Claude Debussy
Trois Nocturnes
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Werkhintergrund:
Wenn man mehr über Claude Debussys „Trois Nocturnes“ erfahren möchte und sich dazu mit Elan in das Angebot an Informationen im Internet wirft, wird man schon auf der ersten Seite der Suchergebnisse fündig. Dort hat Jochen Scheytt die „Deutschen Debussy-Seiten“ hineingestellt. Für unseren kurzen Überblick über das Komponistenleben und über das zu betrachtende Werk braucht es nicht mehr, als diese Seiten zu lesen bzw. daraus zu zitieren. Dabei ist die unaufdringliche und sehr gut didaktisch aufbereitete Schreibweise bestens dazu geeignet, viel für sich „mitzunehmen“. Das Original ist durch seine ausgezeichnete Gliederung dazu noch besser geeignet, als unsere Auszüge, denn wir haben, der „barrierefreien“ Lesbarkeit wegen, gliedernde Überschriften weggelassen und unterschiedliche Schriftarten vereinheitlicht. Das Original ist zudem noch viel ausführlicher und erstreckt sich auf fast alle wesentlichen Werke des Komponisten. Die Lektüre sei jedem interessierten Musikfreund wärmstens empfohlen.
So schreibt Jochen Scheytt zur Biographie Debussys folgendes: „Claude Debussy wurde am 22. August 1862 in Saint-Germain-en-Laye geboren. Schon bald zogen seine Eltern nach Paris, wo er erste Klavierstunden bei einem italienischen Lehrer bekam. 1872 wurde er am Pariser Conservatoire aufgenommen und erhielt Unterricht in den Fächern Klavier und Harmonielehre. Nach der Aufgabe der Virtuosenlaufbahn als Pianist begann Debussy, sich verstärkt der Komposition zu widmen. In den Jahren 1881 und 1882 war er Hauspianist bei Nadjeschda von Meck, der Förderin Peter Tschaikowskys, die er in Moskau besuchte.
Obwohl Debussy ein recht rebellischer Schüler war und die Konventionen des Conservatoire oft bewusst durchbrach, erhielt er 1883 den 2. Rompreis (für ein Werk, das heute kaum noch jemand kennt, den ersten Preis erhielt ein anderer Komponist, Anm.). Der Rompreis war ein Kompositions-Stipendium der Académie des Beaux-Arts, das zu einem dreijährigen Aufenthalt in einer römischen Villa berechtigte. Im Jahre 1884 bekam er den 1. Rompreis für die Kantate „L'enfant prodigue“ und reiste Anfang 1885 nach Rom. Schon 1887 kehrte er aber aus Unzufriedenheit wieder nach Paris zurück. Es folgten einige Besuche bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth, die Debussy anfangs schwer beeindruckten. Ein anderes, für Debussys musikalische Entwicklung bedeutsames Ereignis war die Weltausstellung in Paris im Jahre 1889. Hier hörte er javanische Gamelanmusik, deren Elemente in einige seiner Werke Eingang fanden.
Ab 1893 begann Debussy die Arbeit an seiner einzigen vollendeten Oper „Pelléas et Mélisande“, die 1902 uraufgeführt wurde. Weitere wichtige Werke aus dieser Zeit sind das „Prélude à l'après-midi d'un Faune“ und die „Nocturnes“ für Orchester. In diese Zeit fielen auch verschiedene seelische Krisen, ständige finanzielle Sorgen und Beziehungs-Irrungen und Wirrungen, die vorläufig mit der Heirat mit Lily Texier 1899 endeten. Debussy begann unter dem Pseudonym Monsieur Croche eine Reihe von kritischen Artikeln zu publizieren und startete ab 1903 eine musikschriftstellerische Tätigkeit.
Zwischen 1903 und 1910 schrieb Debussy dann einige seiner wichtigsten und populärsten Werke, wie „La Mer“ für Orchester, und „Estampes“, „Images“, „Childrens Corner“ sowie den ersten Band der „Préludes“ für Klavier. 1908 heiratete er Emma Bardac, mit der er schon seit 1905 eine gemeinsame Tochter mit dem Namen Chouchou hatte. In den folgenden Jahren folgten einige Konzertreisen, unter anderem nach England, Italien und Holland. Die „Préludes“ Band II, „Images für Orchester“ und das Ballett „Jeux“ sind Werke aus dieser Zeit. Ab 1915 begann sich ein Krebsleiden bemerkbar zu machen, das Debussy immer mehr schwächte. Er starb am 26. März 1918 in Paris.“
Kleiner Exkurs: Um in den musikalischen Impressionismus einzuführen, als dessen Hauptvertreter Claude Debussy gilt, müssen wir nun etwas weiter ausholen und zunächst einmal darlegen, was es mit dem Impressionismus in der Malerei auf sich hat, der dem Impressionismus in der Musik einige Zeit voran ging. Nun zitieren wir wieder Jochen Scheytt: „Der Impressionismus wurde nach Claude Monets Gemälde "Impression, soleil levant" benannt, das 1874 bei einer Ausstellung von achtzehn jungen Malern im Atelier des Fotografen Nadar in Paris gezeigt wurde. Der Kritiker Louis Leroy prägte bei der Besprechung der Ausstellung den Begriff der "Impressionisten". Dies war eigentlich als Schimpfwort gedacht, setzte sich aber schon bald als Bezeichnung für die Maler und ihre Stilrichtung durch.
Claude Monet: "Impression, soleil levant" (1872)
Die wichtigsten Vertreter bei der ersten impressionistischen Ausstellung waren:
- Claude Monet (1840-1926)
- Auguste Renoir (1841-1919)
- Edgar Degas (1834-1917)
- Camille Pissarro (1830-1903)
- Paul Cézanne (1839-1906)
- Alfred Sisley (1839-1899)
- Berthe Morisot (1841-1895)
Ihnen allen war gemeinsam, dass sie sich bewusst von den bis dato geltenden Lehrmeinungen absetzten. Sie lösten sich von der gängigen Ateliermalerei und stellten den Alltag in Paris und der Umgebung, das Treiben auf den Boulevards, das Leben in den Vergnügungspalästen, die Stahlkonstruktionen der Bahnhöfe oder die Natur bei Ausflügen vor die Tore der Stadt dar. Dabei malten sie meist im Freien (en plein air) und stellten die Landschaften oder Gegenstände im Übergangszustand des Lichts dar, zum Beispiel bei Sonnenauf- oder untergang, bei flimmernder Luft im heißen Sommer oder im Mondschein. Um die schnell vorübergehenden Lichteffekte einfangen zu können, mussten sie sehr schnell malen, was die in groben Strichen aufgebrachte Farbe und unklaren Konturen der impressionistischen Bilder erklärt. Außerdem setzten sie den dunklen Farben der Atelier-Malerei ihre hellen und zarten Pastellfarben entgegen.
Weitere typische Merkmale für die impressionistische Malerei sind:
- Verzicht auf realistische Darstellung
- verschwommene Farben, die ineinander übergehen
- keine feste und klare Linienführung, keine Details
- Verzicht auf Perspektive
- helle und zarte Farben, Eindruck eines Schleiers, der über dem Bild liegt
- Spiel mit Licht- und Farbreflexen
Ziel war also kein genaues Abbild des Originals, sondern der Eindruck, die Impression, die das gemalte Objekt in diesem Moment unter bestimmten Lichtverhältnissen bot. Durch diese Lösung vom Gegenständlichen legten sie den allerersten Grundstein für die Entwicklung der modernen abstrakten Kunst.“
Bei vielen Zeitgenossen, vor allem aber bei der konservativen Kritik stießen die Bilder im neuen Stil wegen des starken Bruchs mit der Tradition auf wenig Verständnis. Albert Wolff schrieb anlässlich der zweiten Ausstellung der Impressionisten 1876 im "Figaro":
"Nach dem Brand der Oper ist ein neues Unglück über die Rue Peletier hereingebrochen. Bei Durand-Ruel wurde eine Ausstellung so genannter Malerei eröffnet. Ahnungslose Passanten, von der fahnengeschmückten Fassade angezogen, treten ein, und ihren entsetzten Blicken bietet sich ein grausames Schauspiel: Fünf oder sechs Wahnsinnige, darunter eine Frau, haben, vom Ehrgeiz verblendet, hier ihre Werke ausgestellt. Viele Besucher bekommen Lachkrämpfe vor diesen Machwerken; mir zog es das Herz zusammen. Diese selbsternannten Künstler nennen sich Umstürzler, Impressionisten; sie nehmen Leinwand, Farbe und Pinsel, setzen, wie es gerade kommt, einige Töne nebeneinander und unterzeichnen das Ganze. Man muss Pisarro zu verstehen geben, dass Bäume nicht violett sind und der Himmel nicht die Farbe frischer Butter hat, dass in keinem Land die Dinge zu sehen sind, die er malt." (Zitiert nach: Kuhl, Isabel. Impressionismus. Parragon Books Ltd., 2012, S. 118.)
Jochen Scheytt schreibt weiter: „Der Impressionismus war ein zeitlich wie regional begrenztes Phänomen und trat in der Bildenden Kunst und der Musik zeitlich versetzt auf. Für die Bildende Kunst wurde der Begriff also geprägt, als der Kritiker Leroy 1874 eine junge Generation von Malern verunglimpfen wollte, die sich von der vorherrschenden Atelierkunst distanzierten und einen neuen Malstil schufen). Die Übertragung des Begriffs Impressionismus auf die Musik geschah 12 Jahre später, im Jahre 1886, als die Jury des Rompreises in Debussys eingereichtem Werk „Printemps“ in Anspielung auf die impressionistische Malerei einen "vagen Impressionismus" rügte. Hierbei handelte es sich wie schon bei Leroy um eine abschätzige Bezeichnung, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich Debussy selbst gar nicht als Impressionist sah, und auch den Bezug zwischen seiner Musik und der impressionistischen Malerei nie herstellte.
Der Impressionismus ist eng an die Belle Époque genannte Zeitspanne von circa 1885 bis 1914, also bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs gekoppelt. Somit fallen das Ende der Belle Époque und das Ende des Impressionismus zusammen. Doch auch schon in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als starke gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen immer mehr zur Verunsicherung der Menschen beitrugen, war die feine und zarte impressionistische Kunst nicht mehr die passende Begleitmusik. Sie wurde abgelöst vom laut aufschreienden Expressionismus - in der Bildenen Kunst symbolisiert durch das Bild „Der Schrei“ von Edvard Munch und in der Musik durch das 1913 in Paris uraufgeführte Skandalballett von Igor Stravinsky „Le sacre du printemps“ und diverse Werke von Arnold Schönberg. Der musikalische Impressionismus dauerte also gerade einmal 30 Jahre.
Der Impressionismus ist eine rein französische Stilrichtung mit Zentrum in Paris, die hauptsächlich mit zwei Komponistennamen verknüpft ist, nämlich mit Claude Debussy und Maurice Ravel. Zwar haben auch andere Komponisten impressionistische Klangwirkungen gebraucht; deren gesamtes Werk ist jedoch nicht impressionistisch zu nennen.
Warum der Impressionismus außerhalb Frankreichs nie Fuß fassen konnte, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Sicherlich spielt die französische Lebensart, die Tradition der musikalischen wie literarischen Salons, sowie der kulturelle Schmelztiegel Paris eine große Rolle. Hier fand sich der künstlerische Nährboden, auf dem diese kurze, aber intensive Kunstrichtung entstehen und gedeihen konnte. Sie war deshalb auch nicht verpflanzbar.
Der Impressionismus steht an der Schnittstelle zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert und damit am Wendepunkt von der späten Romantik hin zur Moderne. Dabei wird der Impressionismus einerseits als letzte spätromantische Episode, andererseits als der erste moderne, auf die Umwälzungen der kommenden Jahre hinweisende Musikstil angesehen.
Dieses Spannungsverhältnis lässt sich gut an Debussys kompositorischer Entwicklung ablesen. Debussy, dessen Musikverständnis zu Beginn sehr von romantischem Geist geprägt ist, der sich sehr für die hochromantische Musiksprache Wagners begeistert, wendet sich im Laufe der Jahre bewusst von diesen Vorbildern ab, um eine eigene, modernere Sprache zu entwickeln. Diese manifestiert sich in einer völlig neuen Konzeption von Form und musikalischer Entwicklung, die zukunftsweisend ist. Auch im harmonischen Bereich ist Debussy modern, löst sich allerdings nie von der Dur-Moll-Tonalität. Seine impressionistische Musik ist im Kern also tonal und beschränkt sich darauf, diese Tonalität auf neue, nie da gewesene Arten zu modifizieren und zu erweitern.
Die größte Neuerung hierbei ist sicherlich das Herauslösen der Akkorde aus dem tonalen Zusammenhang. Anstatt die Akkorde in harmonische Spannungsverläufe einzubinden, wie das bisher in der Musik geschah - repräsentiert durch das Verhältnis von Dominante (Spannung) zu Tonika (Auflösung) - werden sie als reine Klang- oder Farbwerte verwendet. Sie stehen damit quasi für sich, sind in keinen harmonischen Verlauf eingebunden, und entfalten ihre Wirkung nur aus sich selbst.
Hier zeigt sich die Modernität Debussys, denn dieser Weg wurde von den Komponisten der damaligen Zeit konsequent weiter beschritten, nur dass sich die Klangfarbe der Musik diametral änderte. Igor Stravinsky schuf mit seinen grellen, teilweise fast unerträglichen Klangkaskaden in „Le sacre du printemps“ einen klanglichen Gegenpol zu Debussys Klangwelt, und auch die frühen Werke der Neuen Wiener Schule um Arnold Schönberg ersetzten die Tonalität durch Klangwerte (zum Beispiel Arnold Schönbergs Klavierstück "Farben"). Sie beschritten den Weg allerdings konsequent und lösten die herkömmliche Tonalität komplett auf, überführten die Musik in die so genannte Atonalität.
Dies war ein Weg, der damals vielversprechender erschien und in der Tat für lange Zeit als der Weg in die Zukunft erschien. Nur das Publikum konnte sich nie mit den Dissonanzen der Atonalität anfreunden, so dass die Komponisten ihre Werke für einen kleinen elitären Zirkel schrieben und das große Publikum über ihrer Idee aus den Augen verloren. Der Impressionismus kann also mit Recht als die letzte Stilepoche angesehen werden, die an der Grenze zum 20. Jahrhundert und an der Grenze zur Moderne ein großes Publikum erreichte und auch heute noch erreicht.
Die folgenden musikalischen Stilmittel werden von Debussy sehr häufig verwendet, charakterisieren seine Musik und werden somit oft auch impressionistisch genannt.
Harmonik
Auflösung der Kadenz und ihrer Gesetzmäßigkeiten, Suche nach neuen harmonischen Mitteln
- Auflösung der funktionalen Harmonik, aber nicht der Dreiklangsharmonik
- Akkorde als Farbwerte
- Mixturen, oft mit Sept-, Septnon- oder anderen Spannungsakkorden
- Verschleierung der Tonalität, harmonische Eintrübungen
- Verwendung ungewöhnlicher und exotischer Skalen, z.B. Ganztonleiter
- Verwendung alter Skalen wie Kirchentonarten oder Pentatonik
- Einsatz spezieller Akkordstrukturen wie Quint- und Quartschichtungen
- Verwendung von Klangfeldern, oft pentatonisch oder ganztönig
- Bitonale und polytonale Klangeffekte
Rhythmik
Schwebende Rhythmik durch Verunklarung des Metrums und fehlende Taktschwerpunkte
- Häufig komplizierte Rhythmik, die aber nicht als solche wahrgenommen wird
- Bewusstes Negieren und Verunklaren der Taktschwerpunkte und Taktarten
- Bewusste Taktverschleierung durch Auslassen der "1", Überbindungen und Synkopen
- Überlagerung verschiedener rhythmischer Schichten
- Taktwechsel
- Unregelmäßige Phrasenbildung
Melodik
Quasi gewichtslose melodische Linien ohne starke Bindung an metrische und harmonische Schwerpunkte
- Offene, auslaufende Melodien oder Melodiefragmente, Vermeidung von abgeschlossenen Melodien und Themen
- Kurze, episodenhafte Motive oder Melodieelemente, Verzicht auf thematische Arbeit
- Konturlosigkeit
- Pendelmelodik, in sich kreisende melodische Bewegungen
- Chromatik
- Orientierung an der Melodiebildung außereuropäischer Musik, z.B. javanische Musik
Form
- Häufige Dreiteiligkeit mit einfachen ABA'-Formen oder lockere Reihungsformen
- Formale Gliederung oft durch harmonische Felder
- Formale Zusammenhänge entstehen nicht durch motivisch-thematische Entwicklungen, sondern durch versteckte rhythmische-motivische Beziehungen
- Vermeidung von identischen Wiederholungen
- Zum Teil sehr komplexe, schwer zu durchschauende Formmodelle
Instrumentation
Gewinnung von Klangfarben und Farbeffekten aus einer differenziert ausgeführten und sehr durchsichtigen Instrumentation
- Fein abgestufter, differenzierter Einsatz der Instrumente
- Stehende, innerlich leicht bewegte, vibrierende Klangflächen
- Sorgfältig ausgesuchte, immer neue Kombinationen von Instrumenten zur Gewinnung immer neuer Klangfarben, Beleuchtungswechsel
- Vorliebe für Instrumente mit weichem, zartem Klang wie Flöte, Harfe, Streicher, Holzbläser
Struktur
Gleichzeitigkeit der Ereignisse, Klangpolyphonie
- Oft Dreischichtung, also drei gleichzeitig ablaufende musikalische Ebenen (Klangpolyphonie)
- Verwendung von Orgelpunkten und Ostinati
Dynamik
Genaueste Differenzierung, Vorliebe für leise Töne
- Oft leise bis sehr leise, dabei aber genauestens ausdifferenziert und dadurch schwer umzusetzen
- Genaue Klangvorstellung des Komponisten, die er mit Dynamikangaben zu vermitteln sucht
Sonstiges
- Vorliebe für außermusikalische Titel, die aber keine Handlungsabläufe darstellen, sondern nur die Atmosphäre andeuten sollen
- Keine Programmmusik
Nun kommen wir schließlich speziell zu dem Werk, zu dem wir unseren diskographischen Vergleich anstellen wollen, den „Trois Nocturnes“.
Es ist aufgeteilt in drei Teile, stellt also ein Triptychon dar:
- Satz: Nuages - Wolken
- Satz: Fêtes - Feste
- Satz: Sirènes - Sirenen
Seine Ursprünge gehen zurück bis ins Jahr 1892. Es wird als "Trois scènes au crépuscule", "Drei Szenen in der Dämmerung" erwähnt. 1894 entsteht eine Fassung für Violine und Orchester für den Geiger Eugene Ysaye, die aber wieder verworfen wird, als es zum Zerwürfnis zwischen den beiden Musikern kommt, Die endgültige Fassung entsteht zwischen 1897 und 1898. Der 1. und 2. Satz wurden am 9. Dezember 1900 unter der Leitung von Camille Chevillard in den Concerts Lamoureux uraufgeführt. Alle Stücke als Zyklus erklangen zum ersten Mal am 27. Oktober 1901.
Das Wort Nocturne kommt vom italienischen Notturno und bedeutet Nachtstück. Im 17. und vor allem 18. Jahrhundert war ein Nocturne ein Charakterstück für Klavier, das eine träumerische Stimmung mit einer ausdrucksvollen Melodie vereinte. Die bekanntesten Nocturnes schrieb Frédéric Chopin, die ersten John Field. Debussy wollte seinen Werktitel Nocturnes allerdings nicht in diesem herkömmlichen Sinn verstanden wissen. “Es handelt sich dabei um den Versuch, eine einzige Farbe in verschiedenen Besetzungen wiederzugeben, was beispielsweise in der Malerei einer Studie in Grau entspräche.“ (Zitiert nach: Stegemann, Michael. Vorwort zu "Trois Nocturnes". Eulenburg Taschenpartitur, 1983.)
Daraus ist zu schließen, dass die Anregung für die Nocturnes im Bereich der Malerei zu suchen ist, wahrscheinlich von Bildern des amerikanischen Malers James Abbott McNeill Whistler. Er nannte einige seiner Bilder Nocturnes und entlehnte den Begriff dabei aus der Musik. Es ist allerdings nicht bekannt, welches der Whistler-Nocturnes Debussy inspirierte.
James Abbott McNeill Whistler. Nocturne in Grey and Gold. Westminster Bridge, ca. 1871-1874
Geben wir kurz dem Komponisten selbst das Wort, denn obwohl Debussy normalerweise abgeneigt war, seine Kompositionen im Detail zu „erklären“, erklärte er sich bereit, zu jedem der Nocturnes einen mündlichen Kommentar abzugeben. Er beschreibt Nocturnes zweifellos so gut, wie es jeder könnte:
„Der Titel „Nocturnes“ ist hier allgemein und insbesondere dekorativ zu interpretieren. Es soll also nicht die übliche Form des Nocturne bezeichnen, sondern all die verschiedenen Eindrücke und besonderen Lichtwirkungen, die das Wort suggeriert. „Nuages“ gibt den unveränderlichen Aspekt des Himmels und die langsame, feierliche Bewegung der Wolken wieder, die in leicht weiß getönten Grautönen verblassen. „Fêtes“ gibt uns den vibrierenden, tanzenden Rhythmus der Atmosphäre mit plötzlichen Lichtblitzen. Es gibt auch die Episode der Prozession (eine blendende fantastische Vision), die durch die festliche Szene geht und mit ihr verschmilzt. Aber der Hintergrund bleibt immer dasselbe: das Festival mit seiner Mischung aus Musik und leuchtendem Staub, die am kosmischen Rhythmus teilnimmt. „Sirènes“ stellt das Meer und seine zahllosen Rhythmen dar, und zwischen den vom Mondlicht versilberten Wellen hört man kurz darauf den geheimnisvollen Gesang der Sirenen, die lachen und weiterziehen. (James M. Keller im Programmheft des SFSO 2019-5 zuvor bereits in anderer Version abgedruckt in einem Programmheft der New Yorker Philharmoniker)
Jochen Scheytt schreibt zu den drei Teilen des Triptychons:
Nuages
Nuages beginnt mit einem zweistimmigen Motiv in Klarinetten und Fagotten, das durch eine kontinuierliche Viertelbewegung und den ständigen Wechsel von Quinten und Terzen bestimmt wird. Die Klarinetten spielen das Motiv eine Oktave höher als die Fagotte.
Notenbeispiel 1: Nuages, Takt 1-2
Durch die ungewöhnliche Instrumentierung, die gleichmäßige und langsame Viertelfortschreitung und die hohlen Quinten entsteht vor dem geistigen Auge das Bild von fahlen, grauen, sich träge am Himmel entlangschiebenden Wolkenbergen.
In den Schlussakkord dieses Anfangsmotivs erklingt im Englischhorn ein neues, für Debussy sehr charakteristisches Motiv. Es ist nicht viel mehr als ein Impuls, ein rhythmisch prägnanter Auftakt, der dann über drei weitere Takte hinweg ausläuft und verklingt. Der Klang des Englischhorn nimmt die fahlen Anfangsfarben nahtlos auf.
Notenbeispiel 1: Nuages, Takt 5-8
Kurz vor Ende des Stücks entsteht aus dem Anfangsmotiv eine Melodie, die von der Flöte und Harfe unisono in hoher Lage gespielt wird.
Notenbeispiel 2: Nuages, Takt 64-66
Sie wird grundiert von einem liegenden Akkord der Streicher in reinem dis-Moll. Die Streicher sind in diesen Takten mehrfach geteilt, so dass ein 13-stimmiger (!) Akkord entsteht, der sich über etwas mehr als vier Oktaven erstreckt. Diese aufgefächerte Instrumentation und das warme dis-Moll bewirken eine Aufhellung der bisher recht düsteren Szenerie. Man kann, dann auch besonders bei der Wendung nach Es-Dur in Takt 77, sicherlich von der durch die Wolken durchbrechenden Sonne sprechen. Nach einem erneuten Stimmungsumschwung in Takt 80 endet der Satz so fahl wie er begonnen hat.
Fêtes
Das zweite Stück Fêtes folgt einer dreiteiligen Anlage nach dem "klassischen" Schema ABA'. Das bunte Treiben des Jahrmarkts im A-Teil wird jäh unterbrochen, als sich zu Beginn des Teils B ein Festzug aus der Ferne ankündigt. Man hört zuerst nur ganz leise den Rhythmus der Pauken und die Bässe, bevor die gestopften Trompeten mit dem 16-taktigen Thema einsetzen. Dieses Thema wird insgesamt dreimal hintereinander gespielt. Bei jeder Wiederholung wird die Dynamik und die Besetzung gesteigert. Bei der letzten Wiederholung ab Takt 156 spielt das volle Orchester und der Fanfarenzug vermischt sich mit dem Jahrmarkttreiben (Streicher). Hier kommt dann auch eine Militärtrommel zum Einsatz, die einen ostinaten, also stets gleichbleibenden Rhythmus beisteuert.
Notenbeispiel 3: Fêtes, Militärtrommel, Takt 154 ff.
Anschließend biegt die Militärparade um die Ecke und mit der Wiederaufnahme des A-Teils nimmt der bunte und farbige Jahrmarkt seinen Fortgang.
Sirènes
Schon wie in der Rompreisarbeit „Printemps“ setzt Debussy hier einen Frauenchor aus jeweils acht Sopran- und Mezzosopranstimmen ein. Sie singen nur Vokalisen, also Tonsilben. Debussy äußerte sich selbst zum Inhalt:
"Sirènes: das ist das Meer und sein unzählbarer Rhythmus; dann vernimmt man, wie in den mondversilberten Wellen der geheimnisvolle Gesang der Sirenen auflacht und vorüberzieht". Zitiert nach: Vallas, Leon. Debussy und seine Zeit. München, 1961, S. 196.“
(Mit Dank übernommen von Jochen Scheytt: „Die Deutschen Debussy-Seiten“)
Auch Malcolm Hayes hat sich seine Gedanken über das Werk Debussys gemacht und sie 2016 im BBC-Musikmagazin öffentlich zugänglich gemacht. Um auf seine Nuancierungen nicht verzichten zu müssen, seien sie ebenfalls noch zitiert. „Manchmal sind die tiefsten Revolutionen die leisesten. Manchmal muss ein bahnbrechendes Meisterwerk lange nach dem Tod seines Komponisten warten, bis es gewürdigt wird.
Glücklicherweise war dies nicht der Fall, als die erste vollständige Aufführung von Debussys Nocturnes am 27. Oktober 1901 in der Reihe Concerts Lamoureux in Paris stattfand. (Die ersten beiden Sätze ohne die abschließenden „Sirènes“ waren im Dezember des Vorjahres uraufgeführt worden.) Während sich einige Pressevertreter abweisend äußerten, waren andere Stimmen anerkennend und scharfsinnig. Pierre de Bréville schrieb in „Mercure de France“, dass „die schwer fassbare Art und Weise, in der sich die Musik von Nocturnes jeder Analyse widersetzte“, wirklich „die Verzweiflung der Kritiker“ war. Und, fuhr er fort, dass ihre Fähigkeit, Ohr und Seele gleichermaßen zu hypnotisieren, mit Debussys Leistung zusammenhängt, „von der Musik nicht alles zu verlangen, was sie geben kann, sondern stattdessen von ihr zu verlangen, was sie allein vorschlagen könnte“.
Auch Paul Dukas , der seit der gemeinsamen Studienzeit am Pariser Konservatorium eng mit Debussy befreundet war, stellte fest, dass auf der Grundlage dieses Werkes seinem Komponistenkollegen „von nun an eine einzigartige und unverwechselbare Stellung zukommt unter den Musikern seiner Zeit“.
Was die Musik von Nocturnes so bemerkenswert macht, ist ihre Fähigkeit, sich auf so zurückhaltende Weise unvergesslich in den Geist einzuprägen. Die drei Sätze – „Nuages“ (Wolken), „Fêtes“ (Feste), „Sirènes“ (Sirenen) – sind in Ton und Art sehr unterschiedlich und jeder präsentiert eine einzigartig besetzte Klangwelt, die anderswo keine echte Parallele hat Debussys Musik (obwohl im ersten Satz von Ibéria ein entferntes Echo von „Fêtes“ zu hören ist).
Gegen die Gesten der musikalischen Rhetorik – vor allem gegen die lärmende, postwagnerische, große Orchester-Spielart, die damals in der österreichisch-deutschen Spätromantik blühte, hatte Debussy inzwischen einen tief verwurzelten Widerstand entwickelt. „Die Muse“, sagte er gern, „sollte immer diskret sein.“ Der Debussy-Stil war einer, der die subtile Gegenüberstellung von Ideen über ihre langwierige Entwicklung hinweg bevorzugte, der leise Klänge lauten vorzog und sehr oft ein Gefühl der Stille statt der traditionell symphonischen, zielgerichteten Bewegung.
In „Nocturnes“ sind Art und Orchestrierung von „Nuages“ und „Sirènes“ jeweils ungewöhnlich zurückhaltend und individuell: Letzterer fügt einen wortlosen Frauenchor hinzu, und beide Sätze lassen Posaunen und Schlagzeug außer Pauken weg („Nuages“ lässt auch Trompeten weg). Und während „Fêtes“ Fanfaren, Orchesterschnörkel und sogar ein ehrliches traditionelles Tutti bietet, ist der Anschlag des Komponisten geschickter als bei jedem zeitgenössischen Gegenstück, das mir in den Sinn kommt.
„Nuages“, die einzige Wolkenlandschaft in Debussys Musik, deutet diese stille, schwankende Welt in sanft wiegenden Akkordfolgen für Holzbläser und gedämpfte Streicher an; Die Anmerkung des Komponisten bezieht sich auf „den unveränderlichen Aspekt des Himmels und die langsame, feierliche Bewegung der Wolken, die in leicht weiß gefärbten Grautönen verblassen“. Während des ganzen Satzes wiederholt sich ein Melodiefragment für Solo-Englischhorn nur auf demselben Instrument in derselben unveränderlichen Tonhöhe, während sich die treibenden Wolkenmassen darum herum zu bilden und neu zu formieren scheinen.
Die Musik schreitet voran, während sie mit einzigartiger debussianischer Geschicklichkeit auch überhaupt nicht fortzuschreiten scheint; Die Wirkung ist sowohl distanziert als auch schmerzhaft ergreifend, als ob diese menschenleere natürliche Welt irgendwie eine Macht hat, die größer ist als jede menschliche, um das Herz zu bewegen.
Auf die gleiche Weise verbinden die wirbelnden Rhythmen und Farben von „Fêtes“ Gegensätze: Die Brillanz der Musik ist gleichzeitig ultralebendig und seltsam abstrahiert, sodass der plötzliche Wechsel von Tempo und Material im Mittelteil eine imaginäre vorbeiziehende Prozession suggeriert – „eine schillernde Fantastik“. Eine „Vision“, wie Debussy es beschrieb – eher als eine echte.
„Sirènes“ schließlich, so Debussy, „zeigt das Meer und seine zahllosen Rhythmen; jetzt ist zwischen den vom Mondlicht versilberten Wellen das geheimnisvolle Lied der Sirenen zu hören, wie sie lachen und weiterziehen. In der homerischen Legende gab es nur zwei Sirenen, aber Debussys Beschwörung ihres Gesangs setzt einen wortlosen Chor aus 16 Frauenstimmen ein. Wieder wird der musikalische Präzedenzfall leise und vollständig auf den Kopf gestellt: Der Effekt, eher als authentisch chorisch, ist ein aus einer anderen Welt stammender, fast instrumentaler Gesang über einem mondbeschienenen griechischen Meer, der mit bezaubernder Lieblichkeit heraufbeschworen wird.“ Die Betrachtung des „echten“ Meeres wird dann sechs Jahre später veröffentlicht („La Mer“), Anm.)
„Eine solche originelle Beherrschung verändert immer wieder die Musikgeschichte. Hier jedoch auf einzigartige Weise, denn Debussys Stil drang von nun an immer weiter in neue Regionen vor: Die virtuose Manier und Nadelspitzenpartitur von „La mer“ sollte sich auffallend von dem exquisiten, halbtonigen Klang-Welt von 'Nuages' und 'Sirènes' unterscheiden. Selbst für Debussy war seine Leistung in Nocturnes nicht nachvollziehbar.“ Soweit Malcolm Hayes.
Dietmar Holland schließlich setzt in seinem „Konzertführer“ bei der Betrachtung des Triptychons nochmals andere Akzente, indem er schreibt: „Von den drei Nocturnes fallen denn auch Strahlen auf die späteren Orchesterwerke Debussys: Das mythologische Meer der Nocturnes kehrt, gewissermaßen entmythologisiert, wieder in „La mer“, das großstädtische Treiben der ‚Fêtes‘ verwandelt sich im Schlussteil von „lbéria“ (‚Le matin d'un jour de fête‘) zum ländlichen Fest mit unüberhörbarem folkloristischen Akzent, und die ‚Nuages‘ verflüchtigen sich zu den schweren, sinnlichen Düften spanischer Nächte im Mittelteil von „lbéria“ (‚Les parfums de la nuit‘). Die Bewegungen setzt Debussy in Klangfarben und in Rhythmik um, entfaltet dabei drei verschiedene Formideen: Im ersten Stück geht es um den Wechsel von Dynamik und Statik der Farbe selbst, konzentriert auf ein fixiertes klangliches Zentrum, im zweiten Stück um die grelle, bunte Fülle – das Stück steht im Tritonusabstand zum ersten, also dem am weitesten möglichen – wechselnder Tempi und Dynamik in einem Tarantella-Wirbel, der auf ein pointiertes Marsch-Thema zusteuert, das seinerseits eine riesige dynamische Steigerung hervorruft, und das dritte Stück bringt durch ausgedehnte Farbbewegungen eine bisher nicht aufgetretene Profilierung der Thematik über den gesamten Ablauf hinweg mit sich. (In den ersten beiden Stücken stechen nur einzelne, charakteristische Themen aus dem Ablauf heraus.) Man fühlt sich genötigt, die Partitur nicht mit musikalischen Fachbegriffen zu erklären, sondern wie ein Bild anzuschauen, denn es gibt nicht mehr die klassische Dialektik von Themenmaterial und seiner Entwicklung im Formprozess, sondern nur noch Reihungen oder Wiederholungen, freilich stets als Umbelichtungen. Die Form ist nichts Gegebenes mehr; sie muss ausgedacht werden, wie die neuartige Syntax auch. Debussys Abneigung gegen die herkömmliche Durchführungstechnik nahm in den Nocturnes erstmals konkrete Gestalt an.
An deren Stelle tritt die sorgfältige und ausgesuchte instrumentale Koloristik, und zwar keine verschwommene, aber auch nicht die distinkt abgesetzte Ravels, sondern eine unmerklich abgetönte. In den ‚Nuages‘ sind es die kühleren Farben, in den ‚Fêtes‘ natürlich die gleißenden und in den ‚Sirènes‘ die warmen Farben (Fis-dur!), Farbe immer doppeldeutig verstanden, als Klang- und Akkord- bzw. Tonartfarbe. Dadurch wird Debussys neuartige musikalische Syntax möglich. Selbst eine einzelne Instrumentalfarbe bekommt Bedeutung: „Das Englischhorn in ‚Nuages‘ setzt jenes neue Atmen der Musik fort, das der Komponist mit der Flöte des Fauns zum Leben erweckt hatte“ (Pierre Boulez)“, soweit Dietmar Holland.
Wir verwendeten für den Vergleich die Eulenburg Taschenpartitur No. 1320, die leider mehrmals die Stimmen des Hörner (Cor) mit der Bezeichnung Englischhorn (Cor anglais) versieht. Das ist der Verwechslungs-Klassiker, hätte aber die Kontrolle nicht unkorrigiert passieren dürfen. Zunächst traut man seinen Augen kaum, aber dadurch, dass plötzlich laut Partitur sogar zwei Englischhörner spielen sollen, fällt das Rätsel dann doch jedem auf. Sogar uns. Einen echten Fehler leistet sie sich im letzten Satz (Sirènes) T. 4 und 5 nach Zf. 2, da fehlt der Einsatz der Vokalstimmen unisono zu den Violinen. Die Sirenen in allen Einspielungen ohne Ausnahme singen hier, in der Partitur steht davon nichts.
Nun noch eine kleine Zitatsammlung:
Paul Dukas: „Das Gesicht einer menschlichen Person scheint vollständig verschwunden, es erklingen die anonymen Elemente. Es gibt nicht mehr, wie noch bei Liszt, den Dialog zwischen Natur und Menschlichkeit, es gibt nur den zwischen Wind und Meer“. Wo die Musik sehnsüchtig erscheint, ist es gleichsam der klingende Drang der Elemente selbst. (über „La Mer“).
Debussy über Brahms und Beethoven: Über Brahms sagte er einmal: “Ergreifen wir die Flucht, er beginnt mit der Durchführung!“ Wo bleibt die Inspiration, hat er sich gefragt, wenn die Musik ihre üblichen Formroutinen abspult, Brücken, Übergänge und Durchführungen bastelnd sich in bloßer Technik ergeht? Musik aber, davon war Debussy überzeugt, besitzt elementaren Anteil am Unendlichen, sie „lebt in der Bewegung der Wasser, im Wellenspiel wechselnder Winde“. Den Sonnenaufgang zu betrachten sei daher „viel nützlicher als die Pastoralsinfonie zu hören“.
Erneut Claude Debussy selbst: „Ich revolutioniere nichts, ich zerschlage nichts. Ich gehe meinen Weg, und mache, anders als ein Revolutionär, nicht die geringste Propaganda für meine Ideen. (…) Es gibt keine Debussy-Schule. Ich habe keine Jünger. Ich bin eben ich. (…) Sehen Sie, wie man sich täuschen kann. Die einen sehen in mir einen melancholischen Mann des Nordens, andere halten mich für einen Vertreter des Südens, der Provence, eines Daudet, tirili, tirila! Dabei stamme ich ganz einfach aus Saint-Germain, eine halbe Stunde von Paris entfernt.“ (1910 gegenüber einer österreichischen Journalistin, entnommen dem Beiheft der Ansermet-Aufnahme von 1957)
Claude Debussy, über sein musikalisches Schaffen, 1907: „Ich schreibe Dinge, die erst die Enkel im 20. Jahrhundert verstehen werden.“
Claude Debussy: „Man achtet das Meer nicht genug. Es sollte nicht gestattet sein, seinen durch das tägliche Leben verunstalteten Körper darin zu baden. Alle diese Arme und Beine, die sich in lächerlichen Rhythmen bewegen, bringen nur die Fische zum Weinen. Im Meer dürfte es nur Sirenen geben, wie aber wollen Sie, dass diese liebenswürdigen Gestalten bereit sind, in diese missbrauchten Gewässer zurückzukehren?“
Claude Debussy: „Ich wünsche der Musik eine Freiheit, die ihr vielleicht mehr als jeder anderen Kunst gemäß ist, da sie nicht mehr auf eine mehr oder minder genaue Nachahmung der Natur beschränkt ist, sondern auf die geheimnisvollen Beziehungen zwischen der Natur und der Phantasie zielt.“
Ein letztes Mal Claude Debussy: „Die Musik dieses Stückes hat das Besondere, das sie immateriell ist und dass man sie folglich nicht wie eine robuste Sinfonie behandeln kann, die auf ihren vier Beinen marschiert (bisweilen sind es drei, aber das marschiert genauso). Übrigens überzeuge ich mich mehr und mehr, dass die Musik ihrem Wesen nach nicht etwas ist, das man in eine strenge und überlieferte Form gießen könnte. Sie besteht aus Farben und rhythmisierten Zeiten…der Rest ist eine Aufschneiderei, die von kaltblütigen Schwachköpfen auf dem Rücken der Meister erfunden worden ist, die fast allgemein nur Musik ihrer Zeit gemacht haben. Nur Bach hat die Wahrheit geahnt…“ (in einem weniger bekannten Brief an seinen Verleger 1907, das angesprochene Stück sind übrigens nicht die „Nocturnes“, sondern die „Images pour Orchestre“)
Von der mirkulösen Wirkung, die die „Fêtes“ auf die Zeitgenossen, auch und gerade auf hellhörige Musiker, ausübte zeugt der Uraufführungsbericht des italienischen Komponisten Alfredo Casella: „Wenige Eindrücke meines musikalischen Lebens kamen dem des Eintritts der drei gedämpften Trompeten im Cortège der Fêtes gleich. Eine neue Klangwelt erfasste mich, der Rausch des Unbekannten, Unendlichen erweiterte mein musikalisches Empfinden.“ (Debussy selbst sprach von einem kosmischen Rhythmus, siedelte das Fest also wohl eher im Parnass an als in Menschenstädten, entnommen dem Beiheft der Einspielung von Hans Zender bei Glor Classics)
Und schließlich Pierre Boulez: „Unter allen Musikern blieb Debussy einer der einsamsten – und seine Epoche zwang ihn zuweilen zu geschmeidigen und unauffälligen Lösungen. Aber gerade durch seine kostbare Isolation und durch das weder mittelbare noch übertragbare all seiner Erfahrungen und Erkenntnisse wurde er zum einzig universellen Musiker Frankreichs – zumindest im 19. Und 20. Jahrhundert. Debussy strahlt verführerische Kräfte aus von geheimnisvoll hinreißendem Zauber. Seine Position an der Schwelle der Neuen Musik gleicht einem Pfeil, der einsam in die Höhe schießt. (Entnommen dem Buch „50 Klassiker“, dargestellt von Ulrike Timm, erschienen im Gerstenberg-Verlag.)
Zusammengestellt bis 22.1.2022

Claude Debussy um das Jahr 1901.
Zusammenfassung der Ergebnisse. Die Rezensionen sind im Anschluss zu finden.
Eine Interpretation mehr oder weniger gemäß der historisch informierten Aufführungspraxis und mit dem Instrumentarium aus der Zeit der Komposition dargeboten:
5
Francois-Xavier Roth
Les Cris de Paris
Les Siècles
Harmonia Mundi
2018, Live
7:08 6:34 10:23
24:05
Aufnahmen mit klassischen Sinfonieorchestern
5
Claudio Abbado
New England Conservatory Chorus
Boston Symphony Orchestra
DG
1970
7:44 5:58 10:37 24:19
5
Claudio Abbado
Damen des Rundfunkchors Berlin
Berliner Philharmoniker
DG
1999
6:14 6:08 9:44 22:06
5
Lorin Maazel
Schönberg Chor
Wiener Philharmoniker
RCA
1999
7:37 5:53 10:52 24:22
5
Ernest Ansermet
Ein ungenannter Frauenchor
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1957
6:54 6:16 9:16 22:26
5
Jean Fournet
Tschechischer Philharmonischer Chor
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1963
7:53 6:26 11:03 25:22
5
Pierre Boulez
The Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
DG
1993
6:11 6:28 9:37 22:16
5
Robin Ticciati
Rundfunkchor Berlin
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Linn
2019
7:57 6:33 10:34 25:04
5
Sir Georg Solti
Women oft he Chicago Symphony Chorus
Chicago Symphony Orchestra
Decca
1991
6:42 5:48 9:18 21:48
5
Esa-Pekka Salonen
Women oft the Los Angeles Master Chorale
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1994
7:07 6:26 10:39 24:12
5
Christian Thielemann
Damen des RIAS Kammerchores
Berliner Philharmoniker
Konzertmitschnitt Deutschlandradio (bisher unveröffentlicht)
2012, Live
6:38 6:32 11:06 24:16
5
Michael Tilson Thomas
Ambrosian Singers
Philharmonia Orchestra London
CBS-Sony
1982
8:37 6:20 12:12 27:09
4-5
Sergiu Celibidache
SWR Vokalensemble
RSO Stuttgart des SWR
DG
1980
11:08 7:20 13:50 31:24
4-5
Paul Paray
Wayne State University Women´s Glee Club
Detroit Symphony Orchestra
Mercury
1961
6:11 5:41 7:35 19:27
4-5
Lorin Maazel
Damen des Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
Decca
1978
7:25 5:54 10:50 24:09
4-5
Vladimir Ashkenazy
Women´s Voices of the Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
Decca
1986
7:27 6:10 9:53 23:30
4-5
Robin Ticciati
Damen des Chores des BR
Bamberger Symphoniker
Aufnahme des BR, unveröffentlicht
2012, Live
6:08 6:27 10:17 22:52
4-5
Yannick Nézet-Seguin
Collegium Vocale Gent
Rotterdam Philharmonic Orchestra
DG
2018
7:47 6:20 11:02 25:09
4-5
Colin Davis
Tanglewood Festival Chorus
Boston Symphony Orchestra
Philips
1982
7:58 6:35 12:10 26:43
4-5
Claudio Abbado
Damenchor des BR
Lucerne Festival Orchestra
Radiomitschnitt vom Schweizerischen Rundfunk
2008, Live
7:16 6:30 10:20 24:06
4-5
Bernard Haitink
Collegium Musicum Amstelodamense
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1979
7:02 6:14 10:21 23:37
4-5
Yan Pascal Tortelier
Renaissance Singers
Ulster Orchestra, Belfast
Chandos
1990
7:23 6:30 10:45 24:38
4-5
Pierre Boulez
John Alldis Choir
New Philharmonia Orchestra London
CBS-Sony
1969
6:58 6:37 10:57 24:32
4-5
Carlo Maria Giulini
Philharmonia Chorus
Philharmonia Orchestra London
EMI
1962
8:42 6:09 11:21 26:12
4-5
Eduard van Beinum
Womens Voices of the „Collegium Amstelodamense“
Concertgebouworchester Amsterdam
Philips
1959
6:47 5:43 8:20 20:50
4-5
Constantin Silvestri
Choeur Elisabeth Brasseur
Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)
EMI, BnF
1958
8:26 5:59 10:47 25:47
4-5
André Previn
Ambrosian Singers
London Symphony Orchestra
EMI
1984
7:55 6:37 11:22 25:54
4-5
Eugene Ormandy
Temple University Women´s Choir
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1964
8:16 6:26 11:09 25:51
4-5
Michel Plasson
Choeurs de Toulouse Midi-Pyrenées
Orchestre du Capitole de Toulouse
EMI
1988
8:02 6:22 9:44 24:08
4-5
Max Pommer
Rundfunkchor Leipzig
Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig (heute: MDR Sinfonieorchester)
Delta, Capriccio
1991
8:10 6:30 10:37 25:17
4
Armin Jordan
Choeur de Chambre Romand
Orchestre de la Suisse Romande
Erato-Cascavelle
1988
7:44 6:25 8:57 23:06
4
Gary Bertini
Kölner Rundfunkchor
Kölner Rundfunksinfonieorchester (heute: WDR Sinfonieorchester Köln)
Capriccio
1988
7:13 6:26 10:15 23:54
4
Manuel Rosenthal
Choeur de la Radio Television Francaise
Orchestre de l´Opéra National de Paris
Adès, Vega, Praga
1958
7:18 6:16 8:47 22:29
4
Emmanuel Krivine
Choeurs de Chambre „Accentus“
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Timpani
2009
7:28 6:26 10:29 24:20
4
Charles Dutoit
Choeur de Femmes de l´Orchestre Symphonique de Montréal
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1988
7:49 6:14 10:45 24:48
4
Paavo Järvi
Women oft the May Festival Chorus
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
2004
7:20 6:20 10:45 24:25
4
Louis de Froment
Vokalvereinigung „Psallette“ (aus Lothringen)
Orchestre Symphonique de RTL (heute Orchestre Philharmonique de Luxembourg)
Concerto royale, Vox
1973
8:04 6:18 10:22 24:44
4
Alain Lombard
Choeurs de l´Opéra du Rhin
Orchestre Philharmonique de Strasbourg
Erato
1975
8:13 6:40 10:20 25:13
4
Emmanuel Krivine
Niederländischer Kammerchor
Orchestre National de Lyon
Denon
1995
7:50 6:36 11:09 25:35
4
Désiré-Émile Inghelbrecht
Choeur de Femmes de Radiodiffusion Francaise (RTF)
Orchestre National de RTF (heute: Orchestre National de France)
Erato- BnF
1958
6:14 6:50 9:50 22:54
4
Daniel Barenboim
Choeur de l´Orchestre de Paris
Orchestre de Paris
DG
1978
8:30 6:58 9:57 25:25
3-4
Leopold Stokowski
BBC Chorus
London Symphony Orchestra
EMI
1957
8:30 6:07 10:07 24:44
3-4
Eliahu Inbal
Women´s Chorus oft the Nederlands Radio
Concertgebouworchester Amsterdam
Philips
1969
6:41 5:46 9:56 22:23
3-4
Jean Martinon
Choeurs de l´ORTF
Orchestre National de l´ORTF (heute: Orchestre National de France)
EMI
1973
7:34 6:38 8:12 22:24
3-4
Ernest Ansermet
Ein ungenannter Frauenchor
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1951
7:18 6:21 9:03 22:42
3-4
Vaktang Kakhidze
Festival Chor Tiflis
Sinfonieorchester Tiflis
HDC, Centurion Classics, Best Direct
Nicht ermittelbar
7:38 6:22 12:10 26:20
3-4
Alexander Rahbari
BRT Chor
BRT Philharmonic Orchestra, Brussels (heute: Brussels Philharmonic)
Naxos
1989
7:29 6:55 12:34 26:58
3-4
Leopold Stokowski
ein nicht näher benannter „Womens Chorus“
Philadelphia Orchestra
RCA, nun History
1939 („Nuages“ bereits 1937)
8:40 5:41 11:24 24:45
Aufnahmen, die trotz Amputation der „Sirènes“ das Licht der Welt erblickt haben.
5
Pierre Monteux
London Symphony Orchestra
Decca
1961
6:47 5:51 12:38
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1962
7:21 6:37 13:58
4-5
Yuri Temirkanov
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Brilliant
1980, Live
7:01 6:12 13:13
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1960
8:10 5:47 13:57
3-4
Victor de Sabata
Orchestra Stabile Accademia di Santa Cecilia, Rom
EMI-Testament
1948
7:44 5:48 13:32
3-4
Jewgenij Mrawinsky
Leningrad Philharmonic Orchestra
Praga
1960, Live
8:09 6:18 14:27
3
Arturo Toscanini
NBC Symphony Orchestra
RCA
1952 (Nuages)
1948
(Fêtes)
5:28 5:30 10:59
Vergleich:
Eine Interpretation mehr oder weniger gemäß der historisch informierten Aufführungspraxis und mit dem Instrumentarium aus der Zeit der Komposition dargeboten:
Francois-Xavier Roth
Les Cris de Paris
Les Siècles
Harmonia Mundi
2018, Live
7:08 6:34 10:23
24:05
Diese Rubrik ist im Fall der „Trois Nocturnes“ fast schon obsolet, denn auch die Wiener Philharmoniker pflegen ihr Instrumentarium aus dem vorletzten Jahrhundert noch zu verwenden und dennoch käme man nicht auf die Idee, sie dieser Rubrik zuzuordnen. Außerdem beschäftigen sich viele Dirigenten mittlerweile mit der historischen Praxis ohne sie deshalb einem bestimmten Lager zuordnen zu können (oder zu wollen). Zu ihnen gehört wohl auch Francois -Xavier Roth. Und last but not least, es gibt nur eine Einspielung, die in diese Rubrik passen würde. Und weil sie die einzige ist, wollten wir sie nicht ans Ende der Liste setzen, das würde von der Form her ihren Verdienst unnötig schmälern. Und manch ein Leser kommt ja gar nicht bis ans Ende der Liste, sodass er gar keine Kenntnis von ihr erhalten würde. Dabei vereint sie so viele Meriten auf sich, dass sie dann doch eher an den Kopf der Liste gehört, wo sie nun auch steht, ohne aber die anderen Einspielungen der Gruppe 5 zu überragen. Es ist jedoch eine hervorragende, ungewöhnliche Einspielung geworden, wenn sie auch nicht unbedingt die Ohren neu justiert, wie es der gleichen Besetzung bei der Einspielung von Strawinskys „Le Sacre du printemps“ gelang (siehe dort). Doch nun genug der Vorrede.
Roths Tempo ist im ersten Satz zügig. Dennoch vermittelt er mit dem besonders weich und zugleich auch sonor klingenden Orchester viel Klangzauber und Exotik. Die Holzbläser, allen voran das Englischhorn, das im ersten Satz eine tragende Rolle spielt, begeistern vom ersten Ton an. Flöte und Oboe seien neben ihm wegen des empathischen Spiels doch noch ein wenig herausgehoben. Der Satz bekommt eine völlig unverkrampfte Natürlichkeit im Ablauf und im Klang, sodass man gar nichts zu hinterfragen sucht. Er überzeugt auf ganzer Linie und erscheint überhaupt nicht trostlos, wie einmal über die „Nuages“ zu lesen war, sondern farbig und lebensecht, mit einer viel Wärme und einer gewissen Tiefenschärfe versehenen Schönheit. Überhaupt hätte Debussy ein anderes Instrumentarium wählen können, wenn es ihm wirklich nur um verschiedene Grautöne mit Weiß gegangen wäre. Die historischen Blas-Instrumente (die Streicher aber auch) mischen Farben dazu, die über Grau weit hinausgehen. Natürlich muss das einem Instrumentations-Meister wie Debussy auch klar gewesen sein. Für Abstufungen in Grau wäre er wahrscheinlich nur bei einem Streichorchester geblieben. Vielleicht hat er aber „Farben“ ganz anders gehört, als wir uns das heute vorstellen? Oder einfach nur tiefgestapelt mit seinem „grau“ oder gar ein wenig provoziert?
Aus den „Fêtes“ spricht bei Roth eindeutig ein sinfonisch (von der Reichhaltigkeit des Klanges her gesehen) und zugleich auch kammermusikalisch (von der Kunst des Zusammenspiels der Musiker her gesehen) geprägtes Scherzo. Leicht, locker und mit einer stillen und selbstverständlichen Virtuosität gesegnet klingt das Orchester ganz ausgezeichnet und völlig souverän. Und dabei auch noch erstaunlich tänzerisch und beschwingt. Die Militärparade, manche meinen ja, das Fest sei ein imaginierter Nationalfeiertag, mischt die Festgemeinde ordentlich auf und grell jubelnd geht es danach auch noch weiter. Das alles wirkt agil und mit Frische dargeboten. Auch im ziemlich lauten Höhepunkt bleibt das Klangbild noch super-transparent. Eine Eigenart, die sie mit nur wenigen Aufnahmen teilt, denn viele, besonders ältere, kommen hier an die dynamischen Grenzen der Aufnahmetechnik.
Die „Sirènes“ bilden mit dem Orchester eine kaum zu trennende Einheit. Die Damen singen mit vollem Klang und sehr intonationsrein, eine wichtige Voraussetzung um auch bei musikalisch empfindlicheren Schiffsmannschaften verführerisch punkten zu können. Wenn sie detonieren würden, wäre das Ruder schnell wieder auf rückwärts gestellt. Gemeinsam mit dem akzentuierten Orchesterspiel, das sich auch durch akribische Texttreue auszeichnet, ist die Verführung auch des missgelauntesten Kritikers nur noch eine Formsache. Die Streicher kommen sehr prominent ins Bild, dennoch gibt es Transparenz für alle. Das zeichnet diese Aufnahme besonders aus, genauso wie der dunkle und warme Gesamtklang des originalen Instrumentariums. Dem Charme dieser Einspielung darf man guten Gewissens erliegen.
Der Klang der Aufnahme ist sehr präsent und transparent, vollmundig und prall. Die Klangfarben wirken intensiv, mache würden meinen „satt“. Das Orchester klingt plastisch und körperhaft. Die Räumlichkeit ist nicht überbordend. Man findet einen guten Mittelweg zwischen einer klaren und eher trockenen Studioatmosphäre und einem großen Konzertsaal, in diesem Fall war es die noch recht neue Philharmonie zu Paris.
Ein besonderer Clou dieser Edition ist, dass auch noch ein gefilmter Mitschnitt eines Konzertes in Granada beigegeben wurde. Der Chor ist nun ein anderer, nämlich der des Orquestra Ciudad de Granada. Besonders der letzte Satz erhält, vielleicht durch die etwas temperamentvolleren spanischen Sirenen, ein wenig mehr Dringlichkeit, insgesamt wirkt das Werk auf DVD auch etwas düsterer (Nuages) bzw. turbulenter (Fêtes) als die CD, mitgeschnitten in Paris. In Granada gibt es allerdings noch ein kleines Konzert einer kleinen Gesellschaft von Tauben, die Einlass gefunden haben, in der Satzpause on top. Das mitgelieferte Bild erklärt auch, warum im letzten Satz der Chor so eng mit dem Orchester verwoben scheint, denn er hat inmitten des Orchesters Platz genommen, sich quasi versteckt, um noch überraschender mit den verführerischen Reizen (der zumeist jungen Damen) zu ihrem Ziel kommen zu können. Wir vermuten, in Paris wurde es ähnlich oder genauso praktiziert. Ein sehr guter Einfall, der übrigens bereits zuvor einmal von Christian Thielemann in Berlin realisiert wurde. Davon später mehr. Die Klangqualität der DVD ist mit dem der CD konkurrenzfähig, denn man hat sich für die CD-Auflösungsqualität in Stereo entschieden und auf einen datenreduzierten Mehrkanalsound verzichtet. Allerdings wird man als Zuhörer doch vom gleichzeitigen Bildangebot phasenweise erheblich abgelenkt (daran schon wieder Schuld: insbesondere die spanischen Sirenen).
Aufnahmen mit klassischen Sinfonieorchestern:
5
5
Claudio Abbado
New England Conservatory Chorus
Boston Symphony Orchestra
DG
1970
7:44 5:58 10:37 24:19
Von Claudio Abbado sind uns drei Einspielungen zu Ohren gekommen. Dies ist die erste, die innerhalb einer Reihe von Aufnahmen der DG in Boston mit verschiedenen Dirigenten entstanden sind, bevor das Zepter des Chefs von William Steinberg zu Seiji Ozawa übergegangen ist. Es sind hervorragende Aufnahmen von Steinberg selbst dabei (Die Planeten, Also sprach Zarathustra, Hindemith) und von Michael Tilson Thomas, damals Steinbergs Assistent (Tschaikowsky „Winterträume“ und „Le sacre“) und anderer Dirigenten wie Eugen Jochum (Schubert, Beethoven) oder Rafael Kubelik („Mein Vaterland“) ohne mit der Aufzählung einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Abbado reüssierte zu jener Zeit in Boston als junger Dirigent mit Ravel, Scriabin, Tschaikowsky und eben Debussys „Nocturnes“). Die zweite seiner Einspielungen entstand ebenfalls für DG in Berlin (1999) und die dritte, ein lediglich vom Schweizer Rundfunk mitgeschnittenes Konzert mit dem Lucerne Festival Orchestra, im Jahr 2008.
Interessant ist vor allem die Gegenüberstellung der 1970er mit der 1999er, weil sie beide noch über offizielle Kanäle erhältlich sind. Man merkt den Einspielungen an, dass sich der Dirigent zwischenzeitlich bis 1999 mit der historischen Aufführungspraxis auseinandergesetzt hat. Die Tempi sind schneller geworden, der Orchesterklang straffer und sehniger um nicht zu sagen „athletischer“. Auch die Aufnahmeästhetik hat sich nachhaltig geändert. Aber beide Darstellungen werden dem Werk auf besondere Weise gerecht und ihr Niveau liegt auf der gleichen Höhe. Warum uns die ältere aus Boston noch ein wenig besser gefällt, versuchen wir nun zu erklären. Die dritte Aufnahme aus Luzern greift übrigens wieder verstärkt auf Elemente der Bostoner Einspielung zurück (Tempo!). Sie kommt, zumindest als Rundfunkübertragung gehört, klanglich nicht an die beiden CDs (bzw. im Falle Boston auch LP) heran.
Die Bostoner Einspielung besticht durch einen besonders leichten, hellen, duftigen, nahezu schwerelosen Klang mit einer schier uferlosen Räumlichkeit und einer grandiosen Transparenz. Wie geschaffen für den ersten Satz, die „Nuages“, die Wolken. Da schwebt man als Zuhörender
schon fast mit den Wolken mit. Das Orchesterspiel wurde kongenial von Günter Hermanns und seinem Team eingefangen. Die Nuancierungen des hochgradig inspiriert wirkenden Orchester wirken fast endlos (wir übertreiben ein wenig, um den tatsächlichen, hervorragenden Stand der Dinge plastisch zu machen).
Das Konzept geht aber auch bei den erheblich handfester darzustellenden „Fêtes“ sehr gut auf, wenngleich es in diesem Satz, es sei sogleich darauf hingewiesen, einen kleinen Makel gibt. Beim Höhepunkt, dem echten ff des Blechs und des Schlagzeugs bei gleichzeitigem Gewirbel des kompletten restlichen Orchesters (ebenfalls ff) kann die Technik den grandiosen Klang des Orchesters nicht unkomprimiert reproduzieren und läuft ganz leicht in den Begrenzer, das trifft nicht nur die LP, sondern auch die CD. Das war aber auch schon alles. Ansonsten wirkt das Musizieren auf eine besonders elegante Weise beschwingt und angetrieben, man vermeint auch noch etwas vom feurigen „Schmiss“ von Charles Munch zu hören, einem der langjährigen Vorgänger Steinbergs im Amt in Boston. Er prägte den Orchesterklang besonders stark. Die Crescendi kommen fast aus dem Nichts und steigern sich ungeheuer dynamisch, dabei bleibt alles (bis auf den genannten Höhepunkt) klar und differenziert.
Durch den Chor erlebt der dritte Satz noch eine gewisse Steigerung. In den meisten Aufnahmen stellt der zweite Satz bereits den Höhepunkt dar und der dritte führt wieder zum Gestus des ersten zurück. Nicht so in dieser Einspielung. Der Frauenchor aus Boston, klingt nämlich nicht nur klang- und effektvoll, sondern auch enorm reizvoll. Er klingt recht diffus vom Raum hinter dem Orchester her. Er steht aber irgendwie über allem und auch um alles herum. Das würden die Sirenen auch, wenn die Situation real wäre, den Schiffsleuten wäre so ein entkommen fast unmöglich. Wachs im Ohr bzw. sich an den Mast zu binden wären hier tatsächlich die einzigen Optionen sicher durch die „sirenenverseuchte“ Passage zu kommen. Aber wie gerne würde man den Sirenen aus Boston erliegen. Lieber nicht mehr nach Hause kommen…Die im Notenbild angelegte wellenförmige Bewegung kommt sehr plastisch zur Geltung, Die Darstellung ist sehr bewegt und mit viel Feuer versehen, sodass man sich kürzere Verfolgungsjagden gut vorstellen könnte. Da läuft ein neckisches Spiel zwischen „Angreiferinnen“ und „Verteidigern“. Auch zwischen Sopran und Mezzosopran geht es plastisch hin und her. Man möchte meinen, hier werden alle Register musikalischer Verführungskunst geboten, die man sich vorstellen kann. Es war ja auch die entsprechende Zeit, kurz nach der 68er „Revolution“.
Die Technik realisiert den Übertrag des Impressionismus der Malerei auf die Musik auf hervorragende Weise. Impressionismus, das bedeutet auch ganz leicht oder ansatzweise verschwommene Farben, die ineinander übergehen. Mischklang verbindet sich hier auf einmalige Weise mit punktueller Transparenz. Das Detail geht sozusagen im Ganzen auf. Den Schleier bildet man sich mehr ein, als dass man ihn tatsächlich hört, so sanft und sinnlich klingt es. Die erreichte enorme Klarheit nimmt man nie so wahr, als sei sie mit dem Seziermesser hergestellt worden. Dennoch ist der Klang bestens aufgefächert, sehr tief gestaffelt und enorm weiträumig, auch enorm transparent und vor allem ungemein sinnlich. Butterweich und mit leuchtenden Klangfarben, Ein ganz anderes Ideal wurde hier gefunden zwischen Präsenz und Weite, als bei Francois-Xavier Roth. Nur im äußersten ff franst der Klang etwas aus. Wie bereits erwähnt nur an einer Stelle. Trotzdem insgesamt ein kongenialer Mischklang ohne jedes Sfumato. Eine Genietat von Günter Herrmanns und Team, die zu würdigen war.
________________________________________________________________________
5
Claudio Abbado
Damen des Rundfunkchors Berlin
Berliner Philharmoniker
DG
1999
6:14 6:08 9:44 22:06
Wie bei seinen Beethoven-Gesamtaufnahmen mit den Wiener bzw. Berliner Philharmonikern hat auch zwischen den beiden Einspielungen der „Trois Nocturnes“ eine, wenn man so will, „Entromantisierung“ stattgefunden.
Auf einmal geht eine frische Brise durch den ersten Satz, die Wolkenbewegung vollzieht sich infolgedessen schneller, erfolgt nicht mehr so weitschweifig. Das schnellere Tempo macht den Berlinern indes keine Probleme, denn es bleibt für sie noch genug Zeit klanglich differenziert zu modellieren. Dabei werden die sehnsuchtsvollen Melodien, so wie es in der historisch informierten Praxis auch der Fall wäre, stärker herausgestellt. Alles mit statischer Ruhe, dabei womöglich auch noch undifferenziert und wie im Nebel darzustellen, ist Abbados Sache nicht. Instrumental wirkt diese Darstellung der Vollendung nahe.
Auch der zweite Satz, nun eine Winzigkeit langsamer als in Boston genommen, erklingt besonders nuanciert, sehr beweglich, virtuos, glanzvoll und zu gegebenem Anlass auch mit der differenzierten Wucht eines Luxus-Klangkörpers. Die Spielvorschriften werden minutiös befolgt, während man in Boston vor lauter sinnlicher Betörung auf die Details nur untergeordnet achtete. Zweifellos klingt der Aufmarsch des Umzugs mit der dominanten Militärkapelle nun noch etwas prachtvoller (ohne aber aufzutrumpfen) und ein wenig besser durchgezeichnet, auch dynamischer. Man möchte meinen: Dekorativer geht es nun nicht mehr und Debussy (und seine Zeit) hatte es ja gerne dekorativ, zumindest, wenn er nicht als Kritiker bei anderen dagegen wetterte. Im turbulenten ff mit dem vollen Orchester tönt aber auch die Berliner Aufzeichnung noch etwas dicht.
Die Berliner Sirenen erscheinen nun besser fassbar als die Bostoner, sind also deutlich klarer zu orten. Wenn man die Bostoner nicht bereits kennen würde, kämen einem die perfekt singenden Berlinerinnen auch sehr verführerisch vor, aber im Vergleich scheinen sie doch mehr am musikalischen Gelingen interessiert zu scheinen, während die Bostoner etwas „lasziver“ klingen. Was auch daran liegt, dass man durch das Diffuse nicht glaubt, ihrer habhaft werden zu können, was das Verlangen bekanntlich noch erhöht. Abbado und die Philharmoniker sind hautnah dran an der Partitur, die sehnsuchtsvollen Auf- und Abschwünge des Orchesters begeistern. Debussy sagte einmal: „Französische Musik, das heißt Klarheit, Eleganz und natürliche Deklamation…Der musikalische Genius ist eine Art Fantasie der Sensibilität.“ In keiner der hier vorgestellten Einspielungen wird dies besser verdeutlicht als in den beiden Produktionen von Claudio Abbado. Klarheit, Eleganz, Natürlichkeit, das ist der Muszierstil dieses Dirigenten (gewesen).
Die Bostoner wirkt also gleichsam weiter gefasst, sinnlicher, weniger konkret und wenn man so will „mystischer“. Die Berliner ist plastischer, konkreter, dynamischer und minuziöser (im positiven Sinn), aber auch weniger „romantisch“. Sie hat mehr „Drive“, aber weniger „Duft“. In allen drei Bildern wirkt die Berliner noch heller (nicht vom Klangbild, sondern vom Gestus). Ein „verweile doch, du schöner Augenblick“ gibt es in Berlin nicht mehr. Orchestral sind beide Einspielungen exemplarisch.
Noch ein paar Worte zum Klang der Berliner Aufnahme: Die Tiefenstaffelung ist ebenfalls sehr gut, an die weite Klanglandschaft der Bostoner kommt sie jedoch nicht heran, dafür ist die Berliner dynamischer, wenngleich sie im dicksten Getümmel der „Fêtes“ auch etwas an Transparenz einbüßt und an ihre Grenze kommt, aber nicht so ohrenfällig wie die Bostoner.
___________________________________________________________________________
5
Lorin Maazel
Schönberg Chor (sonst zumeist Arnold Schönberg Chor genannt)
Wiener Philharmoniker
RCA
1999
7:37 5:53 10:52 24:22
Von Lorin Maazel sind uns zwei Einspielungen bekannt. Die erste wurde in den späten Siebzigern in Cleveland noch für Decca produziert und steht ein wenig der über 20 Jahre jüngeren Wiener Einspielung nach. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Wiener hier aufspielen, als wären sie ein französisches Orchester und es gelte die nationale Ehre ihres Lieblingskomponisten zu verteidigen. Besonders die Wiener Streicher (und dabei seien die Violinen nochmals hervorgehoben) zeigen, wo die Messlatte liegt. Sie klingen besonders warm getönt, brillant und flexibel, geradezu süffig-sinnlich, geeignet um jeden für die Komposition einzunehmen. Extrem nuanciert, ein Fest für den Klangfarbengourmet. Von Grau in Grau ist auch in Wien, wie zuvor bereits in Paris, Boston und Berlin keine Spur.
Das Festtagstreiben erklingt in Wien hochvirtuos, enorm plastisch und vor allem freudig erregt. So locker, dass man meinen könnte das Orchester hätte nie was anderes als Debussy gespielt. Da kommt auch das Cleveland Orchestra kaum noch heran, auch deshalb, weil hier stets noch eine gewisse einnehmende, spezifische Wärme im Klang mitschwingt, die den Cleveländern fehlt. Die Steigerungswellen gelingen ganz hervorragend, ebenso wie der plastische Aufmarsch des Festtagsumzugs mit der zentralen Militärkapelle. Dass Virtuosität und Glanz Selbstzweck wäre, Eindrücke die uns bisweilen bei diesem Maestro beschleichen, lassen sich dieses Mal weder behaupten noch belegen. Dieser Satz wird zu einem tollen Erlebnis.
Der dritte Satz gleicht einem Bad im Klang. Vielleicht durchweg etwas zu laut gespielt erscheint es, wenn man die Partitur beiseitelegt, mitreißend farbig und enorm hellhörig. Wenn man aber die Partitur mitliest, sollte das Spiel doch ein wenig heruntergedimmt werden. Den vielen pp wird die Lesart Maazels nicht unbedingt gerecht (was auch für den ersten Satz gilt). Der Chor ist ganz hervorragend in das Gesamtklangbild eingepasst. Die Sängerinnen stehen ihren Vorgängerinnen aus Cleveland in Nichts nach, sind ebenfalls enorm sicher unterwegs und klingen sogar noch sinnlicher und noch verführerischer. Nun wird der dritte Satz auch zu großer Gefühlsmusik, denn Maazel hält alle zu großer Leidenschaftlichkeit an. Der Klang ist besonders plastisch und präsent, die Hörenden könnten sich dazu eingeladen fühlen, mit den Sirenen mitzuschwimmen. Diese Einspielung vereint Opulenz mit Feinsinn und orchestral wie auch chorisch herausragenden Farbenreichtum mit struktureller Klarheit. Die positive Überraschung in unserem Vergleich.
Der Klang ist gegenüber der Cleveländer Aufnahme noch etwas weiträumiger, voller, aber kaum fülliger, noch plastischer und von hervorragender Präsenz, noch körperhafter und von bestechender Klarheit. Sie hat ein gutes, tiefes Fundament, ist offen, dynamisch und sehr brillant. Der Gesamtklang wirkt sehr einnehmend. Daher ist uns die Aufnahme eine audiophile Empfehlung wert.
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5
Ernest Ansermet
ein ungenannter Frauenchor
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1957
6:54 6:16 9:16 22:26
Ernest ist einer der beiden hier vertretenen Dirigenten, die Debussy noch persönlich kannten. Der zweite ist Desiré-Émile Inghelbrecht. Von Ansermet existieren zumindest zwei Einspielungen, wovon die erste nur 6 Jahre vor dieser zweiten entstanden ist (1951). Trotzdem hat sie gegenüber dem 1957er Jahrgang in allen Belangen klar das Nachsehen. Auf die 51er kommen wir ganz unten noch einmal zu sprechen. Ansermet folgt auch nicht in allen Teilen der anerkannten Letztfassung der Partitur von 1930, sondern greift offensichtlich bisweilen auf ältere Versionen zurück. Eine Eigenart, die er auch bei Werken Strawinskys auslebte und die ihm die Freundschaft mit dem russisch-amerikanischen Komponisten zerrüttet hat. Nach Kenntnis seiner Aufnahme meinen wir, dass die Instrumentation der Letztfassung durchaus die farbigere ist und Debussys Vervollkommnung als Instrumentator Ausdruck verleiht. Vielleicht hielt er an den alten Fixierungen fest, weil er den in einigen Fällen unentschlossenen Komponisten beriet und so die Lösungen, an denen er selbst mitwirkte, beibehalten wollte. Trotz alledem ist die zweite Einspielung Ansermets zu den besten zu zählen.
Sie hat eine erheblich wärmere Ausstrahlung als die 51er Version. Man merkt ihr die langjährige Erfahrung des Dirigenten mit der Komposition an. Alles hat „Hand und Fuß“. Kein Detail wird vernachlässigt. Der Klang ist jedoch auch 1957 noch nicht besonders einschmeichelnd. Das so wichtige Englischhorn im ersten Satz klingt nun differenzierter, die Harfe bei Zf. 7 wird nun viel diskreter in den Gesamtklang integriert. Sie platzte 1951 noch sehr unangenehm heraus. Insgesamt ergibt sich nun eine sehr subtile und feingliedrige, helle Darbietung auch des ersten Satzes. Variationen in Hellgrau, sozusagen.
Die „Fêtes“ erhalten ordentlich Schwung und ausgelassene Frische. Getragen von einer enormen Dynamik, die man sowohl dem Orchester als auch dem frühen Aufnahmejahr nicht gegeben hätte. Das auf diesen Seiten bereits oft gescholtene Orchester zeigt ein für seine Verhältnisse bravouröse Leistung.
Das Motiv der Klarinetten im 1. Takt der „Sirènes“ wird bis zu T. 7 insgesamt achtmal gegeben. Debussy wechselt dabei von der Klarinette über die Flöte zur Oboe und wieder zur Flöte. Bei Ansermet bringt es nur die Oboe und die bringt es stur immer wieder. Das ist nur ein Beispiel für das beibehalten alter „Regelungen“. Wir finden den farbigeren Instrumentenwechsel gelungener. Die Sirenen selbst sind nun viel besser bei Stimme als noch 1951 und trotz den nun merklich aufgewerteten Orchesterparts sehr gut durchhörbar. Gesanglich (intonationsreiner) und stimmlich sind sie zwar immer noch nicht „Spitze“, aber sie wirken nun sehr lebendig. Sie haben es nicht verdient, dass man den Namen des Chores geheim hält und zwar durch die ganze Zeit seit es die Aufnahme gibt, konsequent bei allen Veröffentlichungen. 1951 hielt man es übrigens genauso. Bei Ansermet erhält auch der dritte Satz scherzohafte Züge, was wir als keineswegs unpassend empfinden. Dass der Dirigent nun ½ Minute länger braucht als 1951 kommt dem Ausdruck sehr zugute. Das Werk erklingt nun erheblich schillernder, noch präziser und mit einem äußerst transparent dargelegten orchestralen Gewebe. Der Einsatz für die Klangfarben muss als meisterlich bezeichnet werden. Die gesamt Palette wird angeboten und ins beste Licht gerückt.
Auffällig am Klang ist, dass die Aufnahme stärker rauscht als die 51er. Sie klingt aber viel voller und etwas weicher. Der Gesamtklang ist perspektivenreich aufgefächert, schlank und offen. Er bringt wieder die typische „muskulöse, gespannte Sehnigkeit“ ins Spiel, die den guten Decca-Aufnahmen der späten 50er und 60er Jahren zu eigen war. Die Raumtiefe ist für das Aufnahmejahr verblüffend. Sie ist recht bassstark und sehr dynamisch. Ein posthumes Extra-Lob an die Techniker, ohne die diese exzellente Einspielung nicht möglich gewesen wäre.
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5
Jean Fournet
Tschechischer Philharmonischer Chor
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1963
7:53 6:26 11:03 25:22
Dieser tschechischen Einspielung haftet etwas besonderes an, denn sie wird durchweg mit einem fast euphorisch wirkenden kräftigen Impetus gespielt, der ausdrucksvolle Wolkengebilde mit reichen Details vor dem inneren Auge entstehen lassen. Die Holzbläser erklingen sehr präsent, gehen jedoch etwas deftig zu Werke. Eigentlich ein Vorteil, der vom Englischhorn jedoch nicht genutzt werden kann, denn es erklingt nicht mit der gewünschten sanften Weichheit und der gebotenen Fülle im Klang, der gerade für die „Nuages“ so wichtig wäre und wie er in moderneren Einspielungen geboten wird. Es vermag auch einfach nicht leise zu spielen, nicht nur wegen der ihm anhängenden aufnahmetechnischen Präsenz. Flöte und Harfe hingegen erklingen wie Boten des Himmels (fantastischer Zusammenklang, besonders wegen der Flöte).
Bei den Festen begeistern die virtuose Geläufigkeit des gesamten Orchesters allgemein und der Glanz und die ungeheurere Wucht des Blechs. Da die Trompeten nicht ganz pp spielen, wenn sie sich dem Fest nähern, scheinen sie auch nicht von sehr weit her zu kommen. Aber im ff haben sie ein außerordentliches Durchsetzungsvermögen („très soutenu“ d.h. „sehr unterstützt“ wird sehr gut umgesetzt) und zeigen zudem eine anspringende Musizierlaune. Was hier besonders auffällt aber im Prinzip das ganze Orchester und den ganzen Satz betrifft. Die Musikalität der Tschechen lässt die Musik den Hörern ganz besonders nahekommen.
Den tschechischen Sirenen, angeleitet von ihrem französischen Dirigenten, ist das vokalisieren auf nur einem einzigen Vokal (dem a) zu wenig. Da hört man auch einmal ein ü oder anderes. Sie scheinen sich Nachhilfe bei Wagners „Walküren“ genommen zu haben. Da ist nicht nur das „Vokabular“ elaboriert, sondern auch viel Inbrunst mit dabei. Fournet bringt den ganzen Satz wie unter einen großen Bogen, was sehr spannungsfördernd wirkt. Die Gischt spritz hoch bei diesem Segeltörn. Auch in diesem Satz sind viel Emotion, Empathie und viel Sehnsucht und Temperament mit im Spiel. Das Orchester setzt das mit dem ihm eigenen erdigen, vollen und kräftigen Klang sehr gut in Szene. Eine emotional besonders berührende sanguinisch geprägte Einspielung. Debussys Sirenen scheinen sich mit „Rusalka“ verbündet zu haben. Eine sagenhafte Mischung.
Die Aufnahmequalität von Supraphon zu jener Zeit kann man nur als schwankend bezeichnen, zwischen jauchzend und betrübt gibt es da alles. Dieses Mal haben wir jedoch Glück gehabt. Der Klang ist sagenhaft präsent, vielleicht nicht gerade optimal für die „Nuages“, aber prima für die beiden anderen Sätze. Er kommt diesbezüglich sogar an die legendären „Living Stereo“ von RCA und die „Living Presence“ von Mercury heran, von denen ja auch jeweils eine Einspielung im Vergleich vertreten ist. Das Orchester spielt so quasi in unmittelbarer Reichweite der Hörer und das zwar eine Spur rauer als die weiter oben platzierten Aufnahmen aber doch ungemein farbig und vital. Das leichte Rauschen kann den hervorragenden vollsaftigen Gesamtklang nicht trüben. Die Dynamik ist, wenn man vom fehlenden pp einmal absieht ausgezeichnet. Manchmal bekommt man einen fantastischen Download auch heute noch für ein paar Euro.
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5
Pierre Boulez
The Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
DG
1993
6:11 6:28 9:37 22:16
Dies ist die zweite Einspielung des Werkes, die Pierre Boulez geleitet hat. Die erste erschien 1969 mit dem New Philharmonia Orchestra bei CBS. Die zweite wirkt orchestral mit mehr Feinschliff versehen und brillanter, auch farbiger, zügiger und lockerer. Zudem ist es die dritte Einspielung des Cleveland Orchestra, nach der mit Lorin Maazel und Vladimir Ashkenazy.
Wie Abbado ist auch Pierre Boulez in der zweiten Einspielung schneller geworden. Bei ihm haben die Wolken nicht mehr viel Zeit zu verweilen, haben auch im Gegensatz zur Londoner Einspielung nichts mehr viel düsteres an sich. Der Zusammenklang wird wie auch 1969 geprägt von sehr trennscharf abgebildeten einzelnen Instrumenten bzw. Instrumentengruppen. Debussy im Röntgenblick sozusagen. Das kostet Atmosphäre, bringt aber noch mehr Struktur zu Gehör. In London wirkte es noch seziererischer als nun in Cleveland, denn Boulez lässt nun etwas mehr Ausdruck bei den Instrumentalisten zu, was dem Hörer auch ein etwas emotionaleres Hörabenteuer beschert. Diesbezüglich bleiben aber beide Einspielungen (insbesondere die Londoner) die „objektiven“ Gegenstücke zur gerade besprochenen Fournet-Einspielung.
Bei den „Fêtes“ fällt die weichere Klanggebung noch mehr auf. Auch der Gestus ist konzilianter, lockerer, gelöster als 69, das Spiel noch ein wenig genauer, fast ohne jede Grobheit, die dem NPO noch entlockt wurde. Es fehlt im Gegenzug aber auch der Biss mit dem Boulez noch in London vorging. Der Gesamtklang ist nun schwebend, sehr differenziert im Leisen, aber das Blech unterscheidet nicht zwischen f und ff. Da war der Dirigent entweder großzügig, gleichgültig oder unaufmerksam.
Die „Sirènes“ klingen nun viel sanfter, zurückhaltender aber auch flotter als in London und was vielleicht noch entscheidender ist etwas mysteriöser. Wie bei einer Konzertaufführung scheinen die Chormitglieder klar und differenziert hinter dem Orchester zu stehen. Dieser Satz macht am deutlichsten, dass Pierre Boulez nun mehr an der klangsinnlichen Komponente interessiert ist, als noch 1969. Manches klingt sogar fast kulinarisch. In vielen Einspielungen hatten wir den Eindruck, dass der dritte Satz mit der Hinzunahme des Frauenchores gegenüber den beiden ersten Sätzen an Klarheit einbüßt. Dies ist ansatzweise auch hier der Fall. Details bleiben jedoch hörbar, aber der Gesamtklang wirkt ein wenig eingetrübt, gleichsam etwas eingedickt.
Der Klang der Aufnahme ist nicht ganz so präsent wie bei der Londoner Einspielung 24 Jahre zuvor. Das Orchester klingt nun heller und brillanter, auch als bei Ashkenazy und bei Maazel. Insgesamt aber nicht transparenter als in der in dieser Disziplin vorbildlichen Londoner Einspielung von 1969. Auch die Dynamik war in London weiter gespreizt (vor allem f und ff, nicht bei p und pp). Insgesamt wirkt die 1993er Boulez nicht ganz so plastisch und kontraststark wie Abbados Einspielung von 1999 in Berlin, vielleicht aber etwas subtiler.
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5
Hans Zender
Damen Akademie Chor Luzern
SWR Sinfonieorchester Baden Baden und Freiburg
Glor
2002
6:54 6:58 10:27 24:19
Schon zu seiner Zeit als Chef in Saarbrüchen (RSO, heute DRP) setzt Hans Zender gerne und erfolgreich Musik von Debussy auf das Programm. Eine außerordentlich gelungene Aneignung der Stilistik der Musik Debussys zeigt nun auch diese Einspielung.
Die Wolken in Hans Zenders Einspielung sind kaum statisch zu nennen, zügig, ständig in Bewegung und dabei zielgerichtet bewegen sie sich am Firmament. Wir hören ein herausragendes, sehr gut akzentuiertes Orchesterspiel mit einem Englischhorn der Extra-Klasse. Das übrige Holz steht ihm kaum nach. Das Duo von Flöte und Harfe bei Zf. 7 erklingt in ausgezeichneter Abstimmung. Das pp wird nicht extrem leise dargestellt, die Instrumente sollen problemlos ansprechen und zu einem klangschönen Ton finden. Es wird in großen Bögen musiziert. Überraschende Erkenntnis: Das Spiel des Orchesters steht dem des Cleveland Orchestra mit Boulez in nichts nach. Es bringt sogar noch etwas mehr Wärme mit ins Spiel. Auch gelingt ihm ein ähnlich nuanciertes Spiel. Beide dirigierenden Komponisten kommen in diesem Satz zu recht ähnlichen Ergebnissen.
Auch bei den Festen wird sehr gut rhythmisiert und in perfekter Ausgewogenheit mit Delikatesse musiziert. Locker und beschwingt, quasi mit einem Lächeln im Gesicht. Und sehr dynamisch. Es schien uns nur, als spielten die Trompeten beim sich annähern des Festzuges (bzw. der Militärkapelle) zwar pp aber ohne die Sordine, sondern nur von hinter der Bühne (Konzerthaus Freiburg). Jedenfalls gelingt die Annäherung sehr plastisch, wobei die Dynamik beim Höhepunkt, wenn sich die Militärkapelle mit dem Festtagstreiben vereinigt, nicht ganz ausgereizt wird.
Die Sirenen im dritten Satz klingen sehr schön, mit abgerundeten, warmen und sinnlichen Stimmen, bisweilen aber auch ziemlich bestimmt oder gar bestimmend. Gut kann man die Soprane von den Mezzosopranen unterscheiden, denn in dieser Einspielung stehen sie nebeneinander. Im lauten Gesamtklang des Tutti klingt Zenders Darbietung immer noch besonders klar. Die Violinen verlieren auch in diesem Satz, der so oft an Transparenz und Klangvolumen gegenüber den anderen beiden Sätzen einbüßt, nichts von ihrem warmen Schmelz. Dies ist ein weiterer Beweis für die exzellente Qualität des Orchesters, das 2016 vom SWR wegfusioniert wurde.
Der Klang der Aufnahme ist sehr gut gestaffelt und sehr transparent. Die Dynamik ist gut, aber im ff nicht ganz ausgereizt. Die Aufnahme lässt das Orchester mit der Wärme und der Perfektion eines absoluten Spitzenklangkörpers erklingen.
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5
Robin Ticciati
Rundfunkchor Berlin
Deutsches Sinfonieorchester Berlin
Linn
2019
7:57 6:33 10:34 25:04
Vom jungen englischen Dirigenten mit dem italienischen Namen konnten wir zwei Einspielungen hören, die sich relativ deutlich in der Temponame unterscheiden, Zu der Berliner Einspielung auf Tonträger gesellt sich noch ein Radiomitschnitt des BR mit den Bamberger Symphonikern, deren erster Gastdirigent Robin Ticciati zum Zeitpunkt des Konzertes noch war. Ein Qualitätsgefälle zwischen beiden Orchestern ist kaum zu bemerken. Beide haben eine ausgezeichnete Klangkultur erreicht und brauchen keine Konkurrenz zu fürchten. Beide Orchester klingen sogar sehr ähnlich. Das Tempo hat der Dirigent gegenüber 2012 beträchtlich verlangsamt. Das strömungsreiche Fließen anno 2012 ist deutlich statischer geworden. Aus dem noch fast jugendlichen emotional drängenderen Temperament ist ein gesetzteres souveränes und nuancenreiches Koordinieren der gesamten Abläufe geworden. Sein Zugang erscheint nun sachlicher und was die Wolkenformationen anlangt: gleichförmiger. Im Unisono von Flöte und Harfe beteiligt sich die Harfe erneut schwach. Wie bereits in Bamberg, wo wir es noch auf die minimal pauschalere Aufnahmetechnik geschoben haben.
Die „Fêtes“ erklingen hingegen rhythmisch geprägt und brillant gespielt. Die Hörner kommen besonders kräftig. Die Trompeten sordinieren und kommen sehr schön plastisch von hinten an, zumindest ergibt sich dieser Eindruck. Das pp gelingt exemplarisch. Ticciati lässt die Dynamik voll ausspielen, viele meinen ja, dass beim Impressionismus 30% vom Maximalklang abgezogen werden muss, damit das ff richtig klingt für diese Epoche. Ticciati nimmt keine Rücksicht auf impressionistische Empfindlichkeiten und lässt es so spielen, wie es in der Partitur steht. Debussy hätte sonst ff minus 30% oder einfach nur f in die Partitur reingeschrieben, wenn er es so gewollt hätte. Das Orchester klingt beim ff immer noch bestechend transparent.
Die „Sirènes“ des Rundfunkchores klingen nun etwas fülliger als bei Abbado (1999) und auch noch etwas homogener. Das kann aber auch ein Resultat der noch etwas „sanftmütigeren“ Aufnahmetechnik sein. Obwohl er deutlich hinter dem Orchester steht und meist von weitem lockt, bleibt der Chor klanglich präsent. Verlockend klingt der Chor in beiden Einspielungen. Die Steigerungswellen werden kraftvoll herausmodelliert, wirken zumeist leidenschaftlicher bewegt als noch in Bamberg. Insgesamt erleben wir hier viel Klangzauber.
Der Klang der Aufnahme macht einen feingesponnenen Eindruck. Das Klangbild ist weit gespannt und sehr transparent. Die warmen Klangfarben wirken voll, gar satt. Der Gesamtklang ist nicht übermäßig sanft, sondern sehr konturenstark und macht einen differenzierteren Eindruck als die Sendung des Live-Mitschnittes des BR mit den Bambergern, die sogar im 5.1 Surround-Sound ausgestrahlt wurde. Die Dynamik ist ebenfalls erheblich höher, was aber nicht etwa an trägen Bambergern liegt, sondern an einer Eigenart der Rundfunkübertragungen generell. Die Einspielung Ticcatis mit dem DSO gehört auch klanglich zu den besten und hat sich eine audiophile Empfehlung verdient.
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5
Sir Georg Solti
Women oft he Chicago Symphony Chorus
Chicago Symphony Orchestra
Decca
1991
6:42 5:48 9:18 21:48
Sir Georg hat zwei Einspielungen von „La mer“ hinterlassen, eine analoge von 1976 und eine, die parallel mit den „Trois Nocturnes“ 1991 gemacht wurde. Beide mit dem CSO und selbstverständlich für Decca. Die Produktion der Nocturnes blieb einmalig. Sie erfolgte im letzten Jahr seiner Zeit als Chef in Chicago. Der Vergleich Analog gegen Digital wäre sehr interessant geworden, muss aber dieses Mal leider unterbleiben.
Das Orchester hatte bis zum Ende der Ära Solti nichts oder nur sehr wenig von seinem alten Glanz verloren, das begann erst unter seinem Nachfolger. Der Streicherklang ist sehr schön, das Holz klingt frisch und (amerikanisch) ausgewogen, das Blech (jedoch erst im 2. Satz) sonor, souverän und strahlend. Vor allem brauchen auch keine kleine Puzzleteile von Takes aneinandergereiht zu werden. Soltitypisch wird hier straff geformt und mit gespannten Bögen in einem durch musiziert. Soltis Lesart suggeriert mehr Windstärken als gewöhnlich (ähnlich Silvestri). Bei beiden Temperamentmusikern gibt es kein Verweilen. Die Natur kennt das auch nicht, hier durchweht der Wind die schönen Stellen genauso wie die weniger schönen. Die Harfe ist beim Unisono mit der Flöte sehr gut hörbar, eine Selbstverständlichkeit für Solti und das CSO, damals.
Die Feste profitieren vom kräftigen Rhythmus und dem angetriebenen Tempo. Hinzu kommt ein vornehmlich straffes Drängen. Es ergibt sich so eine brisante Mischung. Das Schlagzeug kommt beim Umzug besonders gut zur Geltung. Bei Silvestri hat der Höhepunkt, wenn sich der Marsch und das Fest treffen, noch etwas mehr Grandezza als bei Solti, trotz antiquierter Technik. Die Militärparade selbst wirkt bei Solti geradezu stürmisch. Sollten da etwa ungarische Dragoner das Fest durchkreuzen?
Die Sirenen aus Chicago singen deutlich hinter dem Orchester, durchweg recht raffiniert aber doch eindimensionaler als es bei den besten Damenchören des Vergleiches (mit Roth, Abbado (vor allem mit dem BSO) oder Maazel (WP) zu hören ist. Auch die Violinen klingen hier nicht so geschmeidig wie in den vorgenannten Einspielungen. Das Orchester mit Solti am Pult sorgt aber für eine besonders lebendige, pulsierende Gangart. Dieses Mal zieht das Orchester die Sirenen mit, nicht umgekehrt. Letztlich ergibt sich ein stimmiges Ganzes mit einem besonderen, dramatischen Akzent. Das Orchester erleben wir hier noch einmal auf alter Höhe.
Die Aufnahme folgt der Aufnahmeästhetik der 90er Jahre. Das bedeutet, dass die ehemalige Präsenz und Nähe einem entfernteren Blick auf die Totale gewichen sind. Gehört wird das Orchester nun etwa von der Mitte der Chicagoer Orchestra Hall und (leider) nicht mehr aus der Dirigentenperspektive wie bei „Living Stereo“ oder „Living Presence“ aber auch vieler Decca und einiger DGs. Transparent und dynamisch ist es immer noch, auch farbig, aber die knackige Nähe gehörte damals der Vergangenheit an. Ein gutes Beispiel ist auch die plastische, körperhafte und unmittelbare Aufnahme von „La mer“ von Solti aus dem Jahr 1976.
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5
Esa-Pekka Salonen
Women oft the Los Angeles Master Chorale
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1994
7:07 6:26 10:39 24:12
Mit recht zügigem Tempo, sehr differenziertem und hochklassigen Orchesterspiel, guten Instrumentalsoli gelingt dem Dirigenten eine leichte und luzide anmutende Darstellung. Trotz des Tempos wird nicht über die Nuancen hinweg musiziert. Melancholische Verbreiterung ist hingegen Salonens Sache nicht, er spürt auch weniger den einzelnen Klängen und ihren Geheimnissen sinnend nach. Das sollen dann doch lieber andere machen.
Der Scherzocharakter der „Fêtes“ macht Salonen sehr anschaulich. Dazu dienen ihm rhythmische Schärfung, ein gehöriger Drive und die klare Diktion bei den Staccati. Artikulatorisch überzeugt das Spiel auf der ganzen Linie und es zeigt sich ein hoher Klangsinn. Das Orchester klingt auch im f und ff noch sehr transparent. Sehr gut herausgestellte Hörner. Die mitunter bei diesem Dirigenten zu beobachtende atmosphärische Kühle bleibt weitgehend aus.
Die Sirenen sind im dritten Satz sehr gut ins Klangbild eingefügt. Stimmlich weniger suggestiv als bei Abbado (besonders mit dem BSO), Roth oder Maazel. Auch klanglich bestes Miteinander. Der gesamte Ablauf wirkt runder, obgleich nicht geglättet, als bei Solti.
Das Klangbild ist differenziert, offen, sehr transparent, jedoch etwas entfernt. Die Tiefenstaffelung ist dennoch sehr gut, die Abbildung trennscharf, jedoch immer mit Wärme und Körper. Der Perfektion sehr nahe kommend.
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5
Christian Thielemann
Damen des RIAS Kammerchores
Berliner Philharmoniker
Konzertmitschnitt Deutschlandradio (bisher unveröffentlicht)
2012, Live
6:38 6:32 11:06 24:16
Vom Moderator Olaf Wilhelmer in der Konzertpause gefragt, ob er an diesem Abend untypisches Repertoire dirigieren würde, musste sich der Dirigent wehren, denn tatsächlich wäre er von französischer Musik begeistert. Dass man wie Wilhelmer überhaupt auf die Idee kommt, liegt jedoch auf der Hand, kennt der Musikfreund doch nur Einspielungen der musikalischen Romantik (Bruckner, Wagner, Schumann, Brahms und nochmal Bruckner) von Thielemann, wenn man einmal von seinem Beethoven-Zyklus und den „Carmina burana“ absieht. Dass es noch zu keiner Veröffentlichung dieser oder einer anderen Debussy-Einspielung gekommen ist, wundert, denn es stimmt eigentlich alles. Thielemann nimmt die „Nuages“ erstaunlich zügig, lässt das exzellente Orchester sehr leise (obwohl LIVE, also mit dem Risiko eines Versagens eines leise anzuspielenden Tones) und mit großen Bögen spielen. Er bürdet ihm auch noch bisweilen ein wenig Rubato auf, das gehört für ihn zum Musikmachen dazu. Sein ff wirkt ein wenig gebremst, was aber auch an der typischerweise weniger dynamischen Rundfunkübertragung liegen könnte. Rhythmisch ist alles sehr präzise und klar, da wabert nichts. Obwohl man wenige persönliche Zutaten vernimmt (die paar Rubati einmal ausgenommen) wirkt der erste Satz sehr gefühlvoll und ganz einfach sehr schön. Es könnte sein, dass er dem Komponisten besonders gut gefallen hätte. Leider patzt eines der Hörner beim allerletzten Einsatz. Was für ein Pech. Gerade als alles andere mucksmäuschenstill war. Da es der erste von drei Abenden und es eine Direktübertragung war, konnte auch kein anderer Take eingefügt werden. Live ist live, kann man hier sagen.
Zu Beginn der „Fêtes“ artikulieren die Violinen weniger rhythmisch als bei anderen Dirigenten, insgesamt wirkt der Satz auch fließender als sonst. Legato ist hier Trumpf. Sicher konnten die Trompeten in der Philharmonie während des Konzertes nicht zur Bühne marschiert kommen, was ohrenscheinlich bei manch einer Studioproduktion praktiziert wurde, aber auch so wirkt der Marsch zum Fest plastisch und anschaulich. Selten bringt die Militärkapelle (bzw. der Umzug durch das bereits im vollen Gang befindliche Fest) so eine Erhabenheit mit, trotz des flotten Tempos. Die Holzbläser könnten kaum schöner klingen, sie machten auf uns einen nochmals verfeinerten Eindruck gegenüber der Abbado-Aufnahme von 1999. Das Englischhorn von Dominik Wollenweber hätte damals einen Extraapplaus verdient gehabt.
Ähnlich Francois-Xavier Roth lässt auch Thielemann die Sirenen inmitten des Orchesters, sogar zwischen den Instrumentalisten singen (so Olaf Wilhelmer im Pausengespräch, denn heraushören könnte man das am Radio dann doch nicht). Sie singen enorm sinnlich und sie sind absolut höhensicher. Das Englischhorn zeigt sich erneut von seiner allerbesten Seite. Insgesamt wirkt das Orchesterspiel noch etwas freier als bei Abbado. Die Transparenz kann mit den besten Studioaufnahmen nicht mithalten, was man auch gar nicht erwarten sollte. Erwähnenswert erscheint noch, dass, obwohl die Nocturnes am Anfang des Konzertes standen, das Orchester bereits einen perfekt eingespielten Eindruck hinterließ. Rundfunktypisch lässt die Dynamik etwas zu wünschen übrig. Der Kompromiss zwischen Distanz und Präsenz ist jedoch stimmig. Der Gesamtklang ist fast schon von einer elitären Samtigkeit. Karajan, dessen Konzerte und Proben mit Musik Debussys Thielemann immer noch bewundert, hätte an dem Klang seine Freude gehabt. Das Publikum verhält sich während der Darbietung äußerst diszipliniert.
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5
Michael Tilson Thomas
Ambrosian Singers
Philharmonia Orchestra London
CBS-Sony
1982
8:37 6:20 12:12 27:09
MTT verlässt im ersten Satz zugunsten des Ausdrucks schon einmal die p- oder pp-Regionen des Vortrages, auch wenn die Partitur sie eigentlich vorschreibt. Der Verlauf wird dadurch spannender als wenn er geradlinig die Partitur befolgt hätte, vor allem aber auch farbiger. Die Wolkenformationen erscheinen sinnfällig aber auch lebendig. Die wichtigen Holzbläser-Soli (insbesondere das klanglich mitunter heikle Englischhorn) klingen sehr gut und sind deutlich im Raum abgebildet. Die orchestrale Struktur wirkt gewoben wie aus einem feinen Netz.
Die „Fêtes“ wirken gut akzentuiert, kontrastreich, rhythmisch und dynamisch „fein abgeschmeckt“ musiziert. MTT geht weniger in die Vollen als beispielsweise Fournet, Solti oder Abbado (vor allem in Berlin). Es muss ja auch nicht jedes Fest von Überschwang geprägt sein. Der Marsch-Rhythmus wirkt besonders betont. MTT lässt die Trompeten nach Vorschrift mit der Sourdine (Dämpfer) blasen. Dabei wirkt ihr Klang fast schon verfremdet, mit einem ironischen Unterton versehen. Dies hörend fiel uns erst richtig auf, dass viele die Trompeten einfach nur weit enrfernt blasen lassen und so auch ohne Sourdine einen guten pp-Effekt erzielen. Bei Studio-Aufnahmen ist das leicht möglich. Auch Solti nutzt die Sourdine und der Effekt war ganz ähnlich wie bei MTT. Der hervorragend gelungene, plastische Aufmarsch gipfelt quasi in einer sauber geblasenen, sehr transparent zur Geltung kommenden Hymne. Das Klangbild wirkt auch im ff noch mit seiner einnehmenden Klarheit.
Die Sirenen wirken irgendwie sehr zahlreich, als ob die Ambrosian Singers stärker als üblich besetzt wären. Sie beanspruchen einen recht großen Teil des Gesamtklangbildes. Er wirkt hervorragend mit dem Orchester abgestimmt, durchaus verführerisch, teils aber auch bedrohlich. Trotz des langsamen Tempos (das man gar nicht als solches bemerkt) wird ein agiles, vielgestaltiges Musizieren geboten, mit viel innerer Glut. MTT lässt sich viel Zeit mit dem Abgesang. Bei ihm haben die Sirenen das letzte Wort, sie dürfen das Werk ganz alleine beenden, nachdem das Orchester bereits klanglich verschwunden ist. Ein schöner Einfall, der von Stokowski hätte sein können, da er sich nicht von der Partitur verifizieren lässt.
Filigran, eher fein ziseliert als prall aber offen und frei klingend, präsentiert sich diese frühdigitale Aufnahme. Von der damals grassierenden „Digitalitis“ hört man keine Spur. Offensichtlich war sie frei davon oder das Remastering hat Wunder gewirkt. Der Klang wirkt sogar warm und farbig. Gut gestaffelt, luftig und sehr „sauber“ wirkt er auch.
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4-5
4-5
Sergiu Celibidache
SWR Vokalensemble
RSO Stuttgart des SWR
DG
1980
11:08 7:20 13:50 31:24
Sergiu Celibidaches Beitrag zur Diskographie des Werkes kann man als exzentrisch bezeichnen. Der unvorbereitete Hörer fühlt sich möglicherweise bei den „Nuages“ in eine Atmosphäre der Flaute versetzt, aus der es kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Das Tempo wirkt extrem breit und, man müsste den Komponisten fragen, wahrscheinlich wäre es auch nicht in seinem Sinne. Modéré heißt die Tempovorschrift, was vielleicht mit Moderato (dann wäre ein gewisser Bereich auf dem Metronom gemeint) zu übersetzten wäre oder auch frei einfach nur „moderat“. Unser Metronom zeigt bei Celibidaches Lesart ein „Larghetto“ an, was bekanntlich zwischen Adagio und Largo liegt. Nun wissen wir also, was bei Celi als moderat gilt.
Was die Sache aber interessant macht (außer dass niemand anderes sie so macht) ist, dass das Stuttgarter Orchester zwar artikulatorisch extrem gefordert wird, aber dass es das Musizieren trotzdem cantabel, schlank und enorm differenziert hinbekommt. Die Hörer stellen sich schnell auf die Kursgeschwindigkeit der Wolken ein und was beeindruckt ist, dass das statische Tempo dafür prädestiniert erscheint sich in die einzelnen Akkorde und in die Zusammenklänge einzuhören. Dirigent und das ihm willig folgende Orchester lassen es dabei nicht an äußerster Raffinesse fehlen. Dem plastischen Geschehen (das hier besonders verinnerlicht wirkt) folgt man gerne, zumal die Holzbläser erneut einen hervorragenden Eindruck hinterlassen. Laut Debussys kurzer Werkeinführung soll der Eindruck ja ein statischer sein, da müsste man Celi dann sogar an die Spitze der Liste setzen, denn statischer ist niemand. Den diametral entgegengesetzten Gegenpol haben wir gleich anschließend gelistet, so bleiben Ying und Yang beisammen.
Sehr gut akzentuiert ist Celis Lesart dagegen beim zweiten Satz des Triptychons. Bei Zf. 10 erneut deutlich langsamer als das Gros der anderen Interpreten, aber wo hat man die Parade schon einmal mit soviel Poesie das Fest „stören“ hören? Leider, und da mag der Sendesaal des SDR, wie der Sender damals noch hieß, eine große Rolle gespielt haben, versumpft die Parade ein wenig im Tutti. Das Blech strahlt nicht so schön hervor, wie z.B. beim gerade zuvor gelisteten MTT. Der Saal (oder die Technik) stieß da offenkundig an die akustische Kapazitätsgrenze. Bei Zf. 14 geht es dann ziemlich aufgekratzt mit den Festivitäten weiter. Gegen Ende fällt Celi wieder zurück ins langsame Anfangstempo. Das Fest hat bei ihm besonders müde gemacht, einschlafen ist nun angesagt. In der Gesamtschau des Satzes ergibt sich so ein schön gespannter Bogen.
Dass der Sendesaal nicht besonders groß ist, suggeriert auch der letzte Satz. Die Sirenen wirken dicht vorm Hörer platziert., klingen entsprechend präsent und deutlich, laut und vernehmlich, lassen es aber nicht an schlüpfriger Geschmeidigkeit fehlen. Ihre Lockrufe wirken besonders variantenreich. Sie scheinen schon einige Erfahrung in ihrem Metier gesammelt zu haben und sind mit allen Wassern gewaschen. Das „trés légere“ der Violinen bringt keiner so unwiderstehlich wie Celibidache bzw. das RSO Stuttgart. Das ermattet wirkende Tempo ist bei diesem Dirigenten quasi inklusive, es steht dem Satz aber sehr gut. Manches mag vielleicht allzu ausbuchstabiert wirken, aber es stellt sich doch eine gewisse halbdunkle Schwüle ein, was die Ermattung noch plausibler erscheinen lässt. Wir erinnern uns, wir befinden uns in der Ägäis und da ist es meist sehr warm. Und die Mannschaft hatte ja bereits zuvor anstrengende Abenteuer zu bewältigen, war bereits nicht mehr so frisch. Einen kleinen Hinweis gibt es noch, der erneut an Stokowski denken lässt: Vor Zf. 6 lässt Celi einen Beckenschlag hören und ein ff des Orchesters. Von beidem steht nichts in der Partitur. Viel wichtiger ist aber die enorme Transparenz, die auch den letzten Satz zu einem ungetrübten Genuss werden lässt. Allerdings ist das Vergnügen eher epischer als dramatischer Natur.
Insgesamt ist dies eine Interpretation, die sich mehr der Innenansicht der Musik verschreibt. Die individuelle und originäre Betrachtungsweise wird wahrscheinlich entweder zu Beifallsstürmen oder zur Ablehnung führen. Einen Mittelweg lässt sie kaum zu.
Die Aufnahme gelang zumeist sehr transparent und recht plastisch, auch die Staffelung ist gut. Auch mit der Dynamik (vom Höhepunkt im zweiten Satz einmal abgesehen) kann man zufrieden sein.
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4-5
Paul Paray
Wayne State University Women´s Glee Club
Detroit Symphony Orchestra
Mercury
1961
6:11 5:41 7:35 19:27
Nun, die Spielzeiten legen es bereits nahe, einen größeren Gegensatz zwischen den Auffassungen des Werkes wie die von Sergiu Celibidache und Paul Paray kann man sich kaum vorstellen. Bei Celi schlägt dem Glücklichen sozusagen keine Stunde während Paray die Zeit fast schon zu komprimieren versucht. Das wirkt modern und es kommt einem sofort in den Sinn, dass der Gestus fast schon was Gestresstes hat. Beide markieren so die Pole zwischen denen sich alle anderen Einspielungen bewegen. So kann man Paray in diesem Vergleich als den zweiten Exzentriker bezeichnen, zumindest wenn es um Debussys „Trois Nocturnes“ geht. Ebenfalls originell und originär, ebenfalls streitbar, denn mache werden sich fragen: Ist diese Hetze noch musikalisch?
Die „Nuages“ setzen nun zu einem Wolkenballett an. Das Tempo evoziert schon mehr als eine steife Brise, stürmisch lässt es Paray aber dann gerade noch nicht werden. Der schlanke und ein wenig raue Orchesterklang steht an der Schwelle zum Dünnen, Mageren, macht aber den Satz sehr leicht und luftig. Da ist kein Gramm klangliches Fett mehr auf den musikalischen Rippen, um die Muskeln muss man sich hingegen noch keine Sorgen machen, die lässt das Orchester nämlich kraftvoll spielen. Wir hören die Musik aus einer nervösen Unruhe heraus. Sie bringt aber hohe Spannkraft mit. Nicht immer ist die Textur restlos durchhörbar, zumeist jedoch wird die Struktur wie mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Das Ergebnis wirkt rastlos; wie vom Wind getrieben erscheinen die Wolken hier wie Spielbälle. Wir sehen uns ja kein Bild an, sondern hören Musik und da ist Bewegung stets immanent, selbst wenn sie statisch sein soll. Bei Paray ist dieser Satz jedoch alles andere als statisch. Wollte Debussy seine Wolkenformationen als Vorboten eines Sturmes verstanden wissen?
Die Feste sind bei Paray eine überschwängliche Party mit einem munteren Umhergewusel. Überbordende Festtagsfreude herrscht vor. Die Hörer haben sozusagen hautnahen Kontakt dazu. Die Trompeten klingen kaum einmal knackiger, stets erscheint die Artikulation des ganzen Orchesters so kurz und prägnant wie irgend möglich. Die Parade eilt extrem vital und „durchzugsstark“ durch die Festtagsgemeinde.
Die Sirenen der Wayne State University klingen enorm präsent und wirken höhensicher. Sie locken offensiv, fordern mehr, als dass sie mit Raffinesse und ihren weiblichen Reizen vorgehen würden. Die Schiffsbesatzungen (inklusive Odysseus) dürften sich massiv angegangen fühlen. Da gäbe es wohl kaum ein Entrinnen. Die musikalischen Ereignisse scheinen sich in Detroit fast zu überschlagen. Rhythmisch aufgeweckt, frisch und zugespitzt geht es zu. In jedem Fall kann man ein Musizieren mit viel Herzblut und enormen Vorwärtsdrang konstatieren.
Unserer Meinung nach erscheinen der zweite und dritte Satz gelungener als der erste. Die Wolken schießen dann vielleicht doch an Debussys Vorstellungen vorbei, pfeilschnell sozusagen. Aber auch der zweite und dritte zeigt einen Debussy wie auf Speed. Das Stilempfinden sollte beim Anhören dieser Einspielung nicht zu wichtig genommen werden. Dann macht diese Darbietung aber richtig Spaß.
Ist man gewillt das recht starke Rauchen zu akzeptieren, dann geht bei dieser Aufnahme auch der letzte impressionistische Schleier vor der Klangbühne hoch. Präsenter und transparenter geht es nimmer.
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4-5
Lorin Maazel
Damen des Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
Decca
1978
7:25 5:54 10:50 24:09
Nach den beiden vorangegangenen Einspielungen bewegen wir uns nun wieder in Tempo und Gestus in normgerechteren Bahnen. Wie in seiner zweiten Einspielung aus Wien, klingt auch das amerikanische Präzisionsensemble schlank und sicher, jedoch zurückhaltender im Ausdruck. Obwohl das Orchesterspiel der Cleveländer alles andere als kühl wirkt, haben die Wiener Philharmoniker, die einen Glückstag erwischt haben müssen, noch mehr Wärme und einen körperhafteren, brillanteren, farbigeren Klang anzubieten. Dieses Angebot nahm Lorin Maazel sicher gerne an. Dabei ist die Innenbalance des Orchesters aus Ohio bewunderungswürdig, das Spiel enorm schattierungsreich und präzise, aber in diesem Fall erwärmen die Wiener einfach die Herzen der Hörer noch mehr. Das Orchester aus Cleveland begegnete uns bereits in der Einspielung von Pierre Boulez (da noch etwas subtiler aber auch detailaffektierter) und gleich im Anschluss noch einmal mit Vladimir Ashkenazy.
Sehr genau nimmt es Maazel und das Orchester auch im zweiten Satz, der bewegt und angetrieben intoniert wird. Die unaufdringliche Bravour an allen Pulten ist erneut bestechend. Pp ist pp, f bleibt f und wird nicht zum ff geweitet. Ganz anders als in Barenboims Pariser Einspielung aus dem gleichen Jahr. Davon später mehr.
Die Sirenen haben in Cleveland eine frische und jugendliche stimmliche Ausstrahlung. Ihr Gesang ist höhensicher. Sie wurden ähnlich wie in Abbados Bostoner Einspielung ein wenig sfumantohaft eingefangen, nicht recht greifbar und vielleicht gerade deshalb noch etwas begehrenswerter. Das Orchester steuert ein Englischhorn mit vollem, sonorem Ton bei, außerdem grazile Wellenbewegungen, eine lichtdurchflutete (mehr als einem Nocturne zusteht?), vielgestaltige Atmosphäre und eine reiche Klangfarbenpalette.
Gegenüber der Aufnahme Ashkenazys mit demselben Orchester hören wir bei Maazel etwas mehr Rauschen, die Einspielung erfolgte noch analog. Dafür klingt sie ein wenig präsenter, sehr plastisch und brillanter als die spätere Digitalaufnahme bei Ashkenazy. Noch brillanter, man mag es kaum glauben, ist der 57er Jahrgang aus Genf in der Einspielung mit Ansermet. Die Tiefenstaffelung ist gut.
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4-5
Vladimir Ashkenazy
Women´s Voices of the Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
Decca
1986
7:27 6:10 9:53 23:30
Als Ganzes klingt das Cleveland Orchestra auch bei Ashkenazy viel weniger dünn als das Orchestre de la Suisse Romande um wieder auf die soeben genannte Vorgängeraufnahme aus dem eigenen Hause (Decca) zurückzukommen, die Klangfarben sind wie bereits bei Maazels Einspielung aus Cleveland von 1978 bestens abgetönt, aber nun viel weniger kräftig und intensiv, das Spiel sehr präzise. Das p-Spiel überzeugt auch unter Ashkenazy Leitung sehr, die Diktion ist detailreich. Bei Ashkenazy werden die klanglichen Einzelereignisse (auch die Soli) jedoch viel weniger hervorgehoben als bei Maazel (und noch weniger als bei Boulez und Ansermet) sondern fast völlig in den Gesamtablauf integriert. Möglicherweise kann man hierin die Absicht erkennen, das Gesamtbild zugunsten des leicht verschwimmenden Details bewusst hervorzuheben. Dieser bildlichen Vorgehensweise entspricht auch das Zurückfahren der Farbigkeit zugunsten eines einheitlicheren Farbtons, damit könnte Grau gemeint sein. Das Klangbild wirkt jedoch noch nicht pauschal oder eingeebnet, jedoch sind gegenüber den genannten Einspielungen die Tendenzen deutlich auszumachen.
Bei den „Fêtes“ zeigt sich das Orchester enorm virtuos und souverän im Stile eines Elite-Orchesters. Der tänzerische Gestus bleibt gewahrt, wirkt jedoch noch flüssiger aber auch wie widerstandslos und etwas glatt. Dynamisch bleibt die Darbietung über weite Strecken zurückhaltend, da bot sogar Barenboim mehr. Allerdings wirkte die Dynamik bei ihm vergleichsweise klobig oder klotzig. Auch Abbado in beiden Einspielungen oder Ansermet, sogar Boulez in der feinen dritten Einspielung aus Cleveland boten da mehr. Ab Zi. 12 wird der Dynamik besser genüge getan. Der Klang des Orchesters bleibt auch in den schwierigsten Passagen von einer außerordentlichen Reinheit.
Die „Sirènes“ werden mit viel Wärme dargeboten, als Hörer(in) kann man sich wohl fühlen. Es klingt zwar nicht so scherzohaft und licht wie bei Ansermet, denn die Sirenen wirken zu Beginn noch ein wenig „verschlafen“, aber dass die imaginierte Szenerie einem Bild aus dem warmen Klima der Ägäis entspringen soll, wird deutlich. Die Sirenen scheinen sehr zurückhaltend zu agieren. Auch dass es dämmert und kein heller Sonnenschein herrscht, machen Ashkenazy und das Orchester deutlich. Immer im Vergleich zu den anderen Aufnahmen natürlich. Im Verlauf scheint das Klima schwüler zu werden, die Bewegungen träger, dann wird die Sehnsucht geweckt und die Szenerie verlebendigt sich wieder. In dieser Aufnahme lassen die Sirenen dem Orchester fast immer „höflich“ den Vortritt. „Espressiv et soutenu“, das beherzigen sie trotzdem.
Die Aufnahme klingt transparent, die Tiefenstaffelung ist sehr gut. Natürlich klingt das Orchester wahrscheinlich auch wegen der Aufnahmequalität voller als das OSR bei Ansermet anno 1957, jedoch weniger plastisch, weniger offen und weniger brillant.
Die Originalausgabe gefällt auch noch mit einer Illustration von Ian Beck auf dem Cover, die im pointilistischen Stil den Komponisten am sandgelben, sonnendurchfluteten Strand mit Sonnenschirm und Klappstuhl zeigt, obwohl der Himmel wolkenlos blau ist, ein treffendes und stimmungsvolles Bild, das sogar besonders gut zur vorliegenden Interpretation passt.
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4-5
Robin Ticciati
Damen des Chores des BR
Bamberger Symphoniker
Aufnahme des BR, unveröffentlicht
2012, Live
6:08 6:27 10:17 22:52
Dieses Konzert fand während der Zeit statt, als Robin Ticciati erster Gastdirigent des Orchesters war. Der Gestus der „Nuages“ ist durch das betont flüssige und schnelle Tempo noch deutlich fließender als sieben Jahre später in Berlin. Auch emotionaler als dort und auch emotionaler als Thielemann. Das Engagement wirkt größer und nachhaltiger, man könnte auch schreiben „aufgeregter“ oder „aufregender“ wenngleich diesbezüglich keine Verflachung in der späteren Einspielung mit dem DSO festzustellen ist, so doch eine Akzentverschiebung zugunsten der uns bekannten Vorstellungen des Komponisten (langsames Verschieben, Varianten von grau in grau). Bei Zf. 7 ist der Lauf von Flöte und Harfe super-synchron, aber die Harfe findet wie beim DSO kaum den Weg ins Gehör der Hörer.
Die „Fêtes“ klingen in Bamberg rhythmischer und ein wenig bewegter, jedoch nicht so glasklar strukturiert wie in Berlin, dabei kaum weniger präzise. Bei Zi. 10 hat man tatsächlich den Eindruck, dass die Trompeten hinter der Bühne stehen. Der Surround-Sound der Übertragung durch den BR lässt es mehr als vermuten. Die Parade der Militärkapelle legt einen imposanten Geschwindmarsch hin. Nicht so „auf Zack“ wie in Detroit oder Chicago, aber mit viel Spielfreude.
Auch die Sirenen des BR scheinen hinter dem Orchester positioniert zu sein, klingen aber nicht so klar und deutlich wie in der anderen Live-Übertragung mit Thielemann. Dem Bamberger Holz zu lauschen ist ein großer Genuss. Das Orchester bietet gemeinsam mit dem Chor viel Klangzauber. Der Differenzierungsgrad ist vielleicht nicht ganz so groß wie bei Thielmann.
Die Surround-Wiedergabe ist klar, räumlich und weiträumiger als die Stereo-Übertragungen bei Thielemann und Abbado (die kommt etwas weiter unten zu ihrem Recht), auch mit etwas mehr Tiefenstaffelung. Hellhöriger wirken jedoch Thielemann und Abbado.
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4-5
Yannick Nézet-Seguin
Collegium Vocale Gent
Rotterdam Philharmonic Orchestra
DG
2018
7:47 6:20 11:02 25:09
Auch das Rotterdamer Orchester befindet sich in einem ausgezeichneten Zustand. Das Instrumentarium wirkt nicht zuletzt durch den High-Res-Download wie durchleuchtet. Nichts bleibt hier ungehört. Die Musik kommt wie auf Samtpfötchen daher, denn das Orchester spielt hier bestechend leise. Die Dynamik wird sehr genau nachgezeichnet. Die Musik wirkt dermaßen aufgedröselt, dass sich die Entwicklung einer freien Atmosphäre kaum richtig entfalten kann (zu viele Einzelereignisse, die im Vordergrund stehen).
Auch die „Fêtes“ wirken so transparent und präzise gespielt, auch in den lautesten Passagen, dass die Musik in der großen Geste etwas zu beherrscht wirkt. Irgendwie fehlt den Eindruck, dass das Orchester jetzt einmal richtig zur Sache geht und frei und ungezwungen groß aufspielen kann. Es wirkt ein wenig klinisch. Ein toller Klang für Technokraten und „Erbsenzähler“. Es sollte aber kein falscher Eindruck entstehen: Man musiziert auf sehr hohem Level.
Die Sirenen aus Gent, von Philippe Herreweghe seit Jahrzehnten mit alter Musik vertraut gemacht, scheinen sich hier keineswegs auf fremdem Terrain zu befinden. Sie singen ganz ausgezeichnet und aus den züchtigen Bach-Chorälen sind laszive Wellenbewegungen geworden. Auch das Orchester musiziert sehr plastisch. Die Partitur wirkt ziemlich radikal offengelegt, aber auch ein wenig ihrer Geheimnisse beraubt. Es fehlt etwas der spezifische „Duft“ von Meer, salzhaltiger Brise und nassen Holzplanken. Der junge Dirigent liefert jedoch erneut ein respektgebietendes Dirigat ab. Wie bereits bei der zweiten Suite von „Daphnis et Cloé“ zeigt er, dass ihm das französische Repertoire besonders zu liegen scheint.
Der Klang der Aufnahme ist tendenziell etwas trocken, die Transparenz ausgezeichnet, die Tiefenstaffelung ebenfalls. Die Ortbarkeit des Instrumentariums gelingt punktgenau. Vom Raum selbst ist nicht viel zu vernehmen, er wirkt trocken. Der Gesamtklang ist außerordentlich präzise, aber kaum voll oder gar prall zu nennen.
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4-5
Colin Davis
Tanglewood Festival Chorus
Boston Symphony Orchestra
Philips
1982
7:58 6:35 12:10 26:43
Das Dirigat von Colin Davis müsste eigentlich im ersten Satz als kongenial bezeichnet werden. Er baut seine Darbietungen, wie wir bereits in vielen seiner Einspielungen bemerken konnten, meist aus einer tiefen inneren Gelassenheit, ja Ruhe auf. Den langsam ziehenden Wolken und ihren Akkorden und Akkordfolgen spürt er mit viel Gespür nach. Das höchst nuancierte und sehr, sehr sanfte Spiel des Bostoner Orchester, wir kennen es bereits von der Abbado-Einspielung von 1970 und begegnen ihm später nochmals mit Charles Munch, erreicht erneut einen fast buchstäblich traumhaften Klang.
Die „Fêtes“ erklingen allerdings ebenfalls mit einer gewissen Diskretion, jedoch durchaus noch als Scherzo. Da ist viel Raffinesse und auch Kraft mit im Spiel, die Élégance Abbados wird jedoch nicht ganz erreicht. Die Dynamik läuft nun im ff nicht mehr so auffällig in den Begrenzer wie bei Abbado 1970 an gleicher Stelle. Auch das Schlagzeug wird mit kräftigen Akzenten dynamisch eingefangen.
Die abendliche Schüle und Trägheit werden atmosphärisch sehr gut getroffen. Das Orchester kann hervorragend leise spielen und an Raffinesse fehlt es auch nicht. Die Sirenen wirken hingegen sehr hintergründig, jedoch schön über die ganze Breite der imaginären Klangbühne verteilt. In Abbados Einspielung wirkten sie noch verführerischer, auch sinnlicher und erheblich plastischer. Es gibt jedoch kaum einen sanfteren, milder im Abendrot glänzenden dritten Satz, wie bei Colin Davis.
Die Transparenz könnte jedoch etwas größer sein. Auch die Raumanmutung wirkt deutlich kompakter als bei Abbado 1970. Die Luftigkeit deutlich reduziert. Das raubt der Musik vergleichsweise ein wenig die Leichtigkeit. Die Dynamik ist gut, ggf. muss man jedoch die Lautstärke ein wenig erhören, damit sie auch gut durchdringt und der Klang plastisch wird. Digitale Artefakte sind kaum spürbar, ein winziger Rest verbleibt bei den in dieser Hinsicht besonders sensiblen Violinen. Bei Abbado klingen sie noch weicher und sinnlicher.
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4-5
Claudio Abbado
Damenchor des BR
Lucerne Festival Orchestra
Radiomitschnitt vom Schweizerischen Rundfunk
2008, Live
7:16 6:30 10:20 24:06
Nach den zügigeren Tempi, die Claudio Abbado in Berlin anschlug, orientiert er sich in Luzern wieder mehr an den Tempi, die ihm in Boston 1970 angemessen schienen. Er kostet nun den Klang wieder etwas mehr aus. Instrumental und orchstral nehmen sich die drei Darbietungen Abbados nicht viel. Wobei nur die Luzerner „Live“ ist, sie hätte mehr Nachsicht verdient, wenn was „passieren“ würde, aber es passiert nichts.
Die „Fêtes“ klingen zwar immer noch rhythmisch betont, aber vom Gestus her etwas betulicher, nicht mehr ganz so temperamentvoll wie in Boston oder Berlin. Die Trompeten klingen an Zf. 10 erheblich „sordinierter“, wenn man das so schreiben darf, denn bei den beiden anderen Einspielungen ändern die Trompeten ihre Klangfarbe durch die Sordine viel weniger. Die Pauke klingt in dieser Aufnahme zu dominierend, wenn man die überwältigende Mehrheit der anderen Aufnahmen als maßgebend heranziehen möchte.
Die bayrischen Sirenen dominieren über weite Passagen das klangliche Geschehen, als wäre ihnen das Orchester ergeben. Es scheint zu ihren Gunsten ein wenig zurückzutreten. Die Mezzosoprane setzen sich durch eine leicht herbe Note klanglich sehr gut von den „süßer“ klingenden Sopranen ab. Gemeinsam erzeugen sie jedoch eine sehr verführerische Klangfülle. Das Orchester spielt auf absolutem Top-Niveau.
Die Schweizer Aufnahme ist viel direkter aufgenommen als die Bostoner. Das Holz ist sehr deutlich in den Fokus gerückt. Vielleicht ein wenig über Gebühr. Den Holzbläsersatz kann man so sehr gut verfolgen. Der Gesamtklang ist für eine Rundfunkübertragung sehr plastisch geraten, die Dynamik ist rundfunktypisch jedoch weniger abgestuft, da ein richtiges ff fehlt, auch wenn man die Sendung digital empfängt. Auch die Brillanz der Übertragung kann nicht mit den sehr guten Tonträgern aus Boston und Berlin mithalten, das kann man auch nicht erwarten.
Bei der DG wollte man die Einspielung wahrscheinlich nicht ins Programm aufnehmen, wie dies beim Luzerner Mitschnitt von „La mer“ noch geschah, da man sich mit der Berliner Aufnahme gut und noch aktuell genug aufgestellt sah. Unseres Wissens wurde sie auch nicht in die Videovermarktung übernommen.
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4-5
Bernard Haitink
Collegium Musicum Amstelodamense
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Philips
1979
7:02 6:14 10:21 23:37
Von den drei Einspielungen des Amsterdamer Orchesters gefiel uns die von Bernard Haitink geleitete am besten. Die Orchesterqualität ist die beste, das Holz klingt nun erheblich wärmer und runder als bei van Beinum und besonders als bei Eliahu Inbal. Sehr schön fließend und ruhig führt der Dirigent mit sicherer Hand durch die Wolkenformationen. Dabei wirkt das Spiel sogar noch etwas expressiver als bei van Beinum.
Bernard Haitink ist nicht gerade in besonderer Weise als Dirigent von französischer Musik in Erscheinung getreten, seine Schwerpunkte, zumindest wenn man sich seine Diskographie anschaut, sind andere gewesen. Bei diesem Werk wirkt sein Zugang vom ersten bis zum letzten Ton vertraut und selbstverständlich. Wie so oft versucht er nicht auf Biegen und Brechen zu besonderen Ergebnissen zu kommen, sondern das Werk selbst steht im Vordergrund. So werden auch die „Fêtes“ plastisch und mit herausragender Klangentfaltung versehen. Alles passt bestens zusammen, der edle Klang des Orchesters klingt auch im ff noch transparent, voll und sonor. Das Philips-Klangbild wirkt im ff des Tutti (Zf. 13) leider ein wenig hallig.
Die Sirenen klingen, obwohl es sich um den gleichen Chor handeln sollte (allerdings im Abstand von 20 Jahren aufgenommen), nun noch besser als bei van Beinum, transparenter und voller. Sopran und Mezzo sind klar aufgeteilt und bestens zu unterscheiden. Beide Gruppen stehen exakt hinter dem Orchester. Statt sfumato gibt es viel Feinzeichnung. Das Tempo hat den langen Atem, erscheint gelassen, wird aber nie schwerfällig. Bei Beinum hört sich das Werk moderner oder auch noch mehr den letzten Resten der Romantik entwachsen. Haitinks Debussy imponiert hingegen mit warmem, großartigen Klang, für den das Orchester gerade auch heute noch so bewundert wird. Klanglich wirkt das Werk veredelt. Die Struktur wird indes nicht so klar herausgestellt wie bei Haitinks Vorgänger als Chef Eduard van Beinum.
Der Klang der Aufnahme ist fülliger und körperhafter als bei den älteren beiden Amsterdamer Einspielungen, die zehn (Inbal) bzw. 20 Jahre (Beinum) älter sind. Das Klangbild wirkt wärmer, differenzierter, sehr räumlich und auch gut in die Tiefe hinein gestaffelt. Die Dynamik ist gut, der Gesamtklang recht offen. Die Klangfarben wirken ein wenig gedeckt, aber alles andere als blass. Wir hörten ein Remaster von 1994.
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4-5
Yan Pascal Tortelier
Renaissance Singers
Ulster Orchestra, Belfast
Chandos
1990
7:23 6:30 10:45 24:38
Torteliers Einspielung lässt ein wenig an Ticciatis Bamberger Debussy denken. Die „Nuages“ wirken wenig statisch, werden immer im Fluss gehalten, sehr deutlich und pointiert abgebildet. Das Orchester, von dem man heute nicht mehr viele Einspielungen zu hören bekommt, macht einen guten Eindruck. Das Werk wirkt bestens geprobt und verinnerlicht. Mitunter klingt es nicht ganz so leise wie bei den besten aber überraschend klangschön. Man möchte behaupten in dieser Einspielung des ersten Satzes steht es den Londoner Orchestern klanglich in nichts nach.
Auch die „Fêtes“ wirken klangfarbenreich und mit Temperament musiziert. Das Orchester ist zwar kein Ausbund an Virtuosität aber die tänzerische Seite des Satzes wird, wenn auch nicht ganz ausgelebt, so doch immer noch sehr gut umgesetzt und die Steigerungsverläufe zünden.
Die Trompeten scheinen sich bei Zf. 10 die Sordine zu sparen und lieber eine Position weiter weg von den Mikrophonen eingenommen zu haben, um das pp bzw. p glaubhaft werden zu lassen. In jedem Fall klingt es beim Höhepunkt kernig und mit mitreißender Dynamik. Im ff wirkt der Gesamtklang nicht mehr so „edel“ wie bei den Wiener oder Berliner Philharmonikern dem Cleveland Orchestra oder auch dem LAPO bei Salonen.
Vom betörenden Gesang der Renaissance Singers waren wir überrascht. Auch in Belfast versteht man sich auf reizvollen und sehr deutlichen Chorgesang. Die Violinen sind im ff nicht ganz unverzerrt. Der Gesamtklang im letzten Satz könnte dann auch klarer sein. Vor der Darbietung als Ganzes darf man den Hut ziehen.
Der Klang aus Nordirland ist farbig, offen und wirkt frei, gut gestaffelt und präsent Die Weiträumigkeit wird nicht wie verschiedentlich bereits bei diesem Label gehört übertrieben und durch übermäßige Halligkeit erkauft. Man hat eine gute Mitte zwischen transparenter Trockenheit und luftiger Weite gefunden. Die Dynamik ist gut, der Gesamtklang sehr plastisch. Anscheinend hat man nicht nur einen guten Chor und ein gutes Orchester in Nordirland, sondern auch einen tollen Konzertsaal. Die Aufnahme klingt insgesamt ziemlich einnehmend.
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4-5
Pierre Boulez
John Alldis Choir
New Philharmonia Orchestra London
CBS-Sony
1969
6:58 6:37 10:57 24:32
Die Debussy-Aufnahmen von Pierre Boulez wurden zur Zeit ihrer Erscheinung als neuartig und bahnbrechend empfunden. Ausgehend von dem nebulösen Klangfarbenschwelgen, mit dem man zuvor den musikalischen Impressionismus ineinsgesetzt und damit einer bestimmten Sparte von Unterhaltungsmusik angenähert hatte, erschien seine Art der Debussy-Interpretation als radikal. Befördert wurde diese Ansicht aber auch von seinen verbalen Äußerungen, nach denen die Tradition als Schlamperei ausgegeben wurde. Boulez setzte die Struktur der Musik in den Vordergrund, das war auch zu begrüßen. Jedoch vergaß man damals, dass es durchaus schon ähnliche Herangehensweisen gab (Paray, Toscanini, van Beinum und vor allem Monteux und Ansermet). Jedoch negierte er zu Beginn seiner Aufnahmetätigkeit im Gegensatz zu den großen Vorgängern den sinnlichen Aspekt der Musik weitgehend. Das ist auch in der Einspielung der „Trois Nocturnes“ mit dem NPO zu beobachten. Die spätere Aufnahme aus Cleveland korrigierte dann das aus heutiger Sicht gar nicht mehr so revoluzzerhafte seiner frühen Sicht und gab der Musik die sensualistische Komponente wieder in viel stärkerem Maß zurück. Sicher mag auch die Wahl des Orchesters eine Rolle gespielt haben, dass sich die beiden Einspielungen von ihm so deutlich unterscheiden.
Die Wolkenformationen ziehen 1969 eilig dahin, es herrscht dabei völlige Transparenz. Der Klang ist allenfalls noch Mittel zum Zweck, steht aber nicht im Zentrum des Musizierens. Die Klarheit der Struktur geht vor. Die Akkorde werden buchstäblich auf Herz und Nieren geprüft. Emotionalen Komponenten der Musik werden zumindest nicht betont, wenn nicht sogar ignoriert. Sie stellen sich auch ohne das Zutun der Interpreten, also quasi von alleine als Nebenprodukt ein. Außermusikalisches scheint weitestmöglich außen vor zu bleiben. Der Gestus wirkt sachlich, der Klang trocken, das Orchester penibel. Ein weicher Hochglanzsound war zu jener Zeit ohnehin nicht das Hauptcharakteristikum dieses Klangkörpers, das zuvor durch die strenge Schule Klemperers geprägt wurde.
Die „Fêtes“ klingen auch kühler als sonst üblich, die warmen Töne fehlen, aber alles, was komponiert wurde ist auch hörbar zu zwar rhythmisch und akzentuiert. Wie in seiner Einspielung aus Cleveland unterscheidet der Dirigent jedoch ein f nicht von einem ff. Beides klingt exakt gleich laut (Blech bei Zf. 13).
Die Sirenen sind bei Boulez sehr gut ortbar, ein Jahr später ließ man sie bei Abbado und den Bostonern ziemlich diffus und fast von überall her singen. Unschwer sich vorzustellen, was die Männer mehr verwirrt haben mag. Bei Boulez hat der Chor klanglich die Überhand über das Orchester. Gerade zu Beginn des Satzes geht so viel instrumentale Farbe und Werkstruktur verloren (Zf. 2 und 3). Später wird das Verhältnis besser, aber auch da scheint die klangliche Balance wegen der hinzugekommenen Sirenen verändert. Das Orchester klingt zudem matter als in den Sätzen zuvor. Der volle Streicherklang ist jedoch immer noch zu loben. Insgesamt dürfte diese Einspielung zum Zeitpunkt ihres Erscheinens zu den Einspielungen gehört haben, die die Partitur am klarsten ausgelotet und so die meisten Details hörbar gemacht haben. Von daher könnte man den Hype verstehen.
Aufnahmetechnisch erscheint das Orchester in all seinen Einzelheiten wie gestochen scharf umrissen und sehr präsent. Die Tiefenstaffelung ist hingegen kaum ausgeprägt. Die Breitenstaffelung ist dem gegenüber bestens gelungen und auch die Staffelung in die Höhe weiß zu überzeugen. Der Klang wirkt sogar etwas körperhafter als der der DG-Aufnahme Boulez´ von 1993. Die Körperhaftigkeit verflacht jedoch bei höheren Lautstärken. Den Sirenen im letzten Satz versagt man ein wenig die Vollmundigkeit, die die Kolleginnen in Boston bei Abbado unter anderem so verführerisch machten. Auch an deren Transparenz kommen sie nicht heran.
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4-5
Carlo Maria Giulini
Philharmonia Chorus
Philharmonia Orchestra London
EMI
1962
8:42 6:09 11:21 26:12
Sieben Jahre zuvor spielte das Phiharmonia das Stück bereits unter der Leitung Carlo Maria Giulinis ein. Obwohl damals wahrscheinlich im Klang noch mehr von Otto Klemperer beeinflusst als bei Boulez, klingt es weicher und es intoniert mit einer volleren, sinnlicheren Tongebung. Sogar die Oboe klingt weniger hart als man es sonst zu jener Zeit von ihr gewöhnlich hören konnte. Das Englischhorn hat man vorsichtshalber räumlich auf Distanz gehalten. Der Gestus wirkt expressiver, gleichwohl auch fließender als bei Boulez. Die Ähnlichkeit die Debussys Komposition bei Zf. 4 mit Sibelius´ “Der Schwan von Tuonela“ hat, wird bei Giulini, der bekanntlich nicht viel mit Werken von Sibelius am Hut hatte, besonders deutlich. Die Komposition von Sibelius erschien übrigens bereits ca. fünf Jahre zuvor. Der Orchesterklang bei Giulini ist bestechend homogen. Ganz ähnlich Bertini und einigen wenigen anderen wird auch bei Giulini bewusst ein weiter Bogen gespannt, der Klang sozusagen ins Firmament eingepasst.
Die „Fêtes“ klingen bei Giulini temperamentvoll, fast exaltiert, farbig und virtuos, jedenfalls sehr lebendig. Die Oboe gackert im Staccato besonders schön, fast würde man meinen humoristisch. Das Zusammenspiel des ganzen Orchesters nötigt Respekt ab. Den kleinen Gag, dass die Kapelle bei ihrem Aufmarsch tatsächlich von rechts nach links über den „imaginären Dorfplatz“ marschiert, hätte man von dem ernsthaften Giulini nicht unbedingt erwartet und von den distinguierten Briten hinter den Reglern und im Produzentenzimmer auch nicht. Aber die Stereotechnik war noch jung und man wollte vielleicht zeigen, was sie alles zu bieten hat. Auch bei der Fernwirkung der Trompeten hat man viel Liebe zum Detail investiert. Das Blech wirkt sehr animiert. Im Hörprotokoll haben wir notiert: „Blech zum niederknien, mit dem Schlagzeug gemeinsam eine Urgewalt“. Muss wohl so gewesen sein, wundert aber beim ehrwürdigen Philharmonia schon etwas. Sie müssen wohl „gut drauf“ gewesen sein. Ein toller Satz, toll verlebendigt.
Auch im Sirenen-Satz ist das Orchester das Ereignis. Die Sirenen selbst wirken eher nur als instrumentale Ergänzung. Sie sind zwar gut ortbar, aber zumeist zu weit in den Hintergrund verbannt. Sie kommen uns Hörenden kaum emotional näher. Erst später würde das besser werden, aber ihr Timbre erscheint zwar markant aber etwas zu herb, um uns ernstlich verführen zu können. Die Leidenschaft glüht eher im Orchester und da ziemlich ungebremst. Die Transparenz in diesem Satz ist in Anbetracht des Aufnahmedatums verblüffend. Auch der hohe Detailreichtum überzeugt.
Diese Einspielung trifft nach unserer Auffassung den Ton der Komposition sehr gut. Trotz der nicht gerade spritzigen Tempi im ersten und dritten Satz, kommt keine Sekunde Langeweile auf. Eigentlich, wenn wir uns das richtig überlegen, könnte sie auch weiter oben platziert sein.
Nicht zuletzt dank eines gelungenen Remaster (von 2004) wirkt die Aufnahme noch oder wieder ziemlich frisch, sehr gut aufgefächert und tief gestaffelt. Es ergibt sich ein schönes Orchesterpanorama. Die Einspielung rauscht kaum, aber der Gesamtklang wird im ff immer noch etwas dicht.
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4-5
Eduard van Beinum
Womens Voices of the „Collegium Amstelodamense“
Concertgebouworchester Amsterdam
Philips
1959
6:47 5:43 8:20 20:50
Um diese Produktion zu hören, haben wir eine digitalisierte LP der Bibliothéque National de France gehört. Eine meist preiswerte Möglichkeit an alte Archivschätze zu kommen, wenn der Weg zur CD versagt blieb, oder wenn das Label andere, zumeist spätere Einspielungen bei der Produktion von CDs bevorzugt. Die Digitalisierung macht immer einen professionellen Eindruck, aber das Ausgangsmaterial, die alte LP, schwankt doch ziemlich in seiner Qualität. Manchmal hat man Glück, manchmal Pech, das weiß man immer erst nach dem Download.
Damals war der Klang des Amsterdamer Orchesters noch nicht mit den heutigen, seit ungefähr den achtziger Jahren bekannten Qualitäten gesegnet. Es war damals ein sehr gutes, aber kein außergewöhnliches Orchester. Das nasale, recht hell und hart klingende Englischhorn scheint diese Einordnung untermauern zu wollen. Das ganze Orchester lässt auch in seiner Farbenpracht gegenüber heute keinen Vergleich auf Augenhöhe zu. Für die „Nuages“ ist die dem Monochromen angenäherte Ausrichtung im Farbenspektrum als Positivum zu verbuchen. Zumindest nach den Wünschen des Komponisten. Fast könnte man von einer Variation in Grau schreiben. Van Beinums Gestus erscheint völlig unverzärtelt, geprägt vom schlanken Spiel und zügigen Tempo. Der Zugang erscheint bereits ähnlich strukturbezogen wie bei Boulez zehn Jahre später, wirkt aber generell und besonders im zweiten Satz lebendiger, bisweilen sogar nuancenreicher. Er hält sich auch nicht so mit einzelnen Erscheinungen auf wie der Franzose. Im ersten Satz wird der leise Charakter nie durchbrochen. Trés bien!
Sehr flott und mit einer herrlichen Finalwirkung versehen gelingen die „Fêtes“ besonders vital. Es gesellt sich noch ein pulsierender Rhythmus zum Spiel und die Staccato-Fähigkeiten des Orchesters (besonders des Holzes) werden sehr stark gefordert. Die Trompeten kommen sehr prägnant und strahlend. Es wird mit viel Verve musiziert, es gibt echtes ff und die Steigerungskurve wirkt prickelnd. Einem ausgelasseneren Fest konnten wir bisher kaum einmal beiwohnen.
Leider fällt der dritte Satz ziemlich ab. Das liegt besonders an den Sirenen, die wieder den püppchenhaften Klang der Soprane hören lassen, der uns auch bei den Chören in Faurés Requiem an vielen Chören der fünfziger und frühen sechziger Jahre aufgefallen ist. Auch bekannt aus diversen Disney-Trickfilmen jener Zeit. Das hat mächtig Patina angesetzt. Die Sirenen wirken nun weniger wie verführerische Phantasiegestalten, die Debussy vorgeschwebt haben dürften als dass die an „Schneewittchen“ oder „Dornröschen“ erinnern. Allerdings bewegen sie sich behände und wegen sich sportlich-durchtrainiert, folgen sie doch mühelos dem sehr ambitionierten Tempo der ängstlichen Schiffsbesatzung. Die Trägkeit eines schwülwarmen Abends im Süden, findet man in dieser Szenerie nicht. Insgesamt wirkt der letzte Satz trotz der gebotenen Agilität etwas zu handfest. Dennoch eine individuelle, originäre Interpretation, die viele Hörer:innen überraschen dürfte.
Der Klang wird nur durch ganz leise Rillengeräusche leicht gestört. Es gibt keine Knackser, kein Rauschen oder andere Störgeräusche. Der Klang wirkt bereits sehr gut aufgefächert, die Räumlichkeit ist gut. Die Dynamik und das Farbspektrum wirken jedoch begrenzt. Bei den Frequenzen fehlt es ein wenig an beiden Enden.
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4-5
Constantin Silvestri
Choeur Elisabeth Brasseur
Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)
EMI, BnF
1958
8:26 5:59 10:47 25:47
MONO Beim Anhören dieser Einspielung mussten wir uns erneut mit einer digitalisierten LP der Bibliothèque National de France zufrieden geben. Dem Aufnahmejahr gemäß sollte eigentlich auch eine Stereo-LP im Bestand existiert haben, man hat jedoch aus welchen Gründen auch immer zur Digitalisierung auf ein Mono-Exemplar zurückgegriffen.
Klanglich gehört die Aufnahme zu den besseren Mono-LPs. Das Spiel der Violinen erklingt weich und fein. Eine ganz spezielle Art des Espressivo mit einem dennoch sachten, feinrhythmischen Spiel lässt diese Darbietung den Hörer:innen schnell sehr nahe kommen. Silvestri baut weite Bögen auf. Die sonst mitunter kritikanfällige Klanggebung der französischen Holzblasinstrumente fällt in dieser Umgebung kaum ins Gewicht. Die sehr kräftigen Pizzikati am Ende der „Nuages“ setzen einen fast schon humoristischen Abgang der Wolkengebilde in Klang um. Normalerweise hören wir hier ein ins Lautlose übergehendes Verschwinden. Wollte Silvestri hier das alter Ego Debussys Monsieur Croche zu „Worte“ kommen lassen? Und eine Kritik formulieren?
Im zweiten Satz treibt Silvestri das Orchester tüchtig an. Das Fest erstrahlt in hellem, fast schon grellen Licht, die Elektrifizierung um 1900 ist in Silvestris Interpretation bereits sehr weit fortgeschritten. Die Militärkapelle huscht im Geschwindmarsch vorbei. Nicht nur das Tempo, auch die Kraftentfaltung des Orchesters wird voll ausgereizt. Das klingt mitreißend. Tolle Zuspitzung, tolle Atmosphäre. Uns gefiel dieser Satz besser als bei Paray.
Im dritten Satz lässt Silvestri das Orchester die See hochpeitschen. Die Sirenen singen leider mit der Patina des Chorgesangs der 50er Jahre. Das Orchester könnte viel transparenter klingen, zudem lässt die Aufnahme das Orchester im ff leicht verzerrt bzw. übersteuert erklingen. Die Einspielung erinnert an die temperamentvolle, sanguinisch wirkende Darbietung von Jean Fournet, verfügt aber nur über einen schlechteren Chor und einen schlechteren Klang. Von ihr eine vom Stereo-Tape neu überspielte CD zu erwischen, scheint erstrebenswert.
Der Klang ist allenfalls ausreichend transparent, nicht ganz frei, fast etwas dumpf. Bei einer alten LP ist das nicht unbedingt verwunderlich. Das Klangvolumen ist hingegen erstaunlich.
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4-5
André Previn
Ambrosian Singers
London Symphony Orchestra
EMI
1984
7:55 6:37 11:22 25:54
Das Spiel des Orchesters, insbesondere auch der warm getönten Streicher, gefällt sehr gut. Es wirkt besonders gefühlvoll und legt viel von der musikalischen Faktur frei. Obwohl sich sehr viel im p und pp-Bereich bewegt wirkt der Klang plastisch, differenziert und detailtreu. Die Wolken wirken sozusagen hell und differenziert.
Im zweiten Satz begünstigen das gute Staccato des Holzes und der frische Impetus den Scherzo-Charakter des Stückes. Die Streicher, soeben noch gelobt, klingen nun im f und ff mit einer kristallinen Härte. Die Militärkapelle wirkt imposant aber nicht überzogen.
Der dritte Satz überzeugt mit duftigem und transparenten Orchesterspiel. Die Sirenen gesellen sich mit vollem Einsatz präsent, prall und lockend hinzu. Auch hier klingen die Violinen bei höheren Lautstärken wenig sonor. Insgesamt wirkt die Darbietung gerade des letzten Satzes entspannt, die gefühlvollen und gefahrvollen Augenblicke werden jedoch nicht weggebügelt. Das Orchester wirkt gut ausgeleuchtet (Harfe besonders gut hörbar).
Der Klang der Aufnahme leidet erneut an der frühdigitalen Härte, die besonders die Violinen befällt, vor allem bei größerer Lautstärke. Die Tonmeister bei EMI haben sich lange gegen das digitale Aufnahmeverfahren gewehrt, aber nicht zuletzt das vereinfachte Schnittverfahren und die kleinen Verbesserungen, die es nach und nach gab, haben dann doch die firmeninternen Kritiker verstummen lassen. Klanglich kommt der erste Satz am besten weg.
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4-5
Eugene Ormandy
Temple University Women´s Choir
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1964
8:16 6:26 11:09 25:51
Die Einspielung Ormandys begeistert mit einem hochklassigen Orchesterspiel mit fantastischer Innenbalance. Der exemplarische Klang der Violinen ist selbst bei diesem Orchester nicht allzu häufig zu hören. Die Hörner wirken besonders profiliert. Auch das zurückgenommene, gelassene p-Spiel stellt für Ormandy keine Selbstverständlichkeit dar. Hier wirkt er relativ undramatisch und sehr partiturbezogen.
Im zweiten Satz ist das Orchester richtig in seinem Element. Der tänzerisch bewegte, hochvirtuose Zugriff wirkt jedoch ein wenig stromlinienförmig. Das Näherkommen des Festzuges (der Militärkapelle?) gelingt plastisch, der Höhepunkt wirkt leider dynamisch komprimiert. Das können moderne Einspielungen mittlerweile (wenn man Glück hat) besser.
Die Sirenen im dritten Satz pendeln sehr beweglich hin und her, von rechts nach links und wieder zurück. In dieser Einspielung hat man sich die Sirenen als Demonstrationsobjekte für die neuen Errungenschaften der Stereotechnik herausgeguckt. Verführerisch gestimmt locken sie dessen ungerührt mit ihren stimmlichen Reizen. Das Orchester wirkt sehr expressiv und aufmerksam. Gerade die „Sirènes“ werden zu einem lukullisches Klang-Vergnügen.
Der Klang wirkt weitgehend klar. Er erscheint räumlich nicht besonders weit in die Tiefe gestaffelt, aber exzellent in die Breite. Von einem Breitwandsound lässt sich nicht reden, dafür ist er zu differenziert. Der Klang ist weiterhin farbenreich, recht weich und voll. Besonders der Höhepunkt im zweiten Satz (Militärkapelle) wirkt dynamisch komprimiert.
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4-5
Michel Plasson
Choeurs de Toulouse Midi-Pyrenées
Orchestre du Capitole de Toulouse
EMI
1988
8:02 6:22 9:44 24:08
Mit der gebotenen Ruhe und Zurückhaltung nähert sich das südfranzösische Orchester der Komposition. Die Geigen dominieren den Streicherklang zu Beginn über Gebühr, generell wird jedoch mit der Dynamik partiturgenau verfahren. Das aufmerksame Miteinander ergibt ein viel stimmigeres und nuancierteres Gesamtbild als beim Nationalorchester der Hauptstadt unter Martinon.
Auch der Einstieg in den zweiten Satz gelingt animiert. Das schlanke Spiel wirkt deutlich und exakt, aber lange nicht so exaltiert wie bei Silvestri oder Paray. Plasson lässt die buchstäbliche Kirche im Dorf, legt aber Wert darauf, dass sogar die Militärkapelle tänzerisch inspiriert erscheint. Bravo.
Die Sirenen machen einen scheuen, schüchternen Eindruck. Sie singen sauber und exakt, aber der Gesang will nicht so recht tragen, fast hat es den Eindruck, dass sie gar nicht auf sich aufmerksam machen wollten, sich lieber verstecken wollten. Auch das Orchester kocht nicht gerade vor Leidenschaft, sodass es zwischen den Frauen und den Männern höchstens zu einem freundschaftlichen Annäherungsversuch ohne kriminelle Absichten kommen könnte. Die Variationsbreite in diesem aufwendigsten Satz des Triptychons ist unter den verschiedenen Einspielungen zugleich auch am weitesten. Leider passt sich auch das eigentlich feine Orchesterspiel dem defensiven Gestus des Chorgesangs an.
Der Klang der Aufnahme ist transparent und gut gestaffelt, gemalt wird hier in eher kühlen Farben und mir feinen, dünnen Pinseln. Das Gesamtklangbild wirkt dennoch stimmig, es muss ja nicht immer voll und prall zugehen. Es ist auch nicht ganz frei von digitaler Härte. Die Dynamik ist gut, aber nicht überbordend.
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4-5
Max Pommer
Rundfunkchor Leipzig
Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig (heute: MDR Sinfonieorchester)
Delta, Capriccio
1991
8:10 6:30 10:37 25:17
Der Leipziger Orchesterklang wirkt weich und leuchtend. Er schmiegt sich an die ruhige und gemessene Gangart bei den „Nuages“ sehr gut an. Die Soli von Holz, Violine und Blech überzeugen völlig. Es wird mit viel Liebe zum Detail musiziert. Den französischen Tonfall hat man sich in Mitteldeutschland ziemlich akzentfrei angeeignet. Das hatten wir uns von dem Dirigenten, der auch als Pädagoge reüssierte und eher mit Barockmusik in Verbindung gebracht wird (Neues Bachisches Collegium), nicht unbedingt erwartet. Pommer war der letzte Chedirigent des Orchesters (87-91), bevor es nach der Wende seinen neuen Namen bekam.
Der zweite Satz klingt teils spielerisch, teils aufregend und biete eine gelungene Melange an Stimmungen. Beim Marsch durchs (imaginäre Dorf) klingt das dynamisch zurückhaltend aber klanglich massiv, das „vibrant sans dureté“, was soviel bedeutet wie vibrierend aber ohne Härte, wird sehr gut umgesetzt. Man unterscheidet gut zwischen f und ff.
Die Sirenen sind klanglich hervorragend und bestens mit dem Orchester abgestimmt. Wir hören eine höchst differenzierte Wiedergabe, die noch mehr gewänne, wenn sich das musikalische geschehen nicht so weit von den Hörer:innen entfernt abspielen würde.
Das ist auch die Hauptcrux der Aufnahme. Das Orchester wirkt zu weit entfernt. Man hat keinen unmittelbaren Erlebnisplatz erwischt. Die Qualität der beiden Ensembles hätte ein so weites Abrücken nicht nötig gehabt. Es gibt nichts zu kaschieren. Es klingt weich, rund und trotz der Ferne noch gut gestaffelt und transparent. Unwillkürlich denkt man aber an eine Guckkastenbühne.
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4
4
Armin Jordan
Choeur de Chambre Romand
Orchestre de la Suisse Romande
Erato-Cascavelle
1988
7:44 6:25 8:57 23:06
Das Genfer Orchester macht insgesamt gegenüber der über 30 Jahre älteren Einspielung Ansermets einen verbesserten Eindruck. Es klingt aber deutlich entfernter und weniger spritzig, im Gestus wie beruhigt. Es wird etwas schöner gespielt aber auch weniger aufregend, „gesoftet“, wenn man so will..
Auch die „Fêtes“ wirken kaum überschwänglich, jedoch mit mehr Begeisterung dargeboten als z.B. bei Paavo Järvi. Der Höhepunkt, als der nach Militär klingende Festzug durch den feiernden Ortskern (manche meine, es wäre der Bois de Boulogne, andere es wäre ein imaginäres Fest in Debussys Kopf) marschiert, bleibt etwas hinter den Erwartungen zurück. Er wirkt kaum eruptiv.
Gegenüber Järvis Einspielung wirken die Sirenen bei Jordan geradezu unterbesetzt, auch weniger sinnlich, fast neutral, aber lebendiger vom Tempo her. Insgesamt liegt hier eine ansprechende Einspielung vor, die mit wenigen Besonderheiten aufwartet.
Der Klang der Aufnahme fällt insgesamt hinter den Klang bei Ansermet (1957) zurück. Die Einspielung klingt deutlich entfernter, weniger präsent, weniger leuchtend und weniger klar. Und lange nicht so sehnig, kraftvoll und exakt fokussiert und auch weniger dynamisch. Sie klingt jedoch wärmer und tiefer gestaffelt. Da sie fast gar keine digitale Häret hören lässt, wirkt sie angenehmer als die Einspielungen von Previn oder Dutoit.
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4
Gary Bertini
Kölner Rundfunkchor
Kölner Rundfunksinfonieorchester (heute: WDR Sinfonieorchester Köln)
Capriccio
1988
7:13 6:26 10:15 23:54
Gary Bertinis Einspielung ist zumindest im ersten Satz die ebenmäßigste, vielleicht auch die ruhigste. Sie erklingt beinahe wie aus einem Atem heraus, ohne einmal Luft zu schöpfen wie unter einem Bogen zusammengefasst. Die Binnendifferenzierung, insbesondere die dynamische, könnte bisweilen besser sein. Die Holzbläser klingen exzellent, alles voran das Englischhorn. Es wird vorbildlich leise gespielt. Debussy wird beim Wort genommen, dem einem oder anderen Hörer könnte es aber ein wenig langweilig werden.
Die Trompeten nutzen beim Aufmarsch im zweiten Satz die Sordinen und bekommen so die Fernwirkung auf ihrem angestammten Platz im Orchester sehr gut hin. Mit der Sordine ist jedoch immer auch eine Klangfarbenänderung verbunden, was vielleicht erklärt, dass viele die Trompeten hinter der Bühne spielen lassen, ohne die Sordinen, sodass die Klangfarbe gleichbleibt, und der Aufmarsch so noch naturalistischer wirkt. Im Live-Konzert wäre dies jedoch problematisch, denn den Trompetern bliebe kaum Zeit wieder rechtzeitig an ihrem Platz zu sein. Der Marsch selbst klingt bei Bertini leicht und locker. Nie wird es aggressiv. Die Dynamik wirkt allerdings sehr zurückhaltend, da lässt die Technik das Orchester ein wenig im Stich. Die Transparenz bleibt hingegen stets auf untadeligem Niveau. Die Darbietung verbreitet trotz oder wegen der dynamischen Einschränkung einen gewissen Charme.
Die Sirenen werden auf weitem Abstand gehalten, sie singen aber insgesamt sehr schön und verführerisch, zumindest die Soprane, während der Mezzo bisweilen etwas herb und abweisend wirkt. Das reichliche Vibrato entspricht nicht mehr ganz den heutigen Hörgewohnheiten. Der Vorteil der relativ geringen Homogenität der beiden Stimmlagen ist die gute Unterscheidbarkeit, weshalb beide Stimmlagen auch ohne die Partitur gut zu verfolgen und stets bestens zu unterscheiden sind. Man hört bei Bertini sehr viel von der Partitur.
Der Sound der Einspielung ist weitgehend glasklar. Die Tiefenstafflung besonders im ersten Satz ist hervorragend, sodass man von einer dreidimensionalen Wiedergabe schreiben kann. Die Dynamik hingegen wirkt etwas stiefmütterlich behandelt und bleibt schwach, auch die Brillanz könnte besser sein, der Orchesterklang wirkt zudem nicht ganz frei. Die Farben wirken gedeckt, es liegt keine Hochglanzproduktion vor.
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4
Manuel Rosenthal
Choeur de la Radio Television Francaise
Orchestre de l´Opéra National de Paris
Adès, Vega, Praga
1958
7:18 6:16 8:47 22:29
MONO Manuel Rosenthal war der letzte Schüler Ravels und in jungen Jahren Assistent von Désiré-Émile Inghelbrecht, der ebenfalls mit einer Einspielung in unserem Vergleich vertreten ist. Ohne spürbare Anteilnahme oder schmückende Interpretenbeigaben, wie Rubato, erscheint die Darstellung Rosenthals zunächst etwas neutral. Das Englischhorn klingt von weitem herein. Der Gestus wirkt so durchaus sanft und auch atmosphärisch, wenngleich eigentlich nur die Naturbeobachtung selbst zu klingen scheint. Seltsamerweise behält die Musik trotzdem ihren spezifischen Charme.
Die „Fêtes“ klingen recht virtuos und angetrieben, der Aufmarsch des Festzuges mit der Militärkapelle wird schön imaginiert. Das Schlagzeug kommt recht deftig ins Bild, die Dynamik ist erstaunlich unverzerrt. Das Tempo scheint mit fortschreitender Dauer immer brillanter zu werden.
Bei Rosenthal verstecken sich die Sirenen keinesfalls. Vielmehr scheinen sie offensiv auf die Suche nach ihren Opfern zu gehen. Die Freude, dass mal wieder ein Schiff in Reichweite kommt, ist ihrem Gesang anzumerken. Empathisch und durchaus dynamisch ungezügelt ergibt sich im vorgegebenen atemberaubenden Tempo Rosenthals eine wilde Hatz. Was doch eigentlich eine müde Angelegenheit zu abendlicher Stunde hätte werden sollen wird zu einer erstaunlich temperamentvollen Darbietung. Ein sportliches Katz- und Maus-Spiel. Spannend und fast an einen musikalischen Krimi erinnernd. Mit Entspannung und laszivem Räkeln hat der Satz nun nicht mehr viel gemein. In dieser Produktion gefällt der letzte Satz besonders gut.
Wir hören einen hellen, klaren, gut aufgelichteten Monoklang (von einer SACD!). Erstaunlich dynamisch und recht farbig. Selbst durch das Bemühen der Prager Klangrestaurateure von Praga kommt der Klang der Einspielung jedoch nicht an den einer guten Stereo-Einspielung heran. Sehr schade.
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4
Emmanuel Krivine
Choeurs de Chambre „Accentus“
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Timpani
2009
7:28 6:26 10:29 24:20
Von Emanuel Krivine liegt auch noch eine Aufnahme von 1995 vor, die in Lyon für Denon produziert wurde. Sie unterscheidet sich von der neueren nur in kleineren Details.
Das Luxemburger Orchester hat gegenüber der Einspielung mit Louis de Froment deutlich an Feinschliff gewonnen. Klanglich ist es auf ein höheres Niveau geklettert. Nun kann es auch überzeugend leise spielen, woran man 1973 noch zweifeln konnte. Der Zug der Wolken wirkt nun gleichmäßiger und geschmeidiger. 1973 klang das Orchester jedoch plastischer und bewegter. Ein ganz anderes Wetter herrschte bei beiden Einspielungen. Klangfarblich gelingt Krivine hier ein Spiel in Grau-Tönen.
Mit dem natürlich pulsierenden Rhythmus machten die „Fêtes“ einen recht kultivierten Eindruck. Wenig temperamentvoll oder gar ungestüm bleibt das Spiel hier auf eine zurückhaltende Art beschwingt. Die Militärparade wirkt nicht mehr so furios wie bei Froment 1973. Den Violinen fehlt es an Glanz.
Die Sirenen sind bestens bei Stimme, sie machen einen sportlich-durchtrainierten, flinken und kräftigen Eindruck. Sie intonieren intonationssicher und sauber, klingen aber nicht ganz so verführerisch die der Arnold Schönberg Chor oder die Chöre bei Abbado. Das Orchester könnte hier etwas offener und transparenter klingen, vor allem in den Tutti-Passagen. Erneut fehlt es den Violinen an Glanz, was im ersten Satz noch gar nicht auffiel.
Der Klang in Luxemburg ist viel ausgewogener, feingeschliffener und plastischer als 1973. Da macht sich wahrscheinlich auch die gute Akustik der neuen Philharmonie klanglich bemerkbar. Das Orchester klingt nun weltstädtischer. Die Staffelung ist sehr gut aber 1973 aufgenommen klingt das Orchester erheblich dynamischer.
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4
Charles Dutoit
Choeur de Femmes de l´Orchestre Symphonique de Montréal
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1988
7:49 6:14 10:45 24:48
Die zarten Töne überwiegen im ersten Satz der Aufnahme Charles Dutoits. Die wenigen f-Passagen wirken zumeist unterspielt, was zu einer gewissen Nivellierung der Dynamik führt. Sonst wirkt das Spiel des Orchesters differenziert und recht farbig.
Der Nocturne-Charakter bleibt bei den „Fêtes“ besonders gewahrt. Die virtuose Festtagsfreude erklingt wie im pointilistischen Stil nur so dahingetupft, und das auch noch in pastellenen Farben. Lichtdurchflutet wirkt das Ambiente nicht. Ab Zf. 10, mit dem Marsch der Kapelle, wird es dann endlich einmal farbiger und dynamischer.
Die Sirenen machen zwar nichts falsch, machen aber einen etwas angestrengten, allzu routinierten Eindruck. Ihrer Lieblingsbeschäftigung scheinen sie nicht unbedingt nachzugehen. Auch das Orchester klingt durch die seltsam harten Violinen weniger sinnlich als erwartet. Der recht helle und kühle Klang gewährleistet indes die Transparenz des Tonsatzes in hohem Maß.
Der Klang der Einspielung wirkt perspektivisch und transparent. Bestwerte werden jedoch nicht erreicht. Der Gesamtklang macht einen leicht verhangenen Eindruck, als ob das Orchester hinter einem Schleier spielt. Da hätten wir etwas mehr Brillanz erwartet. Wir haben das Orchester schon viel praller und farbiger gehört (Schostakowitsch: 9. Sinfonie). In der Decca-Aufnahmegeschichte bleibt die Aufnahme hinter der Ansermet von 1957 deutlich zurück. Auch die Maazel und die Ashkenazy-Aufnahmen wären aus klanglicher Sicht vorzuziehen.
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4
Paavo Järvi
Women oft he May Festival Chorus
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
2004
7:20 6:20 10:45 24:25
Paavo Järvi versteckt die Klangfarben seines Orchesters so gut wie möglich. Das Musizieren wirkt im ersten Satz betont gleichförmig. Atmosphärisch gesellt sich zur Farbe grau auch noch das Gefühl von Windstelle und einer gewissen Kühle. Tristesse pur, wenn man so will.
Auch der zweite Satz hält kein funken- oder farbensprühendes Orchesterspiel für uns parat, die Virtuosität wirkt wie durch eine angezogene Handbremse gehemmt, von Euphorie merkt man im Spiel nicht viel. Eine gewisse Müdigkeit, die wir uns gerne für den dritten Satz aufgespart hätten, kann die Einspielung bereits im zweiten nicht ganz abschütteln. Es wird allerdings sauber und recht klangschön gespielt.
Der dritte Satz profitiert besonders von der enormen Raumtiefe der SACD. Die Sirenen klingen auch im p und pp klar und deutlich, auch über die große Entfernung hinweg, die die gute Raumtiefe suggeriert. Das Orchester spielt mit vielen Feinheiten. Der letzte ist der beste Satz der Einspielung. Insgesamt wirkt sie jedoch nur solide. Bei Paavo Järvi hatten wir die Orchester schon inspirierter eingestimmt gehört (z.B. Fauré: Requiem, Sibelius: Lemminkäinen und 3. Sinfonie).
Klanglich ist vor allem der 3. Satz eine Ohrenweide.
Klar, weich und räumlich, jedoch eher wenig dynamisch und ein wenig blass klingt die Musik aus Cincinnati. Als SACD gehört klingt es dynamischer und farbiger, brillanter und räumlicher. Die Violinen klingen aber trotz dieser technischen Unterstützung bzw. Beflügelung bei weitem nicht so voll und strahlend, wie dies bei den Bostonern und Berlinern (mit Abbado) oder den Wienern (mit Maazel), aber auch diversen anderen Orchestern zu hören ist.
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4
Louis de Froment
Vokalvereinigung „Psallette“ (aus Lothringen)
Orchestre Symphonique de RTL (heute Orchestre Philharmonique de Luxembourg)
Concerto royale, Vox
1973
8:04 6:18 10:22 24:44
Die Akkorde der Streicher zu Beginn ergeben keinen homogenen Gesamtklang, man hört die Töne einzeln.Ddas Englischhorn und die übrigen Holzbläser pflegen eine kernige Klangentfaltung (p wird nach mf verschoben) und espressivo wird mit f gleichgesetzt. Insgesamt ergibt sich eine weniger dezente (in der Natur ja lautlose) Wolkenformierung als eine aufdringliche. Sie wirkt allerdings sehr klar und (über)deutlich. Hier bleibt wirklich nichts im Schemenhaften.
Die „Fêtes“ führen uns auf ein burschikoses Fest auf dem Lande, weniger charmant, wenig p-Spiel, dafür aber das pralle Leben. Die Festtagsparade klingt besonders eindrucksvoll (echtes ff). Das Orchester spielt nun mit Verve und echtem Engagement. Die dynamischen Abstufungen könnten indes vielfältiger sein.
Die Sirenen bewältigen ihren Part ganz gut, klingen teils präsent, teils sehr hintergründig. Ihre Verführungskraft hält sich unsere Einschätzung nach in Grenzen, denn sie haben nichts „Übersinnliches“ an sich, wirken im Gegenteil zu sehr menschengemacht. Streicher und Holz klingen nicht immer völlig transparent. In der musikalischen Faktur geht manches Detail verloren. Dennoch wirkt der dritte Satz noch recht stimmungsvoll, wenn auch ein wenig die aufnahmetechnische Finesse fehlt. Dem zweiten Satz gebührt in dieser Einspielung die Krone.
An Kraft und Präsenz mangelt es indes nicht, wohl aber an Feinschliff. Durch die Körperhaftigkeit ergibt sich quasi ein „robustes“ Klangbild, das vielleicht für Bruckner oder Mahler besser geeignet gewesen wäre. Bestimmte Instrumente hören wir in Großaufnahme. Die Violinen klingen im ff nicht ganz frei.
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4
Alain Lombard
Choeurs de l´Opéra du Rhin
Orchestre Philharmonique de Strasbourg
Erato
1975
8:13 6:40 10:20 25:13
Die „Nuages“ klingen durchaus ruhevoll und atmosphärisch, instrumental gelingt der Satz gut, aber nicht außergewöhnlich klangvoll oder nuanciert.
Das Orchester macht in dieser Produktion einen gut vorbereiteten Eindruck, es spielt ohne die höchste Virtuosität oder die letzte Zuspitzung oder Brillanz. Beim Marsch bleibt das Klangbild auch im ff noch ansprechend transparent.
Die Hörner stellt Lombard besonders heraus. Dazu lässt er sie f spielen, auch wenn nur p notiert ist. Die Sirenen klingen recht gut ortbar, nicht weit entfernt, also wie gerade vom anderen Rheinufer, hinter dem Orchester. Sie machen dem Orchester den Rang nicht streitig und geben ihm den nötigen räumlichen Freiraum zur Entfaltung. Dem Orchester fehlt es in diesem Satz etwas an generöser Klangentfaltung und substanzieller Wärme.
Das leichte Rauschen verrät die Analog-Aufnahme. Sie klingt recht transparent und wartet mit einer soliden Staffelung des Orchesters auf. Sie könnte etwas weicher, voller und runder klingen. Die letzte Brillanz fehlt und sie macht einen nicht ganz freien Eindruck, die Violinen klingen nicht hart, aber etwas seifig (wir hoffen, man kann sich darunter das Gemeinte vorstellen).
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4
Emmanuel Krivine
Niederländischer Kammerchor
Orchestre National de Lyon
Denon
1995
7:50 6:36 11:09 25:35
Die erste Einspielung Krivines gleicht der zweiten, die 14 Jahre später in Luxemburg entstanden ist, deutlich. Auch sie klingt im ersten Satz weich, sehr leise und sehr dezent. Die Basslinie wird in Lyon allerdings ziemlich vergessen. Sonst wirkt sie gut ausgehört und sie versucht die Orchesterfarben möglichst nicht leuchten zu lassen, um die Variationen in Grau gut darstellen zu können. Das leise Spiel wird jedoch so konsequent und „weit“ getrieben, dass ein Teil der Faszination der Musik schon etwas verloren geht. So ging es zumindest uns. Das Spiel ist dabei recht nuanciert, man muss sich jedoch anstrengen, es überhaupt zu bemerken. Die beiden Orchester (Lyon und Luxemburg), denen Krivine zur jeweiligen Zeit als Chef verbunden war, spielen auf Augenhöhe.
Die „Fêtes“ klingen kontrastreich und anschaulich, aber immer noch sehr dezent, was dem zweiten Satz weniger gut ansteht als dem ersten. Die Folge ist eine gewisse Blässe. Die Parade erhält zwar die nötige Kraft, aber Glanz und Gloria wird ihr versagt. In aller Bescheidenheit wird ihr militärisches Auftrumpfen versagt. Hier spielen vielleicht die örtlichen Musikvereine der Festgemeinde, allerdings auf hohem professionellem Niveau.
Der Chor im dritten Satz wirkt in Lyon hintergründiger platziert als in Luxemburg. Das Diffuse gefällt aber auch sehr gut. Das etwas langsamere Tempo bringt die sommerliche Ermattung gut zum Ausdruck. Die Sirenen, gesanglich untadelig, scheinen sich bereits zum Schlafen bereitet zu haben. Die sehnsuchtsvollen Momente klingen in Boston, Berlin oder Wien erheblich, wie würde Wagner sagen, „sehrender“.
Der Klang der Aufnahme ist recht transparent und weich, ganz ähnlich wie auch in Luxemburg. Insgesamt klingt es nun etwas blasser, tonal nicht ganz frei, die Dynamik wirkt zurückhaltend aber nicht eingeebnet.
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4
Désiré-Émile Inghelbrecht
Choeur de Femmes de Radiodiffusion Francaise (RTF)
Orchestre National de RTF (heute: Orchestre National de France)
Erato- BnF
1958
6:14 6:50 9:50 22:54
MONO Hier hörten wir wieder eine digitalisierte LP aus den Beständen der Bibliothèque National de France. Der Dirgent kannte den Komponisten (wie Ernest Ansermet) noch persönlich. Das flotte, ohne Punkt und Komma durchgezogene flotte Tempo lässt wenig emotionales Engagement vermuten. Allerdings führt uns der Dirigent vor Augen wie bedrohlich die Wolken in diesem Satz aufeinandertreffen können, das wirkt aber seltsamer Weise wie als wenn kein Mensch dabei wäre, in dem es emotionale Wirkung haben könnte. Bei der „Alpensinfonie“ stünde dann die Überschrift: „Gefahrvolle Augenblicke, aber für wen?“. Der Detailreichtum der Lesart lässt ein wenig zu wünschen übrig. Ein modernes Remastering könnte sicher so manche Nuance aus ihrem Dornröschenschlaf erwecken, aber man muss zufrieden sein, mit dem was man hat. Das noch nicht ganz auf dem heutigen Niveau befindliche Orchester wird zu einem erstaunlich satten Klang angehalten.
Im zweiten Satz gibt es hingegen durchaus etwas Rubato. Das Holz agiert hier mit der damals üblichen herben Schärfe, teils auch ziemlich dünn im Klang. Der Zugriff wirkt unmittelbar musikantisch. Leider sind auch im zweiten Satz viele Details unhörbar. Der Spaß am Spiel leidet darunter jedoch kaum. Bei Zf. 10 gibt es einen drastischen Schnitt. Das Blech zeigt ein enormes Durchsetzungsvermögen und liefert sich mit der Militärtrommel ein Gefecht, wer lauter spielen kann. Bei Zf. 14 zieht Inghelbrecht ein paar Takte zu früh das Tempo an.
Auch im dritten Satz ist der Dirigent ein Freund flotter, unverzärtelter Tempogestaltung. Hier wirkt seine Lesart aber deutlich emotionaler als im ersten. Der Sirengesang dürfte heute kaum noch jedermanns Geschmack sein. Der Chorgesang hat sich seit 1958 erheblich weiterentwickelt, was auch schon die Vergleiche der Einspielungen von Faurés Requiem gezeigt haben.
Trotz des Monoklangs wirkt die Orchesterbreite erstaunlich weitreichend. Der Klang ist wenig auf die Mitte fixiert, wie das ansonsten bei Monoaufnahmen üblich ist. Der Bass wirkt bumsig. Der Gesamtklang ist wenig brillant, aber erstaunlich dynamisch. Es rauscht nur ganz dezent und wir hören nur ganz wenig Knackser. Die Überspielung wurde sehr hoch ausgesteuert.
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4
Daniel Barenboim
Choeur de l´Orchestre de Paris
Orchestre de Paris
DG
1978
8:30 6:58 9:57 25:25
Das unsaubere Einsetzen der Oboe beim 3. Takt lässt schon schlimmes erwarten. Aber so schlimm wird es dann gar nicht. Die Soli sind insgesamt gelungen, das Englischhorn sehr leise (pp ist auch gewünscht), das Tempo statisch. Der instrumentale Hintergrund bleibt jedoch allzu oft diffus, konturenarm und wenig differenziert. An Abbados plastische Wolkenbilder darf man kaum zurückdenken.
Die „Fêtes“ klingen etwas schwerfällig. Bei Zf. 10 (Beginn Umzug der Kapelle, Trompeten weit weg, aber ohne Soudine) sehr langsam und bedächtig. Kaum spritzig musiziert, erkennt man doch einen Hang zum effekthaschenden großartig-monumentalen. Dabei verdeckt das Blech den Rest des Orchesters und schmettert unbekümmert darauf los.
Bei „Sirènes“ klingt der Damenchor sehr deutlich. Bei Abbados Bostoner Einspielung klingen sie jedoch ungleich verführerischer. Die Soprane neigen bei Barenboim etwas zum Detonieren, was den Maestro offenbar wenig gestört hat. Der Chor dominiert über weite Strecken das Geschehen und lässt das ohnehin schon seltsam matt klingende Orchester weiter verblassen. Das Orchester selbst hat noch nicht die Klasse von heute.
Auch die Aufnahme gelingt zwar recht transparent, aber eher matt und blass als leuchtend. Die Dynamik wirkt im zweiten Satz knallig. Von einer ausgeprägten Tiefenstaffelung kann keine Rede sein. Alles wirkt gleich präsent, das Holz generell sehr deutlich. Aber der Gesamtklang wirkt flächig (nur zweidimensional) und wenig brillant. Gerade noch in die Gruppe vier gerutscht.
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3-4
3-4
Leopold Stokowski
BBC Chorus
London Symphony Orchestra
EMI
1957
8:30 6:07 10:07 24:44
Von Leopold Stokowski liegen uns zwei Einspielungen vor. Die erste Aufnahme von 1937 kann man als eine schwarz/weiß-Zeichnung des Stückes bezeichnen. Die Londoner Einspielung von 1957 klingt etwas farbiger. Stokowski ließ den Bodenstrich bei den Violinen oft individuell ausführen, was auch im ersten Satz wieder geschah, wie man an den bruchlosen, besonders schönen Legatobögen erkennen kann. Allerdings konnte diese Maßnahme nicht verhindern, dass der Klang wenig brillant erscheint. Auch die kompositorischen Übergänge wirken besonders geschmeidig. Stokowski experimentierte auch immer wieder mit der Orchesteraufstellung. Warum er allerdings dieses Mal (und nur im ersten Satz) sämtliche Holzbläser links platznehmen ließ, dazu auch noch Violinen, Celli und Bässe, entzieht sich unserer Kenntnis. Von rechts kommt nur das Englischhorn und die Hörner. Das Englischhorn und die Oboen sind darüber hinaus sehr weit vom sonstigen Klanggeschehen entfernt.
Im zweiten Satz nimmt das Orchester wieder auf die herkömmliche Weise Platz. Der Dirigent erlaubt sich, wie wir es von ihm kennen und erwartet haben wieder einige Phrasierungseigenwilligkeiten, die das Gesamtbild des Satzes zumindest nicht nachhaltig stören. Schwerwiegender ist da schon der Eingriff in den Notentext ab Zf. 13 wo er statt des vorgesehenen Triolenrhythmus eine grelle und damit sehr auffällige sich wiederholende Wellenbewegung durch die Flöten spielen lässt. Keine schlechte Idee, aber auch keine gute. Der Eingriff macht aber Effekt und wirkt Militärkapellenkonform schmissig. Stokowski sah sich immer auch als Arrangeur. Kreatives Vorgehen verdient eigentlich Respekt, heute sind solche „verschlimmbessernde“ Eingriffe im Allgemeinen jedoch verpönt, verstehen sich die Dirigenten doch eher als Nachlassverwalter, die den Willen des verblichenen Komponisten bestmöglich zu erfüllen suchen.
Der BBC-Chor stellt gegenüber der Einspielung von 1937 eine große stimmliche Verbesserung dar. Allerdings sind Sopran und Mezzo räumlich nicht voneinander zu unterscheiden. Wahrscheinlich standen sie hinter- und nicht nebeneinander. Und so hellhörig war die EMI-Technik noch nicht, dass sie das differenzieren hätte können. Seltsam auch, dass der Chor fast nur von links zu hören ist. Die Dynamik wirkt ziemlich partiturkonform.
Insgesamt klingt die Einspielung für Stokowski-Verhältnisse erstaunlich wenig klangsinnlich. Die Weiträumigkeit wird fast übertrieben, die Tiefenstaffelung ist für die Zeit gut. Sie wirkt ähnlich weiträumig wie die Bostoner Aufnahme Abbados aber diffuser. Das Rauschen ist sehr stark, was besonders im ersten und dritten Satz störend für empfindliche Ohren werden könnte. Der Wolkenflug im ersten Satz kommt wie auf Samtpfötchen daher, das Holz weit entfernt. Insgesamt steht die Einspielung auch technisch weit hinter der Ansermet-Aufnahme aus demselben Jahr zurück. Nun kann man den Decca-Geniestreich erst richtig würdigen. Weniger farbig, diffuser, blasser, rauscht viel mehr, klingt weniger ausgewogen und weniger plastisch, weniger dynamisch... Sieht nach einem Kantersieg für Decca aus.
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3-4
Eliahu Inbal
Women´s Chorus oft he Nederlands Radio
Concertgebouworchester Amsterdam
Philips
1969
6:41 5:46 9:56 22:23
Eliahu Inbal, damals noch ein junger, aufstrebender Dirigent, übernimmt das Tempo von Eduard van Beinum, dessen Aufnahme exakt zehn Jahre zuvor an gleicher Stelle entstanden ist. Der Gestus ist jedoch erheblich bewegter um nicht zu schreiben unruhiger. Das Orchester klingt wie kleiner besetzt und spielt aber durchweg viel lauter. Das Holz klingt noch sehr hell, die Streicher und das Blech noch viel härter als heute. Die verführerische und reichhaltige Farbpalette entwickelte sich in Amsterdam erst seit den späten siebziger und frühen achtziger Jahren. Auch wirkt die Musik weniger differenziert im Detail und wenig mysteriös, ohne dabei aber mit gleicher Klarheit zu klingen wie bei van Beinum.
Im zweiten Satz bringt Inbal erneut das Tempo van Beinums. Er wirkt dabei allerdings gehetzter, aber immer noch jubelnd im Charakter und mit einiger dynamischer Kraftentfaltung.
Die Sirenen des Niederländischen Radiochores erweisen sich als erheblich stimmstärker als der Chor bei van Beinum. Zurückhaltender, zugleich aber auch sinnlicher und verführerischer. Der Abstand zum New England Conservatory Chorus bei Abbado oder dem Schönberg-Chor bei Maazel ist immer noch unüberhörbar. Wie in mehreren Aufnahmen zu beobachten nimmt die Transparenz (anscheinend bedingt durch die Hinzuziehung des Chores) im Orchester tendenziell ab. So auch hier. Die Streicher klingen verengt und es fehlt dem Orchester gegenüber dem ersten und zweiten Satz an Volumen.
Überraschender Weise rauscht die Aufnahme stärker als die zehn Jahre ältere von van Beinum, die wir sogar nur als LP-Rip gehört haben. Sie klingt dafür etwas transparenter und präsenter. Da sie immer noch recht hart, eng und wenig sinnlich klingt, ist der klangtechnische Gewinn gegenüber der Vorgänger-Aufnahme von 1959 vernachlässigbar, vielmehr eher ein Rückschritt. Runder, farbenprächtiger, vollmundiger und sinnlich ansprechender klingt es aus Amsterdam erst mit dem 79er Jahrgang und Bernard Haitink.
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3-4
Jean Martinon
Choeurs de l´ORTF
Orchestre National de l´ORTF (heute: Orchestre National de France)
EMI
1973
7:34 6:38 8:12 22:24
Das Orchester, mit dem Jean Martinon das Gesamtwerk für Orchester von Claude Debussy eingespielt hat, macht zunächst einen wenig kultivierten, unvorbereiteten Eindruck. Das legt sich jedoch und man findet dann doch recht schnell zusammen. Das Musizieren lässt jedoch die gebotene Ruhe vermissen, denn Martinon versucht Gefühle und Leidenschaft in das Wolkengeschiebe reinzulegen, was zu einem lebendigeren Duktus als gewöhnlich führt. Einem wohlwollenderen Mitfiebern stehen leider die sehr hart und hellklingenden Holzbläser entgegen, deren Pendants sogar in der Straßburger Provinz zwei Jahre später zu erheblich runderem und weicherem Spiel in der Lage sind.
Der zweite Satz erklingt in einem temperamentvollen Gestus, das Orchester spielt jedoch dabei nicht mit der gebotenen Leichtigkeit und wirkt etwas bemüht und auch nicht ganz präzise. Die Trompeten bei Zf. 10 klingen von ganz weit weg. Sie kommen von rechts heran, die Holzbläser antworten von links. Nun wollte man sicher die neuen Errungenschaften der Quadro-Technik im rechten Licht präsentieren, denn damals sind von EMI entsprechende LPs der Einspielung am Markt lanciert worden. Leider nicht mit dem gewünschten Erfolg, denn zumindest von der (Stereo-) CD gehört gibt es beim f und später beim ff ein großes klangliches Durcheinander. Zudem wirkt der Klang an dieser Passage auch noch besonders grobschlächtig.
Der dritte Satz lässt nicht zuletzt durch sein sehr zügiges Tempo bedingt die Sirenen sehr sportlich wirken. Sie klingen präsent und sind sehr gut bei Stimme, sind in der Lage sich auf eine Verfolgungsjagd mit dem Schiff und der verzweifelten Besatzung einzulassen. Später klingen sie ermattet und deutlich diffuser. Im ff macht die Technik einen ziemlich überforderten Eindruck, die Violinen klingen dann belegt. Das flüssige Element Wasser wird bei Martinon spritzig musikalisch herausmodelliert. Uns kam der Gedanke, dass er noch besser zum letzten Satz von „La mer“ gepasst hätte. Martinon wäre bei seiner Einspielung eine hellhörigere Technik und ein besseres Orchester zu wünschen gewesen.
Der recht hallige Klang klingt als wäre das Orchester in einer sehr großen unbedämpften Halle aufgenommen worden. Die Dynamik wirkt vergröbert, das Klangbild bisweilen wie aufgebläht. Ähnliches begegnete uns schon mehrfach bei Original-Quadro-Aufnahmen des Labels aus jener Zeit.
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3-4
Ernest Ansermet
Ein ungenannter Frauenchor
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1951
7:18 6:21 9:03 22:42
MONO Ernest Ansermets erste Einspielung des Werkes bringt bereits einiges mit, was die nur sechs Jahre später entstandene Stereo-Einspielung so auszeichnet. So wirkt der Klang bereits überraschend luzide und klar. Dem Klang ist nichts verhangenes eigen. Auch jedwede Hinwendung zum Romantisieren der Musik liegt Ansermet fern. Dazu dienen insbesondere das zügige Tempo, das distanziert wirkende Orchesterspiel und der wenig volle, unsinnliche Klang. Die Präzison des Orchesterspiels ist hingegen untadelig. Dass man die Harfe im ersten Satz so überdeutlich herausgestellt hat, wirkt fehl am Platz. Offensichtlich hat man sie direkt vor das Mono-Mikrophon gesetzt, denn ihr pp kommt einem f gleich. Solche Missgeschicke konnten in der späteren Einspielung vermieden werden.
Im zweiten Satz sticht die Oboe mit ihrem bekannt dünnen Klang unangenehm heraus, ansonsten gibt sich das Orchester, überraschend voll und dynamisch klingend, keine Blöße.
Auch in seiner ersten Aufnahme erlaubt sich Ansermet Eigenwilligkeiten gegenüber der offiziellen Endfassung der Partitur, auch hier spielt die Oboe die Phrase, die zunächst der Klarinette und dann der Flöte anvertraut wird, bevor sie selbst an der reihe ist insgesamt sechs Mal. Das klingt in den anderen Einspielungen einfach farbiger. Die Violinen klingen in der hohen Lage schrill. Der Gesang der Sirenen ist bereits gut in den Gesamtklang integriert. Der auch 1951 ungenannte Chor verströmt aber keine Magie und ist mit wenig Verführungskunst ausgestattet. Bisweilen klingt er auch einfach zu dünn. Das Orchester wird zu rhythmisch exaktem Spiel angehalten. Man hört ganz genau, bei welcher Gelegenheit Ravel die Idee für den vokalisierenden Frauenchor im Ballett „Daphnis et Cloé“ gekommen sein muss. Die Faktur der Komposition wird in dieser Einspielung überdeutlich, weil der klanglich skelettiert wirkende Klang (dünn und ziemlich eng) nicht von ihr abzulenken vermag.
Trotz des bassarmen, dünnen Monoklangs wirkt das Stück transparent und sogar luftig. Die Violinen klingen extrem silbrig-hell. Die Empfehlung geht an die in allen Belangen bessere Stereo-Einspielung Ansermets von 1957.
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3-4
Vaktang Kakhidze
Festival Chor Tiflis
Sinfonieorchester Tiflis
HDC, Centurion Classics, Best Direct
Nicht ermittelbar
7:38 6:22 12:10 26:20
Extrem laut beginnt der erste Satz. Bei diesen Wolkenbergen bekommt man es fast mit der Angst zu tun. Besonders die Streicher spielen zu Beginn undifferenziert. Das Englischhorn und das übrige Holz spielen in weiter Ferne. Das bessert sich im weiteren Verlauf etwas. Die Flöte spielt zwischenzeitlich monströs vergrößert.
Der zweite Satz klingt viel besser. Zumeist luftig verunklart er sich jedoch bei dichterem Stimmengewebe. Viel Hall bringt diese Einbußen an Transparenz mit sich, noch nicht einmal unpräzises Spiel. Das Orchester bringt viel Rhythmusgefühl ein, die Militärkapelle klingt kaum einmal so schmissig. Die Klangentfaltung kann sich hören lassen. Sie geht so weit bis sich der Begrenzer meldet. Der Einschlafprozess am Ende des Satzes wird schön herausgearbeitet, aber leider wieder unter der akustischen Lupe, nämlich viel zu laut.
Die Sirenen klingen sehr nah und man stellt sie sich als pralle Erscheinungen vor. Klingt der Mezzo auch wieder etwas herb, räkelt sich der Sopran doch stimmlich sanft, schläfrig und mit süßem Ton in der Abendsonne. Vortragszeichen werden hingegen weniger gewürdigt. Die Sängerinnen überstrahlen das Orchester mühelos. Anscheinend hatten sie in der Technik eine gute Lobbyvertretung. Obwohl sie nur vokalisieren, klingen die Sirenen exotischer als üblich. Hier wird zwar mit Herz und Seele musiziert, aber insgesamt für diese feingliedrige Musik zu wenig nuanciert, dazu kommt auch noch eine sozusagen antiimpressionistische Expressivität und eine seltsam wechselhafte Aufnahmetechnik.
Die Crux der Einspielung ist ihr unausgewogener Klang, der sich mitunter auf Einzelereignisse stürzt (dann ist er sehr präsent), oder aber in der Fernwirkung verliert. Die Perspektive erscheint also wechselnd, als ob man als Hörer:in während der Darbietung teilweise im Orchester, teilweise hinten im Konzertsaal flanieren würde. Teilweise klingt es hart, teilweise aufdringlich, teilweise klingt es nebulös, teilweise grell. Will man keinen Gehörschaden davontragen, sollte man den Pegelsteller vorsorglich nach unten stellen, denn auch die Dynamik erscheint unausgewogen.
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3-4
Alexander Rahbari
BRT Chor
BRT Philharmonic Orchestra, Brussels (heute: Brussels Philharmonic)
Naxos
1989
7:29 6:55 12:34 26:58
Die Einspielung aus Brüssel verbreitet wenig Klangzauber. Es wird im ersten Satz immer an den Noten entlang musiziert, das aber ziemlich exakt. Der erste Satz ist sehr transparent komponiert worden und eigentlich für die Technik unkritisch, weil es zu keinen instrumentalen Ballungen und keinen dynamischen Exzessen kommt. Dennoch wünschte man sich schon hier ein transparenteres Klangbild.
Der zweite Satz erklingt zu hallig und auch etwas distanziert. Das Orchester wird im ff verschwommen und das Klangbild scheint räumlich enger zu werden. Das Musizieren wirkt recht beschwingt, aber unstet und wenig spannend oder gar aufregend, Das Schlagwerk klingt blechern.
Die Sirenen im dritten Satz legen bereits im f los, obwohl Debussy ein p gefordert und sich nicht nur gewünscht hatte. An ihrem Auftritt ist nur wenig Geheimnisvolles zu entdecken. Immerhin sind sie räumlich sehr gut getrennt zu hören (Sopran links, Mezzo rechts). Entsprechend klar und den Gesamtklang dominierend sind sie auch zunächst zu hören. Das Orchester klingt weniger profiliert und weniger transparent.
Generell ist der Klang der Aufnahme zu hallig, was ein diffus klingendes Orchester zur Folge hat, im ff sogar ein verschwommenes. Im p klingt es viel besser. Die Klangfarben wirken kühl. Die einzelnen Schallquellen fließen mehr ineinander als in anderen Einspielungen, als ob man sich ein Aquarell als Vorbild gewählt hätte. Die digitale Härte hatte man 1989 bei Naxos noch nicht ganz hinter sich gelassen. Bisweilen klingt es sogar etwas verfärbt und dünn, dynamisch im ff gepresst und insgesamt, wie bereits erwähnt, wenig sinnlich.
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3-4
Leopold Stokowski
ein nicht näher benannter „Womens Chorus“
Philadelphia Orchestra
RCA, nun History
1939 („Nuages“ bereits 1937)
8:40 5:41 11:24 24:45
MONO Außer den beiden in unserem Vergleich vorgestellten Einspielungen hat Stokowski in den frühen 50er Jahren noch seine mittlere vorgelegt mit einem als „His Symphony Orchestra“ bezeichneten Klangkörper, eigespielt ebenfalls für RCA.
Die Oboen und das Englischhorn lässt er hier hart wie Trompeten aus dem Gesamtklang herausplatzen, wobei das auch ein Effekt der antiquierten Tontechnik sein könnte. Zu Beginn wird jedem Akkord spürbar nachgehört, die Bässe werden herausgestellt. Stokowski wäre nicht Stokowski, wenn er nicht auch ein paar mehr oder weniger geschmackvolle kleine Glissandi der Violinen eingebaut hätte. Das Musizieren wirkt auch im Vergleich zur dritten Einspielung von 1957 geradezu „rubatoselig“. Teilweise buchstabiert er die Musik wie Schüler das ABC in der ersten Klasse, dann läuft der Puls der Musik wieder in den üblichen Bahnen ab. Seine Musizierhaltung, teils noch aus dem vorletzten Jahrhundert überliefert, wirkt manches Mal erfrischend und aus heutiger Sicht fast schon wieder neuartig, bei einigen Werken wirkt sie jedoch fehl am Platz. Die „Nuages“ hörten wir ganz ohne den spezifischen Debussy-Duft und klanglich zu schwer.
Ein anders Bild offenbart sich in den beiden zwei Jahre später aufgenommenen Sätzen zwei und drei. Die „Fêtes“, nun im Tempo sehr flott, klingen scharf und die Trompeten und Posaunen erklingen wie Direktimporte aus Jericho. Das Orchester hat 1939 keinerlei Probleme mit der Partitur, im Gegenteil, es zeigt, dass es zu den allerbesten seiner Zeit gehört haben muss, denn es klingt virtuos wie selten einmal, auch aus heutiger Sicht. Der Seitenwechsel der überspielten Schellackplatten hinterlässt einen kurzen, aber spürbaren Bruch in der Musikwiedergabe. Die Farbigkeit und Grandezza dieser Darbietung lässt sich sehr wohl noch erahnen, aber leider nicht nacherleben. Ein transparentes und nuanciertes Klangbild darf man nicht erwarten.
Die Sirenen sind ohne Zweifel die Hauptsache in der Wiedergabe des dritten Satzes. Damals war der Chorgesang des ungenannten Chores sicher „State of the Art“. Heute klingt er nach Hollywood². Einfach schauerlich. Odysseus Fahrt an der Insel oder den Inseln der Sirenen vorbei gleicht einer Fahrt durch den Hades. Ein Musik-Dokument aus einer vergangenen Zeit, eigentlich immer noch sehr interessant, wenn der letzte Satz nicht wäre, der das Ganze ganz weit nach unten zieht.
Diese Einspielung wurde von Schellack-Platten auf CD überspielt. Dafür klingt sie erstaunlich präsent, teils sehr laut, scharf und unausgewogen, auch mulmig, mit stark eigeschränkter Transparenz und Dynamik. Trotzdem muss man die Restaurierung als gelungen bezeichnen, denn man hält bis zum Ende durch. Rauschen und Knacksen sind unterschiedlich laut.
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Aufnahmen, die trotz Amputation der „Sirènes“ das Licht der Welt erblickt haben:
5
5
Pierre Monteux
London Symphony Orchestra
Decca
1961
6:47 5:51 12:38
Es ist nicht so, dass Pierre Monteux den letzten Satz nicht hätte leiden können, denn es existiert zumindest ein Mitschnitt einer Live-Übertragung von 1955 aus Boston, in der ein Chor beteiligt war. Und zwar die „Women of the Berkshire Festival Chorus“. Leider lag sie uns nicht zum Vergleich vor. Die Gründe für das Weglassen der „Sirènes“ ist uns nicht bekannt. Vielleicht war einfach die LP bereits voll? Oder der gecastete Chor zu teuer oder zu schlecht? Es ist müßig. Und bedauerlich, denn es hätte eine Referenzeinspielung werden können (siehe „Daphnis et Chloé“).
Diese Decca von 1961 war die erste, die Pierre Monteux als neuer Chefdirigent des LSO machte. Kurz zuvor hat er sich im jugendlichen Alter von 86 Jahren noch einen Vertrag von 25 Jahren Laufzeit erbeten und erhalten. (Man schreibt es immer wieder gern, je älter man selbst wird, desto lieber.)
Die Klangfarben dieser uns nur auf LP vorliegenden Einspielung sind herrlich. Der Gestus ist im ersten Satz besonders sanft und weich. Völlig unforciert lässt Monteux die Musik wie aus sich selbst heraus entstehen. Dabei wirkt sie spannend aber völlig unaufdringlich (was man Bernsteins etwas weiter unten gelisteten Einspielung nicht nachsagen kann) in völliger Gelassenheit.
Auch die „Fêtes“ wirken viel entspannter als bei Bernstein. Dabei ist das LSO mit größter Spielfreude am Werk und aus der Musik spricht so etwas wie die Festtagsfreude selbst. Die Trompeten kommen aus weiter Ferne ganz sachte näher, während das Holz bereits ab Zf. 11 voll, unbekümmert und viel lauter losjubiliert. Die Hörner und das übrige Blech sind bei ihrem Höhepunkt völlig unkomprimiert. Völlig losgelöst gelingt ein glänzendes und geradezu jubelndes Spiel des ganzen Orchesters, ohne jede Härte. Das Orchester gibt anscheinend sein Bestes, ohne Zwang, vielleicht auch sogar ohne Aufforderung. So hört es sich jedenfalls an…Mitreißend. Sehr eloquentes Holz.
Der fein gewobene Klang lässt das Orchester tief gestaffelt und sehr transparent hören. Die Streicher klingen präsent und betörend weich. Die Aufnahme wirkt konturenscharf, bei deutlich zurückgesetztem Holz und erheblich voluminöser als Ansermets Einspielung vier Jahre zuvor. Der Bass verdient eine Erwähnung, denn man wird seiner bewusst, was nur bei wenigen Einspielungen der Fall ist. Die Dynamik überzeugt. Uns lag eine Pressung von Speakers Corner vor. Eine Original-LP dürfte nochmals konturenschärfer und noch lebendiger klingen.
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5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1962
7:21 6:37 13:58
Ähnlich wie bei Pierre Monteux gibt es auch beim zweiten großen Exponenten der dirigierenden Zunft, den man immer wieder ein besonderes Gespür für den musikalischen Impressionismus nachsagt zwei Einspielungen, in der das komplette Triptychon erhalten ist. Sie entstanden beide im gleichen Jahr wie die Bostoner Einspielung, 1962 in Paris mit dem Orchestre National de l´ORTF, eingespielt für Concert Hall und auch bei Accord erhältlich und als Radiomitschnitt mit dem BSO, heute bei Music and Arts vertrieben. Beide müssen ebenfalls in unserem Vergleich fehlen. In der „Living Stereo“ Studioproduktion hören wir zu Beginn herrlich gespannte Streicherklänge und ein etwas zu hart klingendes, mit reichlich Vibrato geblasenes Englischhorn, das aber nicht zu weit im Vordergrund platziert wurde. Die Artikulation ist wie bei Charles Much kaum anders zu erwarten, expressiv. Wenig statisch steht hier die Entwicklung der Musik eher im Vordergrund. Das wirkt sehr den Zusammenhang fördernd. Das Orchester spielt auf den Punkt, vital und gar nicht grau in grau, sondern sehr farbig und atmend, als wäre das Wolkenbild ein lebendiger Organismus.
„Trés rhythmé“ heißt die Spielanweisung für den zweiten Satz und die wird voll uns ganz eingelöst. Munch weiß, wie man ein Orchester befeuert und feiern lässt. Knackige Trompeten, deftige Hörner, prickelnde Staccati und leidenschaftliches Musizieren finden hier zusammen. Die wirklich einmal sordinierten Trompeten spielen zu Beginn des Festzuges sehr leise, die Triolen wirken sehr sauber. Die Steigerung ist enorm. Dieser Festzug hat es wirklich „in sich“. Der Höhepunkt gelingt unverschliffen und transparent, ab Zf. 13 mit hervorragendem Blech, besonders knackig und frisch. Auch die Harfe wird sehr schön eingefangen.
Das Living Stereo“-typische Klangbild besticht durch hautnahe Präsenz (wie das Pendant bei Mercury mit Paul Paray). Es ist enorm plastisch, offen und sehr transparent. Man hat eine ideale Balance von klarer Linie und weicher Fülle gefunden. Wir kommen in den Genuss eines tollen Stereopanoramas und einer ungestümen Dynamik. Das Ganze wirkt ungemein lebendig und knackig.
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4-5
4-5
Yuri Temirkanov
Staatliches Akademisches Sinfonieorchester der UdSSR
Brilliant
1980, Live
7:01 6:12 13:13
Die Komposition wird auch in Moskau sehr deutlich und mit viel Nachdruck gelesen und musiziert. Jede Spielanweisung wird fast schon überdeutlich kenntlich gemacht. Temirkanov lässt tief in die einzelnen Akkorde hineinhören. Die Flöte bläst mit sehr viel Vibrato, sodass auch das Duo mit der Harfe überdeutlich von der Flöte dominiert wird. Ganz synchron ist das Holz auch nicht immer, auch artikulatorisch nicht ganz perfekt. Der Live-Charakter dominiert und lässt das ungeschnittene Konzert sehr lebendig werden. Im Ganzen wirkt die Wiedergabe nicht perfekt aber sehr expressiv und lebendig.
Bei den „Fêtes“ wirkt das Tempo sehr animiert und anspringend. Wir nehmen teil an einem überschwänglichen „Festtagsgewoge“. Vielleicht mit etwas zu viel „Biss“ im Gestus. Die Trompeten klingen im pp zu laut, die Mühe mit der Aufstellung hinter der Bühne konnte man sich Live nicht leisten. Aber auch die Sordine scheint man nicht eingesteckt zu haben. Im Verlauf entfachen die Militärtrommel und das vereinte Blech einen sagenhaften Druck, den die Technik nur schwer einfangen kann. Das technische Equipment nähert sich der Übersteuerung oder quält den Begrenzer, falls sowas überhaupt an Bord war. Der Satz wirkt hochvirtuos aber auch nicht ganz schlackenlos. Wichtiger ist aber die ansteckende Spielfreude.
Die Aufnahme lässt die Hörer unmittelbar am Konzert dabei sein. Man kommt sozusagen hautnah an das Orchester heran. Allerdings wirken auch die typischen Störgeräusche des Publikums ungemein plastisch. Dass sie gleichwertig neben der Musik stehen, wirkt etwas befremdlich. Anscheinend hatten die verwendeten Mikrophone eine nur wenig gerichtete Ausrichtung. Der Aufnahmeraum wird sehr schön breit ausgeleuchtet, geht aber wenig in die Tiefe.
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4
4
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1960
8:10 5:47 13:57
Das kernig klingende und relativ breit artikulierende Englischhorn tönt für das vorgeschriebene p zu laut. Die Streicher dafür umso angemessener und schöner. Ihre Artikulation wirkt sinnfällig. Sie machen die Wellenbewegungen plastisch. Auffallend im weiteren Verlauf ist, dass die einzelnen Stimmen alle die gleiche Wichtigkeit erhalten. Das wirkt zwar atmosphärisch dichter und aufregender als üblich, aber auch sehr unruhig. Wie getrieben und mit viel Espressivo aufgeladen kommen einem die Wolken näher als es unter Umständen lieb ist. Im späteren Verlauf beruhigt sich die Aufregung wieder etwas.
Im zweiten Satz wirkt das Tempo sehr animiert, das orchestrale Niveau sehr gut. Der Verlauf wirkt zwar zugespitzt, sogar ekstatisch, aber einen Festzug von Hochleistungsportlern dürfte sich Debussy kaum in seinen „Fêtes“ vorgestellt haben. Die starke Akzentuierung fördert zudem noch, dass der freudige Unterton durch einen allzu zugespitzten ersetzt wird. Das tänzerische Element scheint uns (paradoxerweise) darunter zu leiden. Der leichte und lockere Gestus eines Pierre Monteux ist jedenfalls meilenweit entfernt. Des Guten vielleicht zu viel wollend, vergisst Bernstein dieses Mal den spezifischen Charme der Musik.
Das Klangbild ist offen, transparent, gut gestaffelt, plastisch, sehr präsent und sehr dynamisch. Was für ein klanglicher Unterschied zu Mrawinskys Einspielung aus demselben Jahr.
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3-4
3-4
Victor de Sabata
Orchestra Stabile Accademia di Santa Cecilia, Rom
EMI-Testament
1948
7:44 5:48 13:32
MONO Zu Beginn der Einspielung klemmt es noch ein wenig bei Klarinette, Oboe und Englischhorn und es klingt unsauber. Im Verlauf klingt das Englischhorn dann sehr, sehr leise, der kompositorischen Bedeutung kaum gerecht werdend. Die Streicher stehlen ihm sozusagen die Show. Gegenüber dem ebenfalls gehörten Landsmann Arturo Toscanini wirkt die Lesart de Sabatas geradezu hochromantisch. Er hört viel mehr der Musik nach, gibt ihr mehr Zeit zu wirken. Das Orchester versucht mehr oder weniger erfolgreich dynamisch zu differenzieren, aber vor allem das Holz platzt mitunter ungehobelt hinein. Generell wirkt das Spiel aber viel subtiler ausgeformt als bei Toscanini.
Das Tempo der „Fêtes“ ist zwar dem Toscaninis ähnlich, wirkt aber lange nicht so hektisch, insgesamt freudvoller und tänzerischer als bei de Sabatas Landmann. Die Trompeten scheinen ohne Sordine hinter der Bühne mit ihrem Einmarsch zu beginnen. Beim Tutti reduziert sich der Gesamtklang auf das Blech und das Schlagzeug. Streicher und Holz sind akustisch verschwunden.
Der Klang rauscht stark, wirkt wenig transparent und noch weniger plastisch, wirkt aber erstaunlich frisch. Die Einspielung Toscaninis hat klanglich deutlich die Nase vorn. Ständig sind die Abspielgeräusche der alten Platten zu hören. Die sinnliche Komponente der Musik fehlt weitgehend.
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3-4
Jewgenij Mrawinsky
Leningrad Philharmonic Orchestra
Praga
1960, Live
8:09 6:18 14:27
MONO Die „Nuages“ werden wie unter einen großen Bogen gezwungen. Den „Nuancen in Grau“ nähert man sich in St. Petersburg weitmöglich an, was jedoch mehr mit der Klangtechnik als mit dem Orchester zu tun haben dürfte. Die Hörner überraschen mit teils massiven Einwürfen, hätten sich allerdings Debussys Wünschen zu beugen und p zu spielen. Das Englischhorn überzeugt dieses Mal mit schönem Legato und einem recht vollen Ton. Die Flöte allerdings wirkt wie herangezoomt, das p wie aufgeblasen.
Die „Fêtes“ wirken ernst gar gestreng, bei gleichzeitiger rhythmisch scharfer und dynamisch zugespitzter Artikulation. Es wird sehr virtuos und nahezu makellos gespielt, die Trompeten sind sogar einmal richtig „gestopft“ (sordieriert). Der Höhepunkt des Satzes wird leider zu einem klanglichen Desaster, da total übersteuert.
Klanglich wirkt der Mono-Mitschnitt ein wenig gepresst, relativ klar und noch transparent. Das starke Rauschen spricht für ein älteres Aufnahmedatum als das angegebene. Die Dynamik ist gering, da das Laute übersteuert. Dann klingt es im ff sehr dicht und mündet im Tohuwabohu. Die CD hört sich an wie von einer LP überspielt, was man sich bei Praga aber nicht vorstellen könnte.
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3
3
Arturo Toscanini
NBC Symphony Orchestra
RCA
1952 (Nuages)
1948
(Fêtes)
5:28 5:30 10:59
Sehr, sehr zügiges Tempo, die Farbvaleurs spielen darin überhaupt keine Rolle, es wird keinem Akkord auch nur ansatzweise nachgehört, es gibt auch kein verweilen. Das Englischhorn stört durch das meckernde Vibrato immer wieder den Ablauf. Die Holzbläser dominieren das Klangbild und können nicht p oder gar pp spielen (oder wollen oder dürfen es nicht). Ähnlich wie bei Paul Paray klingt auch die Einspielung Toscaninis völlig unromantisch im Gestus. War dieser noch kühl in der Musizierhaltung dieses Satzes, so wirkt es nun sogar kalt. Man spürt keine Hinwendung zum speziellen Charakter der Musik Debussys. Am ehesten denkt man noch an ein Rennen, das die Wolken da unter sich ausmachen. Aber es ist ihnen egal, wer gewinnt.
Die „Fêtes“ wirken ebenfalls schnell genommen, gar hektisch, getrieben, gehetzt. Wie Jagdszenen bei Mondschein. Der rasante Festzug setzt zum abendlichen Sprint an. Orchestral für die damaligen Verhältnisse jedoch brillant in Szene gesetzt. Es gibt immerhin einen Geschwindigkeitsrekord. Wenn man nicht wüsste, dass Toscanini am Dirigentenpult stünde, man würde darüber grübeln wieso ein so unmusikalischer Dirigent Schallplatten aufnehmen durfte. Zum Glück gibt es in seiner Diskographie genug Gegenbeispiele. Es scheint aber, als hätte er zur Musik Debussys keine rechte Beziehung gefunden.
Das Orchester und dabei insbesondere die Streicher klingen dünn und drahtig. Das Klangbild ist transparent und für einen Live-Mitschnitt der Zeit sehr sauber, wirkt aber sehr trocken. Bei den „Nuages“ sind ständig Huster zu hören. Zum Glück wirken sie stark gedimmt. Auch heute ist die Aufnahme zumindest aus klanglicher Sicht noch anhörbar.
22.1.2022