Béla Bartók
Klavierkonzert Nr. 3
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Werkhintergrund:
Zusammen mit Zoltan Kodaly wollte Béla Bartók, wie er selbst sagte „Ost und West zur Synthese bringen“. Dieses Ziel rechtfertigten beide aus der geographischen Lage ihrer ungarischen Heimat, deren Volksmusik sie deshalb mit wissenschaftlicher Genauigkeit sammelten und ordneten. Zu diesem geographisch bedingten Impuls trat ein musikhistorischer: der Einfluss Debussys, dessen Bedeutung für Bartók darin bestand, „alle Musiker zu einer neuen Erkenntnis der Harmonik und ihrer Möglichkeiten wachgerüttelt zu haben.“ In dieser Beziehung war Debussy vorläufiger Endpunkt einer Reihe, die mit Bach und Beethoven begonnen hatte und die er fortsetzen wollte. Bedenkt man ferner, dass Bartók als Komponist in der Brahms-Nachfolge begann, so wird die unterschiedliche Beurteilung, die sein Werk gefunden hat, deutlich. Zu seinen Lebzeiten wurde Bartók sowohl als Folklorist und Spätromantiker wie auch als barbarischer Neutöner bezeichnet, wofür es in seinem Werk jeweils Belegstellen gibt. Auch nach Bartóks Tod änderte sich daran wenig. Von der einen Seite als Klassiker der Moderne gepriesen, wurde sein Werk von der anderen Seite die Vermittlerrolle zwischen den Polen Schönberg und Strawinsky zugewiesen. Eine weitere Besonderheit in Bartóks Werk bedarf noch der Erwähnung, gerade wenn wir uns zum 3. Klavierkonzert hinbewegen wollen, worin sie eine wichtige Bedeutung erhält. Er war in religiösen Dingen Anhänger des Pantheismus. Damit wollen wir auch einen Irrtum richtigzustellen, da in manchen Beiträgen zu seiner Biografie zu lesen ist, er wäre Atheist gewesen. Darauf weist z.B. der dritte Satz der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ und, gerade deshalb ist die Erwähnung hier von Bedeutung, auch der zweite Satz des 3. Klavierkonzertes hin (eine Begriffserklärung hierzu am Ende des Textes*). Bartok war auch ein glänzender Pianist, der einige seiner Werke auf Tonträger eingespielt hat. Leider konnte sein drittes Klavierkonzert nicht mehr unter ihnen sein.
Béla Bartók war 1940 als Gegner des Faschismus zusammen mit seiner zweiten Ehefrau in die USA immigriert und hatte sich in New York niedergelassen. Doch die schwierigen Lebensumstände, die Bartók als renommierter und geehrter Künstler in Ungarn nicht gewohnt war, belasteten ihn schwer und führten zu einer dreijährigen Schaffenspause. Aber trotz einer lebensgefährlichen Leukämie-Erkrankung war er in seinen letzten Lebensmonaten wieder außerordentlich produktiv.
Mit der Emigration in die Vereinigten Staaten hatte Bartók seine Karriere als Konzertpianist aufgegeben. Diese wichtige Einnahmequelle stand also nicht mehr zur Verfügung. Seine Haupt-Einnahmequelle bestand nun in seiner musikwissenschaftlichen Tätigkeit bei der renommierten Columbia -Universität, die ihm dafür 3000 Dollar Jahreseinkommen zukommen ließ. Allerdings versiegte auch dieses recht bescheidene Einkommen, da der Vertrag über zwei Jahre nicht verlängert wurde, auch weil Bartók schwer erkrankte. Der Verleger Ralph Hawkes schlug ihm bereits im Jahre 1940 die Komposition eines neuen Klavierkonzerts vor, das zur Zentenarfeier der New Yorker Philharmoniker in der Saison 1941/42 mit dem Komponisten als Solist zur Uraufführung gebracht werden könnte. Bartók litt aber so sehr unter den Bedingungen der Emigration, war derart depressiv, dass er bis 1942 gar nichts komponierte. Es wurden in den ersten beiden Monaten des Jahres 1945 jedoch mindestens vier Ersuche an Bartok gerichtet: William Primrose bat ihn, ein Bratschenkonzert zu schreiben, die Verlagsfirma Boosey und Hawkes machte einen Vorschuss für die Schaffung des VII. Streichquartetts flüssig und zwei weitere Aufträge lagen noch von privater Seite vor: Erneut auf die Komposition eines weiteren Klavierkonzertes für ein Klavier bzw. eines Konzertes für zwei Klaviere. Die Besteller der letzten beiden Werke waren ihm jedoch zu unzuverlässig. Aber der Plan eines weiteren Klavierkonzertes (für ein Klavier) beschäftigte ihn jedoch unabhängig von den Ersuchen weiter. In einem Brief an seinen Sohn schrieb er folgendes: „möchte für Mutti ein Klavierkonzert schreiben; der Plan hängt schon seit langer Zeit in der Luft. Wenn Sie es an 3-4 Stellen spielen könnte, so würde dies ungefähr ebenso viel Geld bedeuten, wie die eine der abgelehnten Bestellungen…“
Schließlich machte er sich im Sommer 1945, kurz vor seinem Tod (26. September), aus eigenem Antrieb doch noch an die Arbeit und schrieb für seine Frau, die Pianistin Ditta Bartok geb. Pásztory, sein drittes Klavierkonzert, konnte es aber nicht mehr ganz vollenden. Noch während eines Sanatoriumsaufenthalts arbeitete er an diesem Klavierkonzert und verstarb dabei. Die letzten siebzehn Takte blieben uninstrumentiert. Tibor Serly, ein Schüler Bartóks, der auch das Fragment des Bratschenkonzerts zu vollenden hatte, vervollständigte die Partitur. Bei dessen dritten Satz fehlten auch noch die Vortragsbezeichnungen, die dann Eugene Ormandy (als Jenö Blau ebenfalls ungarischer Abstammung), Lajos (Louis) Kentner und Erwin Stein einfügten. Ursprünglich sollte Ditta Bartók geb. Pásztory das ihr zugedachte Konzert 1945 in den Vereinigten Staaten uraufführen, doch war sie nach dem Tod ihres Mannes im September des selbigen Jahres nicht dazu in der Lage. Manche Quellen behaupten, dass sie es auch später niemals in der Öffentlichkeit aufführen sollte, andere meinen hingegen, dass sie in den sechziger Jahren sehr wohl das Konzert spielte und sogar eine Aufnahme mit ihr existieren würde. Der Solist der Uraufführung mit dem Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormándy war kurz nach Bartóks Tod, Anfang 1946, der ungarisch-amerikanische Pianist und Klavier-Schüler Bartóks György Sándor, der das Werk folgendermaßen kommentierte: „Es hat ein wunderbares inneres Gleichgewicht, ist voll Humor, in sich vollends erfüllt. Während das erste (Klavierkonzert) sich mit dem Problem der Oktaven auseinandersetzt, das zweite mit den Akkorden, verzichtet das dritte völlig auf Effekte.“
Das dritte Klavierkonzert ist also das letzte fast vollendete Werk Bartóks und ein ergreifendes Zeugnis für seinen luziden Spätstil.
Manche Betrachter meinen, der weiche, lyrische Grundcharakter des Werkes rühre daher, dass es ein Konzert für eine Pianistin sei. Tatsächlich behandelt Bartók den Solopart weder schlagzeugartig wie im ersten Konzert noch kompakt wie im zweiten, sondern er verzichtet auf allen spieltechnischen Prunk zugunsten einer überaus melodischen, kantablen Grundhaltung, die dem Klavier außerordentliche Feinheit und Geschmeidigkeit abgewinnt. Auch die Orchesterbehandlung ist eine gänzlich andere.
Schon beim ersten Hören fällt auf, dass Bartok den Weg zurück zur Diatonik gefunden hat, sogar eine starke Annäherung an den traditionellen Dur-Moll-Klang im romantischen Sinn, ganz im Gegensatz zum Bartok-Stil der dreißiger Jahre. Zudem bemerkt man eine Annäherung, oder besser gesagt vielmehr eine Rückkehr zu den klassisch-romantischen Akkordverbindungen, zur Abschwächung der Verwendung von Dissonanzen und zu den einfacheren tonalen Beziehungen. Und eine Rückkehr zu den einfachen klassischen Formen. Da scheinen wieder die „Kammerkonzerte“ Mozarts mit ihren wohl geformten Proportionen, die klassischen Modelle auf.
Dietmar Holland beschreibt das Konzert so (in „Der Konzertführer“): „Das Konzert beginnt denn auch mit einem Solothema auf einem summenden Untergrund der Streicher, das in schlichter Einstimmigkeit (mit Oktavverdoppelung der linken Hand) erklingt. Es stammt aus der rumänischen Volksmusik, aber wie aus ferner Erinnerung heraufgeholt. Der damit angeschlagene leichte Parlandostil prägt das gesamte Konzert; es gibt nicht mehr das Hämmern des ersten und die Kraftentfaltungen des zweiten Konzerts. (Anm.: Beide Konzerte hatte Bartok für sich selbst geschrieben.) Es scheint, als beginne die Stimme der Natur selber zu klingen. Plastische und helle Klangfarben herrschen vor, und die von Bartók immer wieder beschworenen Vogelrufe schallen in das luftige Tongewebe hinein. Es gibt auch keine Konflikte mehr; der Satz kennt keine scharfen Kontraste. Der Vorwurf, Bartóks schöpferische Kräfte hätten ihn im Angesicht des Todes verlassen, ist unhaltbar. Die Einfachheit der Faktur und die Schlichtheit des Tonfalls sind die Essenz einer langen kompositorischen Erfahrung. Ob Bartók in diesem Konzert bewusst Abschied von der Welt nehmen wollte, wissen wir nicht, aber der fast ‚verklärte‘ Tonfall könnte einen Hinweis darauf geben, ohne die ‚Weihe‘ des ‚letzten Werkes‘ überstrapazieren zu müssen. Möglicherweise machte sich Bartók auch (verständliche) Illusionen über seine Genesung und dachte sogar an eine Rückkehr in die Heimat. Der sanfte Charakter des Werkes ist jedenfalls unzweifelhaft eine musikalische Huldigung, ein künstlerisches Vermächtnis an Ditta Pásztory.“ Soweit Dietmar Holland.
Im Zusammenhang mit seinen früheren Konzerten betonte Bartok folgendes: „Keines meiner zwei Klavierkonzerte habe ich für ein vom Orchester begleitetes Klavier, sondern für Klavier und Orchester geschrieben.“ Diese Feststellung gilt ebenfalls weniger für das 3. Klavierkonzert, wenigstens nicht für das Verhältnis zwischen Klavier und Orchester in den beiden Ecksätzen. Hier hat das Klavier die führende Rolle und den Vorrang bei der Vorführung und Anregung der wichtigeren Themen; das Orchester begnügt sich dagegen, hauptsächlich im ersten Satz, mit der Funktion, einen Hintergrund zu schaffen, Ideen fortzuspinnen und zu ergänzen, ebenso wie dies in der romantischen Klavierkonzert-Tradition üblich war. Auf den meisten Partiturseiten gesellt sich eine auffallend dünne und durchbrochene Orchesterfaktur zur Klavierstimme. Das Orchester, im Sinne der Bartók´schen Praxis mittelgroß, erklingt lediglich an gewissen Stellen des abschließenden Satzes in vollem Tutti; an anderen Stellen sind die Instrumente in kleinorchestralen und kammermusikartigen Kombinationen miteinander verbunden. Das Allegretto des ersten Satzes hat eine der traditionellsten Sonatenformen Bartoks, auch hier darf man sofort zurück an Haydn oder Mozart denken. Auch das Klavierkonzert in G von Maurice Ravel, mit dem es sich manchmal eine Platte oder CD teilt, wirkt wie ein gar nicht so fern verwandtes. Äußerst ökonomisch, fast eng bemessen. Exposition 74 Takte, Durchführung 43 Takte und eine regelgerecht wiederkehrende Reprise, deren Umfang fast mit der Exposition identisch ist. Auch bezüglich der Tonarten findet man sich gut zurecht. Auf E-Dur als Grundtonart folgt nach den Modulationen der Überleitung das terzverwandte G-Dur im Nebensatz. In der Durchführung reihen sich folgende tonale Ebenen mit einer großen Sekund-Verschiebung nebeneinander: As-Dur, B-Dur, C-Dur, D-Dur, E-Dur, Fis-Dur. Ist das ein gedankliches Zurückkommen auf die Wurzeln oder ein Nachhausekommen?
„Beschwört die Schwerelosigkeit des ersten Satzes in klarer Sicht eine Idylle von Kindheitserinnerungen herauf, dann führt der langsame Mittelsatz in so geheimnisvolle, fremdartige Bereiche, dass Bartók, der überzeugte Pantheist (nicht Atheist, wie Holland schreibt), für diesmal die bei ihm singuläre Bezeichnung „religioso“ wählte, um den Charakter des Satzes zu umreißen. Ungreifbare, gläserne Klänge entfalten eine Tonsprache, die sich von Beethovens ‚Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit‘ aus dem Streichquartett op. 132 unmittelbar herleiten lässt. Hier wie dort steht ein akkordischer Choral – bei Bartók dem Klavier zugewiesen – fließenden, kanonischen Streicherlinien gegenüber, und das Choral-Thema ist in archaisch wirkende Harmonik gekleidet, die abweisend und vertraut zugleich erscheint, wie eine Tonalität auf zweiter, unwirklicher Ebene. In dem schnelleren Mittelteil ertönen wieder, als Stimme der Natur, die Vogelrufe, wie sie Bartók bei einem Erholungsaufenthalt in North Carolina gehört und aufgeschrieben hat.“ (Erneut Dietmar Holland in „Der Konzertführer“.)
György Kroó meint, hier habe Bartók die Vision des „Frühlings“ vor Augen gehabt und deshalb ein „Vogelkonzert“ geschrieben. Die Natur ertönt hier tatsächlich nicht als bedrohliches Nachtstück, wie sonst so häufig bei Bartók, sondern taghell und sorglos. Dann kehrt der Choral wieder, jetzt von den Holzbläsern intoniert und vom Klavier in der Art einer Bach‘schen zweistimmigen Invention begleitet. Die frühere Anspielung auf Beethovens ‚Dankgesang‘ weicht jetzt der Annäherung an den Geist eines Choralvorspiels aus der Zeit Bachs. Der unbeschreibliche Schluss greift jedoch wieder auf die Beethoven-Anspielung zurück und sucht in seinem Tonfall der Weltentrücktheit seinesgleichen. Die Choralvariationen Bachs und Beethovens Streichquartette soll Bartok den Erinnerungen Tibor Serlys nach in seinen letzten Lebensjahren ständig zur Hand gehabt haben. Bei Beethoven ist der Klang mit dem einheitlichen Stoff des Streichquartetts aufgebaut. Bartok hingegen nutzt die Möglichkeiten der Gegensätze, des Dialoges aus, indem er das Zwischenspiel dem Streichorchester und die Choralzeilen dem Soloklavier anvertraut. Nun bildet die Musik eine sanftere und lieblichere Umgebung als die drohende, barbarische oder kosmische, „nächtliche“ Natur früherer Werke Bartóks (z.B. „Allegro barbaro“ oder „Der Wunderbare Mandarin“). Beim Lesen des vielsagend-religiösen Titels in Beethovens Werk „Dankgesang eines Genesenen“ muss man wiederum an das persönliche Schicksal Bartoks denken, der sich zu diesem Zeitpunkt noch an die Illusion einer vorübergehenden Besserung geklammert haben muss.
„Das Rondo-Finale mit seinem „euphorischen Schweben“ (G. Kroó) besteht aus einem rhythmisch profilierten Tanzthema und einer durchsichtigen, ja ‚ätherischen‘ Fugen-Episode, in der Bartók zum letzten Mal alle Register seiner kontrapunktischen Kunst zieht“, so Dietmar Holland in seinem Konzertführer. Hier klingen dann auch die Volkslieder und Tanzmelodien an, die Bartok so gewissenhaft über Jahre hinweg zu Hause in Ungarn und Umgebung gesammelt hat. Schön kontrastierend mit der strengen, barocken Disziplin der kontrapunktischen Zwischenspiele. „Wenn auch dem dritten Klavierkonzert die stählerne Härte des ersten und die konzertierende Bravour des zweiten Konzerts fehlen, so entschädigt es dafür mit einer unvergleichlichen musikalischen Reife und menschlichen Wärme, die jenseits von Kategorien wie Reaktion oder Fortschritt stehen“ (Holland). Es gelang Bartók nochmals und letztmals die „Sentenz der Lebensbejahung“ musikalisch lebendig werden zu lassen, wie er das Programm eines seiner, ähnliche Stimmung verbreitenden abschließenden Sätze, des Finales seines Konzertes für Orchester selbst charakterisierte. Auch aus heutiger Sicht schimmert aber auch mehr als nur ein Hauch Melancholie durch das Werk, nicht zuletzt, weil es nicht nur das letzte Werk des außerordentlichen Komponisten war, sondern auch eines der letzten „großen“ Klavierkonzerte überhaupt.
Last but not least zu erwähnen: Die bezwingende Passage, auch als „Unio mystica“ zu bezeichnen (T.673 – 704, die mystische Erfahrung des Einswerdens mit der höchsten Ganzheit, dem All, Gott, die in Erkenntnis mündet). Bei Bartók bedeutet sie das Ende der Katharsis und mündet ins überschwänglich lebensbejahende Finale. Nur wenige Pianist/innen wissen sich hier soweit zurückzunehmen und nur wenige Dirigenten das Orchester genau so klingen zu lassen, dass die Magie der Stelle spürbar wird.
Die Diskographie, über die Jahrzehnte hinweg betrachtet, wird immer noch von Bartóks Landsleuten dominiert, wovon aber György Sandor als einziger direkt beim Komponisten Klavierunterricht hatte, der übrigens niemals Komposition unterrichtete. Aus der Klasse von Arnold Székely, der zu Bartóks Zeiten ebenfalls an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest Klavier lehrte, stammen Annie Fischer, Edith Farandi, Louis Kentner, auch als Ludwig Kentner bekannt, der aber damals noch auf den Vornamen Lajos hörte und nicht zuletzt ein gewisser György Stern, der unter seinem späteren Namen Georg Solti in unserem Vergleich immerhin noch zwei Mal als Dirigent auftritt. Hinzu kommen noch Géza Anda und Eva Bernathova, die ebenfalls aus Ungarn stammen und in Budapest studiert haben, die „nachgeborenen“ Jenö Jando, András Schiff, Deszö Ranki, Zoltan Kocsis und Klára Würtz und last but not least die Dirigenten Eugene Ormandy, Istvan Kertesz, Adam und Ivan Fischer, Janos Ferencsik und insbesondere Ferenc Fricsay, dem das Konzert ganz besondere Höhenflüge zu verdanken hat. Andere haben es schwer, sich dagegen zu behaupten, aber trotzdem gibt es wenige, die sich rangetraut haben und sogar „Paroli“ bieten können. Deutsche Pianisten sind in unserem Vergleich nicht vertreten.
Das Niveau der gehörten Einspielungen war insgesamt sehr hoch. Zu einem richtigen Missgriff kann es eigentlich beim Kauf gar nicht kommen, selbst die drei letztplatzierten Einspielungen lassen den Geist der Komposition noch wehen, wenn auch nicht in allen Schattierungen.
Falls es von dem betreffenden Pianisten oder der betreffenden Pianistin eine Gesamtaufnahme aller drei Klavierkonzerte von Béla Bartók gibt, wurde das mit einem GA vermerkt. Ein voller Erfolg beim dritten Konzert bedeutet aber nicht unbedingt, dass auch die beiden anderen einspielten Konzerte im gleichen Maß hörenswert sind. Dafür übernehmen wir keine Garantie.
*Der Ausdruck Pantheismus oder Pantheïsmus (von altgriechisch πᾶν pān „alles“ sowie θεός theós „Gott“) bezeichnet religionsphilosophische Lehren, in denen die Allheit des Seins an Stelle des Gottesbegriff steht. Je nach Wortwahl wird die Natur, der Kosmos, die Welt, mit dem Begriff „Gott“ gleichgesetzt. Es ist kein persönlicher bzw. personifizierter Gott vorhanden. Die Allheit des Seins benötigt gewissermaßen keinen Schöpfer, sondern ist in sich vollkommen als das Göttliche zu betrachten. Gegenüber den dualistischen Denkweisen und insbesondere gegenüber der jüdisch-christlichen Schöpfungstheologie werden in pantheistischen Denkweisen die Natur und deren wissenschaftlich beobachtbare Wesentlichkeiten nicht als getrennt von Göttlichkeit betrachtet, vielmehr ist die Natur immanent göttlich. (Zitat aus Wikipedia)
(Genutzt wurde eine Taschenpartitur von Boosey and Hawkes mit der Nummer HPS 100.)
Zitate:
György Sandor:
Bartóks Ruhm als Komponist überschattet fast all seine anderen Tätigkeiten, und es gibt immer weniger Menschen, die ihn spielen hörten oder bei ihm Klavier studierten. (Jetzt nachdem sein Tod bereits fast 80 Jahre her ist, dürfte es wohl überhaupt keinen Ohrenzeugen mehr geben, Anm.) Wenn man von Bartók spricht, gerät man leicht in Superlative; doch kann man sein Spiel und seine Interpretation ruhig unvergesslich und einmalig nennen. Während meines vierjährigen Studiums bei ihm nahmen wir Brahms, Schumann, Scarlatti, Mozart, Beethoven, Bach Strawinsky, Bartók und nochmals Bartók, Liszt und viele andere durch. Bartóks Einsicht in die verschiedenartigen Stile dieser Komponisten war originell und tiefgehend; alles, was er anfasste – sei es als Lehrer oder als Pianist -, wurde zu einer Offenbarung.
Die auffallendste Eigenschaft seines Spiels war vielleicht die Art Freiheit und rubato, die seit Jahrhunderten den Vortrag großer Komponisten kennzeichnet. Ich kann Bartóks Vortragsart in Einzelheiten nicht beschreiben, und leider tun ihm die noch vorhandenen Aufnahmen (fast ausnahmslos schlechte Wiedergaben von Rundfunkaufnahmen, die vor vielen Jahren gemacht wurden, großes Unrecht.
Als Lehrer war Bartók entweder sehr allgemein oder sehr speziell. Selten lehrte er Technik – dazu musste man „üben“. Aber einige höfliche Bemerkungen am Schluss einer Beethoven- oder Schubert-Sonate verursachten eine vollkommen umgeformte, neue Interpretation. Kompromisse gab es nicht; man musste seine Version akzeptieren oder das Ganze lassen. Und offensichtlich war man glücklich, sie akzeptieren zu können.
Antal Dorati:
In diesem Zeitalter der Massen-Auswanderung wird die schreckliche und schwerwiegende Entscheidung Bartóks, Ungarn zu verlassen, leicht unterschätzt. Ich kann mir keinen anderen Menschen vorstellen, dem der Bruch mit seinem Heimatland ein solches Opfer bedeutete. Er war genauso mit der ungarischen Erde verwachsen wie die Trauben der Tokaj. Sich davon loszureißen, war für ihn eine Art Selbstmord. Ich bin fest davon überzeugt, dass seine Jahre des Exils – denn für ihn waren sie genau das – sein Leben verkürzten. Doch sein Leben wäre genauso kurz gewesen, wenn er in Ungarn, in einer unfreien Atmosphäre geblieben wäre. Paradoxerweise wurde gerade er, der eine der geistigen Säulen unseres Jahrhunderts ist – von ihm zermalmt und aufgerieben.
Seine letzten Jahre lagen schwer auf ihm. Er war arm, aber es schien beinahe, als ob er das Leben, das er führte, als einen Teil seines Exils betrachtete. Seine Zweizimmerwohnung in New York war bescheiden und unfreundlich, aber keinesfalls schäbig. Sie hatte seine Würde. Viele Menschen wollten ihn auf verschiedene Arten unterstützen, doch sein übergroßer Stolz machte dies beinahe unmöglich. In seinem Leben musste er so viele Unfreundlichkeiten hinnehmen, dass sein Stolz bloßgelegt war. Trotzdem wurde er von denen, die ihn umgaben, mit viel Güte behandelt – mit so viel, wie er selber zuließ. Seine kleine Entourage war beharrlich, ihm ergeben und liebte ihn aufrichtig.
Paul Sacher:
Wer Bartók begegnete, im Gedanken an die rhythmische Urkraft seiner Werke, war von der schmalen, zarten Gestalt überrascht. Er hatte die äußere Erscheinung eines feinnervigen Gelehrten. Der von fanatischem Willen und unbarmherziger Strenge besessene und von einem glühenden Herzen getriebene Mensch wirkte unnahbar und war von zurückhaltender Höflichkeit. Sein Wesen atmete Licht und Helligkeit. Seine Augen leuchteten mit herrlichem Feuer. In den Strahlen seines forschenden Blickes hatte nichts Unwahres oder Unklares Bestand. Wenn etwa beim Musizieren eine besonders gewagte und schwierige Stelle gut gelang, lachte er knabenhaft übermütig, und wenn er sich über das glückliche Vollbringen einer Aufgabe freute, strahlte er förmlich. Das bedeutete mehr als unverbindliche Komplimente, die ich aus seinem Munde nie vernommen habe.
Bartóks Genauigkeit war erstaunlich. Er trug immer ein Metronom bei sich und kontrollierte damit die Tempi, auch wenn er selber spielte. Seine Partituren erhalten bei jedem Satz, oft nach gewissen Abschnitten innerhalb eines Satzes, die Aufführungsdauer in Minuten und Sekunden angegeben. Seine leidenschaftliche Sachlichkeit durchdrang alles. Er war selber bis ins letzte Detail klar und forderte von jedem das Äußerste an differenzierter Präzision. Dabei zeigte er bei Proben große Geduld und war nie beleidigt oder verletzt, wenn die Verwirklichung seiner Absicht nicht mühelos vonstattenging.
Zusammengestellt am 25.8.2022

Béla Bartok um 1945, Porträt-Foto van Hongaars
Übersicht über die im folgenden besprochenen Einspielungen:
Historische Aufnahmen, eingespielt mit Mono-Technik:
5
Monique Haas
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonie-Orchester (heute: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin)
DG
1954
6:30 9:07 6:42 22:19
5
Julius Katchen
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande, Genf
Decca
1953
6:34 9:13 7:23 23:10
4-5
Louis Kentner
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonie-Orchester (heute: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin)
Audite
1950, Live
6:41 9:57 6:30 23:08
4-5
Annie Fischer
Ferenc Fricsay
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München
Orfeo
1960, Live
7:20 10:43 6:44 24:47
4
Edith Farandi
Hermann Scherchen
Orchester der Wiener Staatsoper
Westminster-Tahra
1953
7:33 11:00 7:36 26:09
4
György Sandor
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
Columbia-CBS
1947
6:17 8:09 6:40 21.06
4
Annie Fischer
Georg Solti
Wiener Philharmoniker
Orfeo
1964, Live
6:56 10:13 6:20 23:39
3-4
Dinu Lipatti
Paul Sacher
Sinfonie-Orchester des SWF, Baden Baden
EMI
1948, Live
7:43 10:27 7:19 25:29
Die Stereo-Einspielungen:
5
Géza Anda
Ferenc Fricsay
RSO Berlin (heute: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin)
DG
1960
7:07 10:16 6:44 24:07
5
Julius Katchen
Istvan Kertesz
London Symphony Orchestra
Decca
1965
7:10 10:54 6:43 24:47
5
Javier Perianes
Pablo Heras-Casado
Münchner Philharmoniker
Harmonia Mundi
2016
7:40 10:09 6:57 24:46
5
Andras Schiff
Ivan Fischer
Budapest Festival Orchestra
Teldec
1995
7:36 9:42 6:40 23:58
5
Zoltan Kocsis
Ivan Fischer
Budapest Festival Orchestra
Philips
1984
6:57 9:26 6:08 22:31
5
Stephen Bishop-Kovacevic
Colin Davis
BBC Symphony Orchestra, London
Philips
1975
7:03 10:56 6:16 24:15
4-5
John Ogdon
Sir Malcolm Sargent
New Philharmonia Orchestra, London
EMI
1965
7:06 10:07 7:28 24:41
4-5
Eva Bernathova
Karel Ancerl
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1961
6:59 10:22 6:46 24:07
4-5
Peter Donohoe
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1992
6:58 10:50 7:00 24:48
4-5
Hélène Grimaud
Pierre Boulez
London Symphony Orchestra
DG
2004
7:25 11:12 6:53 25:30
4-5
György Sandor
Michael Gielen
Pro Arte Orchester, Wien (Wiener Symphoniker)
Vox
1958
5:47 9:47 6:19 21:53
4-5
Russell Sherman
Michael Gielen
Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden (SWF)
Arte Nova
1989
7:05 10:07 6:47 23:59
4-5
Vladimir Ashkenazy
Georg Solti
London Philharmonic Orchestra
Decca
1978
6:57 10:49 6:15 24:01
4-5
Deszö Ranki
Janos Ferencsik
Ungarisches Staatsorchester (heute: Ungarische Nationalphilharmonie)
Hungaroton
1975
6:58 9:22 6:16 22:36
4-5
Klára Würtz
Theodore Kuchar
Janácekova filharmonie Ostrava (Janacek-Philharmonie-Ostrau)
Berlin Classics, Brilliant
2008
7:15 9:35 6:44 23:34
4-5
Jonathan Biss
James Levine
Münchner Philharmoniker
Oehms
2003, Live
7:03 10:29 6:52 24:24
4
Jenö Jando
András Ligeti
Budapest Symphony Orchestra (eigentlich das Orchester des Ungarischen Rundfunks und Fernsehens)
Naxos
1994
7:25 9:27 6:23 23:15
4
György Sandor
Adam Fischer
Ungarisches Staatorchester (heute: Ungarische Nationalphilharmonie)
Sony
1989
6:08 9:20 6:17 21:45
4
Martha Argerich
Claus Peter Flor
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
RCO Live
1993, Live
6:43 9:53 6:03 22:39
4
Yefim Bronfman
Esa-Pekka Salonen
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1993
7:14 10:16 6:54 24:24
4
Philippe Entremont
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1967
7:40 10:39 7:20 25:39
4
Martha Argerich
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
EMI
1997
7:13 10:44 6:40 24:37
3-4
Yefim Bronfman
Valery Gergiev
London Symphony Orchestra
LSO Live
2015
7:31 9:00 6:42 23:13
3-4
Huseyin Sermet
Naoto Otomo
Tokyo Symphony Orchestra
Auvidis
1998
7:25 10:56 6:38 24:59
3-4
Pina Napolitano
Atvars Lakstigala
Lepaja Symphony Orchestra
Odradek
2015
8:32 10:44 7:43 27:19
Vergleichende Rezensionen der Einspielungen im Detail:
Historische Aufnahmen, eingespielt mit Mono-Technik:
5
Monique Haas
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonie-Orchester (heute: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin)
DG
1954
6:30 9:07 6:42 22:19
Insgesamt liegen uns vier Einspielungen mit Ferenc Fricsay am Pult vor. Dies ist die erste Studio-Aufnahme in der Ferenc Fricsay das Konzert dirigiert. Sie wird flankiert von der ersten Stereo-Aufnahme des Werkes mit Géza Anda und zwei weiteren Mono-Einspielungen, die während Live-Konzerten mitgeschnitten wurden. Vom orchestralen her bringt sie bereits fast alles mit, was auch die sechs Jahre später entstandene Referenz-Aufnahme mit Anda auszeichnet und übertrifft die beiden Live-Aufnahmen auch klangtechnisch deutlich.
Monique Haas war damals bereits bestens mit dem Konzert vertraut, denn sie spielte es schon wenige Monate nach der Uraufführung durch György Sandor und Eugene Ormandy öffentlich. Unter anderem mit Schmidt-Isserstedt in Hamburg. Ihr Spiel wirkt in dieser Aufnahme deutlich weicher gerundet und mit etwas wärmerem Ausdruck als später mit Anda, aber auch, die Verallgemeinerung sei erlaubt, als die meisten hier vertretenen Landsleute des Komponisten. Dabei kann man ihr Spiel ebenfalls als anti-romantisch, rhythmisch betont und klar bezeichnen, aber so ultimativ akzentuiert und sozusagen mit voller Stimme gesungen wie dies bei Anda der Fall ist.
Trotz des frühen Aufnahmedatums schwingt der Klavierklang von Monique Haas bereits gut aus und er wirkt erstaunlich natürlich. Ihr warm getöntes, geschmeidiges Spiel mit einem sensiblen Anschlag, ohne Härte, aber auch ohne die aufgedunsene Weichheit, wie man sie später oft hören kann (auch bei Vladimir Ashkenazys Aufnahme für Decca), wirkt nie verschwommen und kommt dem zweiten Satz besonders zugute. Teilweise spielt sie den Satz wie ein Bach´sches Cembalostück, fast ganz ohne Pedal. Der Orchesterpart wirkt bereits stark aufgelichtet, transparent und ausdrucksvoll. Diese Eigenschaften finden wir übrigens bei allen vier Aufnahmen mit Ferenc Fricsay, soweit es die jeweilige Technik erlaubt.
Im dritten Satz, mit dem hervorragend transparenten Fugato, fällt eine weitere Eigenschaft Monique Haas besonders auf: Ihre Fähigkeit zu einem enorm zurückgenommenen p-Spiel, auf das allzu viele Pianisten-Kollegen und in geringerem Maß auch Kolleginnen gerne nonchalant hinweggehen. Sie hält es zudem rigide durch, auch wenn das Orchester einsetzt. Allerdings hat sie mit Fricsay auch einen Partner an ihrer Seite, der einen extrem aufmerksamen Blick auf ein nahtloses Zusammenspiel hat und dem es so auch gelingt, den Klavierpart in allen Nuancen offenzulegen. Weiterhin wird das Orchesterspiel vom typischen Fricsay-Feuer belebt, von dem auch die Pianistin nachhaltig beeinflusst scheint. Und (wieder einmal) wird der Gestus von dem schneidig-frischen ungemein kraft- und ausdrucksvollen Blech geprägt, das eine Zierde für jedes hier gehörte Orchester wäre (Ausnahme ist das LSO, vor allem mit Kertesz, weniger mit Boulez, dessen Blechbläser mit den Berliner Kollegen in diesem Klavierkonzert mithalten können). Der Gestus wirkt vornehmlich gefühlvoll, aber auch klar und straff. Die antiromantische Haltung der Pianistin (sie spielte außer Schumann und Chopins Étuden keine Romantiker!) geht mit dem idiomatisch wirkenden Temperament des Dirigenten und der Strahlkraft des Orchesters eine glückliche Verbindung ein.
Der Klang der Aufnahme ist erheblich transparenter und deutlicher als der der zeitgenössischen Live-Aufnahmen, auch der des zehn Jahre später entstandenen Mitschnitts mit Annie Fischer und Georg Solti. Und er erreicht fast schon die Präsenz der späteren Stereo-Einspielung mit Anda. Er wirkt bereits recht natürlich, gut konturiert und sogar ein wenig räumlich. Allerdings klingt die Aufnahme etwas stumpfer, also weniger brillant als der Jahrgang 1960. Die Streicher wirken ein wenig zurückgesetzt und generell fehlt es am Bassfundament.
▼ weitere Aufnahmen mit Ferenc Fricsay weiter unten in der Liste
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5
Julius Katchen
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande, Genf
Decca
1953
6:34 9:13 7:23 23:10
Deutlich vom Klavierklang der ungarischen Pianistenschule unterscheidet sich bereits in der älteren der beiden Einspielungen der Klang des Klaviers von Julius Katchen. Die Rhythmik des Anschlages wird bei ihm nicht so sehr auf Härte getrimmt, sondern wirkt besonders geschmeidig. Dabei werden auch bei Ihm, darin Anda nicht unähnlich, die Bögen mit viel Spannkraft gestrafft. Das Perkussive als ein Parameter des Klavierspiels hat bei ihm nicht die allergrößte Bedeutung. Er spielt mit der Wärme und Leichtigkeit des Mozart- und Brahmsinterpreten. So wird das rückblickend-klassizistische, das dem Werk eigen ist, deutlicher herausgestellt. Zurück zu den Wurzeln also, ohne das neu hinzugewonnene zu vernachlässigen. Der Gestus wirkt so introvertierter. Gegenüber der zweiten Einspielung Katchens mit dem LSO und Istvan Kertesz zwölf Jahre später hat das Orchester nicht ganz dieselbe Klasse, aber trotz der hellen Violinen kann das Schweizer Vorzeigeorchester dieses Mal durchaus überzeugen.
So gelingt das Streichergewebe zu Beginn des zweiten Satzes ungleich feiner differenziert als es beispielsweise bei Scherchen und den Wienern gelingt. Katchen versteht es ganz besonders, die leisen Töne farbkräftig auf Linie zu bringen, dabei verbindet es sein Spiel noch mit sehr hohem Differenzierungsvermögen und einer fabelhaften Legato-Technik. Und wir wollen es nicht vergessen: Immer wieder begeistert der warm-weiche Klang, dem Härte fremd ist und der dem Satz eine schillernde Farbenvielfalt verleiht und die Selbstverständlichkeit, wie er die leisesten Töne zum Klingen bringt. Darin wird er vom OSR sehr gut unterstützt, wobei das Holz nicht unbeeinträchtigt von Intonationstrübungen spielt, aber es bleibt dezent. Teilweise nimmt sich Katchen so weit zurück, dass sein Spiel anmutet wie fürs stille Kämmerlein bestimmt, aber die Vortragsbezeichnungen Bartóks geben ihm auf der ganzen Linie recht. Die gut neun Minuten des zweiten Satzes vergehen bei ihm wie im Flug, obwohl es sich um eine vom Gestus her trotz des zügigen Tempos meditativen, sehr ruhigen Darstellungen des Satzes handelt.
Durch die vorsichtig zurückgenommene Gangart im dritten Satz wirkt die Stimmung ein wenig gedämpfter als bei schneidigeren Einspielungen. Aber das völlig mühelose Spiel überzeugt auch so mit einem sensationell schwebenden Fugato und mit hoher Leuchtkraft. Obwohl das OSR einen sehr gut vorbereiteten Eindruck macht, kommt es an die sich übertragende Begeisterung von Fricsays Orchester nicht heran. Das Feuer findet eine Glutstufe niedriger statt. Ebenso wie die orchestrale Kraftentfaltung.
Der Klang wirkt natürlich, aber ohne jeden Eindruck von Räumlichkeit. Die Transparenz ist jedoch sehr gut, es gibt kaum Bass und die Dynamik wirkt eingeebnet. Insgesamt wirkt der Klang ein wenig entfernt und leise, weshalb man unter Umständen die Lautstärke ein wenig nachregulieren sollte. Holz und Blech agieren im Hintergrund, bleiben aber deutlich. Die Gran Cassa klingt erstaunlich satt.
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4-5
Louis Kentner
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonie-Orchester (heute: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin)
Audite
1950, Live
6:41 9:57 6:30 23:08
Durfte György Sandor, ein ehemaliger Schüler der Klavierklasse Bartóks, die Uraufführung des 3.Klavierkonzertes spielen, so wurde Louis Kentner, auch unter dem Vornamen Lajos oder Ludwig bekannt, bereits für die Ungarn-Première des 2. Klavierkonzertes (1933) und Europa-Première des 3. ausgewählt. Er genoss ja in etwa zeitgleich den Unterricht in der anderen (von Arnold Szekély geleiteten) Klavier-Klasse der Franz-Liszt-Akademie zu Budapest, in der auch Annie Fischer, Edith Farandi und Georg Solti, der damals noch György Stern hieß, unterrichtet wurden.
Sein Klavier in diesem Mitschnitt des RIAS aus dem Titania-Palast zu Berlin klingt erheblich temperamentvoller und viriler als das von Monique Haas oder Annie Fischer. Sein Klavier ist auch viel lauter und präsenter abgebildet. Er kommt in seiner Spielweise Géza Anda sehr nahe. Dieser Bartók hat viel Schwung. Sein harter, treffsicherer Anschlag kommt kraftvoll und schnell wie „aus der Pistole geschossen“. Auch hier hören wir bereits das fast einzigartig strahlkräftige RIAS-Blech, das vom Komponisten jedoch nur selten eingesetzt und noch seltener richtig urig gefordert wird. Kleine unbedeutende Missgriffe in diesem Satz seitens des Pianisten sind den Live-Bedingungen geschuldet und haben eigentlich die Erwähnung gar nicht verdient..
Im zweiten Satz wird es deutlicher, dass das p-Spiel des Pianisten zu laut ist oder zu laut eingefangen wurde, jedenfalls wirkt es erheblich perkussiver als das der beiden Pianistinnen der Fricsay-Aufnahmen, Anni Fischer und Monique Haas. Trotz des staunenswerten Dynamik -Umfangs, über den Kentner verfügt, geht dem Satz so ein wenig meditative Ruhe in den betreffenden Passagen ab. Das Orchester wurde bereits vier Jahre nach seiner Gründung bestens auf Bartok eingeschworen., wenngleich es ohne Intonationstrübungen, vor allem beim Holz, noch nicht ganz auskommt.
Der erste und dritte Satz scheinen dem Pianisten aber auch besser zu liegen als der zweite, denn im dritten hören wir Louis Kentner als ein wahres Temperamentsbündel, das in Fricsay einen Wesensverwandten zu treffen scheint. Das Concertare leidet indes ein wenig darunter, denn das Holz wird bisweilen vom mächtigen Flügel zugedeckt. Diese Einspielung ist ideal geeignet, die Klavierstimme zu verfolgen, selten einmal stört das Orchester seine Kreise. Die „Wahnsinns-Stretta“ setzt mit mitreißendem Impetus dem Satz die Krone auf.
Der Klang ist für einen so betagten Live-Mitschnitt außerordentlich transparent, vor allem das Klavier ist ungemein präsent. Leider verhält sich das Publikum sehr unruhig. Das Holz wird vom enorm dynamischen Klavier mitunter zugedeckt.
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4-5
Annie Fischer
Ferenc Fricsay
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, München
Orfeo
1960, Live
7:20 10:43 6:44 24:47
Hier liegt ein Mitschnitt des Bayerischen Rundfunks vor, bei dem die Pianistin ihren Part dynamisch und weitgehend klar und deutlich umsetzt. Das Münchner Orchester wirkt nicht so bedingungslos auf ihren Dirigenten eingeschworen wie das Berliner, spielt seinen Part aber ausdrucksvoll, Das Zwingende der Aufzeichnungen aus Berlin will sich nicht so recht einstellen.
Der zweite Satz beginnt mit einer zarten, poetisch wirkenden Streichereinleitung, wobei Annie Fischer mit ihrer Gestaltung nicht zurücksteht. Ihr p-Spiel wirkt überzeugend, ihr f beherrscht. Hier perlt der Klavierklang sehr schön. Das Vogelgezwitscher des Holzes wirkt nicht immer ganz deutlich, phasenweise wackelt auch in München die Intonation ein wenig. Fischers Vortrag hebt den schmerzbestimmten Ausdruck etwas stärker hervor als Monique Haas. Bei T. 128 lässt Fricsay das Tam-Tam förmlich „aufschreien“. Die expressive Gestaltung des zweiten Satzes gefällt sehr.
Im dritten Satz, der erneut mit einem außerordentlich temperamentvollen Fricsay-Finale endet, erfreut eine enorm präsente Gran Cassa, während die Blechbläser an die fast unheimliche Präsenz der Kollegen des RIAS nicht herankommen. Im Vergleich zur Berliner Produktion mit dem RSO und Anda aus demselben Jahr wirkt die Münchner vergleichsweise schemenhaft, da fehlt der Aufnahmetechnik ein Quantensprung.
In München dominiert das Klavier, dem Orchester fehlt noch Transparenz und noch mehr Präsenz. Das Holz wirkt entfernt, die Streicher spielen mit wenig Volumen und Glanz. Der Gesamtklang wirkt vergleichsweise stumpf und matt. Das Publikum in München war hingegen viel disziplinierter als bei der Berliner Live-Aufnahme mit Kentner.
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4
Edith Farnadi
Hermann Scherchen
Orchester der Wiener Staatsoper
Westminster-Tahra
1953
7:33 11:00 7:36 26:09
Die Einspielung Edith Farnadis überzeugt insbesondere durch ihr rhythmisch gespanntes Klavierspiel, das jedoch nicht ganz mit der Kraftentfaltung eines Anda oder Kentner imponiert und auch nicht über die Wärme von Monique Haas verfügt. Scherchen und das Wiener Orchester verfügen nicht über den idiomatischen Bartók-Ton Fricsays, manches Motiv wirkt etwas übertrieben in der Phrasierung und gestelzt. Die Wiener Oboe dominiert den Holzbläserklang über Gebühr, das wollte Bartók wahrscheinlich nicht.
Die Streicher zu Beginn des zweiten Satzes wirken ein wenig dünn, ihr undifferenziertes Stimmengeflecht wenig durchgezeichnet. Uns beschlich der Eindruck, dass Scherchen dies bewusst hervorgerufen haben könnte, denn alle anderen Einspielungen klingen mehr oder weniger erheblich deutlicher. Als wolle er eine „Ursuppe“ hervorrufen, woraus sich der Satz erst entwickelt.Das Spiel der Streicher wirkt auch sehr diesseitig, den Hauch Transzendenz, die die besten in diesem Satz hervorzaubern, gelingt ihnen am wenigsten. Ihr rauer Ton scheitert auch beim Versuch eines substanzreichen p-Spiel. Edith Farnadi verfügt, wie auch ihre „Klassenkamerad/innen“ über einen dynamisch sehr weit ausgreifenden Dynamik-Umfang. Es scheint eine ganz besondere Klasse gewesen zu sein, damals in Budapest. Das Wiener Holz dagegen klingt oft viel zu laut und auch nicht immer ganz sauber. So geht viel von der ganz besonderen Atmosphäre dieses ganz besonderen Satzes verloren. Das p klingt mitunter nach voller Lautstärke.
Im dritten Satz wirkt das Orchester mitunter etwas behäbig rhythmisierend, artikulatorisch aber immer deutlich und auch wenn es einmal etwas komplexer wird immer sehr transparent. Das Spiel der Wiener wirkt aber lange nicht so vorantreibend und spannend (darf man sogar überschwänglich schreiben?) wie bei Fricsay in Berlin. Und da hört man auch alles von der Komposition, was bei Scherchens Orchesterleitung bereits das höchste Verdienst ist. Gerne hätten wir auch Edith Farnadi einmal von Ferenc Fricsay begleitet gehört.
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4
György Sandor
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
Columbia-CBS
1947
6:17 8:09 6:40 21:06
Dies ist die Besetzung der Uraufführung. György Sandor soll der einzige ungarische Pianist jener Zeit gewesen sein, der nicht aus Ungarn flüchten musste. Es war zu lesen, dass ihn das amerikanische Lebensgefühl besonders ansprach und er deshalb seiner Heimat den Rücken zukehrte. Seine Einspielungen gehören zu den schnellsten und seine älteste ist die schnellste überhaupt. Zudem erschien sie uns zwar impulsiv aber auch betont flüssig. Artikulatorisch führt dies zu Rhythmen, die seltsam ineinander gebunden werden. Gegenüber dem mustergültig genau spielenden Anda wirkt das flüchtig, sogar etwas schnoddrig, hektisch und fast schon ungenau. Man muss ganz genau aufpassen um zu bemerken, dass doch alle Töne gespielt werden und keiner „verschluckt“ wird. In jedem Fall wirkt sein Spiel sehr eigenwillig. Jedenfalls scheint er mit seinem Spiel die Hektik beispielsweise New Yorks vortrefflich in seinen Vortrag eingebunden zu haben. Vielleicht nimmt sie auch Bezug auf Spielweisen, die ihren Ursprung in der spezifischen Volksmusik haben? Es wird auch erwähnt, dass er gerade seine Spielweise der Bartók-Konzerte vor anderen Pianisten heftig zu verteidigen hatte. Es ist anzunehmen, dass er das Privileg Bartóks Schüler gewesen zu sein, dabei als gutes Argument anführen konnte. Dennoch steht er mit seinem „Stil“ ziemlich alleine da, höchstens bekommt er Gesellschaft von Pianisten, die zu ähnlicher, dann aber „richtig ungenauer“ Spielweise kommen, weil es ihnen nicht besser gelingen will.
Es gibt drei Einspielungen von ihm. Zu dieser gesellt sich noch eine Wiener mit Michael Gielen von 1958 und eine späte aus Budapest mit Adam Fischer von 1989, die diese Eigenschaften auch mitbringen, wenn auch in abgemilderter Form. Es ist nun schwer einzuschätzen, was der spezifische Bartók-Ton sei, uns erscheint es jedoch ein anderer zu sein.
Im zweiten Satz geht, zumindest nach dem Hören aller anderen Teilnehmer an unserem Vergleich, das sehr zügige Tempo von Sandor und Ormandy am Gestus eines Adagios glatt vorbei, denn keine(r) nähert sich so weit der acht Minuten Grenze wie die beiden. Das Orchester bietet aber einen sehr schönen transparenten, singenden Streicherklang von seltener Schönheit. Die nun bewegten und auch zart angeschlagenen Klavierakkorde verlieren auch die Statik, die ihnen bei anderen Spielern bisweilen eigen ist. Das Vogelgezwitscher des Holzes ist mitunter auffallend laut und wenig kontrastreich aber bewegt und fröhlich. Das Tempo befördert diesen Ausdruck zusätzlich. Wenn man dies mit Religiosität verbinden möchte, es geht ja hier um ein „Adagio religioso“, ist diese nun viel aktiver als die üblichen eher passiven Darbietungen. Wie so oft bei alten Einspielungen ist auch das Holz aus Philadelphia viel zu laut zu hören, was die Stimmung gefährdet.
Auch hier hören wir eine zügig-sportliche Temponahme ohne die artikulatorische Klarheit eines Anda, Katchen, Bishop oder auch einer Monique Haas. Sandor spielt zwar alles, aber es wirkt quasi nur so „hingeworfen“. Es klingt nur oberflächlich virtuos.
Auf der gerippten LP aus der Bibliothèque national de France hört man nur ganz vereinzelt Laufgeräusche. Der Klang ist erstaunlich frisch für ihr Alter. Die Balance zwischen Klavier und Orchester stimmt, ebenso die Transparenz. Der Gesamtklang wirkt bereits recht natürlich und wirkt auch heute noch anhörbar.
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4
Annie Fischer
Georg Solti
Wiener Philharmoniker
Orfeo
1964, Live
6:56 10:13 6:20 23:39
Dieser Mitschnitt des Österreichischen Rundfunks aus Salzburg gehört, wenn schon nicht vom Datum her, so doch klanglich eindeutig zu den historischen Einspielungen. Einzelnes wirkt sogar erfreulicher als beim vier Jahre älteren Mitschnitt des BR. Der Klang der Violinen der Wiener Philharmoniker klingt auch bei Bartok weich und samtig und das Blech hat mehr Glanz und scheint besser positioniert gewesen zu sein, denn seine Durchschlagskraft wirkt gegenüber dem Sinfonieorchester des BR merklich gesteigert. Annie Fischer erreicht die expressive Dichte ihres Münchner Vortrages jedoch nicht ganz und insgesamt wirkt die Darbietung ein wenig zerfahren, was aber teils auch an der Technik liegt, die dem Klangzauber des Werkes kaum je einmal gerecht wird.
Im zweiten Satz spielt sie erneut mit andächtiger Ruhe und Kontemplation, was von Solti voll und ganz mitgetragen wird, auffallend wieder der süße Klang der Violinen. Selbiges lässt sich auch dieses Mal wieder von den Wiener Oboen nicht sagen.
Im dritten Satz spielen die Wiener erheblich ausgewogener als das LPO in der zweiten Einspielung Soltis 14 Jahre später, aber auch weit weniger aggressiv und aufgeheizt. Einzig das vorwärtsstürmende Finale weiß voll zu überzeugen.
Die Aufnahmetechnik erzeugt einen unausgewogenen Klang, da steht sie der Aufnahme des BR vier Jahre zuvor deutlich nach. Sie könnte, vielmehr müsste viel transparenter sein. Holz und Blech sind nun noch weiter entfernt als beim BR. Was für ein Gegensatz zur fast schon überpräsenten Decca-Einspielung Soltis mit dem LPO.
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3-4
Dinu Lipatti
Paul Sacher
Sinfonie-Orchester des SWF, Baden Baden
EMI
1948, Live
7:43 10:27 7:19 25:29
Paul Sachers Verdienste um Bartók und dessen Musik gebührt ein Ehrenplatz in der Musikgeschichte. Die Freundschaft der beiden reicht bis in das Jahr 1929 zurück. Paul Sacher war direkt oder indirekt der Auftraggeber für die „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Orchester“, eines der Meisterstücke des Komponisten, die „Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug“ und das „Divertimento“. Auch diese beiden können ohne zu Zögern zu den Besten Bartóks gezählt werden.
Dennoch ist der Mitschnitt des Südwestfunks im historischen Vergleich nicht unproblematisch. Das Orchester hat das Werk noch nicht recht verinnerlicht, was man gleich zu Beginn bereits an den ungleichmäßigen Sextolen bemerkt. Im weiteren Verlauf artikuliert es fast schon überdeutlich, aber auch übervorsichtig, als wäre noch nicht genug Zeit in Proben investiert worden. Auch die Präzision des Orchesters entspricht noch nicht dem später von ihm gewohnten. Man braucht nicht daran zu erinnern, dass das damals zeitgenössische Werk für das Orchester absolute Terra incognita gewesen sein dürfte. Die musikalischen Bögen wirken einerseits kurzatmig, wenngleich der Vortrag nicht frei von romantisieren ist. Das Holz ist zudem nicht frei von Intonationstrübungen, was übrigens bei den alten Aufnahmen verstärkt auffällt. Der Pianist spannt hingegen die weiteren Bögen wirkt in seinem Vortrag sicherer und überlegener, an die Spannung der Ungarischen Pianist/innen kommt er indes nicht an. Seine Darstellung wirkt lyrischer, weniger expressiv und nicht so drängend.
Im zweiten Satz spielen die Streicher noch mit viel Vibrato, was unter Rosbaud in diesem Maß sicher nicht unterlaufen wäre. Lipattis p klingt gegenüber z.B. Katchens Darbietung viel zu laut. Jedoch weiß der italienische Pianist sein forte deutlich von seinem p abzusetzen. Der Mittelteil klingt in dieser Einspielung besonders exotisch, man meint sogat Elemente der japanischen Musik herauszuhören. Hier wird auch sehr schön gesteigert. Insgesamt gelingt der Satz jedoch weniger organisch, auch weil dem Orchester noch die Geschmeidigkeit der späteren Jahre abgeht und vor allem das Holz noch ungelöste Probleme mit Atemtechnik, Intonation, Zusammenspiel und Klangschönheit mit zu diesem Konzertabend bringt. Die Oboe ist stets zu dominant. Das Holz als Ganzes droht bisweilen das Klavier zuzudecken und spielt auch schon einmal penetrant im Vordergrund. Mitunter klingt aber auch das Klavier sehr vordergründig und dröhnend. Wir befinden uns ja auch im Jahr 1948, gerade einmal zwei Jahre nach Gründung des Orchesters und gerade einmal drei Jahre nach dem Krieg.
Auch im dritten Satzagiert das Orchester mit wenig Biss und Präzisionsproblemen, das Zusammenspiel erfolgt nicht nahtlos und immer wieder mal stimmt die Balance nicht. Diese Einspielung ist wohl eher als Zeitdokument interessant, vor allem um an den Dirigenten Paul Sacher zu erinnern; für die am Werk interessierten Hörer gäbe es ergiebigere Einspielungen.
Der Klang wirkt unausgewogen. Auffallend sind die deutlichen Bässe, die bei Aufnahmen dieses Alters eher mit ihrem Fehlen auffallen. Das unruhig wirkende Publikum produziert sehr viele Störgeräusche. Das Rauschen wirkt deutlich, die Balance insbesondere zwischen Orchester und Klavier schwankend. Trotz alledem erklingt die Komposition sehr deutlich. Insgesamt für heutige Ohren ziemlich angestaubt.
Die Stereo-Einspielungen:
5
Géza Anda
Ferenc Fricsay
RSO Berlin (heute Deutsches Symphonie-Orchester Berlin)
DG
1960
7:07 10:16 6:44 24:07
GA
Hört man diese Einspielung zum ersten Mal wird man von einer Art überrumpelnden Begeisterung erfasst. Das liegt zum einen an dem sagenhaft energiegeladenen, klaren Spiel Andas, dessen Anschlag bestens konturiert, unerbittlich und straff, dabei jedoch nie steif oder hart klingt, sondern sehr nuancenreich und rhythmisch fast schon perkussiv wirkt. Die melodiösen Passagen werden hingegen im großen, runden Ton gesungen. Zum anderen liegt es an dem leidenschaftlich, beseelten, fast schon inbrünstig empathischen Spiel des von seinem Spiritus rector in ein Präzisionsensemble „auf Speed“ verwandelten Orchesters, das zudem auch mit einer Strahlkraft ausgestattet ist, dass es eine helle Freude ist. Das klingt bei aller Attacke daneben immer auch noch subtil. Alle drei bilden eine Partnerschaft von seltener Einmütigkeit. Ihnen gelingt der besondere Glücksgriff den schwärmerischen Impetus, wahrscheinlich gespeist aus der Liebe zum Werk mit einer kristallinen Präzision und einer besonderen Werkkenntnis zu verbinden. Erst nach dem Vergleich mit den anderen „besten Einspielungen“, zeigt es sich, dass man das eine oder andere tatsächlich anders machen kann, was dann auch überzeugt. Aber wohl kaum besser.
Schwärmen wir noch ein wenig weiter. Pianist und Orchester wirken hautnah an der Partitur dran, sie agieren ungeheuer gedanken- und damit reaktionsschnell, man könnte auch schreiben hellwach, „auf Zack“ oder mit temperamentvoller Lebendigkeit. Das beste Miteinander zeigt sich in einem gemeinsamen Atmen. Man spricht sozusagen buchstäblich und im übertragenen Sinn eine gemeinsame Sprache, was die des Komponisten natürlich miteinschließt. In den früheren Einspielungen Fricsays ist das schon alles irgendwie da (insbesondere in der Studioproduktion mit Monique Haas und live mit Louis Kentner), nun aber erst sozusagen vervollkommnet.
Der zweite Satz gelingt Anda leicht und luzide, jedoch auch mit bohrender Intensität und einem ungeheuer weit gespannten dynamischen Ambitus. Insgesamt werden sozusagen die impressionistischen Elemente mit den expressionistischen glücklich verbunden. Die klare und immens deutliche Phrasierung bekommt bei Anda einen leicht herben Zugriff. Bei ihm wirkt das Konzert enorm kraftvoll. Er schont weder sich, noch seinen Flügel. Auch nicht im eher melancholischen, verträumten, gedankenvollen oder religiös-naturverbundenen langsamen Satz.
Im dritten Satz verfolgt man gebannt sein Klavierspiel, sich fast auf einsamer Höhe befindend, versehen mit einer enormen rhythmischen Clarté. Er scheut auch von artikulatorischen Zuspitzungen nicht zurück. Fricsay und sein Orchester führen gedankenschnell weiter und vergrößern den Impetus Andas noch mit ihrem unnachahmlichen Feuer. Beherzter bekommt man den dritten Satz zumindest in diesem Vergleich nicht zu hören. Beseelte Musikalität verbindet sich mit meisterhafter Beherrschung des Metiers. Das darf man ruhig mal wiederholen. Das Orchester begeistert mit seinem übermütigen rhythmischen Drive, wobei das agile und kraftstrotzende Blech im Finale zum Sahnehäubchen wird. Das Konzert wird hier zur Gänsehautmusik.
Die Musik könnte kaum zu dieser euphorisierenden Wirkung kommen, wenn die Aufnahmetechnik nicht ganze Arbeit geleistet hätte.
Der Klang besticht denn auch mit einer hautnahen Präsenz und Klarheit, wie man sie von den besten „Living Presence“ Mercurys oder den „Living Stereo“ von RCA kennt. Das Klavier wird deutlich hervorgehoben aber doch bestens in das sagenhaft knackig und präzise klingende Orchester integriert. Der Gesamtklang ist sehr farbig und von umwerfender Dynamik. Ein lautes Hören steigert diesen Effekt noch weiter. Wenn man von einer gewissen Trockenheit absieht, die aber irgendwie dazugehört, ist dies eine Aufnahme auf der Höhe der Zeit. Und auch heute noch kaum zu übertreffen, wie der weitere Vergleich noch zeigen wird. Nur was eine ausladende Räumlichkeit oder Staffelung anlangt bieten Aufnahmen späteren Datums mehr, aber oft zum Preis einer Distanzierung und auch nur, wenn man Glück hat.
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5
Julius Katchen
Istvan Kertesz
London Symphony Orchestra
Decca
1965
7:10 10:54 6:43 24:47
Auf demselben Niveau bewegt sich diese Decca-Einspielung Katchens, die seine ältere mit Ansermet im Orchestralen und natürlich klangtechnisch übertrifft.
Zwölf Jahre nach der Genfer Einspielung kommt Katchens Spiel ohne äußerliches Forcieren aus. Ein am Perkussiven orientierter, scharf gewürzter Rhythmus findet man bei ihm nicht. Er brilliert mit dem wunderbar warm, gleichermaßen klar und brillant klingenden Klavierklang des Mozart- und Brahms-Interpreten. Auch seine Expressivität wirkt treffend, betont vielleicht mehr das Traditionelle in Bartoks Werk, während bei Anda der Zugriff moderner, wenn man so will „zeitgenössischer“ wirkt. Das LSO ist ebenfalls hellwach und mit luzidem und zupackendem Spiel zur Stelle. Es brilliert an allen Pulten. Wobei, wie beim RSO Berlin, das Blech besonders lebendig akzentuiert und mit zupackendem Biss an den von Bartók autorisierten Stellen begeistert. Das gemeinsame Konzertieren gelingt nahtlos. Stets bleibt in diesem Satz ein musikalisch beschwingter, tänzerischer Gestus spürbar.
Im zweiten Satz wählt man ein deutlich langsameres Tempo als Katchen mit Ansermet in der Einspielung von 1953. Der Satzbezeichnung Adagio wird nun besser Folge geleistet. Nicht zuletzt durch den volleren, leuchtenden Klang bei den Violinen wird ihm nun viel mehr Klangzauber verliehen. Das Tempo befördert das „Religioso“ des Satzes ungemein. Auf Katchens prallen und schimmernden Klavierklang und den hervorragend fokussierten, aber dennoch exquisit runden Anschlag kann man sich nun voll einlassen, denn er wird nun noch räumlicher und in realistischer Expansion in den Hör-Raum gestellt, als im ersten. Mit seiner ganzen dynamischen Spannweite, die bei diesem Pianisten von einem denkbar leisen piano ausgeht, das sonst keinem Kollegen oder auch keiner Kollegin so beeindruckend gelingt. Niemand traut es sich, so leise zu spielen. Bei stets präsenter Wärme. Kaum einmal gelingt der langsame Satz so bezaubernd.
Mit Kertesz und dem LSO an seiner Seite gelingt der dritte Satz nun viel vitaler und temperamentvoller als mit Ansermet. Das wirkt so noch lebensbejahender, teils gar ausgelassen. Wärme und Spannkraft wirken kaum einmal so gut vereint wie in dieser Einspielung. Nun durch die verbesserte Klangtechnik, die das Orchester noch leuchtkräftiger und mit berstender Energie und einer sagenhaften Strahlkraft abbildet, gelingt es noch besser. Das Spiel hat einen enorm schwungvollen Drive. Kertesz wandelt auf Fricsays Spuren.
Auch der Klang der Decca-Aufnahme ist sehr präsent, dynamisch und unmittelbar, die Dynamik ist urwüchsig. Die Transparenz ist hervorragend, die Staffelung sehr gut und darin der DG-Aufnahme von 1960 mit Anda und Fricsay noch überlegen. Der Sound aus den besten Jahren der Decca-Analog-Zeit klingt zudem auch noch plastisch und körperhaft. Der Gesamtklang wirkt natürlich und wärmer als der Berliner-DG-Sound abgestimmt. Wir wollen nun keine Goldwaage zum Messen heranziehen, aber uns erschien die Dynamik der DG-Einspielung noch ein bisschen druckvoller. Gegenüber der Konkurrenz aus eigenem Hause stellt der 65er Jahrgang gegenüber dem 53er einen Quantensprung dar und den 78er von Ashkenazy-Solti übertrifft er an Glanz und Natürlichkeit ebenfalls.
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5
Javier Perianes
Pablo Heras-Casado
Münchner Philharmoniker
Harmonia Mundi
2016
7:40 10:09 6:57 24:46
Mit einem wiederum ganz anderen Zugang als die beiden Vorgänger in unserer Liste nähern sich Javier Perianes und Pablo Heras-Casado dem Werk. Zu Beginn nachdenklich, fast schon melancholisch-bedächtig beginnt Perianes das Konzert. Sehr sensibel und differenzierend abgetönt wirkt sein Anschlag, im Verlauf des Werkes jedoch auch ordentlich zupackend, wo dies geboten erscheint. Sein Klavierklang passt sehr gut zum weich gerundeten Sound des kultiviert und eher klangsatt als schlank aufspielenden Münchner Orchesters. An Deutlichkeit, Rhythmusgefühl und spannender Phrasierung mangelt es dieser Einspielung keineswegs, wenngleich der feurige Gestus von Anda und Fricsay nicht erreicht wird. Insgesamt wirkt der erste Satz in dieser spanisch-deutschen Produktion mehr lyrisch empfunden und empfindsam. Jede Phrase wirkt eloquent und sinnvoll in den Zusammenhang gestellt. Jederzeit hat man das Gefühl, dass jeder weiß, worum es geht und einem schlüssigen Konzept folgt. Ach ja: Bestes Concertare auch hier, wenngleich es nicht so wie aus einem Geist heraussprudelt wie frisches, klares Quellwasser wie bei Anda und Fricsay. Der Klang von Klavier und Orchester hat was sehr sinnliches und wirkt auf eine raffinierte Art tänzerisch. Dieser Eindruck ist uns noch von Perianes´ Version von de Fallas „Nächte in Spanischen Gärten“, einem der letzten Vergleiche bekannt, wenngleich da andere Partner mitwirkten. Der gemeinsame musikalische Atem geht auch bei Bartók vor, die reißerische Attacke kommt erst danach.
Das dem Pianisten auch der zweite Satz besonders liegen würde, war nun schon anzunehmen. Mit filigran anmutender Sensibilität und mit eher grazilen als dicken Pinseln erfolgt der Farbauftrag. Mit Raffinesse und großem Nuancenreichtum bringen Pianist und Dirigent die Musik ausdrucksvoll zum Singen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Vergleich des Orchesters, wenn es das gleiche Stück unter James Levine spielt. Man bemerkt dabei in erster Linie eine bei Heras-Casado gesteigerte, beredtere Eloquenz und eine mehr aus den musikalischen Zusammenhängen entwickelte, weniger aufgesetzt oder spontan wirkende Dynamikentfaltung. Man hört nun auch nach 27 bereits gehörten Vergleichseinspielungen noch gebannt zu. Der Vortrag wirkt inspiriert und eigenständig. Die Philharmoniker gefallen zudem mit gedecktfarbiger erlesener Klangkultur. In diesem Wald zwitschert es in hochgradig raffinierten Klangwelten, bei aller Expression wirkt es ähnlich wie bei Katchen warmherzig, von Andas direkt wirkender, unmittelbar anspringender kristalliner Klarheit unterscheidet sich diese Aufnahme hingegen deutlich.
Im dritten Satz könnte das Orchester an wenigen Stellen etwas besser durchgezeichnet sein, ansonsten imponiert der Klang durchaus. Was hier gegenüber den beiden Vorgänger-Einspielungen an Temperament fehlt wird jedoch durch die fast schon luxurierende Klangfülle nicht ganz kompensiert, aber bei dieser Einschätzung mag der persönliche Geschmack der Hörer/innen auch eine Rolle, vielleicht die entscheidende Rolle spielen. Im gemeinsamen musikalischen Atmen gleicht diese Einspielung der von Eva Bernathova. Das Blech wird gegenüber RSO Berlin und LSO zu sehr in den Gesamtklang integriert um an die noch mitreißenderen Finalwirkungen von Fricsay, Kertesz oder auch, etwas dezenter als bei den beiden Erstgenannten, an Davis oder Sargent heranzureichen. An Klangschattierungen bietet sie mit Katchen am meisten. Insgesamt ist hier ohne Wenn und Aber eine großartige Einspielung gelungen.
Der Klang der aktuellsten Aufnahme des Vergleiches ist weich, räumlich, warm, offen, natürlich und transparent. Dynamisch und fast opulent. Die seidigen Streicher wurden mit viel Glanz aufgenommen. Die Gran Cassa kommt sehr wuchtig. Die Balance ist sehr ausgewogen und das Bassfundament sehr gut. An die pralle Direktheit und spontane Vitalität der Aufnahmen mit Anda und Katchen oder auch Bishop kommt sie nicht heran.
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5
Andras Schiff
Ivan Fischer
Budapest Festival Orchestra
Teldec
1995
7:36 9:42 6:40
23:58
GA
Der Klavierklang von Andras Schiff wirkt lange nicht so perkussiv, rhythmusbetont und kristallin wie der seines Landsmannes Géza Anda. Klanglich steht er dem warmen Klang eines Julius Katchen näher oder auch der weichen Kantabilität einer Hélène Grimaud. Anschlag und Phrasierung wirken jedoch bestimmter und lebendiger als bei der Französin. Die feinsinnige Agogik fällt bei Andras Schiff sehr angenehm auf. Das erstklassige Orchester stimmt in sein lebendiges und gleichermaßen von Cantabilität geprägtes Musizieren ein. Die Soli gelingen ihm sehr deutlich, ohne dass sie technisch eigens ein Spotlight erhalten würden. Das Tutti könnte bisweilen etwas transparenter klingen. Fischer spürt andererseits jedoch auch Stimmen auf, die sonst kaum auffallen.
Im zweiten Satz wirkt klanglich noch präsenter und plastischer als der erste. Der „religioso“-Aspekt wird sehr gut umgesetzt, denn man fühlt sich in gewisser Weise an ein Gebet erinnert. Die Vogelstimmen klingen nun besonders plastisch. Das beinahe inbrünstige Musizieren erfolgt, ähnlich wie bei Katchen und Perianes mit viel Wärme und Liebe zum Detail.
Das vitale Musizieren im dritten Satz geht noch ein wenig über das bei Perianes Gebotene hinaus, vorantreibend, aber pianistisch immer leicht und locker und sehr spritzig. Schiff verzichtet auf aufgesetzten Donner, dafür, nähert sich sein Gestus mit beschwingter, fingerfertiger Élégance dem Spiel einer Grimaud, der er jedoch ein Mehr an Kraft voraushat. Das Finale wirkt auch in dieser Darbietung toll, denn das Orchester macht einen hellwachen und sehr motivierten Eindruck. Insgesamt bleibt das sprechende Klavierspiel auf allerhöchstem Niveau Schiffes bei dieser Einspielung am meisten im Gedächtnis haften.
Klanglich wird das Orchester sehr gut gestaffelt, das Klavier leicht nach vorne gezogen. Die Balance ist dennoch sehr gut.Der Gesamtklang wirkt weich und abgerundet, farbig und dynamisch. Verschiedentlich hörte man Schlechtes für die Einspielung und ihre n Klang, dem kann man überhaupt nicht zustimmen. Wenn man jedoch die großartige Clarté und feurige Grandezza von Anda und Fricsay im Ohr hat, muss man sich ein wenig umgewöhnen.
▼ eine weitere Aufnahme von Ivan Fischer weiter unten in der Liste
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5
Zoltan Kocsis
Ivan Fischer
Budapest Festival Orchestra
Philips
1984
6:57 9:26 6:08 22:31
GA
LP Erstaunlich an dieser Einspielung ist unter anderem, dass sich bereits ein Jahr nach der Gründung des Orchesters 1983 durch die beiden sich auch in dieser Einspielung zusammengefundenen Protagonisten ein Niveau erreicht wird, das sich in nichts von dem der obigen Einspielung mit Andras Schiff als Pianisten 13 Jahre später unterscheidet. Auch pianistisch unterscheiden sich die beiden Einspielungen nicht in ihrem extrem hohen Niveau. Zoltan Kocsis scheint jedoch mit etwas mehr jugendlichem Antrieb und Musizierlust zu Werke zu gehen. Auch etwas nachdrücklicher und manchmal auch eiliger als ein Ashkenazy. Sein Anschlag wirkt ein wenig kerniger, jedoch ohne Härte (Bösendorfer), sein Spiel ist reich an differenzierter Dynamik, griffig, durchaus auch einmal deftig zupackend. Darin ist er seinen ehemaligen Kommilitonen (sie besuchten wie die großen „Alten“ ebenfalls die Franz-Liszt-Akademie in Budapest und hatten alle drei dieselben Lehrer) Quäntchen voraus. Beide verlieren aber nicht das grundsätzlich Milde dieses Konzertes aus den Augen.
Im zweiten Satz wird dann sein geschmeidiges Spiel mit hoher Leuchtkraft und der weiten dynamischen Spannweite noch ohrenfälliger. Hören wir hier ein in Musik gesetztes Gespräch mit Gott? Das Orchester zeigt eine exquisite Klanggebung und ein außerordentliches Espessivo (z.B. T. 122).
Der dritte Satz gelingt vorantreibend und wird mit freudiger Abenteuerlust gestaltet. Es wird (gemeinsam mit dem Orchester) mit stark kontrastierenden Gegensätzen gearbeitet, besonders dynamischer, aber auch artikulatorischer Natur. Kocsis´ Spiel begeistert auch im rasanten Tempo mit perlender Geschmeidigkeit. Der Satz wirkt spannend und gestisch sehr plausibel, dabei sehr klar strukturiert und ausdrucksvoll und mit einer besonders virtuosen Attitüde aufgeladen. Schiffs Darbietung macht dagegen einen etwas reiferen Eindruck und sie klingt auch aufnahmetechnisch noch etwas ausgewogener und plastischer.
Noch ein paar Worte zum Klang: er wirkt deutlich klarer, räumlicher und besser gestaffelt als auf der anderen LP mit Deszö Ranki, dem dritten aus der Budapester Klasse. Auch sonorer und fülliger, mit mehr Glanz und Fülle, aber etwas glockig. Gegenüber der Aufnahme mit András Schiff wirkt sie noch nicht ganz frei von frühdigitalen Kinderkrankheiten. Aber die halten sich wirklich in Grenzen und mindern die Freude über diese gelungene Einspielung überhaupt nicht.
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5
Stephen Bishop-Kovacevic
Colin Davis
BBC Symphony Orchestra, London
Philips
1975
7:03 10:56 6:16 24:15
GA
Diese Einspielung erinnert stark an die Aufnahme mit Anda und Fricsay. Auch sie macht pianistisch und orchestral einen rücksichtslos klaren, deutlichen und entschlossenen Eindruck. Der Anschlag erfolgt jedoch nicht mit der ultimativen Straffheit Andas, sodass auch der rhythmische Zugriff ein wenig milder, sehr wohl aber immer noch akzentuiert erscheint. Das Spiel wirkt temperamentvoll und lebendig. Rubato wird in homöopathischer Dosis eingesetzt. Das Orchester gefällt mit intensivem, sehr genauem, pointiertem Spiel. Und die präzise abgesteckte, mitreißende Dynamik begeistert. Man merkt, wie gut die Partner aufeinander abgestimmt sind. Mit Verve werden die Satzhöhepunkte ausgespielt, nicht nur der des ersten Satzes.
Im zweiten Satz sind mehr die lyrischen Qualtäten gefragt, da gefallen zu Beginn gleich die Streicher mit mehr Substanz (als z.B. die des LPO bei Solti) und mehr Feingefühl sehr gut. Im Gleichklang gelingt den Protagonisten ein andächtig gestalteter, demütiger, intensiver langsamer Satz. Das f und ff von Bishop wirkt auch nicht blechern angehaucht oder scheppernd wie bei Ashkenazy, ebenfalls in der Einspielung mit Solti. Auch das p von Bishop wirkt wie der ganze Vortrag einfühlsam und überlegt. Der Zugriff wirkt insgesamt etwas intellektuell und trocken, was wir aber nicht als Manko verstanden haben wollen.
Im dritten Satz agiert das Londoner Blech überaus frisch, aber was sollen wir auch sonst schreiben, den überfallartig präsenten, schneidigen Biss von Fricsays RSO Berlin erreicht es nicht ganz. Aber auch die Brutalität von Soltis LPO nicht (und das ist gut so). Auch das Zusammenspiel wirkt organischer als das der Londoner Konkurrenz mit Solti. Die Gran Cassa wirkt wuchtig. Die pianistische, technische und musikalische Präsenz sorgen für Spannung und einen mitreißenden Impetus mit überlegt abgestuftem Farbenreichtum. Bishops Spiel ist insgesamt nicht so auf „Martellato“ getrimmt, wie das Andas. Diese Einspielung wirkt konsequent vom Anfang bis zum Schluss, hat einen eigenen Ton, ein klares Profil und einen überzeugenden Zuschnitt. Nicht so modernistisch wie Anda/Fricsay, sondern etwas mehr an runder Harmonie orientiert.
Hervorstechend ist die für Philips-Aufnahmen außerordentlich dichte Präsenz, auch hier denkt man sofort an Anda und Fricsay, aber auch an einschlägige „Living Presence“ und „Living Stereo“ - Einspielungen der Konkurrenz. Ob man sich davon inspirieren ließ? Egal, das Ergebnis spricht für sich selbst. Die Aufnahme ist ebenfalls eher trocken, dicht mikrofoniert, sehr transparent und sehr dynamisch. Wer weiträumige Klanglandschaften sucht, wird hier nicht fündig. Gegenüber der Einspielung von Anda und Fricsay, die aber auch wirklich kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen hat, wirkt der Gesamtklang ein wenig weicher und runder.
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4-5
John Ogdon
Sir Malcolm Sargent
New Philharmonia Orchestra, London
EMI
1965
7:06 10:07 7:28 24:41
Nur weil der Klang dieser Einspielung komplett in Richtung f und ff „gerutscht“ ist, haben wir uns entschieden ihr die „5“ zu verweigern. Aus musikalischer Sicht wäre sie sicher gerechtfertigt, denn auch John Ogdons Klavierspiel besticht mit kernigem Ton und weitem dynamischen Ambitus. Sein Spiel wirkt sehr temperamentvoll und enorm akzentuiert, fast wie bei Anda. Sir Malcolm begleitet aus demselben Geist: Musikalisch, genau, sehr akzentuiert und dynamisch. Der erste Satz wirkt besonders kontrastreich.
Da die Streicher das pp zu Beginn total vernachlässigen, klingt es, natürlich, viel zu laut. Das wirft angesichts der Vorschriften des Komponisten und des Satzcharakters Fragen auf, die wir nicht beantworten können. Wir sind uns ziemlich sicher, dass Bartók sich eine mildere Auslegung insbesondere des ersten Abschnitts vorgestellt hat. Was die Situation halbwegs rettet, ist, dass dynamisch immer noch Potential vorhanden ist, um weiter in Richtung f und ff zu steigern. Und es wird weidlich genutzt. John Ogdon nimmt es da etwas genauer als das Orchester. Sein Zugriff bleibt aber auch im langsamen Satz herb, markig und hoch virtuos. Völlig unverzärtelt und kompromisslos expressiv. Hier befindet man sich quasi als Teil der Natur mittendrin, statt nur betrachtend daran teilzunehmen. Pianist und Orchester gehen auch in diesem Satz dynamisch bis an die Grenzen.
Der dritte Satz profitiert vom überaus vitalen, agilen Zugriff und einem frischen, dabei noch nicht einmal übermäßig temporeichen Musizieren. Das Zusammenspiel wirkt eng verzahnt, sehr dynamisch werden die Akkorde hier in die Tasten gemeißelt. Der Gestus wirkt enorm spannend. Das Presto ab T. 643 gefällt. Das Blech im Finale akzentuiert sehr gut, aber nicht so messerscharf präsent und wild-befreit aufspielend wie die Kollegen vom RSO Berlin. Trotz aller Einwände liegt mit dieser Einspielung ein beeindruckender Beitrag zur Diskographie vor, der alleine schon mit pianistischer Potenz, aber auch mit der mitreißenden Musikalität aller Beteiligter beeindruckt.
Klanglich hat sich auch EMI bemüht in die Fußstapfen der 1960er DG-Einspielung zu treten. Präsenz ist Trumpf, ebenso Transparenz und Dynamik. Die Räumlichkeit findet hier sozusagen mehr Platz als bei Anda/Fricsay und Bishop/Davis. Dafür wird es auch schon einmal im lauten Tutti ein wenig dicht und die Transparenz leidet ein wenig. Die Lautstärke scheint ein wenig in Richtung ff verschoben zu sein. Der Dynamik ist hier sozusagen gegenteilig zu der der nächsten Einspielung, der eher leisetretenden Einspielung mit Eva Bernathova und Karel Ancerl.
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4-5
Eva Bernathova
Karel Ancerl
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1961
6:59 10:22 6:46 24:07
Eva Bernathova dürfte den wenigsten Hörern und Hörerinnen heute noch bekannt sein. Sie wurde ebenfalls in Budapest geboren und hieß damals noch Eva Suranyi. Sie bleib in Ungarn und wanderte nicht aus. Ihr Schicksal meinte es nicht gut mit ihr, ihre Wohnung wurde beschlagnahmt, nachdem die Deutschen Ungarn besetzt hatten, denn sie wurde ins Ghetto gebracht, wo sie bis 1945 bleiben musste. Sie lernte ihren späteren Ehemann, den Geiger Josef Bernath in einer Kammermusikklasse in Budapest kennen und zog mit ihm nach Prag. Auch diese Wahlheimat musste sie wieder verlassen, als die Sowjetunion in Prag einmarschierte. Sie zog dann nach London, wo sie erst 2019 im Alter von 96 Jahren verstarb.
Die Einspielung, die sie gemeinsam mit Karel Ancerl in Prag machte, besticht durch Unaufgeregtheit und eine phänomenale Klarheit, die das Werk Mozartische Einfachheit und Luzidität verleiht. So natürlich, versehen mit einer Selbstverständlichkeit, die wohl nur aus einer ganz genauen Werkkenntnis kommen kann, ist das Werk sonst nicht mehr hören. Es wird mit einer makellosen Präzision artikuliert und rhythmisiert. Das Perkussive tritt zurück zugunsten eines Klavierklangs, der sozusagen zwischen den Polen Anda und Katchen zu vermitteln scheint. Das Orchester spielt ausgezeichnet. Auch in dieser Einspielung hört man eine Partnerschaft aus einem Geiste heraus. Die Bernathovas pflegten eine lange Freundschaft mit dem Dirigenten der Aufnahme, Karel Ancerl. Die intime Werkkenntnis lässt das Werk in seltener Schlüssigkeit erklingen.
Der zweite Satz bringt viel Atmosphäre mit ein. Stets hat man das Gefühl, dass hier alle Elemente des Werkes haargenau zusammengesetzt werden und einen besonders eng verbundenen Organismus ergeben. Die Darbietung wirkt auf einfühlsame Art sehr ausdrucksvoll, aber nicht indem sie einzelne Parameter forciert, sondern auf bescheidene, demütige Art, was ihr besondere Sympathien bei uns einbrachte.
Der dritte Satz klingt zwar feurig, aber verbunden mit einem wohl dosierten Temperament. Klarheit der Diktion und genaue Partiturtreue bleiben immer oberstes Gebot. Eigenschaften, die man auch Bartók eigenem Musizieren nachsagt. Nur beim lodernden Finale bricht sich die Glut einmal forsch Bahn. Wir fanden diese Einspielung grandios. Wenn Eva Bernathova auch nicht über die dynamische Urgewalt der vor ihr platzierten Pianisten verfügt, hätte ihre Aufnahme doch ebenfalls in den Olymp gehört. Wenn nur der im Vergleich nicht mit den Besten nicht ganz konkurrenzfähige Klang nicht wäre.
Die Violinen klingen ohne Schmelz und ab f „verklumpt“ und „strohig“. Dem Gesamtklang fehlt es an Saft und Kraft und könnte fülliger und dynamischer sein. Das Blech hat aber Strahlkraft und das Holz klingt recht präsent. Auch die Balance stimmt.
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4-5
Peter Donohoe
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1992
6:58 10:50 7:00 24:48
GA
Peter Donohoes Klavierspiel erfreut mit einem gut fokussiertem Anschlag, Präzision und klarer Leichtigkeit. Das Orchester wirkt sehr aufmerksam und differenziert und überzeugt mit einem atmosphärischen Bartók-Klang. Es wirkt empathischer als das LSO mit Boulez oder das LAPO mit Salonen. Das Zusammenspiel erfolgt nahtlos. Der Gestus wird nach unserem Dafürhalten zwischen den Polen spielerisch-euphorisch einerseits und schwelgerisch, als auch freudig-erregt und hoffnungsvoll andererseits sehr gut getroffen. Höhenflüge wie bei Anda/Fricsay, Katchen/Kertesz oder Perianes/Heras-Casado findet man weniger. Und es fehlt vielleicht etwas Gewichtigkeit, was man aber genauso gut als Aktivposten sehen darf.
Im zweiten Satz herrscht ein leuchtender Klavierklang mit farbiger und subtiler Artikulation vor. Ein mehr introvertierter Vortrag mit hoher Eloquenz und einem präzisen Zusammenspiel, durchaus anrührend. Alle ziehen an einem Strang und achten hellhörig aufeinander. Diesen Satz zu hören war ein großer Genuss.
Im dritten Satz erfreuen wir uns an einem knackigen Blech, einem belebten, transparenten Holz und an einem beschwingten, immer klaren und federnden Klavierspiel. Die rhythmischen Akzente werden nicht vernachlässigt, aber auch nicht hervorgehoben. An die Expressivität des RSO Berlin oder des BBC SO kommt man nicht ganz heran, man vermeidet aber auch die aggressive Knalligkeit des LPO unter Solti, auf das wir bald zurückkommen werden. Die leisen, subtilen Töne werden von Peter Donhoe nicht vernachlässigt, ab T. 666 klingt das Klavier endlich einmal im vorgeschriebenen p, sodass Streicher und Holz mühelos die Überhand gewinnen, wie es offensichtlich gewollt war. Die daraus entstehende magische Wirkung spricht für sich und hätte alleine schon eine Versetzung in die Gruppe 5 zur Folge haben können. Eine „Unio mystica-Stelle“ (Vereinigung von Gott und Mensch) wie sie auch in der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ und dem letzten Satz des „Konzert für Orchester“ anklingt. Danach wird das Werk optimistisch und kraftvoll, aber nicht so überschwänglich und urgewaltig zu Ende gebracht wie bei Anda/Fricsay.
Der Klang ist sehr klar, sehr gut gestaffelt, dynamisch gut konturiert und gut ausbalanciert, was für das Verhältnis Klavier zum Orchester als auch innerhalb des Orchesters gilt.
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4-5
Hélène Grimaud
Pierre Boulez
London Symphony Orchestra
DG
2004
7:25 11:12 6:53 25:30
In dieser Einspielung gruppiert sich das Orchester geradezu fürsorglich um das Klavier herum. Das Klavierspiel Hélène Grimauds wirkt recht verspielt, aber auch ein wenig unverbindlicher als die der bisher gelisteten Pianist/innen. Das mag auch an den schnellen Staccato-Partien liegen, die nicht über die ansatzlose hochpräzise Schnelligkeit des Anschlages verfügen, wie dies unter anderem bei Anda, Katchen, Kocsis oder auch Eva Bernathova zu hören ist. Auch wirkt ihr ff vergleichsweise weniger durchschlagskräftig. Das Orchesterspiel wirkt ausgesprochen weich, geschmeidig und entspannt, wirkt jedoch ein wenig zu sehr auf die Begleitfunktion zurückgezogen, um nur an wenigen Stellen, die besonders dazu einladen ein wenig zugespitzter und forscher zu Werke zu gehen. Insgesamt hören wir jedoch ein ausgezeichnetes Miteinander, bei dem die Pianistin sich regelrecht umschmeichelt fühlen darf.
Im zweiten Satz beginnen die Streicher, die hier einmal ihren Stimmenverlauf exemplarisch deutlich präsentieren. Die Pianistin ist nun mit ihrem Jeu perlé sehr deutlich eingefangen worden und ihr zarter, eher pastellfarbener Klavierklang könnte kaum schöner klingen. Der Naturklang wird ausgesprochen pointiert zum Klingen gebracht, die Vögel wirken so, als seien sie besonders gut bei Stimme. Auch das Orchester klingt in diesem Satz bestechend schön, dem Klangzauber fehlt es nicht an Exotik. Durch das ausschweifend-ausführliche Tempo gesellt sich verstärkt eine süße Melancholie und Abschiedsstimmung zur klanglich verführerischen, sinnlichen Schönheit.
Auch im dritten Satz erscheint das Tempo leicht gebremst. Das Fugato klingt sehr deutlich, das Schlagwerk wuchtig. Die Pianistin gefällt mit geschmeidigem Spiel, gesellt sich prima zum ebenfalls leichten und lockeren Spiel des Orchesters, jedoch könnte ihre dynamisch Spannbreit deutlich größer sein. Das Blech könnte im Finale noch präsenter und deutlicher ins Bild kommen. Diese Einspielung verleiht dem Werk eine gewisse leichte und lockere, duftige Élégance, klingt viel weniger urwüchsig als die, sagen wir einmal zusammenfassend „urgarnstämmigen“ Versionen.
Die Aufnahme klingt sehr transparent, das Orchester hervorragend gestaffelt und räumlich, klangvoll und farbig. Eine schön klingende Alternative zur Anda/Fricsay-Einspielung aus demselben Haus, die sie aber auch nach 44 Jahren noch lange nicht ersetzen konnte.
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4-5
György Sandor
Michael Gielen
Pro Arte Orchester, Wien (Wiener Symphoniker)
Vox
1958
5:47 9:47 6:19 21:53
GA
Dies ist Sandors zweite Einspielung innerhalb unseres Vergleiches. Schon alleine am Tempo könnte man bereits die „Handschrift“ des Pianisten erkennen, die nun, zwölf Jahre später als die erste, nur wenig von ihrer Hast (Hetze wäre schon zu viel gesagt) eingebüßt hat. Das Tempo und die „schnoddrige“, undeutliche Phrasierung sind bestens geeignet eine gewisse großstädtisch Atmosphäre in den ersten Satz hineinzutragen. Sein Spiel ist dennoch als hochvirtuos zu bezeichnen. Die Wiener Symphoniker spielen unter Leitung des jungen Michael Gielen sehr aufmerksam und äußerst detailliert. Das Klangbild (nun bereits in Stereo), auf das wir sogleich noch detaillierter eingehen müssen, ist nun viel klarer als das aus Philadelphia 1946. Die kristalline Klarheit eines Anda vermisst man ebenso wie den warmen, liebenswerten Sound von Katchens oder Perianes´ Klavier.
Der zweite Satz wird immens expressionistisch gesteigert. Dazu dient das nicht gerade weiche Spiel der damals schon nahezu vibratolos gespielten Symphoniker -Violinen als auch der schonungslos dynamische Klang von Sandors Klavier. Das Tempo wirkt jedoch ein wenig meditativer als 1946, wenngleich von gebetsähnlicher Ruhe keine Rede sein kann. Von ausschwingender Ruhe oder gar Dehnung ist hier keine Spur zu erkennen. Generell atmet das Klavierspiel nach den vergangenen zwölf Jahren nun mehr mit der Musik und differenziert auch die Dynamik viel besser.
Im dritten Satz herrscht nun ein temperamentvoller, rhythmisch pointierter Zugriff. Die seltsame Orchesteraufstellung mit dem Klavier ganz weit rechts außen reduziert den Eindruck eines gemeinsamen Konzertierens merklich. Die Faktur des Orchestersatzes rückt deshalb viel mehr als üblich in den Fokus. Die Einspielung liefert, gerade im dritten Satz geradezu einen Röntgenblick auf die Komposition. Schlaglichter werden so auf Details geworfen, die man sonst nicht so sehr wahrnimmt, aber auch auf solche, die man wahrscheinlich gar nicht so prominent hören sollte. Dennoch eine willkommene, eigenständige Alternative mit hohem Wert wird uns so geboten. Das Blech im Finale macht eine gute Figur.
Dass man bei Vox in den ersten Jahren nach Einführung der Stereophonie noch gerne mit den neuen Möglichkeiten experimentiert hat, ist uns schon bei einigen anderen Gelegenheiten aufgefallen. Hier nun hat man die gewöhnliche Orchesteraufstellung (sowohl die weit verbreitete amerikanische, als auch die in Wien oft verwendetet alte deutsche) ziemlich über „den Haufen“ geworfen und das Klavier ganz rechts außen platziert. Gemeinsam mit den Celli und dem Blech. Das Holz wurde links außen positioniert, gemeinsam mit den Violinen und den Bässen. In der sonst so beliebten Mitte, die eigentlich dem Klavier reserviert werden sollte herrscht eine gewisse Leere, wenn man vom nur sporadisch eingesetzten Schlagzeug einmal absieht. Insgesamt klingt es sehr weiträumig, präsent und sehr transparent, sogar analytisch. Die Staffelung spielt sich sehr deutlich in der Breite ab, während eine Tiefenstaffelung weitgehend unterbleibt. Die Aufnahme bietet also durchaus Material für das Studienfach „Das Tonmeisterstudium im Wandel der Zeit“.
▼ weitere Aufnahmen von György Sandor bzw. Michael Gielen weiter unten in der Liste
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4-5
Russell Sherman
Michael Gielen
Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden (SWF)
Arte Nova
1989
7:05 10:07 6:47 23:59
Wieder einmal macht das Spiel des Baden-Badener Orchesters einen ausgezeichneten Eindruck. Bereits die Sextolen zu Beginn wirken gleichmäßiger als bei den Wiener Symphonikern, allerdings 31 Jahre zuvor. Ohne Sandor wählt Michael Gielen ein vergleichsweise gemächlicheres Tempo. Die weicheren Oboen ergeben einen viel ausgeglichener klingenden Holzbläsersatz und letztens einen ausgewogeneren Orchesterklang. Sherman spielt sauber und gut artikulierend, bringt aber gegenüber György Sandor wenig persönliche Note mit in die Gestaltung des Klavierparts mit ein. Weder die Phrasierung (wie bei Sandor) oder der Klang (Katchen) oder der Rhythmus oder Anschlag (Anda) lassen irgendwie aufhorchen.
Im zweiten Satz erscheint der Streicherklang nochmals wärmer und vor allem plastischer als im ersten. Ein Phänomen, das bei vielen Einspielungen zu beobachten ist. Anscheinend haben viele Aufnahmeteams für ihn eigens andere Aufstellungen oder Einstellungen genutzt. Hier jedenfalls mit Erfolg. Es ergibt sich ein sehr schön klingendes Naturidyll. Mit einem allerdings bedrohlichem Tam-Tam.
Im dritten Satz hören wir ein erstklassiges Zusammenspiel eines sehr guten Orchesters mit exzellentem Holz mit einem sehr gefällig spielenden Pianisten. Der gesamte Eindruck, den man hier vom Werk gewinnt, dient dem Werk, ohne ihm viel hinzuzufügen. Die Balance stimmt und eigentlich fällt nichts negativ auf, sondern alles gelingt. Gerade der Naturklang gefällt und es lodert auch genug Feuer, um diese Einspielung sehr empfehlen zu können.
Das Klavier spielt nun wieder, wie es sich gehört, in der Mitte, sehr schön eingebettet vom weich spielenden Orchester. Das Klavier hat bisweilen ein kleines Übergewicht, insgesamt ist die Balance jedoch sehr gut. Es herrscht ein offener, transparenter, angenehmer Gesamtklang mit guter Transparenz, Staffelung und natürlicher Räumlichkeit.
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4-5
Vladimir Ashkenazy
Georg Solti
London Philharmonic Orchestra
Decca
1978
6:57 10:49 6:15 24:01
GA
Ashkenazys Spiel wirkt etwas cantabler als das Géza Andas. Er verfügt gegenüber dem Ungarn über einen weicheren, unspezifischeren, weniger konzisen Anschlag ohne festen Focus oder Kern. Im Forte klingt das Klavier sogar etwas blechern. Der Klavierklang ist von unzähligen Aufnahmen Ashkenazys bei Decca bestens bekannt. Solti hält die Zügel straff in der Hand und das Orchester, dessen Chef er damals unter anderem war, folgt mit Präzision und hemmungsloser Dynamik. Die Einspielung klingt zudem in allen Sätzen sehr farbig und lebendig.
Im langsamen Satz überzeugt Ashkenazy mit einem schönen p-Klang, während sein f und ff immer leicht scheppernd klingt. Bei Anda erscheint die Klangentwicklung über den gesamten Dynamikbereich besser kontrolliert und bei enormer Bandbreite homogener. Atmosphärisch wirkt der Satz ganz gut getroffen, seltsam ist es jedoch, dass Ashkenazy ab T. 72 voll in die Tasten zu hämmern scheint, während ein p in der Partitur steht. Bisweilen ist von einer unklaren Quellenlage auch beim dritten Klavierkonzert zu lesen und es wird eine kritische Ausgabe angemahnt. Das könnte so eine Passage sein, für die es verschiedene Versionen gibt. Bartók selbst, als akribischer, wissenschaftlich arbeitender Komponist bekannt, hat immer wieder bei seinen Aufführungen an seinen Werken herummodifiziert und es gibt wohl handschriftliche Eintragungen in seinen Noten, die erheblich von den gedruckten Versionen abweichen.
Im dritten Satz agiert das Blech besonders knallig (allerdings sucht man sein ff bei Takt 191 vergeblich). Es kam uns so vor, als solle die Fricsay-Einspielung mit dem RSO übertroffen werden, die sicher jedermann, der das Konzert spielen möchte kennt (oder kennen sollte). Dieser Versuch war auch bei Solti und dem LPO nicht erfolgreich. Summa summarum wirkt die Einspielung sowohl pianistisch und orchestral als auch klanglich unausgewogen. Aber durchaus temperamentvoll, gekonnt und mit heißem Atem in Szene gesetzt.
Das Klangbild wirkt auch sehr präsent, viel offener als z.B. bei Argerich/Dutoit. Das Klavier klingt mitunter etwas dominant, außer im dritten Satz, da wird es vom Blech ganz schön in die „Zange genommen“. Die Pauke klingt stumpf und matt. Ein Nachteil ist es, dass fast alles gleich präsent wirkt und dass das Orchester wenig in die Tiefe gestaffelt wird, was zu einer gewissen Nivellierung von Wichtigem und Unwichtigem führt. Mit dem knalligen Blech könnten wir gut leben.
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4-5
Deszö Ranki
Janos Ferencsik
Ungarisches Staatsorchester (heute: Ungarische Nationalphilharmonie)
Hungaroton
1975
6:58 9:22 6:16 22:36
LP Gegenüber den beiden Kommilitonen von der Budapester Franz-Liszt-Akademie András Schiff und Zoltan Kocsis ist Deszö Ranki der große internationale Durchbruch verwehrt geblieben, zumindest was seine Präsenz am Platten- bzw. CD-Markt anlangt. An seinen pianistischen Fähigkeiten dürfte es nicht gelegen haben. Diese Einspielung spielte er bereits als 24-jähriger ein, gemeinsam mit dem Doyen der ungarischen Dirigenten Janos Ferencsik. Ranki geht das Werk mit unverstellter, natürlich wirkender Musikalität an. Er meistert alle Schwierigkeiten souverän. Spielt besonders grazioso, offen und klar, zart und detailreich, leicht, flink und pointiert. Der Satz klingt bei ihm scherzohafter als bei den anderen Pianist/innen. Manches gar pointilistisch. Das Orchester überzeugt mit sehr genauem, aufmerksamem Spiel und sehr homogenen (Holz)Bläsern, keine Stimme sticht heraus. Leider hält die Aufnahmetechnik das Orchester zu dezent im Hintergrund.
Im zweiten Satz klingen die Violinen mit sehr wenig Glanz, was die ätherische Wirkung deutlich schmälert. Auch die zahlreichen Vogelstimmen und Naturlaute werden ganz partiturgenau wiedergegeben, auch im anscheinend hier ziemlich unbeliebten p und pp. Ferencsik hat sein Orchester bestens im Griff. Ranki spielt hier teils auffallend psalmodierend. Eine weitere Spielart dieses in den verschiedenen Versionen so vielfältig klingenden Satzes.
Der dritte Satz klingt flott und vivace, wirkt jedoch gediegener, als man es vom frischen Tempo erwarten könnte. Das Klavierspiel wirkt locker, mitunter graziös, auch mal kräftig zupackend, zumeist jedoch quellfrisch und locker. Dem guten, drängendem Finale fehlt die Präsenz des Bleches.
Insgesamt macht die Darbietung einen etwas asketisch-sparsamen Eindruck, was aber in allererster Linie an dem von der Hungaroton generierten Klang liegt, der ist nämlich generell etwas dünn geraten. Bei den Violinen auch etwas scharf. Die Balance ist allerdings gut. Es könnte insgesamt voller, strahlender und dynamischer klingen, was in erster Linie für das Orchester klingt. Der Plattenlauf ist vorbildlich ruhig. Man hört ein leises Analog-Rauschen.
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4-5
Klára Würtz
Theodore Kuchar
Janácekova filharmonie Ostrava (Janacek-Philharmonie-Ostrau)
Berlin Classics, Brilliant
2008
7:15 9:35 6:44 23:34
Diese Aufnahme wurde von Berlin Classics aus dem Brilliant-Katalog übernommen (umgekehrt wie bisher üblich). Bei Brilliant ist Klára Würtz als Ehefrau des Label-Gründers so etwas wie eine „Hauspianistin“. Das Musizieren wirkt sorgfältig mit sicherem Anschlag und solider Rhythmik. Ihre Pianistik hat sozusagen von allen etwas: Etwas von der Leichtigkeit und Brillanz eines Schiff, etwas von der Wärme eines Katchen etwas von der Inspiration und Entdeckerfreude eines Perianes, auch etwas von der Virilität eines Anda oder Odgon, ohne aber einen der genannten zu erreichen. Das Orchester bietet ein gutes Niveau, gibt sich keine Blößen, kann der Darbietung im ersten Satz aber auch keinen zusätzlichen Glanz verleihen. Die ganze Darstellung hat aber Hand und Fuß, es wird detailreich und mit viel Anteilnahme musiziert.
Besonders auch im zweiten Satz, der besonders offen und transparent klingt. Die Tempowahl ist gut, das Musizieren präzise und ausdrucksvoll. Die Tiefe eines Perianes wird nicht erreicht.
Im dritten Satz hören wir klares, jederzeit völlig ungefährdetes, durchzugsstarkes Klavierspiel, das vom Orchester mit Saft und Kraft unterstützt wird. Nur die Streicher könnten noch etwas präsenter und voller klingen. An T. 666 echtes p-Spiel mit sehr überzeugender, schwebender Atmosphäre. Auch die „Unio mystica“-Passage gelingt sehr gut.
Die Violinen klingen ein wenig zu hell, das Klavier wird klar und deutlich vom Orchester abgesetzt, weist eine gute Staffelung und Transparenz auf. Auch für kritische Ohren ist diese solide Aufnahme durchaus zu empfehlen, denn sie bietet einen recht warmen, angenehmen Gesamtklang.
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4-5
Jonathan Biss
James Levine
Münchner Philharmoniker
Oehms
2003, Live
7:03 10:29 6:52 24:24
Der junge Pianist Jonathan Biss klingt in seiner Einspielung sehr präsent, die Gangart wirkt gemäßigter und unaufgeregter als etwa bei Anda, Bishop oder auch Ashkenazy. Er geht mit Bedacht, weniger vital oder gar urwüchsig vor. Das Orchester bleibt hinter dem aufmerksamen und reaktions- und gedankenschnellen Präsenz des RSO Berlin oder des BBC SO zurück.
Auch im zweiten Satz fällt die lässigere, unverbindlichere Weitschweifigkeit der Orchesterbehandlung auf, obwohl das Tempo gar nicht langsam ist. Aber auch Biss setzt mit relativ viel Pedal zu einem weit ausschwindenden Gesang an. Das Pedal verhilft ihm auch dazu, seinen Flügel glockenähnlich klingen zu lassen. So wirkt sein Gestus verträumter als üblich. Der weiche Klang (auch das Holz) verstärkt diese Tendenz noch, sodass der Satz einen beträchtlichen Klangzauber entfaltet. Die entrückt-melancholische Seite des Satzes wird so besonders plastisch.
Das Temo im dritten Satz wirkt wie ein Allegro vivace, also wie es sein soll. Mit dem martellato-ähnlichen Spiel von Anda oder auch Bishop hat Biss wenig gemein. Eher ähnelt sein Klavier dem weicheren der Argerich in der Aufnahme mit Dutoit. Die Artikulation wirkt jedoch transparenter. Die Streicher überspielen bei T. 392 die grazioso Spielanweisung. Das recht präsente Blech mit seinem dynamischen Einsatz verhilft dem Finale zu einer sehr guten Wirkung. Der begeisterte Jubel ist da nur folgerichtig. Insgesamt wirkt die Einspielung eher ausgeglichen und sie wird dem gegenüber den beiden Vorgängern milderen dritten Konzert durchaus gerecht. Einige temperamentvolle Einlagen, in denen das Orchester auftrumpfen darf, fallen ein wenig aus dem Rahmen und wirken ein wenig amerikanisch.
Der Klang bietet eine recht natürlich wirkende weite Räumlichkeit. Die Balance ist im Großen und Ganzen gut ausgewogen, bisweilen tritt das Orchester jedoch ein wenig zu weit zurück, bisweilen trumpft es auf. Staffelung und Transparenz sind gut. Insgesamt könnte der Klang ein wenig mehr Glanz vertragen, besonders die Violinen. Das Publikum stört überhaupt nicht. Erst beim Schlussapplaus bemerkt man es.
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4
Jenö Jando
András Ligeti
Budapest Symphony Orchestra (eigentlich das Orchester des Ungarischen Rundfunks und Fernsehens)
Naxos
1994
7:25 9:27 6:23 23:15
GA
Jenö Jando artikuliert in seinem Klavierspiel sorgfältig und phrasiert mit einem an die Sprache erinnernden Tonfall. Auch das Orchester spielt seinen Part sorgfältig und macht einen sehr gut geprobten Eindruck, was man zwar auch an der Präzision erkennt aber auch an der Klangschönheit. Die Protagonisten wirken sehr vertraut mit sich und mit dem Werk.
Das recht zügige Tempo im zweiten Satz verleugnet das „religioso“ nicht, betont es aber auch nicht. Die „Waldszene“ mit den vielen Naturlauten wird in ein deutlich dramatischeres Licht gehüllt als bei Hélène Grimaud und Pierre Boulez. Alleine das Tremolo wirkt deutlicher betont. Das Klavier klingt feinfühlig aber nicht so schattierungsreich wie unter anderen bei Grimaud, das Orchester wirkt nicht so farbig und plastisch wie beim LSO unter Boulez.
Das Allegro vivace des dritten Satzes wirkt feurig, das Orchester klingt nun aber nicht mehr völlig transparent durchgezeichnet, was bisher, vor allem aber im leisen Adagio religioso kein Problem war. Der Gestus wirkt lebendig. Dies ist eine schlanke, werkdienliche Wiedergabe, der ein wenig die Höhepunkte und die Zuspitzung fehlen. Insgesamt wirkt diese Interpretation kundig und sattelfest, aber gegenüber den darüber platzierten eine wenig „handfester“.
Der Klang ist auch in Ordnung. Transparenz, Räumlichkeit und Balance von Klavier und Orchester sind gut. Es gibt keine gegenseitige Überdeckungseffekte. Der Gesamtklang ist nicht so voll und leuchtend wie beispielsweise beim LSO (Kertesz und Boulez).
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4
György Sandor
Adam Fischer
Ungarisches Staatorchester (heute: Ungarische Nationalphilharmonie)
Sony
1989
6:08 9:20 6:17 21:45
GA
Auch der mittlerweile 77jährige Uraufführungspianist György Sandor bleibt beim von ihm bereits gewöhnten schnellsten Grundtempo. Das Klavierspiel hat er jedenfalls nicht verlernt, er hat es sogar kaum verändern müssen. Immer noch fällt seine Art, das Konzert zu spielen, sofort auf. Immer noch fasst er einzelne rhythmische Motive auf seine Art zusammen, wie unter einem starken Bindebogen. Das gelingt ihm nach wie vor sehr behände, zielsicher und flüssig. Stramm ausgespielte Motorik ist seine Sache nicht mehr. Er versucht Bartók eigenes Spiel in seine Interpretation mit zu übernehmen. Er meint im Beiheftchen, dass „wilde mechanische Kraft Bartóks Sache nicht gewesen“ sei. “Die kraftstrotzende und tänzerische Art Bartóks“ würde von den Jüngeren „immer häufiger zu sadistischem und destruktivem Klaviergehämmere degradiert“. Dazu ließe sich sagen, dass eine solche Interpretation eigentlich nicht in unserem Vergleich vorkommt. Es ist sehr gut möglich, dass er sich mehr auf die ersten beiden Konzerte bezog.
Im Adagio religioso weht nun, zu Beginn wenigstens, ein anderer Wind als in seinen ersten beiden Einspielungen. Die Orchestereinleitung klingt erheblich introvertierter und sanftmütiger als bei Ormandy und Gielen. Auch kommt dem Satz der nun deutlich wärmere Gesamtklang sehr zugute. Das Klavierspiel Sandors hat an Eloquenz in diesem Satz nichts eingebüßt, nur der Klavierklang hat seine spezifische Härte ein wenig verloren. Das Orchester imaginiert nun eine romantisch angehauchte Szenerie im Wald mit einem exotischen Unterton viel mehr in das Licht der Dämmerung gehüllt. Bei Gielen herrschte eher die lichtdurchflutende Mittagssonne.
Der dritte Satz ist nun vom Klang und vom Zugriff her weich und kaum noch mit dem „Pfiff“ von Ormandy oder Gielen zu vergleichen, die mehr „auf Zack“ waren. Sandor dagegen ist immer noch auf der Höhe seiner Kunst. Wenn unser Eindruck nicht trügt, dann phrasiert er nun deutlicher als zuvor. In jüngeren Jahren war ihm der pianistische Furor wohl noch wichtiger und er war bereit „Kompromisse bei anderen Parametern“ einzugehen. Nun wirkt er spielerischer und eher weniger auf äußeren Glanz erpicht. So hat auch das Alter sein Gutes.
Obwohl die Einspielung über 30 Jahre nach der Aufnahme mit Gielen entstanden ist, klingt sie weniger transparent, Das Orchester klingt wärmer und spielt geschmeidiger als die Wiener Symphoniker, ist aber weiter entfernt. Dafür bekommt man nun eine bessere Tiefenstaffelung. Trotzdem ist man von der ersten Reihe in die zweite versetzt worden, war wir als nachteilig empfinden.
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4
Martha Argerich
Claus Peter Flor
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
RCO Live
1993, Live
6:43 9:53 6:03 22:39
Von Martha Argerich gibt es zwei Einspielungen. Die vier Jahre später entstandene Studi-Aufnahme mit Charles Dutoit wirkt weniger spontan und spannend. 1993 vom Niederländischen Rundfunk aufgenommen spielt sie zwar temperamentvoll und rhythmisch recht prononciert, vermag oder möchte aber die einzelnen Töne lange nicht so deutlich „herauszumeißeln“ wie beispielsweise ein Géza Anda. Ihre Artikulation wirkt ein wenig wie überhastet hingeworfen. Uns erinnerte ihr Spiel in diesem Konzert ein wenig an das von György Sandor. Das mitunter recht diffus klingende Orchester wirkt nicht pauschal aber die Akribie eines Fricsay darf man hier durchaus vermissen. Es ist aber auch ein ungeschnittener Live-Mitschnitt, der verzeiht nichts.
Im Adagio religioso fängt die Pianistin schon zu laut an, klar, sie hat einen großen Konzertsaal mit dem Klang ihres Klaviers zu füllen und nicht nur ein paar Mikros. Beim anschließenden Crescendo muss sie dann das f schon richtig heraushämmern, damit die Relationen passen. Der Atmosphäre des Satzes schadet das für uns Hörer in der heimischen Wohnstube schon. Die magische Cantabilität des Mittelteils bleibt dieses Mal aus, dafür wird das Klavier zu laut hörbar.
Im dritten Satz wird deutlich an der Temposchraube gedreht, was den Konturen Schaden zufügt. Ihre Plastizität geht teilweise etwas verloren. Es stellt sich der Eindruck des „Fetzigen“ ein. Echten Drive gibt es bei Anda und Fricsay. Zugespitzte Verläufe gelingen aber schon und der gute Klang des Orchesters, vor allem der seidigen Streicher, bleibt im Ohr. Flor hält den Laden zwar zusammen aber über eine gewisse Neigung zur Veräußerlichung im Detail kann in diesem Satz nicht hinweggehört werden. Spannend ist dieser Teil des Konzertabends aber auch.
Das Orchester bleibt klanglich mitunter zu weit im Hintergrund. Dem Flügel mangelt auch die hautnahe Präsenz. Es wird allzu sehr auf Distanz gegangen. Der Bass fehlt weitgehend im Frequenzbereich. Gegenüber Anda/Fricsay fehlen der Aufnahme die klaren Konturen, auch die Wucht und Reaktionsschnelligkeit des RSO Berlin wird weit verfehlt. Es ist aber auch unfair, eine Live -Aufnahme mit dieser ultrapräzisen Studioarbeit von 1960 zu vergleichen. Vor allem im zweiten Satz stört das unruhige Publikum.
▼ eine weitere Aufnahme von Martha Argerich weiter unten in der Liste
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4
Yefim Bronfman
Esa-Pekka Salonen
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1993
7:14 10:16 6:54 24:24
GA
Yefim Bronfmans Spiel wirkt in der Sicherheit verleihenden Umgebung mit dem LAPO unter Salonen (unter Studio-Bedingungen) weniger dringlich als vielmehr lediglich sportlich motiviert. In seiner zweiten Einspielung, die unter ungünstigeren Vorzeichen mit dem LSO und Gergiev live entstand, erschien uns sein Spiel doch etwas ausdrucksvoller. In LA klingt sein Flügel voluminös und rund. Er wird denkbar weich und geschmeidig angeschlagen. Die Behandlung des Rhythmus scheint aus einer gewissen souveränen Gemütlichkeit heraus zu erfolgen. Sein Spiel ist einer großstädtischen Hektik im ersten Satz, an die man in Sandors Darbietungen denken muss, gänzlich enthoben. Nie lässt sich der Pianist aus der Reserve locken. Der Gestus eines geölten, perfekt funktionierenden Leichtlaufs befördert bereits im ersten Satz einen vergleichsweise idyllischen Eindruck. Das Orchester spielt ebenso leicht und widerstandslos und befördert diesen Eindruck nachhaltig.
Im zweiten Satz hätten wir uns den Klang ein wenig luftiger gewünscht, er wirkt erdenschwer. Pianistisch gibt es sonst keine ernsthaften Einwände, wenn man darüber hinwegsieht, dass das ff nicht wirklich griffig wirkt. Stets dominiert der weiche Ton.
Nicht durch die Temponahme bedingt, sondern durch die unbeteiligt wirkende Artikulation wirkt das Allegro vivace ein wenig phlegmatisch. Das Blech des LAPO wirkt lange nicht so ergreifend wie beim RSO Berlin oder LPO. Das Finale ab T. 720 erklingt mit wenig innerer Anteilnahme. Der dritte Satz wirkt so ein wenig glatt und beschaulich.
Das technische Niveau des Musizierens ist jedoch denkbar hoch, das Ergebnis wirkt in erster Linie sachlich und ein wenig distanziert.
Das balsamisch klingende Klavier wird gut in das ebenfalls weich und gedeckt klingende Orchester eingebettet. Die Raumabbildung ist gut, das Orchester wird transparent und weit in die Tiefe hinein abgebildet. Dynamisch wirkt das Geschehen eingeebnet. Es fehlt auch etwas an Brillanz. Die Gran Cassa klingt hingegen klingt enorm druckvoll und wirkt so ein wenig isoliert.
▼ eine weitere Aufnahme von Yefim Bronfman weiter unten in der Liste
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4
Philippe Entremont
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1967
7:40 10:39 7:20 25:39
Im Vergleich zu Peter Donohoe klingt es bei Philippe Entremont nicht immer rhythmisch genug. Das Klavierspiel des Briten machte auch sonst den präziseren und geschmeidigeren Eindruck. Bernstein hingegen befand sich, anders als der Pianist, auf einer Entdeckungstour und fördert Nebenstimmen zutage, die sonst unterzugehen pflegen. Das Orchester klingt unverzärtelt jedoch sehr lebendig und klanglich etwas burschikos-urwüchsig.
Im Adagio religioso spielen die Streicher zu Beginn besonders cantabel. Entremont musiziert nun auch mit einem gepflegteren, idiomatischeren Bartók-Klang und reizt seine Stimme dynamisch voll aus. Bernstein durchleuchtet auch im zweiten Satz die Partitur (da fällt es durch den offenen, transparenten Tonsatz auch anderen leichter) und geht ebenfalls an die dynamischen Grenzbereiche. Klanglich hat man das Orchester jedoch schon mit mehr Feinschliff gehört. Entremont scheut stellenweise nicht vor starkem Rubato zurück, was dem Satz einen leicht rhapsodischen „Touch“ verleiht. Klanglich wirkt sein Spiel mitunter unruhiger und herb-perkussiver, als dem Satz unserer Meinung nach guttut. Ein gesanglicherer Gestus hätte seinem Spiel besser angestanden.
Im letzten Satz fällt die schon häufiger bei ihm beobachtete Tendenz auf, das p zugunsten eines satten mf zu übergehen. Gegenüber dem donnernden Flügel hält Bernstein das Orchester schön transparent. Ab T. 666 (und 673 – 704 „Unio mystica“) ist kein Klangzauber zu hören, Entremont spielt hier einfach zu laut und deckt die sinnlich-ätherischen Orchestereinsätze, die ja ebenfalls sehr leise zu spielen sind, einfach zu. Er schießt bei dieser Gelegenheit weit über das Ziel hinaus. Auch hier ist ihm Donohoe weit voraus. Insgesamt ist dies jedoch eine urwüchsig klingende, sehr vitale Einspielung, die viel von der Werksubstanz offenlegt. Es gibt jedoch genug Aufnahmen, die idiomatischer klingen und dem Werk zusätzlich noch mehr Feinschliff angedeihen lassen.
Zum Klang: Der Flügel klingt ein wenig blechern, die Violinen harsch. Das Gesamtklangbild wirkt etwas trocken und rau, auch etwas stumpf. Die Transparenz ist hingegen sehr gut.
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4
Martha Argerich
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
EMI
1997
7:13 10:44 6:40 24:37
Wenn man diese Einspielung mit der DG-Aufnahme Andas vergleicht, so fällt sofort der weit weniger klare, tendenziell verschleierte Anschlag auf. Auch wirkt die Artikulation weniger konturiert und plastisch. Die einzelnen Töne fließen viel mehr ineinander, in der Tendenz, aber nicht ganz so ausgeprägt, wie wir es bei György Sandor gehört haben. Martha Argerichs Spiel wirkt nervöser, nicht so sehr aus der Ruhe heraus entwickelt. Im Vergleich zu Fricsays RSO wirkt das Orchester hier im Gegensatz zur Pianistin, die insgesamt durchaus lebendig spielt, domestiziert. Dutoit lässt erheblich breiter ausmuszieren als Fricsay, aber auch als Flor in Martha Argerichs Live-Aufnahme aus Amsterdam. An Nuancenreichtum fehlt es dem Vortrag der Pianistin nicht, ihr Vortrag wirkt jedoch weniger unmittelbar und drängend, als in ihrer Vergleichsaufnahme aus Amsterdam.
Der zweite Satz gefällt nun besser als in Amsterdam, denn das Tempo wurde reduziert und Martha Argerichs Vortrag generell leiser und besinnlicher, aber auch plastischer. Die Tierstimmen verteilen sich nun besser im ganzen Orchesterplenum. Immer mal wieder kommt es jedoch zum leichten Romantisieren, was die klare Sicht eher etwas verunklart, als erhellt. Das eigentlich hochkarätige und farbige Musizieren wirkt nicht so zwingend und selbstverständlich auf den Punkt gebracht wie bei Anda und Fricsay.
Der dritte Satz hat wie der erste gegenüber der Live-Aufnahme an Rasanz eingebüßt. Argerichs Spiel wirkte auf uns in Amsterdam freier, ungehemmter, mit Dutoit zusammen hingegen erheblich nuancierter, vor allem im Dynamischen, aber auch gehemmter. Das Konzertieren wirkt nicht so nahtlos und aus einem Geist heraus entwickelt wie bei Anda und Fricsay. Dazu wirkt das Orchester zu distanziert und zu wenig griffig. Auch das Finale kann mit dem elementaren Brio Andas und Fricsays nicht mithalten.
Gegenüber dem Live-Mitschnitt aus Amsterdam wirkt die EMI-Einspielung viel räumlicher und größer dimensioniert. Auch klarer und „aufgeräumter“. Der Flügel wirkt allerdings kleiner abgebildet und die Bühne wirkt ein wenig weggerückt. Die Präsenz von Anda/Fricsay, Bishop/Davis, Ashkenazy/Solti oder auch aus dem eigenen Haus Ogdon/Sargent sucht man vergebens. Obwohl 37 Jahre jünger, ist diese EMI von 1997 dynamisch deutlich flacher ausgefallen als unsere viel zitierte Referenz der DG von 1960 und alle anderen soeben genannten Analog-Aufnahmen.
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3-4
Yefim Bronfman
Valery Gergiev
London Symphony Orchestra
LSO Live
2015
7:31 9:00 6:42 23:13
Hier wurde einer der letzten Auftritte von Valery Gergiev als Chef-Dirigent des LSO bei einem Gastspiel in New Jersey festgehalten. Schon die Sextolen der Streicher zu Beginn klingen nicht gleichmäßig. Bronfman agiert nun mit mehr Rubato als noch 22 Jahre zuvor mit Salonen. Insgesamt wirkt sein Spiel live nun nicht mehr so unbeteiligt, sondern durchaus auf eine sprechende Art lyrisch. Das Orchester steuert hingegen nur wenige Impulse bei, wirkt rhythmisch nicht immer präzise, sodass manches Detail verschwimmt. Das Tempo wirkt bisweilen etwas gedehnt und hat irgendwie keinen rechten Fluss. Das Spiel des LSO wirkt etwas bemüht und nicht so sicher wie das des LAPO unter Salonen. Mit Wehmut könnte man an die Einspielungen desselben Klangkörpers unter Kertesz oder Boulez zurückdenken. Aber man muss ja nicht auf sie verzichten.
Der zweite Satz erklingt nun sehr zügig. Die weihevolle Andacht ist einem unverbindlichen Erzählton gewichen. Besonders das Orchesterspiel erklingt ohne Zauber. Man hört nur die Noten, als ob jeder Bezug zur Religion, welcher es auch sein mag, gar nicht erst entsteht.
Im Allegro vivace assistiert das Orchester etwas aufmerksamer und der Pianist kommt etwas mehr aus sich heraus als in Los Angeles. Bei der ganz im p zu spielenden Passage ab T. 673 klingt Bronfmans Flügel, wie viele andere auch, viel zu laut, sodass sich keine mystische Stimmung ergeben kann (d.h. die „Unio mystica“ findet in dieser Einspielung nicht statt bzw. wird nicht dargestellt). Das Finale schließlich klingt klobig und ohne Strahlkraft. Dennoch: Begeisterter Jubel im Konzertsaal. Die Aufnahme mit Salonen bleibt in fast allen Belangen überlegen, eher nicht im Pianistischen, besonders stark hingegen orchestral und klangtechnisch.
Mit der Aufnahmetechnik wurde nicht das übliche Team für die Live-Aufnahmen des Labels in London betraut, sondern ein New Yorker Sender. Die Transparenz wirkt reduziert. Vor allem im Tutti klingt es undeutlich. Der Gesamtklang wirkt trocken und wenig körperhaft, wenig sonor und wenig brillant. Die Tiefenstaffelung bleibt gering. Insgesamt kann die Technik keinen höheren Ansprüchen genügen. Das Publikum verhält sich hingegen mucksmäuschenstill. Erst am tobenden Applaus nimmt man es bewusst wahr.
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3-4
Huseyin Sermet
Naoto Otomo
Tokyo Symphony Orchestra
Auvidis
1998
7:25 10:56 6:38 24:59
Das Klavierspiel von Huseyin Sermet klingt weich und legato-betont. Sein Anschlag ist nicht immer kernig genug, sodass manches nur verwischt zu vernehmen ist, als ob jemand nuschelt oder vor sich hinmurmelt. Das Orchester spielt klanglich ohne Fehl und Tadel. In manch einem Phrasierungsdetail wirkt es jedoch ein wenig plumper als gewohnt. Sein weit gespannter Dynamikbereich wird indes voll ausgenutzt, aber nicht immer hinreichend differenziert. Anderes klingt dann wieder sehr feinfühlig.
Der zweite Satz liegt dem Pianisten viel besser. Hier kann er seinen schönen Ton gut ausschwingen lassen und die technischen Schwierigkeiten eines schnell zu spielenden, hochdifferenzierten Rhythmus fallen weniger ins Gewicht. Dennoch fällt auch hier bei den ganz kleinen Notenwerten eine gewisse Laschheit des Tons auf. Das Orchester wirkt gegenüber dem teilweise stark pedalisierten Flügel ein wenig trocken. Die Oboe dominiert im Holzbläsersatz teilweise über Gebühr. Die höchstentwickelte Virtuosität eines Schiff oder Perianes, um nur einmal zwei zu nennen, vermisst man auch im zweiten Satz.
Der dritte Satz bringt ein gutes Tempo mit (vivace). Der Pianist donnert hier etwas zu viel und sein Spiel ist nicht ganz so spritzig und flink wie bei den besten. Dennoch gefällt uns dieser Satz von den dreien am besten, da Sermet hier am deutlichsten artikuliert. Dem Blech des japanischen Orchesters fehlt die ultimative Präsenz und Rasanz des RSO Berlin in der Fricsay-Einspielung. Es ist bedauerlich, aber nicht zu ändern, dass wir diese Einspielung als Maßstab immer im Ohr haben, wenn wir andere hören.
Klanglich ist die Aufnahme sehr transparent, sauber, gut gestaffelt, sehr räumlich, voll und farbig. Das Klavier wurde gut mit dem Orchester ausbalanciert. Tam-Tam und Gran Cassa klingen enorm wuchtig.
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3-4
Pina Napolitano
Atvars Lakstigala
Lepaja Symphony Orchestra
Odradek
2015
8:32 10:44 7:43 27:19
Bei der Stadt Lepaja handelt es sich um die drittgrößte Stadt Lettlands. Und sie verfügt trotz ihrer recht geringen Größe über ein sehr gutes Orchester. Das langsame Tempo ermöglicht der Pianistin ein deutliches Phrasieren. Zuerst hatten wir den Eindruck, dass sie es auch nutzt, um ausgiebige Rubati einzubauen, die die Artikulation verlebendigen könnten, aber dieser Eindruck nutzte sich ziemlich schnell ab. Das Klavierspiel fordert die Dynamik des Flügels wenig, sodass p wie ein mf wirkt und das ff nicht durchdringend genug kommt. An der Klangtechnik kann es nicht liegen, dann das Orchester klingt sehr dynamisch. Das Tempo begünstigt trotz aller gewonnener Transparenz und klanglicher Reichhaltigkeit einen gemütlichen Gestus. Das wirkt dann betont lyrisch und ruhevoll, aber auch sehr statisch. Attribute, die eher zum langsamen Satz passen würden. Zum Kennenlernen der Partitur und deren Mitlesen ist diese Einspielung hingegen bestens geeignet.
Im langsamen Satz klingt das Orchester sehr klangvoll und auch hier entwickelt die Pianistin einen schönen, perlenden Ton und ein angenehmeres Rubato. Parallel dazu gelingt es ihr jedoch weniger, Spannung aufzubauen bzw. zu halten. Das gelingen Hélène Grimaud und Pierre Boulez besser, nur um einmal eine andere Pianistin zu nennen.
Auch im dritten Satz (Allegro vivace) stellt sich das gewählte Tempo als problematisch heraus. Zudem klingt das Klavier ohne perkussive Zuspitzung, die das breite, beinahe behäbig wirkende Tempo konterkarieren könnte. Das Orchester wirkt sehr aufmerksam. Insgesamt bleibt die Darbietung jedoch die schlanke Spritzigkeit schuldig. Das Presto ab T. 643 bleibt viel zu langsam und wird somit gar nicht spürbar. Aus dem feurigen Rhythmus der Komposition wird wenig Kapital geschlagen. Wie der erste wirkt auch der dritte Satz im Vergleich zu statisch.
Der Klang der Einspielung wirkt glasklar, sehr räumlich und bestens gestaffelt. Klavier und Orchester klingen gleichermaßen präsent. Besonders das Orchester wurde sehr dynamisch aufgenommen. Das Klavier wurde sehr groß dimensioniert abgebildet und wirkt sozusagen fast raumfüllend. Das Schlagwerk erklingt mit naturalistischer Wucht und Präsenz. Insgesamt also ein ausgezeichneter, voller und farbig-leuchtender Gesamtklang. Eine sehr gute Arbeit der kundigen Techniker mit bestem Know-how und anscheinend neuestem Equipment.
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25.8.2022
Erneut danken wir Bernd Stremmel für die Bereitstellung wertvoller historischer Einspielungen ohne die der Vergleich erheblich blasser geblieben wäre.