Richard Strauss 

Eine Alpensinfonie op. 64

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Werkhintergrund:

 

Eine Alpensinfonie op. 64 ist die zuletzt fertig gestellte Sinfonische Dichtung des Komponisten Richard Strauss. Sie wurde im Jahre 1915 uraufgeführt.

Dem Werk liegt das Konzept des Komponisten zugrunde, mit musikalischen Mitteln die Besteigung eines Alpengipfels und die Rückkehr ins Tal während eines Tages zu gestalten. Eine Alpensinfonie ist ein typisches Beispiel für die musikalische Kategorie der Programmmusik. Einer eher deskriptiven Musik, die zuerst weniger geistige Inhalte, sondern schlichter äußerliche Beschreibungen von Landschaften, Dingen oder Personen transportiert. Diese Musik hatte und hat viele Gegner. Einige große Komponisten widmeten sich allerdings dieser beim Publikum oft so beliebten Kunstform und schufen nach ihren Regeln bedeutende Werke.

Strauss steht mit seinem in Musik gefassten Erleben der Bergwelt nicht alleine da, sondern trifft  zur Zeit der Komposition des Stückes bereits eine Reihe vorhandener Kompositionen an. Es waren bereits die Werke folgender Komponisten komponiert (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Hector Berlioz, „Harold in Italien“; Joachim Raff, Sinfonie Nr. 7 „In den Alpen“; Franz Liszt, „Bergsymphonie“; César Franck, „Ce qu’on entend sur la montagne (Was man auf dem Berge hört), Vincent d´Indys „Symphonie sur un chant montagnard francais“ und  „Jour d´été de la montagne“ und Tschaikowskys „Manfred“, die zumindest teilweise in der Bergwelt zu Hause sind.

Strauss´ Beitrag toppt sie jedoch alle, zumindest der reichhaltigen Instrumentierung und der klanglichen Opulenz nach, wobei wir uns bei der expansiven „Manfred“- Sinfonie  ziemlich sicher sind, dass sie noch ein gutes Stück länger erzählt wird.

 

Diese sinfonische Dichtung ist jedoch in „Fachkreisen“ nicht eben wohl gelitten, ein nur etwas älterer Konzertführer schreibt über dieses Werk gar, in ihm sei „die technische Seite des Komponierens zum Selbstzweck entartet“. Mit dem Wort „entartet“ sollte man im Zusammenhang mit Kunst allerdings, ebenso mit ästhetischen Urteilen überhaupt, deutlich vorsichtiger sein. Aber auch heute noch haften die Negativbewertungen in Feuilleton, Konzertbesprechungen, Biographien oder sogar CD-Beiheftchen dem Werk an wie Kletten. Wobei die letzteren doch eher eine werbende Funktion zu erfüllen hätten.  Da ist von einer alpinen Musikreportage, von einem platten Naturalismus der Ausdrucksweise oder der Hypertrophie des Klangapparates die Rede.

 

Nähern wir uns also dem streitbaren Objekt möglichst vorurteilfrei, werden wir sehen, dass viel mehr drinsteckt, wie von vielen nicht nur angenommen sondern auch behauptet wird. Überhaupt sollte man sich längst angewöhnt haben zu bedenken, dass das, was vielleicht noch vor über 100 Jahren an Kritik oder Unbehagen seine Berechtigung hatte (in der Zeit als die Alpensinfonie das Licht der Welt erblickte), heute längst selbst überholt ist und dies also nicht mehr kritiklos weitergeben.

Damals lief eine hochnäsig eingestellte „Neue Musik“ Sturm gegen den noch dominierenden hochromantischen Stil eines Strauss oder Reger und wollte ihn durch eine revolutionäre, unverbrauchte und expressiv geschärfte Tonsprache ablösen. Einem Werk wie der Alpensinfonie heute noch vorzuwerfen, sie wäre nicht avangardistisch genug, ist im Hinblick auf die Entwicklung der Musik selbst fast schon selbst obsolet. Haben wir doch inzwischen gelernt, jede Musik zwar auch im historischen Kontext, aber auch unabhängig von den geschichtlichen und stilistischen Voraussetzungen ihrer Entstehungsperiode her zu verstehen und zu bewerten.

Aber warum konnten sich die alten Ressentiments ausgerechnet im Zusammenhang mit der Alpensinfonie so lange halten? Zum einen sicherlich, weil dem mittlerweile 50-jährigen Komponisten nicht mehr der Sinn danach stand, sein Thema - die Größe der Natur, die Bergwelt – mit der genialischen Beschwingtheit zu behandeln, die seinen „Don Juan“ oder seinen „Till“ von Anfang an so unwiderstehlich machten. Zum anderen weil das Panorama der suggestiv gelungenen Tonmalereien die übrigen Qualitäten der Komposition in den Hintergrund drängte. Und Drittens weil das op. 64 nie wirklich die Chance hatte, richtig populär zu werden. Es ist ja bis heute vergleichsweise selten auf den Konzertprogrammen zu finden, weil die Besetzung eigentlich von keinem Orchester alleine zu stemmen ist, also fast immer teure Aushilfen verpflichtet werden müssen und selbst das hätte ja nur Sinn, wenn es einen geeigneten Konzertsaal dazu gäbe, der das Orchester auch klanglich gut fassen könnte und die Komposition ohne Verluste an ihrer Substanz transportieren könnte. Die gibt es aber  erst in jüngerer Zeit auch außerhalb der Metropolen. Und die Schallplatte konnte die Lücke lange nicht schließen, doch davon später mehr. Jetzt sollten wir doch zuerst noch einmal den Weg zurück zum Werk selbst finden, bevor wir uns den Aufzeichnungen desselben widmen.

 

Die Idee zum Programm geht auf ein Erlebnis aus Richard Strauss’ Jugendzeit zurück. Er hatte sich im Sommer 1879 als Gymnasiast, manche Quellen meinen auch es sei bereits 1876 gewesen, den „Heimgarten“ in den Bayerischen Voralpen erstiegen und war in ein Gewitter gekommen. (Übrigens hatte der Heimgarten bereits damals keinen Gletscher, andere Eindrücke von weiteren Bergwanderungen, dann auch mit einer Gletscherwelt ausgestattet, dürften noch in reicher Zahl später dazu gekommen sein.) Von den vielen Eindrücken gefangen, stellte er dieses Ereignis tags darauf am Klavier dar. Aus dieser Erinnerung entwickelte er später das Konzept. „Natürlich riesige Tonmalereien und Schmarrn!“, wie er seinem Jugendfreund Ludwig Thuille schrieb.

 

Erste Skizzen zur Alpensinfonie stammen aus dem Jahre 1900, dem Todesjahr Nietzsches, dessen Gedankenwelt Strauss sehr nahe stand, war er doch zunächst unter anderem Student der Philosophie. 1902 kam er auf dieses Thema zurück und nahm die Arbeit an einer großen, viersätzigen Natursinfonie auf, die auf den Namen „Der Antichrist, eine Alpensinfonie“ hören sollte. Genannt nach dem umstrittenen Werk Nietzsches, das dann nach „Also sprach Zarathustra“ das zweite Werk gewesen wäre, das von Nietzsche inspiriert worden wäre. Zuerst sollte es sich noch um eine „Künstlertragödie“ handeln, also wieder eines jener Werke, die den Kampf eines „Helden“ beschreiben und deuten. In diesem Fall sollte das Schicksal des aus dem schweizerischen Emmental stammenden Porträtmalers Karl Stauffer-Bern dargestellt werden. Er starb 1891 in geistiger Umnachtung. Stauffer-Bern war passionierter Bergsteiger. Die musikalische Darstellung einer Bergbesteigung war einer von mehreren geplanten Abschnitten in der Darstellung der Biographie Stauffers.  Nach diesem ersten Satz, der Bergbesteigung, sollten die übrigen Sätze weitere Themen aus Stauffers Vita enthalten.

 

Der „Antichrist“ wurde jedoch ständig überarbeitet, verändert und umgebaut: Stand zu Beginn, wie erwähnt, das Leben des Schweizer Malers Karl Stauffer-Bern Pate für die Programmatik, wurde dieser wesentliche Teil im Laufe der Zeit ersatzlos gestrichen. So verschwanden denn auch Bezüge zu einigen der provokativsten Schriften Friedrichs Nietzsches. Zunächst blieb es aber noch bei einem viersätzigen Werk, dessen erster Satz besagter Alpenwanderung  nachempfunden werden sollte, die nächsten Teile waren dann mit „ländliche Freude und Gespenster (nach Goya)“ und „Befreiung durch die Arbeit: Das künstlerische Schaffen, Fuge.“ überschrieben. Die Künstlerproblematik war also noch nicht endgültig aus dem Plan gestrichen. Er wollte sie damals als „Bekenntnis zur sittlichen Erneuerung aus eigener Kraft, Befreuung durch Arbeit, Anbetung der ewigen, herrlichen Natur“ (und als eine Überwindung des Christentums, das auch für Strauss, wie für Nietzsche, nur in eine Sackgasse führen würde) verstanden wissen.

 

Ein anderer Deutungsansatz des Programms ist, die Form der Alpensinfonie mit dem Aufbau des klassischen Dramas in Verbindung zu bringen. Interessant wäre es auch diesen Weg zu verfolgen, wir wollen uns aber in unserer kurzen Zusammenschau nicht verzetteln und überspringen diesen Bereich ohne weiteren Kommentar.

 

„Die unmittelbar vorausgegangenen Werke „Don Quixote“ und „Ein Heldenleben“ hätten dann übrigens mit dem neuen Stück eine Trilogie bilden sollen, die letztlich mit der „Sinfonia domestica“ 1903 auch ohne die Alpensinfonie zustande kam (Stefan Gawlick).

 

 

Nach 1911 gab Strauss dann dieses umfangreiche Konzept auf und konzentrierte sich auf die Ausarbeitung des ersten Satzes, wobei freilich nur noch einer der drei Thesen des „Antichristen“, die „Anbetung der Natur“, überlebte. „Sie ließ sich mit den von Anfang an vorgesehenen Naturbildern am leichtesten und ziemlich unkompliziert verbinden, und zwar dadurch, dass das Programm auch zugleich die Gefühle des die Herrlichkeiten der Natur bestaunenden, leidenschaftlich erregten, von Schmerz und Freude überwältigten oder auch beklommenen Menschen in sich aufnahm.“ (W.Werbeck, Die Tondichtungen von Richard Strauss).

Das Verständnis der Gipfelersteigung, kommend aus der Nacht (geboren werden) und das wieder Hinabsinkens in die Nacht (sterben)  als Metapher für die gesamte Lebensgeschichte des Menschen, bietet sich als (nun schon dritter) Interpretationsansatz übrigens ebenfalls wärmstens an. Auch diesen Pfad, so verlockend er auch sei, wollen wir hier nicht weiter begehen. Er schwingt aber immer mit, wenn man sich die Alpensinfonie anhört, denn dieser Interpretationsansatz ist einfach zu naheliegend.

 

1913 entschied er sich dann endgültig für die Einsätzigkeit, 1913 war das Particell erstellt, er begann am 1. November 1914 mit der Orchestrierung und konnte die Partitur  am 8. Februar 1915 abschließen. Erst hier findet sich dann erstmals der Titel „Eine Alpensinfonie“.

 

Die Partitur war ursprünglich Ernst von Schuch zugedacht, dem Uraufführungsdirigenten der  Strauss-Welterfolge „Salome“, „Elektra“ und „Der Rosenkavalier“.  Nach dessen Tod im Mai 1914 widmete der Komponist sie dem „Grafen Nicolaus Seebach (der langjährige Intendant der Kapelle) und der Königlichen Kapelle zu Dresden in Dankbarkeit“.

 

Die Uraufführung fand am 28.Oktober 1915 in der damaligen alten Berliner Philharmonie bei einem Gastspiel der Dresdner Hofkapelle unter der Leitung des Komponisten statt, weil in Dresden keine geeignete Orgel zugegen war. In unserem Vergleich nimmt das Nachfolgeorchester, die Staatskapelle Dresden, prominent mit vier Einspielungen teil. Auf die gleiche Zahl kommen übrigens auch die Wiener Philharmoniker.

 

„Mehr als 15 Jahre hatte Strauss also mit dem Stück verbracht, das eine tiefe und lange Schaffenskrise anzeigte, die er Zeit seines Lebens nicht völlig überwinden sollte. Die Leichtigkeit und Geschwindigkeit, mit der Strauss frühere Opern und Tondichtungen entwarf und ausarbeitete, sollte er nie wieder erreichen. Auch wollte er, nachdem er in den vorangegangenen Werken stets tiefe und bisweilen gesellschaftskritische Themen aufgegriffen und sich somit zwangsläufig in die Diskussion gestellt hatte, „endlich einmal so komponieren, wie eine Kuh ihre Milch gibt“ – also einfach nur so... Nach Jahren in der Kritik ein durchaus verständlicher Wunsch (Stefan Gawlick)“. Kritik rief es aber auch so mehr als genug hervor. Inhaltlich erschließt sich die Alpensinfonie relativ leicht, was seinerzeit viele Kritiker, wie auch schon bei Till Eulenspiegel, schon fast als Beleidigung ansahen. Offensichtlich eine Berufsgruppe, der man es einfach nicht recht machen kann.

 

Die der sinfonischen Dichtung zugrunde liegende Bergbesteigung samt nachfolgendem Abstieg beginnt mit dem einleitenden Abschnitt Nacht,  durchschreitet dann die sogleich aufgelisteten Stationen und endet wiederum in einem als Nacht bezeichneten Abschnitt, ein Kreis schließt sich:

 

Nacht – Sonnenaufgang – Der Anstieg – Eintritt in den Wald – Wanderung neben dem Bache – Am Wasserfall – Erscheinung – Auf  blumigen Wiesen – Auf der Alm – Durch Dickicht und Gestrüpp. Auf Irrwegen – Auf dem Gletscher – Gefahrvolle Augenblicke – Auf dem Gipfel – Vision – Nebel steigen auf – Die Sonne verdüstert sich allmählich – Elegie – Stille vor dem Sturm – Gewitter und Sturm, Abstieg – Sonnenuntergang – Ausklang – Nacht.

 

 

Der Komponist hat folgende Besetzung vorgeschrieben, die wir uns auf der Zunge zergehen lassen dürfen, denn wir müssen sie ja nicht bezahlen:

 

2 große Flöten

2 kleine Flöten (zugleich 3. und 4. große Flöte)

2 Oboen

1 Englischhorn (zugleich 3. Oboe)

1 Heckelphon

1 Klarinette in Es

2 Klarinetten in B

1 Klarinette in C (zugleich Bassklarinette in B)

3 Fagotte

1 Kontrafagott (zugleich 4. Fagott)

4 Hörner

4 Tenortuben in B und F (zugleich 5.–8. Horn)

4 Trompeten

4 Posaunen

2 Basstuben

2 Harfen (womöglich zu verdoppeln)

Orgel

Schlagwerk (3 Spieler): Windmaschine, Donnermaschine, Glockenspiel, Becken, große Trommel, kleine Trommel, Triangel, Herdengeläut (Kuhglocken), Tamtam,

Celesta

Pauken (2 Spieler)

 

Mindestens:

18 erste Violinen

16 zweite Violinen

12 Bratschen

10 Violoncelli

8 Kontrabässe

 

Hinter der Szene, „im Notfall aus dem Orchester zu besetzen“:

12 Hörner

2 Trompeten

2 Posaunen

 

Darüber hinaus sollen in großen Orchestern ab Ziffer 94 (am Ende der „Vision“) die 2 großen Flöten, die 2 Oboen, die Es- und C-Klarinette verdoppelt werden.

Insgesamt werden somit laut Strauss’ Angaben mindestens 107 Musiker benötigt. Aus den Anweisungen des Komponisten, manche Instrumente über das Minimum hinaus womöglich zu verstärken und für das Fernorchester hinter der Bühne eigene Musiker vorzusehen, ergäbe sich nach den Vorstellungen Strauss’ eine Optimalbesetzung von 129 Musikern oder noch mehr.

Zur Ausführung der langen Bindungen der Bläser schlägt Strauss das von Bernhard Samuel erfundene „Aerophon“ vor, bei dem eine fußbetriebene Luftpumpe mit Gummischlauch zum Mund des Spielers die Erzeugung der lange gehaltenen Töne unterstützten soll. Eine spieltechnische Herausforderung, die heute niemand mehr ernsthaft in Betracht zieht.

 

Die Aufführung der Alpensinfonie dauert ca. 45–52 Minuten, im Extremfall auch mal 55 Minuten.

 

Richard Strauss soll für seine Alpensinfonie angeblich ein Honorar in Höhe von 100.000 Mark erhalten haben. Dies wären nach heutigem Wert etwa 410.000 EUR.

 

„Anlässlich der am 28. d. M. in der Berliner Philharmonie stattfindenden Erstaufführung der Alpensymphonie von Strichard Raus (sic!) sind wir bereits jetzt in der Lage, einige Details über das Werk mitzuteilen. Infolge der Exponiertheit vieler Passagen in den Instrumenten wird das Orchester angeseilt auf dem Podium erscheinen, was insbesondere mit Rücksicht auf die vielen verdeckten Quintenfugen angebracht erscheint. Die Kontrabässe werden dem Lokalkolorit entsprechend statt Sordinen Steigeisen aufsetzen. Ein für die Aufführung extra erfundenes Blasinstrument – das Jodlophon – wird zum ersten Male im Orchester erscheinen. Infolge der außerordentlichen Naturwahrheit der in der Symphonie vorkommenden Gletscherpartien empfiehlt es sich für Leute mit empfindlichen Augen, sich mit Schneebrillen zu versehen, die bei den Saaldienern zum Preise von M. 2.50 (Selbstkostenpreis) erhältlich sind. Statt der bisher üblichen Konzertführer werden Original-Bergführer dem Publikum zur Verfügung stehen.“

(Satirische Pressemitteilung anlässlich der Uraufführung, veröffentlicht in der Musikzeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ Nr. 41 vom 13. Oktober 1915)

 

Um das historische Umfeld der Entstehungszeit der Alpensinfonie etwas plastischer zu machen seien noch ein paar andere Leuchttürme erwähnt, die in jeder Zeit begannen den Weg der Musik zu markieren:

1912: Die neunte Sinfonie Mahlers, Ravels „Daphnis et Chloé, Franz Schrekers „Der ferne Klang“, Schönbergs „Fünf Orchesterstücke“.

1913 Strawinskys „Le sacre du printemps“, Skrijabins „Prometheus“.

1914 Schönbergs „Pierrot Lunaire“ und Regers „Mozart-Variationen“.

1917 Pfitzners „Palestrina“.

 

Minuziös werden im Laufe des Stückes 22 Stationen eines Tages mit Bergwanderung beschreiben, die es für Orchester und Dirigent in sich haben und von denen hier einige stellvertretend kurz beschrieben werden sollen. Der Teufel liegt hier für die Ausführenden, wie so oft, im Detail.

Die Alpensinfonie beginnt also schon vor dem eigentlichen Aufstieg fast noch mitten in der Nacht. Die Undurchdringlichkeit des Dunkels wird durch einen tiefen Cluster in den Streichern versinnbildlicht, Dazu werden von allen Streichergruppen, die alle noch mehrfach aufgeteilt sind, alle Töne einer b-Moll-Tonleiter zugleich gespielt. Es ergibt sich ein undurchdringliches Tongemisch, das jede Identifizierung von Einzeltönen unmöglich macht. In Moll färbt sich dieser Klang noch etwas düsterer als in Dur: Die schwarze Nacht. Und damals war sie noch richtig Schwarz. Nicht so lichtverschmutzt wie heute.

Ein paar Takte später kommt leise von den tiefen Bläsern ein markantes Thema. Der Berg ruft bzw. ein Drang im Wanderer selbst, gemahnt ihn zum Aufbruch. Dass diese nun folgende Dämmerung bis zum Sonnenaufgang keine musikalische Riesenschlange wird, ist ein Problem, mit dem viele Dirigenten kämpfen. Sie verlassen in vielen Details die Partitur, ändern Tempo und Lautstärke und zerstören so die von Strauss fein ausgeklügelten Verhältnisse zwischen den Stimmgruppen untereinander. Schon sind die ersten Aufhellungen des Himmels oder die noch dunklen Wolken, die immer lauter werdenden Geräusche der erwachenden Natur bereits verschwunden, denn so bleibt es nur sinnloses Orchestercrescendo, das in einen Tusch mündet, so als hätte man plötzlich alle Scheinwerfer auf einem Filmset eingeschaltet. Dabei sind gerade solche Feinheiten in dem Werk enorm wichtig und vom Komponisten auf die Spitze getrieben. Nach dem Ende der Arbeit daran urteilte er: „Endlich habe ich das Orchestrieren gelernt“.

 

Beim Eintritt in den Wald, zumeist der 4.Track auf der CD, wirkt die Musik wie ein vielfarbiger Teppich mit zahlreichen Punkten, verteilt auf das Orchester. Von allen Seiten kommen kurze Einwürfe, Melodien laufen durch mehrere Gruppen und lassen ein Bild  eines Waldes, natürlich Altbestand, dunkel mit besonders vielfältigen Details wie Lichtreflexe,  sich bewegende Blätter mit verschiedenen Grünschattierungen entstehen. Aber auch dieses Bild entsteht nur, wenn der Verzahnung des Orchesterspiels größte Aufmerksamkeit gezollt wird. Jeder Musiker, der in dieser kaleidoskopartigen Fülle eine größere Rolle spielen, also besonders auffallen möchte, scheitert.

Lediglich im besinnlichen Moment nach dem erreichen des Gipfels hat der Oboist (oder die Oboistin) den ganzen Saal für sich und vielleicht auch den Neid seiner Kolleg/innen.

 

Diese Filigranarbeit erleben wir wieder auf der „blumigen Wiese“, wo das Orchester viele kleine blumenähnliche Farbkleckse ins Bild tupfen sollte und so dem beschwingten Aufstiegsthema (hier in den Celli) einen lebenslustigen Rahmen verleiht, ganz zu schweigen von den umherschwirrenden kleinen Fliegern mit sechs Beinchen.

 

Im „Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen“ nimmt Strauss den Hörer mit vielschichtigen, verwobenen Fugen an die Hand. Die Musik sträubt sich, klemmt, man kämpft sich durch und steht plötzlich an dem gewaltigen, atemberaubenden Gletscher. Wie bereits erwähnt kann der „Heimgarten“ hier nicht mehr mit seinen nur 1790 m über 0 das inspirierende Vorbild gewesen sein.

 

Auf dem Gipfel angekommen versinkt der Wanderer, nun bereits fast ein Bergsteiger, nach einem ersten lauten Triumph in der Betrachtung des Panoramas, dargestellt durch eine über einem Streichertremolo sehr frei spielende, einsame Oboe. Nur wenige Dirigenten nehmen sich hier genug Zeit, um dieses Erlebnis genügend wirken zu lassen. Aus Angst vor Längen stürmen sie weiter und erreichen somit genau das Gegenteil, da diese wundervolle Stelle ihres Sinnes beraubt wird. Bei besonders gelungenen oder misslungenen Soli kommen wir im Vergleich darauf zurück.

 

Nach der teils beklemmend wirkenden „Vision“ (wir wissen nicht so recht: Ist es eine visionäre Erscheinung, die der Wanderer hier sieht, oder ist es der Rundblick über die mannigfache Bergwelt und die Gefühle, die er erweckt, die in diesem Abschnitt gemeint ist denn beides gäbe die Musik ja her) geht es an den Abstieg, der jedoch seine Gefahren birgt: „Nebel steigen auf“, „Die Sonne verdüstert sich“, „Stille vor dem Sturm“ und „Gewitter und Sturm“ verheißen dem Wanderer nichts Gutes. Ist das  „großes Kino“ oder nur Theater oder vielleicht aber auch die Existenz gefährdende urgewaltige höchste Bedrohung. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, obwohl alle Beteiligten ihr bestes geben. Beim „Sonnenuntergang“ lässt Strauss noch einmal für den Abendhimmel das Orchester in allen Farben leuchten und schimmern. Die Violinen spielen sich durch viele Tonarten, bevor ein letztes Mal als Erinnerung das Bergmotiv ertönt und danach, spiegelbildlich zum Beginn des Stückes, die Nacht hereinbricht. Da die meisten neueren, aber auch einige der älteren Aufnahmen mehr oder weniger „Live“ entstanden sind, hört man, dass kaum ein Orchester durch die Turbulenzen des Gewitters und Sturmes unbeschadet durchkommt. Sehr oft leidet die Intonation danach ganz erheblich. Kein Wunder bei den orkanartigen Windstärken. Im Studio und am besten an mehreren Tagen entstanden, hört sich das dann ganz anders an.

 

An der Fülle, an der Größe, der Dynamik, am Farbenreichtum mussten die Trichteraufnahmen, aber auch die ersten Mikrophon-Aufnahmen auf Schellack beinahe auf der ganzen Linie passen. Außerdem kosteten 9 Schellackplatten, wie sie für die als erste angesehene Einspielung(1925) mit Oscar Fried und dem Orchester der Berliner Lindenoper benötigt wurden, für damalige Verhältnisse ein Vermögen. Man sagt, sie wäre in reduzierter Besetzung eingespielt worden um sich den Möglichkeiten des Standes der damaligen Technik anzupassen. Sie musste wirken wie eine Schwarz-Weiss-Aufnahme und dann auch noch wie eine ziemlich kontrastarme. Den Daten zur Aufnahme ist zu entnehmen, denn wir konnten die Einspielung leider nicht in den Vergleich aufnehmen, dass sie bereits in weltrekordverdächtigen 40 Minuten mit ihrer Bergexkursion fertig ist und Ingo Harden meint dazu auch, sie würde „gegen Ende immer schneller“, vielleicht um nicht noch eine zehnte Schellackplatte zu benötigen. Mittlerweile ist auch noch eine erste Einspielung von Strauss aus den 30er Jahren mit dem Orchester des Reichssenders München veröffentlicht worden. Unser Vergleich beginnt jedoch erst mit der 1941er EMI Einspielung von Strauss mit der Bayerischen Staatskapelle,

In der Zeit der Mono-Klangaufzeichnung, gab es nur wenige Einspielungen, und dann auch noch meist Rundfunkmitschnitte.  Lange Jahre galt die Böhm-Einspielung aus Dresden in jener Zeit als alleinige Referenz. Üppiger wird das Angebot erst mit der aufkommenden Stereo-Technik. Die erste westliche darunter war die Einspielung der Strauss-Koryphäe Rudolf Kempe mit dem Royal Philharmonic Orchestra London, eine Pioniertat ersten Ranges, an nur einem Tag eingespielt. Einen wahren Hype, wenn auch nicht vergleichbar mit den Output an Einspielungen von Mahler-Sinfonien in jener Zeit, erlebte das Stück dann mit der Digitaltechnik in den 80er Jahren. Jedes Label brauchte nun plötzlich eine Alpensinfonie in ihrem Programm. Karajan war dabei der erste. Nun konnte ja auch die immanente Dynamik des Stückes zumindest ansatzweise wiedergegeben werden und man nutzte dies, um die neue Technik ins rechte Licht zu rücken. Orchester nun auch aus abseits der großen Musikmetropolen gelegenen Städten (z.B. Lübeck oder Weimar) outeten sich nun als Alpinisten. Dies wiederholte dich dann wieder als die SACD am Tonträger-Horizont auftauchte, auch hier nutzte man die klanglichen Eigenschaften der Komposition um den tatsächlich vorhandenen Gewinn des neuen Mediums an Fülle, Transparenz, Geschmeidigkeit, Farbigkeit und letztlich auch Natürlichkeit zu demonstrieren. Fünf Kanäle statt zwei und die höhere Auflösung schafften nun noch mehr Realismus und Konzertsaalfeeling. Auch hier gaben einige Orchester, die sonst weniger im Focus der Musikindustrie stehen, ihre musikalische Visitenkarte ab (Altenburg-Gera, Braunschweig, Milwaukee oder Sao Paulo um nur einmal vier davon zu nennen), mussten so aber auch versuchen dem Vergleich mit den großen Orchestern der Welt standzuhalten, sodass sich summa summarum behaupten lässt: Die Alpensinfonie ist nun auf Tonträger beliebter als je zuvor (...aber immer noch sehr, sehr teuer...).

Leider setzte sich das Medium SACD nicht nachhaltig durch, sodass die neuesten Einspielungen wieder „nur“ auf CD und zweikanalig erschienen. Oft kann man sie aber auch parallel hochauflösend aus dem Internet downloaden oder streamen. Als Ausnahme ist in erster Linie das Label Pentatone zu nennen, das nach den Einspielungen von Janowski und Orozco-Estrada gerade ihre neueste Einspielung mit Vladimir Jurowski erneut auf SACD vorgelegt hat.

 

Der Schlüssel zu Erfolg liegt aber - wie immer - nicht nur im beriebenen technischen Aufwand,  sondern in ersten Linie darin, wie es den Ausführenden gelingt, den schmalen Grad zwischen Übertreibung und Effektlosigkeit zu meistern. Es ist denkbar, dass die Sinfonie lange auch deshalb so unbeliebt war, weil sie zumeist auch einfach nicht gut genug gespielt werden konnte. Sie ist besonders abhängig davon, dass die Partituranweisungen minutiös befolgt werden, dass sich der Orchesterklang hervorragend mischen kann ohne mulmig zu werden und dass trotzdem eine hohe Transparenz erreicht wird um die überbordende Zahl an Nuancen und Delikatessen der Instrumentation deutlich zu machen und vor allem, dass die langen Bögen ausgehalten werden und dass man dem Versuch zu billigen Effekten entsagt. Nur wenn diese in den dramatischen Fortgang eingebunden werden, also nicht isoliert da stehen, wird der Einsdruck einer bunten, musikalischen Ansichtskarte vermieden. Der äußere Zeitrahmen wird zumeist eingehalten (Ausnahmen bestätigen die Regel), aber die Unterschiede im Detail und in der zeitlichen Dauer und musikalischen Plastizität der einzelnen Abschnitte sind jedoch enorm. Die aber entscheiden letztlich über die Lebendigkeit, Eleganz, Stringenz und sogar über die Schlüssigkeit des ganzen Werkes. Und darüber, ob es bei aller äußeren Schwergewichtigkeit dem Hörer oder der Hörerin nicht sogar etwas oder auch richtig ans Herz wachsen kann.

 

Nun noch ein paar Worte zu den am Vergleich beteiligten SACDs. Die Einordnung erfolgte wie immer aufgrund der normalen CD-Spur, weil nur so eine gerechte Vergleichbarkeit mit den „normalen“ CDs gewährleistet ist. Als SACD sieht es bisweilen aber durchaus etwas anders aus. Deshalb seien die Ergebnisse hier noch kurz zusammengefasst.

In jedem der sieben Fälle klingen die höher aufgelösten Daten deutlich besser als die normale 16-Bit-CD-Spur. Am besten klingt die mehrkanalige Spur, vorausgesetzt man verfügt über die erforderlichen Abspielgerätschaften.

 

Im Falle der Einspielung von Jonas Alber wirkt das Orchester mehrkanalig und hoch aufgelöst erheblich plastischer, klarer und fülliger. Wunderbar weich und sonorer. Insgesamt mindestens eine Klasse besser.

Im Falle Semyon Bychkovs weitet sich der Raum in allen drei Dimensionen, die Transparenz gewinnt und die Dynamik erreicht nun ein neues Niveau.

Die Londoner Einspielung Bernard Haitinks erfährt eine viel bessere Staffelung, vor allem in die Tiefe des nun realistischer wirkenden Raumes. Auch hier gewinnt die Dynamik ungemein. Das Orchester klingt noch runder, transparenter und sonorer. Was allerdings bleibt ist die relative Bassarmut des Gesamtklangs, wie schon oft beim Label LSO LIVE beobachtet. Unseres Erachtens liegt diesbezüglich die Amsterdamer Philips-Einspielung Haitinks immer noch klar vorne.

Bei Marek Janowski legt die Klangqualität um ein noch höheres Maß zu. Anscheinend sind die Pentatone-Aufnahmen speziell für den Mehrkanalklang gemacht worden, auf die CD-Abteilung legt man nicht so viel wert. Die Aufnahme hört sich nun einfach fantastisch an. Ein klares Plus an Sonorität, Weiträumigkeit, Farbenreichtum und vor allem Dynamik. Sie klingt nun einfach superb.

Das Gleiche gilt auch für die Amsterdamer Einspielung von Mariss Jansons. Sie gewinnt kolossal. Sie verfügt nun über eine holographische Klarheit und gewinnt das audiophil gestimmte Herz mit dem wunderbar anschmiegsamen Klang des fantastischen Concertgebouworchesters. Der Gesamtklang wirkt nun ungemein farbig und nun sagenhaft transparent. Auch der dynamische Ambitus weitet sich ungemein. Die CD Abteilung wirkt dagegen wie stiefmütterlich behandelt, oder wie Karajan einst zur LP gegenüber der CD meinte „wie Gaslicht“ gegenüber dem Licht der Lampen, die mit Strom betrieben werden. Der Klang und auch das daraus folgende Musikerlebnis wirken nun klarer und wie frisch durchlüftet. So gewinnt die Einspielung so viel, dass sie aus unserer Sicht an der bereits vorzüglichen BR-Aufnahme vorbeizieht.

Die Einspielung Fabio Luisis wirkt klarer und die Instrumente viel besser fokussiert, auch weiträumiger. Auf der CD klang die Staatskapelle vergleichsweise wie eingesperrt, nun regelrecht verführerisch. Insgesamt steht die technische Realisierung aber auch im Mehrkanalmodus immer noch etwas hinter Jansons und Janowski zurück.

Last but not least wird auch aus der ohnehin schon plastisch und dynamisch klingenden CD von Christian Thielemann  als SACD (hier ist es eine damals gesondert erworbene Disc ohne CD-Spur) geradezu ein audiophiles Schmankerl. Nochmals luftiger und nochmals erheblich dynamischer und farbechter spielen sich die extrem gut aufgelegten Wiener Philharmoniker hier ins Herz aller audiophilen Alpinisten.

 

 

 

Zum Abschluss noch einmal ein paar der allseits beliebten Zitate (entnommen dem Beiheft zu Einspielung von Markus Stenz). Dieses Mal von Helmut Lachenmann, dem sich die Alpensinfonie auch erst recht spät richtig erschlossen hat, dafür aber umso tiefer. Sie beleuchten Eigenschaften der Komposition aus dem Blickwinkel eines Komponisten:

 

„Den Schlussabschnitt der Alpensinfonie hat Strauss „Ausklang“ genannt. (Anmerkung des Verfassers: Der eigentliche Schussabschnitt ist die hereinbrechende „Nacht“, beide zusammen könnte man vielleicht Epilog nennen.) Strauss´sche Musik, die Alpensinfonie nach Elektra und Rosenkavalier – aber auch Schönbergs „Kammersinfonie“ war komponiert! – [ist] in einer Tradition und gesellschaftlicher Praxis vermittelten Emphase und Ästhetik geborgen, von wo auch die Schönheit und Größe und Gewalt der Natur (von einem Nietzscheaner...) beschworen, „besungen“ und auf geniale Weise noch einmal tonal domestiziert wird.

Denn diese Musik, sehr wohl der Unwegsamkeiten des Atonalen bewusst, wandert und wandelt auf tonalen Pfaden (mit dem Spazierstock, Rucksack, sich am tonalen Geländer festhaltend...).

Während Schönberg die Luft von anderen Planeten spürt (wo man in Wirklichkeit nicht mehr atmen kann), sucht Strauss (gesunde) Höhenluft...“

 

„Sind Stockhausens „Gruppen“ – Schlüsselwerk der Orchestermusik heute – mitsamt ihrem vielfachen Almglockengebimmel bis hinein in den Schlussklang nicht auch eine Art „Alpensinfonie“, mit Rufen von verschiedenen Gipfeln in der Mitte, mit obligatem Blech- und Tamtam-Gewitter, feierlichem Abgesang und mannigfachen Echos aus allen Richtungen???“ (Die klingen aber mehr nach bereits zerstörter Natur und in dieser Beziehung eher nach einem Schrei nach Hilfe, oder nach einer Zerstörung der Tradition, aus der die Alpensinfonie kommt, Anm. des Verfassers)

 

„Ob die Alpensinfonie mitsamt ihrer „naturverbundenen“ Heiterkeit und dämonischem Theaterdonner bloß ein romantisches oder – vielleicht gegen den Willen des Erzeugers – darüber hinaus ein tragisches, lehrreiches, bewusstseinerhellendes Werk ist, entscheidet sich in der Intelligenz des Hörers, wobei „Wahrnehmungsarbeit“ weit über das Verfolgen von Geräusch-Varianten hinausgeht“...

Und Strauss selbst auf eine Konzertanfrage aus London 1947: ...am liebsten dirigiere ich die Alpensinfonie...“

 

(Begleitende Partitur ausgedruckt von Musopen, Verlag unbekannt; Text erstellt mit Hilfe von Wikipedia, einem sehr schönen Artikel von Stefan Gawlick zu Aufnahmen der Alpensinfonie in Hifi und Records 4/2003, einem nicht weniger gelungenen Artikel zum Vergleich von Aufnahmen von Ingo Harden in FonoForum 9/11, dem Beiheftchen zur Einspielung des Ensemble Modern Orchestra mit Markus Stenz von 2005, weitgehend verfasst von Helmut Lachenmann und nicht zuletzt unter dem intensiven und nachhaltigen Eindruck einer Sendung des BR von Christoph Vratz, in der diverse Aufnahmen der Alpensinfonie mit viel Hintergrundwissen verglichen wurden, die irgendwann im Jahre 2017 durch den Äther geschickt wurde und uns damals für das Werk begeisterte und damals bereits zu diesem erweiterten Vergleich ermunterte.)

 

 

 

zusammengestellt bis 15.12.2021

 

Richard Strauss im Jahr 1915

 

 

 

Vergleichende Rezensionen:

 

 

5

Christian Thielemann

Wiener Philharmoniker

DG

2000, Live

52:39

 

Auch als SACD gehört.  Christian Thielemann erweist sich in unserem Vergleich als ein Kenner der Materie. Kein Detail entgeht ihm, aber bei aller Klarheit des Klangs und bei allem Nuancenreichtum gelingt es ihm auf berauschende Art und Weise die Sinfonie in ihrer ganzen Tiefe zum klingen zu bringen. Irritierend sind allenfalls die mitunter recht langsamen, aber nie behäbigen Tempi, die auch nie der Spannung entbehren. Er geht akribisch genau auf die Spezifika der jeweiligen Stationen der alpinen Tagestour ein, lässt es nie an kräftiger Farbgebung fehlen und was besonders besticht: Er stellt immer eine besonders klare Linienführung in den Vordergrund. Es ergeben sich so mehr oder weniger kleine Charakterbilder, die aber ebenso klar in den symphonisch wirkenden Bogen eingespannt werden. Obwohl man stets das Gefühl hat, dass Thielmann mit scharfem Intellekt an die Musik herangeht, kommen auch die intensiven Gefühlsregungen, die gleichermaßen Bestandteil des Werkes sind, vollgültig zum Ausdruck. Sie erscheinen aber mehr als Beiwerk oder als zwangloses Ergebnis einer akribischen Exegese. Jedoch wollen wir nicht verhehlen, dass andere in Punkto Emotionalität noch eine Kleinigkeit weiterkommen (z.B. Blomstedt, Kempe in London, auch Jansons und Haitink). Diese Einordnung berührt dann schon eher den Bereich des persönlichen Erlebens des Hörers oder der Hörerin. Das glückhafte Gelingen wäre nicht möglich ohne die bewundernswert klar und mit blendender Virtuosität musizierenden Wiener Philharmoniker. Bekanntlich spielen sie nicht bei jedem Dirigenten dermaßen enthusiastisch, er muss ihnen schon „gefallen“. Das war bereits damals bei Thielemann der Fall. Sie spielen hier von ihren vier Einspielungen des Vergleiches mit Abstand am besten (direkt und besonders deutlich im Vergleich mit der eigentlich sehr guten Aufnahme Previns zu hören). Sie fühlen sich sicher geführt und werden anscheinend von Thielemann zu besonderer Leistung herausgefordert. Bei aller leichten oder auch sanften Schlankheit sind sie auch blitzschnell zu jedweder Attacke mit größtmöglicher Vehemenz und Wucht fähig. Alle geforderten Spielarten werden dem Hörer in Vollkommenheit präsentiert.

Nur zwei Beispiele, damit es nicht ausufert: Des blendenden Detailreichtums wird man bereits während der „Nacht“ gewahr, wo selbst die kleinste und leiseste Streicherbewegung (abweichende Linie bei den Violen) hörbar werden aber gleichermaßen auch noch integraler Bestandteil des Clusterklang bleiben. Das ist höchste Nuancierungskunst. Der Vergleich bringt es erst richtig an den Tag, da es den anderen nicht gleichermaßen oder noch nicht einmal ansatzweise so gut gelingt. Die Partitur gibt es aber unmissverständlich vor. Kitsch in jedweder Spielart bleibt außen vor und Bombast wird erfolgreich vermieden. Übrigens (seit der Karajan-Aufnahme scheint es üblich geworden zu sein) werden „Auf der Alm“ echte Kuhglocken als „Herdengeläut“ verwendet. So auch hier. Beispiel zwei: Gewitter und Sturm fordern mit Macht alle Ressourcen des Orchesters heraus. Flöten, Windmaschine, Donnerblech aber besonders das Blech und dabei nochmals auffallend die sonst im Vergleich eher schwachen Tenortuben wachsen dabei fast über sich hinaus. Der Höhepunkt (Zi. 124) klingt bei diesem Orchester, gerade mit Thielemann, einfach besonders grandios innerhalb eines schon blendend mit Orkanstärke dargestellten Tumult-Szenarios. Aber auch hier, wenn auch lange nicht so deutlich spürbar wie bei anderen, klingt die Intonation im schwierig zu spielenden „Sonnenuntergang“ nach diesem Kraftakt nicht mehr so sicher wie zuvor (Trompeten), die Violinen sind aber fast über jeden Zweifel erhaben. Im Ausklang ist wieder alles bestens stabilisiert. Diese Einspielung wirkt unglaublich kompetent und souverän gestaltet und sie klingt bestechend.

Auffallend am Klang der Aufnahme ist der hervorragend gut vom Bass her aufgebaute Gesamtklang. Die Dynamik ist sehr breit und ausladend. Der Klang ist voll aber auch fein gezeichnet, farbig, sehr brillant und durch den guten Bass wirkt er besonders tiefgründig und sonor. Die sehr hohe Präsenz lässt auch die Holzbläser sehr gut zur Geltung kommen. Einzig die Tiefenstaffelung des Riesenorchesters wurde in anderen Einspielungen noch ein wenig überzeugender dargestellt. Auf der SACD ist die dann aber auch bestens gelungen. Publikumsgeräusche sind nur leise in ganz ruhigen Passagen hörbar.

 

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5

Mariss Jansons

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München

BR Klassik

2016, Live

50:48

 

Von Mariss Jansons gibt es zwei nahezu ebenbürtige Einspielungen des Werkes, denn innerhalb der neun Jahre hat sich nicht viel an der Auffassung des Dirigenten geändert und die beiden glanzvollen Orchester sind auch nahezu gleichwertig. Die bereits 2007 entstandene mit dem COA ist faktisch ebenso gut gespielt und dargestellt, nur bei CD-Wiedergabe klingt sie deutlich weniger übersichtlich und dynamisch wie die Münchner, sogar ein wenig schwammig, während die Amsterdamer – offensichtlich auf den Mehrkanalmodus der SACD getrimmt – dann wiederum noch dynamischer und transparenter als die Münchner klingt. So sind z.B. die während der Durchwanderung des Waldes hörbaren Hörner einer vorbeiziehenden Jagdgesellschaft in München viel besser (und ohne Nachhalleffekt) durchgezeichnet als in Amsterdam (CD-Modus), während im Mahrkanalsound die Hörner in Amsterdam zwar von ferne aber dann noch plastischer klingen. Überhaupt: Welches Orchester ist näher dran am Ort des Geschehens als die Münchner? Jansons Lesart hat zu keiner Sekunde etwas Flüchtiges (wie z.B. bei Ashkenazy in Cleveland oder Harding). Im Vordergrund steht immer die nuancierte Bildhaftigkeit. „Auf blumiger Wiese“ klingt in München erneut viel plastischer und hellhöriger, ebenso das Herdengeläut „Auf der Alm“. Hier auch ganz exzellent ist die Flatterzunge der Oboe gelungen. Das Tempo bleibt immer im Fluss, das riesenhafte Orchester agiert kammermusikalisch fein (das gelingt den Wienern zuvor nicht ganz so gut). Die Violinen klingen warm, klar und teilweise berückend schön, das Blech bewundernswert sonor und sauber. Die Oboe spielt auf dem Gipfel ihr Solo auf einnehmend schöne Weise, besser als der Kollege in Amsterdam, einer der besten Vorträge überhaupt. Jansons scheint dem Solisten Zeit und Freiheit dafür zu überlassen. Die folgende einnehmende Gestaltung des Gipfelerlebnisses klingt nie monumental oder auftrumpfend, wohl aber besonders eindrücklich. Die „Stille vor dem Sturm“ gelingt hoch spannend. Die Sturmmusik sucht mit markanter Wucht und extremer Transparenz ihresgleichen. Der ganze Horizont (verkleinert auf die häusliche Klangbühne) besteht nun aus irgendwelchen musikalisch klang gewordenen Wetterereignissen, prachtvoll und erschreckend zugleich. Nur die Orgel bleibt klanglich ein wenig unterbelichtet. Der „Ausklang“ erklingt liebevoll und warmherzig, wie bereits in Amsterdam. Ganz zum Schluss erfreut ein wundervoll hingezaubertes Glissando.

Jansons erzählt uns hier eine existenziell berührende Geschichte. Vielleicht nicht so ganz strukturbetont wie Thielemann, dafür aber noch ein wenig gefühlvoller.

In dieser Live-Aufnahme muss man die Ohren schon richtig „spitzen“ um Geräusche vom Publikum wahrzunehmen. Der Klang ähnelt dem aus Amsterdam. Er ist fein, nuanciert, voll und üppig. Aber viel präsenter, was hier vor allem dem Blech zugute kommt. Das sfumato aus Amsterdam ist gänzlich verschwunden. Der Gesamtklang ist dynamischer, plastischer, körperhafter und farbiger als in Amsterdam. Auch gegenüber der Einspielung Blomstedts oder dem Saito Kinen Orchestra wirkt das SO des BR noch etwas geschmeidiger. (Im SACD-Modus hört es sich jedoch beim COA wieder besser an!).

▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten folgt etwas weiter unten

 

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5

Herbert Blomstedt

San Francisco Symphony Orchestra

Decca

1988

52:26

 

Herbert Blomstedts Einspielung erfreut die Hörerschaft vom ersten bis zum letzten Ton. Er erreicht eine besonders charaktervolle Ausleuchtung der einzelnen Stationen trotzdem gelingt es ihm, einen weiten Bogen über das gesamte Stück zu spannen. Sein Zugriff wirkt spannend und wie in einem Zug, dabei temperamentvoll und geradezu „prall“. Das Orchester überrascht hier mit seiner exzellenten Qualität, klingt empathisch mit leuchtenden Soli und sorgfältigem, spürbar bestens abgewogenen Zusammenspiel und übertrifft in der Gesamtdarstellung sogar die Cleveländer (mit Ashkenazy) ein wenig und die Chicagoer (unter Barenboim) ganz klar.

Beispielhaft seien nun noch ein paar Stationen der überaus gelungenen Reise herausgepickt um die Einordnung zu belegen: das Crescendo zum „Sonnenaufgang“ gelingt mit leidenschaftlicher Sogkraft. Die Macht der Natur wird während desselben bereits exemplarisch spürbar, hier auch eine überschäumende Freude symbolisierend, auch weil es jetzt richtig mit der offensichtlich sehnlicht erwarteten Wanderung losgehen kann. Der „Anstieg“ erfolgt mit Saft und Kraft, die Gestaltung klingt einfach mitreißend. Die Jagdhörner im Wald klingen super präzise und deutlich, obwohl tatsächlich von ferne klingend und zudem auch noch wunderbar schmetternd. Da wurde mit Erfolg minuziös geprobt. Bravo.  „Wasserfall“ und „Erscheinung“ erklingen enorm virtuos und plastisch. Die „Blumige Wiese“ enorm belebt. Und was immer wieder auffällt: der Wanderer wirkt glücklich. Es ist einfach ein großes Vergnügen zuzuhören. Auf dem Gletscher hören wir brillante Trompeten, absolut höhensicher und ohne Vibrato wie beim CSO und Barenboim. Im Dickicht geht es enorm drängend zu, die „Irrwege“ werden mit Angst und Panik beschritten.

Auf dem Gipfel überzeugt die Oboe auch hier mit herrlich freier, intensiver Gestaltung und leichtem Ton. Im weiteren Verlauf gönnt sich Blomstedt (und uns damit auch) ein durchaus pathosreiches, glückseliges Erlebnis von Triumph, den Gipfel erreicht zu haben und Angesichts der prachtvollen, erhabenen Natur. Blomstedt erweist sich als guter Stratege, immer lässt er dem Orchester genügend Atem, um das letzte an Intensität für die Höhepunkte aufzusparen. Dennoch zielt er nie auf den bloßen Effekt ab. Die Höhepunkte sind einfach mitreißend und erhebend (Zi. 95 und 96). Das gilt besonders auch für die Sturmmusik. Die Gran Cassa  klingt hier mächtig und naturalistisch donnernd, das Blech super, die Orgel kräftig. Auch der „Sonnenuntergang“ gelingt den Streichern (ZI. 130 bis 134) besonders präzise. Ein Vorteil, wenn man auf eine Live-Aufnahme verzichtet. Zi. 135 ff klingen oft rührselig oder kitschig, hier jedoch gar nicht. Hier wird, besonders im „Ausklang“ große Dankbarkeit spürbar, wie bei Beethovens „Pastorale“ im Anschluss an die dortige Sturmmusik.

Blomstedt lässt die Musik immer natürlich fließen und atmen. Nie wird der Klang fest oder statisch. Warm und präzise klingend wird ein Ineins von äußerer plastischer Naturschilderung und innerer Empfindsamkeit nachgezeichnet. Blomstedt ist dabei von jeder glamourhaften Attitüde frei und die Musik, sonst mitunter leicht artifiziell, erhält etwas tief Menschliches.

Das Orchester ist gut in Breite und Tiefe des Klangraums hinein gestaffelt, es klingt dabei weich, recht voll, präsent, transparent und knackig. Die dynamische Bandbreite ist dem Werk angemessen, also enorm.

 

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5

Bernard Haitink

Concertgebouworchester Amsterdam

Philips

1985

49:27

 

In Haitinks erster Einspielung wirkt der Zugang zum Werk eher weniger tonmalerisch geprägt als vielmehr symphonisch dramatisch überformt, oder besser gesagt geschärft. Darin ist er den vorangegangen Einspielungen nicht unähnlich. Haitinks Zugriff ist ein oft drängender, ohne aber die so wichtigen Nuancen zu wenig auszumodellieren. Das Orchester, erneut in allerbester Verfassung, bietet exquisites Spiel und verführerischen Klang. Das Musizieren ist besonders plastisch, musikalisch fein, ausgewogen, locker, genau und nuanciert, eigentlich in jedweder Form über jeden Zweifel erhaben und sogar noch besonders energisch, wo es angebracht erscheint. Das Luxusorchester wird dabei kaum einmal grell oder schroff, stellt aber immer die Linien sehr gut heraus, wobei Haitink darin nicht ganz so weit geht wie Thielemann. Es klingt noch brillanter als das SFSO mit Blomstedt. Im Gewitter und Sturm legt das Orchester die „Samthandschuhe“ ab und klingt eruptiv und mit fast schon brutaler Kraft. Dabei klingt es immer noch bestechend transparent, verbreitet aber trotzdem Angst und Schrecken. Nur die Windmaschine wirkt ein wenig künstlich. Dafür wird aber nachhaltig zwischen ff und fff unterschieden bei Zi. 123 bzw. 124. Sonnenuntergang und Ausklang klingen selten so expressiv wie hier und ohne jede Trübung der Intonation. Damals florierte das CD-Geschäft noch bestens und man konnte sich noch Aufnahmen unter Studiobedingungen leisten und oft genug wiederholen, wenn mal ein Tönchen nicht perfekt sitzt. Insgesamt eine wirklich berührende Glanzleistung von Dirigent, Orchester und Aufnahmeteam. Hier bekommt der Hörer (leider nur virtuell) echte Höhenluft zum Atmen.

▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten folgt etwas weiter unten

 

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5

Francois-Xavier Roth

SWR Sinfonieorchester Baden Baden und Freiburg

Hänssler, nun SWR Music

2014

50:01

 

Roth, der auch schon in César Francks sinfonischer Dichtung „Le Chasseur maudit“ begeisterte, legt auch in diesem Vergleich eine ganz außerordentlich gelungene Einspielung vor, die hinter keiner anderen zurücksteht.  Sie ist innerhalb einer Gesamteinspielung aller sinfonischen Dichtungen entstanden und stellt damit den Schwanengesang des nur wenig später wegfusionierten Orchesters dar. Damals hoffte man vielleicht noch, weitermachen zu können und warf sich mit aller musikalischer Macht gegen das bereits geplante Ende, so hört es sich hier wenigstens an. Wie dem auch sei, das Orchester gehört hier zu den allerbesten und macht den Kultur-Frevel erneut erinnernswert.

Schon gleich zu Beginn spitzt man die Ohren, denn der Cluster erklingt überaus plastisch und deutlich, ist mehr als nur Hintergrund für zaghafte musikalische Entwicklung. Roth macht ein Maximum an Stimmen hörbar, extrem nuanciert und umfassend. Es klingt hier schon fast nach Ligetis „Atmosphères“ oder nach „Lontano“. Immer wieder merkt man auf, hört Stimmen, die man vorher noch nie wahrgenommen hat (z.B. die Harfe bei Zi. 37) bemerkte man zuvor nur durch den Blick in die Partitur und obwohl es die 37ste gehörte Einspielung war, hörte man da nie zuvor eine Harfe. Überhaupt ist die Harfe die Verliererin in unserem Vergleich. Von Strauss als kolorierendes Instrument eingesetzt, schaut auf sie niemand, außer Roth. Im Deutlichmachen der Stimmen darf Roth als der Gegenpol Karajans gelten, dem dies eher am unwichtigsten war, Roth macht davon das Maximum hörbar. Das ganze Stück klingt so noch reichhaltiger und vielfältiger. Da ist er auch einem Thielemann noch ein wenig voraus. Mitunter läuft der ungeübte Hörer sogar Gefahr, den Überblick zu verlieren. Man gewöhnt sich aber schnell daran und ist einfach nur noch gebannt.

Der Gestus Roths ist zumeist jugendlich, forsch, frisch und abenteuerlustig.

Die Jagdgesellschaft (mit den 12 Hörnern) wird sehr gut hörbar und sie spielen akribisch genau, hier gibt es keine Schlampereien, nur weil man hinter der Bühne steht und nicht gesehen wird. Das Orchester übrigens klingt weich, präzise hoch motiviert und sehr inspiriert. Sehr sicher und stets flexibel. Das könnte auch beim LSO oder beim SFSO stehen, aber genau so verhält es sich ja auch. Die zahlreichen Tempomodifikationen, die Strauss in seine Partitur hineingeschrieben hat werden deutlicher hörbar als bei den anderen Aufnahmen, Roth verlangt viel vom Orchester und folgt der Partitur genauestens. Trotzdem ist der Duktus sehr organisch und kontrastreich. Bei ihm kommt man erst gar nicht auf die Idee, dass an dem Werk einmal etwas kitschig gewesen sein soll. Man hat aber auch noch nie so viel vom Werk zu hören bekommen. Wollte man alles aufzählen, was beim Hören aufgefallen ist, man käme kaum zu einem Ende. Nur noch so viel. Das Gletscher wird zu einem Erlebnis, die Oboe auf dem Gipfel spielt klasse, die Orgel wird sehr gut ins klangliche Geschehen eingebunden, die Höhepunkte der „Vision“ Zi. 95 und 96 werden voll ausgereizt, der Sturm erklingt mit elementarer Wucht, trotzdem extrem klar und detailfreudig. Im Sonnenuntergang gibt es keinerlei Ermüdungserscheinungen, es wurde auch an zwei Tagen aufgenommen und ob es live war, wird nicht deutlich, denn man hört nichts vom Publikum. „Sonnenuntergang“ und „Ausklang“ bringen so ungetrübte Klangschönheit, wo sich andere mitunter fast schon verstimmt anhören und sich erst langsam erholen. Trotz des hier grenzwertig langsamen Tempos gelingt es Roth auch den „Ausklang“ noch lebendig zu halten. Eine ganz großartige Einspielung, die man gar nicht warm genug empfehlen kann. Was für ein Verlust für die deutsche Orchesterlandschaft.

Zu einem derart gelungenen Gesamtpaket muss auch die Aufnahmequalität passen und das ist hier der Fall. Sie spannt für das Orchester ein enorm weites Panorama auf. Es klingt fein, recht warm, sauber, lebendig und besonders luftig. Das Orchester ist exzellent aufgefächert und die Staffelung reicht weit in die Tiefe. Die fast halographisch zu nennende Transparenz verleitet dazu quasi visuell durchs Orchester durchzugehen. Es ist ein großes Erlebnis so auf die Jagd nach den versteckten Details des Werkes zu gehen. Also ist auch noch eine Schatzsuche inklusive.

 

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5

Giuseppe Sinopoli

Staatskapelle Dresden

DG

1993, Live

50:12

 

Sinopolis „Nacht“ hört sich nicht einfach nur schwarz an. Die Tiefen sind hier recht vielgestaltig und nuancenreich, aber nicht etwa, weil die Staatskapelle unpräzise wäre. Der Sonnenaufgang prunkt mit einem tollen Farbengemisch und hört sich nicht etwa so an, als hätte man auf der Bühne einfach mal das Licht angeknipst, langsam, groß und mächtig zieht sich die Sonne den Horizont hoch. Die Kapelle entwickelt ein besonders farbiges Klanggemisch,  klangsatt und prächtig. Höchst motiviert möchte das Orchester mit seinem damals neuen Chef beweisen, dass es seit der Uraufführung und den Aufnahmen Böhms und Kempes immer noch die Autorität in Sachen Strauss ist. Das gelingt besonders klangschön und intensiv aber auch irgendwie natürlich und wie selbstverständlich. Wenn verlangt aber auch mit Autorität und mit erhabenem Glanz. Sinopoli gelingt aber auch ein tiefer Blick in die Untergründe, zu erkennen auch an einem kaleidoskopartigen Nuancenreichtum. Die einzelnen Stationen wirken immer sehr vielgestaltig und gefühlsbetont, bewegt und bewegend. Die Oboe auf dem Gipfel ist da längst angesteckt von den vielfarbigen Nuancen. Ihr Spiel klingt besonders klangschön und ausdrucksstark. Noch vor der Berliner Oboe bei Karajan und Mehta vor COA und BR. Auf dem Gipfel hat Sinopoli keine Angst vor einem echten Maestoso, er versteckt es nicht und entfesselt dazu das satte Blech der Dresdner. Auch der Sturm hält nicht zurück und bietet an Schärfe, Wucht entäußerte Urkräfte bei unerschütterlicher Präzision und Transparenz, was aber alle Einspielungen der 5er Gruppe eint.

Während des Sonnenuntergangs muss das Erlebte erst emotional verarbeitet werden, intonatorisch fast ungerührt wie auch der Ausklang. Aber ein klein wenig leidet auch der goldenen Klang der Staatskapelle nach der Tour de force des Vorangegangenen. Es reicht aber immer noch für ein warmes Klangbad der dankbaren Gefühle.

Diese Einspielung stellt so etwas dar wie der Mount Everest unter den Einspielungen von Giuseppe Sinopoli. Nie war er besser, was zumindest für die uns bekannten Einspielungen gilt. Eine sehr gelungene Mischung aus Klangbegeisterung und Offenlegung der Strukturen und der durchaus bereits modernen Harmonien.

Gerade gegenüber der gerade zuvor gehörten Einspielung Gerard Schwarz´ öffnet sich hier ein viel weiter aufgespannter Klangraum. Die Staffelung ist hervorragend, der Gesamtklang voluminös, satt, warm, farbig, voll und prall. Der Bassbereich klingt prominent. Die Staffelung ist sehr gut, die Dynamik exzellent. Die Dresdner schütten hier ein Füllhorn an Wohlklang aus. Auch die neuere Einspielung Luisis kommt da nicht heran. Nur in ganz leisen Passagen hört man die während des Konzertes anwesende Zuhörerschaft. Für einen Live-Mitschnitt fast schon unglaublich gut.

 

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5

Markus Stenz

Ensemble Modern Orchestra

Ensemble Modern Medien

2005, Live

47:14

 

Diese Einspielung ist der von Francois-Xavier Roth nicht unähnlich. Für sie hat sich das Ensemble Modern sogar in ein großes Orchester verwandelt und die Moderne verlassen um dieses „alte“ Stück dann allerdings in aller Modernität aufzuführen. Die Einspielung fand an nur einem Tag live bei einem Konzert in Frankfurts Alter Oper statt. Die dennoch erreichte Perfektion nötigt größten Respekt ab. Die jungen Musiker/innen, vereint in diesem Adhoc-Orchester, stehen den besten in Punkto Perfektion, spontaner Kraftentwicklung und Klangschönheit nicht nach und bringen sogar noch ein wenig jugendlichen Übermut mit in die Gestaltung ein. Die erreichte Durchhörbarkeit des Werkes ist jedenfalls frappierend.

Ein paar Stationen der straussschen Tagesreise im Einzelnen: Die drei Violinsoli ab 4 T. vor Zi. 5 überraschen mit sehr viel Vibrato, als ob sie den Auftrag hätten das Tutti der vierfach geteilten 1. Violinen deutlich zu übertönen. Schöner klänge es jedoch mit etwas weniger Vibrato. Sicher schwebte Herr Stenz hier aber eine gewisse Kräuselung im alpinen Wettergeschehen vor, die wir als Flachländer noch nicht in dieser Form beobachten konnten. Der „Anstieg“ klingt sehr lebhaft und kraftvoll, erreicht aber nicht entfernt die berstende Energie, die zuvor Georg Solti hier investieren ließ. Die „Jagdhörner“ im Wald klingen weit im Hintergrund und nicht ganz perfekt im Zusammenspiel, außerdem auch nicht mit dem außerordentlich forschen Impetus, den Solti ihnen mit auf den Weg gab. Das wirkt aber nur im direkten Vergleich so, denn Solti überspitzt „Anstieg“ und Waldszene ganz erheblich. Die Basslinie wird besonders gefördert und klingt somit sehr deutlich. Das Orchester spielt enorm klangschön, nuancenreich und fein. Hinter jeder Ecke lauert ja auch eín neues Erlebnis oder sogar ein Abenteuer, was die jungen Musiker/innen besonders deutlich machen. Die Accelerandi klingen toll, der „Wasserfall“ glitzert prächtig, die „Erscheinung“ wurde kaum je so detailliert gehört. Das Alles geht leicht und spritzig „von der Hand“. Zudem noch erfüllt von großer freudiger Erregung („Auf blumiger Wiese“). Auch der introvertierten Betrachtung sind die jungen Musiker/innen fähig („Auf der Alm“), stets gepaart mit makelloser Präzision. „Auf dem Gipfel“ wird das Pathos mit zügigem Tempo wirkungsvoll unterlaufen, trotzdem strahlt diese Szenerie voller Glück, während die „Vision“ schon wieder den für die Einspielung typischen Zug nach vorne erhält. Die Steigerungen werden zwingend herausgearbeitet, Gewitter und Sturm bekommen hier endlich einmal die Unterstützung von der Orgel, die die Partitur auch suggeriert: Volles Werk und ff, da muss man sie schon deutlich hören, wenn es eine gut gebaute Orgel ist. In der Alten Oper ist das wohl der Fall. Aber auch die Gran Cassa klingt, geschlagen von kräftigen Händen hier überwältigend. Das gesamte Spiel wird bis zur Orkanstärke hoch gepeitscht. Die Urgewalt der Natur zeigt sich hier auf herausragende Weise. Das Orchester ist auch nach dieser Tortur noch makellos gestimmt und intonationssicher: Live und bei nur einem Konzert! Das Spiel beim „Sonnenuntergang“ ist extrem ausdrucksstark. Die Violinen beim „Ausklang“ spielen berückend schön, während sich Horn und Orgel zu Beginn von der Intonation her nicht mehr so gut vertragen. Diese Außenseitereinspielung  hatte wohl niemand auf dem Plan, dennoch begeistert sie vom ersten bis zum letzten Ton. Hier wird eine fast schon konkurrenzlose Verbindung von Feinschliff und Leichtigkeit und Intensität einerseits und jugendlich, frischer Eloquenz anderseits geboten.

Der Klang der Aufnahme hält das gebotene Niveau. Er lässt das Orchester tief gestaffelt hören, sehr sauber und luftig, sonor, weich und differenziert, fein abgerundet und gut vom Bass her aufgebaut. Das Panorama präsentiert sich breit und tief. Was für ein Unterschied zur zuvor gehörten Einspielung mit Horst Stein. Die Dynamik wirkt ungebremst, die Ortungsschärfe hervorragend. Einzig die Farbigkeit lässt ein wenig zu wünschen übrig. Es klingt zwar nicht nach modischem schwarz-weiß-grau, aber etwas dunkel und blass erscheinen die Farben schon, zumindest nicht gerade leuchtend.  Gerade wenn man die Sinopoli-Aufnahme noch gut im Ohr hat fällt es auf.

 

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5

Rudolf Kempe

Royal Philharmonic Orchestra London

RCA, nun Testament

1966

48:44

 

Es wird kolportiert, dies wäre die erste Stereo-Einspielung der Alpensinfonie gewesen. Das ist aber nur richtig, wenn man das Attribut westlich mit angibt. Die Leningrader Einspielung Mravinskys wurde (es kommt einem in der Tat überraschend vor) bereits 1962 stereophon eingespielt.

Vom ausgewiesenen Strauss-Experten Kempe existieren ebenfalls zwei Einspielungen, wovon die Dresdner Produktion von 1971 von vielen Musikfreunden bevorzugt wird. Es gibt zwar einige Kriterien, die dafür sprechen würden, insgesamt aber sprechen wir uns für die Londoner aus und zwar eindeutig.

Diese Auftragsarbeit, von RCA für den Readers Digest produziert, wurde wie so oft, wenn der Produktionsort London oder Paris hieß, von Decca ausgeführt. Man ließ sich nicht lumpen und schickte, wie so oft, den besten Mann, den legendären Kenneth E. Wilkinson, der auch eine ganze Generation Tontechniker für Decca ausgebildet hat. Steht sein Name auf der Plattenhülle kann man sicher sein, dass eine ausgezeichnete Aufnahme-Arbeit drin steckt. Und so ist es auch dieses Mal.

Der Klang hat die beste Decca-Qualität der 60er Jahre. Hautnahe Präsenz, sehr deutliches Herausarbeiten der Soli, bestechende Transparenz und vor allem klingt sie besonders lebendig und natürlich. Herauszuheben ist wieder die mitreißende, ansatzlose Dynamik und eine hervorragende Körperhaftigkeit. Die nächsten Decca-Einspielungen mit Mehta (1975) und Solti (1979) können da schon nicht mehr mithalten. Der Klang ist hier darüber hinaus gerade weich genug, räumlich weit genug und sehr farbstark um die Unmittelbarkeit noch zu verstärken. Der Hörer fühlt sich mitten drin, statt nur dabei. Das Orchester, hier nicht gerade auf seinem ureigensten Terrain unterwegs, leistet hervorragendes, vor allem wenn man bedenkt, dass die Aufnahme an nur einem Tag erfolgte.

Der Dresdner Aufnahme hat diese die bessere, brillantere Aufnahmequalität voraus, die das hoch motivierte, expressive Spiel des Orchesters in seltener Unmittelbarkeit einfängt. Dem entspricht aber auch ein gewisser, leicht nervös wirkender, fiebriger Ansatz des Dirigenten, der offensichtlich bereits einen besonderen Draht zu dem ihm bereits seit einiger Zeit (nach der Ära Beecham) anvertrauten Orchester entwickelt hat und einen missionarischen Eifer an den Tag legt. An diese anspringende Vitalität kommt die Dresdner Einspielung nicht mehr heran, sie wirkt dem gegenüber rationaler, wenn nicht sogar auch eine Winzigkeit schwerfälliger. Das RPO bietet aber auch ein Maß an überbordender Virtuosität an, das man von ihm später nicht mehr in dieser Form zu hören bekommt. Inbrünstig und liebevoll wirken da sehr viele Passagen, andere wiederum temperamentvoll und mitreißend. Auffallend sind die besonders klangschönen Holzbläser (!) und das unglaublich vitale, präsente Blech, das man so in zahlreichen Decca-Einspielungen aus dieser Zeit vor allem vom LSO hören kann (z.B. Dvorak mit Kertesz, Abbado mit Janaceks Sinfonietta u.v.m.).

Kempe, der selbst Oboist (im Gewandhausorchester) war, hat das Holz natürlich besonders im Blick. So wird das, was in dieser Zeit oft ein Problem der Londoner Orchester war, der dünne und harte Klang der Oboen, hier zu einem weiteren Aktivposten der Produktion. Man muss bedenken, der Klang einer Oboe wird maßgeblich von dem kleinen Doppelrohrblatt bestimmt, kleine Tipps beim Rohrbau könnten da schon  bei der Tonbildung extreme Unterschiede bewirken.

Nun noch ein paar Details zur musikalischen Realisierung: Die „Nacht“ zu Beginn ist etwas lauter als üblich ausgefallen, man wollte so dem Rauschen und Knistern der Schallplatte begegnen.  Da half damals nur ein hoher Aufsprechpegel. Das Orchester versteht sich aber auch bestens auf das subtile Abtönen, die Steigerungen gelingen anspringend, mitunter auch prächtig, je nach Anforderung.  Die „Jagdhörner“ werden lebensecht wiedergegeben, obwohl entfernt klingend, doch mit sehr hoher Präsenz. Man fragt sich, wie das überhaupt zusammenkommen kann? Mr. Wilkinson musste da wohl gezaubert haben. Die Verläufe werden ungeheuer spannend und mit großer Leitungsbereitschaft ausgeführt. Kempe schreckt „vielerorts“ auch vor drastischer Gestaltung nicht zurück. Viele Tempi wirken feurig angetrieben. Die Glocken der Kuhherde wirken dagegen nicht sehr überzeugend. Heute nutzt ja jedes Orchester, das was auf sich hält, echte Kuhglocken, wenn möglich aus dem Allgäu, wenn es an eine Aufführung der Alpensinfonie geht. Die großen Orchester besitzen wahrscheinlich mittlerweile welche in ihren Arsenalen. Damals war das noch nicht der Fall. Die Laute der Tiere auf „Wiese“ und „Alm“ wirken hingegen sehr präsent, liebevoll und plastisch gestaltet. Man braucht es in diesem Umfeld kaum noch zu erwähnen: Das Oboensolo auf dem Gipfel ist sehr schön gelungen. Die Gipfelgestaltung selbst wird vom Blech nicht ganz perfekt intoniert, da reichte die Aufnahmezeit offensichtlich nicht mehr zur Korrektur aus. An Vehemenz und sogar besonders musikalischer und gestenreicher Phrasierung mangelt es jedoch nicht. Nach dem überwältigenden aber strukturklaren Sturmgeschehen wirkt auch die Intonation des RPO ein wenig mitgenommen. Da hätte RCA oder der Readers Digest wahrscheinlich noch was drauflegen müssen, ein Tag reichte nicht zur Erholung der nach der Sturmmusik gestressten Ansätze der Bläser, der klingelnden Ohren und der verstimmten Saiten.

Ein großes Lob verdient auch das wunderbar gelungene Remastering von Testament. Auch deshalb wirkt die Dresdner Einspielung eine Spur härter und nüchterner. Wir wollen es nicht verhehlen, dass uns diese Einspielung besonders gut gefallen hat und es vielleicht diese wäre, die mit auf die sprichwörtliche einsame Insel mitgenommen werden müsste. Denn bei aller Klasse bringt sie auch noch eine gewisse menschliche Wärme mit. Dazu trägt vielleicht auch bei, dass sie gerade nicht in allen Punkten perfekt ist.

▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten folgt etwas weiter unten

 

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4-5

Andrés Orozco-Estrada

HR Sinfonieorchester (früher: Radiosinfonieorchester Frankfurt)

Pentatone

2016

55:44

 

High-Res Download Das Orchester aus Frankfurt spielt und klingt in dieser Produktion ebenfalls ganz ausgezeichnet und die Darstellung wirkt wie aus einem Guss, sodass man sich fragt, warum das gleiche Label das Werk fünf Jahre später erneut auf den Markt brachte (mit Vladimir Jurowski und dem RSB) wo zudem doch bereits die sehr gute Einspielung mit Marek Janowski aus Pittsburgh von 2008 im Katalog bereit stand. Aber aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei.

Hier wirkt die Nacht zwar dunkel, gleichzeitig aber auch sehr transparent. Das klappt übrigens nur in der Musik! Alle Stimmen wunderbar demokratisch im vorgeschrieben pp werden hier genau deshalb so gut hörbar. Ob das Strauss´Absicht war? Oder wäre ihm das diffuse eines Solti oder Karajan lieber gewesen, das ebenfalls keine Stimme bevorzugt? Das wirft aber bereits zu Beginn ein Schlaglicht auf die ausgezeichnete Aufnahmequalität, die wirklich jedes kleinste Detail hörbar macht. Die drei einzelnen Violinen klingen nun nicht mehr, wie bei Stenz, übrigens aus demselben Konzertsaal, mit starkem Vibrato hervor. So gefällt es uns besser. In den ersten Passagen halten sich die Violinen noch merklich mit ihrem blühenden Espressivo zurück, was sich im späteren Verlauf aber noch ändert. Die „Jagdhörner“ werden hier rücksichtslos hinter die Bühne verbannt, daher sind sie auch nicht mehr gänzlich durchhörbar. Ganz hervorragend gelingt die Stelle bei Zi. 38, in der diverse Instrumente hervorzutreten haben. Bei den allermeisten Einspielungen hört man davon nichts. Die Artikulation erscheint leicht und luftig, was eine expressive Gestaltung aber keineswegs gefährdet. Der Hörer erlebt in dieser Reise viele kleine Attraktionen, die besonders liebevoll gestaltet werden. Der Gefühlsgehalt, also das Erleben des Wanderers kommt in dieser Einspielung nicht zu kurz. Die „Blumigen Wiesen“ werden so mit einer leidenschaftlichen Freude begleitet. Als Herdengeläut dienen hier übrigens sehr viele kleinere Glöckchen, als ob hier die alten, großen Kühe fehlten und nur kleine Kälbchen den Weg säumen. Wir lassen das als authentisch durchgehen, zumal sie die Dynamik der Partitur sehr gut abbilden, was mit den großen schweren Glocken bisweilen weniger gut gelingt. Durchs Gestrüpp und auf Irrwegen geht es extrem transparent. Musiziert wird übrigens besonders sorgfältig und präzise. Die ganz hervorragenden Trompeten haben gegenüber den Hörnern klanglich oft ein leichtes Übergewicht, was Strauss ja mit der 8-fachen Besetzung ausgleichen wollte und was hier dann auch tatsächlich passiert, wenn sie zu acht am Spiel beteiligt sind.

Die 1. Trompete hätte übrigens in dieser Einspielung einen Orden verdient. Bei Zi. 75 allerdings sei ein kleiner Kritikpunkt angebracht, denn hier spielt sie einfach zu laut, Strauss hat nur ein pp vorgesehen. Aber das wiegt nichts gegenüber ihrer Gesamtdarbietung, die begeistert. Die Oboe auf dem Gipfel gehört auch zu den besten des Vergleichs, denn sie spielt ihr großes Solo flexibel, gesanglich und ausgesprochen klangschön. Den Violinen ist übrigens eine silbrige Klangfarbe eigen. Die Vision bekommt eine prima Schlusssteigerung (Zi. 96). Gewitter und Sturm kennen keine dynamischen Grenzen, gerade Orgel und Windmaschine. Auch die tiefe, knackige und klangmächtige Gran Cassa erreicht hier maximale Dynamik, begleitet von den Pauken, die kaum je so grollend und bebend eingefangen wurden. Wir hören hier mit den am besten gelungenen Sturm aller Einspielungen. Ein kleines Problem stellt das Tempo dar, denn wir haben hier die langsamste Einspielung überhaupt vor uns. Bei einigen wenigen Passagen fällt das auch auf, z.B. beim „Ausklang“, der schon etwas gedehnt erscheint und so teilweise ein wenig zu wehleidig wirkt oder doch trotz des schönen Orchesterspiels ein wenig zu weihevoll. Hier geht doch etwas vom einkomponierten Optimismus verloren. Aber das wird jeder ein wenig anders empfinden.

Die Aufnahmetechnik verdient höchstes Lob. Sehr plastisch und sehr offen klingt das Orchester hier, sehr brillant und sehr transparent, wovon auch das Holz sehr profitiert. Auffallend ist jedoch, dass die ziemlich schlank geführten Violinen weit weniger im Fokus stehen wie üblich. Trotzdem ist die Aufnahme ein audiophiles Highlight, der Gesamtklang wirkt so klar wie frisches Quellwasser.

 

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4-5

Andris Nelsons

City of Birmingham Symphony Orchestra

Orfeo

2010, Live

51:24

 

Bei Nelsons fällt zu Beginn das recht laute und vordergründige Fagottsolo auf, obwohl es wie alle anderen nur pp zu spielen hätte Die drei Soloviolinen fallen hier (wie bereits bei Markus Stenz) erneut mit sehr viel Vibrato auf. Und um den dritten Makel auch noch gleich anzusprechen, die durchaus von ferne zu hörenden Jagdhörner klingen ziemlich verschwommen, das mag ja für die Akustik in den Alpen zutreffen, aber deutlich und präzise gehen die Signale einfach durch Mark und Bein (z.B. Blomstedt und Kempe (RPO)), was wir einmal als Gewinn verbuchen wollen, aber das kann ja jeder nehmen wie er möchte. Das waren dann aber auch schon die Vorbehalte. Das Orchester kann fast mit den allerbesten mithalten, nur ein kleines Bisschen fehlt noch zur Brillanz oder zum geschlossenen Streicherklang der Berliner, Wiener oder Amsterdamer. Was hier besonders gefällt ist das frische, lebhafte, pulsierende Musizieren, das besonders gut die erlebte Freude unsers Helden miterleben lässt, die er an der Wanderung und dem damit verbundenen Naturerlebnis hat. Nelsons folgt in der Reaktion stets den vorgeschriebenen Tempi, die Deutlichkeit ist ein großes Plus dieser Einspielung. Noch ein paar Details: Das Herdengeläut greift auf echte Kuhglocken zurück. Das Dickicht wirkt, allerdings nur weil Mravinsky zuvor da besonders anschaulich war, etwas etüdenhaft, die Oboe mit ihrem Gipfelgesang, sanft und kernig zugleich, überzeugt mit einnehmendem Vortrag, darf als eine der besten gelten. Die Leistung des Blechs nötigt Bewunderung ab (z.B. Zi. 85) auch in der zügig genommenen „Vision“ (lautstark ist hier auch Herr Nelsons selbst zu hören, der offensichtlich und mit Erfolg versucht den Rhythmus zu schärfen oder die sfz prägnanter zu machen). In der „Elegie“ vernimmt man ein schon fast magisch zu nennendes Zusammenspiel von Oboe und Orgel (6 T. nach Zi. 101), nach bereits 30 gehörten Aufnahmen spitzt man hier wieder einmal besonders die Ohren. Der Sturm wird mit einem draufgängerischen Tempo mitreißend und sehr dynamisch gestaltet. Nach dem Sturmgeschehen hat auch das CBSO etwas an sonorer Klangfülle eingebüßt. Hier haben die Einspielungen unter echten Studiobedingungen einfach Vorteile (allen voran die Karajan-Aufnahme, aber auch Blomstedt und Haitink (COA)).

Insgesamt ist dies jedoch eine konzise, kontrastreiche, spannende, teilweise fast wilde Bergwanderung, die sehr emotional wirkt und die Schärfe und wohlige Klangfülle gut zu verbinden weiß. Nicht zuletzt weil sie über einen kundigen Bergführer verfügt.

Der Klang wirkt weit, gut gestaffelt, räumlich und detailfreudig. Im ff wirkt der Gesamtklang nicht mehr so klar wie in leiseren Passagen. Sonst ist er transparent, mitunter sogar sehr („Wasserfall“), aber auch präsent genug. Die Dynamik ist sehr gut, aber nicht überragend.

 

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4-5

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DG

1980, Orgelsychronisation 1981

51:31

 

Noch vor der Produktion Soltis ist dies wohl die umstrittenste Version der Alpensinfonie unseres Vergleiches. Als LP war sie die erste der Digitalproduktionen der Alpensinfonie und auch eine der ersten Digitalproduktionen der DG. Man hatte das neue Verfahren also noch keineswegs hinreichend perfektioniert. Kritiker weigerten sich damals sogar, die musikalische Darbietung zu bewerten, weil die Aufnahme so schlecht wäre, dass nur teilweise einige Stimmen des Blechs und der Violinen aus dem Mulm herauszuhören seien. Wegen eines defekten Tonabnehmers konnten wir diese Einschätzung trotz vorhandener LP nicht neu überprüfen. Es stand uns zum Vergleich jedoch eine Jahre nach dem Tode Karajans neu remasterte CD der Karajan-Gold Reihe zur Verfügung und damit lassen sich die damals gemachten Vorwürfe zum Teil entkräften.

Zu Beginn bemerkt man schon eine auffallend homogene „Nacht“, will heißen, einzelne Instrumente sind viel schwieriger herauszuhören als üblich. Man soll sie, so die offensichtlich hier vertretene Ansicht, auch gar nicht heraushören. Der Einsatz der Tuba Zi. 4 ist einfach verschwunden, aber damit ist Karajan nicht allein. Andererseits erlebt man später den Sonnenaufgang als grandios mächtigen Aufschwung, strahlend in den kräftigsten Farben. Da kam später nur Sinopoli mit der Staatskapelle heran. Dabei klingen die Hörner überragend, das übrige Blech immer noch erhaben. Im weiteren Verlauf erleben wir zunächst eine Alpensinfonie wie für Anfänger. Das Stimmengeflecht wirkt vereinfacht und so sehr gut fassbar. Francois-Xavier Roth und Karajan wären hier das zu nennende Gegensatzpaar. Der eine durchleuchtet das Geflecht geradezu wie mit Röntgenstrahlen, der andere nutzt das Kleistertöpfchen. Bei Karajan hört man einige Stimmen, nicht nur die Tuba in der „Nacht“ überhaut nicht. Ein Verstoß gegen die Partitur ist es eigentlich auch den Hörnerchor der Jäger auf die Bühne zu holen, so jedenfalls hört es sich bei Karajan an. Nix von ferne. Zumindest zu Beginn seines Einsatzes ist die Präsenz der Hörner ultimativ. Im kurzen Verlauf dieses waidmännischen Intermezzos weicht er jedoch immer weiter zurück. Ein Kniff aus der Theaterkiste. Aber was soll man sagen, er wirkt und überwältigt alle Fans des Instrumentes Horn nachhaltig, zumal hier mit Sicherheit auch mindestens (!) alle 12 mitwirken. Und wer noch kein Fan des Hörnerklangs ist, der sollte eigentlich während der Alpensinfonie zu einem werden, wenn sein Herz nicht aus Stein ist. Diese Aufnahme wäre dazu, neben anderen, besonders gut geeignet. Das Orchester trumpft auch im weiteren Verlauf mit einem unglaublich satten Klang auf. Da steckt mit Sicherheit auch jede Menge Probenzeit mit drin. Karajan hatte davon fast nach Belieben, jedenfalls  mehr als alle anderen, zur Verfügung. Aber der getriebene Aufwand braucht uns nicht zu stören, was zählt ist das Resultat. Was aber bleibt, zumindest im Teil bis zum Erreichen des Gipfels ist ein Verlust an Stimmenvielfalt. Nebenstimmen werden oft von der Hauptstimme überdeckt. Nach dem Gipfel wird es jedoch viel besser, da ist aber auch die Partitur nicht mehr so anspruchsvoll und dicht. Karajan ist aber der Meister der Steigerungsverläufe, da brillieren er und das Orchester besonders. Natürlich klingen auch die Kantilenen verführerisch, manche sogar berückend schön. Der „Anstieg“  wirkt derart cantabel gespielt sogar witzig, wenn man sich diese Artikulation als menschliche Gangart vorstellt, passt es einfach nicht zusammen: So geschmeidig in perfekter Legato-Manier geht doch niemand einen Berg hoch! Aber das fällt doch wohl unter künstlerische Freiheit, oder nicht? Oder hat man sich so den Übermenschen vorzustellen? Mitunter ist die Herangehensweise auch ein wenig protzig zu nennen, aber da ist der Geschmack des Hörers/der Hörerin  entscheidend und die eigene Justage der Bewertungsskala. Es gibt aber auch sehr differenzierte Passagen, z.B. „Auf der Alm“, da ist auch das Herdengeläut super plastisch. Das Orchester hat sich offenkundig audiophile Kuhglocken zugelegt und die werden auch prominent präsentiert. Die Oboe auf dem Gipfel klingt sehr schön (schöner als der Kollege in der Mehta-Einspielung aus Berlin), aber ein wenig mehr Ruhe hätte dem Vortrag nicht geschadet. Vielleicht war unser Held hier auch noch ein wenig vom Aufstieg gefordert, oder Karajan dirigiert „sein Tempo“ durch. Danach gibt das Orchester ein Statement zur Monumentalität in der Musik ab. Mit erhabener Strahlkraft. Hier wird auch bestens differenziert Zi. 95 ff gegenüber Zi. 96 fff und dann auch mit wirklich grandioser Wucht. Und doch erweist sich dies als nur kleiner Vorgeschmack auf das, was im Gewitter und im Sturm passiert. Er beginnt schon mit einem toll herausgespielten Accelerando. Und dann werden echte Urgewalten frei gesetzt, ohne Rücksicht auf das eigene Gehör und das der Musiker werden die Elemente entfesselt. Insbesondere natürlich die Winde zur Orkanstärke getrieben. Auch die Orgel gefällt: Wacker steht sie mit ihrem vollen Werk gegen die tosenden Philharmoniker an, als ob sich der Nietzscheaner Strauss dann doch im Angesichts höchster Gefahr in die Hände des Glaubens (die Orgel als religiöses Instrument) übergeben möchte. Sie hat während des Sturmes jedoch letztlich keine Chance gegen die versammelte philharmonische Hundertschaft anzukommen. Später verzieht sich der Sturm jedoch, die Orgel aber bleibt! Doch zunächst erfolgt noch vom ff  bei Zi. 123 eine weitere furiose, fast aberwitzige Steigerung nach Zi. 124 fff, die man nicht mehr für möglich gehalten hätte. Sie kommt aber trotzdem. Die Intensität ist während dieser „Szene“ von berstender Spannung. Der Hörer hört dabei nicht nur mit den Ohren, sondern nimmt die Musik mit dem ganzen Körper wahr. Dies und der harte, schroffe Zugriff des Dirigenten und das überragende, fulminant entfesselte Spiel des Orchesters setzen diesen Sturm an die Spitze der in diesem Vergleich gehörten. Live wäre dieses vorbehaltlose exzessive Hineinwerfen in die Szenerie, wohl nicht möglich, birgt es doch ganz besonders auch die Gefahr des Scheiterns. Auf der CD aber gelingt es.

Im „Ausklang“ Zi. 135 glückt dem Holz das Zusammenspiel nicht ganz präzise, bei Zi. 135 klingt dann auch einmal das bewunderungswürdige Horn ein wenig wacklig. Auch dem Maestro entgeht einmal was. So wird die Sache dann doch wieder etwas menschlich, das Geschehen während des Sturmes ließ uns fast schon daran zweifeln. Höchste Expressivität dann noch einmal 1 T. vor Zi. 141: Mehr geben die Violinen und Bratschen einfach nicht mehr her. Das Heimkommen ist auch Karajan besonders wichtig, er ignoriert dafür das f der Partitur auch beim Wagner-Zitat und setzt ein ff hin. Das Wagner-Zitat (aus dem „Fliegenden Holländer“): „Ich bin daheim“ oder „Ich bin zuhaus“, würde als Text wunderbar dazu passen. Auch Barenboim betont diese Stelle, es wirkt aber bei ihm aufgesetzt. Bei Karajan nicht, weil es bei Karajan in einem ganz anderen, viel bewegteren Kontext, steht.

Karajans Einspielung ist einzigartig imposant, bewegt und sehr bewegend, zumindest wenn man den Gipfel erst einmal hinter sich hat. Eigentlich müsste sie (auch wegen der teilweise kaum glaublichen Orchesterleistung) ganz oben stehen, aber mitunter fehlt eben einfach was von der Komposition. Diese Lücken konnten wohl auch die Remastering-Ingenieure nicht mehr wieder herstellen und teilweise ist sie auch einfach ein wenig unpräzise. Dennoch bleibt sie ein Monolith in der Aufnahmegeschichte des Werkes.

Noch ein paar Worte zur Klangtechnik. Sie ist sehr dynamisch (die Bandbreite ist ganz enorm) und „im Prinzip“ transparent, es wechselt sich jedoch secco mit al fresco ab, die Staffelung geht mehr in die Breite als in die Tiefe, der Gesamtklang ist besonders brillant und strahlend. Letztlich geht aber Fülle und „großer Klang“ vor Transparenz. Teilweise mutet der Klang besonders schwelgerisch an (gemäß der Spielweise der Philharmoniker), Schattierungen werden entweder genüsslich ausgekostet oder aber weg gelassen, die Höhepunkte sind exzessiver kaum denkbar.

 

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4-5

Neeme Järvi

Scottish National Orchestra

Chandos

1986 oder/und 1987

49:18

 

Neeme Järvi mit seinem ihm damals auch für unzählige Aufnahmen anvertrauten Orchester begegnete uns schon oft in unseren Vergleichen, meist mit einem nicht gänzlich überzeugenden Vortrag. Dies ist der bis dato beste Beitrag. Das Orchester macht dieses Mal einen hellwachen und gekonnten Eindruck, wenngleich der Klang an die gerade darüber stehenden Berliner Philharmoniker nicht herankommt, Aber diese Einspielung wurde vor der Karajan-Einspielung gehört und konnte somit unvoreingenommener gehört werden. Sie lässt im Übrigen auch viel mehr von der Partitur hören und somit wäre sie ja eigentlich schon die Gewinnerin des direkten Vergleiches zwischen den beiden.

In der „Nacht“ dienen die Streicher mit ihrem Cluster vor allem dazu, das Fagott-Solo zu untermalen, was wohl nicht unbedingt im Sinne des Komponisten war. Den Chor der Hörner bei der vorbeihuschenden Jagd haben wir schon besser durchgezeichnet gehört.  Die Violinen, sonst ein kleiner Schwachpunkt des Orchesters, klingen dieses Mal voller und homogener, leicht, beweglich und präzise. Ein Hinweis darauf, dass diesmal ausgiebiger geprobt wurde.

Die „Wanderung am Bach“ zeigt eine schöne Fließbewegung, das „allmählich lebhafter“ wird auch sehr gut umgesetzt, der Wasserfall wirkt sehr transparent, auch die „Blumige Wiesen“ wurde mit dem lebhaften Spiel sehr gut getroffen. Bei Zi. 85 klingen die Streicher lauter als das Blech (beide Gruppen ff, die Hörner sind jedoch die Träger der Melodie, das sind wir hier also mit Recht anders gewöhnt). Das Gewitter und der Sturm füllen intensiv den ganzen häuslichen Klangraum aus, auch Orgel und Gran Cassa helfen nach Kräften sehr gut mit. Eine brillante Darstellung und bestens durchgezeichnet. Järvi erweist sich hier nicht als „Kostverächter“ und treibt seine Schotten zu Höchstleistungen an. Man wird den Verdacht nicht los, dass sie dieses Mal heimlich in den schottischen Highlands fürs Hochgebirge trainiert haben. Auch im Sonnenuntergang und im Ausklang bereichert die Orgel den Klang des Orchesters noch maßgeblich. Beide werden wunderbar gestaltet und gespielt. Überhaupt ist dies eine runde Sache in schlanker und geschmeidiger Tongebung.

Der Klang der Einspielung verzichtet dieses Mal weitgehend auf die leichte Halligkeit, die sonst ein Vademecum bei diesem Ensemble zu sein schien. Das Orchester wird vorbildlich in die Breite und vor allem auch in die Tiefe hinein gestaffelt. Der Raum vermittelt gut eine gewisse großzügige Weite, die aber nicht auf Präsenz verzichtet. Lediglich das Holz wirkt ein wenig benachteiligt. Transparenz, Offenheit und Brillanz sind gut.

 

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4-5

Mariss Jansons

Royal Concertgebouw Orkestra, Amsterdam

RCO

2007, Live

52:33

 

SACD Das Medium ist sozusagen Fluch und Segen zugleich, nicht nur in diesem Fall, sondern in allen Fällen, in denen in unserem Vergleich eine SACD vorlag. Hörer, die nur über einen CD-Player verfügen müssen mit einem Teil des Angebots vorlieb nehmen, der vermeintlich hinter dem Klang einer normalen CD-Einspielung zurückbleiben würde. Die Besitzer eines SACD-Players und dem entsprechenden Equipment kommen in den Genuss einer bisweilen sogar weit über den normalen CD-Klang hinausgehenden Klangentfaltung, der vor allem der Transparenz, der Dynamik, der Präsenz und Natürlichkeit zugute kommt. Kriterien die auf die musikalische Interpretation durchaus bisweilen auch deutlich Einfluss nehmen. Als SACD gewertet wäre dies also ein Fall für die Kategorie 5, als CD aber nicht.

Als CD gehört trägt sich folgendes zu: Der erste Einsatz während der Nacht von Posaunen und Tuba klingt etwas laut (pp), aber auch großartig sonor. Der Streicherchor wird sehr gut differenziert. Die Jagdhörner klingen von sehr weit weg und wie mit unnatürlichem Widerhall belegt, wenn dies eine Echowirkung hätte darstellen sollen, ist dieses Unterfangen missglückt. (Nebenbei: Als SACD wirkt diese Stelle supertransparent, bestens durchhörbar und dreidimensional aufgelöst.) Der Vortrag gelingt wie selbstverständlich, weich fließend, sanft und ohne Schroffheiten. Der Klang des Orchesters wirkt warm, sodass man den Eindruck hat, dass man sehr wohl der Topographie eines Gebirges folgt, dass dieses sich aber in warmer, mediterraner Region befindet, an einem wunderschönen, milden Frühlingstag. Das „Durch Dickicht und Gestrüpp, auf Irrwegen“ wirkt weich abgefedert, birgt keinerlei Verletzungsgefahr, was wohl nicht die ganze Wahrheit dieser Szene bedeutet. Das Orchester wirkt nie grell, wird nie zum Bombast aufgefordert, bleibt auch auf dem Gipfel rund und homogen. Hier ist kein Raum für Selbstdarstellung, die Instrumentationskunst nie nur Mittel zum Zweck. Trotz einer gewissen Sublimierung klingt es aber machtvoll und erhaben. Gewitter und Sturm  wirken auch als CD eruptiv und mächtig. Das Blech, immer goldfarben, nie gleißend, könnte aber viel präsenter sein (was es auf der SACD -Spur auch ist). So ist es nur einer der schönsten Stürme, aber nur ein Abglanz vom auf der SACD realisierten. Die Orgel hat hier nur eine untermalende, eher füllende Funktion. Liebevoll gestalteter Ausklang.

Dies ist eine souveräne, orchestral superbe Darstellung, mit einem Violinenklang zum schwärmen. Jansons in München, Blomstedt oder auch Thielemann und Haitink servieren die Feinheiten der Komposition aber viel präsenter, von Thielemann und Roth ganz zu schweigen. Um noch einmal darauf hinzuweisen: Als SACD gehört wird eine anderes Kapitel aufgeschlagen.

Zum Klang. Im Stereo-Modus gehört sind Holz und Blech zu weit entfernt, gerade auch gegenüber Haitink, der zur Aufnahme ebenfalls das Concertgebouw nutzt.  Die transparenten Streicher  klingen fantastisch homogen und frei und trotzdem voll. Der Gesamtklang wirkt auch gegenüber Haitink noch verfeinert, fast sublimiert. Eine schillernd verschwenderische Fülle des Wohllautes tut sich hier auf, nochmals  verschwenderischer als SACD abgespielt. Der Klang erscheint als CD etwas zu streicherdominiert. Der Schönheitspreis geht ob als CD oder SACD abgespielt in jedem Fall nach Amsterdam.

 

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4-5

Bernard Haitink

London Symphony Orchestra

LSO Live

2008. Live

50:20

 

SACD Das Londoner Spitzenorchester gibt sich keine Blöße, seine Darstellung ist enorm genau, den verschiedenen Tempi wird exakt gefolgt, die Phrasierung wirkt ausgesprochen nuanciert, das Spiel enorm souverän und gelassen. Es lässt sich durch nichts aus der Fassung bringen, was sicher auch auf den enorm erfahrenen Bernard Haitink zurückzuführen ist. Die Aufnahme hat nichts plakatives, auch hier treten der symphonische Zug und der weite Bogen vor den dennoch natürlich nicht ignorierten programmatischen Aspekt zurück. Und eher noch mehr als 1985 in Amsterdam tritt der Dirigent hinter das Werk zurück. Das wirkt ausgesprochen uneitel und symphatisch.

Lediglich beim Gewaltausbruch im Sturm geht die zerschmetternde Wucht noch über das in Amsterdam 1985 gebotene hinaus. Die Orgel ist enorm bassstark und die Gran Cassa bietet grenzwertige Dynamik. Der Ausklang wirkt wie aus vollem Herzen gesungen.

Wir wollen die Details nun nicht mehr wiederholen, als SACD abgehört hat der Hörer auch bei dieser Produktion einen eindeutigen Gewinn, gegenüber der Nutzung der CD-Spur. Die CD-Spur klingt nicht so präsent wie die Philips-Aufnahme Haitinks von 1985, die einzelnen Instrumente sind auch nicht so gut heraushörbar. Der Klang des LSO wirkt sehr weich gerundet, aber lange nicht so prall und dynamisch wie 1985 in den Niederlanden. Auch die Klangfarben wirken weniger verschwenderisch. Letzteres gilt übrigens auch im direkten Vergleich zu Jansons´ Amsterdamer Einspielung.

Teilweise mit prickelnder Spannung versehen wirkt diese Einspielung strategisch aufgebaut und stringent durchgezogen. Als SACD eine Klasse höher einzustufen.

 

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4-5

Georg Solti

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München

Decca

1979

44:02

 

Die zu Beginn noch verschwimmenden Konturen werden erst nach und nach greifbar. So mag Strauss selbst es sich vorgestellt haben. Die 3 Soloviolinen fallen auch hier wieder (nach Stenz und Nelsons) mit reichlich Vibrato auf. Der Sonnenaufgang beginnt mit soghaftem Accelerando. Der „Anstieg“ wird von Solti recht subjektiv gestaltet, denn mit einer ausgesprochen sportlich wirkenden Attitüde widmet er sich dieser Stelle.  Sie wirkt so enorm energiegeladen und von großer Vorfreude beseelt. Wie ein „Übermensch“ mit übermenschlicher Kraft ausgestattet oder doch zumindest wie ein olympischer Zehnkämpfer steigt er nun hoch, wahrscheinlich mit dem Ziel, unbedingt als erster auf den Gipfel anzukommen. Auch die „Jagdhörner“ bekommen eine Extraportion ungarisches Feuer mit auf ihren Weg. Oder hetzt man da dem Wild hinterher? Schneller und kraftvoller geht hier jedenfalls niemand voran. Das Spiel des SO des BR erscheint auffallend schlank und beweglich, wie man es von Kubelik damals nicht unbedingt gewöhnt war. Die Steigerungen wirken ungemein drängend und von jugendlicher Abenteuerlust getragen. Zelebriert oder auch nur beschaulich betrachtet wird bei Solti nichts. Nur „Auf der Alm“ nimmt sich auch Solti etwas Zeit zur versunkenen Betrachtung, zum Staunen.  Aber schon bald findet er zum jugendlichen Ungestüm zurück. Details werden viel plastischer hervorgeholt wie bei Gerard Schwarz, der ein ähnliches Tempo vorlegt, bei dem es aber einfach nur schnell wirkt. Unwiderstehlicher Impetus auch am Bach, „Durch Dickicht und Gestrüpp. Auf Irrwegen“ und auch „Auf dem Gletscher“ geht es immerhin noch äußerst lebhaft zu. Auf dem Gipfel überzeugt die Oboe nicht gänzlich. Sehr viel leiser als bei Sinopoli, zwar sehr bewegt, aber weniger selbstreflektierend, dazu fehlt ihr einfach die Ruhe. Vom Pathos beim  Gipfel-Maestoso hält Solti offenbar wenig, sein Erleben wirkt völlig unsentimental. Auch die „Elegie“, mit zügigem Grundtempo, entfaltet wenig Zauber, das haben andere schon überzeugender hinbekommen. Hier wirkt Solti etwas zu vordergründig. Im Sturm erfreuen wir uns an den auffallend starken Tenortuben, die hier einmal nicht gegenüber den Hörnern zurückfallen und die Solti besonders in den Fokus stellt. Bei der  Dynamik wird das damals technisch mögliche voll ausgereizt. Wir fragten uns allerdings, ob er mit seinen damals auf ihn eingeschworenen Chicagoern nicht noch ein paar Windstärken mehr  hätte herausholen können. Beim „Ausklang“ beherzigt Solti das „Etwas“ bei „Etwas breit“ deutlich mehr als das „Breit“ und hält den Epilog so viel mehr im Fluss als die meisten neueren Aufnahmen der letzten Zeit.

Dies ist ein eigenständiger Beitrag zur Diskographie des Werkes vom ungarischen Temperamentsmusiker, der hier dirigiert, als wäre er selbst noch 20 Jahre jünger. In der gebotenen schnörkellosen, völlig unsentimentalen und mitunter auch augenzwinkernden Art weicht sie vom Mainstream deutlich ab und wird sicher nicht unumstritten sein.

Der Klang der Aufnahme erscheint recht weich, voll und rund. Die lebendig-prickelnde Spontaneität der besten Deccas der 60er Jahre erreicht sie nicht mehr. Transparent und offen klingt es aber dennoch, auch die Staffelung ist in Ordnung, Der Klangraum ist jedoch lange nicht so großzügig bemessen wie bei Roth oder Orozco-Estrada. Die Klangfarben leuchten auch nicht so intensiv wie bei Kempe (RPO), Sinopoli oder Jansons (BR oder COA). Dynamisch bietet sie auch nicht die enorme Spannbreite eines Karajan, Thielemann, Roth oder Blomstedt.

 

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4-5

Zubin Mehta

Los Angeles Phiharmonic Orchestra

Decca

1975

48:09

 

Der Einspielung Soltis in einigen Aspekten gar nicht einmal so unähnlich präsentiert sich auch Zubin Mehtas erste Einspielung in einem recht jugendlich angetriebenen Gestus. Dieses Flair ist in seiner zweiten Einspielung mit den Berliner Philharmonikern leider weitgehend verloren gegangen.

Erstmals hört man in der „Nacht“ die beiden Hörner mit ihren langen Liegetönen leise heraus, das schafft einen Raum für die Nacht, sodass sie nicht quasi eins wird mit dem Weltall, was einige Aufnahmen suggerieren wollen, wenn das Fagott gleichzeitig fast unhörbar bleibt (z.B. bei Solti, Karajan). Das Fagott bleibt auch hier schön leise, hört man es heraus wird die moderne Klangstruktur nämlich schon beinahe zerstört, weil es die Aufmerksamkeit vom b-Moll Cluster abzieht. Das wirkt dann gleich viel profaner und zieht den Hörer einfach nur mit hinab.

Der „Anstieg“ gelingt fast so kraftvoll, energisch und lebhaft wie bei Solti, an einen olympischen Sportler oder „Übermenschen“ denkt man jedoch nicht. Das Orchesterspiel ist lustvoll und sinnlich. Der Eintritt in den Wald gelingt effektvoll. Die Transparenz der Streicher könnte jedoch im ersten Abschnitt etwas deutlicher ausfallen, denn die Binnenstimmen (Bratschen und Celli) gehen bisweilen unter. Auch die Holzbläser haben hier einen schweren Stand, ähnlich, aber nicht gar so ausgeprägt wie bei Karajan. Die Jagdhörner im Wald sind ziemlich präsent, so weit entfernt sind sie in LA gar nicht vom Orchester auf der Bühne entfernt. Das Bemühen um Auflichtung ist aber spürbar, aber es wird auch ein sehr warmes Timbre und ein sehr hohes Maß an Geschmeidigkeit erreicht. Die ersten Stationen des Tagesausfluges  wirken lange nicht so vordergründig wie bei Barenboim oder Ashkenazy (Cleveland).

Auf dem Gipfel ist die Oboe dann plötzlich groß und deutlich abgebildet, da muss jemand an den Reglern nachgeholfen haben. Sie könnte bei ihrem Vortrag etwas mehr Ruhe ausstrahlen, geht es doch um das Zusichkommen  nach dem Erklettern des Gipfels und vor dem Erfassen der majestätischen Natur, die dem Anhänger Nietzsches so viel bedeutet. Mehta gibt der Szene das ihr angemessene Pathos.

Während der „Vision“ klingt die Orgel sehr bassstark, während andererseits die Gran Cassa bei Zi. 95 und vor allem Zi. 96 viel zu schwach bleibt. Im vorangetriebenen Gewitter und Sturm ist dann aber auch die Gran Cassa endlich wach geworden.  Die Orgel klingt auch hier wieder profund und wirkt bedrohlich.

Das Holländer-Zitat wird bei Mehta nicht extra herausgestellt, abschließend hören wir ein schön deutliches Glissando, das viele eher schamhaft verstecken. Insgesamt bietet Mehta eine lebhafte und lebendige Interpretation, die die Lust am Wandern und am Naturerlebnis dominieren lässt. Ein richtig abenteuerlicher Tag.

Beim Klang überwiegt die farbenreiche, eher dunkel schimmernde Opulenz. Die erreichte Transparenz ist jedoch ebenfalls durchaus zu begrüßen, die Präsenz ebenfalls deutlich ausgeprägt. Vor allem die Bässe werden nicht aus dem Blick verloren. Die seidig klingenden Violinen klingen teilweise sogar berückend. Der Gesamtklang wirkt brillant, aber nie veräußerlicht.

▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten folgt etwas weiter unten

 

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4-5

Rudolf Kempe

Staatskapelle Dresden

EMI, Eterna

1971

49:20

 

Diese Produktion der Alpensinfonie entstand innerhalb der Einspielung aller sinfonischen Dichtungen und Instrumentalkonzerte, die von 1970 bis 1976 in Dresden stattfand. Kempe, selbst ein gebürtiger Dresdner, war bereits von 1950 bis 1953 Chef des Orchesters gewesen und immer ein guter und beliebter Freund des Orchesters geblieben. Die Aufnahme lag sowohl als Ausgabe von EMI als auch in einer Box von Brilliant vor. Die EMI-Ausgabe wäre aus klanglichen Gründen zu bevorzugen, denn sie klingt voller, brillanter und transparenter.

Gegenüber der erst fünf Jahre zuvor entstanden Londoner Einspielung wirkt die Dresdner etwas gesetzter, gediegener aber auch eine Spur genauer. Die etwas von nervöser Leidenschaft geprägte temperamentvolle Abenteuerlust von 1966 wird lange nicht mehr im gleichen Maß spürbar. Im Gegenzug scheint Kempe etwas mehr auf die große Form bedacht gewesen zu sein. Von der präsenten Detailfixierung ist er auch etwas abgerückt. Vielleicht ist dieser Effekt aber auch in erster Linie der Aufnahmequalität geschuldet.

Gegenüber der Londoner Einspielung wirkt der Klang etwas gedeckter, nicht mehr so lebendig und brillant. Farbig und plastisch ist er aber immer noch, nur eine Spur härter und nüchterner, was sich genauso zusammenfassend auch von der Interpretation sagen lässt. Ebenso gelingt sie im besten Sinne werktreu und uneitel.

 

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4-5

Fabio Luisi

Staatskapelle Dresden

Sony

2007

52:13

 

SACD  In dieser vierten und bisher letzten Produktion der Staatskapelle, sieht man einmal von einer Video-Produktion mit Christian Thielemann ab, spürt man erneut das Streben, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen und erneut dem Ruf das Strauss-Orchester zu sein, das die Kapelle seit der Uraufführung der Alpensinfonie (und vieler anderer Uraufführungen von Werken Richard Strauss´) hat, gerecht zu werden. Luisi selbst lässt sich gefühlt viel Zeit für den Tagesablauf. Die Tempi wirken in sich stimmig und wirken zumeist fließend, eher ein wenig zum langsamen hin tendierend. Immer wieder lässt er die Kapelle mit ihrem gegenüber Sinopoli nochmals etwas gesteigerten üppigen Wohllaut schwelgen. Man gab sich die größte Mühe das Werk im besten Licht erstrahlen zu lassen. Insgesamt dringt Sinopoli aber spürbar tiefer in die Werkstruktur ein. Die großartige Differenzierung bringt es mit sich. Die Charakterzeichnung der einzelnen Stationen könnte bei Luisi jedoch zumeist etwas pointierter zusammenfasst werden. Dem Abschnitt „Durch Dickicht und Gestrüpp. Auf Irrwegen.“ fehlt es etwas an dem beschwerlichen Unterton und das Gefühl in die Irre zu gehen, mit der aufkommenden Angst vielleicht nicht mehr den Weg zurück zu finden, wirkt etwas verharmlost. Auch die „Gefahrvollen Augenblicke“ erscheinen eher wenig greifbar. Das weich geblasene Oboensolo auf dem Gipfel gefällt hingegen, da der Stimme genügend Zeit für eine freie Gestaltung gegeben wird, sehr gut. Insgesamt geht Luisi mit der Kapelle aber einen erfreulich geraden Weg durch das Werk, nicht unbedingt von jugendlicher Neugierde getrieben, aber kompetent und mit einem Konzept. Bei Zi. 80 auch durchaus einmal mit Pathos. Bei Zi. 95 und Zi. 96, wo man gut das ff und das fff unterscheiden könnte und man erkennen kann wie viel  Wert auf Genauigkeit und dramatische Wirkung gelegt wird, bleibt die Gran Cassa, die oft den entscheidenden Unterschied ausmacht, hinter den Erwartungen zurück. Der Unterschied könnte deutlicher wirken. Beim Gewitter und beim Sturm hingegen grollt sie gewaltig. Luisi bewahrt eine bewunderungswürdige Übersicht, dirigiert das entfesselte Chaos mit größter Perfektion und hilft dem Orchester dabei sein bestes zu geben. An das unmittelbar den Hörer involvierende Geschehen bei Karajan, unserer Sturm-Referenz, kommt er aber nicht heran. Bei aller exaltierten Steigerung bleibt es aber sehr klangschön. Karajan gegenüber bleibt es aber etwas zu distanziert, zu wenig unmittelbar. Der „Ausklang“ wirkt ein wenig gedehnt, aber besonders klangschön.

Die Aufnahme klingt der Jansons-Einspielung aus Amsterdam recht ähnlich im CD- als auch im SACD-Modus. Als CD klingt es ebenfalls etwas entfernt und lange nicht so differenziert und plastisch wie als SACD. Man erhält aber einen sehr guten Überblich über die gülden klingende Orchesterlandschaft. Die Tiefenstaffelung ist gut, als SACD überragend. Wie im Concertgebouw überwiegt jedoch der weiche Mischklang. Hier vielleicht eine Spur zu wohlig. Das Orchester  macht seinem Ruf erneut alle Ehre, spielt absolut souverän und perfekt ausgewogen, immer wieder glänzend, aber nie auch nur ansatzweise kantig oder einmal schroff. Die suggerierte Sitzposition des Zuhörers ist in diesem Modus nicht unbedingt eine Erlebnisposition. Auch hier bringt der SACD-Modus das Werk in jeder Hinsicht näher.

 

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4-5

David Zinman

Tonhalle Orchester Zürich

Arte Nova

2002

52:25

 

Wie Kempe in Dresden und Roth entstand auch David Zinmans Einspielung der Alpensinfonie als Teil einer Gesamtaufnahme aller sinfonischen Dichtungen aus der Feder von Richard Strauss. Um das Ergebnis unserer Erkundung hier einmal gleich vorwegzunehmen: Hier handelt es sich um ein Juwel im Billigsektor. Es fällt nichts aus dem Rahmen, es misslingt nichts. Die gute Intonation ist auch durchgängig gewährleistet. Kaum etwas bietet sich als nennenswerter Kritikpunkt an.

Hier noch ein paar Notizen: Der „Anstieg“ wirkt entschlossener als beim gerade zuvor gehörten Antoni Wit. Die Hörner der Jagd sind sehr weit weg, vielleicht hat man sich deshalb entschlossen, dass in diesem Fall auch sechs Hörner ausreichen. (Wirklich das Einzige, was auf eine preisgünstige Produktion schließen lassen würde.) Auf die Entfernung bemerkt man auch fast keinen Unterschied. Ansonsten wird hier aber nicht geschummelt. Der „Wasserfall“, mit überzeugender Geschmeidigkeit hingelegt, wirkt wie ein strahlendes glitzerndes Wasserspiel im Gegenlicht. Die „blumige Wiese“ wirkt als scherzohaftes, lebhaftes Spiel. „Auf der Alm“ präsentiert natürlich echte Kuhglocken, ob sie aus dem Allgäu kommen oder aus der Schweiz soll uns nun einmal nicht weiter interessieren. „Durch Dickicht und Gestrüpp. Auf Irrwegen.“ Haben wir schön stürmischer oder auch panischer gehört, hier beschreitet man einen guten mittleren Weg. Auf dem Gipfel hat die Oboe genug Freiraum (bzw. Zeit) zur Entfaltung, den sie auch vortrefflich für ihr nachdenkliches und selbstreflektierendes Spiel nutzt. Überhaupt wählt Zinman gute Tempi, die sowohl Beschaulichkeit und Nuancenreichtum zulassen als auch dem Drang nach vorne noch genug Rechnung tragen. Auch auf dem Gipfel gefällt das leichte Understatement, der zurückgenommene Gestus sehr gut. Monumentalität und Pathos wird so weitgehend vermieden, was in den meisten neueren Aufnahmen, den Dirigenten ein wichtiges Anliegen zu sein scheint. Es wirkt aber auch keineswegs beiläufig. Die Vision lässt sich andererseits wieder viel Zeit, die Orgel in der Tonhalle klingt prachtvoll. Gewitter und Sturm gefällt mit machtvoller Geste, klingt präzise und plastisch und mit hohen Orkanstärken, der Ausklang zieht sich dann, auch das ist ein Kennzeichen vieler neuerer Einspielungen, etwas dahin.

Der Klang ist fein gezeichnet, offen und transparent, sowohl räumlich als auch noch präsent genug. Die Klangfarben leuchten hingegen nicht sonderlich üppig. Der Gesamtklang könnte noch etwas mehr Glanz oder Brillanz vertragen. Die hier besonders kräftig intonierte Orgel steht offenbar besonders im Fokus. Das Orchester überzeugt mit einer durchgehend sehr guten Leistung.

 

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4-5

Dmitri Mitropoulos

Wiener Philharmoniker

Orfeo

1956, Live

44:20

 

MONO  Mitropoulos, wie Strauss selbst Anhänger Nietzsches und bekennender Alpinist bringt schon allein menschlich die besten Vorraussetzungen als Interpret der Alpensinfonie mit. Leider bringt die Live-Aufnahme des österreichischen Rundfunks aus dem Salzburger Festspielhaus nur schlechte Voraussetzungen mit, dies auch möglichst ungeschmälert bis zu  den Ohren der Zuhörerschaft zu bringen. Wie gerne wäre man damals im Festspielhaus live dabei gewesen.

Gegensätzlich zur Aufnahme Karl Böhms beim RIAS wählt Mitropoulos die Tempi der „Nacht“ und des „Sonnenaufgangs“. Hier geht die Nacht zügig vorbei, der Sonnenaufgang wird genüsslich zelebriert. Ähnlich wie die überragende Solotrompete bei Böhm (RIAS)  geht auch der Wiener Kollege bei Mitropoulos an die Grenze des menschenmöglichen.  Der „Anstieg“ gelingt dem Griechen sehr lebhaft, prägnant und besonders rhythmisch und präzise. Die Farbenvielfalt, die er dem Orchester entlockt, lässt sich immerhin auch durch die dürftige Klangqualität noch erahnen. Obwohl hörbar hinter der Bühne sind die „Jagdhörner“ sehr gut hörbar, sie schmettern sogar besonders schön. Mitropoulos setzt die Musik gut unter Spannung und hält sie in Fluss. Die Transparenz hingegen kann nicht zufrieden stellen. Die belebenden Farbtupfer auf der „blumigen Wiese“, für die die Holbläser verantwortlich sind, fallen hier fast zur Gänze unter den akustischen Tisch. Nur wenn die Streicher schweigen haben sie die Möglichkeit durchzukommen. Echte Kuhglocken haben die Wiener auch schon 1956 in Salzburg auf die Bühne gebracht, sie scheppern jedoch ziemlich plump vor sich hin. Es scheinen wirklich besonders große, schwere Exemplare gewesen zu sein. Die verlangte recht differenzierte Dynamik fällt ihnen offenkundig entsprechend ziemlich schwer. Dass der Wanderer in „Dickicht und Gestrüpp und auf den Irrwegen“ nur mit viel Kraftaufwand vorwärts kommt, macht Mitropoulos sehr gut deutlich und dass die Irrwege beängstigend wirken auch, was genauso auch für die „gefahrvollen Augenblicke“ gilt. Dass Mitropoulos ein erfahrener Bergsteiger war, erscheit so sogar hörbar. Die Trompeten, nicht immer so traumwandlerisch sicher wie die Zeitgenossen beim RIAS, sind übrigens das ganze Stück über enorm strahlkräftig unterwegs. Auch die Höhenluft kann sie nicht dabei einbremsen, die Puste geht nie aus. Die Oboe auf dem Gipfel macht eher einen eingeschüchterten Eindruck, als dass sie selbst reflektieren würde. Sie scheint einen alpinen Gipfel erstmalig bestiegen zu haben. Auf dem Gipfel können die Hörner das ff der Trompeten bei weitem nicht kontern. Dieses Mal sind die Trompeten (vor allem die erste und die dritte) die am meisten herausragende Instrumentengruppe.  Es gibt auch positive akustische Überraschungen: Die Harfe bei Zi. 70 hört man hier das erste Mal so gut.

Die prägnante, besonders packende und leidenschaftliche Darstellung wirkt nie statisch oder pathetisch. Stets bevorzugt Mitropoulos brennende Dramatik vor epischer Schilderung. Die wenigen Patzer (echtes Live ohne doppelten Boden!) kann man dem Orchester angesichts einer besonders expressiven und bewegenden Leistung mehr als nachsehen.

Der Klang ist etwas ausgewogener als in Böhms Einspielung beim RIAS, das Orchester wird angesichts der Bedingungen und des Alters der Einspielung recht klangschön eingefangen. Die Transparenz erstreckt sich nur auf die Hauptstimmen. Der Gesamtklang ist sehr präsent und sogar ziemlich offen. Die Dynamik wirkt größer als sie tatsächlich festgehalten wurde und gelingt so noch recht anspringend.

 

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4-5

Jewgeni Mravinsky

Leningrader Philharmoniker (heute: Sankt Petersburger Philharmoniker)

Melodija

1962, Live

53:03

 

Mravinskys Einspielung, überraschender Weise und gegen den Trend bei seinen Aufnahmen bis in die 70er hinein, sogar in Stereo aufgezeichnet, kann man als das genaue Gegenteil zur emotionalen und heißspornigen Einspielung Mitropoulos´ ansehen. Mitunter beginnt es den Hörer und die Hörerin auch im warmen Stübchen zu frösteln, wenn der Reiseleiter Mravinsky heißt.

Es beginnt schon mit einer extrem langsam genommenen „Nacht“, dunkel kalt und es gibt wohl keinen andere im Vergleich, die so unheimlich wirkt. Beim Sonnenaufgang hat man sogar das Gefühl, das Orchester wird mit Gewalt daran gehindert schneller zu spielen. Die Sonne geht trotzdem auf, aber ihr Licht ist ziemlich kalt. Der „Anstieg“ wirkt dann schon etwas lebhafter, der Energieaufwand hier wirkt jedoch immens. „Im Wald“ werden die Hörner sehr weit weg platziert, eigentlich richtig, aber der Hörer hat so nicht viel von dem getriebenen Aufwand. Wie gerne hätten wir die zwölf Leningrader Hörner auf der Bühne gehört... Es wäre aber wahrscheinlich auch gar kein Platz gewesen.

Der „Wasserfall“ wirkt wie eine Kalligraphie, plätschert klar vor sich hin, nahe der 0 Grad Grenze. Auf den Wiesen blühen Eisblumen.  Als „Herdengeläute“ hat man sich statt für Kuhglocken für viele kleine Glöckchen entschieden. Das hört sich dann viel eher nach einer St. Petersburger Schlittenfahrt aus dem Weihnachtsmärchen an. Man braucht sich nicht zu wundern, keiner der Musiker durfte ja verreisen oder das Hotel bei der Tournee verlassen. Wer sollte also eine Allgäuer Kuhglocke je kennengelernt haben? Bei den „Gefahrvollen Augenblicken“ wird eine berstende Intensität auch durch das eigentlich lahme und fast statisch wirkende Tempo hindurch trotzdem spürbar.

Auch der Leningrader Trompeter macht übrigens mächtigen Eindruck. Sein hohes e wird ihm wohl lauter und strahlender niemand nachblasen können (höchstens der Kollege vom RIAS, 2 T. nach Zi.70). Aber auch den Hörnern gebührt ehrfurchtsvolle Anerkennung. Was für ein Strahl bei Zi. 96 ff, auch die Violinen und Bratschen geben hier alles. In der „Elegie“ hören wir indes ein auffallend füllig und warm klingendes Englischhorn, das hätten wir schon gar nicht mehr zu erwarten gewagt, weil es das noch nie bei dem Orchester zu jener Zeit gab.

Die Windmaschine klingt  ziemlich synthetisch, sie dominiert die Sturmszenerie zum Teil etwas mehr als sie es sollte. Mravinsky hat hier spürbar alles unter eiserner Kontrolle. Die verblüffende Transparenz gibt seinem Zugriff recht. Dennoch wirkt dieser Abschnitt dynamisch allzu flach. Auch der beste Dirigent und das beste Orchester kommen gegen eine solch rückständige Technik nicht an. Auch die Orgel klingt völlig unterbelichtet.  Nur im „Ausklang“ kann man sie gut hören.

Übrigens: Auch die Leningrader leiden in ihrer gewohnten Perfektion nach den dynamischen Exzessen im Sturm, liegt hier doch ein ungeschnittener Konzertmitschnitt vor. Hier wurde nichts aus verschiedenen Aufführungen zusammengeschnitten. Besonders in Relation zur Orgel stimmt auch hier die Intonation nicht mehr überein. Dem Holländer-Zitat gibt Mravinsky noch eine extra Portion Trompete dazu. Sie spielen hier mindestens f statt des geforderten mf.

Die Aufführung wirkt einerseits geradlinig, konsequent und schlüssig, andererseits aber wie ein Beitrag aus einer anderen Welt. Sehr überraschend, insgesamt aber überzeugend.

Der Klang macht einen wenig fülligen, eher flachen Eindruck. Es ist zwar tatsächlich Stereo, wirkt aber nicht besonders gut aufgefächert und gestaffelt. Die Klangfarben wirken eher fahl, die winterliche Kühle dominiert diesen Ausflug. Die Ortbarkeit gelingt nur mäßig. Der Klang der Instrumente wirkt wenig körperhaft. Die Dynamik gelingt wenig ausladend, jedoch recht wuchtig. Die Violinen hat man schon härter aus Leningrad gehört, hier klingen sie zwar silbrig, aber doch noch mit etwas mehr Fülle und Schmelz als sonst bei ihnen in jener Zeit üblich.

 

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4-5

Karl Böhm

RIAS Sinfonieorchester Berlin (zwischenzeitlich: Radiosinfonieorchester Berlin, heute: Deutsches Sinfonieorchester Berlin)

Audite

1952

54:24

 

MONO  Auch von Karl Böhm, der dem Komponisten über viele Jahre bis zum Tode Richard Strauss´ eng künstlerisch und freundschaftlich verbunden war, existieren zwei Aufnahmen. Da er gemeinsam mit dem Komponisten etliche Werke gemeinsam erarbeitet hat, beanspruchen seine Einspielungen eine gewisse Authentizität. Beide betrachteten sich als Wahlverwandte. Die hier vorliegende gefiel uns etwas besser, denn sie wirkt anspringender und vitaler, obwohl sie vom Tempo her etwas langsamer ist als die spätere aus Dresden. Es wurde an ihr aber nicht so viel rumgetüftelt wie an der Dresdner Einspielung von 1957, sodass sie insgesamt auch etwas stringenter wirkt. Die Berliner Einspielung erhält auch eine besondere Note durch eine der weltweit besten Blechbläsergruppen überhaupt, der des RIAS Sinfonieorchesters, die hier durch eine ganz besonders, wie sagt man heute, „abgefahrene“ Diktion begeistert.  Besonders die Trompeten, und davon nochmals hervorhebenswert, der 1. Trompeter, aber auch die Posaunen spielen ihre Passagen mit einer ganz bemerkenswerten Strahlkraft, immer wieder ist es ein ganz besonderer Genuss ihnen beim spielen zuzuhören. Beim Hören ertappt man sich dabei, wie man immer wieder auf den nächsten Einsatz von ihnen wartet, manchmal klingt es derb, manchmal herzhaft, dann wieder mit einem jubelnden Strahl (z.B. auf dem Gipfel bei Zi. 80). Bei Zi. 83 bleiben die Trompeten (f) wunderbar unter den Hörnern (ff), dann spielt die Solotrompete wieder zum Niederknien. Später dann auch bei Zi. 93. Bekanntermaßen war Ferenc Fricsay besonders stolz auf „sein“ Blech, gesagt hat es  einmal bei einer aufgezeichneten Probe, wahrscheinlich bei der „Hary-Janos-Suite“ oder war es beim „Zauberlehrling“? Man kann dem jedenfalls nur zustimmen, wenn man die Alpensinfonie hört. Nicht alle Orchestergruppen hatten jedoch damals bereits das Niveau des Blechs erreicht. Auf blumiger Wiese könnte das Holz viel besser differenzieren und klingt auch noch ziemlich spröde, bei Zi. 95 sind z.B. Becken und Gran Cassa viel zu schwach, bei der Elegie die Orgel viel zu grau. Die Tenortuben bauen im Sturm stark ab, auch den Hörnern fehlt im Sturm das rechte Durchsetzungsvermögen, was aber auch an den Tücken des damaligen Aufnahmeequipments gelegen haben könnte. Die Trompeten sind hingegen auch im Sturm einfach nur famos. Ohne jede Ermüdungserscheinung.

Böhm bietet einen unsentimentalen, schnörkellosen Zugriff, teils agil, teils auch einmal heftig zupackend. Er legt großen Wert auf einen lichten, transparenten Orchestersatz, was man auch der Dresdner Einspielung anhört.

Nebenstimmen haben es im Mono-Klang ziemlich schwer durchzukommen, das gelingt dann fünf Jahre später in Dresden schon merklich besser. Nicht unbedingt typisch für den damaligen Rundfunkklang ist die beachtliche Transparenz und die gefühlt hohe Dynamik. Da scheint das gute Remastering zu erfreulichen Ergebnissen geführt zu haben.

▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten folgt etwas weiter unten

 

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4-5

Marek Janowski

Pittsburgh Symphony Orchestra

Pentatone

2008

49:56

 

SACD  Janowski ist in seiner in jeder Hinsicht geglückten Einspielung meist auf flüssige Tempi und straffes Vorankommen bedacht, dabei ist er deutlich weniger differenzierend unterwegs und lässt auch etwas weniger sprechend artikulieren als etwas Jansons, Haitink oder Blomstedt. Farbig und dynamisch ist sein Fortschreiten aber jederzeit. Das amerikanische Orchester zieht prächtig mit. Mache Passagen wirken ein wenig glatt, es wird mehr Wert auf Stringenz als auf versunkene Betrachtung gelegt.

Bei der klanglichen Realisierung fällt im CD-Stereo-Modus ein leichter Hall auf, der bei SACD-Wiedergabe komplett verschwindet und einer enorm plastischen und transparenten, vollen und farbigen Klanglandschaft Platz macht. Der „Sound“ wirkt nun sogar etwas weicher und fülliger als beim LSO mit Haitink. Das Orchester spielt enorm klangschön und weiß mit hoher Perfektion und sehr gutem Engagement zur Gänze zu überzeugen.

 

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4-5

Seiji Ozawa

Wiener Philharmoniker

Philips, Newton

1996

50:02

 

Auch Ozawa hält die Musik gut im Fluß. Stimmig und eloquent bringt er die Besonderheiten der Instrumentation sehr gut heraus. Ozawa als Interpret stellt sich in den Dienst des Werkes, ohne unauffällig zu werden. Er scheint aber auch nicht unbedingt eine eigengeprägte Darstellung zu beabsichtigen. Das Werk mit all seinen Qualitäten kommt dabei sehr gut zur Geltung.

Das Orchester begeistert mit hoher Disziplin und Tonschönheit.

Die „Nacht“ klingt sehr diffus, die Bläser halten sich sehr gut zurück, damit die Streicher so länger die Oberhand haben und so nichts aus der homogenen, aber trotzdem vielgestaltigen Klanggestalt ausbricht. Aber auch an Temperament mangelt es dieser Einspielung nicht („Anstieg“). Die Violinen des Orchesters klingen erheblich fülliger und klangsatter als dies beim zuvor gehörten Orozco-Estrada und dem HR Sinfonieorchester der Fall war. Die Jagdhörner sind sehr deutlich, obwohl sie aus weiter Ferne klingen. Auf der Alm gibt es natürlich die originalen Kuhglocken, aber nicht mehr die schweren Teile aus der Mitropoulos-Aufnahme. Auf dem Gletscher  hören wir einen Trompeter der seinen Part so leicht und locker bewältigt, wie andere ihre Blockflöte. Auf dem Gipfel hören wir eine gute Oboe und strahlenden Trompetenglanz. Beim eindrucksvollen Sturm sind Ozawa und die Philharmoniker voll in ihrem Element. Nach dem Sturm gibt es keinerlei wacklige Einsätze oder Klangeinbußen. Die Violinen leuchten genau so wie zuvor. Der Ausklang wirkt sehr sinnlich und recht zügig. Er lässt die innigen, optimistischen Gefühle sehr gut zur Geltung kommen.

Der Klang ist weniger präsent und transparent als die klanglich ganz hervorragende Pentatone-Einspielung mit Orozco-Estrada. Diese ist aber auch 20 Jahre jünger und auch noch deutlich transparenter und körperhafter. Es wird dem gegenüber mehr ein opulenter Mischklang angeboten. Die Musiker erscheinen dazu enger zusammengerückt zu sein. Insgesamt muss man sich nach der Pentatone ein wenig einhören um die Qualitäten der Philips richtig einzuschätzen. Dann merkt man, dass sie doch ziemlich differenziert, gut gestaffelt und ganz besonders geschmeidig und klangschön ist.

 

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4-5

Semyon Bychkov

WDR Sinfonieorchester Köln

Hänssler

2007

47:57

 

SACD  Auch diese Einspielung gibt ihr bestes im SACD-Modus. Als CD abgespielt hat die Aufnahme nur eine durchschnittliche Dynamik und eine erheblich geringere Transparenz als die zuvor gehörte Einspielung Blomstedts. Sie wirkt ein wenig zu sehr abgerundet und sehr weich konturiert. Die Staffelung ist gut aber alles fließt ein wenig ineinander, bleibt etwas dicht zusammen. Als SACD klingt sie viel luftiger, farbiger, dynamischer. Das etwas diffus Wohlige weicht einer besser strukturierten, klareren Orchesterlandschaft mit üppigeren Klangfarben.

Das Spiel des hochkarätigen Orchesters ist nuancenreich, detailliert und sehr plastisch, an den entsprechenden Stellen auch drängend und kraftvoll. Die Oboe verfügt über den noch schöneren Ton als das Pendant aus San Francisco, phrasiert aber nicht ganz so sinnfällig. Der Gran Cassa könnte noch mehr Gehalt mitgegeben werden. Die Gipfelmusik klingt dynamisch, es fehlt ihr aber jeder Anflug von Entäußerung, was so viel bedeutet: Der Nietzsche-Anhänger bleibt in Köln mit beiden Beinen auf dem Boden und „flippt“ beim betrachten der kolossalen Natur nicht gleich aus. Am besten stellt dies übrigens Karajan dar. Ingesamt erscheint hier alles ein wenig weich gezeichnet. Die Stärke dieser Produktion ist nicht nur, dass sie erfreulich zügig und trotzdem detailreich ist, sondern dass die leisen und sanfteren Partien mit einem warmen, milden aber trotzdem verbindlichen Grundcharakter durchzogen werden. Dies lässt die Einspielung zu etwas besonderem werden. Bei Gewitter und Sturm taut das WDR SO aber erst so richtig auf, wirkt aber wegen der nachbarschaftsfreundlichen Dynamik etwas zu domestiziert.  Jedem, dem es möglich ist, diese Disc als SACD zu hören, sei dies nachdrücklich ans Herz gelegt.

 

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4-5

Daniel Harding

Saito Kinen Orchestra

Decca

2021, Live

51:59

 

Diese Einspielung wurde aus zwei Konzerten zusammengesetzt, zu denen sich das Projektorchester, oft mit anschließender Tournee, trifft. Sein größter Anteil besteht aus japanischen Musikern, einige Pulte werden aber auch mit Musikern aus Europa besetzt, zumal, wenn sie während des Projektes auch noch als Lehrer gewirkt haben. Diesmal mit dabei sind Philippe Tondre, Radek Baborak und Gabor Tarkövi, zumindest sind das die namentlich Erwähnten. Das Orchester erlangt klanglich erste Güte, wirkt aber in den stilleren Passagen etwas weniger nuancenreich als die besten. Das mag auch daran liegen, dass Harding jedweden Anflug von Sentimentalität vermeidet. Aber auch fest fixierte Komponistenwünsche werden mitunter übergangen, wie z.B. das Hervortreten von Fagott und Bassklarinette bei Zi. 38, das gelingt nicht so recht, auch die unisono geführten Celli und Bässe bleiben zu hintergründig und treten eben nicht hervor. An solchen Kleinigkeiten merkt man eben, dass das Stück auch für Orchester der ersten Garde schwierig vollständig, d.h. in allen Schattierungen, darzustellen ist. Mitunter wirkt der Aufstieg zum Gipfel auch wie ein Schnelldurchlauf (über die Alpen, mit dem ICE), nicht einmal, weil es besonders schnell ginge, nein, die Tempi bleiben moderat, sondern weil es flüchtig wirkt. Bei Blomstedt und Haitink konnte man einfach mehr „mitnehmen“ an Eindrücken, ihre Tour wirkte intensiver. Aber das ist jammern auf höchstem Niveau. Dem Orchester mangelt es nämlich keinesfalls  an Klangkultur und Glanz. Im „Dickicht und Gestrüpp“ bemerkt man keinen Widerstand, den es zu überwinden gilt, hier hört es sich mehr nach einem virtuosen Orchesterkonzert an. Es gibt aber auch spannende Momente und wie bereits bei Ashkenazy klingt es auf dem Gipfel dann ausdrucksstärker und gefühlvoller. Die Oboe (Philippe Tondre, auch einmal beim RSO Stuttgart unter Norrington  und als Professor an der Musikhochschule Saar in Saarbrücken tätig, mittlerweile wohl in Philadelphia „gelandet“) bei ihrem Solo auf dem Gipfel klanglich voll und lebendig artikulierend, hätte sich noch ein wenig mehr Zeit für die Selbstreflektion vom Dirigenten erbitten können, denn wir hätten ihr noch gerne länger zugehört. Die Blechbläser vom  Berliner Philharmoniker Gabor Tarkövi, Trompete und dem Ex-Berliner-Philharmoniker Radek Baborak, Horn geführt sind hier eine Wucht und wissen vollauf zu begeistern. Auch später (Vision, Sturm) zeigt das Orchester seine nun mit äußerster Kraft mobilisierten immensen Reserven (monumentale Gran Cassa). Hier wirkt die Musik auch keineswegs mehr gefühlsreduziert, klingt nicht mehr nach Orchesterkonzert, sondern nach einem schrecklich brausenden Sturm. Nur die Orgel kommt da nicht mit. Das Orchester, vor allem auch die Violinen klingen danach immer noch sauber, mit viel Ausdruckskraft, Strahlkraft, Fülle und Schmelz. Zum Vergleich: das COA hatte unter Haitink (unter Studiobedingungen) noch etwas mehr davon zu bieten. Dennoch ein sehr ausdrucksvoller Ausklang.

Das Klangbild erscheint voll, straff, offen und recht voluminös. Transparenz ist in hohem Maß gewährleistet, die Staffelung überzeugt, ebenso wie die Dynamik. Luftig wirkt der Klang jedoch nicht. Vom sehr disziplinierten Publikum bekommen wir nichts mit.

 

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4-5

Vladimir Ashkenazy

a) Cleveland Orchestra

b) Tschechische Philharmonie, Prag

Decca

1989

50:16

 

Ondine

1999

49:09

 

Auch Vladimir Askenazy bestieg die Alpen zwei Mal. Im Abstand von 10 Jahren. Die Unterschiede im Einzelnen sind ziemlich deutlich, insgesamt halten beide jedoch ein in etwa gleiches, sehr hohes Niveau.

Man ist geneigt zu behaupten, dass die Eigenheiten der verschiedenen Orchester einen größeren Unterschied machen, als eine geänderte Sichtweise des Dirigenten. So klingt das Stück in Cleveland orchestral absolut sicher und klanglich fantastisch locker und aufgelichtet, mit einem unglaublich virtuosen Blech (strahlende Trompeten, herausragend homogene, absolut präzise Hörner, sonore Posaunen), flexiblem Holz und seidigen Streichern und nicht zuletzt starken Bässen. Der Extra Hörnerchor, der „Im Wald“ zur  Jagd aufspielt ist gut in die Ferne platziert worden, klingt aber wie bei Kempes Londoner Einspielung sehr deutlich und herrlich schmetternd. Das Dirigat wirkt übrigens über weite Strecken zügiger als in Prag, obwohl die Tschechische Philharmonie eine Minute schneller wieder vom Berg heimgekehrt ist. Ashkenazy legt in Cleveland zwar großen Wert auf eine detailreiche Gestaltung und die Technik macht dies auch sehr transparent hörbar, aber insgesamt wirkt der gesamte Anstieg bis zum Gipfel ein wenig flüchtig. Zentrifugale Kräfte scheinen den Hörer auch da mitzunehmen, wo er auch einmal gerne etwas länger verweilen würde. Das gelingt in Prag viel besser, obwohl oder gerade weil das Orchester, weniger leicht und virtuos über die Besonderheiten, auch die Widrigkeiten des Aufstiegs hinweggeht. Man spürt in Prag auch die Anstrengung, die hinter der Wanderung steckt. Eigentlich hat man das Gefühl, das Orchester könne mehr mit der Partitur anfangen und verstünde im Einzelnen auch etwas mehr davon, was Strauss zwischen den Zeilen erzählen möchte. Gegenüber den Cleveländern ist es aber weniger präzise und verfügt auch nicht über die blendende Virtuosität und Strahlkraft. Vieles wirkt schwerer, vor allem auch manch eine Artikulation oder Phrasierung. Nicht mehr so behänd hört sich eigentlich die ganze Exkursion an. Die Violinen spielen zwar homogen aber nicht so sonor und losgelöst wie die Kollegen in Amerika. Die Hörner spielen in Prag nun auch in einem gepflegten, gesetzten Legato zur Jagd auf. Auch die instrumentale Brillanz der Solisten ist in Cleveland auffälliger punktgenau, auch transparenter. Obwohl, wenn man die beiden nicht im direkten Vergleich gehört hätte, es den Pragern an nichts fehlen würde. Die Leichtigkeit, mit der die Cleveländer den Gletscher besteigen ist aber von verblüffender Virtuosität, an die die Prager nicht herankommen, aber vielleicht auch gar nicht herankommen sollen. Es ist ein ähnliches Verhältnis wie bei den beiden Einspielungen von Kempe, da war die zweite auch gediegener, etwas sorgfältiger als die erste, die wiederum spontaner, flinker und direkter wirkte. Die Steigerungsverläufe sind in beiden Einspielungen sehr gelungen.

Die Prager wirkt weniger plakativ (Gipfel, Sturm) wobei die besonderen Effektinstrumente  (Gran Cassa, Pauke, Blech) ziemlich ebenbürtig sind.

Ohne nun noch weiter auf Einzelheiten einzugehen, wirkt die Prager Produktion insgesamt etwas souveräner gestaltet und im Detail ein wenig ausdrucksvoller, während die Cleveländer insgesamt etwas jugendlicher, frischer und virtuoser wirkt, aber bisweilen etwas vordergründig erscheint und sich ein klein wenig zu einseitig auf die überragenden Qualitäten des Orchesters verlässt.

Klanglich sind beide Aufnahmen breitbandig und dynamisch. Etwas fülliger, gedeckter, erdiger und bronzefarbener wirkt die Prager, die Cleveländer dagegen etwas silbriger, heller strahlend und brillanter.

 

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4-5

André Previn

Wiener Philharmoniker

Telarc

1989

48:18

 

Auch von André Previn liegen zwei Einspielungen vor. Der Wiener von 1989 geht eine Einspielung aus Philadelphia von 1982 voraus. Die Unterschiede sind deutlich. Noch deutlicher als bei Kempe oder Ashkenazy schlägt hier die Qualität des Orchesters auf das Gesamtergebnis durch. Die Wiener können einfach besser mit der Musik umgehen, der Umgang wirkt wie selbstverständlich und man hat als Hörer das Gefühl, dass die Wiener genau wissen, was sie hinter der nächsten Kurve des Wanderwegs erwartet. Diesen Eindruck hat man beim Orchester aus Philadelphia nicht.  Unter anderem die Violinen drücken das in einem erheblich besseren Ausdrucksvermögen und einem erheblich sinnlicheren Klang aus. Previn, unterdessen ein Bergführer mit mehr Erfahrung, geht mit mehr Rubato auf die Eigenheiten der einzelnen Stationen ein. Das Orchester bringt das zudem auch mit mehr Herzblut zum Ausdruck. Dabei spielt es lange nicht so genau wie unter Thielemann oder auch Ozawa, aber intensiver und auch spannender als die Kollegen aus Philadelphia. „Auf blumiger Wiese“ wird nun, so farbig und belebt auch das Leben dort dargestellt wird, auch genüsslich ausgekostet. Auch Dickicht und Gestrüpp wirken spannender, der Gletscher mit mehr Maestoso. Das Blech aber hier, wie auch später immer mal wieder, nicht ganz sicher. Das Oboensolo auf dem Gipfel klingt schöner und nuancierter als in Philadelphia. Das Gipfelerlebnis erscheint erheblich gefühlvoller. Die Gran Cassa bei der „Vision“ klingt auch viel besser als das Pendant in Amerika, nun eben auch breiter und tiefer, aber weniger mächtig. Der Sturm klingt nuancenreicher, dramatischer, elementarer. Die Violinen scheinen jedoch etwas nach hinten zu rücken und auch dynamisch etwas zurückgenommen, als ob sie dem Blech unter keinen Umständen die Show stehlen dürfen, auch die Tenortuben klingen nicht präsent genug. Der „Ausklang“, wie bereits bei Orozco-Estrada und Maazel wirkt sehr getragen, breit und fast weihevoll. Die Violinen klingen nun auch grobfaseriger als vor dem Sturm (wie so oft). Bei Ozawa ist von diesem Effekt übrigens nichts zu bemerken. Überhaupt spielt es auch bei ihm etwas aufmerksamer (und auch fülliger) als bei Previn. Bei Previn jedoch transparenter. Klangschön sind beide Einspielungen. Unsere Empfehlung gilt aber, wenn es die Wiener sein sollen, eindeutig der Produktion mit Christian Thielemann.

Der Klang der Telarc-Einspielung ist erheblich runder, viel geschmeidiger, dynamischer und auch transparenter als die EMI-Einspielung aus Amerika. Sie klingt aber auch klarer und brillanter als die acht Jahre jüngere Einspielung mit Ozawa.

▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten folgt etwas weiter unten

 

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4-5

Zubin Mehta

Berliner Philharmoniker

Sony

1989

53:05

 

Dies ist nach der Einspielung aus Los Angeles (1975) die zweite, die Mehta vorgelegt hat. Es verhält sich ganz ähnlich wie bei Kempe und Ashkenazy, die erste ist jugendfrischer und brillanter, die zweite gesetzter und etwas ausgewogener. Die „Nacht“ klingt leiser als in LA, während sie in Amerika schwärzer wirkt, da die Bässe einen höheren Anteil am Cluster erhalten. Überhaupt klingt es in Berlin heller, etwas entfernter und vor allem viel statischer. Das Orchester spielt ausgesprochen abgerundet und weich. Gut gestaffelt und transparent klingt es hier durchaus auch. Der Klang des Orchesters ist etwas ausgewogener. Bei „Anstieg“  fehlt etwas die jugendliche Frische aus L.A.. Auch die Hörner der Jagd gefielen in L.A. besser. Das Holz kommt in Berlin etwas besser zu Wort. Die Solostellen der Streicher (Zi. 32) werden nun besser herausgelöst. Ab Zi. 34 spielt die Klarinette nicht ganz synchron, sodass sie unangenehm aus dem Bläsersatz heraus fällt. Das wiederholt sie später noch einmal. „Auf blumiger Wiese“ und der Alm klingt es in Berlin erheblich deutlicher und transparenter. Die Oboe auf dem Gipfel klingt in Berlin fülliger und weicher im Ton, aber auch relativ weit zurückgesetzt.  Im weiteren Verlauf könnten die Hörner besser zur Geltung kommen. Besonders im Sturm wird die Dynamik auf dem technischen Weg deutlich nivelliert. Da ist die Karajan-Einspielung neun Jahre zuvor um Welten ausdrucksvoller, elementarer und bedrohlicher. Die Windmaschine bleibt dezent, klingt aber viel realistischer nach echtem Sturm als sonst. Allerdings die Durchschlagskraft des Orchesters wirkt auch dieses Mal bei Zi. 124 ff herausragend. Der Sonnenuntergang hat nun mehr Zeit als in L.A. und wirkt nicht sehr so etüdenhaft, aber eher ein wenig unpräziser gespielt.

 

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4-5

Philippe Jordan

Orchestre de l´Opéra National de Paris (zwischenzeitlich: Orcheste de l´Opéra Bastille)

Naive

2010

52 :35

 

High-Res-Download   Der Dirigent und das erstklassig klingende Orchester lässt es an Detailgenauigkeit und Feinschliff nicht fehlen.  So ist ihr pp bei Zi. 1 deutlich leiser als bei den beiden Jansons-Aufnahmen. Die Einsätze von Fagott (Zi. 2) und Basstuba (Zi. 4) kommen ebenfalls vorbildlich leise. Die „Jagdhörner“ im „Wald“ kommen ebenso vorbildlich von ferne und klingen zudem noch sehr deutlich. Der typische Strauss-Klang wird von diesem französischen Orchester völlig unverfälscht, also, wenn man so will, ohne jeden Akzent, zu Gehör gebracht. Die erfreuliche Spielweise könnte in allen weiteren Bildern der Wanderung immer wieder gelobt werden. Es bleibt immer der Eindruck einer bewundernswert feinsinnigen, souverän dirigierten und hervorragend gespielten, stimmigen Interpretation. Es ist bewundernswert was aus dem „alten“ Pariser Opernorchester geworden ist (es fiel ja auch bereits bei „Daphnis und Cloé“ deutlich ins Ohr). Es braucht keinen Vergleich mehr zu scheuen. Nur die dünne Orgel fällt etwas aus dem Rahmen. Der größte Nachteil der Produktion ist ihr Klang, der zwar sehr gut gestaffelt ist, auch weich, fließend und homogen. Aber vielleicht auch zu homogen, denn kaum ein Instrument schafft es einmal ein hervorgehobenes Solo zu Gehör zu bringen und die Dynamik wirkt gerade weil es auch ein hoch aufgelöster Download war, der gehört wurde, etwas nivelliert, nicht zupackend genug. Der Klang wirkt auch weniger körperhaft und brillant wie bei Thielemann, Blomstedt, Jansons oder Haitink. So wirkt auch die Stimmung, die sich über das ganze legt, etwas grazil, abgedämpft, pastellen und zu wenig griffig. Zumindest für unseren Geschmack.

 

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4-5

Karl Böhm

Staatskapelle Dresden

DG

1957

51:54

 

MONO  Zu dieser gesamtdeutschen Produktion gibt es ein paar Informationen des damaligen Aufnahmeleiters der DG (Herr Schweigmann), die im Gegensatz zu späteren Co-Produktionen noch selbst hinter dem eisernen Vorhang aufnehmen konnte. Noch hatte sich der Vorhang nicht ganz geschlossen. Als Aufnahmeort kam nur die Kreuzkirche in frage, die aber immer noch, wie vielerorts in der ganzen Stadt vom Krieg gezeichnet war. Immerhin gab es aber ein intaktes Dach. Der zu lange Nachhall musste mit Stoffbahnen verbessert werden. Die Zusammenarbeit der Staatskapelle mit Böhm, der auch wegen seines autokratischen Führungsspiels bei eigentlich allen Orchesters bei denen er auftrat ziemlich unbeliebt war, erwies sich als schwierig. Er „zerfleischte“ einige Musiker vor versammelter Mannschaft, um die anderen zu motivieren. Und man merkt es der Einspielung auch an, das Orchester spielt eigentlich nie richtig locker und befreit auf.  Andererseits war Böhm eine Koryphäe, gerade was die Musik von Richard Strauss anlangt und die Kapelle hatte einen Ruf zu verlieren, sodass man der Aufnahme auch anmerkt, dass mächtig um das Ergebnis gerungen wurde. Aber es wirkt uneinheitlich. Gegenüber der Berliner Einspielung wirkt sie nun zügiger und transparenter, einzelne Instrumente treten präsent hervor, ein einheitlicher Zusammenklang stellt sich hingegen nur selten ein, weil andere Stimmen dafür unter den akustischen Teppich fallen. Außerdem wirkt sie deutlich episodenhafter als die Berliner Einspielung. Insgesamt wirkt die Wiedergabe gerade auch wenn man Mono-Verhältnisse anlegt, sehr transparent und im Ganzen besser aufgenommen als die Berliner. Ein paar Jahre später hätte die DG sicher auch in Dresden in Stereo produziert, zumindest bis zum Mauerbau, als der Vorhang dann gänzlich fiel. Danach durften lange keine Kapitalisten mehr ins Land. Aber auch so ist die Aufnahme ein wichtiges Dokument in der Aufnahmegeschichte des Werkes. Ihr ist ebenso wie der Berliner Einspielung ein  eruptives  Blech eigen, die Dresdner kommen in diesem Fall zumindest, obwohl sie sich keine Vorwürfe machen müssen und ebenfalls Großes leisten nicht an Fricsays wunderbar beherzte Berliner Blechbläsertruppe heran, die unglaublich strahlkräftig und fast schon surreal höhensicher agiert. Das Orchester des RIAS bringt zudem eine frische Spielfreude und Unmittelbarkeit mit, zu der die Dresdner in diesem Fall nicht in der Lage waren.

 

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4-5

James Judd

European Community Youth Orchestra

Nuovo Era, auch Alto und andere mehr

1987, Live

51:40

 

Bei dieser Aufnahme aus dem Dom zu Bozen wurde das Jugendorchester von elf Hornisten der Münchner Philharmoniker unterstützt. Warum elf wird man sich zu Recht fragen, wo Strauss doch mindestens 12 für das Fernorchester vorschreibt? Nun man hatte europaweit neun statt acht junge Hornisten für das Orchester gecastet, sodass einer, sofern niemand ausviel, für die Hörner der Jäger übrig blieb. Vielleicht haben die Münchner auch „nur“ elf in ihren Reihen? Die Jagdhörner in dieser Einspielung erhalten zwar viel Hall, die vorantreibende Lust am Spiel ist jedoch leicht herauszuhören. Das junge Orchester kann gut mit den besten mithalten. Der Anstieg gelingt mit jugendlicher Frische und viel Energie.

Der Eintritt in den Wald wird zu einem Misterioso-Erlebnis der besonderen Art. Mit den Violinen wurde gut gearbeitet, in ihrem einschmeichelndem Klang ist viel Leidenschaft dabei. Das Oboensolo auf dem Gipfel wird sehr schön und ausdrucksvoll geblasen, klingt aber aufgrund der Kirchenakustik etwas zu weit entfernt und diffus. Das vornehmlich britisch besetzte Blech macht einen herausragenden Job. Erst ab dem Sturm (Zi. 115) hört man die Orgel, hörbar nur als Akzent im Bass, ansonsten bleibt sie ein Schwachpunkt der Aufnahme. Dafür hört man die Tenortuben sehr gut. Das Spiel in der Gewitter und Sturmszenerie erfolgt mit ganzer Kraft und klingt exaltiert. Obwohl die Technik hier die Dynamik etwas einschränkt, ein glanzvoller Höhepunkt der Einspielung.

Wenn die Aufnahmebedingungen besser gewesen wären, wäre die Produktion wohl noch höher einzuordnen gewesen, denn sie klingt ausgesprochen bewegend und emotional.

Der Klang ist nämlich sehr breit gestaffelt aber wenig tief, als ganzes wirkt das Orchester zurückgesetzt und relativ wenig präsent. Das Holz müsste etwas deutlicher sein, es klingt bisweilen  nur diffus und unpräzise. Es fehlt dem Klang auch an Körperhaftigkeit und Dynamik. Er kommt zwar klar aber nur flächig aus den Lautsprechern. Das Aufnahmeteam  kannte wahrscheinlich den Aufnahmeraum nicht richtig und musste improvisieren, zumal dann auch noch die Zuschauer in dem ohnehin heiklen Kirchenraum dazukamen. Eine zu große Halligkeit konnte aber vermieden werden. Die Teams in München, Amsterdam oder Berlin kennen ihren Raum dagegen von unzähligen weiteren Aufnahamen viel besser und haben daher viele Vorteile.

 

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4-5

Lorin Maazel

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München

RCA

1998

50:19

 

Lorin Maazel kann sich in seiner Einspielung auf die die Qualitäten des Münchner Orchesters und den gut strukturierten, transparenten Klang der Aufnahme verlassen. Er ist diesbezüglich sogar den neueren Einspielungen von Jansons (COA) und Luisi überlegen (nur wenn diese nur als CD gehört werden). Sie klingt dynamisch, aber lange nicht so brachial wie bei Karajan. Das Orchester spielt wie später bei Jansons (2016) wieder groß auf, die Violinen wirken jedoch dem gegenüber etwas dünner und der Gesamtklang nicht so saftig. Die „Nacht“ wird sehr gut ausgehört, die Einsätze von Baßtuba und 1. Posaune gelingt leiser und mit mehr Misterioso als bei Jansons. Die Szene mit den „Jagdhörnern“ klingt von ferne, wie es sein soll aber auch gut durchhörbar und ist gut zu verfolgen. Der Verlauf der Exkursion läuft ab wie am Schnürchen, die Reiseleitung hat alles gut durchorganisiert. Nuancen sind für das Orchester eine Selbstverständlichkeit, alles wird lebhaft und tönschön in Szene gesetzt. Die Bläser werden nur selten einmal von den Streichern überdeckt Auch im Sturm, der im Übrigen die letzte Urgewalt (besonders wenn man Karajan noch im Ohr hat) vermissenlässt, lässt Maazel das Holz viel zu schwach spielen (3.T nach Zi. 115 sollte fff sein). Gönnt er ihm da eine Ruhepause? Strauss hat die eigentlichen Ruhepausen, gerade für das Holz schon selbst in seiner Komposition ziemlich zuvorkommend eingeplant. Das Personal am Blech mag das vielleicht etwas anders sehen. Im „Ausklang“ hört man dann auch einmal die bis hierher geschonte Orgel deutlich. Ansonsten wirkt der Ausklang stark gedehnt. Gerade wenn man sie mit der Eigenaufnahme von Strauss vergleicht, spürt man den Tritt auf die Bremse deutlich. Die Wirkung ist wie ein Abschied voller Wehmut, als ob dies der letzte Berg gewesen wäre, der in diesem Leben bestiegen werden sollte. So wollte Strauss seine Zuhörer nicht aus dem Konzert entlassen. Die friedvolle, hoffnungsvolle Ankunft zu Hause erfreut in seiner Aufnahme von 1941 deutlicher als die wehmütigen Anteile hinab ziehen. Da setzt sich Maazel darüber hinweg. Die Nacht schließlich macht er zu einem ätherischen Schauspiel.

 

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4-5

Antoni Wit

Staatskapelle Weimar

Naxos

2005

54:14

 

Antoni Wit gelangt mit dem deutschen Traditionsorchester eine stimmige Einspielung, die auch Skeptiker davon überzeugt, dass ein Orchester abseits der großen Musikzentren das Werk nuanciert und vielschichtig darstellen kann. Man muss sich allerdings darauf einstellen, dass es in Teilen etwas beschaulicher zugeht als üblich. Nach der Produktion Orozco-Estradas ist dies die Darbietung mit dem größten Zeitbedarf, aber anders als in der Frankfurter fühlt man es in der Weimarer auch deutlich. Wits Zugang wirkt genießerisch, die klanglichen Valeurs werden voll ausgekostet, das Spiel des Orchesters erscheint engagiert, differenziert und deutlich. Die dramatische Geschlossenheit tritt so etwas in den Hintergrund, das episodenhafte Voranschreiten dafür in den Vordergrund. Stets ist aber der genaue Blick in die Partitur der Leitfaden. Schade ist nur, dass ausgerechnet der Sturm dynamisch abgeregelt wird.

Einen gewissen Spargedanken bemerkt man allenfalls an der Klangqualität und da etwas mehr als bei der ebenfalls dem Niedrigpreis-Segment angehörenden Einspielung Zinmans aus Zürich. Durch die etwas zurückgesetzte Positionierung des Orchesters geht viel Unmittelbarkeit verloren, damit entfällt eine potentiell mitreißend wirkende Komponente. Auch die Klangfarben könnten etwas intensiver leuchten. Ansonsten wirken die Violinen geschmeidig, die Proportionen ausgewogen, der Gesamtklang weich, gut durchhörbar und hinreichend brillant. Insgesamt erwies sich diese Einspielung als positive Überraschung.

 

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4-5

Andrew Davis

London Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1982

53:30

 

Andrew Davis ist der einzige Dirigent britischer Herkunft in unserem Vergleich. Immerhin hat er inzwischen eine weitere Einspielung der Alpensinfonie diesmal mit dem Orchester aus Melbourne zur Diskographie beigesteuert, die uns aber leider nicht vorlag. Also wird sie wenigstens von einem Dirigenten Albions geschätzt, wenn nicht gar geliebt. Der Gestus der vorliegenden Einspielung weist durch eine besonders liebevoll modellierte Gestaltung ebenfalls in diese Richtung. Einzelne offen liegende Phrasierungen werden anders als bei Dvoraks Ouvertüre „Karneval“ (in einem der letzten Vergleiche) nicht plötzlich von anderen Stimmen verdeckt, sodass sie wie abgebrochen wirken.  Das klangvolle Orchester erweist sich als akribisch vorbereitet, sehr homogen und klangschön. Gut erkennbar auch an den weichen, glanzvollen und sehr einheitlich spielenden Violinen und den einzelnen Gruppen der Blechbläser, die ein besonders hohes Maß an Äquilibristik mit einbringen und gut aufeinander hören. Die Gestaltung des Dirigenten erweist sich generell als sicher, souverän und planvoll. Obwohl der Maestro zum Zeitpunkt der Aufnahme mit 38 Jahren noch als jung gelten darf, spürt man von jugendlichem Überschwang, Tatendrang oder dem Gipfelstürmerischen eines Solti oder weniger ausgeprägt des jungen Zubin Mehta nicht gerade viel. Davis hält die Musik aber immer in Fluss. Der Vortrag der Oboe auf dem gerade erreichten Gipfel ist wunderbar frei und hat auch das richtige Maß an Ruhe. Das weitere musikalische Geschehen wirkt zwar anschaulich  aber auch ein wenig betulich. Zu erwähnen wäre noch die auffallend subtile und genaue Gestaltung des Orgelparts, die es auch nicht an der gebotenen machtvollen Kraftentfaltung fehlen lässt. Auch hier, analog zur auffallend stimmigen Gestaltung der Holzbläserpartien bei Kempe (RPO) der vor seiner Dirigentenlaufbahn Oboist war, hat Davis als vormaliger Organist ein besonderes Auge für den Orgelpart. Daher gelingt dem Orchester mit der so besonders geforderten Orgel ein ganz besonderes Drohszenario. Im Gegenzug ist hier von der Windmaschine fast gar nichts zu hören.

Klanglich herrscht eher ein Mischklang vor, einzelne Soli sind immer in den Gesamtklang integriert, dennoch wirkt die Einspielung transparent. Es mangelt etwas an Brillanz und Glanz, die Dynamik erscheint etwas reduziert und die Klangfarben wirken leicht pastellen, weshalb sich die Reise zumeist in einem etwas gedämpften Stimmungsumfeld abspielt, was dem Orchester jedoch nicht anzulasten wäre.

 

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4

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Philips

1992, Live

51:50

 

Der Charakter einer echten Live-Einspielung schlägt in dieser Produktion etwas mehr durch als bei den anderen. So fehlt es den Violinen beim Anstieg erheblich an Brillanz. Masur lässt hier auch die Legatobögen deutlich absetzen, was die große Linie deutlich unterbricht und einen brillanteren Klang verhindert. Er ist der einzige der die notierte Phrasierung so interpretiert (falsch ist es ja nicht!). Es entsteht so eine gewisse Luftigkeit und unterbricht ein wenig das entschlossene Vorandrängen. Die Jagdhörner im Wald sind so weit weg, dass der Hörer/ die Hörerin kaum etwas von ihnen hat. Masur geht jedoch in der Regel sehr nuanciert auf die Partitur ein („Auf der Alm“: Flatterzunge bei Oboe und Es-Klarinette sehr deutlich). Einzelne Episoden werden im Charakter sehr gut unterstrichen („Gestrüpp“: drängender Gestus mit Anstrengung dargestellt, weiterer Anstieg: beschwerlich). Andererseits geht auch ein gewisses Understatement ziemlich weit: Das Allegro Maestoso wird kaum so herausposaunt und heraustrompetet wie üblich. Die Violinen können hier locker mit dem geballten Blech mithalten, was den abgedämpften Gestus noch unterstreicht. Der Gestus bleibt hier auffallend entspannt, „ relaxt“, eher freudig erregt als pathetisch abgehoben oder gar majestätisch erhoben. Unser Wanderer scheint nichts von einem Nietzscheaner mehr an sich zu haben, ist mehr wie ein interessierter Tourist unterwegs. Dem entspricht auch die harmlose Behandlung der Gran Cassa bei Zi. 95, immerhin hört man sie bei Zi. 96 dann deutlicher. Der Sturm wird dann von der Windmaschine dominiert, das Blech tritt demgegenüber erstaunlich weit zurück, erscheint abgeregelt. Nach und nach übernehmen hier die Orgel und nun also doch noch dominant die Gran Cassa das akustische Regiment im Orchester. Das wirkt auf das gesamte übrige Klangbild erheblich ausdünnend. Auf den Hörer wirkt es wenig bedrohlich, fast schon harmlos. Es bleibt ein schöner Panoramablick, aber das Unwetter spielt sich mehr in weiter Ferne ab. (Was für ein Unterschied zu Karajan.) Der finale Höhepunkt (Zi. 124) steht so in seiner Wucht etwas isoliert da und erscheint ein wenig unglaubwürdig. Der Ausklang wird hingegen wieder stimmig musiziert und die Nacht ist richtig schwarz.

Die Orchesterleistung kommt nicht ganz an die von COA, BR oder BP bei Karajan und andere heran, ist aber aller Ehren wert und stellt eine erhebliche Verbesserung gegenüber der Leistung im Vergleich von Mendelssohns 5. Sinfonie dar. Die Violinen klingen aber immer noch auffallend hell und wenig sonor, aber schon viel homogener (es sind ja auch mehr). Nach dem Sturm lässt die Homogenität, wie in vielen echten Live-Aufnahmen, ein wenig nach. Insgesamt liegt hier eine etwas heterogene Einspielung vor mit Höhen aber auch mit Tiefen.

Der Klang ist offen, präsent, ausgewogen und transparent. Es gibt hier keine Streicherdominanz. Dynamisch ist sie nicht übermäßig  ausladend, bis auf  Zi.124.  Die Holzbläser könnten mitunter besser zur Geltung kommen. (z.B. Zi. 42 Oboe), an anderer Stelle werden sie dann wieder gut hervorgehoben (z.B. Zi. 55).

 

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4

Franz Welser-Möst

Gustav-Mahler-Jugendorchester

EMI

2005, Live

45:20

 

Diese Einspielung erfolgte als Konzertmitschnitt aus dem Wiener Musikvereinssaal an nur einem Tag. Er stellt die lebhaften Momente betont drängend dar, der „Anstieg“ erscheint gar ruckartig, mit ausgreifenden Schritten. Welser-Möst hält sich ziemlich genau an die Vorgaben der Eigenaufnahme von Strauss selbst. Mitunter geht es aber auch schon etwas hektisch und aufgeregt zu (Zi. 59). Wenn wir uns eine Bergbahn vorstellen würden, statt eines Wandersmanns, wäre es eine die ICE-Geschwindigkeit anstrebt. Das Oboensolo auf dem Gipfel wirkt dann überraschend ganz introvertiert. Das Allegro maestoso verzichtet auf den Zusatz maestoso. Hier will man dieses Gefühlsplateau schnell hinter sich bringen, kein Verweilen, kein Auskosten. Erst ab Zi. 85 wird es etwas intensiver. Um jeden Bombast zu vermeiden flüchtet man sich ins Understatement. Ob das aber gerade hier die ganze Wahrheit ist? Irgendwann fragt man sich doch: Warum bin ich überhaupt hoch geklettert? Die „Vision“ ist nochmals drängender, als ob der Platz schnellstmöglich verlassen werden müsste.

Das Orchester bewegt sich weitgehend mühelos  und mit viel jugendlichem Elan und Feingeist durch die Komposition. Der Sturm selbst wird stark nachgeregelt. Die Streicher spielen sehr deutlich. Pauken und Gran Cassa bleiben unterbelichtet. Das Ganze erscheint bei weitem nicht dynamisch genug, gerade wenn man zuvor die Aufnahme Thielemanns aus demselben Konzerthaus zum direkten Vergleich heranzieht. Im dann allerdings sehr bewegten „Sonnenuntergang“ hört man die Orgel nun einmal deutlich, obwohl sie jetzt mf und nicht wie im Sturm ff zu spielen hätte.

Dies ist eine artikualatorisch durchaus angeschärfte Version, die jeden Anflug von Kitsch vermeidet, in den ruhigeren Passagen die nötige Ruhe vermissen lässt, gerade dann ziemlich flüchtig wirkt und so der Versuch misslingt ein wenig tiefer unter die Oberfläche vorzudringen.

Die Aufnahme klingt sehr direkt, gerade wenn man das andere Jugendorchester, das Ensemble Modern Orchestra, als Vergleich heranzieht. Das GMJO wird sehr transparent, offen und farbig aber weniger gut gestaffelt und mit weniger Schmelz als das Ensemble Modern aufgenommen. Der Raum wirkt hier auch viel kleiner als in Franfurt. Die Aufnahme klingt aber insgesamt viel besser und farbiger als die Einspielung mit James Judd und dem Jugendorchester der Europäischen Gemeinschaft.

 

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4

André Previn

Philadelphia Orchestra

EMI

1982

48:51

 

Previns erste Einspielung wirkt insgesamt uneitel und macht von sich selbst nicht viel Aufheben. Recht zügig wird der Blick auf den sachlichen Ablauf gerichtet, weniger auf die einzelnen Attraktionen der Bergbesteigung. Ansichtkartenmotive kommen uns hier nicht in den Sinn. Der mitreißende Zug eines Solti oder Mitropoulos wird aber nicht erreicht. Das Orchester spielt alles locker und leicht aber ohne zu brillieren oder viel expressiven Nachdruck zu erzeugen. An die Klasse der Wiener Philharmoniker (mit Previn, 1989) kommt es dieses Mal nicht heran. Der Gestus wirkt schlank aber mitunter auch flüchtig, ziemlich pathosfern und geheimnislos. Hinter den Noten spielt sich hier nicht mehr viel ab. Ein nur halb gelungener Versuch die Alpensinfonie zu entschlacken. Ein Beispiel: Das Gipfelerlebnis bleibt glanzlos, wirkt verhältnismäßig introvertiert, entspannt, ohne jedes Spektakel, wo andere an ihre Grenzen gehen. Die Horntriller gelingen nur ziemlich unschön. Auch sonst stößt man bisweilen auf eine gewisse Sorglosigkeit. Die Orgel darf erst im Sturm richtig mitspielen. Ihm fehlt auch jede elementare Gewalt und auch der ultimative Spannungsverlauf. „Easy doing“ reicht dann doch hier nicht ganz aus. Der „Ausklang“ erklingt mit allerlei Intonationsproblemen, in der „Nacht“ stören die zu hell klingenden Violinen.

Dem Klang fehlt etwas die Fluktuation und Rundung. Typisch für die frühen Digitalaufnahmen der EMI ist auch der grobfaserige Klang der Violinen, denen so jedes Schmeicheln abgeht. EMI sprang unvorbereitet auf den Digitalzug auf, wollte eigentlich beim analogen Prozess bleiben. Das wäre in diesem Fall auch die weitaus bessere Entscheidung gewesen. So klingt auch der Gesamtklang wenig üppig und sogar etwas ausgezehrt, wenig brillant und wenig dynamisch, weniger körperhaft und mit einem leicht scharf klingendem Unterton versehen. So ist die Aufnahmequalität der größte Hemmschuh dieser Unternehmung.

 

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4

Zdenek Kosler

Tschechische Philharmonie, Prag

Supraphon

P 1995, Live

54:01

 

Diese tschechische Produktion macht im Ganzen einen recht kontemplativen Eindruck. Die Phrasierung erfolgt meist ziemlich cantabel, ohne aber je den Glanz, die Raffinesse oder den Schmelz der zuvor gehörten Karajan-Einspielung zu erreichen. Es werden wenige Akzente gesetzt und sie bietet auch wenig strukturelle Klarheit. Die Reise bleibt in beschaulichen Bahnen und wird selten einmal richtig spannend. Die Jagdhörner klingen wie auf der Bühne, klar, präsent, fast wie bei Karajan. Die ruhigen Passagen gefallen am besten, z.B. das Oboensolo. Es erklingt zwar sehr leise aber mit der nötigen Ruhe. Vom Gestus her wäre die Einspielung von Andrew Davis vergleichbar, sie erreicht aber nicht deren detailreiche Transparenz. Auch im Sturm pfeift uns der Wind nur langsam um die Ohren, das jedoch transparent, intensiv und laut.

Das Orchester spielt mit hoher Kultur, mit weichem, vollem Klang, stets farbig, sorgfältig, klangschön, mit Wärme und farbig. Eigentlich macht es seinem Ruf auch hier alle Ehre.

Der Klang lässt mehr an die 80er Jahre als an die 90er Jahre denken. Das Orchester wirkt leicht nach hinten versetzt. Dynamik und auch die Räumlichkeit sind in Ordnung. Hauptstimmen verdecken aber bisweilen jedoch über Gebühr die Nebenstimmen.

 

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4

Gerard Schwarz

Royal Liverpool Philharmonic Orchestra

RLPO Live-Olufsen Records

2001

43:04

 

Gerard Schwarz scheint sich vor seiner eigenen Einspielung die Produktion Georg Soltis angehört zu haben. Offensichtlich scheint sie ihm sehr gut gefallen zu haben. Die Rasanz des Anstiegs lässt sofort an Solti denken. Schwarz fehlt zum Original aber das nötige dranggesättigte Feuer des ungarischen Meisters. Die Jagdhörner sind auch sehr weit weg und klein abgebildet, entsprechend auch schon zu früh verdeckt und somit für den Hörer verschwunden. Kaum eine Impression ist „Im Wald“ sonst noch möglich, so schnell hastet man durch denselben. Ab Zi. 31 schleichen sich dann die ersten Erschöpfungszeichen ein. Eine Rast wird benötigt, damit es „Auf der Alm“ wieder hurtig weitergehen kann. „Durch Dickicht und Gestrüpp. Auf Irrwegen.“ geht es dann sogar mit Sieben-Meilen-Stiefeln. Kein Gedanke an kaputte Hosen oder aufgeschürfte Unterarme. Die Irrwege bringen den stressgeplagten Wanderer hörbar zur Weißglut. Er hatte sich den Ausflug offenbar anders vorgestellt. Auch die klangschöne Oboe auf dem Gipfel wirkt noch etwas getrieben. Auch dem Hörer wird so keine kontemplative Ruhe nach dem rasanten Aufstieg gegönnt. Ein richtiges Maestoso will sich auf dem Gipfel nicht einstellen. Auch die „Vision“ setzt den Betrachter (und Zuhörer) unter Zeitdruck. Im Sturm hat das Orchester dann den richtigen Biss (vor allem das Blech), die Windmaschine pfeift mächtig und die Orgel ist gut integriert. Ingesamt bleibt der Sturm aber immer noch wenig einschüchternd oder gar bedrohlich, wenn man bereits so viele andere gehört hat.

Spieltechnisch ist das Orchester voll auf der Höhe, sauber, homogen, sattelfest, solistisch eloquent und ziemlich klangsatt. Angesichts des Tempos also eine sehr gute Performance. Es bekommt leider von der Technik wenig Glanz mit und der Klangraum wirkt zudem etwas eingeengt. Es klingt recht sonor, bei eher dunklen Klangfarben.

Hier macht sich ein gestresster Großstädter auf eine Bergwanderung. Er hat dafür wirklich nicht viel Zeit, denn er muss pünktlich wieder zurück im Hotel sein. Ob er wirklich viel vom Berg mitgenommen hat, bleibt letztlich eher fraglich.

 

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4

Hartmut Haenchen

Nederlands Philharmonisch Orkest

Brilliant

1999

50:31

 

Diese Einspielung wird von einem guten Orchester und einem sehr aufmerksamen Dirigenten gestaltet, es klingt in diesem Vergleich homogener und voller als die Wiener Symphoniker. Man kann ihr wenig Schlechtes nachsagen. Nur der Aufnahme mangelt es an Dynamik, Transparenz und Lebendigkeit. Das Orchester erscheint ziemlich weit nach hinter gerückt, zeigt also wenig Präsenz, wodurch auch der ganze Vortrag ziemlich distanziert und auch ein wenig leblos wirkt. Die Streicher klingen jedoch durchaus geschmeidig und sind eines schönen, sanften Klanges durchaus fähig. Durch diese Art von „Guckkastenbühne“ haben wir keinen Erlebnisplatz erwischt. Insgesamt ist die Gesamtwirkung trotzdem noch gefällig, von einem sehr gut vorbereiteten Orchester und einem kompetenten Dirigenten getragen. Durch die großes Distanz zum Geschehen will jedoch keine Spannung aufkommen.

 

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4

Carl Schuricht

Radiosinfonieorchester Stuttgart

Hänssler, auch Archiphon

1955, Live

45:40

 

MONO  Die Aufnahme Carl Schurichts hat das grundsätzliche Manko, dass sie zu streicherorientiert aufgenommen wurde. Vor allem die Violinen erhalten so ein Zuviel an Aufmerksamkeit, denn entsprechend fallen die anderen Instrumente zurück. Die Jagdhörner spielen sehr gut zusammen sind aber im Gesamtklang nur schlecht hörbar. Das gilt leider auch für die Hörner des Orchesters, die oft so weit in den Hintergrund verbannt werden, dass man sie eigentlich nur richtig hört, wenn sie alleine spielen. Und was ist eine Alpensinfonie ohne markige Hörner? Beim Eintritt in den Wald wird es auch nicht plötzlich dunkler oder unheimlich, weil die ganze Präsenz des Orchesters genau von hier an plötzlich nach hinten wegrutscht.  Die Gestaltung wirkt jedoch, auch wenn sie bei weitem nicht so glühend erhitzt erscheint wie bei Mitropoulos und auch weniger präsent ist wie die beiden Böhm-Einspielungen, vor allem die aus Dresden, so wirkt sie doch schön fließend, zügig und ganz und gar nicht neutral. Schuricht hält sich anders als die jüngeren Dirigenten viel mehr an die Vorgaben, die Richard Strauss in seinen eigenen Aufnahmen gemacht hat. Es trifft dessen Spieldauer auf die Sekunde genau. Er ist davon auszugehen, dass auch Schuricht zumindest Konzerte von Strauss besucht hat. Wer würde sich das als musikalischer Zeitgenosse auch entgehen lassen? Mit großer Wahrscheinlichkeit haben sich auch diese beiden Musiker gut gekannt. Auch Solti hatte Strauss wohl während seiner Zeit bei der Bayerischen Staatsoper zuhause besucht, sich Ratschläge für die Datstellung seiner Musik geholt und es wäre unwahrscheinlich wenn sich Schuricht und Strauss nicht auch getroffen hätten; zumal der Komponist als konziliant und umgänglich mit Musikern galt. Insgesamt wirkt die Wiedergabe, ähnlich wie die Aufnahme von Strauss selbst, sachlich, ernsthaft, werkgetreu und stringent. Man muss sie als gelungen ansehen, zumindest für einen damals live eingefangenen Mitschnitt vom Rundfunk. Aber für heutige Ohren klingt es wenig transparent, die Violinen klingen hart und etwas „vorlaut“, aber doch noch etwas voller als bei den anderen historischen Einspielungen, Böhm 1957, einmal ausgenommen. Insgesamt auch sehr wenig farbig. Ehe wie eine schwarz-weiße Ansichtskarte als eine farbige. Die Dynamik ist flach, weshalb auch der Duktus trotz des zügigen Tempos wenig kontrastreich wirkt. An lauten Stellen neigt der Klang auch ein wenig zum Verzerren und Dröhnen. Der Gesamtklang ist unausgewogen. Nur die leiseren, solistisch geprägten Episoden wirken plastischer.

 

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3-4

Horst Stein

Bamberger Symphoniker

Ariola-Eurodisc

1988

49:57

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Dies Einspielung der Alpensinfonie ist ein Opfer ihres Klangs, der flächig, dünn auch kaum plastisch nicht in die räumliche Tiefe geht. Was noch schwerer wiegt ist, dass sie auch tonal nicht in die Tiefe geht. Das Klangspektrum wirkt wie nach oben gerutscht, will heißen, was in der Tiefe fehlt wurde in den Höhen des Guten zuviel getan. Der Bass fehlt völlig und die Violinen beispielsweise klingen arg hell. Solchermaßen des Fundaments beraubt, zieht es der Alpensinfonie fast den Boden weg. Hinzu kommt auch noch eine gewisse räumliche Distanziertheit. So wirkt es nochmals undifferenzierter und ziemlich glatt. Der anämisch ausgezehrte Klang wirkt wenig sonor, letzteres eigentlich ein Charakteristikum, das die Bamberger Symphoniker besonders auszeichnet. Dem frühdigitalen Fiasko eigen ist immerhin noch eine recht gute Transparenz.

Zur musikalischen Darstellung gäbe es sicher auch viel Gutes zu berichten. Stein hält die Artikulation des Orchesters locker und geschmeidig, wirkt ungestresst, ohne explizit in Gemütlichkeit zu verfallen. Allerdings gegenüber dem „Anstieg“ Steins wirkt der zuvor gehörte Solti wie der eines „Übermenschen“. Stein ermöglicht indes auch ein intensives Naturerlebnis unter anderem „Auf der Alm“. Das Orchester ist eigentlich in guter Verfassung, aber leider stark von der ein unnatürliches Klangbild erzeugenden Technik benachteiligt. Das Allegro maestoso auf dem Gipfel (Zi. 80 ff) klingt deutlich pompöser als bei Solti, von den Holzbläsern ist bei Stein hier auch wenig zu hören und sein Musizieren bewegt sich doch mitunter zu sehr an den Hauptstimmen entlang. Gewitter und Sturm sind kaum zu genießen, so hell und bar der unteren Oktave kann man kaum etwas von der üblichen grandiosen, elementare Kräfte freisetzenden Wirkung feststellen. Zu alledem wird hier auch noch die Windmaschine deutlich hervorgehoben. Insgesamt wirkt die Alpensinfonie hier pauschaler als sie sein darf und vor allem im Klang viel zu wenig verführerisch.  Das ist schade, denn eigentlich wird diese Einspielung kundig geleitet und zumindest teilweise mit herzhaftem Engagement gespielt.

 

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3-4

Jonas Alber

Staatsorchester Braunschweig

Coviello

2006

50:41

 

SACD  Der Klang der Einspielung, wenn man sie nur als CD abspielt wirkt etwas entfernt, matt, gedämpft und sehr weich. Zwar warm getönt aber eher wenig transparent. Das Holz wirkt sehr kein abgebildet, das Blech weit entfernt.  Der dynamische Ambitus ist sehr gering. Das Orchester schlägt sich wacker  aber auch ohne den speziellen Glanz der großen Orchester. Das mag im Konzert aufregender gewesen sei, als auf der Konserve. Im Mehrkanalmodus abgespielt eröffnet sich jedoch eine andere Welt, in der die Einspielung viel luftiger, tansparenter und voller klingt. Das Orchester somit üppiger, sinnlicher. Diese Sache hat wirklich ihre zwei Seiten.

Sauberer spielt es natürlich auch in diesem „verbesserten Modus“ nicht. Auch die Tendenz zum etwas zu braven bleibt, aber der große Klang wetzt mache Scharte aus. Auch solistisch wäre mach eine Passage ausdrucksvoller denkbar. Auf dem Gipfel erfährt man nur ein stilles Glück, Trompeten und Posaunen ohne rechten Strahl, die Hörner viel zu zurückhaltend. In der Vision haben die Trompeten auch etwas Mühe mit den hohen Tönen. Das fff der Violinen  Zi. 96 ist dagegen wunderbar strahlend gelungen. Das sauber ausgeführte Gewitter bringt nicht genug Dynamik mit, die Orgel klingt zu schwach. Die Gran Cassa dominiert hier saftig das sonst so züchtige Orchester. Im Sonnenuntergang klingen die Violinen nicht mehr ganz homogen, aber das hört man auch bei vielen anderen. Auch im Ausklang hat die Orgel ein Problem mit dem ff.

 

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3

Daniel Barenboim

Chicago Symphony Orchestra

Erato

1992

49:31

 

Beim Chicagoer Orchester vermisst man die Sonorität, die Homogenität, Schärfe und Klarheit der Artikulation, die Präzision und ganz besonders die durchschlagskräftige Dynamik, die man von seinen Aufnahmen mit Reiner, Solti, Giulini oder auch Abbado (siehe den Vergleich von Prokofievs „Leutnant Kijé“) gewöhnt war. Man fragt sich, was mit dem Orchester seitdem passiert ist? Der Glanz ist nur noch matt, die Dynamik fast so eingeebnet wie die in Braunschweig, die Brillanz deutlich reduziert gegenüber dem zuvor bei Ashkenazy gehörten Cleveland Orchestra, aber auch der Tschechischen Philharmonie. Der Gesamtklang wirkt eher dünn als voll und sonor.

Auch die Leitung macht einen unentschiedenen Eindruck. Die Steigerungen wirken nur milde. Die Transparenz im Streichersatz wirkt lange nicht so deutlich wie bei Ashkenazy. Die hervorzuhebenden Instrumente bei Zi. 38 (Celli, Bässe, Fagott und Bassklarinette) spielen weiter wie zuvor, unternehmen gar keinen Versuch Statur zu gewinnen. Immer wieder fällt auf, wie auch der Schmelz der Violinen hinter dem der Cleveländer Violinen zurückbleibt. Der Stimmenverlauf „Durch Dickicht und Gestrüpp. Auf Abwegen.“ wirkt wenig durchgezeichnet bis konfus. Die Gestaltung während des Gipfels wirkt nicht frei von Pathos, aber auch nicht monumental oder gar nachdenklich, sondern unentschieden wie irgendwas dazwischen. Die „Vision“ gibt ihre Höhepunkte nur lau preis. Die „Stille vor dem Sturm“ hat nur wenig knisternde Spannung. Im Sturm selbst klingen die Chicagoer dann doch noch wie in ihrem Element, endlich einmal durchdringend, aber lange nicht so brillant wie zuvor Ashkenazy mit dem Cleveland Orchestra. Die Windmaschine klingt ein wenig nach Hollywood, vielleicht wurde ihre Wirkung etwas elektronisch nachgeschärft? Nicht schlecht, aber anders als üblich.

Insgesamt eine leidlich effektorientierte, aber nicht wirklich effektvolle, im dramatischen Zugriff seltsam unentschiedene, zurückhaltende, unterkühlt wirkende Einspielung, der auch der Blick auf das Große und Ganze abgeht.

 

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3

Rafael Frühbeck de Burgos

Wiener Symphoniker

Calig

1996, Live

47:18

 

Kleinere Mängel machen sich in diese Einspielung schon gleich zu Beginn bemerkbar. Der Cluster wirkt nicht dunkel, die Bässe sind nämlich erst ab Zi. 2 mit den Triolen überhaupt hörbar. Der Hörnerchor klingt entfernt und auch ziemlich indifferent, Der Stimmenverlauf bei den Streichern erscheint mitunter konglomeratähnlich. Die Tempowahl wirkt recht zügig, erscheint bisweilen auch überhastet, was zugleich keineswegs stringent wirkt.  Der Gestus entbehrt der nötigen Details, sie haben es auch schwer durchzukommen, weil es immer wieder zu Verdeckungen kommt. Das Oboensolo wirkt auch etwas zu gehetzt und nicht frei genug vorgetragen, keine Chance zu sich zu kommen. Die Höhepunkte wirken sehr flach. Die Gran Cassa ist bei Zi. 95 noch zu hören, beim eigentlichen Höhepunkt bei Zi. 96 (Vision) ist sie dann gänzlich verschwunden. Die „Elegie“ wirkt sehr kurzatmig.  Beim Sturm mogelt sich die Windmaschine in den Vordergrund. Die Orgel, geradezu schmächtig, gewinnt nie eine eigene Profilierung (außer bei Zi. 134, da wird dann doch so etwas wie stürmische Leidenschaft entfacht.) Der Sonnenuntergang ist auch wenig differenziert und eher wenig kontrasreich. Dabei ist die Leistung des Orchesters eigentlich ganz gut, aber auch hier erscheint die miese Klangtechnik einen größeren  Erfolg zu verhindern. Sie lässt das Orchester wenig natürlich klingen. Alleine schon der dünne Klang der Violinen will überhaupt nicht zur Alpensinfonie mit ihrer großen Besetzung passen. Gegen Ende fehlt ihnen dann auch noch die Homogenität.

Abschließend noch ein paar Worte zur Aufnahme. Auffallend ist die weit nach außen gezogene Positionierung der Streicher. Innen fehlen sie dann. Das Klangbild zerfällt so in Einzelteile, es findet kaum Fluktuation zwischen den einzelnen Gruppen statt. Da auch die Rundung fehlt und alles ziemlich dünn klingt, wirkt der Gesamtklang regelrecht seziert. Die Transparenz ist so immerhin noch sehr gut. Die Dynamik wirkt schlaff und insbesondere den Violinen, aber auch dem ganzen Orchester, fehlt es an Farbe und Leuchtkraft. Hier werden die Symphoniker weit unter Wert verkauft.

 

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Ohne Einordnung

Richard Strauss

Bayerische Staatskapelle (heute: Bayerisches Staatsorchester)

EMI

1941

45:40

 

MONO  Wegen schemenhafter Bläsereinsätze werden zu Beginn erst die Hörner halbwegs gut erkennbar. Fagott, Posaune und Tuba verschwinden zuvor im Cluster und im antiken Klang vollends. Die Gran Cassa wird aber schon sehr deutlich (schon vor dem „Sonnenaufgang“). Der Anstieg erfolgt schwungvoll, aber bei weitem nicht so ultimativ vorwärtsstürmend wie bei Solti. Bei Strauss selbst hatte sich der Ungar also nicht zu diesem Coup inspirieren lassen. Die Jagdhörner sind gut hörbar, die nonchalante Präzision aber auch. Stets lässt Strauss die Musik selbst sprechen, ein zusätzliches Aufplustern steht ihm fern, genau wie auch nur ein Anflug von Romantisieren. Ungerührt vom eigenen Werk führt er souverän und gelassen auf stringente Art und Weise durch sein größtes Orchesterwerk. Tonmalerische Details werden dem dramatischen Fortgang untergeordnet. Strauss dirigiert Strauss pur, ohne dass der Dirigent sich liebevoll um den Komponisten kümmern würde.

Das Orchester macht schon einen echt gut besetzten Eindruck und bereitet, soweit erkennbar, dem Werk eine gültige Wiedergabe. Der Klang ist geprägt von starkem Rauschen, ist sehr wenig differenziert, flächig und weist kaum Dynamik auf. Ein farbloses Grau in Grau dominiert. Ihm fehlt auch naturgemäß jede sphärische Anmutung. Trotz des nur umrisshaften, scherenschnittähnlichen Klanges ist diese Einspielung ein unschätzbares Dokument, das in jede Sammlung von Einspielungen der Alpensinfonie einfach dazu gehört, auch wenn sich der sensualistische Genuss stark in Grenzen hält.

 

 

 

Vergleich beendet am 19.12.2021