Franz Liszt
Totentanz
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Werkhintergrund:
Der Totentanz, auch als Paraphrase über „Dies irae“ oder als „Danse macabre“ bezeichnet, ist ein konzertanter Variationszyklus von Franz Liszt für Solo-Klavier und Orchester, der ein Thema des Gregorianischen Chorals, das Dies Irae (aus dem Lateinischen, etwa: „Tag des Zorns“, das Jüngste Gericht), mit dem Thema des Totentanzes verbindet. In anderen Quellen wird er übrigens auch als sinfonische Dichtung mit obligatem Klavier bezeichnet. Ein Programm dazu hat Liszt aber, entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten bei sinfonischen Dichtungen, nicht preisgegeben.
Das Werk entstand nach ersten Skizzen in den 30er Jahren 1847–1849 in Weimar und wurde in den Folgejahren von Liszt mehrfach überarbeitet, 1853 und 1859 besonders intensiv. Am 15. April 1865 erfolgte in Den Haag die Uraufführung unter der Leitung von Johannes Verhulst mit Hans von Bülow als Solisten, einem Schüler Liszts, dem das Stück mit den Worten „Dem hochherzigen Progonen (Verfolger, Banner, Ächter, laut Duden-Übersetzung aus dem kroatischen?) unserer Kunst, Hans von Bülow, verehrungsvoll und dankbar“ gewidmet ist. Es dauert etwa 16 Minuten.
Liszt hinterließ mehrere Versionen:
Erste Version für Klavier und Orchester, 1847–53 (Searle-Verzeichnis (= S.) 126–1), 1919 bei Breitkopf & Härtel (Leipzig) unter dem Titel De Profundis gedruckt (herausgegeben von Ferruccio Busoni). Ein Kopisten-Manuskript der ersten Fassung dieser Version trug die Aufschrift „Toten Tanz Phantasie für Pianoforte und Orchester, terminé le 21 Octobre 1849.“
1853 entstand eine zweite, 1859 eine dritte Fassung.
Darüber hinaus gibt es auch noch eine Bearbeitung für zwei Klaviere, 1859–65(?),
Bearbeitung für ein Klavier, 1860–65(?) (Quelle: Wikipedia)
Wir wollen uns nun ausschließlich der Fassung mit Klavier und Orchester widmen. Wie die beiden beim Publikum bekannteren und auch bei den Pianisten beliebteren beiden Klavierkonzerte ist auch der Totentanz für ein Klavierkonzert recht kurz geraten und tendenziell ebenso ein als Konzertstück getarntes Konzert. Nur ist die sich in mehrere Sätze aufteilende Struktur noch besser getarnt als in den beiden „richtigen“ Klavierkonzerten. Auch sie gehen ohne Pause oder Zäsur ineinander über. Allen dreien ist auch gemeinsam, dass sich ihr Werdegang von den ersten Skizzen bis zur definitiven Veröffentlichung über mehr als 20 Jahre erstreckte. Zuvor fand er vielleicht als paneuropäischer Tourneepianist nicht die Muße dazu, vielleicht wollte er seinen exzellenten Ruf als bester Pianist Europas (und damit wahrscheinlich der Welt) nicht mit nur durchschnittlichen Kompositionen ramponieren oder er wollte sie einfach nur in aller Ruhe reifen lassen und sie erst vorführen, als er sich sicher war, sie perfektioniert zu haben, weil ihm als romantischer Sucher nach Vollkommenheit nur diese ausreichte?
Trotzdem werden seine Kompositionen allgemein verrissen, beim 1. Klavierkonzert stört sich die Kritik an der exzessiven Verwendung der Triangel und verspottet es als „Triangelkonzert“... Er entwickelt es und sich daraufhin immer weiter.
Ähnlich wie Leopold Mozart war Adam Liszt während Franz' Jahren als Wunderkind auf Tour als Agent und Manager seines Sohnes tätig. Adam Liszts unerwarteter Tod an Typhus im Jahr 1827 schockierte den 15-jährigen Komponisten. Vielleicht war es dieses Ereignis, das zu Liszts künstlerischer Beschäftigung mit dem Tod führte, was dann viele Jahre später durch sein fantasievolles Meisterwerk Totentanz künstlerische Gestalt annimmt?
Totentanz bedeutet ja "Tanz des Todes", und der Begriff bezieht sich auf eine lange Tradition in der bildenden Kunst. Liszt scheint speziell von Hans Holbeins dem Jüngeren Werk „Todtentanz“ inspiriert worden zu sein, einer Serie von Holzschnittdrucken, die das uralte Thema der Gleichheit vor dem Tod darstellen: In Holbeins Serie (40 Holzschnitte) kommt der als Skelett personifizierte Tod für alle, von den Größten der Großen bis zu den Niedrigsten der Niedrigen. Holbeins Holzschnitte haben einen scharfen Sinn für Satire und verspotten die Weltlichkeit spiritueller und zeitlicher Autoritätspersonen.
Einer von Holbeins Drucken. Liszt hat sich anscheinend bei der Orchestrierung der Eröffnung des Totentanzes von den darin abgebildeten Instrumenten inspirieren lassen, es fehlt nur noch das Klavier.
Zusätzliche Inspiration kam 1838, als Liszt den Camposanto in Pisa besuchte und von „Der Triumph des Todes“, einem monumentalen Fresko mit mehreren Szenen, beeindruckt war. Links begegnen drei edle Männer mit ihrem Jagdgefolge einer Vision des Todes: drei Särge mit Körpern in unterschiedlichen Verfallszuständen. Rechts hören fein gekleidete junge Männer und Frauen Musik in einem Garten und genießen die vergänglichen Freuden des Lebens. Im Zentrum steht eine Vision des letzten Gerichts; Engel und Dämonen kämpfen um die nackten Körper der Auferstandenen, und die Gestalt des Todes stürzt auf die Lebenden herab. In einem Brief bemerkte Liszt, dass der Camposanto ihn an Mozarts Requiem erinnerte.
Wie bereits erwähnt hatte Liszts „Totentanz“ eine lange und komplexe Entstehung. 1839 plante er möglicherweise, zwei Klavierstücke zu schreiben - Die Komödie des Todes (inspiriert von Holbein) und Der Triumph des Todes (inspiriert vom Fresko). Er gab diese Idee jedoch auf. Zehn Jahre später entwarf er ein Stück für Klavier und Orchester mit dem Titel „Totentanz“, das 1849 fertig gestellt wurde. Diese erste Version des Stücks scheint die beiden Inspirationsquellen mit zwei verschiedenen Abschnitten kombiniert zu haben. Entsprechend Holbein ist die erste eine Reihe von freien Variationen des Dies irae, einem gregorianischen Gesang, der die Schrecken des Jüngsten Gerichts beschreibt.
Nach einer Kadenz (ein hier stark erweitertes Solo nur für das Klavier) scheint der zweite Abschnitt dem Camposanto-Fresko zu entsprechen; Es ist eine weitere Reihe von Variationen, die auf der Eröffnung von Mozarts Requiem basieren. Insgesamt kommen wir dann auf 13 Variationen.
Darüber hinaus hatte die erste Version von „Totentanz“ einen dritten Abschnitt, der aus einem aufgegebenen früheren Werk für Klavier und Orchester abgeleitet wurde, das auf einer Vertonung von Psalm 130, de profundis, basiert. Die erste Version von Totentanz enthält gegen Ende den de profundis Gesang in instrumentaler Form. (Auf Steven Mayers CD, zusammen mit dem LSO unter Tamas Vasary eingespielt, ist dieses Stück übrigens zu finden.) Angesichts der Botschaft des Psalms von Barmherzigkeit und Erlösung schien die Anwesenheit von De profundis am Ende des Totentanzes Hoffnung zu bieten. Liszt hat diesen Abschnitt jedoch in seiner letzten Überarbeitung von 1864 wieder entfernt. (Eine separate Partiturausgabe mit diesem Teil wäre als Ergänzung der vorhandenen Partiturausgabe wünschenswert.) Nach dem Tod von zwei seiner Kinder und der Frustration über seine gescheiterten Pläne, Prinzessin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein zu heiraten, erlebte Liszt eine Phase bitterer Depression, die wahrscheinlich seine Entscheidung beeinflusste. 1869 besuchte der russische Kritiker Vladimir Stasov Liszt in Rom und verzeichnete folgenden merkwürdigen Austausch:
„Vergebens flehte ich ihn an, etwas aus seinem Totentanz zu spielen, aus Faust in der Taverne, Nächtlichter Zug, Hunnenschlacht oder Dante. Aber er war unerbittlich und antwortete auf alle meine Bitten: `Alle diese Werke stammen aus dieser Zeit! Nein, ich spiele sie nicht mehr´... Ohne Erfolg bat ich ihn, die Hauptvarianten in Totentanz zu erklären, für die kein Programm angegeben ist (entgegen der Praxis, die Liszt in all seinen symphonischen Werken befolgt hat). Er weigerte sich rundweg, dieses Stück zu spielen, und sagte nur, dass es eines dieser Werke sei, deren Inhalt nicht veröffentlicht werden dürfe.“
Doch nun noch einmal zurück zum Werk selbst. Dazu schreibt Beatrice Berrut in ihrem selbst verfassten, sehr lesenswerten Beiheftchen zu ihrer CD, dass das Variationsprinzip von Liszt im Totentanz bis an seine äußerste Grenze geführt werde. Nachdem er zunächst das Dies irae in mehreren Tonlagen unvariiert vorstellt, arbeitet er es zum Kanon um (Vortragsbezeichnung: “Nach Art eines Kanons: andächtig“), zur Fuge (wobei der Gesang in Notenwiederholungen auftaucht), im weiteren Verlauf sogar zu einer paradiesischen Passage in Dur, die atmosphärisch stark an „Après une Lecture du Dante“ erinnert. Während die ersten Variationen in der Partitur deutlich abgesetzt erscheinen (Var.I und Var.II), laufen sie ab der dritten zäsurlos auf das Ende zu, wird der ehrwürdige gregorianische Cantus planus lautstark durch alle Lisztschen Extreme gejagt.
Insgesamt sind es sechs Variationen des Gregorianischen Themas in einer klassischen Abwechslung von langsamen und lebhaften Sätzen. Die Andante-Einführung: Präsentation des Themas in Blechbläsern über Akkorde, die auf das Klavier gehämmert werden, in Form eines Marsches, der der eines verurteilten Mannes (Allegro sempre marcatissimo) sein könnte, der mit einer brillanten Trittfrequenz des Solisten endet. Das Vorbild ist hier sicher der „Gang zum Richtplatz“ und der „Traum vom Hexensabbat“ aus Berlioz „Symphonie fantastique“ gewesen. Die Variationen I und II bilden eine Art ersten Satz. Bei dem Allegro moderato handelt es sich um ein mehr als sarkastisch intonierendes Fagott (es kommt nicht immer gut heraus, weil die Streicher unisono mit dabei sind), bevor dann das Klavier das Thema aufgreift und es auf dämonische Weise quasi zusammenzucken lässt.
Ein Marcato führt schwindelerregende Glissandos mit dreifachen Achtelnoten ein. Die Variationen III, IV und V werden so artikuliert, dass sie zwei Scherzi bilden, die einen langsamen Satz umrahmen: molto vivace im 2/4 Takt, wodurch Klavier und Orchester vor einem Lento gemäßigt werden, bei dem sich zuerst nur das Klavier in einer meditativen Episode in kanonischer Form entfaltet, bald aber begleitet von einer Solo-Klarinette. Ein Vivace folgt, wo das Klavier, immer allein, das Thema buchstäblich in einem springenden oder hüpfenden Fugato hervorhebt. Mit der sechsten und letzten Variation endet die Partitur: Dazu Leslie Howard in dem selbst verfassten Beitrag im Beiheft seiner Einspielung, die leider in unserem Vergleich fehlt: „Was Liszt als VI. Variation bezeichnet, ist eigentlich ein neues Thema mit sechs Variationen – ebenfalls in d-Moll, ebenfalls über ein Thema, das zum Versmaß des Dies-irae-Textes passt, das jedoch ganz anders ausfällt und dessen Ursprünge ungewiss sind. Die letzte der Miniaturvariationen wird ausgedehnt, um eine abschließende Kadenz einzuleiten, in der das Originalthema zurückkehrt. Die Coda beginnt mit Klavierglissandi über der dritten Phrase des Themas, woraufhin es dem Solisten (der Solistin) überlassen ist, bis zum Ende zu improvisieren, da in Liszts Partitur der Solopart leer bleibt. Die Gepflogenheit, dem Orchester sieben Takte vor Schluss die Tonleiter in gegenläufigen Oktaven hinzuzufügen, stammt mit Sicherheit aus Liszts Zeit und ist auch in der (ansonsten sehr unzuverlässigen) Ausgabe/Version zu finden, die Liszts Schüler Alexander Ziloti hervorgebracht hat.“ In unserem Vergleich folgen immerhin Brendel, Cechova, Clidat, de Groot, Katin, Magaloff, Benedetti-Michelangeli, Nebolsin und Tanski dieser Gepflogenheit. Bei ihnen gibt es quasi noch ein wenig Hoffnung auch den Weg nach oben gen Himmel antreten zu können. Sie gehen nicht mit der Masse mit. Bei allen anderen geht es mit dem Orchester gemeinsam hinab in den Orkus.
Dieses Finale ist wie eine flammende Rede, wie eine atemberaubende Klangwelle, sowohl pianistisch (doppelte Glissandi) als auch orchestral; ein Kaleidoskop von Effekten aller Art, das zusammengeführt wird und in einem donnernden Chaos endet.
Der Totentanz, wie es Bertrice Berrut formuliert, „stellt eine perfekte Synthese von zwei gegensätzlichen Facetten der Künstlerpersönlichkeit Liszts dar: einerseits sein Glaube und seine Bewunderung der Tradition (die man an der Wahl des aus der katholischen Liturgie stammenden Dies irae erkennt), andererseits sein Rebellentum und seine Modernität (die sich in der explosiven und hochvirtuosen Faktur und Ausdrucksebene des Werkes, Anmerkung des Verfassers) zeigen. Hier erkennt man wunderbar, was er unter schöpferischem, künstlerischem Arbeiten versteht, nämlich Neues aus Altem zu schaffen. Dennoch bleibt sich die zeitgenössische Kritik treu: Sie zeigt sich schockiert und kritisiert das Werk als zu harsch und gefühllos.“
Eine zeitgenössische Kritik, entnommen einem Beitrag der CD-Beilage von Michael Stegemann zur Einspielung Zimermans, sollte dem geneigten Leser nicht vorenthalten werden: Sieben Jahre nach der Uraufführung vermerkte eine Programmnotiz anlässlich der russischen Erstaufführung, Liszt habe in der Variationsform „die verschiedenen Umstände, unter denen der Tod seine Opfer ereilt“, darstellen wollen; Peter Tschaikowsky – damals Musikrezensent in Moskau – protestierte: „Das prosaische Verlangen, die Musik aus ihrer überirdischen Sphäre auf den Boden der realen Wiedergabe des Lebens herabzuziehen, muss einem so tief veranlagten und feinfühligem Künstler wie Liszt natürlich ferngelegen haben. Wie die beiden Konzerte verlangt auch der Totentanz (so fährt Tschaikowsky fort) „physische Kraft, Leidenschaftlichkeit, Erfahrung und künstlerische Reife“; wer im spieltechnischen Anspruch dieser Werke dennoch nur oberflächliche Virtuosität zu hören glaubt, der sei an den Ausspruch Théophile Gauthiers erinnert: „Erst die besiegte Schwierigkeit in der Kunst wird zur Schönheit.“
Es überrascht auch nicht, dass Béla Bartok zu den frühen Bewunderern des „Totentanz“ gehörte. Obwohl er der Meinung war, dass die Geschlossenheit und Wirkungskraft von Liszts makabrer Vision durch gelegentliche sentimentale Momente beeinträchtigt werde, beeindruckte ihn der prophetische Charakter der Musik, deren antilyrische und aggressive Energie so viele Elemente von Bartóks eigenem Stil vorwegzunehmen schien. Tatsächlich ist Liszt in dieser Hinsicht ein zukunftsweisender Komponist, und der Totentanz mit seinen bizarren rhythmischen Effekten, der Klangmalerei klappernder, tanzender Skelette, ist ein ebenso originelles wie „modernes“ Werk, so Bryce Morrison im Beiheft zur Einspielung von Jorge Bolet.
Zusammenfassend möchten wir noch ergänzen, dass das Werk sich durch seinen sardonischen Humor auszeichnet, was im Unterschied zum eher sarkastischen Humor in den Werken Schostakowitschs weniger den beißenden, bitteren Spott zum Ausdruck bringt, als vielmehr einen grimmigen, schmerzvollen. Verbunden wird er hier mitunter von einem unheimlichen, finsteren Gelächter. Alleine auch schon die Tanzform ist für so ein tiefgreifendes, von bitter schmeckendem Schmerz umschlungenes Thema eigentlich purer Hohn. Genauso so muss es Liszt als betroffenem Vater zumute gewesen sein. Davon ausnehmen möchte man vielleicht die kanonisch gehaltene Variation Nr. 4 (innige Einkehr, Rückbesinnung, sicheres Aufgehobensein auch in der letzten Stunde?). Das dazustellen ist vielleicht die größte Schwierigkeit für die Interpreten, wenn die technischen und musikalischen Hürden erst einmal genommen sind.
In sechs Einspielungen hörten wir eine gering von unserer verwendeten ungarischen Taschenpartitur abweichende Version, die die Variation V. mittels einer Hornüberleitung mit der Variation VI. verbindet. Zudem schließt sich nach dem bekannten Hornthemenkomplex auch noch eine kleine Kadenz für das Klavier an. Eine zur Klärung des Sachverhaltes erworbene neue Taschenpartitur von Eulenburg (Ausgabe 2020) brachte diesbezüglich keine Klärung, sondern nur den schon bekannten Notentext. Diese sechs Einspielungen waren, um nur einmal den Pianisten zu nennen, von Matsuev, Benedetto-Michelangeli, Magaloff, Cechova, Katin und de Groot.
(Text erarbeitet mit Hilfe der betreffenden Seite von Wikipedia (Quellen siehe dort), der Beihefte zu den Einspielungen von Beatrice Berrut, Leslie Howard, Jorge Bolet und Krystian Zimerman, eines Artikels in dem Programmheft zu einem Konzert des Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo von Alice Blot (Saison 20/21), eines Artikels im Programmheft des Houston Symphony Orchestra vom Februar 2020 von Calvin Dotsey und dem Vorwort zur Eulenburg-Taschenpartitur Nr. 722 von Robert Collet. Als Vergleichsmaßstab diente die Taschenpartitur von Editio Musica, Budapest, die leider und im Gegensatz zur Ausgabe von Eulenburg ohne Taktzählung auskommt.
zusammengestellt bis 24.5.2021

Franz Liszt, anno 1839 also ca. fünf Jahre vor der Komposition des Totentanzes.
Vergleichende Rezensionen der gesichteten Einspielungen:
5
Krystian Zimerman
Seiji Ozawa
Boston Symphony Orchestra
DG
1987
15:07
Zimerman und Ozawa gelingt es von Anfang bis zum Ende ihre Einspielung unter Hochspannung zu setzen. Insbesondere die extrem kontrastreiche sowohl Gegensätze von intensivstem Marcato bis zu einem selten zu hörenden Dolcissimio vereinende Spielweise, die von einem leuchtenden Diskant bis zu profund schwarzen Bässen alles bietet, was sich der Klavierenthusiast nur wünschen kann, trägt maßgeblich dazu bei. Beinahe einzigartig wird Zimermas Spiel dadurch, das er zudem noch über eine extrem reiche Nuancierungskunst verfügt (darin kommt ihm Beatrice Berrut am nächsten) und auch vor Extreme des Ausdrucks nicht zurückschreckt.
Der atemlose Spannungsaufbau wäre aber nicht möglich, wenn ihm Orchester und Dirigent keine gleichgesinnten Partner wären, die die Vorgaben des Pianisten nicht auf gleicher Höhe ins Orchestrale übertragen könnten. Auch das Orchester, leidenschaftlich und mit extremer Entschlossenheit von Ozawa motiviert, hat eine Fülle von Nuancen parat und lässt es bei Bedarf auch dämonisch krachen oder kommentiert den Klavierpart auf sardonische Weise. Das Fagott allerdings bei Zi. B (Variation I.) spart ein wenig am verlangten Staccato, da wäre etwas mehr Grimm oder Grimmasse drin gewesen.
In der Variation IV. lässt Zimerman die Zeit fast stehenbleiben, der Tod scheint bei ihm über diese Macht zu verfügen. Hier gelingt ihm eine tiefe Versenkung und, versehen mit wohldosiertem Pedalgebrauch, glanzvoll glitzernde Passagen, denen er auch mal eine schimmernde Aura verleiht. Selten haben wir ein so magisches Dolcissimo gehört. Auch mit Elementen großer, wild herausfahrender Virtuosität, wie im Vivace dieser Variation werden wir als Hörer reich überschüttet. Die beiden großen Kadenzen sind Feuerwerke an pianistischer Brillanz und grandioser Leidenschaft. Die wild herausfahrenden Elemente sind dabei nie Selbstzweck sondern dienen in erster Linie dazu, den Ausdruck zu intensivieren.
In der Variation IV. klingen die Hörner klar und mit richtigem ff, ein Hochgenuss, auch wenn es hier wahrscheinlich den Jägern und/oder Förstern höchstselbst an den Kragen geht. Vielleicht wird aber auch die Jagd nach anderen bisher verschonten armen Seelen mit Hörnerklang neu eröffnet. Das Resultat bleibt sich gleich: Niemand wird letztlich verschont. Am Ende der glanzvollen Darbietung peitscht Ozawa die Bostoner noch einmal richtig voran nur damit sie schlussendlich mit Zimerman gemeinsam in den Orkus einfahren.
Der Klang der summa summarum sehr guten Tonaufzeichnung stellt das Klavier prominent an die Rampe. Aber obwohl das Orchester demgegenüber leicht nach hinten versetzt erscheint, ist es fast immer auf prickelnde Weise präsent. Nur ganz selten wird es einmal in Teilen (nie ganz) vom Klavier verdeckt, was den einzigartigen Rang der Darbietung aber nicht ernsthaft gefährdet.
5
Denis Matsuev
Michail Pletnev (auch: Pletnjow)
Russian National Orchestra
Sony
P 2011
14:57
Als urgewaltig kann man die Pianistik von Denis Matsuev bezeichnen. An schierer Kraft kommt ihm allenfalls Boris Berezowsky gleich, der es aber an vergleichbarer Differenzierungskunst fehlen lässt. Diesbezüglich bleiben Zimerman und Berrut in diesem Vergleich das Maß der Dinge. Matsuevs Anschlag ist besonders kraftvoll und prägnant, der höchsten Brillanz fähig, bei Bedarf auch perkussiver. Den rasanten Läufen dieser beiden russischen Pranken zu folgen macht großen Spaß, zumal auch Pletnevs Herangehensweise von der des Pianisten infiziert scheint. Den gemütlichen Tempi wie zuletzt bei Scriabins „Le Poème de l´Extase“ oder zuvor bei „Francesca da Rimini“, (insbesondere in seiner neueren Einspielung bei Pentatone), ist er diesmal abholt. Obwohl wir zu Beginn schon die Befürchtung hatten, aber das Marcato soll ja auch nur ein Andante sein. Irritierend war es, dass er die Pauke schon zu Beginn sehr laut spielen lässt, sodass kein Crescendo mehr möglich ist. Dafür klingt das Fagott erheblich sardonischer als das der Bostoner. Das hervorragend aufgelegte Orchester klingt als Ganzes, sowie auch sämtliche eloquente Soli, ausgesprochen plastisch. Der Meisterpianist setzt seine musikalischen Muskeln jedoch mit großer Flexibilität ein, bei Bedarf heizt er zwar mächtig ein, versteht sich aber auch auf lyrische Feinheiten (aber nur wo es sein muss). Er ist mit allen „Wassern“ gewaschen und die Sonorität seines Klavierklangs ist schon fast „unheimlich“, was in diesem Werk als mehr als adäquat gelten darf. In der Variation IV. beginnt er eigentlich viel zu schnell, missachtet die Vorschrift Lento nicht unerheblich, mäßigt sich aber im weiteren Verlauf, er fügt sich erst langsam in den kanonischen Ablauf, der einen gewissen kirchlichen Rahmen aufspannt. Wir erleben pianistische Perfektion in Reinkultur, durchaus expressiv und ein urgewaltiges Presto als Abschluss. Die Variation V. verdient gesondert erwähnt zu werden: Mit einem auf die Spitze getriebenen Vivace deckt Matsuev, an Rasanz kaum zu überbieten, wie im Sturm das Orchester phasenweise komplett zu. Die Kadenz unterlegt er mit Vokalisen, wie einst Glenn Gould.
In der Variation VI., die ja ihrerseits wieder 8 Miniaturvariationen beherbergt, hören wir eine Hornüberleitung, die in der Partitur nicht notiert ist, mitsamt Echo. Mehrere Einspielungen nutzen diese Vorlage, die einer anderen Fassung der Partitur entnommen scheint. Die Hörner tragen dann auch ihre originalen (in unserer Partitur enthaltenen) Motive sehr ausdrucksvoll und mit großer Autorität vor. Im Anschluss spielt der Pianist mit den größten Schwierigkeiten als ob es ein Leichtes wäre. Dabei malträtiert er das arme Instrument auf außerhalb der Produktgarantie liegende Art und Weise. Diesem explosiven Feuerwerk an Virtuosität zu lauschen war ein großer Spaß für uns. Auch bei Matsuev geht es mit Mann uns Maus abwärts in den Hades, garniert mit einem gepfeffert angeschlagenen Tamtam und natürlich den exponierten Pauken und Trompeten.
Konnte man bereits von Matsuev eine herausragende Leistung erwarten (wie bereits im Vergleich von Gershwins „Rhapsody in Blue“ gehört), sorgte der dämonisch-sardonische angelegte Orchesterpart des vom, dieses Mal überhaupt nicht zum Langatmigen tendierenden Pletnev, für eine angenehme Überraschung. Mit Zimerman zusammen bildet der an den frühen Richter oder den jungen Sokolov erinnernde Matsuev in diesem Vergleich das Duo der Klaviergiganten.
Der Klang der Aufnahme ist ausgesprochen klar, sehr dynamisch, voll und plastisch. Aus audiophiler Sicht ist dies, gemeinsam mit der von Markus Groh und Fabio Luisi, die klangtechnisch beste Aufnahme des Vergleiches.
5
Markus Groh
Fabio Luisi
Orchestre de la Suisse Romande
RTS Evasion
2002
15:25
Aus audiophiler Sicht kann diese Schweizer Produktion mit der Sony-Aufnahme zuvor sehr gut mithalten. Ihre unmittelbar anspringende Präsenz und die überaus ausladende Dynamik hat es uns angetan. Zudem ist sie auch recht transparent, voll und farbig.
Der Beginn erklingt hier sehr markig. Klavier und Pauke klingen wie ein Instrument. Der Klavierpart wird von Markus Groh, heute übrigens Professor in Berlin, virtuos, leidenschaftlich und präzise gestaltet. Vielleicht nicht ganz so partiturnah und fein abschattiert wie die im Folgenden genannte Beatrice Berrut. Im Gegenzug ist das OSR aber das noch bessere Orchester als die Tschechen in Berruts Einspielung. Der Orchesterpart erklingt brillant, lebendig, äußerst dynamisch und zugespitzt. Mitreißend wie in kaum einer anderen Einspielung. Die sprechenden Soli der Fagotte und Hörner werden glänzend herausgearbeitet. Mit dem Pianisten gemeinsam liegt man auf der gleichen Wellenlänge Man meint die Beteiligten gemeinsam atmen zu hören, was natürlich angesichts der gebotenen Lauststärke nicht möglich ist. Aber bestes Concertare und gegenseitiges Befeuern lässt sich durchaus ausmachen. Die Variation IV gefällt besonders. Groh gelingt sie, obwohl eine lyrische Insel im sardonischen Geschehen, sehr spannend und mit bestem Jeu perlé und brillantem Anschlag darzustellen. Der Hörer hält den Atem an. Seine fff sind realitisch (vielleicht nicht ganz so brillant wie bei den beiden Cziffra-Einspielungen), während die meisten Kollegen nicht über ein ff hinauskommen. Auch das Orchester agiert, von Luisi vortrefflich befeuert, mit größter Vehemenz. Die Variation VI. beginnt mit besonders plastischen und feurig geblasenen Hörnern, deftig und zupackend. In dieser Einspielung wird den „Opfern“ tüchtig die Hölle heiß gemacht Bezeichnender Weise geht die Höllenfahrt auch für das Klavier ab nach unten.
5
Beatrice Berrut
Julien Masmondet
Czech National Symphony Orchestra, Prag
Aparté
2017
15:45
Einen besonders tiefen Blick in die Partitur und in die Entstehungsgeschichte des Werkes hat die Schweizer Pianistin Beatice Berrut geworfen. Gemeinsam mit ihren pianistischen und musikalischen Fähigkeiten gelingt ihr so eine tief lotende, besonders fein ausdifferenzierte, aber auch höchst brillante Wiedergabe der Komposition. Schon der Beginn zeichnet sich durch extremes Marcato aus. Ihr Anschlag ist deutlich klarer fokussiert als der der zuvor gehörten Nareh Arghamanyan und mit mehr Kraft versehen. An die Vehemenz des ebenfalls noch vor ihr im Alphabet gelisteten und damit gerade erst vernommenen Berezowsky kommt sie nicht ganz heran. Sie überflügelt diesen jedoch an geschmeidigem Rubato und äußerster Differenziertheit in den feinen Abstufungen deutlich. Ihr Spiel wirkt durchweg sehr gefühlvoll, frisch und locker. Ihr Ton ist zudem leicht und hell. Er sprudelt wie ein „lebendiger“ Gebirgsbach, frisch und klar. Ihr drängender Gestus lässt das Spiel wirken wie ein Segeln unter vollem Wind. Mit vollem Bass und geschmeidigem, durchaus leuchtenden Diskant gesegnet, wirkt ihr Spiel nicht zuletzt auch sehr leidenschaftlich. Das Molto vivace der Variation III. oder die beiden Presti der Variationen IV. und V. gelingen ihr sagenhaft virtuos.
Nun wollen wir aber bei allem Lob für das Klavierspiel der Pianistin nicht das Orchester vergessen. Unter den zahlreichen Prager Orchestern dürfte es, 1993 gegründet, eines der jüngsten sein. Unter der Leitung des jungen französischen Dirigenten macht es einen bestens vorbereiteten Eindruck. Die Soli kommen pointiert und sprechend, der Gestus ist dem der Pianistin durchaus angepasst. An Klangsinnlichkeit wird nicht gespart, wenngleich es nicht ganz an die selbstverständliche Virtuosität des BSO oder des RNO herankommt und auch hinter der Attacke und dem grandiosen Esprit von Luisi und dem OSR ein Quäntchen zurückbleiben muss.
Doch nun wieder zurück zur Pianistin: Die Variation IV. canonique spielt sie ungemein fein, gespannt und mit äußerster Klarheit. Der Hörer hält den Atem an. Immer wieder erlebt er magischen Klangzauber. Das Zusammenspiel mit dem Orchester gelingt bestens aufeinander abgestimmt. Die Variation V. lässt uns erneut die perfekte Anschlagskultur hören, nicht weich nicht hart, einfach schön fokussiert und trotzdem noch leicht gerundet, eine glückliche Kombination. Die Punktierungen setzt sie schneidig und gestochen scharf. Immer wieder registriert man, wie aufmerksam das Orchester auf die Pianistin eingeht und mit welch einer Leidenschaft es mitzieht. Ein ausgezeichnetes Miteinander. Die Kadenzen gelingen absolut souverän mit lebendiger Musikalität und wenn nötig auch gehörigem Tastendonner. In der Variation VI. sind die Hörner schön präsent und zu Recht deutlich hervorgehoben. Das Duo von Klavier und Flöte klingt wunderbar homogen. Das abschließende Allegro animato nimmt alle Beteiligten (mitsamt dem Klavier) mit in die Hölle. Schade, gerade diesem Klavier und seiner Spielerin hätten wir den Weg nach oben (gen Himmel?) gewünscht.
Der Klang der Einspielung bietet eine tolle Präsenz des Bösendorfer-Flügels, der auch breitbandig und sehr differenziert abgebildet wird. Mitunter (bei Pausen) wirkt der Nachhall etwas zu lange. Insbesondere die Violinen sind etwas zu weit nach hinten gerückt, könnten demnach etwas mehr Präsenz vertragen. Dennoch gehört die imaginäre Klangbühne nicht dem Klavier allein. Insgesamt klingt es bei aller filigraner Verästelung des Klanges noch ziemlich voll und brillant. Ein sehr gelungene Einspielung und ein Extra-Brava an die elfenhaft wirkende Pianistin mit dem Tiger im Tank.
5
Nelson Freire
Rudof Kempe
Münchner Philharmoniker
CBS – Sony
1968
14:20
Zu den allerersten Aufnahmen Nelson Freires (wenn nicht sogar zu seinem Schallplattendebüt bei CBS) gehörte der Totentanz. Die Einspielung profitiert nicht nur von seiner spontan und jugendfrischen Herangehensweise, sondern ganz im Besonderen von der anspringenden und mitreißenden Gangart, die der urmusikalische und spontan wirkende Rudolf Kempe und seine Münchner hier hinlegen. Alle diejenigen werden Lügen gestraft, die meinen, die Münchner hätten erst durch Celibidache und die durch ihn erwirkte erweiterte Finanzierung weltstädtisches Niveau erlangt. Zumindest diese Einspielung beweist das Gegenteil. In kaum einer anderen Produktion wird das tänzerische Element des Totentanzes so herausgekehrt wie hier von Freire und Kempe. Einen Wink gibt ja schon die geraffte Spielzeit, die in diesem Fall schon ein Statement darstellt. Um es gleich vorwegzunehmen: In Freires zweiter Einspielung mit Plasson gelingt das viel weniger. Während wir hier also eine der besten Orchesterleistungen des Vergleiches verfolgen können steuert Freire sein damals freies, recht nuanciertes, vor allem aber zugespitztes, in den Tempi den Grenzbereich nicht scheuendes Klavierspiel bei, wobei es zusätzlich noch mit einem gewissen brasilianischen Feuer gewürzt erscheint (obwohl es sich klischeehaft anhört, sei es geschrieben). Wie in dieser Aufnahme Kempe und die Münchner sogar Ormandy und den Philadelphians in der Präsenz und Nuancierungskunst überlegen sind, ist es Freire auch dem Kollegen Brailowsky. Cziffras Anschlagskultur übertrifft hingegen die Freires nochmals ein wenig, besonders wenn es um die Grenzbereiche geht. Dazu später mehr, wenn es um die beiden Aufnahmen Cziffras geht.
Der Klang der Aufnahme ist äußerst präsent. Sie lässt die Tiefe zwar vermissen, ist aber toll in die Breite gestaffelt. Dadurch wirkt sie sehr transparent. Die Dynamik ist hervorragend, was zur Lebendigkeit des Klangerlebnisses viel beiträgt.
▼ eine weitere Aufnahme des Pianisten findet sich weiter unten in der Liste
5
Jean-Yves Thibaudet
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1990
15:12
Hatte uns der Pianist im 2.Klavierkonzert von Saint-Saens noch nicht völlig überzeugen können, gelingt ihm das in diesem Vergleich mit Bravour. Diese Einspielung betont die leichten und lockeren Aspekte der Lisztschen Klaviermusik. Die es ja auch noch gibt, wenngleich in den bis hierhin genannten Einspielungen eher die dämonische und, wie im „Hintergrund“ erwähnt, sardonische Seite zu ihrem Recht kam. Thibaudet und Dutoit gehen sehr differenziert vor, virtuos und spielerisch brillant. Durchaus auch zugespitzt in den Steigerungsverläufen. Massivität und Wucht sucht man hier jedoch vergebens. Beide ziehen an einem Strang, wenn es um die Kunst feinsinniger Nuance und schlanker Eleganz geht. Die rasante Attacke steht nicht im Zentrum des Ansatzes, wobei sie aber keineswegs außen vor gelassen wird. Dass es hier um einen Totentanz geht, könnte man fast vergessen, wenn man nicht wüsste, dass sich Gevatter Tod auch das Gewand eines gut gekleideten Verführers über das Skelett legen kann, wenn er seine Opfer so besser und leichter ihrem Ende zuführen kann. Die gleich gestimmten Partner spielen hier mit viel Esprit auf, hoch virtuos, ohne technische Schranken, konsequent hell, diesseitig und sehr luzide. Alles ist hier nur ein Spiel? Das kommt wohl auf den Standpunkt des Betrachters an und trifft wohl eher nur für den Sensenmann zu, nicht auf dessen Opfer. Auch nach diesem „frankophonen“ Spektakel geht die Post im Finale ohne Entrinnen für das Klavier ab nach unten in die Hölle.
5
György Cziffra
André Vandernoot
Philharmonia Orchestra London
EMI
1961
14:43
Gyorgy Cziffra jr.
Orchestre de Paris
EMI
1972
14:50
Von Cziffra, der auch unter dem ins Französische übertragenen Vornamen Georges „firmiert“ liegen uns zwei nahezu gleichwertige Produktionen vor, die im Abstand von nur acht Jahren entstanden. Mit der Londoner Einspielung dürfte wohl niemand bei EMI oder gar der Pianist selbst ernsthaft unzufrieden gewesen sein, sodass der Grund für das Remake eher familiärer Natur gewesen sein könnte. Der Sohn, wie der Vater ebenfalls Pianist, sollte sicher mit dieser Einspielung, in der Absicht eine Karriere als Dirigent anzutreten, gefördert werden, sein Name bekannt gemacht werden. So nehmen wir einmal an. Tragische Ereignisse vereitelten jedoch den späteren Erfolg dieser Absicht. Jedem ernsthaft am Leben des Pianisten interessierten Musikfreund legen wir dazu den Artikel bei Wikipedia besonders ans Herz. Es ist erschütternd, wie böse einem das Leben mitspielen kann.
Doch nun zurück zu den beiden Einspielungen. Die Unterschiede sind, wie es sich bei nur acht Jahren Abstand zwischen den Einspielungen denken lässt, eher außerhalb des Pianisten zu entdecken. Hören wir uns zunächst die Aufnahmequalität an: In London wird das Klavier nicht ganz so brillant eingefangen, im Diskant kommt es bisweilen zu leichten Verfärbungen, weil die Dynamik Cziffras bisweilen den dynamischen Ambitus der Technik überschreitet. Andererseits ist das Orchester gegenüber der Pariser Aufnahme räumlich zusammengerückt und näher am Solisten dran. Durch diese Präsenz gefördert erscheinen die Interaktionen zwischen den Partnern noch etwas haarfeiner aufeinander abgestimmt zu sein. Das Fagott in der Variation I. ist länger als Solo zu hören, das Blech wirkt noch etwas knackiger. Überhaupt ist das Orchester, von Vandernoot straff geführt, stets ausgezeichnet zu hören. Es wirkt auch ein klein wenig virtuoser als das OdP. Die Londoner Einspielung rauscht etwas, was man von der Pariser nicht schreiben kann. In der Variation IV. wird die Flöte ausgezeichnet akzentuiert, sie geht nicht, wie in vielen anderen Einspielungen (auch in der Pariser) hinter dem Klavier verloren. Überhaupt geht der Pianist Cziffra senior in beiden Einspielungen auf besondere Weise auf die Belange des Orchesters ein. In beiden Fällen scheint es ihm auch eine Herzensangelegenheit gewesen zu sein, das Werk einzuspielen.
Die Pariser Aufnahme klingt etwas transparenter, immer noch sehr dynamisch und räumlich erheblich weiträumiger als die Londoner. Ihr Klang ist sehr lebendig und offen und mit einem feineren Strich gezeichnet. Hier kommen z. B. die col legno-Passagen etwas besser zur Geltung (das Knochengeklapper der Skelette imaginierend). Das Orchester erklingt hier differenzierter als die Philadelphians zuvor in der Brailowsky-Aufnahme. Selten hat man das damals noch sehr junge OdP so präzise gehört. Auch die Hörner klingen sehr gut. Der Sohn unterstützt und ergänzt das Spiel des Vaters auf sehr plastische Weise. Das Zusammenspiel ist perfekt, was man aber auch bereits von der Philharmonia-Einspielung behaupten darf. In beiden Fällen übernehmen die selbstbewussten Dirigenten den stürmischen und differenzierten Zugang des Pianisten und machen den Orchesterpart plastisch. Bei Vandernoot vielleicht noch eine Spur dramatischer, was aber vielleicht auch nur der aufnahmetechnischen Nähe geschuldet sein kann, die den Hörer noch mehr ins musikalische Geschehen involviert.
Das Spiel des oft umstrittenen Pianisten gründet auf einer stupenden Technik für die es zumindest in diesem Werk keine Grenzen zu geben scheint. Man hört aber kein virtuoses Geklingel, sondern einen Klavierpart, der stets auf maximalen Ausdruck ausgerichtet ist. Der brillante, ausgesprochen klare Anschlag ist reich nuanciert (Variation IV.) und außerordentlich präzise. Das besondere an Cziffras Spiel ist die ausgeprägte Spontaneität und Unmittelbarkeit des Ausdrucks. Ein gepfeffertes Presto und der dramatische Gestus allgemein ist genauso auf der Skala der Spielarten vertreten wie die lyrische Versenkung. Die glänzende Pianistik dient einem Musizieren unter Hochspannung mit hohem gestischen Wert. In kaum einer anderen Einspielung wird der sardonische Charakter des Stückes so deutlich wie bei beiden Einspielungen Cziffras. Unter den Händen von Liszts Landsmann spielt der Tod besonders lebendig und mitreißend auf, in der Musik ist das keineswegs ein Widerspruch. Bei Cziffra gibt es am Ende zumindest für das Klavier noch ein Fünkchen Hoffung, es verabschiedet sich im furiosen Finale nicht in Richtung Orkus, sondern erhebt sich selbstbewusst und brillant gen Himmel, als ob es keinen Platz da unten für es gäbe (nur für die anderen).
Eine Entscheidung für die eine oder andere Einspielung ist müßig, am besten ist es, man kennt sie beide. Dass diese beiden Aufnahmen am Ende der 5er-Wertung stehen ist nur der Listenstruktur geschuldet. Sie sind keineswegs schlechter als z.B. die Thibaudets. Im Gegenteil...
4-5
Byron Janis
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1959
15:24
Reiners Handschrift mag man bereits an dem penibel organisierten Crescendo der Pauke zu Beginn erkennen. So wird man gewahr, wie sie sich zuerst hinter dem Klavier versteckt dann aber an dessen vollen Marcato bedrohlich vorbeizieht und quasi wie eine Schlagwaffe erscheint. Ein Detail an dem viele achtlos vorbei dirigieren. Janis legt die ersten Martellato-Exkursionen wie herumfliegende Geister an. Den Orchesterpart lädt Reiner mit einem ungemein drängenden Gestus auf, dass es dem Hörer Angst und Bange werden könnte. Mit dem „bissigen“ Blech gelingen immer wieder imposant schneidige Orchestereinsätze mit drängendem Impetus. Immer wieder heizt Reiner das selbstbewusst und voller Autorität aufspielende Orchester mächtig an. Es wird so zum Aktivposten der Einspielung. Sein abschließendes Animato hat Schneid und Wucht. Das die überfallartige Dynamik des CSO hier mit noch tieferem Ernst und noch straffer organisiert klingt als beim großen Konkurrenten unter Ormandy, der dafür mit etwas mehr Humor agiert und dessen Orchester diesmal noch etwas saftiger und etwas voller klingt.
Beim Pianisten sind gegenüber den zuvor genannten Berufskollegen (und -innen) kleine Einschränkungen zu benennen. Er ist zwar ebenfalls eines enorm zugespitzten und sehr farbigen Spieles fähig, aber im Presto der Variation V. agiert er nicht so souverän wie z. B. Berrut oder Groh. Auch gelingt es der alten Living-Stereo-Technuk noch nicht ganz dem Klavierklang eine leichte Topfigkeit zu nehmen. Wir nehmen nicht an, dass der Flügel in Chicago in Realiter so klang, 1959. Auch der Anschlag lässt die völlige Klarheit etwa von Berrut oder Cziffra ein klein wenig vermissen. Innerhalb der Living-Stereo Reihe gehört die Aufnahmequalität nicht zu den allerbesten.
4-5
Rian de Waal
Jos van Immerseel
Anima Eterna, Brügge
ZigZag
2004
14:49
Rian de Waas hier verwendeteter Erard-Flügel von 1886 und das frisch aufspielende Originalklang-Ensemble sind in unserem Vergleich die einzigen Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis. Von all den gehörten Steinways und Bösendorfers konditioniert, waren wir zu Beginn von dem ungewohnt weichen Flügelklang, der zu Beginn im Marcato deutlich von der deftigen dreinschlagenden Pauke dominiert wird, etwas überrascht. Er ist viel weniger brillant aber auf seine Art ungemein ausdrucksvoll und, wenn man dem Höreindruck glauben schenkt, auch sehr leichtgängig. Und keineswegs im Klang anämisch. Anhängern des Steinway-Klangs könnte Brillanz, Kern und Gewicht des Klangs fehlen. Der Klang des Erard hat aber schon viel vom heutigen Flügelklang, ist aber weicher, weniger durchdringend und hat auch einen merklich reduzierten dynamischen Ambitus. Die Darbietung de Waals ist jedoch sehr temperamentvoll und weiß mit ihrem mitreißenden Zugriff sehr zu gefallen. Technisch gesehen gibt er sich keine Blöße. Das hämische Gelächter kommt sehr gut zur Geltung und das Knochgeklapper ist geradezu eine Spezialität. Die Darstellung gerät immer schlank und locker und kommt auch im Orchester ohne Donner und Geschmetter aus. Der Orchesterklang profitiert sehr von der geringeren „Autorität“ und der geringeren Tragweite des Flügelklangs und wirkt hier extrem hellhörig und durchsichtig. Quasi Licht durchflutet. Ein rundum sympathischer Ansatz, der uns sehr gefiel. Die Tonleiter des Pianisten führt allerdings schnurstracks von oben nach unten.
Der Klang der Einspielung ist sehr präsent, transparent, voll, satt, recht weiträumig und offen. Allerdings dynamisch etwas eingeschränkt.
4-5
Arturo Benedetti-Michelangeli
Rafael Kubelik
Orchestra Sinfonica di Torino della RAI
Bramante
1961, LIVE
16:37
MONO Hier klingt das Marcato zu Beginn sehr schwer, fast wie ein Aufmarsch mit Panzern. Daran hat auch der etwas dumpfe Gesamtklang seinen Anteil. Man könnte zunächst meinen, der Feingeist unter den Pianisten hätte sich vielleicht im Stück vertan, aber er weiß seine feingeistige Gestaltung mit den auch rabaukenhaften Erfordernissen des Stückes sehr wohl zu vereinen. Von der Technik her ist natürlich alles da. Wir genießen so in erster Linie eine besonders deutliche und differenzierte Gestaltung, gepaart mit feiner Musikalität. Lediglich in der Variation III., die von Beginn an Molto vivace sein sollte, beginnt er seltsam langsam und bleibt auch verhalten. Kubelik seinerseits nutzt den hier gewonnenen Freiraum zu intensiver Artikulation. In der Variation IV. kann sich der der Lyriker frei entfalten und er überzeugt hier auch besonders. Technisch makellos, nicht über Gebühr extrovertiert, bekommt diese Variation eine selten zu hörende Noblesse. Falls der Hörer nun meinen sollte, damit hätte sich Michelangeli bereits ausgegeben, wird gleich in der folgenden Variation V. eines besseren belehrt, denn hier zeigt der Löwe seine Pranken und er dreht voll auf, stets verbunden mit seinem dezidiert feingliedrigen, schlanken, hellen, ja sagen wir es ruhig makellosen Anschlag. Bei der Variation VI. hören wir wieder die schon aus der Einspielung Pletnevs bekannte nicht in unserer Partitur berücksichtigte Hornüberleitung, ergänzt um eine kleine Klavierkadenz danach. Am Ende des Stückes steigert Kubelik das Tempo feurig und wenn wir das richtig gehört haben, lässt es sich Michelangeli nicht nehmen und spielt - die von Liszt absichtlich frei gelassenen Takte - als einziger komplett mit, also nicht nur die sieben letzten. Er lässt es sich auch nicht nehmen, sich und das Klavier in Sicherheit zu bringen und zieht seine Schlussskala von unten nach oben.
Der leicht dumpfe Gesamtklang stört feine Ohren von heute sicherlich. Insbesondere weil er auch das Klavier betrifft. Dadurch bleibt uns aber vielleicht auch ein verklirrter Diskant erspart, was wichtiger ist. Der Bass wird profund wiedergegeben. Die Transparenz ist ausreichend. Die Dynamik wirkt eingeebnet (Loudness-Effekt).
4-5
Martin Roscoe
Leo Hussain
BBC Philharmonic, Manchester
BBC Music
2011
15:37
Dem hierzulande eher weniger bekannten Pianisten gelingt schon zu Beginn eine passendes Marcato, dem der junge Dirigent ein einnehmendes Paukencrescendo zur Seite stellt. Das Klavierspiel Roscoes ist uns, nachdem wir zuvor Alfredo Perl hörten, als deutlich lebendiger und prägnanter aufgefallen. Er ist ein Meister des Glissando, sein Klavierklang ist brillant und vortrefflich dynamisiert. Ein Pianist stellt sich hier vor, der mit allen pianistischen „Wassern gewaschen“ ist. Jede Variation erhält ein prägnantes, eigenes charaktervolles Gesicht. Hoher Ausdruckswille ist jederzeit spürbar. Auch der Orchesterpart wird liebevoll und sehr aufmerksam gestaltet. Ob Klarinette, Fagott oder Horn, alle Solisten spielen sehr prägnant und eloquent. Der Orchesterpart klingt originell und pointiert. Damit steht es 1:0 für das Orchester aus der Provinz, denn das Londoner BBC Symphony Orchestra unter Kreizberg kommt in der Perl-Einspielung an diese Glanzleistung nicht heran. Übrigens: Auch Roscoe verabschiedet sich mit seinem Instrument in die Hölle.
Auch der Klang in Manchester übertrifft den BBC-Klang aus London an Offenheit, Dynamik, Präsenz und Farbigkeit, nicht viel aber deutlich hörbar.
4-5
Joseph Moog
Ari Rasilainen
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Ludwigshafen
Claves
2007
15:33
Moogs Darstellung des Totentanzes ist differenziert, effektbewusst und lebendig geraten. Auch das Orchester ist sehr aufmerksam und mit Biss am Erfolg der Einspielung beteiligt. Die Pauke zu Beginn realisiert ein gutes Crescendo. Das Fagott ist trotz Dopplung der Stimme mit den Streichern sehr gut herauszuhören. Die Hörner in der Variation VI. klingen wunderbar in den Raum gestellt und ausdrucksvoll. Details an denen man erkennen kann, dass das Team (wozu natürlich auch die Techniker gehören) sich auch um Detaillösungen gekümmert hat. Auch laute Stellen schwingen schön aus.
Moogs Klavierklang ist voll und ausgewogen mit einem leuchtenden Diskant versehen und sehr kraftvoll mit einer hohen dynamischen Spannweite. Sein Staccato hat jedoch immer etwas weiches und rundes und klingt nicht so kernig wie bei den Allerbesten. An die Explosivkraft eines Matsuev oder Cziffra kommt sein Spiel nicht ganz heran. Er bleibt seinem Part aber technisch absolut nichts schuldig. In dieser Einspielung kommen die scherzohaften Elemente des Stückes sehr schön zum Ausdruck. Auch die Glissandi gelingen sehr effektvoll. Moog lässt seine Tonleiter am Ende im Orkus verschwinden.
Die Aufnahmequalität genügt hohen Ansprüchen. Sie ist präsent, deutlich, klar, voll und rund, dynamisch und sehr farbig. Sie hat eine natürlich wirkende Räumlichkeit und wirkt sehr plastisch und ist sehr angenehm anzuhören. Sehr empfehlenswert.
4-5
Alexander Brailowsky
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS – Sony
1959
15:19
Diese Einspielung bietet großes Theater. Mit donnerndem Marcato führen sich hier Solist und Orchester ein. Der Pianist bewegt sich generell sehr gerne in hoher und höchster Lautstärke in diesem Stück weiter. Das Orchester wartet mit demonstrativer Hochglanz-Virtuosität auf, ist dabei nicht gänzlich undifferenziert, lenkt das Augenmerk aber auf ein ungemein dichtes, aufregendes und spannendes Musizieren unter einem weit gespannten Boden und sagenhafter Präsenz. Der Klavierton klingt zwar recht brillant, aber auch etwas glockig. In der Variation IV (canonique) vermisst man etwas die Geschmeidigkeit, Cantabilität und das enorme Differenzierungsvermögen der zuvor gehörten Beatrice Berrut. Auch das Klarinettensolo, glasklar von der 59er Technik abgebildet, gelingt lange nicht so einfühlsam wie in der Berrut-Aufnahme. Das die Variation abschließende Presto klingt bei Brailowsky gegenüber Berrut etwas schwerfällig. Was man von der Variation V. nicht behaupten kann. Sie gleicht einem pianistischen Ritt über den Bodensee. Aber ähnlich wie bei Berezowsky auch etwas pauschal. Die Kadenz wird gut gegliedert und Brailowskys fff braucht sich vor nichts und niemandem zu verstecken. Die Variation VI, die mit frechen Hörnern beginnt wird mit großer Lust am Donnern und einem sagenhaften Drive dargeboten. Das wäre restlos begeisternd, wenn man zuvor nicht Beatrice Berrut gehört hätte, deren Zugang ungleich detailreicher wirkt.
Trotz der erreichten Dauerspannung und dem Vergnügen daran wirkt diese Einspielung doch etwas pauschal, fehlt es ihr doch an den fein differenzierten Nuancen. Auf ihre Art aber ist sie hinreißend und es würde uns nicht wundern, wenn sie des einen oder anderen Musikfreundes Lieblingsaufnahme werden könnte oder schon seit langem ist. Mit großer Show begeben sich Brailowsky und das Orchester gemeinsam am Ende in Richtung Hölle.
Der Klang mit dem leicht glockigen Klavier im Zentrum ist sehr dynamisch und wuchtig. Das Orchester klingt recht pauschal aber mit sagenhafter Präsenz und Virtuosität. Vollsaftig macht es bisweilen dem Pianisten akustisch die große Show streitig. Die Staffelung in die Breite ist vorzüglich, in der Tiefe allerdings kaum vorhanden.
4-5
Claudius Tanski
Stefan Blunier
Beethoven Orchester Bonn
MDG
2010
16:17
SACD Sehr partiturgenau verfahren die Protagonisten in dieser Aufnahme. So beginnt man im von Liszt vorgesehenen Andante und die Pauke unterstützt das Marcato des Pianisten mit einem exakt ausgeführten Crescendo. Das Allegro moderato des Pianisten sollte pesante gespielt werden. Uns kam es hier eher leichtgewichtig als schwer oder wuchtig vor. Die feine Differenzierung wird hier im Weiteren aber besonders beherzigt. Ausnahme: Um das Sardonische noch etwas mehr zu betonen, hätte das Fagott-Solo zu Beginn der Variation I. in einem etwas spitzeren Staccato erklingen können. Tanski spürt besonders den lyrischeren Momenten des Stückes nach, wirkt dabei nachdenklich und besonnen. Dabei lässt er sich mit seinem brillant-kultivierten Ton auch durchaus Zeit (Variation IV. canonique). Souveräne Virtuosität wird dabei eher selten zur Schau gestellt als vielmehr werkdienlich eingesetzt. Stefan Blunier und das sehr gut eingestellte und klangschöne Orchester unterstützen ihn dabei vorzüglich. Mitunter hatten wir jedoch den Eindruck, dass der Dirigent gerne ein Mehr an Ironie und Temperament eingebracht hätte. Ahnen lässt es sich schon während der Variation VI. in der er die Hörner wunderbar und in einem prallen ff erklingen lässt. Bestens zu hören ist es dann beim Finale, bei dem Blunier, den Begleitfunktionen einmal enthoben, mächtig auf das höllische Gaspedal drückt, um diabolisches Feuer zu entfachen. Der Pianist hingegen, immer sehr exakt, bleibt bei seinem lockeren Spiel, ohne Überdruck, spielerisch und gelassen, bisweilen sogar verführerisch.
Summa summarum hören wir hier einen seriösen Liszt, ohne Mätzchen, dem man aber mitunter ein klein wenig mehr „Pranke“ im Pianistischen gewünscht hätte. Tanski versucht seinen Flügel vorm Versinken in den Orkus zu retten, er bevorzugt es, sich vom Orchester zu separieren und seine Tonleiter gegenläufig von unten nach oben streben zu lassen. Gen Himmel.
Der Klang der Aufnahme ist weiträumig, gar luftig zu nennen. Das Orchester ist zumindest in der Stereo-Wiedergabe stellenweise etwas weit entfernt, aber stets sehr deutlich. Die Tiefenstaffelung ist auch in diesem Wiedergabemodus auffallend gut. Das Klavier wird nicht, wie bei den meisten Vergleichsaufnahmen hervorgehoben, sonders steht fast auf gleicher Höhe mit den Orchester, sodass es in ihm eingebettet scheint, ihm so aber auch etwas die prickelnde Präsenz fehlt. In der Mehrkanalwiedergabe verhält es sich anders, da ist der Hörer in einem gewissen kleinen Rahmen sein eigener Tonmeister und er kann mithilfe einer Anhebung des mittleren Kanals dem Klavier zu beliebig mehr Präsenz verhelfen.
4-5
Louis Lortie
Georghe Pehlivanian
Residentie Orkest Den Haag
Chandos
1999
15:17
Lortie ist uns als heimlicher Sieger im Vergleich der Aufnahmen von Saint-Saens 2. Klavierkonzert noch in bester Erinnerung. Er nimmt die Einleitung mit einem marschartigen Marcato. Daran schließen sich behände Kaskaden an, gespielt mit seltener Leichtigkeit. Trotz eigentlich adäquater Tempi betätigt sich Pehlivanian aber eher als Bremser vom Dienst. Dem Fagott gelingt kein sardonisches Staccato. Lortie meistert die mehr als beträchtlichen Schwierigkeiten hingegen wie selbstverständlich, locker und leicht, völlig unangestrengt und brillant, ohne die Brillanz jedoch in den Vordergrund zu stellen. Understatement pur, wenn man so will. Wie gekonnt sein Blick auf sämtliche Details seines Spiels ist, merkt man allein schon am Pedalgebrauch. Ihm gelingt es, diesen völlig unhörbar zu machen, wo es sich bei anderen an den offenen Stellen gar unschön in den Vordergrund schiebt. In der Variation IV. gelingt Lortie ein lyrischer Klangzauber par excellence. Extrem differenziert mit einem organisch anmutendem Rubato. Ein Hochgenuss. Auch in der Variation V. sitzt jeder Ton genau da, wo er sein soll. Immer wieder fällt die geschmeidige besonders feine Agogik auf. Dem Orchester fehlt es hingegen ein wenig an Feuer. In der Variation VI. intonieren die Hörner gar belanglos ihr schönes Thema. Spätestens hier fällt uns dann wieder ein, wie der Dirigent Francks „Le Chasseur maudit“ in unserem Vergleich dirigierte und wir wundern uns nicht mehr. Wie genuschelt klingen die Hörner hier. Dabei wird hier erneut zur Jagd auf die armen Opfer geblasen, oder sollen die Jäger gewarnt sein, dass sie selbst nun dran sind? Lortie lässt sich dadurch nicht irritieren sondern zeigt herausragende Pianistik mit bewundernswert luzider Geschwindigkeit. Im Finale führt Pehlivanian dann das Orchester mit etwas mehr Herzblut zu einem Ende, bei dem der Pianist gemeinsam mit dem Orchester den Weg nach unter antritt.
Kleine Fiktion: Gerne hätten wir dem Pianisten einen anderen Dirigenten zur Seite gestellt. Ein Reiner, Ormandy, Blunier oder Luisi hätten mehr sardonische Lebendigkeit in den Orchesterpart einbringen können. So erscheint die gute Bewertung deutlich mehr der geschmeidigen Überredungskunst des Pianisten geschuldet.
4-5
Nikita Magaloff
Roberto Benzi
Orchestre Lamoureux, Paris
BnF - Philips
1962
15:46
Magaloff packt hier gleich zu Beginn die Pranken aus, während Benzi das Orchester ungleich inpulsiver und aufregender in Szene setzt als gerade zuvor Pehlivanian in der Aufnahme mit Louis Lortie. Magaloff wartet zudem in der stark zugespitzten Variation III mit ein paar zusätzlichen Takten für sein Instrument auf. In dieser Version hören wir auch wieder in der Variation VI. die zusätzlichen Takte für die beiden Hörner mit die nachfolgende kleine Klavierkadenz, wie zuvor bereits bei Pletnev und Kubelik.
In der Variation IV. lässt sich Magaloff viel weniger Zeit als Lortie, im nachfolgenden Presto übergeht er die sf. Das Orchester agiert sehr agil und farbig. In den Kadenzen scheut Magaloff das Massive keineswegs, seine kraftvolle Art des Klavierspiels imponiert dennoch. Seine Skala in den sieben Schlusstakten geht von unten nach oben.
Der Klang der digitalisierten Philips-LP aus der Bibliothèque National de France ist sehr präsent und gut gestaffelt. Das Klavier wird groß abgebildet erklingt aber weitgehend unverzerrt. Die Streicher erklingen leicht angeraut. Das Ganze erscheint dynamisch und lebendig.
4-5
Alfred Brendel
Bernard Haitink
London Philharmonic Orchestra
Philips
1972
15:24
Wie im Falle Nelson Freires liegen uns auch von Alfred Brendel zwei Aufnahmen vor. Dabei macht die zweite in London 14 Jahre nach der in Wien mit den dortigen Symphonikern entstandenen Einspielung den rundum geschliffeneren, in Klavier und Orchester ausgereifteren Eindruck. Brendels Klavierspiel erscheint nun flüssiger und geschmeidiger, der Gestus temperamentvoller und ausgefeilter, was genauso auch für Haitinks Orchesterarbeit gilt. Die beiden Presti (in Var. IV. und V.) gelingen nun in anspringenderem Tempo, souveräner gestaltet und drängender. Haitink scheint auch das Zusammenspiel zu beflügeln. Das Orchester selbst klingt geschmeidiger und klangvoller, zudem wird mit mehr Schwung und Einsatz dirigiert, der „dämonische“ Zugriff wirkt zugespitzt. Brendel bevorzugt den etwas versöhnlicheren Schluss, indem er, wie bereits in Wien, die Tonleiter von unten nach oben ansetzt.
▼ eine weitere Aufnahme des Pianisten findet sich weiter unten in der Liste.
4-5
Jitka Cechova
Zoltan Pesko
Sinfonieorchester des Südwestfunks, Baden-Baden
Arte Nova
1995
18:28
Der Pianistin Klavierklang ähnelt eher dem von Nareh Arghamanyan als dem der Berrut. Er klingt eher etwas rund als glasklar und brillant. Ihr zur Seite steht ein superpräsent eingefangenes Orchester, das sich keineswegs nur mit der Begleiterrolle abgibt, sondern selbst hellwach und lebendig Akzente setzt. Das scharf geblasene Fagott-Staccato ist eines der besten und wird auch nicht von den Streichern zugedeckt. Überhaupt verleiht der Landsmann Liszts Zoltan Pesko dem Orchesterpart ein außerordentlich farbiges und straff-temperamentvolles, plastisches Profil. Die Variation III. nimmt die Pianistin nicht wie vorgegeben Molto vivace, sondern sie beginnt sehr gemächlich. Auch die Var. IV. wird von ihr sehr langsam und nachdenklich genommen, dem fff fehlt zudem die Durchschlagskraft. Ganz im Gegensatz zum Orchester verbleibt der Klavierpart hier etwas dezent in der defensiven Rolle. Auch in dieser Aufnahme hören wie in der Variation VI, die zusätzlichen Hörnertakte. Sie intonieren ihr Jagdmotiv dann sehr präsent und impulsiv. Die Col legno-Episode ist sehr lautmalerisch angelegt. Auch Cechova bringt sich gerade noch einmal rechtzeitig mit ihrer Tonleiter von unten nach oben in Sicherheit. Ein versöhnlicheres Ende.
Diese Einspielung gefällt besonders durch die hellwache, präsente und punktgenau-deftige Orchesterarbeit während Cechova eine nur solide Leistung abliefert, die zwar vor allem den lyrischen Passagen zu ihrem Recht verhilft, aber einem sehr hohen Anspruch an die Virtuosität nicht ganz gerecht wird. Wenn es zwei Bewertungen gäbe, läge das Orchester noch vor dem LPO Haitinks, die Pianistin gerade noch hinter Arghamanyan.
4-5
Jorge Bolet
Ivan Fischer
London Symphony Orchestra
Decca
1985
15:50
Bolets Einspielung bringt das beginnende Marcato von allen Einspielungen am unauffälligsten, nämlich im piano. Er nimmt so die Gegenposition von Berezowsky ein, der in Star-Wars-Manier eine ganze Armee aufmarschieren lässt. Was sich Bolet und Fischer dabei gedacht haben, entzieht sich unserer Kenntnis, aber genaueres Hinsehen zeigt, dass in der Partitur gar keine Angabe zur Lautstärke vermerkt ist, der Pianist also durchaus die Freiheit hat, sein Marcato in p zu spielen. Nur die tiefen Streicher und das Holz haben im dritten Takt ein ff zu spielen. Fischer lässt auch das Orchester ungewohnt zaghaft und zurückhaltend intonieren, besonders wenn man Ozawa, Pletnev, Reiner oder Pesko noch im Ohr hat. Nach und nach entspinnt sich jedoch ein Musizieren auf hohem Niveau, wobei es Fischer, ungewohnt für ihn, jedoch etwas an Temperament fehlen lässt. In Var. IV. zeigt sich Bolet als Erzähler mit großer dynamischer Spannweite, die Tempi wirken stets etwas gesetzt. Deutlichkeit ist sowohl bei ihm, als auch bei Fischer Trumpf. Die Hörner zu Beginn der Var. VI. bekommen nicht das ihnen gebührende Gewicht, es wird auch einfach zu leise gespielt. Das LSO lässt immer mal wieder gelungene Effekte hören, insgesamt hätte der Einspielung etwas mehr „Drive“ jedoch nicht geschadet. Auch hier geht die Leiter wie die des Orchesters von oben nach unten.
Anders als die Thibaudet-Einspielung hat diese Decca-Einspielung hier fünf Jahr zuvor noch etwas mit den gläsernen Höhen der frühen Digitaltechnik zu kämpfen. Dem Klavier fehlt zur Leuchtkraft eines Zimerman ein beträchtliches Stück. Insgesamt wirkt der Klang aber recht frisch und ziemlich brillant.
4-5
Arnaldo Cohen
John Neschling
Sao Paulo Symphony Orchestra
BIS
2006
15:25
SACD Cohen und Neschling gelingt ein sehr gutes spannendes Miteinander. Die Soli im gut aufgelegten, präzise geführten Orchester gelingen vorzüglich. Der Pianist macht einen sehr guten Eindruck. Er findet einen guten Mittelweg zwischen kraftvollem Auftrumpfen und feinem Nuancenreichtum. Sein Klavierklang ist nicht übermäßig brillant, aber nicht undefiniert weich sondern recht gut fokussiert. Die dynamische Spreizung und Temponahme gelingen durchweg ausgewogen. Zusätzliche Glanzpunkte kann das Orchester nicht setzen, es hält gutes Niveau kommt aber aus der Begleiterrolle nicht immer heraus, auch wo es einmal nötig wäre.
Die Aufnahme bettet das Klavier in den Orchesterapparat hinein. Trotzdem ist der Gesamtklang sehr gut durchhörbar und differenziert. Im Stereo-Modus ist der Klang nicht sonderlich dynamisch.
4
Cor de Groot
Willem van Otterloo
Residentie Orkest Den Haag
Philips – Forgotten Records
1957
16:20
MONO Diese niederländische Einspielung aus der Stadt der Uraufführung erreicht einen hohen musikalischen Rang, muss aber in Anbetracht des Aufnahmedatums, während dessen andernorts bereits Aufnahmen in Stereo gemacht wurden, mit einer sehr schlechten Aufnahmequalität auskommen. De Groot und Otterloo bevorzugen eher die langsameren Tempi. In der Var. II. bringt das bei ihnen aber auch, bedingt durch die behutsame Artikulation, bisher unerhörte Akzente unter anderem der Triolen in den tiefen Streichern viel deutlicher als üblich hervor. Der Klavierklang ist klar und brillant. Die Var. IV. erklingt schattierungsreich und eindringlich, leicht und locker und glasklar wie frisches Quellwasser. Die stetige Steigerung in Tempo und Ausdruck wirkt bei de Groot haargenau erkannt und besonders ausgeprägt. Bei der ersten großen Kadenz wird der Pegel langsam (aber nicht unmerklich!) heruntergeregelt und im weiteren Verlauf auch nicht mehr angehoben. In der Var. VI. begegnen uns die zusätzlichen Takte für Hörner und Klavier wieder. Auch de Groot mag es nicht ganz so negativ enden lassen und zieht seine Tonleiter am Ende von unten nach oben.
4
Peter Katin
Jean Martinon
London Philharmonic Orchestra
Decca
1955
16:45
MONO Ähnlich Bolet mit seinem p bevorzugt auch Katin einen ganz müden, zaghaften Beginn, der nur langsam wuchtiger und nur wenig schneller wird. Als ob sich dieser Sensenmann heimtückisch und leise nähert, womöglich auch noch von hinten, sodass man ihn auch nicht sehen kann... Auffallend im folgenden Allegro ist die flexible Gestaltung von Klavier und Orchester. Dieser Liszt wird aber aus der Ruhe heraus entwickelt. Martinon und das Orchester bemühen sich um größtmögliche Klarheit, es fehlt jedoch etwas an unmittelbarer Spritzigkeit und Direktheit des Zugriffs. In der Var. VI. bekommen wir wieder die zusätzlichen Takte der Hörner geboten, als Überleitung vor der Var. V. und die Minikadenz des Klaviers. Diese Variation schwankt im Gestus etwas zwischen großer Sorgfalt und schwerfälligen Bremsmaßnahmen (besonders in der zweiten großen Kadenz). Katin nimmt am Ende den hoffnungsvolleren Weg von unten nach oben.
Generell hören wir hier eine alternative Aufnahme, die alles Auftrumpfende meidet, ansonsten aber durchaus kontrast- und konturenreich bleibt und das kompositorische Geschehen nicht zusätzlich zuspitzt. Ein Liszt einmal in aller Bescheidenheit.
Der Klang ist im Klavier leicht dumpf, insgesamt aber sehr sauber und noch angenehm zu hören (besser als die de Groot-Aufnahme). Dazu trägt die gute Transparenz genauso bei wie der gute Bass.
4
Boris Berezowsky
Hugh Wolff
Philarmonia Orchestra London
Teldec
1990
15:58
Zu Beginn scheint diese Einspielung von allen guten Geistern verlassen zu sein, unheimlich laut, rasend und fast schon stupide wie eine Horde Wasserbüffel oder die Armee der Clone in Star Wars stampft der Pianist mit dem Orchester durch sein eröffnendes Marcato, wie gesagt in einem „Höllentempo“. Das mag effektvoll und den Hörgewohnheiten einer jüngeren Generation angepasst sein und sogar zum Thema passen, hat aber fast nichts mehr mit dem in der Partitur zu Lesenden zu tun. Wir erinnern uns, da steht Andante. Ansonsten muss man konstatieren, dass das Stück dem Pianisten offensichtlich besonders liegt. Er begegnet ihm mit den „männlichen Pranken“ eines Tastenlöwen, mit einem großen, wuchtigen Ton, gesättigt von Saft und Kraft. Das PO und Wolff ziehen da nolens volens mit ohne groß eine Gegenwehr in Stellung zu bringen. Was würde es auch bringen, denn imponierend ist diese Draufsicht auf das Werk ja schon, wenngleich auch einseitig und wenig differenzierend. Außerdem hat in diesem Stück das Klavier das Sagen. Dem Fagott wird so in Var. I. ein kräftiges Staccato entlockt, das Holz des Philharmonia war in diesen Jahren schon sehr klangschön und wusste eloquent zu phrasieren. Aus dieser Variation wird so ein straffer und entschlossener Marsch. Bei Zi. D vernehmen wir ein extrem dramatisches Klavier mit sehr virtuosen, absolut sattelfesten Staccati. Die Sanftheit in der Var. IV. wirkt hier etwas vordergründig, als vornehmlichen Eindruck hören wir hier den perlenden, klaren, stets kontrollierten Anschlag Berezowskys mit Saft und Kraft, aber nicht die zarte Lyrik des Franz Liszt. Man höre nur die in der alphabetischen Abfolge gerade im Anschluss zum Vergleich gehörte Einspielung der elfenhaften Beatrice Berrut um zu ermessen, dass sich da Welten des Unterschieds auftun. Die Var. V. klingt rhythmisch präzise, impulsiv und mit hohem Nachdruck. Die Kadenz erklingt mit Schneid und wie mit offenem Visier. Technische Probleme gibt es in diesem Stück für den Pianisten definitiv überhaupt keine. Die Col-legno-Partien klingen deftig und hart, kein Wunder sollen sie doch das Spiel mit den Knochen der Leichname darstellen. Die zweite Kadenz klingt erheblich eindringlicher als zuvor bei Arghamanyan. Die Glissandi sind strahlend.
Berezowsky sucht stets die große Geste, was ihm auch bei jeder Gelegenheit gelingt, oder besser, er macht sich die Gelegenheit auch schon einmal selbst. Dabei helfen ihm die Kraft und die Pranke des Tastenlöwen natürlich ungemein. Sein Spiel wirkt im Lyrischen jedoch ziemlich pauschal, Sportivität geht ihm dabei vor Innigkeit. Das Orchester bläst auf hohem Niveau in dasselbe Horn.
Das Klangbild unterstützt den Pianisten nach Kräften, es ist voluminös, recht wuchtig und vor allem beim Klavier sehr präsent. Die Transparenz bewegt sich auf einem guten Niveau.
4
Michel Béroff
Kurt Masur
Gewandhausorchester Leipzig
EMI, Eterna
1978
15:15
Unser erster Gedanke beim Hören dieser Aufnahme war, dass Masur seinem Orchester hier ein ungleich gespannteres Musizieren entlockt, als bei dem letzten Vergleich mit Mendelssohns 5. Sinfonie. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Mendelssohn doch um den Lokalmatador handelt, waren wir nicht wenig verwundert. Da wir gerade beim Orchester sind, bleiben wir noch einen Moment bei ihm. Masur ist hier ein sehr aufmerksamer Begleiter und das Orchester agiert ausgesprochen pointiert und klangfarbenstark.
Man beginnt mit einem extrem deftig gestalteten Marcato. Aus ihm löst sich dann ein leichtfüßigerer und feingliedrigerer Klavierton heraus als beim zuvor gehörten Berezowsky. Er klingt aber auch etwas leichtgewichtiger. Béroff ist ein sehr guter Virtuose mit einem klaren, gut fokussierten, ausgeglichenen Ton. In der Variation V. gelingt das Fugato in gestochen scharfer Klarheit. Die begleitende Flöte ist zwar hörbar (das ist per se schon viel), sie könnte aber noch pointierter kommen. Die Kadenz erklingt virtuos, aber insgesamt etwas zu glatt. Die Variation VI wartet mit besonders schönen con sordino Streichern auf, während auch hier das Klavier zwar mit temperamentvoller Leichtigkeit brilliert aber auch hier etwas glattgebügelt erscheint. Die Tonleiter führt auch hier das Klavier in den finsteren Hades hinab.
Das Klavier wird akustisch ins Orchester eingebettet. Das Orchester selbst könnte im Tutti bisweilen transparenter klingen und kommt mitunter etwas matt ins Bild.
4
Jeffrey Swann
Karl Martin
Orchestra Haydn di Bolzano e Trento
NAR Classical
2000, LIVE
15:30
Beim beginnenden Marcato vermisst man hier wie so oft das Crescendo der Pauke. Der Pianist jedoch bekommt es ausdrucksvoll hin und auch im Anschluss erweist er sich als Virtuose von hohen Graden mit brillantem Anschlag und versiertem, geschmeidigen Spiel. Das Orchester macht einen engagierten Eindruck, es wird aber den Eindruck des nur Bemühten nicht ganz los, was zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch an der kompakten und recht trockenen Akustik liegen könnte. Das Fagott in der Var. I. klingt präsent, könnte aber ein schärferes Staccato vertragen, die Hörner in der Var. VI. spielen ein schönes ff, klingen aber auch sehr trocken. Die beiden großen Kadenzen zeugen von großer Eloquenz und Ausdrucksbreite. Auch in Bozen scheut man den Weg von oben nach unten nicht.
Der Raumklang ist, wie erwähnt, kompakt und trocken, was das Orchester sehr dicht an das Klavier heranrücken lässt. Während das Orchester so an Brillanz einbüßt, klingt das Klavier, besonders wenn es alleine spielt brillant und räumlich und sehr gut ausbalanciert. Der Aufnahmeraum scheint ziemlich klein gewesen zu sein.
4
Eldar Nebolsin
Vasily Petrenko
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Naxos
2007
14:58
Auch hier lässt die Pauke das Crescendo vermissen. Im weiteren Verlauf klingt das lange nicht so schneidig und „giftig“ wie die Ludwighafener in der zuvor gehörten Einspielung mit Joseph Moog. Auch Nebolsins Klavierklang hört sich erheblich weicher an als der Moogs, aber dennoch differenziert und rhythmisch prägnant. Durch die fehlende Brillanz (Hochtonanteil) kommen die sehr wohl vorhandenen Nuancen des Spiels weniger effektvoll beim Hörer an. Zudem wird das Klavier weit in das ohnehin etwas nach hinten gerückte Orchester hineingezogen. Obwohl es dem Klavierspiel an nichts fehlt, wirkt er so weniger aufregend. Auch der prominente Einsatz der Hörner zu Beginn der Var. VI. bleibt weit hinter dem in der Moog-Einspielung zurück. Immerhin darf sich der Pianist mit seiner Tonleiter am Ende, die von unten nach oben führt, noch rechtzeitig vor dem Abstieg in den Orkus in Sicherheit bringen.
Die Mitwirkenden hätten günstigere Aufnahmebedingungen verdient. Der Klang wirkt wenig dynamisch, die Präsenz lässt zu wünschen übrig. Der gerundete volle Klang der Moog-Aufnahme ist einem faserigeren gewichen. Insgesamt ergibt sich ein pauschaler Klangeindruck, wie bei einem Sitz im Konzertsaal, der zu weit weg vom Geschehen platziert ist.
4
Nelson Freire
Michel Plasson
Dresdner Philharmonie
Berlin Classics
1994
14:34
Gegenüber der älteren, jugendfrischen Aufnahme Freires mit dem motivierenden Kempe an seiner Seite, klingt diese erheblich kultivierter, aber auch langweiliger. Vor allem der Orchesterpart verliert seine „höllische“ Brisanz. Auch beim Pianisten hält nun eine gediegene, saubere aber auch routiniert wirkende Haltung Einzug. Die Technik wirkt perfekt, aber auch risikolos und unaufgeregt, auch nicht sonderlich aufregend. Das Orchester wirkt nun nicht schwerfällig aber auch nicht mehr spritzig oder sonderlich inspiriert, wie die Münchner anno 1968. In der Var. VI. sind die Hörner sogar zunächst gar nicht zu hören, dann aber auch viel weniger profiliert. Erst ab dem abschließenden Allegro animato wird es etwas packender und dann geht es auch schon bald wieder bergab in Richtung Orkus.
Das Klangbild dieser Produktion ist erheblich distanzierter, vor allem das Orchester rückt nach hinten ab. Es klingt zwar ausgewogener als das Klangbild von 1968 aus München, aber auch blasser.
4
Nareh Arghamanian
Alain Altinoglu
Rundfunksinfonieorchester Berlin
Pentatone
2012
15:37
Der jungen Pianistin und ihren Mitstreitern in Sachen Liszt gelingt eine rundum sympathische Einspielung, die dem Stück viel von seiner spielerischen Seite belässt. Auch die Sardonie ist ja eine Spielart des Humors (nur so kann man den Ernst der Lage, die in dem Stück aufgezeigt wird, ja überhaupt ertragen). Schwarzer Humor wird daraus, wenn Skelette wild herumlaufen und mit ihren Knochen klappern. Sympathisch wird die Einspielung aber auch deshalb, weil man sich um Partiturtreue bemüht und dazu auch einmal den einen oder anderen Effekt beiseite lässt. Das starke Marcato zu Beginn ist ein Andante, wie es sein soll. Nur das folgende Allegro moderato vor Zi. B, das die Pianistin für sich alleine hat, klingt wenig pesante (d.h. wuchtig oder schwer), auch nicht f. Sie zieht es hier vor, einen nachdenklichen, defensiven Kommentar über den schaurigen Beginn abzugeben. Ihr Anschlag wirkt zwar klar, aber auch sehr weich, fast möchte man sagen wattiert. Ihr Impetus ist eher introvertiert, aber trotzdem spannend. An die Klarheit und Differenzierungskunst der Berrut kommt sie nicht ganz heran. Die Kadenz in der Var. V. endet mit einem nicht maximal ausgespielten fff und wirkt so etwas dünn. Auch die Charakterisierung könnte etwas deutlicher ausfallen. Die Kadenz nach der Var. VI. gefällt besser, da kommt auch das Marcato gut zur Geltung. In der Var. VI. kommen die Hörner deutlich heraus, wie die Orchesterführung überhaupt als hellhörig zu bezeichnen ist. Das Allegro animato hat viel Zug. Hier nimmt die Pianistin die Freistellen im Notensatz fast ernst. Sie spielt nur leise mit und belässt so dem Orchester den letzten großen Auftritt. Das macht sonst niemand. Sie wählt die Version abwärts, zeigt sich damit erneut solidarisch mit dem Orchester.
Die Aufnahme ist sehr gut durchhörbar und balanciert Orchester und Klavier sehr gut aus. Das Klavier verdeckt nie da Orchester oder einzelne Orchesterinstrumente oder umgekehrt. Auch die Staffelung überzeugt. Man erreicht eine realistische Konzertsaalatmosphäre, hier aber von einem sehr guten Platz aus gehört.
4
France Clidat
Jean-Claude Casadesus
Orchestre Symphonique RTL de Luxembourg
1983
Forlane
16 :43
Das Orchester, damals noch dem Rundfunk angegliedert, klingt hier viel matter als die anderen Rundfunkorchester aus Baden-Baden oder Berlin. Das Orchester hatte noch nicht die Qualität von heute und vor allem auch noch nicht den neuen Konzertsaal, die Philharmonie zur Verfügung. Vor allem im Vergleich zum inzwischen aufgelösten Orchester des SWF klingt es viel träger. Der Vergleich liegt nah, weil die Aufnahme von France Clidat auch unmittelbar nach derjenigen Cechovas gehört wurde. Die Var. II legt Clidat viel schmissiger hin als Cechova. Auch die anspruchsvollen Var. IV und V. legt Clidat mit flinker Pianistik sehr schön an. Die IV. wirkt so wie eine zwar melancholische aber lichtdurchflutete Erinnerung ans Leben.
In der Var. VI. sind die Hörner zu weit hinten platziert, ein schöner räumlicher Effekt, aber als letztes Signal zur letzten Jagd wirkt es wenig bedrohlich, wenn es noch so weit weg ist. Die Unterschiede zwischen pp und ff sind hier generell zu klein. Die Dynamik wirkt so eingeebnet. Das Orchester spielt hier auch nicht immer ganz sauber. Es fehlt die imponierende Quirligkeit des SWF unter Pesko, auch die knisternde Präsenz und die aufregende Dynamik. Am Ende zieht sich Clidat elegant mit ihrer Tonleiter von unten nach oben aus der Affäre.
Im Klangbild wirken Klavier und Orchester etwas distanziert. Die Transparenz ist noch in Ordnung, während man eine anspringende Dynamik schon etwas vermisst.
4
Alfredo Perl
Yakov Kreizberg
BBC Symphony Orchestra London
2003
Oehms
16:50
Im spezifischen Marcato-Beginn bleibt das Klavier ohne Druck. Auch in den gespenstischen und flatterhaften Soli, die sich anschließen, fehlt es dem Pianisten am herausfahrenden Esprit. Wenn man Kempe oder Reiner noch im Ohr hat, hört sich auch das Orchester etwas dröge an.
In diesem Sinne geht es weiter, so klingt die Var. I mehr nach Moderato als nach Allegro. Perls Anschlg wirkt recht weich und etwas einfarbig. Besser klingt aber schon die Var. III., der Perl ein sehr schönes Vivace mitgibt. Kreizberg gibt sich als akribischer Verwalter der Partitur zu erkennen. In der Klavier-Solo Variation IV. wirkt die eine oder andere Passage wie etwas hölzern durchgespielt und zurückhaltend im Klangzauber. Sehr schön klingt es jedoch, wie Perl der Klarinette in ihrem Solo die Vorfahrt gewährt. In der Var. V. gewinnt man den Eindruck, als müsse Kreizberg bisweilen auf den Pianisten warten. Die Var. VI. zeigt schön profilierte Hörner. Danach entspinnt sich ein sehr gutes gemeinsames Concertare. Das Tempo wirkt bisweilen jedoch etwas „flügellahm“. Einen Eindruck, den man bei der objektiv noch langsameren Cechova nie hatte. Das Col legno Knochen-Geklapper ist kaum hörbar. Die Klavier-Glissandi kommen allzu dezent. Dem Finale fehlt der Stretta-Charakter völlig. Auch Perl wählt den Weg in die Hölle.
Das Orchester klingt gut gestaffelt, auch in der Tiefe. Der recht offene Klang könnte dynamischer sein.
4
Jenö Jando
Andras Ligeti
Budapest Symphony Orchestra
Capriccio
P 1990
15:42
Bei Jando und Ligeti bekommt das Marcato zu Beginn einen Panzer aus Blech verpasst, vom Klavier hört man weniger. Die Skalen im Anschluss gelingen dem Pianisten nicht ganz ebenmäßig. Dem Fagott fehlt der hämische Unterton, es spielt zu viel Legato. Im weiteren Verlauf schließt sich eine ausgesprochen ruhige Schilderung des Geschehens an. Wie bei einem Berichterstatter läuft hier alles gesittet und wie in ausgetretenen Bahnen ab. Das Molto vivace in Var. III. gelingt gut, dem Orchester fehlt es an Temperament, um einmal derber dreinzufahren. Hatte man bisher den Eindruck, den Beteiligten ginge es vornehmlich darum die Partitur in eine akustische Reinschrift zu übertragen, mischen sich in die Var. IV. durch die feinfühlig und zurück genommene Spielweise Jandos auch tiefere Gefühle mit dazu. Die Var. V. zeigt der Pianist etwas von seiner beträchtlichen Virtuosität und legt ein flottes Tempo vor, dem er auch in der Lautstärke Nachdruck verleiht. In der Var. VI. erklingen die Hörner wenig profiliert. Jando wählt abschließend den Weg des Orchesters nach unten in den Abgrund.
Insgesamt hinterlässt die mit solider Pianistik versehene Produktion einen weich gezeichneten, etwas zu harmlosen Eindruck.
Die Aufnahme klingt „sauber“ und ausgewogen. Das Orchester wird gut aufgefächert wiedergegeben, die Dynamik ist gut, aber ohne Ecken und Kanten, das Klavier im Orchester integriert. Insgesamt könnte das Klangbild etwas präsenter sein.
4
Benedek Horwarth
Hans Drewanz
Sinfonieorchester Basel
Prospero
2017
17:02
In Horwarths Beitrag zur Diskographie klingen Klavier und Pauke wie ein Instrument. Das klingt Klasse, zumal das Marcato sehr kurz angeschlagen wird. Horwarth nutzt für seinen Vortrag feine Agogik und pflegt einen teilweise leuchtenden, teilweise aber eher gedeckten Klavierklang, zumeist ist er eher wenig brillant. Das Orchester verfügt über einen hochklassigen, feinen, auch sonoren Klang agiert aber unter der Leitung von Hans Drewanz meist zu schwerfällig, gar behäbig. Die Tempobezeichnungen erscheinen wie eine Stufe verlangsamt. So liest es sich auf dem Notizzettel: Das ist kein Allegro, eher moderato als Allegro...
In der Var. IV. canonique führt uns Horwarth ganz weit weg vom diesseitigen Geschehen, indem ja gerade der Sensenmann wütet. Vielleicht bereits ein Ausblick ins Jenseits, vielleicht kann der Tod ja auch ein süßer sein, wenn er erlöst? Wir wissen es nicht, wie es hier gemeint war. Jedenfalls ist der Klavierklang hier schön abschattiert, wenn auch eher wieder gedeckt.
In der Var. V. erklingen die Steigerungen im Orchester eher behäbig, das Klavier bleibt bei soliden Beiträgen. In der Var.VI. wirken die Klavierabschnitte eher gedankenschwer, sicherlich wegen der recht gemächlichen Tempi. Die Kadenz zeigt recht üppigen Pedalgebrauch.
Auch das abschließende Animato des Orchesters wirkt recht erdenschwer. Die Geister verziehen sich mitsamt ihres Protagonisten von oben nach unten.
Die Aufnahmetechnik hat ein glasklares, dynamisches Bild des Geschehens erzeugt. Das Klavier wird an die akustische Rampe gerückt. Auch dem Pedal wird akustisch auf die Pelle gerückt, sodass das mitunter ruckartige Abdämpfen überdeutlich hörbar wird. Die Räumlichkeit wirkt sehr natürlich, der Klang auch des Orchesters ist voll und wunderbar abgerundet.
3-4
Igor Lebedev
Andrei Anikhanov
Staatliches Sinfonieorchester St. Petersburg
Audiophile Classics
1993
16:23
Das von einem sehr guten Paukencrescendo begleitete Marcato des Klaviers wirkt hier gerade so, als ob eine ganze Armee einmarschiert. Auch bei Lebedev wirkt das Allegro moderato vor der Var. I. gar nicht pesante. Das Fagottsolo anschließend ist sehr präsent und wird auch im weiteren Verlauf nicht zudeckt. Lebedevs Klavierklang wirkt akzentuiert, perlt recht brillant, wirkt aber nicht übermäßig präzise geformt. Das Orchester lässt mitunter den letzten Biss oder „Pfiff“ vermissen. In der Var. IV. lässt sich der Pianist viel Zeit und entfaltet so eine meditative Wirkung. In der Var. VI. klingen die Hörner zu weit entfernt, auch im Weiteren schlägt das Orchester einen recht beschaulichen, kontrastarmen Duktus an. Die Steigerungen wirken oft beschwerlich. (Wo soll bei muskelfreien Skeletten auch die Kraft herkommen? Aber das hat sie ja in den anderen Einspielungen auch nicht abgehalten zum Teil wie Kraftprotze daherzukommen...) Auch Lebedev zieht sich etwas zurück. Im Presto ist er dann aber wieder „voll da“. Auch hier tritt der Pianist mit dem Orchester gemeinsam den Weg in die Hölle an.
Die Klangtechnik erreicht einen transparenten, sehr räumlichen und farbigen Klang. Das Klavier wirkt etwas nach vorne gezogen. Der Gesamteindruck erscheint noch natürlich.
3-4
Alfred Brendel
Michael Gielen
Wiener Symphoniker
Vox – Brilliant
1958
16:58
Zunächst überrascht diese Produktion positiv mit einem offenen, recht differenzierten und offenen Klangbild, das so nicht unbedingt aus den 50er Jahren zu erwarten war. Den Streichern fehlt etwas Schmelz und im ff klingen sie leicht verzerrt. Merklich zurück geht die sonst sehr gute Transparenz im ff. Diese Einspielung erklingt völlig rauschfrei.
Die Interpretation gelingt noch nicht mit der Leichtigkeit und dem Esprit der Londoner Einspielung von 1972. Sie wirkt wie eine Probe zur späteren Aufführung.
Noch ein paar Details aus dem Notiz-Blöckchen: Mäßig langsamer aber eindrücklicher Beginn. Impulsives Dirigat und Orchesterspiel. Var I.: Fagott und Streicher recht pointiert. Var. III.: recht wild. Var. V.: Dem Presto fehlt die selbstverständliche Virtuosität und die Durchschlagskraft. Var. VI.: Zusammenspiel mit Flöte wie buchstabiert, sehr langsam. Auch wirkt das Dirigat Haitinks anspringender und mitreißender, genau wie das LPO gegenüber den Symphonikern.
3-4
Orazio Frugoni
Hans Swarowsky
Pro Musica Orchester Wien
BdF, Pathé, Vox
1955
14:45
Mono Diese Aufnahme ist noch relativ gut durchhörbar, das Klavier klingt etwas dumpf und sie wirkt dynamisch schwerfällig, auch recht wenig differenziert. Allerdings weist sie trotz ihres Alters nur wenig Rauschen auf. Musikalisch kann diese Einspielung nicht voll überzeugen, Swarowsky achtet zwar auf den tänzerischen Grundgestus, aber ansonsten vermag der große Dirgenten-Lehrer dem Orchester (sind es erneut die Wiener Symphoniker?) nicht mehr als ein ordentliches, realtiv wenig inspiriertes Spiel zu entlocken. Das Finale erklingt auch ohne Feuer. Frugonis Part haben wir in diesem Vergleich auch schon rasanter, stürmischer und vor allem treffsicherer gehört. Zum Teil verwandelt die Technik sogar sein Spiel durch einen wenig glaubhaften scheppernden Klavierklang. Auch Frugoni wählt die Tonleiter von oben nach unten.
3
Rico Saccani
ebenfalls Rico Saccani
Budapest Philharmonic Orchestra
BPO LIVE
P 2008, LIVE
16:42
Saccani war Chef des Budapester Orchesters von 1995 – 2005. Wahrscheinlich stammt dieser Mitschnitt aus dieser Zeit, den Angaben des Download- und Streaming-Anbieters Qobuz darf man mitunter keinen Glauben schenken. Diese Erfahrung konnten wir schon häufiger sammeln.
Es stellt innerhalb unseres Vergleiches ein einmaliges und schon ziemlich verwegenes Unterfangen dar, als Dirigent zur angestammten Orchesterleitung auch noch den Solopart selbst auszuführen. Schließlich haben wir es hier nicht mit einem Konzert von Haydn oder Mozart zu tun, und auch da ist es schon schwierig genug, beide Funktionen gleichzeitig und vor allem auch noch werkdienlich auf den Punkt zu bringen. Hier muss man zusätzlich noch einen mehr als schwierigen Berg aus Noten bewältigen und einen recht diffizilen Orchestersatz ordnen, genug Arbeit für zwei also allemal.
Der Klang bevorzugt das Klavier eindeutig. Der Gesamtklang ist für das Alter der Aufzeichnung viel zu dumpf. Die hohen Streicher klingen stark verfärbt. Die Transparenz lässt sehr zu wünschen übrig. Die Interaktionen zwischen Klavier und Orchester sind oft gar nicht zu verfolgen. Man gewinnt den Eindruck, dass es sich bei diesem Mitschnitt eher um eine Selbstdokumentation für das eigene Archiv des Dirigenten handelt und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Auf Stützmikrophone zur Auffächerung des Orchesters scheint man völlig verzichtet zu haben. Das Label des Orchesters, schon einmal (bei Francesca da Rimini) bei einem unserer Vergleiche beteiligt, ist nämlich sehr wohl in der Lage, hochprofessionelle Aufnahmen zu erstellen. Hier wurde darauf verzichtet, was unsere These mit dem Privatarchiv unterstützt.
Doch nun endlich zur Musik selbst: Der Einstig gerät massiv. Die Pauke spielt kein Crescendo. Das Klavier dominiert weit und breit donnernd das Geschehen, klingt dabei aber wenig brillant. Sehr viele Details vom Orchester werden gar nicht hörbar, man kann nur mutmaßen, dass sie überhaupt gespielt wurden. Meist verschwinden sie hinter dem überprominenten Klavier. Der Klavierklang könnte erheblich mehr Feinschliff vertragen, klingt zumeist grob-impulsiv. An Tastengedonner fehlt es nicht. Nicht alle Töne sind auch gleichzeitig Volltreffer, aber der Hörer wundert sich, dass der Dirigent-Pianist den Laden noch so gut beisammen hält.
Die eine oder andere Skala gelingt nicht gleichmäßig, besonders in den Kadenzen. Aber gerade hier lässt er es besonders gewaltig donnern. Die Glissandi wirken plump. Das Finale wirkt ungeschlacht, massiv und sehr laut. Auch Saccani begibt sich, solidarisch mit seinem Orchester, auf den Weg nach unten. Trotzdem: Respekt, wer es selber macht! Übrigens: Riesenjubel in Budapest
4-5
Steven Mayer
Tamas Vasary
London Symphony Orchestra
ASV
P 1991
17:36
Steven Mayer nutzt eine frühere Version der Partitur, nämlich die von 1853, als Grundlage für seine Einspielung. Damit gewährt er uns einen tiefen Einblick in die „Komponistenwerkstatt“, denn obwohl sich beide Fassungen noch ähneln, sind sie doch substanziell verschieden. Hier nur eine kleine Vorstellung nach dem ersten Hören, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Statt des Marcatos beginnt diese Fassung ohne Klavier nur mit dem geheimnisvoll angestimmten Tamtam. Das Dies irae – Motiv wird dann nur von Fagott und Posaunen gespielt. Das Allegro pesante für das Klavier ist bereits komplett vorhanden. In der Var. I. spielt das Fagott alleine, also ohne die Streicher, die es oft in den Einspielungen des Vergleiches zudecken. Die Var. II. klingt nach unserem Dafürhalten genauso wie später. Die Var. III. auch, sie wird hier von Mayer ausgesprochen zugespitzt dargestellt. Die Var. IV. fehlt gänzlich! In der Var. V. geraten Klavier und Orchester bereits beträchtlich auf Abwege, insgesamt wirkt sie nunmehr nicht mehr so prägnant auf den Punkt gebracht, die Stelle mit der Soloflöte fällt weg. Ab jetzt kann man die Partitur getrost zur Seite legen, denn nun ist alles ganz anders. Das Variationenmodell ist bereits beendet. Die Var. VI, eine „Sammelvariation“ gibt es noch nicht. Es schließt sich ein völlig neuer Abschnitt an. Das Dies irae ist als Motiv völlig verschwunden. Auch die schöne Stelle mit den Hörnern fehlt. Die Jagd auf die armen Seelen ist also beendet, es überwiegen nun melancholisch wirkende Stellen, Streichertremoli, Oboensoli usw.. Das Stück mutiert, nun fast ohne Klavier, zu einer „normalen“ Sinfonischen Dichtung. Der Schluss gewährt hier noch die erhoffte Erlösung oder Verklärung. Insgesamt ist das Stück also noch positiv und es kommt mit viel weniger Sardonie aus. Wir erinnern uns an den „Hintergrund“, nach Fertigstellung dieser Partitur sind die beiden Kinder Liszts verstorben, was den Komponisten veranlasst haben muss, den hellen zweiten Teil in einen rabenschwarzen, wild-humorigen umzuwandeln.
Insgesamt ist die frühe Fassung eine höchst willkommene, interessante Exkursion, aber die Endfassung erscheint musikalisch schlüssiger, ausgereifter und so seltsam das klingen mag, sie macht auch viel mehr Spaß zu hören.
Nun noch ein paar Worte zur Interpretation. Steven Mayer ist ein Pianist von hohen Graden, sein Anschlag ist brillant, seine Technik herausragend. Er setzt sich aufopferungsvoll für „seine“ Fassung ein. Der dirigierende Pianist bzw. der klavierspielende Dirigent Tamas Vasary unterstützt ihn dabei mit Herzblut, denn das LSO spielt sehr aufgeweckt und inspiriert die ihm sicher völlig unbekannte Partitur. Eigentlich sogar noch etwas besser als zusammen mit Bolet und Ivan Fischer. Ein echter Gewinn für die Diskographie des Totentanzes liegt uns hier also vor.
Die Einstufung bezieht sich nur auf die interpretatorische Leistung, die editorische hätte natürlich ein 5* verdient, zumal das Beiprogramm auf der CD auch das bereits angesprochene „De Profundis“ als extrem selten zu hörende Komposition in zwei Teilen und ein drittes Klavierkonzert Liszts enthält.
Das Klangbild ist klar und farbig, gut gestaffelt und dynamisch.
Wir bedanken uns nun beim geneigten Leser für das aufopferungsvolle Durchhalten bis zum Schluss und freuen uns bereits auf ein Widerlesen bei der nächsten Erkundungstour.
Wir bedanken uns auch bei Bernd Stremmel für die großzügige Überlassung von fünf hochinteressanten Einspielungen, ohne die es dem Vergleich an substanzieller Abrundung fehlen würde.
Gesucht wird nach wie vor die Einspielung mit André Watts und Erich Leinsdorf zusammen mit dem LSO. Und auch die Produktion von Leslie Howard (innerhalb einer Gesamteinspeilung aller Klavierwerke Liszts) mit Karl Anton Rickenbacher hätten wir gerne mit den anderen verglichen.
24.5.2021