Anton Bruckner

Te Deum

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Werkhintergrund:

 

Am Jüngsten Gericht, vor Gottes Angesicht, glaubte Anton Bruckner durch den Verweis auf sein „Te Deum“ in den Himmel aufgenommen zu werden, „durchrutschen“ zu können, wie er sich mit oberösterreichischem Charme ausdrückte. Bruckner, der als Kirchenmusiker begann und bereits als Mittzwanziger ein Requiem schrieb, scheint sich über den Rang seines letzten großen geistlichen Chorwerkes im Klaren gewesen zu sein (es folgte neben eher Unwesentlichem nur noch der Psalm 150). Für den künstlerisch gereiften Komponisten lag die letzte und gewichtigste unter seinen Vertonungen der Messliturgie lange zurück (die große f-Moll-Messe datiert von 1868), als er sich im Frühjahr 1881 primär auf Anregung des Geigers und Kapellmeisters Joseph Hellmesberger d.Ä. zum ersten Entwurf des „Te Deum“ veranlasst sah. Bruckner durfte sich außerdem von einer Woge des Wohlwollens getragen sehen, von Seiten der Fachleute wie des Publikums, denn die Aufführung einer revidierten Fassung der vierten Sinfonie (der „Romantischen“) hatte gerade beträchtlichen Erfolg gehabt. Und Existenzsorgen brauchte sich der Herr Hochschulprofessor ohnehin seit drei Jahren nicht mehr zu machen.

Es handelt sich um eine der wenigen seiner Vokalkompositionen, die er ohne Auftrag und ohne eine konkrete Aussicht auf eine Aufführung schrieb. Bruckner hat sie, seinen Freunden und Schülern zufolge, rein aus Dankbarkeit gegen Gott komponiert und wahrscheinlich auch deshalb, weil er seine hohen musikästhetischen Anschauungen bezüglich der Vertonung dieses Textes noch nicht verwirklicht sah. So meinte er nach einer Aufführung des Te Deums von Héctor Berlioz: „Und kirchli‘ is do nöt!“

Zur Entstehungsgeschichte des Werkes gibt es eine vergnügliche Anekdote, die Bruckners natürliches, etwas naives Wesen gut verdeutlicht: So manche seiner Eingebungen empfing Bruckner im Schlafe. Er erhob sich dann mitten in der Nacht, um geträumte musikalische Gedanken sofort aufzuzeichnen oder gleich am Klavier auszuarbeiten. Der Pfarrer von Steyr, sein ehrlicher Bewunderer und Gönner, schlug deswegen mehrmals Krach, denn Bruckner brachte durch sein nächtliches Klavierspiel die Leute um die wohlverdiente Nachtruhe. Die Formen solcher Schöpfungsträume waren mannigfach. Einmal träumte ihm, der ehemalige Linzer Kapellmeister Dorn spiele auf dem Klavier ein (später nicht verwertetes) Thema vor. Das erste Thema der VII. Symphonie geigte ihm ein Bratschist im Traume. Und eine köstliche Geschichte knüpfte sich an die Entstehung des „Te Deum“. Bei einer Probe für die im Jahre 1885 in Wien vorbereitete Aufführung stieg der Dirigent Hans Richter mit Tränen der Begeisterung in den Augen vom Pult, umarmte Bruckner und rief aus: „Das hätte außer Ihnen nur noch Beethoven schreiben können!“ Darauf erwiderte Bruckner treuherzig: „Und sehn S‘, Herr Hofkapellmeister, grad das is eigentli gar net von mir!“ Auf Richters fragendes Erstaunen fuhr Bruckner eifrig fort: „Ja, das is net von mir, sondern vom [Komponisten Louis] Spohr! Und wissen S‘, wie das kemma is? Das war aso! I lieg in der Nacht im Bett und träum, der Spohr kommt herein und sagt zu mir: ‚Bruckner, steh auf und schreib’s auf!‘ Da bin i aufgwacht und hab’s wirkli aufgschriebn. Jetzt sagen S‘, is des von mir oder vom Spohr?“ (Mag. Michael Johann Aschauer in „Capella Ars Musica“)

Die erste „Scitze“ des Singstimmen-Gerüsts datiert vom 3. Mai 1881, bis zum 17. des Monats feilte er daran. Doch darauf ließ er das unvollendete Werk, dessen Themen nach anderen Quellen (Volkmar Fischer in FonoForum 9/92) auf eine eigene Orgelimprovisation im Linzer Dom zurückgehen soll für 28 Monate liegen, um seinem sinfonischen Ehrgeiz nachzugeben und die Arbeit an der sechsten Sinfonie wieder aufzunehmen sowie seine Siebente anzufertigen (Brahms saß zu dieser Zeit übrigens an seiner Dritten). Am 28. September 1883 zog Bruckner sein „Te Deum“ wieder aus der Schublade hervor bis er es am 7. März 1884 fertigstellte. Vier Jahre nach der ersten Konzeption erklang das Opus zum ersten Mal öffentlich, anlässlich einer Veranstaltung des „Akademischen Wagner-Vereins“ im kleinen Musikvereinssaal zu Wien, unter der Leitung des Komponisten. Das Orchester wurde damals noch durch zwei Klaviere ersetzt (Fassung von Franz Schalk). Der vollständigen Partitur widerfuhr erst am 10. Januar 1886 Gerechtigkeit, innerhalb eines Konzertes der Wiener Philharmoniker unter Hans Richter. Das Publikum war begeistert. Noch zu Lebzeiten wurde das „Te Deum“, Bruckner nannte es den „Stolz meines Lebens“, vielerorts aufgeführt, auch jenseits des Atlantiks, bis hinüber nach Cincinnati.

Dem in bereits damals ziemlich säkularisierter Zeit noch anachronistisch tiefgläubigen Bruckner lag dabei, wie man sich stets vergegenwärtigen sollte, einzig die Botschaft des Textes am Herzen, sie allein. Schon von Zeitgenossen wurde Bruckners gelebter Katholizismus meist kopfschüttelnd belächelt.

Auch heute noch, wenn Bruckner als naiver, etwas weltfremder Mensch dargestellt wird, rekurriert man gerne auf seinen Glauben und hat somit einen scheinbar schlagkräftigen Beweis für diese Attribute. Es wäre indes durchaus möglich, dass dies eine falsche Herangehensweise ist, dass ganz im Gegenteil erst sein Gottvertrauen Bruckner die antonbrucknerspezifische innere Freiheit für die Erschaffung seiner Werke verliehen hat.

Martin Holzmann schreibt dazu folgendes (in „Contrapunkt“ vom 28. Februar 2012, seinerseits bezugnehmend auf das Buch „Bruckner“ von Constantin Floros)) und er weitet dabei sozusagen das „Auf Dich, Herr, habe ich vertraut!“ „In te Domine speravi“ des „Te Deum“ auf das Leben Bruckners aus: „Von Kindheit an spielte die Religion eine entscheidende Rolle im Leben Bruckners, der praktizierte Katholizismus war für ihn selbstverständlich. Für sein Hineinwachsen in Musik und Glaube war sicherlich seine Zeit als Sängerknabe im oberösterreichischen Augustiner-Chorherrenstift St. Florian von großer Bedeutung. Bevor Bruckner dann seinen Durchbruch als Komponist feierte, war er schon lange Jahre als Organist, Chorleiter und Lehrer tätig gewesen. Bruckner fasste sein musikalisches Schaffen immer als Bekenntnis und seine Kompositionsgabe als Geschenk Gottes auf. Dies verdeutlicht sich auch darin, dass Bruckner gleich Johann Sebastian Bachs „Soli deo gloria“, eine religiöse Wendung zu seinen vollendeten Werken hinzuzufügen pflegte, hierbei handelte es sich meist um das Motto des Jesuitenordens: „Omnia ad maiorem dei gloriam“ (alles zur größeren Ehre Gottes). Für Bruckner war der Katholizismus keine Strömung, der er aus bloßer ästhetischer Neigung anhing, sondern aus der tiefen Gewissheit um Gottes liebende Führung. Damit stand er mitunter in diametralem Gegensatz zum Künstlerbild seiner Zeit. Ein Künstler, dessen oberste Prioritäten durch Gebet, Kommunionempfang, Beichte und Fasten vorgegeben waren, konnte nur auf Widerspruch der Zeitgenossen stoßen.

Bruckners Lebensstil war geprägt von geradezu mönchischer Einfachheit und stetem Streben nach Kontemplation. Hierzu gehörte mehrfaches Beten am Tag, das er gewissenhaft in seinem Kalender aufzeichnete. Seine bevorzugten Gebete waren das Vater Unser, das Ave Maria und das Salve Regina. Dies erinnert an die Regularien für augustinische Laienbrüder, also Nichtpriester, die des Lateins nicht mächtig waren und daher nicht am Stundengebet teilnahmen, sondern ersatzweise etwa den Rosenkranz beten sollten. Die Lebensweise der Augustinusregel war Bruckner ja seit seiner Zeit in St. Florian vertraut. Es wird auch immer wieder spekuliert, dass Bruckner religiöse Visionen gehabt haben soll, besonders am Karfreitag (!), und dass sein Glaube manche Zwangsvorstellungen, unter denen Bruckner teilweise litt, befördert habe. An dieser Stelle wird gerne Johannes Brahms zitiert, der von Bruckner gesagt haben soll, dass es sich bei ihm um einen armen verrückten Menschen handle, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen hätten.

Dieser Hinweis entbehrt zwar nicht jeder Grundlage, allerdings kann man dem mit Recht entgegenhalten, dass es Bruckners gelebter Glaube war, der ihn befähigte seine kompositorischen Fähigkeiten voll auszuschöpfen und über Zeiten der Krise und Anfeindung hinweg zu kommen. Diese Dankbarkeit brachte Bruckner nicht nur in der 9. Sinfonie zum Ausdruck, die er „Dem lieben Gott“ widmete, sondern auch in verschiedenen Vertonungen von Psalmen und des Messtextes.“

Eine herausragende Rolle spielt hierbei eben auch Bruckners „Te Deum“, das er aus Dankbarkeit für die überstandenen Leiden (vor allem erlitten vor allem durch die Anfeindungen seiner Kritiker und Widersacher) in Wien komponierte. Das „Te Deum“ selbst, das auch als ambrosianischer Lobgesang bezeichnet wird, ist ursprünglich Teil des Stundengebets der Kirche. Es wird nach dem zweiten Responsorium der Lesehore, der früheren Matutin, an Sonntagen, Festen und Hochfesten gebetet. Die Entstehung des Textes ist nicht restlos geklärt, der Überlieferung zufolge wurde der Gesang durch den Hl. Ambrosius von Mailand (daher „ambrosianischer“ Lobgesang) und den Hl. Augustinus von Hippo geschaffen. Als Ambrosius Augustinus taufte, soll der Täufling einen Lobgesang angestimmt haben, auf welchen Ambrosius geantwortet habe, hierbei soll es sich um das „Te Deum“ gehandelt haben. Mitunter wird aber auch der Hl. Hilarius von Poitiers als Autor vermutet. Seit dem 6. Jh. ist der Text bezeugt, er entstand aber möglicherweise schon im 4. Jh. Im Laufe der Geschichte wurde der Text des „Te Deum“ zunehmend zu feierlichen Anlässen, etwa Krönungen oder Bischofsweihen vertont. Sehr bekannt ist hier die Vertonung des „Te Deum“ in D-Dur von Marc-Antoine Charpentier, die noch heute regelmäßig bei Eurovisions-Sendungen im Fernsehen gespielt wird. Ebenfalls sehr bekannt ist das Kirchenlied“ Großer Gott wir loben Dich“, in dem Ignaz Franz den Text des „Te Deum“ verarbeitete. Die meisten Vertonungen des „Te Deum“ haben wir anlässlich des Vergleiches von Einspielungen des „Te Deum“ von Giuseppe Verdi aufgelistet. Ihre Zahl ist sehr beträchtlich.

Der Text gliedert sich in drei Teile, zunächst der Lobpreis Gottvaters (Z. 1-13), dann der Lobpreis Jesu Christi in Verbindung mit Fürbitten (Z. 14-21) und mündet dann in lobpreisende Psalmverse (Z. 22-29).

Das Werk Bruckners ist in fünf Teile untergliedert (genaueres weiter unten) und erfordert einen großen Chor, vier Solisten, sowie großes Orchester und Orgel (die Orgel ad libitum). Das Stück changiert zwischen Momenten innigster Andacht und solchen grenzenlosen Jubels. Durch die Verwendung von Stilmitteln aus verschiedensten Epochen wird dem Werk eine große Vielschichtigkeit verliehen. So stehen Anleihen aus der Gregorianik neben romantischer Harmonik. Dies sei an einigen Stellen verdeutlicht. Zum Beispiel wenn der Chor ab Takt 146 a capella und geradezu engelsgleich das „aperuisti credentibus regna coelorum“ singt, also dass Jesus Christus den Gläubigen das Himmelsreich erschlossen habe. Am eindrücklichsten scheint hier der letzte Teil, das „in te domine speravi, non confundar in aeternum“. Die Musik strahlt eine unglaubliche Gewissheit um die Geborgenheit in Gott aus und die alles überstrahlende Hoffnung ewig nicht zu Schanden zu werden, die sich ganz zum Schluss in reinem C-Dur Bahn bricht. Dies wirkt geradezu wie die Quintessenz von Bruckners Leben, das tiefe Vertrauen auf Gott und die Vorfreude auf das ewige Leben.

 

Es gibt zwei Fassungen von Bruckners „Te Deum“: Die erste Fassung von 1881 (Franz Scheder), deren Manuskript im Stift Kremsmünster aufbewahrt wird, enthält die Partitur der Stimmen und einige Orchestrierungsskizzen. Es ist kürzer als die endgültige Fassung (357 statt 513 Takte). Insbesondere der Teil „Aeterna fac“ ist anders und kürzer, und die letzte Fuge ist noch nicht komponiert. Es existiert von dieser Fassung nur eine Privat-Aufnahme des Bayerischen Ärzte-Orchesters. Sie spielt daher für unsere vergleichende Diskographie keine Rolle.

Und dann gibt es noch die sogenannte Endfassung von 1884. Das „Te Deum“ wurde erstmals 1885 von Theodor Rättig veröffentlicht, der Bruckner 50 Gulden zahlte, „den einzigen Betrag, den er als Komponist zu Lebzeiten erhielt. ... Im Gegensatz zu den anderen Erstausgaben (neu zusammengestellt von den Schalk-Brüdern) gibt es kaum einen Unterschied zwischen dieser Ausgabe und dem Originalmanuskript. Das Te Deum“ sorgte für eine rasche Steigerung der Bekanntheit Anton Bruckners und ist mitverantwortlich für seinen Ruhm.

Das „Te Deum“ sah Bruckner einerseits als herausragendes Werk („Stolz seines Lebens“) und anderseits als überschwänglichen Dank an seinen Herrgott. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis von Bruckners auf den ersten Blick geradezu kindlich anmutenden Gottvertrauen, das aber nie kindisch war. Dem modernen Menschen kann ein solch tiefes Vertrauen manchmal fremd oder geradezu unheimlich erscheinen und doch faszinieren. Wer kann von sich behaupten, so uneingeschränkt zu vertrauen? Beim Hören des „Te Deum“ wird deutlich, dass Gottvertrauen manchmal auch ein Ringen und die Suche nach Gott eine Lebensaufgabe ist, aber dass am Ende doch die Hoffnung auf das Reich, das nicht von dieser Welt ist, obsiegt.

 

Das „Te Deum“ ist in der Hauptsache in triumphierendem C-Dur geschrieben, das Bruckner sonst wenig verwendet hat. Es ist für 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Orgel ad libitum, vierstimmigen Chor und Solo-Quartett gesetzt. Es hält sich an einen vierteiligen Rhythmus, erfüllt von einem durchgehenden Motiv, das die elementaren Quart- und Quint-Intervalle vereinigt. Dasselbe Motiv hat Bruckner wieder benutzt in dem (gigantischen) Themenaufbau des (unvollendeten) Finales der 9. Sinfonie, das im letzten Jahr seines Lebens komponiert wurde und dem die Worte „Te Deum“ beigefügt sind.

 

Das Werk gliedert sich, wie bereits angedeutet, in fünf Teile, die von Bruckner nicht als einzelne Sätze verstanden werden und folglich auch nicht durchgezählt werden:

 

    Te Deum laudamus – Allegro, Feierlich, mit Kraft, C-Dur

    Te ergo quaesumus – Moderato, f-Moll

    Aeterna fac – Allegro, Feierlich, mit Kraft, d-Moll

    Salvum fac populum tuum – Moderato, F-Dur

    In Te, Domine speravi – Mäßig bewegt, C-Dur

 

Diese fünf Abschnitte sind durch ein Fermate-Zeichen und einen Doppelstrich voneinander getrennt; die einzelnen Abschnitte sind, anders als z.B. bei den Symphonien, nicht mit einer Nummer versehen, die Zäsuren sind nach allgemeiner Ansicht nur als Gliederungsmittel bzw. als Pausen zu sehen und kündigen nicht einen neuen Satz an, und deshalb sollten sie auch nicht zu lange dauern. Bei den nachfolgenden Besprechungen werden deshalb, entsprechend der Eulenburg-Partitur No. 960 mit den obligatorischen Buchstaben gegliedert; manch andere Ausgaben zählen pro Abschnitt (z.B. der Klavierauszug von Peters), andere machen es den Musikern leichter und zählen von vorne bis zum Schluss durch.

 

„Der erste Teil beginnt kraftvoll in C-Dur mit dem Chor im Unisono, unterstützt von einer leeren Quinte in der Orgel Orgelpunkt und einem leeren Quintenmuster der Streicher. Dann entwickeln sich die Solisten und der Chor in Motiven und Modulationen typisch für Bruckner.

Der zweite Teil in f-Moll (Te ergo quaesumus) ist heiter und flehender Natur, mit einem ausdrucksstarken Tenorsolo, das von einem Violinsolo unterstützt wird.

Der dritte Teil (Aeterna fac) in Bruckners d-Moll, zeigt apokalyptische Wut. Unterstützt von einem rhythmischen Motiv nutzt es alle Mittel von Chor und Orchester und endet abrupt mit einer ungelösten Kadenz.

Der vierte Teil (Salvum fac populum tuum), der mit einem Zitat aus dem zweiten Teil beginnt, diesmal mit einer Begleitung des Tenorsolisten durch Frauenstimmen und der Solovioline, entwickelt sich nach einem Bass-Solo und einem Chor-Orgelpunkt auf Et rege eos, et extolle illos usque in aeternum zum Unterteil Per singulos dies, der an die Inbrunst und Energie des ersten Teils erinnert.

Der letzte Teil in C-Dur, der mit dem Quartett der Solisten beginnt, gipfelt in einer freudigen Fuge, gefolgt von einem eindrucksvollen Choral über Non confundar in aeternum, das dem Hauptthema des Adagios der 7. Sinfonie auffallend ähnlich ist. Das Ausgangsmotiv taucht wieder auf und alle Instrumente und Stimmen führen das Werk zu seinem kraftvollen Abschluss.“ (R.Simpson: Das Wesen von Bruckner, Ein Essay zum Verständnis seiner Musik.)

 

Zwei kontrastierende Abschnitte in f-Moll, gesungen vom Solo-Quartett, trennen also die Hauptchöre und bilden die überraschende Entspannung gegenüber dem scharfen C-Dur der Grundtonart. Ein dritter Kontrast für das Solo-Quartett („In te Domine speravi“) bereitet für den Abschluss des „Non confundar in aeternum“ vor. Die folgende Doppelfuge führt zu einem erschütternden ff-Höhepunkt, nachdem seine kontrapunktisch verknüpften zwei Themen durch die Choralmelodie des „Non confundar“ abgelöst worden sind; diese spielt, wie bereits erwähnt, auch eine wichtige Rolle beim Höhepunkt des Adagio der Sinfonie Nr. 7. Man kann sagen, die 7te zitiert diese Stelle des „Te Deum“ oder aber umgekehrt. Man nämlich nicht genau, für welches Werk Bruckner dieses Motiv zuerst zugedacht hatte.

 

Der grundlegende Gestus des Werkes ist monumental-großflächig, ebenso ausufernd ekstatisch wie auch „gedrungen lapidar“. Für uns herausragend ist die lyrische Gestaltung der solistisch geprägten Zwischenspiele, die je nach Interpretation sehr innig und wunderschön klingen können. Auch die Passagen mit der Solovioline, die nicht von ungefähr an das „Benedictus“ aus Beethovens „Missa Solemnis“ erinnern, wirken berückend. Manch ein Hörer sieht in den lauten Passagen nicht zu Unrecht die Bändigung elementar-musikalischer Urgewalten, wie sie uns in ähnlicher Form später noch einmal in den betreffenden Abschnitten der „Glagolitischen Messe“ von Léos Jánacek begegnen. Wir sind überzeugt, dass sich der Böhme das Werk des Oberösterreichers vor der Komposition genau angeschaut hat oder es sowieso schon bestens kannte.

„Die herausragenden „Te Deum“-Vertonungen der Musikgeschichte sind Früchte des 19. Jahrhunderts: vier Komponisten sind dabei besonders zu erwähnen: Berlioz und Liszt (vor Bruckner) und Verdi und Dvorák (nach Bruckner). Pauschal formuliert stellt Bruckners Beitrag in tonsprachlicher Hinsicht ein Bindeglied zwischen dem Mittelalter und der Moderne dar. So umstritten die Frage nach der Gregorianik im Oeuvre Bruckners auch sein mag: Anklänge an die Psalmodie sind gerade beim älteren Bruckner etwa in den rezitativischen (unisono-)Partien allenthalben hörbar. Eine stellenweise nicht-funktionale Harmonik erinnert den Fachmann an Satztechniken der Notre-Dame-Schule des 12./13. Jahrhunderts, an Organa von Leonin oder Perotin. Die Progressivität von Bruckners „Te Deum“ bekundet sich demgegenüber in harmonischen Freiheiten eigener Couleur, in Fragen der Dissonanz-Behandlung einzelner Stimmen, vor allem gegen Ende des Werkes. Von gewissermaßen naiver Kühnheit spricht auch die alles andere als schulmäßige Ausführung der nach beängstigendem Zusammenbruch gewaltig gesteigerte Fuge, die das „Te Deum“ krönt („In te Domine speravi“). Für einen Dirigenten geht es auch um die Frage, ob er hier einmal ausnahmsweise bei Bruckner nicht auch einen theatralischen Zug zu konstatieren hat, eine womöglich noch vom Barockzeitalter beeinflusste Freude an der Daseinsbewältigung.“ (Volkmar Fischer in FonoForum 7/92)

„Die Musik ist erfüllt von einem fast heidnischen Triumphgefühl, einer fast barbarischen Freude an grellen Klangwirkungen, einem naiven Vergnügen an einer lärmenden Verherrlichung Gottes. Sie strahlt einen zugleich kindlichen und wissenden, glühenden und felsenfesten Glauben aus, einen Glauben, der Berge versetzen kann.“ (H.F. Redlich, Universität von Edinburgh, im Vorwort der zum Vergleich verwendeten Eulenburg-Taschenpartitur Nr. 960)

 

Gustav Mahler war von dem Werk, übrigens wie viele Zeitgenossen, ebenfalls angetan und als besonderer Verehrer bekannt, welcher sich auch sehr für die Verbreitung des Werks einsetzte.  In seinem persönlichen Notenauszug ersetzte er den Untertitel „für Chor, Solostimmen, Orchester und Orgel“ durch „für Engelszungen, Gottselige, gequälte Herzen und feuergeläuterte Seelen“. Zusammen mit der Messe in d-Moll von 1864 ist es das gregorianisch inspirierte Melos des „Te Deum“, das den Untergrund geliefert hat für den ersten Teil von Mahlers Sinfonie Nr. 8 über die geistliche Hymne „Veni creator spiritus“. Man vergleiche dazu Bruckners Motiv „Unicum, unicum filium“ (T. 10 nach F) mit der betreffenden Passage aus Mahlers Sinfonie Nr. 8 gratia, gratia… (genaue Angabe nicht möglich, da eine Partitur der 8. nicht zur Hand).

„Bruckner (laut Ernst Décsey „der Musikant Gottes“) bezeichnete sein „Te Deum“ als „Stolz meines Lebens“: „Wenn mich der liebe Gott einst zu sich ruft und fragt: ‚Wo hast du die Ta-lente, die ich dir gegeben habe?‘, dann halte ich ihm die Notenrolle mit meinem Te Deum hin, und er wird mir ein gnädiger Richter sein.“ Das „Te Deum“ ist das Zeugnis von Bruckners tiefem Glauben und ein Lied des Lobes und der heiligen Freude. Bruckners Werk war das er-folgreichste, mit der 7. Sinfonie und in gewissem Maße der 8. Sinfonie aus dem Jahr 1890, in Österreich und in der Welt.“ (Zitat aus Wikipedia)

 

„Von den Solisten hat der Tenor die wichtigste Partie, gefolgt vom Sopran; Bass und Alt singen eigentlich nur im Quartett mit, der Bass hat eine einzelne kurze solistische Phrase, der Alt keine. Die Orgel ist ad libitum und tritt nur in massiven Chorpassagen (zwischen f und fff) in Erscheinung zwecks Erzeugung einer eindrucksvollen Klangbasis. Auf manchen Aufnahmen ist sie prominent anwesend und sorgt für einen dröhnenden Gesamtklang, bei anderen lässt sich manchmal nur anhand des Beiheftes, falls vorhanden, feststellen, ob überhaupt eine Orgel mitwirkt. Beim Anhören der vielen Aufnahmen des „Te Deum“ entsteht trotz durchaus zu hörender mitunter deutlicher Abweichungen in Details und vor allem auch in der Aufnahmetechnik der Eindruck einer gewissen Einförmigkeit; anscheinend gibt es nicht allzu viel Spielraum für Nuancen und für "Interpretation". Es sei denn das gewaltige Ego des Dirigenten bricht sich Bahn (z.b. bei Karajan und besonders bei Celibidache). Entscheidend ist so vor allem das Gesamtkonzept des Dirigenten, das musikalische Niveau der Interpreten und die aufnahmetechnische Qualität. Charakteristisch für das „Te Deum“ ist der Kontrast zwischen Monumentalität und Intimität. Die Monumentalität wird vom Chor erzeugt, begleitet von den Streichern, den Blechbläsern, den Pauken und der Orgel, die Intimität herrscht vor allem in den Passagen der Solisten vor, begleitet von Streichern und Holzbläsern und stellenweise vom Chor; die 'monumentalen' Szenen werden bestenfalls von einem schnelleren (aber nicht zu schnellen) Tempo und einem prägnanten Rhythmus in der Streicherbegleitung vorangetrieben, während die intimen Abschnitte lyrisch geprägt sind. Dieses Pendeln zwischen Kontrasten hat große emotionale Wirkung; in manchen, wir meinen geringeren, Aufnahmen klingen die Chorabschnitte allerdings wie ein Dauerforte, quasi wie ein „vorbeibrausender Güterzug“ (Roelofs), und schlagen den Hörer tot. Das sollte vermieden werden, denn so verkauft man das Werk unter Wert. Das Vermeiden gelingt jedoch nur den besseren Chören und einer aufmerksamen Klangtechnik richtig gut. Ritardandi hat Bruckner nur an wenigen Stellen vorgeschrieben, aber manche Dirigenten machen von diesem Stilmittel einen ziemlich ausgiebigen Gebrauch, vielleicht um auf diese Weise die zwingende Motorik der Chorabschnitte abzufedern; Monumentalität droht so aber in Pathetik abzugleiten. Der Eindruck einer gewissen Einförmigkeit entsteht manchmal auch dadurch, dass die dynamischen Vorschriften nicht beachtet werden; das gilt sowohl für die Chorpassagen wie für die solistisch geprägten Abschnitte. Die beiden Tenorabschnitte z.B. (II, IV) sind immer wieder steigerungsmäßig aufgebaut, von p über mf bis zu f, aber viele Solisten bzw. Dirigenten lassen dies außeracht, so dass die von Bruckner intendierten Steigerungen auf der Strecke bleiben.“ (teils entnommen den Anmerkungen zur Bruckner-Diskographie von Hans Roelofs, ergänzt um die eigenen Eindrücke und Erfahrungen beim Abhören der Einspielungen.)

 

Bei der Diskographie des Werkes fällt auf, dass einige Bruckner-Kenner unter den Dirigenten, die Gesamtaufnahmen der Sinfonien verantwortet haben oder gerade dabei sind eine zu komplettieren, einen Bogen um das „Te Deum“ gemacht haben. Darunter fallen Georg Solti, Günter Wand (besonders bedauerlich), Eliahu Inbal, Michael Gielen, Hans Rosbaud, Stanislav Skrowaczewski, Georg Tintner, Gennadi Roshdestwensky, Valery Gergiev, Lorin Maazel und bis jetzt Gerd Schaller, Andris Nelsons, Paavo Järvi, Herbert Blomstedt, Marek Janowski, Ivor Bolton, Simone Young, Rémy Ballot, Marcus Poschner, Marcus Bosch, Thomas Dausgaard, Mario Venzago, Jaap van Zweten, Yannick Nézet-Seguin und Christian Thielemann (immerhin liegt uns mit letztgenannten ein Mitschnitt des MDR aus Dresden vor, der möglicherweise irgendwann in Ergänzung zur Gesamtaufnahme der Sinfonien den Weg auf  CD finden wird).

 

Nun noch der Text:

Das Stück besteht, wie bereits mehrfach erwähnt, aus fünf Teilen und gipfelt schließlich in einem grandiosen C-Dur-Finale, welches den tiefen Gottesglauben Bruckners mit den Worten „In Te, Domine, speravi, non confundar in aeternum.“ – „Auf Dich, oh Herr, habe ich gehofft, dass ich in Ewigkeit nicht vergehe*.“ ausdrückt.

1. Te Deum laudamus,
te Dominum confitemur
Te aeternum Patrem omnis terraveneratur.

1. Wir loben Dich, oh Gott,
wir preisen Dich, oh Herr,
Dir, dem ewigen Vater, huldigt das Erdenrund.

Tibi omnes Angeli, tibi caeli et universae potestates,
tibi Cherubim et Seraphim incessabili voce proclemant:
Sanctus, sanctus, sanctus, Dominus Deus Sabaoth.
Pleni sunt caeli et terra majestatis gloriae tuae.

Dir rufen alle Engel, Dir Himmel und Mächte allesamt,
die Kerubim und die Serafim, mit niemals endender Stimme zu:
Heilig, heilig, heilig, der Herr, der Gott der Scharen.
Himmel und Erde sind voll von Deiner hohen Herrlichkeit.

Te gloriosus Apostolorum chorus,
te Prophetarum laudabilis numerus,
te Martyrum candidatus laudat exercitus.
Te per orbem terrarum
sancta confitetur Ecclesia.

Dich preist der glorreiche Chor der Apostel,
Dich der Propheten lobwürdige Zahl,
Dich der Märtyrer leuchtendes Heer,
Dich preist auf der ganzen Erde
die heilige Kirche.

Patrem immensae majestatis;
venerandum tuum verum et unicum Filium,
Sanctum quoque Paraclitum Spiritum.
Tu, rex gloriae, Christe, tu Patrissempiternus es Filius.

Dich, den Vater immenser Majestät;
Deinen wahren und einzigen Sohn,
Wie den Heiligen Geist.
Du, König der Herrlichkeit, Christus, des Vaters ewiger Sohn.

Tu ad liberandum suscepturus hominem
Non horruisti Virginis uterum.

Um den Menschen zu befreien,
Hast Du den Schoß der Jungfrau nicht verschmäht.

Tu devicto mortis aculeo,
Aperuisti credentibus regna caelorum.

Du hast des Todes Stachel besiegt,
Den Gläubigen die Reiche der Himmel geöffnet.

Tu ad dexteram Dei sedes, in Gloria Patris.
Judex crederis esse venturus.

Du sitzt zur Rechten Gottes, in der Herrlichkeit des Vaters.
Als Richter wirst Du, so glauben wir, einst wiederkommen.

2. Te ergo quaesumus
tuis famulis subveni,
Quos pretioso Sanguine redemisti.

2. Dich bitten wir denn:
Komm Deinen Dienern zu Hilfe,
Die Du mit kostbarem Blut erlöst hast.

3. Aeterna fac cum Sanctis tuis ingloria numerari.

3. In der ewigen Herrlichkeit zähle uns zu Deinen Heiligen.

4. Salvum fac populum tuum, Domine,
et benedic haereditati tuae.
Et rege eos, et extolle illos usque in aeternum.
Per singulos dies benedicimus te
Et laudamus nomen tuum in saeculum saeculi.
Dignare, Domine, die isto sine peccato nos custodire.
Miserere nostri, Domine, miserere nostri.
Fiat misericordia tua, Domine, super nos,
Quemadmodum speravimus in te.

 

4. Rette Dein Volk, oh Herr,
und segne Dein Erbe.
Und führe sie und erhebe sie bis in die Ewigkeit.
An jedem Tag preisen wir Dich
Und loben Deinen Namen in der ewigen Ewigkeit.
In Huld bewahre Du, oh Herr, uns an diesem Tag ohne Schuld.
Erbarme Dich unser, oh Herr, erbarme Dich unser.
Deine Barmherzigkeit, oh Gott, lass über uns geschehen.
Wie wir auf Dich gehofft haben.

5. In te, Domine, speravi,
non confundar* in aeternum.

5. Auf Dich , oh Herr, habe ich gehofft,
dass ich in Ewigkeit nicht vergehe*.

 

* Das lateinische Verb „confundere“ hat eine Vielzahl an Bedeutungen. Es kann „zusammengießen“, „vermischen“, „verwirren“, „entstellen“, „aus der Fassung bringen“ und anderes bedeuten. Häufig wird es mit „nicht zu Schande werden“ übersetzt. Um die christliche Unvergänglichkeit als eine der Kernaussagen des Gebets zu betonen, erfolgt hier die Übersetzung mit „vergehen“.

(Text des „Te Deum“ entnommen aus CulturaLista, Website ohne Angabe des Namens des oder der Übersetzer(in).)

 

 

zusammengestellt bis 12.10.2023

 

 

 

 

Anton Bruckner um 1890, Prtrait von Anton Huber

 

 

 

 

Vergleichende Rezensionen im Detail:

 

5

Eugen Jochum

Maria Stader, Sieglinde Wagner, Ernst Haefliger, Peter Lagger

Chor der Deutschen Oper Berlin,

Berliner Philharmoniker

DG

1965

21:55

 

Jovial, lebensbejahend, ein deutscher Traditionalist, ein Konservativer bayerischer Prägung – Eugen Jochum betrachtete seine Begabung als ein „Geschenk von oben“, wie er einmal sagte, und sein Musizieren als ein Dienen, Dienst an den großen Meistern Haydn, Mozart und Beethoven, Brahms, Wagner – und ganz besonders Bruckner mit seinen Bekundungen symphonischer Gläubigkeit. Eugen Jochum scheint schon alleine von seiner Weltsicht her betrachtet der ideale Interpret für das „Te Deum“ zu sein. Nach Anhören seiner beiden Studio-Einspielungen (1950 und 1965) und seines Live-Mitschnittes aus München (1954, weitere sind vorhanden, waren uns jedoch nicht zugänglich) wollen wir das gerne bestätigen.

Die Welt Anton Bruckners, das war sein Leben. Jochum galt als der Bruckner-Dirigent seiner Zeit, man nannte ihn einen Bruckner-Apostel – im Sinne gläubigen Bekennertums. Dazu fühlte er sich auch berufen: musikalisch und religiös, lebensgeschichtlich.

Innerhalb der drei Einspielungen gibt es konzeptionell keine nennenswerten Unterschiede, das Konzept steht 1965 genauso felsenfest da wie 1950 und 54. Sein Konzept wird allenfalls noch verfeinert und wirkt noch ausgereifter. Er lässt das „Te Deum“ mächtig losbrausen. Und gibt ihm eine ganz besondere Strahlkraft, die nie äußerlich wirkt. Die Chöre (in allen drei Aufnahmen) nehmen sozusagen kein Blatt vor den Mund und singen was die Lungen hergeben. Sicher vergisst man nicht die allgemeinen Regeln der Singkultur aber die inhaltliche Entsprechung des Textes mit dem anzustrebenden Ausdruck steht spürbar an erster Stelle. Beim Chor der Deutschen Oper bemerkt man schon seine Herkunft aus dem Opernhaus. Er forciert vor allem ab f auch mal ungenierter als der noch „junge“ Rundfunkchor aus München in den beiden älteren Aufnahmen Jochums. Seine Durchschlagskraft ist jedoch enorm. Aber in Hinsicht auf ausgewogene Kultiviertheit muss er dem Chor des BR vor allem in den beiden Einspielungen Haitinks (1988 und 2010) und den britischen Corydon Singers den Vortritt lassen.

Er klingt aber klangvoller und mit mehr Volumen als der BR-Chor in den beiden älteren Aufnahmen Jochums, was natürlich auch von der weiterentwickelten Aufnahmetechnik herrührt. Chor und Orchester wirken also weiter vervollkommnet. Das Orchester ist fast eine Klasse für sich.

Insgesamt wirkt diese Aufnahme noch bezwingender als die beiden älteren, was schon eine große Leistung an sich darstellt, denn diesen fehlt es ebenfalls nicht an Empathie und sagen wir es ruhig: Inbrunst. Der Impetus Jochums, der es versteht denselben auf seine Mitwirkenden zu übertragen und der auch die beiden älteren Einspielungen auszeichnet, wirkt beeindruckend.

Maria Stader gelingt eine gute Vorstellung. Ihr Sopran wirkt zwar nicht soubrettenhaft, aber doch recht hell und teils etwas unstet. Er schält sich bisweilen ein wenig vorlaut aus dem Quartett heraus, aber man nimmt ihr ihre Anteilnahme gerne ab. Dennoch würden wir ihre Vorstellung ein wenig hinter Maud Cunitz und Anneliese Kupper in den beiden anderen Einspielungen mit Jochum einordnen. Der Tenor von Ernst Haefliger kennen wir bereits vom Mitschnitt der Aufführung mit Karajan von 1952 aus Perugia. Bei Jochum singt er viel besser, ausgewogener und weniger gestresst. Die gefürchteten Sext-Intervalle haben ihren Schrecken verloren. Der Bass von Peter Lagger gibt keinen Anlass zur Kritik.

Jochums Darbietung duldet keine Extravaganzen, es herrschen konzise Tempi vor. Das „Aeterna fac“ ist in allen drei Einspielungen ein Glanzstück, sehr intensiv und beeindruckend ohne zu hetzen. Auch das „Salvum fac“ klingt erneut eindrucksvoll mit einem hervorragenden Oboensolo (es sind nur zwei Mal vier Tönchen), aber die muss man auch erst einmal so innig und glanzvoll herausbringen wie, wir vermuten ganz stark, Lothar Koch. Es ist jedenfalls nirgends schöner und ergreifender zu hören, weshalb wir es ausnahmsweise einmal erwähnen wollen. Auch die kleinen Details müssen eben stimmen.

Dynamisch ist die 1965er besonders kontrastreich. Ein echtes pp ist hörbar, es bleibt aber immer konturiert und gleitet nicht ins Säuseln ab, genauso wie ein standfestes fff, das wohl auch die Kraft hätte, den Himmel zu öffnen. Typisch für Jochum ist die in der 65er Version nur ganz leicht zu spürende Beschleunigung in der Coda, die dem Schluss durchaus ein wenig von der getragenen Feierlichkeit nimmt, dafür aber dem Jubel Frische und Lebendigkeit verleiht. Das wirkt in unseren Ohren ganz besonders überzeugend und setzt dem durchglühten Impetus Jochums sozusagen die Krone auf. Die Verbreiterungen, die z.B. Karajan an die Stelle setzt, wirkt dagegen fast schon schal, wie ein auf der Stelle treten. Ohne den besonderen goldenen Glanz des Berliner Blechs, das muss noch erwähnt werden, wäre die Darbietung wohl nicht so leuchtend ausgefallen. Wir fühlten uns bei den drei Jochum-Aufnahmen nicht nur besonders wohl, was längst nicht bei jeder Einspielung der Fall war, sondern angerührt. Die jüngste Aufnahme der drei bietet, wenn man von der sich bisweilen ein wenig vordrängelnden Maria Stader, der man aber schwerlich deshalb böse sein kann, einmal absieht, gegenüber den beiden anderen nur Vorteile.

Klanglich erhält, das ist eine nicht zu unterschätzende Verbesserung, das Orchester mehr Gewicht gegenüber dem Chor. Die Räumlichkeit ist ausgewogener, die Transparenz weiter verbessert. Die Orgel ist hörbar, sie drängt sich jedoch nie über Gebühr auf, wie es sich für eine Ad-Libitum-Instrument geziemt. Insgesamt ist der Klang transparent, weich, rund und ganz besonders strahlend. Genau richtig für Bruckners Te Deum.

Es gibt auch eine klangverbesserte Version dieser Aufnahme bei Praga zu hören. Das Solistenquartett kommt noch präsenter heraus ohne ein Übergewicht zu bekommen, die Violinen erklingen mit mehr Glanz. Der Gesamtapparat wirkt erheblich körperhafter. Das braucht man sich jedoch gar nicht erst zu merken, denn man hat lediglich den ersten der fünf Teile des Te Deums mit auf die CD gebracht, die ansonsten Jochums Amsterdamer Aufnahme der 5. Sinfonie Bruckners enthält. Wen soll das entzücken?

 

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5

Matthew Best

Joan Rodgers, Cherine Wyn-Rodgers, Keith Lewis, Alastair Miles

Corydon Singers and Orchestra

Hyperion

1993

23:14

 

Ein ganz besonderer Genuss ist die Transparenz dieser Aufnahme, die bei anderen Einspielungen meist mit (zu) langsamen Tempi „erkauft“ werden muss. Sehr hörerfreundlich ist auch der präzise und klangschöne Chor, der auch rhythmisch sehr exakt bleibt, eine leichte Diktion an den Tag legt und mit seinen ausgewogenen Stimmgruppen verwöhnt. Die kräftige, wunderbar tief zu hörende Orgel, die dem ganzen Klangapparat ein ordentliches Fundament verleiht, macht sich außerordentlich gut. Sie wirkt so fast wie der Glaube selbst, der ja auch das Fundament für die Lobpreisung Gottes darstellt. Im Beiheft erfährt man, dass es sich dabei um den Klang der Orgel von Westminster handelt und er technisch beigemischt wurde. Warum nicht, wenn es so überzeugend gelingt?

Das Quartett der Solisten ist nicht perfekt ausgewogen besetzt. Der Sopran singt leider mit flackerndem Vibrato, das wirkt mehr aufgeregt als beteiligt oder gar aufregend. Ungewöhnlich für eine Besetzung, die aus dem historisch informierten Bereich kommt. Dies ist übrigens, wenn man von der Einspielung mit Herreweghe einmal absieht, die einzige Einspielung, die aus der historisch informierten „Ecke“ zu kommen scheint. Der Tenor gefällt besser, denn seine Anteilnahme wirkt aufrichtig und stimmlich kann man wirklich nichts beanstanden. Auch sein Vibrato wirkt eher reichlich, schwingt aber nicht mit einer so weiten Amplitude wie das der Sopranistin. Auch der Bass mit seinem kurzen, aber heiklen (weil sehr tief liegenden) Solo weiß zu überzeugen. Der Alt hat eher füllende Funktion und wie bereits im Werkhintergrund erwähnt, kein Solo zu bestreiten.

Die Partiturgenauigkeit ist sehr gut. Wir hätten uns das sehr schöne (und gut gespielte) Violinen-Solo (es begegnet uns in den Abschnitten 2 und 4), das Bruckner sicher von Beethoven höchstpersönlich im Traum angetragen wurde, denn er konnte es von seinem „Benedictus“ aus der Missa Solemnis bestens empfehlen, etwas lauter gewünscht. Es sollte sich bis zum ff steigern und genauso laut sein, wie der Tenor. Das gelingt in der Celibidache-Aufnahme mustergültig, hier nicht ganz. Bests Einspielung darf auch als kontrastreich gelten, denn die Abschnitte 2 und 4 sind sehr zurückgenommen und bestechen durch lyrische Zartheit, was für den Gesang wie für die orchestrale Seite gleichermaßen gilt. Die Abschnitte 1, 3 und 5 mobilisieren hingegen alle Kräfte (und die Reserven) ohne je klanglich zu verhärten. Bei „Salvum fac“ wirkt der besonders innig singende Chor kontemplativ und natürlich. Gerade das Natürliche wird in der Musik jedoch aus der höchsten Kunst geboren. Daher wollen wir seinen Vorsprung vor dem Chor der Deutschen Oper hier noch einmal gerne erwähnen. Die Anklänge an die Gregorianik (gerade auch a capella) nimmt man ihm besonders gerne ab. Eher als den Opern- und Laienchören. Da muss die ganz spezielle Ruhe dazukommen.

Der Abschnitt 5, „In te, Domine speravi“, der nicht gerade selten zu einem Tummelplatz von Verlangsamungen und Beschleunigungen wird, bleibt hier in den von Bruckner angegebenen Grenzen maßvoll. Die Fuge wirkt spannend. Besonders hervorzuheben ist der leuchtende, gleichsam „engelsgleiche“ Chorsopran. Auch das fff ist immer noch beeindruckend klar und leuchtend.

Dies ist eine hervorragend aufgenommene Top-Einspielung, die jedoch bei den Solisten im Einzelfall noch übertroffen wird, gerade beim Sopran. Ansonsten präsentiert sich die Aufnahme wie aus einem Guss. Es geht also auch ohne die brennende Leidenschaft Eugen Jochums.

Noch ein paar Worte zum Klang. Er ist zumeist von bestechender Klarheit, sehr körperhaft, anschmiegsam weich und voll, wunderbar räumlich aber nicht schwammig, wie einige andere Aufnahmen aus dem Haus Hyperion. Es wird auf (zu) üppigen Nachhall verzichtet. Die Staffelung ist ausgezeichnet. Es geht ihr jede Enge ab, die mach eine alte Live-Aufnahme nur schwer erträglich macht. Sie hat „Luft zum Atmen“ und die Musik kann sehr gut ausschwingen. Das ist gerade für so eine große Besetzung und die geforderten Lautstärkegrade ungemein wichtig, wenn man die Hörer/innen nicht „erschlagen“ will. Bei dieser Aufnahme ist man als Hörer/in sehr gerne mit von der Partie. Eine aufnahmetechnische Meisterleistung und somit ein Tipp nicht nur für die audiophile Hörerschaft.

 

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5

Bernard Haitink

Elly Ameling, Anna Reynolds, Horst Hoffmann, Guus Hoekman

Nederlands Radio Chor, Concertgebouw-Orchester Amsterdam

Philips

1966

22:16

 

Mit Bernard Haitink lagen uns zwei Einspielungen unter Studio-Bedingungen vor (1966 aus Amsterdam und 1988 aus Wien) und ein Live-Mitschnitt eines vom BR übertragenen Konzertes von 2010. Letzterer wird im November oder Dezember 2023 von BR Klassik als CD veröffentlicht. Der Niederländer trifft in allen drei Einspielungen den richtigen Ton. Gegenüber der brennenden Intensität der 65er von Jochum wirkt Haitinks Zugang zum Werk sachlicher. Die Emphase etwas gezügelter. Manch einem Musikfreund mag dies sogar mehr zusagen.

Die älteste Einspielung von 1966, entstanden als einziges von Haitink eingespieltes geistliches Werk Bruckners innerhalb der Gesamtaufnahme der Sinfonien, klingt von den dreien am nüchternsten. Haitink separiert die Achtel-Noten des Anfangsmotivs der Streicher stärker voneinander als alle anderen Dirigenten (Paternostro kommt im darin am nächsten). Er betont somit das vorgegebene Notenbild zusätzlich. Die Artikulation wirkt so wie in Stein gemeißelt, so wie wir es auch von Otto Klemperer erwartet hätten. Kraftvoll, energisch und mit einem unnachgiebigen Nachdruck erscheint somit der Beginn aber der Gestus und der straffe Puls bleibt uns in den weiteren Passagen weitgehend erhalten. Später, wenn das Motiv nur noch im p und pp erklingt und somit zurücktritt, geht natürlich auch Haitink in die Legato-Spielweise über, wie es Bruckner wünscht.

Das Solisten-Quartett lässt es nicht an leidenschaftlichem Singen mangeln. Elly Ameling drängt sich nicht vor und auch der Tenor von Horst Hoffmann verlässt den kultivierten Rahmen nicht. Seine Stimme verfügt allerdings kaum über ein individuelles Timbre. Er unterlässt das häufig zu hörende herausstemmen oder herausschreien der Spitzentöne. Nur der Bass muss bei seinem Solo die Legatolinie zum Atmen unterbrechen. Das haben andere erheblich besser lösen können. Chor und Orchester trifft den richtigen Ton, nicht zu leicht, nicht zu schwer, nicht schwammig auch nicht allzu affirmativ, sondern rhythmisch geschärft. Der Niederländische Rundfunkchor verfügt über geschmeidige Frauenstimmen und sonore Bässe. Das Orchester verfügt noch nicht über den überwältigend substanzreichen und warmen Bruckner-Ton späterer Aufnahmen, was in erster Linie jedoch an der Klangtechnik liegen mag. An der überzeugenden Darbietung ändert das jedoch kaum etwas. Die Wiener Philharmoniker und sogar das BRSO im Rundfunkmitschnitt 2010 klingen voller und wärmer.

Die Aufnahme klingt mit ihrem leichten Rauschen sehr transparent im Chor und im Orchester. Das Klangbild ist mehr in die Breite, weniger in die Tiefe hinein gestaffelt. Wie bereits erwähnt, kommt die Aufnahme nicht an die Fülle und Brillanz der neueren Aufnahmen Haitinks heran. Hervorzuheben ist, dass Haitink und die Aufnahmetechnik auch die Streicher sehr gut im Blick behalten und man so das Finale nicht nur als Blechbläserchoral zu hören bekommt, sondern das ganze Orchester strahlen darf. Von der Orgel bekommt man, wenn überhaupt, nur bei hoher Aufmerksamkeit etwas zu hören.

 

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5

Bernard Haitink

Karita Mattila, Susanne Mentzer, Vinson Cole, Robert Holl

Chor des Bayerischen Rundfunks,

Wiener Philharmoniker

Philips

1988

23:37

 

22 Jahre später klingt die Motivreihung der Streicher zu Beginn nochmals kraftvoller und wuchtiger jedoch verzichtet Haitink auf seine individuelle wie in Stein gemeißelte Phrasierung. Er hat sich diesbezüglich sozusagen dem Mainstream geöffnet, wie man heute sagen würde. Der Artikulation der Achtel gibt er jetzt schon von Anfang an so etwas wie einen „leichten“ Legato-Bogen mit.

Tenor und Sopran des Solistenquartetts intonieren sauber und wirken nicht unterkühlt. Der Sopran Karita Mattilas gefällt besser als der Tenor Vinson Coles, der nicht so recht aus sich herauskommen will. Er wirkt auf uns auch gegenüber seinem Vorgänger Horst Hoffmann unidiomatisch und letztlich wenig überzeugend. Ein Rückschritt gegenüber 1966. Er kann auch nicht mit dem Sopran mithalten und fällt im sonst homogenen Quartett etwas ab. Der exzellente Chor des Bayerischen Rundfunks wirkt gegenüber den Niederländern fülliger, noch etwas sauberer, homogener und noch klangschöner. Mitunter traumhaft schön. Er wird nicht von ungefähr immer wieder gerne von den Wiener Philharmonikern zu gemeinsamen Konzerten eingeladen. Die Philharmoniker bringen nicht nur ihr herrliches Blech bestens zur Geltung. Der „sahnige“ Wiener Klang gefällt uns dieses Mal besser als der vergleichsweise „entfettete“ Klang aus Amsterdam. Imponierend ist die erhabene majestätische Schlusswirkung, die Haitink ohne zusätzliches Accelerando aber auch ohne übermäßiges Ritardando erreicht. Nach wie vor hütet sich Haitink vor persönlichen Zutaten. In dieser Einspielung hat das natürlich wirkende Fließen gegenüber dem betont rhythmischen Gesang und Spiel der 66er ein wenig die Oberhand gewonnen.

Der hervorragende Chor (traumhaft schön auch a capella) und das klangschöne Orchester machen das „Te Deum“ auch zu einem sinnlichen Vergnügen, wenn man das so sagen darf. Haitink lässt sich in den lyrischen Passagen nun mehr Zeit, auch zur „mystischen Versenkung“. Er wirkt nachgiebiger und konzilianter und neigt ein wenig mehr zum Ritardando. Auf uns wirkt die Darbietung sogar noch etwas bezwingender als die klanglich dagegen etwas holzschnittartige 66er, aber das ist ein ganz persönlicher Eindruck.

Der 88er Jahrgang ist sehr dynamisch, dreidimensionaler und brillanter. In Punkto Transparenz liegt eher ein Patt vor. Für uns aber insgesamt doch ein klarer Schritt zur klangtechnischen Verbesserung. Musikalisch mag das Gesamtergebnis jedoch anders gewertet werden, denn die ältere wirkt insgesamt konziser.

 

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5

Bernard Haitink

Krassimira Stoyanova, Yvonne Naef, Christof Strehl, Günther Groissböck

Chor und Sinfonieorchester des BR

BR, Radiomitschnitt

2010, live

22:09

 

22 Jahre nach der Amsterdamer Aufnahme und 44 Jahre nach der Wiener Aufnahme zeichnete der BR ein Konzert mit Bernard Haitink auf in dem auch die 9. Sinfonie aufgeführt wurde (das „Te Deum“ erklang übrigens vor der Neunten). Die für November/Dezember 2023 angekündigte Veröffentlichung als CD des Rundfunkeigenen Label BR Klassik wird jedoch gemeinsam mit der 8. Sinfonie erscheinen, vielleicht um der gerade erst vor ein paar Jahren veröffentlichten 9.Sinfonie mit Mariss Jansons keine Konkurrenz im eigenen Haus zu machen. Das „Te Deum“ wurde übrigens zuvor bereits bei „House of Opera“ veröffentlicht.

Die Sopranistin singt besonders strahlend, der Tenor wirkt vergleichsweise ein wenig heiser, er singt mit viel Kraft, aber verständlicher, freier und mit mehr Emphase als sein Vorgänger Vinson Cole in der Wiener Einspielung. Vorbildlich wirkt das Violinen-Solo in den Teilen 2 und 4. Es erreicht die gleiche Lautstärke wie der Tenor und scheint ihn nicht nur zu umspielen, sondern mit ihm zu kommunizieren.  Überhaupt wird auch in München sehr eindrücklich musiziert, das Tempo ist teils langsamer, teils wieder etwas schneller geworden, ohne dass das viel am Gesamteindruck ändern würde. Es fällt jedoch im direkten Vergleich auf. Insgesamt kommt Bernard Haitink wieder mehr auf die Tempi von 1966 zurück, zeichnet auch wieder härter durch als in Wien. Der Klang wirkt jedoch weich, transparent und glanzvoll, eher wie bereits in Wien 1988. Im Vergleich sozusagen mit sich selbst steht der Chor live 2010 seiner Darbietung 1988 kaum nach. Das Solistenquartett passt in München jedoch noch besser zusammen, denn der Fast-Ausfall des Tenors wurde korrigiert. Bernard Haitink war 2010 bereits 81 Jahre alt. Auf die Veröffentlichung der CD können sich alle Brucker-Enthusiasten jedenfalls freuen, zumindest was das „Te Deum“ betrifft.

 

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5

Sergiu Celibidache

Margaret Price, Christel Borchers, Claes H. Ahnsjö, Karl Helm

Philharmonischer Chor München,

Münchner Philharmoniker

EMI

1982, live

31:41

 

Auch bei Bruckners „Te Deum“ ist das Tempo für den Dirigenten Sergiu Celibidache keine festgesetzte Größe, sondern eine Variable. Er selbst meinte dazu (zitiert nach Wolfgang Schreiber: „Andere Wege zur Musik“): „Tempo ist nicht eine Realität an sich, sondern eine Bedingung. Ist da eine enorme Vielfalt, die zusammenwirkt, so brauche ich mehr Zeit, um damit etwas musikalisch anfangen zu können“. Anders als bei Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ bei deren Vergleich der diversen Einspielungen auch eine von „Celi“ dabei war, bei der der Meister trotz einfacher Struktur sehr langsam vorging, wäre dieses Mal festzustellen, dass ihm Länge beim „Te Deum“ nicht in Langeweile umschlägt. Es ist eine durchaus erfüllte Zeit und manches hört man regelrecht neu, weil andere drüber wegmusiziert haben. Es mangelt gegenüber Jochum vielleicht an Drama, nicht jedoch an Feierlichkeit und die Transparenz des komponierten Gewebes wirkt frappierend. Die Teile 2 und 4 erhalten sogar einen meditierenden Charakter. Und Selbstreflektion kann auch einem Katholiken nichts schaden, sollte somit in einem „Te Deum“ per se also kein Fremdkörper sein. Zumal die Philharmoniker zuallererst aber auch die Solisten (allen voran Margaret Price) das Tempo mitgehen können ohne zu „verhungern“. Das gegenseitige aufeinander Hören scheint bereits in der frühen Phase der Zusammenarbeit (Chef der Philharmoniker war er von 1979 bis 1996) gefruchtet zu haben, denn die Stimmen wirken eng miteinander verwebt und erhalten ein der Komposition entsprechendes Gewicht.

Dieser Mitschnitt, es ist der mit großem Abstand langsamste aller Vergleichsaufnahmen stammt aus der Münchner Lukaskirche. Erfreulicherweise hat man eine überhallige Kirchenakustik vermeiden können, was der geistigen Klarheit der Darbietung sozusagen in die Karten gespielt hat. Es beginnt wenig Allegro, dafür umso feierlicher. Wie bereits erwähnt haben Celis Tempi nicht unbedingt mit dem Werk direkt zu tun, so hat sicherlich auch die Akustik dazu beigetragen die Struktur deutlich zu halten. Die Stimmenverläufe sind sehr deutlich, jedoch nicht schulmeisterlich. Die Textverständlichkeit auch des Chores ist sehr gut. So wird das Tempo plausibel. Die Relationen stimmen.

Die Solisten sind gut bis hervorragend. Vor allem der Sopran von Margaret Price berückt ein ums andere Mal. Wenn sie singt scheint alles andere fast zu verschwinden, so sehr fordert sie die Aufmerksamkeit der Hörerschaft. Darf man ihr das zum Vorwurf machen? Zumal ihr Vortrag bei aller Schönheit natürlich, unaffektiert und lebendig wirkt. Da haben wir Glück, denn wir haben einen großen Tag von ihr erwischt. Sinnlicher hören wir die Sopranstimme in unserem Vergleich nicht mehr. Kein Vergleich zu ihrer Darbietung im „Requiem“ von Fauré, in dem sie ebenfalls den Sopranpart in Celis Aufnahme ausfüllte. Auch der Tenorpart ist gut besetzt, wenngleich Claes H. Ahnsjö nicht an den verschwenderischen Glanz der Price heranreicht. Wie sollte er auch? Er muss viel Kraft aufwenden, um ihr halbwegs ebenbürtig zu sein. Alt und Bass benötigen diese Eloquenz gar nicht, ihre Partien sind nur im Quartett von Bedeutung und da erfüllen sie ihre Aufgabe gut. Karl Helm wirkt in seinem kurzen Solo stark bemüht.

Beim Chor wirken die Tempi nicht immer ganz erfüllt, wenngleich es ihm an Wucht nicht fehlt, während die Philharmoniker an Celis Tempi gewöhnt sind. Sie spielen detailreich und klangschön. Die Textverständlichkeit von Solisten und vom Chor ist exzellent.

Das Violinen-Solo hat die richtige Balance und klingt sehr schön. Es wirkt gegenüber dem Tenor gleichwertig, so wie es Bruckner wollte.

Die dynamischen Vorgaben werden sehr gut umgesetzt. Entsprechend kontrastreich hören wir das Werk, zudem enorm farbig und mit großer Klangfülle. Sinnlicher kann man die Verehrung Gottes kaum zu Gehör bringen.

Für den Partitur-Leser ist diese Einspielung ein Labsal, da man die Stimmen, die man liest alle in großer Sorgfalt vor sich ausgebreitet auch hören kann. Bruckner selbst wäre wahrscheinlich von seinem Werk in dieser Darbietung überrascht, ob es seinen Intentionen so entsprochen hätte und es ihm gefallen hätte, müssen wir leider offenlassen. Die Steigerungen wirken irisierend, das gesamte Erscheinungsbild der Aufnahme ist höchst differenziert, eindrucksvoll und imponierend. Die Tempi sind weitgehend konstant gehalten. Der Dirigent hatte einen fest gefügten Plan.

Der Klang der Live-Aufnahme ist plastisch und besonders deutlich. Es wird ein ausgezeichneter Kompromiss von Präsenz und Räumlichkeit erzielt. Er dürfte auch anspruchsvolle Hörer/innen zufriedenstellen. An die Orgel können wir uns nicht mehr erinnern. Wurde da überhaupt eine bespielt?

 

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5

Helmuth Rilling

Pamela Coburn, Ingeborg Danz, Christian Elsner, Franz-Josef Selig

Gächinger Kantorei Stuttgart,

Bach-Collegium Stuttgart

Hänssler

1996

25:23

 

Dass Helmuth Rilling ein genuiner Chordirigent ist und er mit Chören allgemein und speziell mit dem Werk Bruckners viel Erfahrung hat sammeln können, merkt man seiner Darbietung durchaus an. Sie hat sozusagen „Hand und Fuß“. Sie steht in etwa zwischen den Darbietungen von Jochum und Celibidache, ohne selbst an die Individualität der beiden heranzukommen. Sie macht jedenfalls mächtig Eindruck zunächst durch das gedrungene, jedoch rhythmisch durchpulste Tempo, später auch durch die überzeugend dargestellte Monumentalität. Der Chor wirkt in allen Stimmen homogen besetzt und singt sehr differenziert. Die Musik macht einen ernsten Eindruck, sie hat aber genug Freiraum zu strömen und lässt so auch Gefühle zur Entfaltung kommen. Der Jubel wirkt nicht außermusikalisch aufgesetzt, sondern glaubwürdig.

Für die Sopranistin scheint die Partie zu hoch zu liegen, zumindest anfänglich hat sie mit ihr ein wenig zu kämpfen. Das bessert sich im Verlauf jedoch. Christian Elsner singt seinen Part intonationssicher und unangestrengt, er hält eine glückliche Balance im Quartett und zur Solo-Violine. Auch sein Vortrag selbst wirkt ausdrucksvoll und ausgewogen. Einer der Besten. Pamela Coburn übertreibt ihre Bemühungen ein wenig um das Quartett zu überstrahlen, das muss sie allerdings als Sopranistin im gewissen Maße auch, zumeist fügt sie sich aber gut ein.

Das „Aeterna fac“ wird nicht verhetzt (wie Barenboim in seiner Aufnahme von 1969), sondern intensiv dargeboten. Im Teil 4 zeigt uns der Bass von Herrn Selig, wie man das kleine, aber schwierige Solo souverän gestaltet. Er macht das in gleichbleibender Qualität drei Mal: zuvor bereits bei Guttenberg, danach erneut 2022 bei Thielemann, also über 26 Jahre hinweg. In Abschnitt 5 neigt Rilling schon früh zum Ritardando, hält die Musik jedoch noch gut im Fluss. Die Chorfuge am Ende fällt besonders durch den brillanten Chorsopran positiv auf (da sind die „Engelszungen“ wieder, an die Gustav Mahler dachte). Bei „a tempo“ findet Rilling wieder zum richtigen Tempo zurück um dann zusätzlich zu beschleunigen.

Ähnlich Jochum wirkt diese Maßnahme jedoch nicht veräußerlicht, wenn auch weniger entgrenzend als bei dem Bayern. Rillings Darbietung bietet einen souverän gestalteten, sehr differenzierten und ziemlich gefühlvollen Zugang zum Stück. Die große Erfahrung mit geistlicher Musik merkt man der Darbietung durchaus deutlich und positiv an. Trotz der gelegentlichen Tempomodifikationen, die ihren Ursprung nicht unbedingt in der Partitur haben, nicht zuletzt wegen der überzeugenden, erhebenden Wirkung sehr empfehlenswert.

Zum Klang der Aufnahme: Die Solisten klingen sehr präsent, die Proportionen werden dennoch unter allen Beteiligten sehr gut gewahrt. Die Räumlichkeit ist plausibel, die Hallzugabe erfreulich gering. Der Raum schwingt auf natürliche Weise mit der Musik mit. Das leicht reduzierte Tempo macht sich dabei positiv bemerkbar. Gegenüber der 65er Jochum wirkt die Brillanz erheblich reduziert. An das Berliner Blech kommt man sowieso so leicht nicht heran, aber es liegt auch an der Aufnahmedisposition allgemein. Falls eine Orgel mit von der Partie war, muss sie sehr leise gewesen sein. Wir haben keine gehört.

 

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4-5

Christian Thielemann

Camilla Nylund, Elena Zuidkova, Benjamin Bruns, Franz-Josef Selig

Sächsischer Staatsopernchor,

Staatskapelle Dresden

Mitschnitt einer Radiosendung des MDR

2022

25:17

 

Dies ist ein Teil des Mitschnittes eines der Konzerte, die am 12. und 13.2.2022 anlässlich des Gedenkens an die Zerstörung der Stadt durch die Bomberstaffeln der Alliierten 1945 in der Semperoper stattgefunden haben.

Christian Thielemann ist unseres Wissens der einzige Dirigent, der ungefähr gleichzeitig (!) den Zyklus aller Sinfonien Bruckners zwei Mal aufgenommen hat. Für Hänssler (mit Hilfe des MDR mit der Staatskapelle Dresden) und für Sony (mit den Wiener Philharmonikern). Dass das „Te Deum“ dabei noch nicht mit veröffentlicht wurde, ist sicher ein Versäumnis. Noch ist aber nicht aller Tage Abend.

Mit Camilla Nylund sind wir nicht ganz glücklich geworden. Ihr Sopran wirkt nicht immer glockenklar und sie scheint ihrerseits mit den Spitzentönen ihrer Partie nicht ganz glücklich zu sein. Das ist eben Live. Passagenweise legt sie für unseren Geschmack viel zu viel Vibrato auf. Wir sind zwar in der Semperoper, aber nicht bei einer Opernaufführung. Benjamin Bruns´ hell timbrierter Tenor wirkt nicht immer ganz intonationssicher in den ff-Passagen, artikuliert aber sehr klar und deutlich. Er steigert sich im Verlauf der Aufführung und die Soli in den Abschnitten 2 und 4 wirken aus der Ruhe heraus gestaltet und voller Andacht. Das Duo mit der Solo-Violine, die in dieser Aufführung weniger umschmeichelt, sondern durchaus selbstbewusst das Ihre beiträgt, gefällt sehr gut. Sie spielt exakt so laut, wie der Tenor singt. So hatte es sich Bruckner gedacht (zumindest hat er es so in seine Noten geschrieben). Herr Selig singt nach den Einspielungen mit Guttenberg und Rilling erneut souverän. Er erscheint uns derzeit als Idealbesetzung. Der Chor der Semperoper hat ein sehr gutes Niveau, kann sich aber kaum mit der Homogenität des Chores des BR messen. Anscheinend stand dieses Mal der MDR-Chor aus Leipzig nicht zur Verfügung, der in anderen Jahren die Aufnahmen mit der Staatskapelle bereits häufig veredelt hat. Das Orchester besticht erneut mit seiner warmen und leuchtenden Sonorität, die es in besonderem Maß an den Tag legt, wenn Thielemann dirigiert.

Bei „Non confundar“ wird auch Thielemann (darin Karajan nicht unähnlich) ein wenig breiter. In der Coda klingt das Dresdner Blech völlig unforciert und edel, man lässt dem Chor bei seinem fff sozusagen „freie Bahn“, zumindest wenn der vom MDR gelieferte Radio-Sound nicht täuscht. Gerade wenn man an den drängend-bekennenden Jubel der Jochum-Einspielungen denkt, so wirkt der Gestus bei Thielemann verhaltener und nachdenklicher. Als spiele da eine gewisse Skepsis mit herein. Affirmativ wirkt die Interpretation jedenfalls nicht. Erheblich weniger durchglüht, besonnener, aber auch moderner. Der kompositionsimmanente Jubel verbindet sich bei ihm mit Zweifel, aber auch Hoffnung. Er stellt das Ende als ein offenes dar, lässt es sanfter verklingen. Auf seine Weise ebenfalls überzeugend.

Der gesamte Klangapparat ist sehr transparent und ausgewogen eingefangen worden. Alleine schon die gesteigerte Transparenz hilft, das Affirmative des Werkes zu mindern (bei Celibidache war es ganz ähnlich). Das warme und mild wirkende Klangbild trägt das seinige dazu bei. Der Bass wird gut durchgezeichnet. Auch bei dieser Aufführung war die Orgel offensichtlich so dezent und leise, dass wir sie nicht wahrgenommen haben.

 

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4-5

Eugen Jochum

Maud Cunitz, Gertrude Pitzinger, Lorenz Fehenberger, Georg Hann

Chor und Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

DG

1950

22:46

 

MONO  Dies ist, zumindest was unseren Vergleich betrifft, die erste Aufnahme unter Studiobedingungen. Dass das Werk für den Dirigenten eine gesteigerte Bedeutung haben musste, sieht man schon alleine daran, dass er es als eines der ersten Werke nach Gründung des Orchesters 1949 überhaupt bereits 1950 von der DG aufnehmen ließ. Den Chor gab es hingegen unter anderem Namen schon länger und wurde schon 1946 neu gegründet.

Das Konzept stand für Jochum bereits 1950 felsenfest, am Gestus der Aufführung erkennt man ihn sogleich, wenn man die 1965er Aufnahme kennt, als ihren Spiritus Rector. Ganz besonders energisch und kraftvoll und für die Zeit der Aufnahme bereits erstaunlich transparent. Das präsent klingende Solistenquartett wird sehr deutlich vom Chor und Orchester separiert, der Chor selbst klingt bereits sehr deutlich. Was für ein Unterschied zum Live-Dokument mit Karajan von 1952 aus Perugia (davon später mehr). Der Chor hat noch nicht die Qualität von heute, singt aber voller Inbrunst, genauso spielt auch das Orchester. Da ist bereits die volle Emphase dabei, ohne dass es so aufdringlich klingen würde wie bei Barenboim 1969.

Der Tenor hat eine gute und durchdringende Stimme, er singt auch präzise, wirkt auf uns jedoch ein wenig theatralisch. Im Ausdruck zieht er fast alle Register. Er begegnet uns erneut in der Live-Aufnahme Jochums von 1954.

Der 3. Teil, das „Aeterna fac“ wirkt sagenhaft angetrieben, dramatisch und intensiv. Da klingt nichts aufgesetzt, sondern es wird aus dem Vollen geschöpft. Im 4. Teil, dem „Salvum fac“ kann sich die gut spielende Solovioline nicht immer gegen den Tenor durchsetzen, der klingt und singt wie ein (recht leichter) Heldentenor. Dynamisch singt er differenziert und es gelingt ihm als einer der wenigen beim ff nicht zu forcieren, auch nicht bei den von Bruckner hervorgehobenen Spitzentönen und nach den Sext-Intervallen nicht. Nach dem so wunderbar innig wirkenden „Salvum fac“ schafft das anschließende Allegro einen denkbar großen (herzhaften) Kontrast. Im 5.Teil („In Te, Domine speravi“) klingen die Solisten, aber auch Chor und Orchester (Blech!) sagenhaft strahlkräftig. Alle machen so einen hochmotivierten („beseelten“) Eindruck. Auch diese Einspielung wirkt eindringlich und überzeugend, erheblich stimmiger als die Karajan-Einspielungen jener Zeit. Hier passen die eingesetzten Mittel unserer Einschätzung nach ganz genau zu den kompositorischen Erfordernissen. Jochum findet das richtige Tempo, schreckt allerdings auch nicht so mit Übertreibungen ab, wie sein österreichischer Berufskollege. Wenn es eine Aufnahme geben sollte, der es gelingen könnte einen Ungläubigen (oder eine Ungläubige) zu bekehren, dann wäre diese sicher in der engsten Auswahl.

Der Klang der Aufnahme ist erheblich klarer und detailreicher als die 52er Karajans aus Perugia. Die Dynamik überrascht durch ihre beherzte Art. Die Orgel klingt deutlich aber nicht plakativ heraus.

 

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4-5

Eugen Jochum

Anneliese Kupper, Ruth Siewert, Lorenz Fehenberger, Kim Borg

Chor und Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Orfeo

1954, live

21:50

 

MONO  Diese Aufführung wurde 1954 im Deutschen Museum München mitgeschnitten. Es gibt musikalisch kaum Unterschiede zur 50er Studio-Einspielung zu erwähnen. Der Gestus ist erneut spannend und konzise. Felsenfest trifft Jochum den richtigen Ton für das Werk und ohne fehlgeleitete Übertreibungen sollte er damit auch das Herz der Hörer/innen anrühren können. Die Inbrunst ist dramatisch geprägt. Vielleicht denkt man instinktiv, dass am Gehörten nicht Falsches anhaftet und man wehrt sich nicht dagegen. Uns ist es bei allen drei Aufnahmen mit Jochum so ergangen.

Der Tenor, wir kennen ihn bereits von der 50er DG-Aufnahme singt erneut überzeugend und dass die anderen drei Solisten ihm gegenüber nachstehen würden, kann man nicht behaupten. Das Bass-Solo singt Kim Borg etwas konsistenter bei den tiefsten Tönen als Georg Hann, der etwas sonorer wirkt. Aber, und das gilt für alle Solisten gleichermaßen, er ist weiter weg vom Hörer, klingt lange nicht mehr so präsent.

Ein grober Fehler oder böser Schnitzer passiert vor dem Teil 5, entweder bei der Aufführung (was angesichts der Kompetenz Jochum fast unmöglich scheint) oder beim Schnitt (was höchst wahrscheinlich wäre), denn die Fermate, die die alle Teile jeweils vom nächsten Teil separiert, also auch den 4. Teil vom 5., und die Pause mit der der Teil 5 beginnt wurden ersatzlos weggeschnitten.

Jochum inszeniert nicht, bei ihm wirkt alles echt, unverrückbar und sehr überzeugt bzw. überzeugend.  Obwohl der 54er Jahrgang auf der Zeitschiene etwas zügiger abschneidet, ist de Facto 1950 noch mehr Zug dahinter. Sie wirkt noch strahlender und kräftiger. Da mag die DG-Technik durch ihre gesteigerte Präsenz die Hauptverursacherin gewesen sein. Ansonsten erscheinen und die beiden Monos als gleichwertig.

Zum Klang der Aufnahme: Das Solistenquartett klingt diffuser, da es nicht mehr so an der Rampe zu stehen scheint. Transparent klingt es jedoch immer noch. Die Technik ist den Klangmassen generell erstaunlich gut gewachsen. Sie wirkt sogar etwas räumlicher und etwas voluminöser als 1950. Die Orgel ist gut hörbar, ohne den Gesamtklang zu verunklaren. Das Blech wirkt nicht mehr so strahlend wie 1950. Klanglich ist die 65er in Stereo sowieso die erste Wahl.

 

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4-5

Bruno Walter

Frances Yeend, Martha Lipton, David Lloyd, Mark Harrel

Westminster Choir,

New York Philharmonic Orchestra

CBS-Urania

1953

19:55

 

MONO  Von ähnlicher Überzeugungskraft getragen wirkt auch die Einspielung von Bruno Walter. Es gibt noch zwei Live-Aufnahmen mit ihm, die uns leider nicht zum Vergleich vorlagen. Sie Solist/innen knien sich aufopferungsvoll in die Bewältigung ihrer Aufgaben. Vor allem die Sopranistin klingt ein wenig hart, was ihrem Engagement jedoch keinerlei Abbruch tut. Der Chor scheint stark besetzt zu sein und singt ausgesprochen dynamisch. Die Weite von p bis zum fff kann er spürbar werden lassen. Dem aufmerksamen Leser wird es nicht entgangen sein, Bruno Walter bereichert die Diskographie des Werkes mit der zügigsten Aufnahme. Eigentlich hat er es ganz richtig erkannt, denn ähnlich wie in Beethovens 7. Sinfonie gibt es auch in Bruckners „Te Deum“ kein langsames Tempo. Moderato für den Teil 2 „Te ergo“ und Teil 4 „Salvum fac“ ist bereits das langsamste Tempo. Und so kompromisslos durchgezogen hört es sich bei Herrn Walter auch an.

Das Zusammenspiel von Tenor und Violine ist klanglich ausgewogen. Der Tenor steht der Sopranistin hinsichtlich empathischen Singens nicht hintan. Die Textverständlichkeit ist trotz des (zumindest in unserer Urania-Version) leicht antiquiert wirkenden Sounds gut. Auch im aufgetriebenen Tempo des „Aeterna fac“. Besonders im „Salvum fac“ fällt das flotte Tempo auf. Beim pp könnte der Tenor etwas leiser singen, die Violine etwas leiser spielen. Der Bass klingt in seinem Solo „schwarz“ wie kaum ein anderer (außer Gottlob Frick), er „orgelt“ jedoch ein wenig. Im letzten Teil entwickelt das straffe Tempo Walters erhebliche Sogkraft. Man ist mit gesteigerter Verve dabei.

Die Darbietung entwickelt mit ihrem energischen Zugriff erhebliches Feuer. Der standfeste und stimmstarke Chor und ein prächtig disponiertes Orchester sind für Walter dafür die besten Garanten. Obwohl das Werk ähnlich durchglüht erscheint wie bei Jochum hört es sich doch auf eine kaum zu beschreibende Art ganz anders an.

Auffallend am Klang der Aufnahme ist die prominent herausgestellte Orgel, die zur Verbesserung der Dynamik einiges beizutragen hat. Die Balance von Chor und Orchester ist sehr gut gelungen. Dank der präsent aufgenommenen Orgel liegt auch ein deftig zulangender Bass vor. Für ein „vernünftiges“ Fundament sorgt die Orgel ebenfalls.

 

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4-5

Volkmar Andreae

Emmy Loose, Hilde Rössel-Maydan, Anton Dermota, Gottlob Frick

Wiener Singverein,

Wiener Symphoniker

Discothèque Ideal de Diapason

1953, live

20:55

 

MONO  Diese Aufnahme mit dem Schweizer Dirigenten, der übrigens zu den Bruckner-Enthusiasten unter den Dirigenten gehörte, denn er hatte, was heute sicher nur noch wenigen bekannt sein dürfte, mit den Wiener Symphonikern in den 50ern eine Gesamtaufnahme der Sinfonien (live) vorgelegt, lädt zu einem Vergleich mit der ein Jahr zuvor gemachten Mitschnitt mit Karajan in Perugia ein. Sowohl der Chor als auch das Orchester sind namentlich dieselben.

Das Solistenquartett ist durchweg hochwertig und hat es nicht nötig zu forcieren, die Sopranistin macht das gut, der Tenor sogar hervorragend. Er kann sowohl die lyrischen Teile als auch die Teile seiner Partie, die den virilen Teil der Stimme fordern, voll umsetzen. Der Chor macht einen erheblich besseren Eindruck als ein Jahr zuvor in Perugia. Er klingt zwar immer noch nicht intonationsrein aber doch auf eine weniger gewalttätige Art als bei Karajan klangvoll. Das Tempo ist mehr als zügig, fast so schnell wie bei Bruno Walter, dessen Aufnahme aus dem gleichen Jahr dieser Einspielung ähnelt. Der Gestus ist dynamischer als bei Karajan und wirkt lebendiger.

Teil 2 wirkt als entspannende Oase, Teil 3 besonders heißblütig in Gestus und Tempo. Gottlob Frick überzeugt uns bereits drei Jahre vor der Berliner Einspielung (1956) mit Karl Forster völlig.

Teil 5 „In Te, Domine, speravi“ wirkt sehr durchzugsstark, auch in dieser Einspielung dominiert die Sopranistin das abschließende Quartett. Die Fuge gelingt sehr transparent, leider erweisen sich auch in dieser Einspielung die Soprane des Chores nicht gerade als die beste Stimmlage des Chores. In der Fuge fällt es besonders auf, da sie auch Mal alleine zu singen haben. Vielleicht auch nur weil sie nun mal die exponierteste Stimmlage ist, fällt sie besonders auf. Nicht unangenehm, aber auch nicht besonders sattelfest.

Bei Herrn Andreae gibt es keine unangemessene Verbreiterung bei a tempo wie bei Karajan. Dieser (Un)tugend blieb Karajan übrigens treu bis zu seiner letzten Aufnahme 1984. Der Einspielung Andreaes gebührt eine besondere Empfehlung wegen des Tenores von Anton Dermota und Volkmar Andreae selbst, dem wir eine besonders straffe und spannende Darbietung des in so vielen Aufnahme eher sperrig wirkenden Stückes verdanken. Wie aus einem Guss klingt es bei ihm.

Leider ist der Klang der Aufnahme nicht gerade optimal. Chor und Orchester (besonders zusammen) wirken im Tutti dicht, also wenig transparent. Wenn einzelne Akteure gefordert sind, klingt es sogleich viel besser. Das Solistenquartett ist sehr präsent zu hören. Auch die Orgel ist hörbar. Die Klangqualität des Karajan-Mitschnitts aus Perugia ein Jahr zuvor wir deutlich übertroffen. Wir hören ein beträchtliches Rauschen.

 

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4-5

Wolfgang Sawallisch

Susan Anthony, Marianne Rohrholm, Donald Kaasch, René Pape

Chor und Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Mitschnitt einer Radiosendung des BR

AD: ?, live

22:27

 

Wolfgang Sawallisch hat einige Sinfonien immer wieder gerne auf seine Programme gesetzt und es existieren auch Aufnahmen davon. Vom „Te Deum“ scheint jedoch keine Einspielung auf Tonträger vorzuliegen.

Die Sopranistin ist ein kleines Problem der Live-Aufnahme. Sie singt mit viel Vibrato und mit viel Strahl in der Stimme, sodass sie das Solistenquartett in einigen wenigen Passagen leider übermäßig dominiert. Auch der Tenor, ebenfalls mit viel Vibrato und in f und ff mit viel „Metall“ in der Stimme, hat dann einen schweren Stand gegenüber ihr. Zumeist wirkt das Quartett jedoch recht homogen. Der Bass René Papes reiht sich bei den besten ein. Sein Solo ist frei von Problemen und klingt sehr schön.

Chor und Orchester zeigen erneut ihre Klasse, alles klingt voll und transparent zugleich, das Blech spielt mit glanzvoller Strahlkraft ohne herauszuschreien. Die Darstellung macht einen angenehm zügigen Eindruck. Die Oboe bei den kleinen Soli gefällt durch ihr Engagement und ihren warmen, weichen und flexiblen Klang. Die Fuge klingt bestechend klar. Herr Sawallisch versteht das „a tempo“ bei „Non confundar“ nicht als Aufforderung langsamer zu werden. Erst kurz vor der Coda verlangsamt er, um ihr mehr Bedeutung zu verleihen. Das Stück macht insgesamt einen gut durchdachten und stringenten Eindruck. Den Glanz und die Emphase von Jochum erreicht sie jedoch nicht.

Der Klang der Aufnahme, deren Datum bei der Sendung leider nicht genannt wurde, ist über das ganze Ensemble gesehen sehr transparent. Auch das Solistenquartett klingt erheblich präsenter als der Mitschnitt des SFB (heute RBB) mit Reinhard Schwarz. Chor und Orchester stehen in einer harmonisch wirkenden Relation zueinander. Dass der Mitschnitt höchstwahrscheinlich in einem sakralen Aufnahmeraum gemacht wurde, bemerkt man eigentlich nur am lang nachhallenden Schlussakkord.

 

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4-5

Karl Forster

Agnes Giebel, Marga Höffgen, Josef Traxel, Gottlob Frick

Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale,

Berliner Philharmoniker

EMI, Editions Audiovisuel Beulah, Maestro, Classico Ivano

1956

21:46

 

MONO  Der Chor in dieser Aufnahme klingt recht voluminös, ist sehr gut verständlich und seine Diktion wirkt sehr klar. Er singt teilweise auffallend rhythmisch. Allerdings wirkt die Dynamik sehr wenig ausgeprägt, d.h. den Unterschied zwischen p oder ff bemerkt man eigentlich nur an der Art des Singens, nicht aber an der tatsächlichen Lautstärke. Das mag aber ein eher technisches Problem gewesen sein und wäre kaum dem Chor anzulasten. Da man dieses Phänomen auch beim Orchester und ansatzweise auch bei den Solisten bemerkt, stärkt diesen Eindruck.

Der Sopran Agnes Giebels gefällt uns sehr gut und auch der Tenor Josef Traxels, der diskographisch immer ein wenig im Schatten Fritz Wunderlichs gestanden hat, ist ein Pluspunkt dieser Einspielung. Das Bass-Solo ist eines der stimmstärksten und „schwärzesten“ des ganzen Angebotes. Gottlob Frick hat die von Bruckner verlangte Tiefe locker drin. Das gesamte Solisten-Quartett hält ich beim Vibrato auffallend zurück, sodass neben den starken Stimmen auch der Gesangsstil sehr gefällt und erstaunlich modern anmutet. Man weiß, dass das Stück zuallererst sakral zu denken ist. Das Theatralische sollte nur einen kleinen Teil der Stilistik beeinflussen, wenn man es überhaupt mit in die Interpretation hineinnehmen möchte. Das Violinen-Solo klingt prima.

Das Verhältnis zwischen Chor und Orchester wirkt nicht ganz ausgewogen, da der Chor wirkt leicht übergewichtet erscheint. Eine Eigenschaft, die uns bei einigen Aufnahmen aufgefallen ist, bei denen genuine Chorleiter die Gesamtleitung hatten. Er fühlt sich dem Chor vielleicht mehr verbunden und kümmert sich auch mehr um ihn.

Die Darbietung als solche ist strukturbetont und klar in ihrem Aufbau. Sie wirkt sorgfältig einstudiert, verfügt über ein sehr gutes Solistenquartett, einen guten Chor und über ein zuverlässiges, klangstarkes Orchester. Sie steht jedoch vor allem klangtechnisch hinter der zweiten Einspielung mit den Berliner Philharmonikern mit Eugen Jochum zurück.

Abgesehen von der Original-EMI klingt die Aufnahme als Classico Ivano am transparentesten. Beulah und Maestro fallen deutlich ab. Das Solistenquartett klingt erfreulich präsent, was die Freude an seinem Gesang natürlich noch verstärkt.

 

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4-5

Heinz Rögner

Magdalena Hajossyova, Rosemarie Lang, Peter-Jürgen Schmidt, Hermann-Christian Polster

Rundfunkchor Berlin,

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Berlin Classics, Ars vivendi, Deutsche Schallplatten, Brilliant

1988

23:26

 

Aus dem zumeist ausgewogenen Solisten-Quartett ragt Frau Hajossyova mit ihrem strahlkräftigen, aber keinesfalls harten, jugendlich anmutenden Sopran ein wenig heraus. Herr Schmidt muss da schon an seine Grenzen gehen, um mithalten zu können. Man hat es ihm und seinen drei Mitstreitern aber auch zusätzlich schwer gemacht, indem man die Solisten sehr weit in die Ensembles eingefügt hat. Alle Stimmen hätten dann markanter geklungen. Aber jede Medaille hat ihre zwei Seiten, denn auf diese Weise ist der Gesamtklang hier ganz besonders homogen geraten.

Der Chor singt hervorragend, schlank und präzise. Schwächen wird man ihm nur schwerlich nachweisen können. Er erdrückt nicht mit seiner Masse und hat die Substanz, die ihm auch ein echtes klangvolles pp erlaubt. Herr Rögner hält seine beiden Ensembles sehr gut zusammen, was man besonders erwähnen muss, denn die starken Tempokontraste und -modifikationen hätten das Zusammenbleiben sonst erheblich gefährden können. Sie wirken übrigens organisch und nachvollziehbar und erhöhen die Spannung durchaus. Das lockere, leichte „Alla breve“ in der Coda muss man den Berliner Ensembles erst einmal nachmachen.

Wir empfanden diese Interpretation als besonders bewegt, eine Betonung der Monumentalität über das Komponierte hinaus erfolgt nicht, im Gegenteil, es scheint, dass man davon wegkommen möchte. Der Lobpreis erfolgt stattdessen innig und mit der aus Rögners Sicht anscheinend gebotenen demütigen Einstellung.

Die Transparenz der Aufnahme ist ausgezeichnet. Chor, Orchester und sogar das Holz (das ist oft der Verlierer in dem passagenweise dichten Tonsatz Bruckners) kommen zu ihrem Recht. Die Aufnahme ist erheblich dynamischer als die Herbert Kegels, auch offener. Man vermeidet erfolgreich eine „gewalttätige“ Wirkung (durch Blech und Chor). Die Solisten stehen nicht an der Rampe, sondern werden weit in das Gesamtensemble integriert. Es fehlt der Aufnahme jedoch an Glanz, der Gesamteindruck bleibt seltsam matt. Das ist bedauerlich.

 

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4-5

Enoch zu Guttenberg

Angela Maria Blasi, Petra Lang, Herbert Lippert, Franz-Josef Selig

Tschechischer Philharmonischer Chor,

Tschechisches Philharmonisches Orchester, Brünn

Sony

1995

22:11

 

Georg Enoch Robert Prosper Philipp Franz Karl Theodor Maria Heinrich Johannes Luitpold Hartmann Gundeloh Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg, so der vollständige Name des Dirigenten, legt eine durchweg straff dirigierte Einspielung des „Te Deum“ vor. Im ersten Teil macht die pralle, frech aufwirbelnde Pauke (bis zum fff) auf sich aufmerksam. Ein Detail, das von der Anweisung in der Partitur gedeckt wird und dem viele Dirigenten zu wenig Bedeutung beimessen. Es hilft mit, die Gleichförmigkeit, mit der manche Dirigenten den ersten Teil angehen, aufzubrechen.

Frau Blasi verfügt über eine sehr schöne, sinnlich wirkende Sopranstimme. Wo andere tüchtig Kraft in den Vortrag reinlegen, wirkt sie mitunter schon fast entrückt. Auch Herbert Lipperts Tenor hinterlässt mit seiner jugendlich wirkenden Stimme einen sehr guten Eindruck. Er phrasiert sorgfältig und differenziert. Im 2. Teil wirkt sein Vortrag innig, die Spitzentöne werden gut hervorgehoben, ohne dass er sie dazu herausstemmen müsste. Die Solovioline erhält das ihr zustehende Gewicht. Obwohl sie sehr leicht wirkt, fällt sie gegenüber dem Tenor kaum ab. Selig singt sein einziges Solo auch in seiner ersten uns bekannten Aufnahme mit sonorem Bass sehr souverän. Guttenberg scheint sich die Besetzung „seines“ Solistenquartetts sehr gut überlegt zu haben. Es klingt sehr ausgewogen, wobei man den Tenor ein wenig hervorheben muss, denn ihm gelingt es gegenüber der tollen Sopranistin locker mitzuhalten.

Teil 4 klingt straff, aber nicht so verhetzt wie beim jungen Barenboim. Der Chor singt geschmeidig, präzise und voluminös. Im anspruchsvollen letzten Teil wirkt die Transparenz beispielhaft, auch in der Fuge, es gefallen besonders die ätherischen Soprane (Mahlers „Engelszungen“). Insgesamt merkt man, ähnlich wie bei Forster und Rilling, die Meisterhand des Chordirigenten. Energisch durchgezeichnet.

Die Aufnahme steht klanglich der mit den Corydons merklich zurück. Es fehlt im direkten Vergleich die beispielhafte Körperhaftigkeit und Wärme. Auch Tiefenstaffelung und Glanz bleiben zurück. Dagegen ist die fast holographische Transparenz sehr zu loben. Sowohl in der Breite als auch in die Tiefe hinein ist die Staffelung sehr gut. Auch Dynamik und Farbenreichtum sind gut.

 

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4-5

Philippe Herreweghe

Hanna Elisabeth Müller, Ann Hellenberg, Maximilian Schmitt, Tareq Nazmi

Collegium Vocale Gent,

Orchestre des Champs Elysées

Phi-Outhère

P 2020

19:51

 

Neben der Einspielung mit den Corydon Singers and Orchestra ist dies die einzige Einspielung, die aus dem sogenannten historisch informierten Lager zur Diskographie beigesteuert wird. Trotz der recht großen Besetzung (vor allem des Chores, der sich vielleicht aber auch größer anhört, als er tatsächlich ist) und des energisch-straffen Tempos wirken die Klangkörper glasklar durchhörbar.

Der vielleicht dann doch nur mittelgroße Chor singt fast intonationsrein und klingt weich und ausgewogen-homogen. Die vibratofrei geführten Stimmen wirken schlackenlos und jugendlich. Auch im fff wirkt er nicht forciert, die leichte, sichere Diktion wirkt artikulatorisch sehr differenziert. Der Solo-Sopran von Hanna-Elisabeth Müller klingt ebenfalls mit glasklarer Diktion und vibratoarm. Der Tenor singt balsamisch. Er braucht seine Spitzentöne nicht herauszudrücken, nur beim „populum“ gelingt das nicht ganz. Unter den Bässen gefielen uns Frick und Selig besser. Das Quartett harmoniert bestens miteinander. Die silbrig-hell klingende Solo-Violine kommt dynamisch ganz nah an den Tenor heran, auch im ff. Bei Chor und Orchester haben wir allerdings ff und fff schon besser differenziert gehört. Die Fuge am Ende des Werkes wirkt sehr bewegt und wird glasklar artikuliert.

Die Ausführenden werden dem hohen Anspruch, den das Werk an sie stellt vollauf gerecht, von der persönlichen emotionalen Wirkung haben uns die Einspielungen von Jochum, Best oder auch Celibidache mehr mitgerissen, staunender bzw. betroffener gemacht. Uns erschien bei allem Gelingen Herreweghes Einspielung von Faurés „Requiem“ noch ein wenig gelungener als die des „Te Deum“, falls man ausnahmsweise einmal Birnen mit Äpfeln vergleichen darf.

Von allen Einspielungen gleicht diese der von Matthew Best am meisten. Sie ist auch im ff noch gut durchhörbar, was sowohl für die Stimmen des Chores als auch die des Orchesters gilt. Die Staffelung ist ausgezeichnet (auch der verschiedenen Stimmlagen des Chores), der Bassbereich passt und wirkt differenziert. Eine Orgel ist uns nicht aufgefallen.

 

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4-5

Daniel Barenboim

Jessye Norman, Yvonne Minton, David Rendall, Samuel Ramey

Chicago Symphony Chorus,

Chicago Symphony Orchestra

DG

1981

22:24

 

Mit Daniel Barenboim lagen uns zum Vergleich drei Einspielungen vor. Er dirigiert ja auch die Sinfonien immer wieder gerne und hat sie auch zur Gänze zwei Mal (in Chicago und mit den Berliner Philharmonikern) eingespielt. Beim dritten Mal hat er sich nur die Rosinen unter den Sinfonien herausgepickt (mit der Berliner Staatskapelle). Mit ihnen mag man vielleicht nicht immer ganz „glücklich“ werden, aber das „Te Deum“ hat er zumindest zwei Mal sehr respektabel eingespielt (1981 und 2010). Auf seine erste Aufnahme von 1969 werden wir weiter unten ein wenig genauer eingehen.

1981 profitiert die Einspielung von einem klanglich sehr gut abgestimmten und ausgewogen aufgenommenen Solistenquartett und ganz besonders von den beiden Präzisionsensembles aus Chicago. Man hatte den ersten Sinfonien-Zyklus bereits vollständig eingespielt und sich so wahrscheinlich für das zum Schluss aufgesparte „Te Deum“ eine gute Basis des Verstehens erarbeitet. Das Solistenquartett wird gegenüber 1969 nun nicht mehr ganz vorne an die Rampe geholt. Keiner der vier Sänger/innen drängt sich nach vorne, auch Jessye Norman nicht, der das stimmlich sicher nicht schwergefallen wäre. Der Tenor David Rendalls fällt gegenüber Robert Tear (1969) ab. Es fehlt ihm dessen erwärmende Fülle im Timbre. Er neigt auch zu sehr zu opernhaftem Auftrumpfen, die genaue Balance zu finden ist eben nicht einfach. Die Solovioline kommt besser zur Geltung als 1969, es fehlt ihr aber zur Äquilibristik zum Tenor noch einiges an Lautstärke (vorbildlich: u. A. die Aufnahme von Celibidache). Samuel Ramey verzichtet aufs Bramarbasieren, er hat die Tiefe für das kleine Solo zur Verfügung.

Allerdings ist nicht alles gegenüber 1969 besser geworden. So wird das „Aeterna fac“ erneut durchgepeitscht, jedoch erweisen sich sowohl Chor als auch das Orchester (die Aufnahme entstand zur Ära von Georg Solti) damals noch als unerschütterlich präzise.

Das „Salvum fac“ wird dagegen fast wieder verschleppt.

Chor und Orchester bilden eine unerschütterliche Einheit, man hatte sich perfekt auf seinen dirigierenden Gast vorbereitet. Im Ganzen wirkt die Darbietung jedoch ziemlich kühl in den lyrischen Abschnitten, trotz des oft nachgebenden Tempos.

Im Teil 5 („in Te, Domine, speravi“) tut sich das Solisten-Quartett mit dem pp schwerer als beim ff. Jessye Norman erreicht hier, obwohl weiter ins Ensemble integriert, fast den Glanz von Margaret Price. Die Coda klingt glanzvoll.

Der Klang von 1981 wirkt sowohl beim Chor als auch beim Orchester deutlich schlanker als 1969 (EMI). Die Fülle, Tiefe und Wärme der Londoner Einspielung wird bei weitem nicht erreicht. Man darf sogar behaupten gegenüber der 12 Jahre älteren klingt diese Aufnahme brettflach. Die Transparenz hat hingegen gewonnen. Das Werk ist besser durchhörbar geworden, obwohl sich nichts über Gebühr in den Vordergrund schiebt.

 

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4-5

Daniel Barenboim

Dorothea Röschmann, Elina Garanca, Klaus-Florian Vogt, René Pape

Chor der Wiener Staatsoper,

Wiener Philharmoniker

Mitschnitt einer Radiosendung des ORF

2010, live

22:30

 

Dieser Mitschnitt wurde anlässlich des 50jährigen Bestehens des Festspielhauses in Salzburg gemacht. Es fand parallel eine Ausstrahlung im Fernsehen statt und der Mitschnitt wurde später als DVD bzw. Blu Ray bei C Major herausgebracht.

Karajan hatte die Bühne des großen Festspielhauses sehr großzügig dimensionieren lassen, da er, wie man einem mitgesendeten Interview mit ihm entnehmen konnte, bei so vielen anderen Konzertsälen, klaustrophobisch werden würde. Diese Weiläufigkeit bekommt indes nicht jedem Mitschnitt gut. So wirken bei diesem, bei dem Maestro Barenboim 68 Jahre alt war, die vier Solisten sehr weit entfernt. Der Tenor kommt so nur undeutlich „ins Bild“, zumindest ins akustische. Im Fernsehen und auf dem Bildmedium überhaupt fällt das wahrscheinlich kaum auf, weil man Klaus-Florian Vogt dann vielleicht sogar in Großaufnahme gesehen hätte. Für uns, in diesem Fall als Radiohörer, zählt jedoch nur der klangliche Eindruck. Es fällt dabei gleich auf, dass das Orchester einen größeren Anteil am akustischen „Gesamtkuchen“ bekommt als das CSO 1981. Der gut besetzte und einstudierte Chor hat aber dennoch genug Fülle und Volumen. Barenboims Tempi haben zumindest vom zeitlichen Empfinden her nachgelassen. Vor allem der unangemessene überspannte Drang der „Jugendaufnahme“ von 1969 ist einer gewissen Gelassenheit (dieses Mal nicht Spannungslosigkeit) gewichen. Die Musik kann somit besser strömen. De Facto, d.h. für die Uhr, sind die Zeiten zumindest in Summe fast gleichgeblieben.  Im „Te ergo“ wird es nun allerdings schon sehr langsam, Vogt singt es sehr andächtig und ohne äußerliche Kraftanstrengung mit seinem typischen hellen Timbre. Die Solovioline wirkt gleichberechtigt. Dieses „Zwischenspiel“ wirkt nun fast schon poetisch. Das „Aeterna fac“ wirkt zwar immer noch angetrieben, aber nicht mehr so gehetzt wie 1969.  Beim „Salvum fac“ lässt man sich viel Zeit und breitet die Lyrik aus, nähert sich fast schon der „Meditation“ Celibidaches an. Vogt singt völlig ohne jede „Kraftmeierei“. Wenn man sein helles Timbre mag, kommt seine Gestaltung sicher manch einer Idealvorstellung ziemlich nah. Da wir schon gerade bei den Solisten sind: Frau Röschmann kommt nicht an Frau Norman heran, Frau Garanca wertet ihre Partie ein wenig auf, denn man hört sie häufiger heraus als sonst. Das wirkt selbstbewusst, gefährdet jedoch noch nicht die Homogenität. Herr Pape schließlich fällt gegenüber 1996 bei Guttenberg ab, nicht stimmlich, aber in der Differenzierung der Lautstärke. Bei seinem kurzen Solo gilt es mf, f und ff zu singen. Für uns war dieses Mal alles gleich laut. Er trifft die tiefen Töne nach wie vor sehr gut.

Beim Allego-Einsatz bei T leisten sich die Philharmoniker einen Klappereinsatz. Es ist eben live. Als es Barenboim dann am Ende mit dem Applaus zu lange dauert, meint er lapidar: „Das war´s“. So locker und lässig geführt war die Darbietung dann doch nicht, aber gegenüber den beiden älteren Einspielungen (1969 und 1981) wirkt sie jedenfalls weniger affirmativ.

Der Klang der Übertragung erscheint sehr weitläufig und ebenfalls sehr transparent. Auch die Tiefenstaffelung kann (auch ohne Bild) gefallen. Es wurde damals von ORF auch über Satellit noch in 5.1 Surround Sound gesendet. Heutzutage bietet er das nur noch via Internet an. Die Orgel ist gut hörbar, beschränkt sich im Wesentlichen jedoch auf die Bassunterstützung. Der Gesamtklang wirkt erheblich leichter und lockerer als bei den beiden Studio-Aufnahmen.

 

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4-5

Franz Welser-Möst

Jane Eaglen, Birgit Remmert, Deon van der Walt, Alfred Muff

Mozart-Chor Linz,

London Philharmonic Orchestra

EMI

1995

20:49

 

Dem zur Zeit der Aufnahme gerade 35jährige Dirigent gelingt einer der feurigsten, stürmisch und ungehalten wirkenden ersten Abschnitte überhaupt. Der biegsame und ohne ein Zuviel an Vibrato schön singende Sopran Jane Eaglens erreicht nicht die sinnliche Strahlkraft von Margaret Price und auch nicht ganz die jugendliche Leichtigkeit von Judith Blegen. Die Solisten werden mehr als eine Einheit aufgenommen, d.h. jeder einzelne bleibt in das Quartett integriert. Die Stimmen werden nicht einzeln  „herangezoomt“. Das wirkt sehr homogen aber auch fast schon ein wenig blockhaft. Und man bekommt auch keine Gänsehaut, z.B. wenn ein herrlich üppiger, klarer, sinnlich wirkender Sopran virtuell direkt vor einem steht. Alles hat eben seine zwei Seiten. Die dem Stück eigenen ausgeprägten Lautstärkekontraste werden voll ausgespielt, wie die Partitur es nahelegt. Auch die pp kommen voll zu ihrem Recht. Der österreichische Chor ist mit einem diskret agierenden Sopran ausgestattet, der nicht unvorteilhaft aus dem Gesamtklang heraussticht. Man hat den Eindruck, dass der ganze Chor vorwiegend aus jungen Sängern besteht.

In Punkto Detailreichtum kommt Welser-Mösts Darbietung (ähnlich wie die Zubin Mehtas) bei weitem nicht an Celibidaches „Vergrößerungsglas“ heran. Wie wenn man im schnell fahrenden Zug sitzend aus dem Fenster schaut, fließt die Landschaft nur so am Betrachter vorbei. So ein flüchtiger Eindruck stellt sich ein, vor allem, wenn man Celis Aufnahme noch im Ohr hat. Das Tempo dominiert über die kompositorische Reichhaltigkeit. Sicher kann man da anderer Meinung sein, aber in unseren Ohren mindert das den Wert der Komposition und damit den Wert der Einspielung. Dessen wird man jedoch nur gewahr, wenn man entsprechend zugeschnittene Alternativen kennt. Für sich genommen ist die Einspielung von Herrn Welser-Möst hochwertig. Sie wird der überschwänglichen Haltung hinter dem „Te Deum“ durchaus gerecht, wirkt stringent und bodenständig. Die Besetzung ist gut, der Klang anständig. Sie ist ein vor allem im Dynamischen voll überzeugender Talentbeweis für den noch jungen Dirigenten.

Das Orchester wird von der Klangtechnik ein wenig entfernt präsentiert. Der Chor wird indes kaum weiter nach hinten gerückt. Die Orgel klingt in dieser Einspielung besonders markant heraus. Für ein Instrument „ad libitum“ erhält sie eine sehr gewichtige Rolle im Gesamtklang, ohne sich jedoch über Gebühr in den Vordergrund zu schieben (übrigens auch das ähnlich wie bei Mehta). Chor und Orchester klingen angenehm schlank; die Transparenz ist vor allem in den solistischen Passagen ausgeprägt, während sie im Tutti, besonders wenn es richtig laut zur Sache geht, spürbar nachlässt.

 

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4-5

Herbert von Karajan

Janet Perry, Helga Müller-Molinari, Gösta Winbergh, Alexander Malta

Wiener Singverein,

Wiener Philharmoniker

DG

1984

26:06

 

Herbert von Karajan muss das „Te Deum“ ganz besonders geschätzt haben. Er hat es immer wieder aufgeführt und von ihm gibt es die meisten Aufnahmen, zwei als reine Tonaufnahme unter Studiobedingungen, mindestens eine als Videoaufzeichnung und wirklich zahllose mehr oder weniger „wilde“ Live-Mitschnitte. Wir konnten zum Vergleich auf die zwei DG-Studio-Einspielungen und drei Live-Mitschnitte zurückgreifen. Dabei fiel uns auf, dass sich Karajans Konzept von der ersten bis zur letzten Einspielung kaum verändert hat (1952 bis 1984). Es ist mehr oder weniger nur ein Feilen am Detail, das Suchen der bestmöglichen Besetzung für das Solistenquartett und eine stetige Verbesserung der Aufnahmequalität über die Jahre zu beobachten. Eine zweite Konstante ist das Zurückgreifen auf immer denselben Chor, den Wiener Singverein. Das verblüfft angesichts des Perfektionismus des Dirigenten schon ein wenig, denn es ist nicht so, dass der Chor qualitativ hervorragen würde. Klarer wird seine Entscheidung, wenn man weiß, dass er 1948 Direktor und Ehrenmitglied und 1949 Mitglied auf Lebenszeit der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien wurde, zu der der Singverein gehört. Man sagt, dieser Chor aus Amateuren lebe nicht von der Musik, aber für die Musik. Das schließt künstlerische Höchstleistungen leider nicht a priori mit ein.

Bis auf seine jüngste Einspielung haben Herrn Karajans Einspielungen auf uns einen zumindest leichten bis recht stark aufdringlichen Eindruck hinterlassen. Bei der jüngsten Aufnahme gelingt es der Technik, die vom Maestro beschworenen Klangmassen am besten in die richtigen Bahnen zu lenken, ansonsten ist die mangelnde Transparenz vielleicht ihr Hauptproblem.

Wie üblich bei Karajan beginnt auch der 84er Jahrgang kraftvoll und energisch, die Überspannung von 1975 ist jedoch gewichen. Das Solistenquartett kann mit dem Ensemble von `75 nicht ganz mithalten. Es ist aber beileibe nicht schlecht und durchaus präzise. Die Wortverständlichkeit wirkt drastisch herabgesetzt und jede einzelne Stimme hat gegenüber ´75 an Ausdruck und Strahlkraft verloren. Zumeist wird mit großer Sorgfalt phrasiert, der Tenor teilweise sogar innig. Bei aller Präzision wirkt Herr Winbergh irgendwie auf uns, als sei er nicht richtig wach und singe wie in Trance. Insbesondere der Chor aber auch das Orchester profitieren noch mehr von der deutlicheren Aufnahmetechnik. Der Chor klingt nun auch etwas ausgewogener, wird vielleicht vom Chef auch nicht mehr über seine Leistungsfähigkeit hinaus gefordert. Wie es sich anhört ist der Chor erneut sehr üppig besetzt, was allerdings nichts daran ändert, dass sich der Chorsopran immer noch als Schwachpunkt darstellt.

Die Solovioline klingt sehr schön und bietet dem Tenor mit Ebenmaß gut Paroli. Das „Te ergum“ strahlt Ruhe aus, während das „Aeterna fac“ kraftvoll aber nicht überspitzt „formuliert“ wird. Das „Non confundar“ wirkt bei Karajan überdeutlich, fast wie buchstabiert. Sicher will er damit die Bedeutung des Wortes steigern, auf uns wirkt die Maßnahme jedoch eher plakativ.  Die abschließende Fuge wird karajantypisch sehr langsam genommen und wirkt chorisch fast schon entrückt.

Ähnlich den Berliner Philharmonikern neun Jahre zuvor darf das Blech der Wiener ordentlich schmettern. Die Strahlkraft ist dabei ganz enorm (vielleicht hat Karajan das Blech auch wieder verdoppelt?), es wirkt dabei leichter und lockerer als die Berliner. Deren sagenhafte Leuchtkraft (65 mit Jochum und 75 mit Karajan) bleibt jedoch unerreicht.

 

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4

Herbert von Karajan

Anna Tomova-Sintow, Agnes Baltsa, Peter Schreier, José van Dam

Wiener Singverein,

Berliner Philharmoniker

DG

1975

25:05

 

Nicht wenig auftrumpfend melden sich die Berliner Philharmoniker zu Beginn des „Te Deum“ „zu Wort“. Ihr Ostinato wirkt scharf umrissen. Das damalige Solistenquartett verfügt über durchweg „attraktive“ Stimmen. Besonders die damalige Lieblingssopranistin Karajans Anna Tomova-Sintow singt sehr schön. Aber auch Peter Schreier ist gut bei Stimme und muss nicht forcieren. Er säuselt nicht und muss im ff auch nicht schreien, ganz anders als es sein Name suggeriert. Eine eigentlich sehr gute Vorstellung. Eher könnte man sich an seiner bisweilen schulmeisterlich überdeutlichen Artikulation stören. Das wäre nach unserer Ansicht aber schon beckmesserisch, denn an seiner besonders sauberen, fast instrumentalen Stimmführung gibt es eigentlich gar nichts auszusetzen. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Ein bisschen nach „deutscher Gründlichkeit“ hört es sich aber schon an.

Der Chor besticht vor allem durch seine Masse. Völlige Transparenz der Stimmen ist allenfalls noch im p gewährleistet. Dann ist auch die Ortbarkeit der Schallereignisse sehr gut. Dies ist sicher die chorisch am besten geprobte Einspielung des Wiener Singvereins. Dennoch reicht er nicht an die besten Profichöre heran (z.B. an den Chor des BR bei Haitink). Im ff schlagen sich dann Chor und Orchester sozusagen gegenseitig die strahlende Majestät „um die Ohren“. Ein gesteigertes Interesse an der Offenlegung der kompositorischen Strukturen ist dabei nicht zu bemerken.

Das „Aeterna fac“ wirkt nicht gehetzt. Es beginnt übrigens mit einem guten, markigen Paukeneingang. Das „etwas langsamer“ wird bei Karajan zu einem deutlich langsamer (6 T. nach P) (übrigens tendenziell in allen Karajan-Einspielungen). Der Chor kann hier gut zwischen ff und fff unterscheiden, was nur den besten gelingt. Es klingt dann bei ihm jedoch schon fast gewalttätig.

Das „Salvum fac“ wird dank Schreier und dem ausdrucksvollen und klangschönen Violinen-Solo zu einem Höhepunkt der Darbietung. Auch José van Dam singt sein Solo mit der für ihn typischen balsamisch klingenden, sonoren Stimme. Auch er braucht trotz der Intervalle und der Tiefe nicht zu changieren.

Der letzte Teil wird wie immer bei Karajan langsam dargeboten und teils arg gedehnt. Insgesamt liegt aber eine straffe, sehr kontrastreiche Darstellung des Werkes vor, deren Strahlkraft in der leicht verlangsamten Coda dazu geeignet ist, die Hörenden fast aus den Socken zu hauen. Das muss man Karajan schon lassen, auf Effekte der Überrumpelung versteht er sich, während ihn die Offenlegung der kompositorischen Strukturen nicht sonderlich zu interessieren scheint.

Der Klang wirkt opulent und dynamisch. Das Holz klingt zu oft viel zu hintergründig und unauffällig. Im Tutti ist die Aufnahme wenig transparent.  Sowohl das Orchester, vor allem aber der Chor sind recht weit entfernt zu hören. Die Orgel ist gut hörbar und an ihrem Einsatz wäre nichts auszusetzen, wenn man im Bass nicht nur eine allenfalls marginale Unterstützung des übrigen Klangkörpers bemerken würde. Gegenüber den alten Live-Mitschnitten Karajans ist die Klangqualität jedoch eine deutliche Verbesserung. Die Dynamik ist stark ausgeprägt, reicht im pp fast bis zum Verschwinden des Klangs. Dann hört es sich fast wie eingenebelt an. Klanglich weiß die 84er Aufnahme aus Wien mehr zu überzeugen.

 

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4

Martin Stephani

Uta Spreckelsen, Heidrun Ankersen, Adalbert Kraus, Kurt Moll

Chor des Musikvereins Bielefeld,

Philharmonia Hungarica

Teldec

1976

23:30

 

Chor, Orchester und Dirigent sind uns bereits bei unserem Vergleich des „Te Deum“ von Giuseppe Verdi begegnet. Mit dem Werk Bruckners tun sich die Beteiligten nicht so schwer. Das zeigt sich schon im durchaus beherzten, impulsiven Beginn das der ehemaligen GMD Wuppertals vorlegen lässt. Das Orchester kann es durchaus mit wesentlich prominenter besetzten Einspielungen aufnehmen. Auch das Solistenquartett ist ausgewogen besetzt. Sopran und vor allem der Tenor verfügen über schöne Stimmen. Gerade der Tenor mit seinem teils heldenhaft aus sich herauskommenden, leichten Tenor, ragt mit seiner zumeist lyrisch geführten, warmen Stimme in diesem Ambiente heraus. Teils artikuliert er jedoch mit reichlich Vibrato, bleibt aber doch genau und differenziert. Er drängt sich nie über Gebühr nach vorne. Ein Bilderbuchtenor. Das Solo der Violine (in den Teilen 2 und 4 kommt sie ja bekanntlich als fünfter Solist hinzu) wirkt sehr gut mit dem Tenor abgestimmt. Beide Teile bilden einen starken Kontrast zum dynamisch gut gesteigerten, fast aufgetrieben wirkenden „Aeterna fac“. Das „Salvum fac“ strahlt andächtige Ruhe aus. Der Tenor ist hier einer der besten. Schönstimmig und mühelos: der Bass von Kurt Moll. Ein weiterer Hochkaräter, der dieser Einspielung guttut.

Beim Amateur-Chor aus Bielefeld sieht es ein wenig anders aus, denn man bemerkt, dass wie bei Verdi auch bei Bruckner die Männerstimmen wahrscheinlich wegen Unterbesetzung gegenüber den Frauenstimmen deutlich unterlegen sind. Das stört die Ausgewogenheit nicht unerheblich. Dem Chorsopran mangelt es ein wenig an Substanz, er wirkt ein wenig flach.

Insgesamt gefällt der Chor besser als beim „Te Deum“ von Verdi, natürlich erreicht man chorisch aber auch bei Bruckner nicht die Qualität der besten Profichöre, das wäre auch zu viel verlangt. Solistenquartett und Orchester wirken dagegen hochprofessionell.

Gut an der Aufnahme ist die teils gut vernehmbare Orgel, die das Klangbild erdet, ihm ein sattes Fundament verleiht. Es klingt transparent und mit guter Tiefenstaffelung. Darin ist man der Wiener Einspielung aus dem gleichen Jahr mit Zubin Mehta sogar überlegen. Auch die Dynamik wirkt weiter gespreizt und lebendiger als bei der Big-Budget-Produktion mit den Philharmonikern aus Wien und dem Staatsopernchor. Die Balance ist leicht zugunsten des Orchesters verschoben, was man in diesem Fall nicht als ein Mangel empfindet und das Solistenquartett ist präsent zu hören. Die Tontechniker waren also ebenfalls echte Profis.

 

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4

Zubin Mehta

Judith Blegen, Margarita Lilowa, Claes H. Ahnsjö, Peter Meven

Chor der Wiener Staatsoper,

Wiener Philharmoniker

Decca

1976

20:57

 

Auch Zubin Mehta mag „seine“ Orgel präsent und wuchtig. Der Sopran Judith Blegens wirkt leicht und jugendlich, gar lieblich. Sie überstrahlt das Quartett auch, aber nur wegen der höher gelegenen Stimme, nicht weil sie gegenüber den übrigen Solisten eine Klasse für sich wäre, wie Margaret Price bei Celibidache. Ihre Stimme passt besonders gut zum ebenfalls leichtstimmigen Tenor Claes H. Ahnsjös, der später auch bei Celibidache wieder mit von der Partie sein wird. Er macht bei Zubin Mehta nicht ganz den souveränen Eindruck wie später bei Celi. Auch seine Ausstrahlung und seine Präzision hat bei Celibidache hinzugewonnen („Salvum fac“). In den lyrisch geprägten Abschnitten 2 und 4 singt das Solistenquartett erheblich opernhafter als bei Celibidache. Daran mag das Tempo (Mehta ist fast elf Minuten schneller als Celi) Hauptverursacher sein. Das Tempo wirkt natürlich bei Mehta erheblich bewegter. Die Solo-Violine steht gegenüber dem Tenor leicht zurück, klingt aber sehr schön silbrig und hell. Peter Meven legt bei seinem Solo ziemlich viel Vibrato auf, klingt zwar recht sonor, aber die die üppige Bassfülle fehlt ihm. Er singt jedoch besser als Hans Helm bei Celi. Leider hat ihn die Technik nicht vorteilhaft eingefangen, denn seine Stimme klingt so wie bei Jochanaan wie aus einer Höhle unterhalb der Bühne („Salome“).

Der Chor ist erheblich schlechter verständlich als bei Celi. Seine pp wirken mitunter säuselnd, der Sopran zum Teil sogar überfordert. Er ist als Ganzes üppig besetzt und verfügt über eine enorme Durchschlagskraft. Im letzten Teil („In Te, Domine, speravi“) darf der jugendliche Sopran der Blegen als Aktivposten gelten.Der letzte Teil wird von Mehta gut gestaltet und die Schlussfuge erfährt eine wirkungsvolle Steigerung.

Der Klang der Aufnahme zeigt einen Chor, der ziemlich weit nach hinten gesetzt wurde. Die Transparenz des Chors ist nicht schlecht, aber lange nicht so ausgeprägt wie bei Celibidache. Die Orgel ist hingegen ein wuchtig klingender Gewinn (nur bei Welser-Möst klingt sie noch präsenter und markiger). Auch der Detailreichtum und Deutlichkeit des Gesamtklangs reicht an die Aufnahme mit Celi nicht heran. Er ist aber warm temperiert und voll, weich und sonor. Brillanz und Dynamik sind in Ordnung.

 

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4

Roberto Paternostro

Barbara Cramm, Monika Walerowicz, Mathias Schulz, Stefan Adam

Philharmonia Chor Stuttgart,

Württembergische Philharmonie Reutlingen

Membran

2005, live

22:58

 

Der Aufnahmeort in dem diese Einspielung stattfand war die Basilika Weingarten (Kreis Ravensburg), die eigentlich gar keine Basilika im eigentlichen Sinn ist, sondern eine barocke Emporenhalle. Sie ist das größte barocke Sakralbauwerk nördlich der Alpen und hat die hälftigen Ausmaße des Petersdoms zu Rom. Wir erwähnen das nur, weil die Aufnahme, wenn man vom lang nachhallenden Schlussakkord einmal absieht, erstaunlich trocken wirkt.

Roberto Paternostro, übrigens von 1991 bis 2000 Chefdirigent des Orchesters, betont die Eins bei den Streicherfiguren immer sehr deutlich. Das ist nur am Anfang so notiert, solange noch kein Legato-Bogen über den Noten liegt. Der Dirigent setzt diese Betonung jedoch eigenmächtig weiter fort. Das wirkt seltsam, wenn man es schon so oft anders gehört hat und sogar falsch, wenn man es mit dem Notenbild der Partitur vergleicht, aber es entbehrt nicht einer gewissen unbeugsamen Hartnäckigkeit.

Sopran und Tenor wissen nicht so recht zu begeistern, im Quartett gefallen sie besser als bei ihren Soli. Der Tenor artikuliert nicht immer mit reiner Stimme singt jedoch kraftvoll. Sein Timbre hat uns nicht besonders gut gefallen und es wirkt in den verschiedenen Lagen ein wenig unausgewogen.

Der Stuttgarter Chor verfügt über eine ausgezeichnete Dynamik, singt recht genau, wirkt aufmerksam und singt zumeist klangschön. Auch das Orchester präsentiert sich hellwach aber ohne klanglich ein wenig matt und trocken. Wir hören eine gut durchgeformte und sehr direkte Live-Aufnahme ohne besonderen stimmlichen Glanz und orchestral ein wenig rustikal.

Die Aufnahme wirkt dynamisch und transparent, das Solistenquartett steht präsent an der Rampe. Es ist trotz des sakralen Aufnahmeraums kein störender Nachhall zu hören, wenn man einmal vom halligen Schlussakkord absieht. Im Gegenteil, es klingt sogar ziemlich trocken und eher wenig räumlich. Das Orchester wurde blechorientiert eingefangen, klingt aber farbig und recht plastisch. Die Aufnahme klingt immerhin klarer als die Karajans von 1975 aus der Berliner Philharmonie.

 

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4

Herbert Kegel

Eva Andor, Anneliese Burmeister, Eberhard Büchner, Siegfried Vogel

Rundfunkchor und Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig

Pilz

1979, live

22:40

 

Herbert Kegels Darstellung des „Te Deum“ wirkt sachlich. Besonders Deutlich ist der Kontrast zu den Einspielungen von Eugen Jochum. Die Emphase bei Kegel wirkt auf das rein musikalische reduziert. Leider wurde dieser musikalisch hochwertigen Einspielung aufnahmetechnisch nur ein auffallend flauer und blasser Klang zuteil. Damit haben wir schon ihr Hauptmanko benannt.

Das Solistenquartett ist eigentlich sehr gut, eine bessere Klangtechnik hätte seine Stimmschönheit sicher erfolgreicher befördern können. Eberhard Büchner singt seinen Part mit kernigem Tenor ähnlich instrumental wie sein Landsmann Peter Schreier, verfügt einerseits nicht ganz über dessen Stimmschönheit, unterlässt andererseits jedoch dessen bisweilen schulmeisterlich wirkende, überdeutliche Phrasierung und Aussprache. Er ist ausgesprochen textverständlich, bringt viel Ruhe und Ausstrahlung mit in die lyrischen Passagen mit ein. Wir würden ihn ohne mit der Wimper zu zucken mit zu den Besten zählen. Eva Andor hat einen strahlenden Sopran zur Verfügung, ist aber nicht sonderlich textverständlich. Anna Tomova-Sintow bei Karajan würden wir daher den Vorzug geben.

Dem ausdrucksvollen und präzise singenden Chor hätte mehr Volumen und Körperhaftigkeit mitgegeben werden können. Es kommt in der ziemlich zweidimensionalen und wenig voluminösen Einspielung nur weit unter seinem eigentlichen Wert zur Geltung. Das ist sehr bedauerlich. Kegel sorgt für die Herausarbeitung vieler Details und auch das Holz käme bei besserer Klangtechnik sehr differenziert zur Geltung. Das „Aeterna fac“ ist auch bei Kegel angetrieben.

Dies ist eine kompetente Live -Aufnahme, die klanglich viel zu matt geraten ist. Das Fehlen echter Emphase wäre besser zu verschmerzen, wenn der musikalisch erarbeitete Hinzugewinn an transparentem Detailreichtum klanglich besser zur Geltung gebracht worden wäre.

In dieser Aufnahme klingt der Chor deutlicher und präsenter als das Orchester. Insgesamt ist sie in Hinsicht auf Opulenz und strahlender Majestät nicht mit den Karajan-Aufnahmen von 1975 und 1984 zu vergleichen, obwohl sie aufnahmegeschichtlich genau zwischen den beiden steht. Sie klingt auch erheblich weniger konturenreich als die Barenboim-Aufnahme von 1969. Auch die schwache Dynamik kann kaum mit den besten mithalten. Die Aufnahme lässt das Werk zu leichtgewichtig und grautönig erscheinen. Beides ist es nun ganz gewiss nicht. Leider fehlt auch ein hörbarer Bass völlig, weshalb der Darbietung auch das klangliche Fundament fehlt. Ein buchstäblich gewichtiges Manko. Eine Orgel hätte da sicher geholfen, aber wir haben keine gehört. Es handelt sich anscheinend um einen Mitschnitt des Rundfunks der DDR, denn vom kompetenten VEB Deutsche Schallplatten (mit dem Label Eterna) sind wir besseres gewöhnt.

 

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4

Daniel Barenboim

Anne Pasley, Birgit Finilä, Robert Tear, Don Garrard

New Philharmonia Chorus and Orchestra, London

EMI

1969

22:41

 

Otto Klemperer schlug Walter Legge, einem der Produzenten der EMI, bereits Anfang der 60er Jahre vor, das „Te Deum“ zu produzieren. Legge lehnte jedoch ab und Klemperer versuchte sein Glück bei der BBC, die 1961 ein offenes Ohr hatte und mit dem BBC Symphony Orchestra zumindest live im Konzert eine Aufnahme mit Klemperer machte. Mit dem Philharmonia Orchestra und dem damals prachtvollen Philharmonia Chorus (wir kennen ihn bereits vom Vergleich zu Verdis „Te Deum“) gibt es somit keine Einspielung mit Klemperer. Die Live-Aufnahme der BBC ist von Testament wieder veröffentlicht worden, leider konnten wie nicht darauf zurückgreifen.

Bei EMI ließ man die Chance ungenutzt verstreichen bis nur einige Jahre später, Legge war nicht mehr Produzent bei EMI und das Philharmonia musste eine Krise ums eigene „Überleben“ erst noch überstehen, der Newcomer Daniel Barenboim auf das „Te Deum“ angesetzt wurde. Chor und Orchester trugen nun bereits das „New“ in ihren Namen, damit man es nicht mit dem alten Philharmonia verwechseln konnte, anscheinend hatte sich Legge als Gründer des Orchesters den Namen sichern lassen.

Dass nun statt dem erfahrenen Bruckner- und Chor-Dirigenten Otto Klemperer ein „blutiger“ Anfänger vor den beiden Ensembles stand, der vom Chordirigieren keine Ahnung hatte, blieb dem langjährigen Leiter des (New) Philharmonia Chorus, Wilhelm Pitz, nicht verborgen und wurde von ihm, dem langjährigen Leiter auch des Chores der Bayreuther Festspiele (1951-1973) auch zum Ausdruck gebracht.

Dessen ungeachtet profitiert diese Einspielung, es ist Barenboims erste des „Te Deum“ in nicht unerheblichem Maß vom gut einstudierenden Chor und trotz der Klage des Chorleiters beeindruckt der Chor in dieser Einspielung noch am meisten. Er verfügt auch dank seiner starken Besetzung über eine beeindruckende Durchschlagskraft und klingt sehr voll, transparent und prägnant. Er klingt ebenso ausgewogen und seine p und pp tragen sehr gut. Er kommt aber nicht ganz an die Sternstunden der Einspielungen mit Klemperer oder Giulini (Verdi „Requiem“ oder „Te Deum“) heran. Es fehlt einfach an der letzten Präzision (versetzte S-Laute), die er mit anderen Dirigenten besser zur Geltung bringen konnte.

Barenboims Tempo erscheint zunächst straff, die Wirkung ist monumental. Die Orgel füllt den Klang von Chor und Orchester kräftig auf.

Das Solistenquartett ist gut, wobei die „Problemposition“, der Tenor, sogar fast schon als ein Glückstreffer gelten darf. Er hat eine ausgewogene, voll und warm klingende Stimme, gehört also nicht zu den „leichten“ Tenören, mit denen das „te Deum“ häufig besetzt wurde und wird.  Er schafft es aber auch, die hohen Spitzentöne zu singen, ohne ihr mit zu viel Kraftanstrengung den Weg zum Schreien hin öffnen zu müssen. Sein „Te ergo“ ist ein Genuss. Leider ist die umspielende Violine zu leise geraten, da hätten Dirigent und/oder Tonmeister korrigierend einwirken können. Leider verschleppt der junge Dirigent das Tempo.

Beim „Aeterna fac“ verfällt er ins Gegenteil, das wird fast verhetzt. Das ff des Chores ist nicht so unangenehm wie bei vielen anderen Chören, man merkt es dem Chor doch allenthalben an, dass er viel Qualität hat. Das enorm angetriebene Tempo macht er ohne große Einbußen mit.

Der Bass im Teil 4 bringt sein Solo nur mit unbotmäßigem Wabern zu Gehör aber wenigstens macht ihm die geforderte Tiefe nichts aus. Die Bässe des Chores verdienen sich das Prädikat Extraklasse.

Im Teil 5 gibt es kaum dynamische Abstufungen zwischen dem mf, f und ff bei den Solisten. Barenboim bringt eine Beschleunigung bereits vor (!) dem Alla breve, obwohl nur eine Crescendo verlangt wird. Das Alla breve verlangsamt, ja verbreitert er dann sogar.

Dies ist eine in den Details mitunter fragwürdige Einspielung, die den Blick auf das Große und Ganze richtet und die Nuancen in Teilen außer Acht lässt.

Der Klang ist recht transparent. Die Offenheit und Körperhaftigkeit, ja sogar die Tiefenstaffelung gelingt besser als zwölf Jahre später der DG in Chicago. Die Solisten stehen an der Rampe. Der Gesamtklang ist warm und leuchtend, ein einnehmender Klang, der uns besser gefallen hat als der platte Klang in Chicago 1981. Es mag sein, dass die Klangfülle den Blick auf das eine oder andere Detail erschwert, für die relative Detailarmut mag es jedoch auch andere Gründe geben, die ein Wilhelm Pitz sicher besser auf den Punkt gebracht hätte, als wir das könnten.

 

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4

Reinhard Schwarz

Jill Gomez, Hildegard Laurich, Lutz-Michael Harder, Mattias Hölle

Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale, Berlin,

Radio-Sinfonieorchester Berlin (heute: Deutsches Sinfonieorchester Berlin)

Mitschnitt einer Radiosendung des SFB (heute: RBB)

1981, live

24:19

 

Wie bei Haitink in München und Thielemann in Dresden wurde das „Te Deum“ auch von Reinhard Schwarz im Konzert mit Bruckners 9. Sinfonie kombiniert. Schwarz ging dabei vor, wie es der Komponist selbst vorschlug und brachte das „Te Deum“ nach der Sinfonie. Haitink und Thielemann brachten es bereits vor der Sinfonie. Die Gesamtaussage des Konzerts wird so eine ganz andere.

Vom Dirigenten, dessen Namen wohl nur noch wenigen geläufig sein dürfte, haben wir nicht viel in Erfahrung bringen können. Reinhard Schwarz war von 1988 bis 1999 Chefdirigent am Staatstheater am Gärtnerplatz (in München). Zuvor GMD in Hagen. Nach seinem Studium in Berlin hatte er u. a. Engagements an den Opernhäusern von Basel, Wuppertal, Frankfurt am Main, Hamburg, Düsseldorf, Wien und Berlin. Herausragend in seiner Laufbahn als Operndirigent war seine Tätigkeit für die Wiener Staatsoper und die Wiener Volksoper wo er sich vor allem als Mozart-, Strauss- und Wagner-Dirigent einen Namen machte. Entscheidende Impulse für seine Tätigkeit erhielt er von Herbert von Karajan, dessen künstlerischer Mitarbeiter er von 1973-1984 bei den Salzburger Festspielen war. Er verstarb 2004 im Alter von 68 Jahren.

Dass Herr Schwarz nicht unbedingt ein genuiner Chordirigent war (er dirigierte den Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale als Gast) merkt man dem Live-Mitschnitt an. Das Orchester hat vor dem Chor nicht nur klanglich Vorrang. Der Chor selbst, er mag in der Philharmonie zudem ein wenig zu hintergründig aufgenommen worden sein, zeigt eine nur geringe dynamische Palette. Im eröffnenden Teil unterscheidet sich das f nicht vom fff. Im Verlauf macht er einen besseren Eindruck. Er klingt dann transparent, ausgewogen und strahlkräftig. Und meist intonationssicher, nur vereinzelt sticht der Sopran ein wenig unangenehm heraus.

Der Solo-Tenor wirkt angestrengt, muss bei den großen Intervallen durchgehend forcieren und der ist einer der wenigen Tenören, die gegenüber der Solovioline den Kürzeren ziehen. Auch dabei könnte die Aufnahmetechnik eine „Mitschuld“ tragen. Die Sopranistin hat es da viel leichter, ihrem Part die gebührende Geltung zu verschaffen.

Der Bass Matthias Hölles hat bei seinem kleinen aber für viele Bässe tückischen Solo Schwierigkeiten die tiefen Töne im richtigen Rhythmus zu treffen.

Das Solistenquartett wird zumeist von Jill Gomez dominiert, die aber auch die schönste Stimme hat. Für Schwarz bedeutet das „marcato sempre“ zugleich auch eine Verlangsamung (nach dem „Non confundar“-Einsatz des Chores). Generell neigt er im letzten Teil zu einer ziemlich beträchtlichen Verbreiterung à la Karajan.

Der Klang der Aufnahme ist transparent und deutlich, leider aber wenig dynamisch. Das Blech des RSO kommt deutlich heraus. Von der Orgel haben wir leider nicht viel gehört.

 

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4

Herbert von Karajan

Leontyne Price, Hilde Rössel-Maydan, Fritz Wunderlich, Walter Berry

Wiener Singverein,

Wiener Philharmoniker

Hänssler

1960, Live

24:54

 

MONO  Bei dieser Aufnahme handelt es sich um einen Mitschnitt bei der Salzburger Festspielen 1960. Anders als 1952 in Perugia wird der Aufführung dieses Mal immerhin eine professionelle Aufnahme durch den Österreichischen Rundfunk zuteil. Auch dieses Mal ist das „Te Deum“ für Karajan vornehmlich monumental und majestätisch. Die Besetzung kann man als erlesen bezeichnen, wobei man die (mit Grace Bumbry gemeinsam) damalige „Lieblings-Carmen“ Karajans nicht unbedingt im „Te Deum“ erwartet hätte. Sie singt gut und man bemerkt von ihrer rauchigen, lasziven Stimme der prototypischen „Carmen“ so gut wie gar nichts, durchaus sinnlich wirkt ihr Gesang jedoch auch im sakralen Rahmen. Das Orchester spielt viel besser als das in Perugia 1952, es sind dieses Mal die Wiener Philharmoniker, nicht die Wiener Symphoniker. Nur der Chor ist erneut der Wiener Singverein, wie immer bei Karajan. Das alles macht sich in der Gesamtqualität bemerkbar.

Details werden nun besser hörbar und die Transparenz zeigt sich merklich verbessert. Das Blech spielt nun glanzvoller und knackiger, die Streicher sind gleich zwei Klassen besser. Der Chor ist allerdings immer noch nicht ganz sattelfest (wird es auch bis 1984 nicht sein), was besonders an den Sopranen liegt. Besonders das Leise-Singen fällt dem Chor schwer.

Fritz Wunderlich scheint sich bei dem Konzert nicht so recht wohl gefühlt zu haben, man merkt seinem Gesang eine sonst kaum anzutreffende leichte Unsicherheit an. Es fehlt ihm auch die typische Leichtigkeit. Er scheint sich bisweilen zum Forcieren herausgefordert zu fühlen. Der wahrscheinlich von Karajan geforderte Nachdruck („Hochdruck“ trifft es vielleicht noch besser) geht auf Kosten der Natürlichkeit. Natürlich erkennt man ihn unter 1000 anderen Tenören auch hier sofort wieder und auch dieses Mal ist seine Stimme eine der schönsten und seine Gestaltung über weite Strecken erfüllt. Das Violinen-Solo ist gelungener als in Perugia und klingt auch schöner. Die Blech-Akkorde sitzen besser (z.B. am Ende des „Te ergo“). An der Interpretation Karajans ändert sich gegenüber 1952 nicht viel. Vor allem die heftig spürbare Verbreiterung in der Fuge (statt eines a tempo) ist sein Markenzeichen. Es dient der majestätischen Prachtentfaltung und wirkt wie üblich stark inszeniert.

Der Klang dieses Mitschnitts ist erheblich transparenter und dynamischer als 1952 in Perugia. Die Partitur Bruckners wird schon gut klanglich widergespiegelt. Von einer Orgel haben wir nichts gehört.

 

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4

Herbert von Karajan

Wilma Lipp, Elisabeth Höngen, Nicolai Gedda, Walter Kreppel

Wiener Singverein,

Wiener Philharmoniker

Archipel

1962, live

22:50

 

MONO  Gegenüber der Salzburger Aufnahme wirkt der Wiener Mitschnitt präsenter, was vor allem den Solisten und dem Chor zugutekommt. Die Sopranistin wirkt vor allem durch ihr starkes Vibrato „ältlicher“ und weniger sinnlich als Leontyne Price zwei Jahre zuvor. Sie singt zudem oft einfach zu laut. Nicolai Gedda meistert seine Soli hervorragend, wirkt jedoch etwas kühler als Fritz Wunderlich. Beim Solo des Basses gibt es einen miserablen Schnitt oder schlimmen Übertragungsfehler, denn man hört Walter Kreppel kurzzeitig doppelt. Beim Teil 5 „In Te, Domine, speravi“ wird Karajan einmal nicht so langsam wie üblich, aber immer noch gemäßigt. Wir finden es bedauerlich, dass er sich für seine weiteren Einspielungen nicht für dieses weit weniger inszeniert wirkende Tempo entschieden hat. Es wirkt stringenter und ja, wie soll man sagen, es biedert sich nicht so an. Bei „Non confundar“ sticht der Solo-Sopran Wilma Lipps weit deutlicher aus dem Quartett heraus als Leontyne Price. Dies ist eine für Karajan ungewöhnlich schnelle, stringenter wirkende Art, das „Te Deum“ darzustellen.

Klangtechnisch bemerkt man gegenüber 1960 keine nachhaltige Verbesserung. 1962 wirkt sogar etwas weniger dynamisch und die Balance innerhalb des riesigen Klangkörpers ist nicht ganz so ausgewogen. Auch 1962 konnten wir eine Orgel klanglich nicht verifizieren, zumindest hat sie sich nicht aufgedrängt.

 

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3-4

Roland Bader

Elsbieta Towarnicka, Matgorzata Walewska, Jerzy Knetig, Andrey Biegun

Philharmonischer Chor und Philharmonisches Orchester Krakau

Laserlight-Delta

1994, live

22:07

 

Schon die Solisten klingen in dieser polnischen Aufnahme entfernt. Beim Chor ist es auch nicht besser, die Textverständlichkeit ist sehr schlecht.  Er lässt kaum eine Differenzierung der oberen Stärkegrade der Dynamik hören, das heißt f, ff und fff klingen gleich. Im unteren Bereich der Dynamik ist es genauso, d.h. p und pp unterscheiden sich auch nicht signifikant. Die Kontraste wirken ehr lau als scharf umrissen. Die Transparenz der vier Stimmlagen des Chores ist schlecht, er klingt unangenehm dicht und obwohl man seine Bemühungen bemerken kann, undifferenziert und massiv. Da kann man der Aufnahmetechnik keine gelungene Arbeit bescheinigen.

Bei den Solisten drückt der Tenor ein wenig und er scheint wenn es laut singen soll, ein wenig die stimmliche Contenance zu verlieren. Bei „Benedic“ im Teil 4 wirkt sein Vibrato wabernd. Der Sopran wirkt in seiner Ausstrahlung leichter, hat aber auch wenig Ausstrahlung. Das Violinen-Solo in den Teilen 2 und 4 klingt gegenüber dem Tenor zu leise und kommt kaum ebenbürtig zur Geltung (es sollte laut Partitur teilweise gleich laut sein). Der Bass schließlich erreicht die tiefsten Töne seines Solos anscheinend gerade noch so.

Man hört die Solisten und die Ensembles zurückgesetzt und wie hinter einem Vorhang. Das Klangbild wirkt entsprechend wenig plastisch, hat wenig Staffelung nach hinten und kaum Volumen. Der Klang der Aufnahme ist kaum in der Lage, der Aufführung die verdiente Geltung zu verschaffen. Die Bemühungen verpuffen im allzu mühsam gebändigten Aufnahmeraum. Eine Orgel konnten wir klanglich nicht verfolgen. Es klingt insgesamt zwar laut aber ohne Brillanz.

 

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3

Herbert von Karajan

Rita Streich, Dagmar Hermann, Ernst Haefliger, Hans Braun

Wiener Singverein,

Wiener Symphoniker

Urania

1952, live

24:58

 

MONO  Dies ist ein Live-Mitschnitt aus Perugia. Es ist kaum anzunehmen, dass Karajan einer Veröffentlichung zugestimmt hätte, wenn man ihn danach gefragt hätte. So ist es nolens volens immerhin sein erster Beitrag zur Diskographie des Werkes geworden. Ihr vordringliches Merkmal ist die miserable bis katastrophale Aufnahmequalität bei der man kaum davon ausgehen kann, dass eine Rundfunkanstalt mit professioneller Expertise dahintersteckt.

Karajan neigt schon 1952 nicht zu den schnellsten Tempi. Die Solisten gefallen noch am besten, besonders die Sopranistin bringt viel Anteilnahme mit und singt leicht und strahlend. Mit dem Tenor Ernst Haefligers könnte man leben, wenngleich er uns bei Eugen Jochum noch besser gefällt. Der Bass Hans Brauns kommt mit seinem kurzen Solo nicht richtig zurecht.

Die ganze Darbietung macht einen irgendwie nervösen, unruhigen Eindruck. Es geht nicht alles glatt dabei. Das Orchester hat nicht seinen besten Tag erwischt (z.B. Blech am Ende des „Te ergum“) und den Konzertmeister kann man dabei nicht ausnehmen.

Die Hauptlast am geringen Erfolg der Darbietung muss wohl der Chor tragen. Ihm ist Präzision an diesem Abend noch ziemlich fremd, er hat seinen „Freischwimmer“ noch nicht gemacht.

Auffallend ist, dass Karajan im letzten Teil damals schon, wie in späteren Aufnahmen zur Verbreiterung neigt. Im „Non confundar“ bricht sie sich richtig Bahn. Wenn man Bruno Walter ein Jahr später noch im Ohr hat, hört sich Karajan wie eine Zeitlupenwiederholung an. Man kann fast sagen wie eine „Zeitlupe“ des damals üblichen, wenn man zu Walter auch noch die Einspielungen von Andreae und Jochum heranzieht. Insgesamt, vor allem wegen der alles in allem gescheiterten Aufnahmetechnik, wird man mehr an das „Jüngste Gericht“ erinnert, als an eine Lobpreisung Gottes. Am besten wäre es, die Einspielung schnell wieder zu vergessen.

Der Klang der Aufnahme erinnert mehr an die 30er als an die 50er Jahre. Er wirkt stark gepresst und ist mehr ein undifferenziertes, dröhnend-breiiges Konglomerat aus Stimmen und Streichern mit vereinzelten Blech-Eruptionen, besonders ab f und wenn es noch lauter wird. Nur die Solisten kommen einigermaßen deutlich zu Gehör. Zu allem Überfluss ist auch noch ein leiser Brumm zu hören.

 

 

 

12.10.2023