte weggelassen. Madame Ballon, damals 52, schummelt mitunter bei den Verzierungen etwas und dynamische Vorschriften werden sehr großzügig behandelt. Dabei geht sie schnelle Tempi, da wäre vielleicht etwas weniger Tempo günstiger gewesen. Trotz oder wegen des schnellen Tempos versteht sie es nicht recht, die Spannung hochzuhalten. Das Orchester wirkt zeitweise sehr zurückgezogen bis unhörbar. Die Oboen klingen fast so wie beim Orchestre de la Suisse Romande und das Fagott fast wie die Hupe eines Londoner Taxis. Bei dem raschen Tempo des Allegro vivace wäre schon eine voll ausgereizte Virtuosität á la Arrau oder Zimerman angebracht, über die verfügt Madam Ballon aber nicht, zumindest einmal nicht in dieser Einspielung. Flott, gewandt aber ohne Finessen geht es über Stock und Stein. Für einen Blick unter die Oberfläche recht die Zeit in dieser Manier natürlich nicht aus. Ein langsameres Spiel hätte dem Gestus des Satzes sicher geholfen.

Dünner, ausgezehrter Klang herrscht beim Orchester und beim Flügel vor. Die Streicher wirken gepresst, der Flügel kann ebenfalls nicht frei ausschwingen. Die Dynamik muss man in diesem Umfeld als sehr gelungen bezeichnen. Auch bei Decca fielen die genialen Tonmeister nicht einfach so vom Himmel.

 

 

3

Artur Rubinstein

John Barbirolli

London Symphony Orchestra

EMI, heute Warner

1931

10:50 8:02 7:26  26:18

Dies ist die erste Einspielung von Artur Rubinstein, zumindest einmal in unserem Vergleich. Er werden ja immer mehr alte Aufnahmen aus den Archiven wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wer weiß, was uns da noch alles erwartet. Bei dieser Einspielung war der Pianist immerhin schon 44, der Dirigent erst 32. Rubinstein war der Chopin-Interpret seiner Zeit, uns lagen alleine sieben Einspielungen vor, an eine achte, an die Aufnahme seines letzten Gastspiels in Polen (in Lodz, seiner Heimatstadt), bei dem er auch das f-Moll-Konzert spielte, musste leider außen vor bleiben. Als Lehrer war Herr Rubinstein weniger leidenschaftlich unterwegs, er unterrichtete erst ab den 50er Jahren und insgesamt nur wenige Klassen. Bekannteste Schüler waren François-René Dûchable, Eugen Indjic und Marc Laforêt. Barbirolli nimmt die Metronom-Angaben noch erst, entsprechend hurtig hört sich der Satz auch an: fast wie ein Geschwindmarsch. Später rückte auch Rubinstein nach und nach von diesen Angaben ab und heute spielt sie niemand mehr. Die Einleitung klingt so zwar sehr temperamentvoll aber auch zackig. Das Orchester hätte dafür noch ein oder zwei Proben mehr gebrauchen können. Vielleicht hat man das Stück auch etwas unterschätzt und sich entsprechend schlecht vorbereitet. Die konkurrenzlos kurze Spielzeit geht jedoch nicht nur auf das Tempo zurück, sondern auch auf die Schnitte, die man an der Komposition angebracht hatte.  So fehlt etwa die komplette Zi. A (Einleitung T. 35–70), zudem T. 335–342. Im Gegensatz zum Tempo bleibt uns das bei allen Rubinstein-Einspielungen erhalten. Rubinstein ist dem Rubato nicht abgeneigt, sein Spiel wirkt leicht und schlank, die Pranke herauszuholen ist seine Sache nicht und die dynamische Differenzierung bleibt nicht nur aufnahmetechnisch bedingt gering. Con forza und risoluto, auch mal ein ff sind ihm zu viel der Mühe. Dabei mangelt es ihm nicht an Virtuosität. Die Skalen wirken oft ziemlich mechanisch. Con anima, leggiero, poco ritenuto, diese Anweisungen sind bei ihm viel besser aufgehoben. Mitunter kann er vom Rubato gar nicht genug bekommen. Der Satz macht als Ganzes über weite Strecken einen rasant-gehetzten Eindruck. Ohne dass der Pianist ins Schludern kommen würde, kann er dabei nicht mehr differenziert genug vorgehen. So klingen die lyrischen Abschnitte viel überzeugender, besonders sie (und natürlich die Solostücke Chopins) dürften den Ruhm des Pianisten befördert haben. In späteren Einspielungen nimmt das Differenzierungsvermögen fast in dem Maße zu, wie die Tempi abnehmen.

Im Larghetto wirkt in Rubinsteins ältester Einspielung der Vortrag noch erstaunlich wenig frei. Man fühlt, wie der Pianist im Korsett der Takte eingesperrt ist. Die Verzierungen klingen noch ganz metrisch und wenig überraschend, später klingen sie erheblich spontaner, improvisatorischer, auch langsamer, denn hier sind sie noch so schnell, dass man sie nicht richtig erfassen kann. Das große „Recitativo“ wirkt noch viel weniger sprechend als später. Rubinstein lässt sich kaum die Zeit, die Phrasen in Ruhe auszuspielen, der Hörer kommt so auch kaum zur Ruhe. Das Rauschen und Knacken der alten Aufnahme bzw. des Ausgangsmediums fällt in diesem Satz allerdings auch ganz besonders auf, was den unruhigen Charakter merklich befeuert.  Empfindliche Ohren könnten sich genervt fühlen.

Im Allegro vivace spielt Rubinstein längst nicht alle Noten. Er scheint vor allem zeigen zu wollen, wie schnell er den Satz spielen kann. Die Intonationsprobleme beim Holz sind auffallend. Die Auswahl an Einspielungen Rubinsteins ist groß, seiner ersten würden wir nur noch historisches Interesse entgegenbringen. Bei den folgenden Einspielungen wirkt sein Erfahrungsschatz nochmals geweitet und er scheint einfach besser geübt zu haben.

Der Klang der Aufnahme ist durch Rauschen und Knistern der Original-Schellack-Platten stark in Mitleidenschaft gezogen. Das Holz ist oft nur schemenhaft im Hintergrund zu hören. Es herrscht ein dumpfer und matter Gesamtklang.

 

 

3

Alfred Cortot

Willem Mengelberg

Grand Orchestre de la Radio Paris

Malibran, YouTube

1944

13:38 8:25 8:07  29:50

Dieser Konzertmitschnitt stammt vom Januar 1944 aus dem noch von der Wehrmacht und Nazis besetzten Paris und fand im Théâtre des Champs-Elysées statt. Seit der Londoner Aufnahme sind neun Jahre vergangen. Die Orchestereinleitung erklingt unter Mengelberg in ziemlich freier Agogik, mit starker Rhythmik und starker Zuspitzung. Der Grad an Emotionalisierung wirkt denkbar hoch. Aufhorchen lässt bisweilen der Klang der Violinen, die besonders an einer Stelle klingen, als hätten sie einen Hollywoodfilm zu untermalen. Sehr süßlich. Da dies in der Londoner Studio-Einspielung von 1935 ebenfalls so war, könnte das auch mit der eigenen Orchestrierung, oder zumindest der Modifikation der vorhandenen Orchestrierung durch Cortot selbst zusammenhängen. Cortot als Pianist hat einen rabenschwarzen Tag erwischt (wahrscheinlich bedingt durch seine Gicht). Seine Trefferquote ist seit 1935 erheblich schlechter geworden. Seine Vorstellung vom Tempo ist sehr frei, worin er mit Mengelberg übereinzustimmen scheint. Sein Vortrag wirkt vom Gestus her sehr lebendig und spontan. Das Zusammenspiel wird immer wieder auf eine Zerrreißprobe gestellt, wobei besonders dem Orchester viel abverlangt wird. Die Orchestrierung schärft die Blechbläsereinsätze ungemein und Mengelberg gibt ihnen noch Zucker dazu. Die Spannung und der Grad an Abenteuerlust, die von der Einspielung ausgeht ist kaum mit heutigen Maßstäben zu fassen.

Im Larghetto geht es ebenfalls nicht ohne zahlreiche Karambolagen ab. Andere Passagen gelingen wieder hervorragend und sehr ausdrucksvoll. Das Rauschen der alten Platten beinträchtigen den Genuss nicht unerheblich. Die Orchestrierung Cortots ist im zweiten Satz am markantesten durch das Austauschen des Fagotts bei seinem Solo ab T. 81 durch das Cello zu erkennen.

Der dritte Satz entspricht von den dreien den heutigen Kriterien an Texttreue und Richtigkeit am wenigsten. Cortots Spiel klingt originell und in vielerlei Hinsicht unvorhersehbar, nicht nur wegen seines „poetischen Subjektivismus“. Er ist in seiner Pianistik an diesem Abend mit 67 Jahren und einem fortschreitenden Krankheitsbild leider nur eingeschränkt zu hören. Im Vollbesitz seiner Kräfte scheint er dem Gehörten nach zu urteilen in seiner Aufnahme 1935 mit John Barbirolli gewesen zu sein.

Der Klang der Aufnahme ist sehr unausgewogen und stark verrauscht. Flügel und Klavier sind nur undeutlich zu vernehmen. Starke Schleifgeräusche verunklaren zusätzlich die schemenhafte Musik.

 

 

3.12.2024