Ernest Bloch

Schelomo

____________________________

 

Werkhintergrund:

 

1880 in der Schweiz als Sohn jüdischer Eltern geboren, sah es zunächst für Ernest Bloch so aus, als solle er seinem Vater in die Familienuhrmacherei folgen – doch sein musikalischer Geist war so stark, dass jeder Gedanke an eine Karriere als Uhrmacher schnell verdrängt wurde. Mit Mitte zwanzig konnte Bloch Studienaufenthalte in Genf (bei Emile Jaques-Dalcroze), Brüssel (bei Geiger Eugène Ysaÿe), Frankfurt (bei Komponist Iwan Knorr), München (bei Ludwig Thuille) und Paris vorweisen. 

 

Zunächst arbeitete er als Komponist in Paris. Gekrönt wurde eine erste Schaffensperiode durch die Pariser Uraufführung seiner Oper Macbeth im Jahr 1910, einem Werk von (Richard) Straussscher Exotik und Üppigkeit, das über fünf Jahre lang entstanden war.

 

 

Blochs Lebenslauf dürfte den wenigsten geläufig sein, daher noch ein paar weitere Worte dazu: Er leitete dann 1909-10 Orchesterkonzerte in Lausanne und Neuenburg und wurde 1915 Professor für Komposition und Ästhetik am Genfer Konservatorium, eine Position, die er 1916 mit seiner ersten Amerikareise als Dirigent von Maud Allensen Tanzgruppe, beendete. Von 1917 bis 1920 lehrte er an der Manns School of Music in New York und war bis 1925 erster Direktor des Cleveland Institute of Music.1924 wurde er US-Staatsbürger. Danach leitete er fünf Jahre lang das San Francisco Conservatory.

In den 1930er Jahren lebte Bloch erneut in der Schweiz und dirigierte in verschiedenen europäischen Städten. 1937 kehrte er in die USA zurück, um seine US-Staatsbürgerschaft zu behalten und, man ahnt es, um dem immer stärker werdenden Antisemitismus zu entkommen. Er ließ sich in Agate Beach, Oregon, nieder, wo er den Rest seines Lebens lebte. Bloch verbrachte Sommer an der University of California in Berkeley, bis er 1952 in den Ruhestand ging. Im Juli 1959 erlag Ernest Bloch einem Krebsleiden und starb in Portland, Oregon.

 

Seine frühen Kompositionen galten noch als etwas undiszipliniert und erst mit seinem Jüdischen Zyklus erlangte Bloch seine eigene musikalische Identität. „1912 begann Bloch zu erkennen, dass das, was er zunächst als orientalisches Flair in seiner Musik ansah, seine Wurzeln in seiner eigenen jüdischen Herkunft hatte; und eingeholt vom Geist der jüdischen Renaissance in Europa vor dem Ersten Weltkrieg, war er offenbar entschlossen, dieser Qualität in seiner Kunst vollen Ausdruck zu verleihen." Blochs jüdische Werke machen weniger als ein Fünftel seines gesamten Schaffens aus, dennoch ist er fast ausschließlich durch diese Werke bekannt und sie begründen sein Ansehen. Die Musik aus dieser Zeit hat eine enorme Ausdruckskraft und ihre reiche Farbigkeit und exotischen Harmonien werden von zutiefst spiritueller Bedeutung überlagert. Es waren diese Werke, "die Bloch als großen Komponisten fest etablierten, der sowohl von Juden als auch von Heiden bewundert wurde". (William Lee Heinrichs: „Die Musik von Ernest Bloch“, 1958, der sich hier noch einer mitunter seltsam anmutenden Wortwahl bediente.)

 

Blochs Kompositionsstil veränderte sich also, als er versuchte, seinen jüdischen Glauben durch Musik zum Ausdruck zu bringen. Daraus entstand eine Reihe von Werken, die mit der Israel-Symphonie und Schelomo ihre Höhepunkte fand. Nach seiner „jüdischen Periode“ komponierte Bloch dann im eher neoklassizistischen Stil.

 

Die Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester von Ernest Bloch wurde nach dem altisraelischen König Salomo (hebräisch שְׁלֹמֹה Šəlomoh, auch Schelomo oder verkürzt Shlomo, deutsch ‚Salomon‘) benannt und in den Jahren 1915 bis 1916 komponiert. Das Stück ist sein mit Abstand bekanntestes. Die aus drei Teilen bestehende programmmusikalische Komposition beschreibt in archetypischer, teilweise orientalisch anmutender Harmonik und Klangfarbe, den Dialog des legendären israelischen Königs Salomo, dessen Stimme das Violoncello wiedergibt, mit seinem Volk, das vielstimmig durch das Orchester spricht. Daneben ist das Orchester auch für die Schilderung der inneren Vorgänge, also der Gedankenwelt und der emotionalen Lage Salomons wie auch für die Verbreitung der orientalisch-exotischen Stimmung verantwortlich.

 

Ernest Bloch wollte mit seinem Werk jüdische Musik nicht rekonstruieren wie ein Archäologe, ihn interessierte vielmehr der tiefere hebräische Geist dieser Musik. Das Musikstück Schelomo gehört zu Blochs Werkreihe Jüdischer Zyklus, der ab 1912 entstand. Mit den in diesem Zyklus enthaltenen Werken fand der Komponist seine Bestimmung für diese bestimmte Art seines Komponierens. Dazu gehören die Stücke, nur um sie einmal zu nennen, denn kennen wird sie wohl kaum jemand, Prelude and Two Psalms (Psalmen 137 und 114, 1912–1914, für Sopranstimme und Orchester), Trois poèmes juifs (drei jüdische Gedichte, für Orchester, 1913), Psalm 22 (für Bariton und Orchester, 1914), und wie bereits erwähnt Israel (Sinfonie für fünf Solostimmen und Orchester, 1912–1916) und Schelomo - Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester (1915/1916).

Ernest Bloch nutzte für diese Werke als Inspiration immer Texte aus dem Alten Testament der Bibel. Er plante ursprünglich ein Vokalwerk mit Texten aus dem Buch Kohelet, einer Sammlung von Lebensregeln und weisen Ratschlägen, die König Salomo zugeschrieben werden, war sich aber nicht sicher, welche Sprache er verwenden sollte. So war letztlich das Cello als Soloinstrument die Lösung. Ein Besuch bei dem virtuosen jüdisch-russischen Cellisten Alexandre Barjansky in Genf, der eine von seiner Frau Katherina hergestellte Wachsfigur des Königs Salomo besaß (eine andere Version der Geschichte spricht lediglich von der Skizze einer kleinen Salomo-Figur, die Katherina Barjansky bei dem Besuch Blochs anfertigte, um sie ihm später als fertige Skulptur zu schenken), regte ihn schließlich zur Vollendung der Komposition an. Bloch widmete das Werk dann auch den Barjanskys als: Pour Alexandre et Catherine Barjansky. 

 

Konzept der programmmusikalischen Komposition, wir deuteten es bereits weiter oben an, ist der Dialog zwischen dem König Salomo und seinem Volk. Obwohl sein melodisches und harmonisches Profil an jüdische Volksmusik und jüdische Gesänge erinnert, die Bloch zuvor besonders studierte und die die natürlichen Wendungen und Kadenzen des gesprochenen Hebräisch widerspiegeln, ist es doch vollständig eine eigene Erfindung des Komponisten. Bloch beabsichtigte, wie bereits erwähnt, dass das Solocello die Stimme des biblischen Königs Salomo verkörpert, während das Orchester (nach Bloch) 'die ihn umgebende Welt und seine Lebenserfahrungen darstellt; gleichzeitig scheint es aber auch oft Solomons innere Gedanken widerzuspiegeln.

 

Schelomo war das letzte Musikstück Blochs, das er vor seiner Reise in die USA noch in der Schweiz fertig stellte. Uraufgeführt wurde es am 3. Mai 1917 in der New Yorker Carnegie Hall unter der Leitung von Artur Bodanzky. Den Solopart spielte jedoch der Cellist und spätere Gründer des National Symphony Orchestra Hans Kindler. In jenem Konzert wurden auch zwei weitere Werke aus dem Jüdischen Zyklus aufgeführt, so die Trois poèmes juifs (Uraufführung drei Monate vorher in Boston) und die Israel Symphony (dirigiert von Bloch selbst).

 

Die 1916 beim New Yorker Musikverlag G. Schirmer erschienene Partitur des Werkes sieht eine umfangreiche Instrumentation vor:

 

Violoncello als Soloinstrument

Erste, zweite und dritte Flöte, außerdem eine Piccoloflöte

Erste und zweite Oboe

Englischhorn

Erste und zweite Klarinette

Bassklarinette

Erstes und zweites Fagott

Kontrafagott

Erstes, zweites, drittes und viertes Horn

Erste, zweite und dritte Trompete

Erste, zweite und dritte Posaune

Tuba

Pauken

Perkussionsinstrumenten, bestehend aus Trommel, großer Trommel, Becken und Tamtam (Gong)

Celesta

Erste und zweite Harfe

Die Streichergruppe (die Anzahl der Instrumentalisten ist die mindeste Besetzung) besteht aus:

Erster Violine (12 Spieler), zweiter Violine (10 Spieler)

Bratschen (acht Spieler)

Violoncelli (sechs Spieler)

Kontrabass (vier Spieler)

 

Schelomo besteht aus drei Teilen, die ohne Pause gespielt werden. Das Stück dauert damit je nach Interpretation etwa 20-24 Minuten. Das solistische Cello beschreibt in seinem durchaus lyrischem Spiel Salomos Weltsicht, Weisheit, Sinnlichkeit und Lebensfreude, aber auch pessimistische Sätze wie alles sei eitel, auch in dem Wissen des Scheiterns. Weitere programmmusikalische Elemente von Blochs Musik sind eine spezielle exotisch-orientalisch anmutende Harmonik, seit der Jahrhundertwende beispielsweise ansatzweise bekannt aus Richard Strauss' Oper Salome (Tanz der sieben Schleier), an die man während des Hörens häufig erinnert wird. Sie besteht aus oft verwendeten Halbtonschritten, Quarten und übermäßiger Sekunde. Hinzu kommen reiche Klangfarben, die durch eine bestimmte (dem Hörer von heute aber von „Salome“ bereits bekannt vorkommende)  recht ungewöhnliche Instrumentation hervorgerufen werden. Das alles erzeugt eine überaus emotionale Musik, die durch Monologe des Cellos, den Fragen einzelner Instrumente und den darauf folgenden Antworten wiederum des Soloinstruments geprägt ist. Aber auch das Durcheinanderreden in einigen instrumentalen Tutti-Passagen wird musikalisch illustriert Zahlreiche klangliche Zitate aus der jüdischen Welt, tänzerische und sinnlich anmutende Elemente ergänzen außerdem das Stück. Beispielhaft ist das Alles ist eitel und ein Haschen nach Wind aus Salomos Predigt (Prediger 1,14), das durch Holzbläser, Harfen und Streicher thematisch dargeboten wird. Ein weiteres Beispiel ist der urtümlich klingende Ruf des Schofars, eines Widderhorns, das Bloch durch ein solistisches Fagott erklingen lässt. Das Stück endet mit einem ganz leisen (pianopianissimo) Monolog des Violoncellos in tiefen Lagen.

Uns erschien es übrigens eher so, dass das Cello zwar, wie bereits erwähnt, Salomons Stimme repräsentiert, während das Orchester nicht nur die Stimmungswelt Salomons und das Volk symbolisiert, sondern auch sehr wichtig für die Stimmung und die Atmosphäre der in dem Stück erzählten Geschichte ist. Das spielt alles zusammen. Es zeigt so z.B. im ersten Satz wohl die Pracht des Hofes und es widersetzt sich aber auch dem cantablen Redefluss des Cellos immer wieder im weiteren Verlauf bisweilen auf erbarmungslose Art und Weise. Die exzessive Wut, die man im Orchester auch hören kann, könnte sowohl Reaktion des Volkes als sich auch in Salomon selbst abgespielt haben. Eine gewisse Ambivalenz wäre nicht zu negieren. Ansonsten gibt es den Antagonismus zu hören, der beispielsweise bereits aus den Klavierkonzerten Beethovens bekannt ist, mit anderen Mitteln.

Übrigens Salomons Skepsis seinem Volk gegenüber war mehr als berechtigt, denn sein Reich zerfiel nach seiner Regentschaft sehr schnell. Von ihm selbst sind ja einige „Salomonische Urteile“ bis heute bekannt, zu erinnern wäre etwa an das Urteil den beiden Frauen gegenüber, die sich um ein neugeborenes Baby streiten. Er selbst war aber auch angeblich bereits zu Lebzeiten nicht unumstritten, soll er sich doch einen Harem von 1000 Frauen gehalten haben. Wir vermuten da zwar Legendenbildung bezüglich der sich vorzustellenden Anzahl an Frauen, wissen aber nicht, ob der Hauptkritikpunkt damals nicht darauf beruhte, dass unter den Frauen auch 300 Damen nichtjüdischen Glaubens gewesen sein sollen. Die Historiker haben das wahrscheinlich längt geklärt, uns führt es jedoch einfach zu weit weg vom eigentlichen Thema.

 

Der erste Teil des Stückes ist zunächst mit der musikalischen Vortragsbezeichnung Lento moderato überschrieben. Er soll also langsam und mäßig beginnen. Das Cello als Stimme des Predigers beginnt, inspiriert durch Salomos Worte über die Eitelkeit und seine traurigen Schlussfolgerungen daraus, mit dem ersten Thema in Form einer Kadenz. Das Orchester folgt zunächst leise, um dann ab dem 16. Takt (Andante moderato) stärker werdend den Dialog aufzunehmen. Nun erscheinen auch die anderen Themen, die in immer kleinere klangliche Einheiten zerlegt, variiert und wieder zusammengeführt werden. Damals noch fremdartig wirkende Klangfarben untermalt von den Harfen, der Celesta und den Streichern in der Spieltechnik Col legno, illustrieren den exotisch-orientalischen Charakter der Musik und damit Salomos Volk. Es gibt Phasen, in denen das Orchester regelrecht aufgeregt ist, dann aber von dem Soloinstrument beruhigt wird. Gegen Ende des ersten Kapitels entsteht ein dramatischer orchestraler Höhepunkt mit allen Instrumenten (fortissimo), der dann aber in einem letzten bestimmten und lebhaften Monolog des Cellos beendet wird.

 

Das zweite Kapitel (Allegro moderato) wird vom Ruf des Schofars bestimmt. Der Schofar ist übrigens das Horn eines Widders, auf dem einfache Melodien weit tragend geblasen werden können. Als rituelles jüdisches Instrument erinnert er an die Opferung Isaaks (auch heute noch). In Schelomo wird der Schofarruf durch ein solistisch gespieltes Fagott zu Gehör gebracht. Ihm folgt nach ein paar Takten die Oboe, die das Thema weiter entwickelt. Dieses Thema ist nach Ansicht der amerikanischen Cellistin und Musikwissenschaftlerin Tracie D. Price die einzige jüdische Originalmelodie, die Bloch in seinem Stück verwendet. Es handelt sich um einen ursprünglich aus dem süddeutschen Raum stammenden Kantorialgesang mit dem Titel Kodosh Attoh. Dieses Thema wird in der Folge von den anderen Instrumenten, auch vom solistischen Cello, aufgenommen und variiert. Im späteren Verlauf erscheint ein zweites Thema, das von dem Orchester auf dynamische und rhythmische Weise regelrecht zu einem kriegsähnlichen aggressiven Klang gesteigert wird, während das Cello (die Stimme Salomos) vergeblich versucht, das Orchester zurückzuhalten. Der zweite Höhepunkt des Stückes in gleicher musikalischer Intensität mit allen Instrumenten folgt. Schließlich beruhigt sich die Musik, Blechbläser und Pauken hören auf zu spielen.

 

Überschrieben ist dieser letzte Teil der Rhapsodie mit der Tempobezeichnung Andante moderato. Die Lautstärke ist auf ein Pianissimo reduziert worden und immer noch ertönt schwach der Ruf des Schofars, diesmal allerdings leicht von zwei im Abstand einer reinen Quinte gestimmten Pauken geschlagen. Die bisherigen Themen werden mit neuen Klangfarben wieder aufgenommen. Dann beginnt das Cello mit düsteren und hoffnungslosen Tönen seinen Monolog, Salomo scheint zu klagen. Dann geht das Spiel in eine Art traumhafte, friedliche durch die Celesta erzeugte Harmonien, über, es ist die Fantasie einer besseren Welt, die dann durch einen dreifachen Oktavsprung in die Tiefe durch die Realität abgelöst wird. Langsam baut sich das Orchester nun zu seinem dritten und letzten Höhepunkt auf, der in einen pessimistischen Schluss mündet, nach Salomos Worten des Alles ist eitel. Über das Ende dieses Werkes sagte Bloch: „Fast alle meine Arbeiten, wie düster sie auch sein mögen, enden mit einer optimistischen Schlussfolgerung oder zumindest mit Hoffnung. Dies ist die einzige, die mit einer absoluten Negation endet. Aber das Subjekt hat es verlangt.“

 

Melodisch konnte Bloch auf die Synagogengesänge und Motive jüdischer Volkslieder zurückgreifen, obwohl er, wie gesagt, nur selten direkte Zitate aus diesen verwendete. Seine Melodien sind oft mit einer Fülle von Quarten, Quinten und erweiterten Intervallen konstruiert. Gelegentlich schreckte er angeblich auch vor der Verwendung von Vierteltönen nicht zurück. Er benutzte diese Intervalle jedoch nicht, wie bei vielen seiner Zeitgenossen, um neue Tonalitäten zu erforschen, sondern einfach als Ausdrucksmittel.

 

Blochs rhythmische Muster ahmen oft gesprochenes Hebräisch nach. Im Hebräischen gibt es zum Beispiel die Tendenz, den Akzent auf die letzte Silbe des Wortes zu setzen. In seinen Vokalwerken verwendet er häufig wechselnde Takte und starke Akzente, um den Texten treu zu bleiben. Wenn er diese Techniken in Instrumentalwerken anwendet, denkt er eigentlich in jüdischen Liedern. Der häufig vorkommende „Bloch-Rhythmus“ lässt sich aus vielen hebräischen Wörtern wie „Le-cho (Sechzehntel – punktierte Achtel) und Shema (zweiunddreißigste – punktierte Achtel)“ ableiten. 

 

Harmonisch vermeidet Bloch die Verwendung traditioneller Harmonien nicht, scheint aber auch nicht an Regeln gebunden zu sein, die seine Meinungsfreiheit einschränken würden. Seine Werke sind vollgestopft mit unaufgelösten Dissonanzen und parallelen Quarten und Quinten. Auch Vierteltonschritte bedeuten kein Tabu für ihn. Eines der Kennzeichen seiner Brillanz ist die Verwendung einfacher triadischer Formationen, wenn er den tiefsten Ausdruck erzielen möchte. Er verwendet oft einfache Sext und/oder Quart-Akkorde in enger Position, um einen exotischen Effekt zu erzielen. Harmonisch steht Blochs Musik als Brücke zwischen Alt und Neu. Er drückte oft seine Überzeugung aus, dass sich Musik organisch entwickeln sollte, nicht durch künstliche Schöpfung. Zu seinen Kompositionstechniken kommentierte er: „Kunst ist für mich ein Ausdruck, eine Lebenserfahrung und kein Puzzlespiel – oder eine eisige Demonstration auferlegter mathematischer Prinzipien – oder Sezieren im Labor Keine meiner Arbeiten habe ich versucht, „originell“ oder „modern“ zu sein. Theorien wie 'Neuheit' vergehen so schnell. (Henrichs, William Lee. "The Music of Ernest Bloch: . . .) (weite Teile des Textes aus Wikipedia übernommen).

 

Blochs von der Spieldauer eher kurze, vom Charakter aber weit ausladende, geradezu filmische Rhapsodie entwickelte sich schnell zu einem der großen Werke des romantisch-modernen Repertoires: Kein Cellokonzert, aber doch ein konzertantes Werk, das nahezu alle großen Cellisten im Repertoire hatten bzw. haben.

 

1917, im Jahr der Uraufführung seiner Rhapsodie, notierte er: „Ich bin ein Jude, und ich will jüdische Musik schreiben, nicht als Selbstzweck, sondern weil ich mir sicher bin, dass das der einzige Weg ist, auf dem ich Musik von Vitalität und Bedeutung schreiben kann – wenn ich es denn überhaupt kann.“

 

Abschließend noch ein weiteres Zitat des Komponisten: „In meinem Werk, das ‚jüdisch‘ genannt wird – meine Psalmen, Schelomo, Israel, Drei jüdische Gedichte, Baal Shem, Stücke für das Cello, Der heilige Gottesdienst, Die Stimme in der Wildnis – habe ich das Problem nicht von außen angegangen – durch mehr oder weniger authentische Melodien (häufig entlehnt oder unter dem Einfluss anderer Nationen) oder "orientalische" Formeln, Rhythmen oder Intervalle, mehr oder weniger heilig! Nein! Ich habe nur auf eine innere Stimme gehört, tief, geheim, eindringlich , glühend, ein Instinkt viel mehr als kalter und trockener Verstand, eine Stimme, die weit über mich hinaus zu kommen schien, weit über meine Eltern hinaus ... eine Stimme, die in mir aufstieg, als ich bestimmte Passagen in der Bibel las, Hiob, Prediger, die Psalmen, die Propheten.... Es war dieses ganze jüdische Erbe, das mich tief berührt hat und in meiner Musik wiedergeboren wurde. Inwieweit es jüdisch ist, inwiefern es nur Ernest Bloch ist, davon weiß ich nichts, allein die Zukunft entscheidet." (Henrichs, William Lee. "The Music of Ernest Bloch: . . .") 

 

 

Welcher Kunst bedarf es nun, „Schelomo“ zu interpretieren? Wie man diese orientalisierende Musik singend spielen kann, ohne dabei in Larmoyanz oder gar in Kitsch abzudriften. Das wäre in unserem Vergleich zu ermitteln. Zudem wäre von den Interpreten zu beachten, dass Cello und Orchester gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe sind, also das Cello nicht über Gebühr als Solist herausgestellt werden sollte. Das Cello ist im Wesentlichen Primus inter pares. Also sollte der Hörer zwar keinen Zweifel darüber haben, wo der instrumentale Schwerpunkt liegt, der Effekt sollte jedoch eher einer symphonischen Rhapsodie als einem Konzertsatz entsprechen. Obwohl das poetische Rhapsodieren der Musik der Schlüssel zu Blochs Vision ist, ist es wichtig, dass das Tempo der Partitur ein starkes Gefühl von vorwärtsgerichteter Erzählung und strukturellem Zusammenhalt behält. Das letztere erschien uns fast das wichtigste Kriterium zu sein.

Die Aufführungsgeschichte des „Schelomo“, von Emanuel Feuermann über Zara Nelsova – Bloch nannte sie „Madame Schelomo“ –  Rostropowitsch, Misha Maisky und Yo-Yo Ma bis zu den recht zahlreich aufnehmenden Cellistinnen und Cellisten der jüngeren Generation, die das Stück mittlerweile auch gerne aufführen, wenn ihnen dazu Gelegenheit gegeben wird, wollen wir dazu beachten.

 

Um einen Teil der Ergebnisse des Vergleiches schon einmal vorwegzunehmen, kann man sagen, dass das vorliegende diskografische Niveau extrem hoch erscheint. Es gibt keine einzige Einspielung von der man schreiben könnte, dass sie nicht hörenswert wäre. Und die leider letztplatzierten Produktionen (die gibt es einfach zwangsläufig bei einer Liste) sind nur aus klangtechnischen Gründen dahin gekommen.

Das heißt aber nicht, dass es keine Unterschiede gäbe. Sie sind ja wie immer das eigentliche „Salz in der Suppe“ ohne die ein Vergleich von Einspielungen über die Jahrzehnte hinweg so spannend wäre, wie das Lesen eines Telefonbuchs oder gar einer Rolle Toilettenpapiers.

 

 

(Beim Vergleich zu Hilfe kam die Partitur in der Originalhandschrift des Komponisten, die unter verschiedenen Adressen, angeblich mittlerweile ohne Copyright, im Internet herumgeistert. Besonders leserlich ist sie nicht, besonders wenn der Drucker nicht von guter Qualität ist oder wenn man nicht mehr die Augen eines Adlers hat. Manche kleiner notierte Vortragsbezeichnung konnten wir so leider nicht entziffern.

Wer sich gerne tiefer in die Materie einlesen möchte, dem sei die Lektüre  von „Eine kurze Geschichte und Analyse von Ernest Blochs Schelomo“ von Tracie D. Preis empfohlen, die man ebenfalls ohne Probleme, im Netz gehostet von der Cello Society, einsehen kann. Diesem Text ist auch ein großer Teil unseres „Hintergrundes“ entnommen.)

 

zusammengestellt am 25.7.2021

 

 

 

Ernest Bloch um das Jahr 1900 als 20jähriger junger Mann, also ungefähr 15 Jahre vor der Komposition des "Schelomo".

 

Vergleichende Rezensionen im Detail:

 

5

Marc Coppey

Kyrill Karabits

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

Audite

2016

22:20

Marc Coppey stellt Salomon zu Beginn als unaufgeregten Prediger vor, dem es nicht an Überredungs- oder Überzeugungskraft fehlt.  Seine sprechende Spielweise erscheint souverän und ausgewogen über alle Register hinweg. Der Ton wirkt sinnlich, auch gerade durch die Gelassenheit und keineswegs fade wie sonst mitunter, wenn man die „Coolness“ übertreibt. Hinzu gesellt sich ein großartiger Orchesterklang in beinahe holographischer Klarheit. Das Orchesterspiel wirkt beherzt, als ob die Beteiligten auf der sprichwörtlichen vordersten Stuhlkante säßen. Es bildet eine eng verzahnte Einheit mit dem Solisten. Bei Zi. 16 versucht das Fagott spürbar von der gewohnten Klanggebung etwas abzuheben, um dem Klang des Shofars näher zu kommen. Die anschließende Oboe klingt prima und auch das Unisono von beiden gefällt außerordentlich. Die beiden Antagonisten (Cello und Orchester) musizieren auf Augenhöhe und sehr spannend. Die Atmosphäre erscheint zunehmend dramatisch aufgeheizt bis zum herausfahrenden Höhepunkt. Der Celloklang 6 Takte nach Zi. 34 (also nach diesem wilden dramatischen Höhepunkt) wirkt nun extrem zurückgenommen und sanft, wo andere noch mit dickem Vibrato schwelgen. Er vermeidet aber auch die farblose Gestaltung des anderen Extrems, des Resignierten oder Depressiven das man mitunter auch antreffen kann.

Coppey ist immer hautnah dran am Stück, nie hatten wir das Gefühl, dass er sich einmal davon lösen würde, um vielleicht einmal  nur den schönen Ton zu präsentieren. Das stringente Drama scheint ihm stets wichtiger zu sein. Sein Spiel wirkt sehr detailliert ohne aber dabei je geschmäcklerisch zu werden. Dabei erscheint sein Instrument besonders groß, ja fast raumfüllend abgebildet zu werden, sodass man zunächst um die Balance zwischen den beiden Hauptakteuren fürchtet. Das Orchester aber bietet Paroli, wird sehr gut aufgefächert, präsent, tief reichend und aufgelichtet abgebildet, dass es eine Freude ist. Zudem klingt es auch dynamisch, sehr transparent und weiträumig. Der Gesamtklang gelingt so noch mit relativ natürlichen Relationen, aber nicht schlechter sondern viel besser durchhörbar als es auch im besten Konzertsaal sein könnte.

 

 

 

5

Emanuel Feuermann

Leon Barzin

National Orchestral Association, New York

Philips

1941, LIVE

19:28

MONO  Mit dem von Artur Rubinstein einmal als der „Größte Cellist aller Zeiten“  titulierten, von Heifetz als „Jahrhunderttalent“ bezeichneten und bereits mit 40 Lebensjahren verstorbenen Emanuel Feuermann liegen uns zwei Einspielungen vor. Wenn man beide nacheinander hört, glaubt man seinen Ohren kaum. Die mit Barzin klingt naturbelassen und ungeschönt historisch aber mit beseeltem Ausdruck. Die ein Jahr zuvor entstandene mit Stokowski wurde massiv den heutigen Hörgewohnheiten angepasst, völlig entrauscht und dermaßen hart bearbeitet, dass die Seele anscheinend gleich mit entfernt wurde. Dabei gilt die Einspielung mit Stokowski als die viel prominentere. Sowohl Feuermann als auch Stokowski haben nicht auch nur den kleinsten Anteil an dem Bild des Jammers, den die 1940er Einspielung hinterlässt, sondern völlig unsensible Remasteringingenieure. Davon später mehr, denn jetzt geht es erst einmal um die New Yorker Einspielung von 1941.

Hier hören wir einen Celloklang, der anscheinend der menschlichen Stimme abgehört wurde. Singend-deklamatorisch wie die eines Predigers in einer Synagoge. Also gewissermaßen authentisch. Der Ausdruck wirkt auf die Spitze getrieben. Auch die gewiss mehr als anspruchsvollen technischen Anforderungen werden in keiner Weise als Schwierigkeit hörbar. Auffallend an Feuermanns Spiel ist, dass er bei seiner überaus klaren Phrasierung die Spitzentöne eines Motivs geradezu herausmeißelt. Das fand bei keinem Kollegen bzw. Kollegin Nachahmung. Dabei macht es viel von der Faszination dieser Einspielung aus. Auch das Spiel des Orchesters, von dem man heutzutage gar nichts mehr zu hören bekommt (obwohl es noch zu existieren scheint), wirkt beseelt und ungemein mitreißend. Das deutliche Dialogisieren und (nur musikalische) auf einander Eingehen gelingt ungemein expressiv und mit zugespitztem Gestus genauso im Orchester. Die Solobläser sind zumeist sehr deutlich hörbar, was bei dem Aufnahmedatum sehr erfreulich ist. Das „Piu vivo“ ab Zi. 31 klingt wie eine Feuersbrunst, angefacht von einem Sturmwind.

Wir lauschen hier einer CD-Überspielung einer alten Schallplatte mit zahlreichen Geräuschen einer unsauberen oder schlecht gepressten Rille. Im Forte, während der betreffenden Passagen im Orchester wirkt der Klang aggressiv, an wenigen Stellen fast so hart und explosiv wie eine einschlagende Bombe (Erschrecken des nichts ahnenden Hörers inklusive). Das passt sogar ganz gut in den musikalischen Ablauf, ist aber wahrscheinlich nur eine Begleiterscheinung der antiquierten Technik. Wenn es nicht so platt klingen würde, könnte man auch schreiben, dass Feuermann hier seinem Namen mehr als gerecht wird. Feuriger klingt es sonst nirgends.

 

 

 

5

Pierre Fournier

Alfred Wallenstein

Berliner Philharmoniker

DG

1966

21:48

Fournier wird von der Technik auf Händen getragen. Sehr weit steht er im Vordergrund und man befürchtet schon das Schlimmste für den Raum der da noch für das Orchester übrig bleiben soll. Zunächst also folgt man gebannt Fourniers Ton, der eine recht helle, tenorale Färbung mitbringt. Seine Klangfarbe ist unter allen hier vertretenen Solopartien einzigartig und wäre im Blindvergleich sofort zu erkennen. Er wirkt sehr dicht, heute würde man sagen sehr gut aufgelöst, zudem in sich geschlossen, fokussiert und leuchtend. Sein Spiel erhält auch eine deklamatorische Note aber auf eine mehr aristokratische, distinguierte Art. Um das Orchester muss man sich den anfänglichen Befürchtungen zum Trotz keine Sorgen machen. Es sorgt (zu der Zeit meinte übrigens selbst Karajan zum Klang seines Orchesters, er wäre am Ziel seiner Wünsche angekommen) geradezu für einen Farbenrausch. Die Philharmoniker lassen dem Stück eine ausgesprochen liebevolle, nuancierte, aber auch glänzende und bei Bedarf wild herausfahrende Wiedergabe zuteil werden. Von den von Wallenstein bestens motivierten Musikern genießen wir einen vorwärtsdrängenden Duktus, der unter die Haut geht. Die Streicher klingen berückend weich, das Holz eloquent und mit vollen, leuchtenden Farben, das Blech und hiervon besonders die Trompeten mit einem herausragend kräftigen Klangstrahl. Wallenstein fordert sie aber auch hörbar entsprechend dazu auf. Auch bei Mendelssohns 5. Sinfonie fiel er uns bereits als drängender Spiritus rector auf. Das Spiel wirkt aber auch außerordentlich deutlich und geht in die Tiefe des Ausdrucks. Fournier hält mit einem wandlungsfähigen Ton mit reich abgestufter Schattierung dagegen. Nur sein Vibrato erschien uns stellenweise etwas weit. Lange Zeit bewegen sich die Kontrahenten auf Augenhöhe und der Ausgang des Disputs bleibt (natürlich nur für Hörer, die das Ende des Stückes noch nicht kennen) bis zum Ende offen.

Bei Zi. 16, die übrigens den Beginn des zweiten Satzes markiert, zeigen sich Fagott und Oboe jeweils von ihrer besten Seite, alleine jeweils außerordentlich voll klingend und besonders klangschön im gemeinsamen Unisono: ein Hochgenuss. Passagenweise folgen wir einer Kammermusik auf höchstem Niveau.

Das „Piu vivo“ ab Zi. 31 wirkt mitreißend, gesteigert bis zur Entäußerung, dabei bleibt aber der Gesamtklang immer noch bestechend klar und deutlich, eine Besonderheit die man im Vergleich zu der beispielsweise ebenfalls hoch motivieren Rheinischen Philharmonie, die ebenfalls klanglich meisterlich eingefangen wurde und denen ein ähnlicher Furor gelingt, sehr deutlich bemerkt, denn bei ihr werden die Strukturen merklich undeutlicher und mitunter gar etwas verschleiert, sodass es im Tutti ein paar Verlierer im Orchester gibt.

Nachdem Salomon diesen Wutausbruch über sich ergehen lassen musste, ändert sich seine „Stimme“ sehr deutlich, nämlich hin zum Introvertierten, wenn nicht gar Deprimierten. Im Folgenden schreckt Fournier auch vor heftigen, gar harten Akzenten nicht zurück. Die Orchestersoli erklingen stets nahe der Vollendung. Bei Zi. 46 begeistern erneut die wunderbar hervorgehobenen Trompeten, die dazu in der Lage sind, Schauer der Verzückung oder vielleicht doch nur der Bewunderung über den Rücken zu jagen.

Das Ersterben der Widerstandskraft gegenüber der persistierenden Eitelkeit, die für fatale Folgen (im Einzelfall für den damaligen Staat, ganz allgemein über alle Zeiten hinweg natürlich auch) sorgen wird, stellt Fournier herausragend dar.

Der intellektuelle aber auch emotional tief lotende Salomon Fourniers kontrastiert und interagiert hervorragend mit dem von Wallenstein mit glühender Inspiration aber auch handwerklich perfekt geleiteten Philharmonikern in ihrem klanglichen Zenit und in Bestform. Einfach super gelungen, diese Einspielung.

Die technischen Voraussetzungen sind aber auch sehr gut geeignet das Spiel ins rechte Licht zu rücken. Sehr transparent (vor allem, wenn man das Aufnahmedatum betrachtet), überaus farbig oder auch orientalisch bunt, wenn man so will, sehr gut aufgefächert und sehr dynamisch und sogar im komplexen Gesamtklang ungemein plastisch, überzeugt auch der klangtechnische Aspekt auf der ganzen Linie. Wenn wir gezwungen wären, nur eine Einspielung für die sprichwörtliche einsame Insel mitzunehmen...

 

 

 

5

Ofra Harnoy

Charles Mackerras

London Philharmonic Orchestra

RCA

1990

20:52

Für uns eine große Überraschung war die Bekanntschaft mit der Aufnahme Ofra Harnoys. In der Vergangenheit machten wir bezüglich dieser Cellistin ausschließlich Bekanntschaft mit eher mittelmäßigen Kritiken, was das eigentliche Kennenlernen ihres Spiels verhinderte.  Für dieses Werk scheint sie jedoch offensichtlich zu brennen. Ihr Spiel gefällt zudem durch ausgereifte und leichtgängige Technik, die durch keinerlei Nebengeräusche auf sich aufmerksam macht. Ihr schnelles Vibrato macht ihren Ton besonders sinnlich. Im Verlauf des Stückes wirkt es teilweise extrem ausdrucksstark. Das wäre aber nur die „halbe Miete“ käme nicht noch ein außerordentlich feinfühliges und mitreißendes Orchester hinzu. Mackerras, dem eigentlich nie etwas misslingt, erreicht hier mit höchster Aufmerksamkeit eine bestmögliche Verzahnung des Orchesterparts mit der Solostimme. Gerade nachdem man die Produktionen von Gastinel und Gabetta gehört hat, fällt dies besonders auf. Also auch hier ein bestes Miteinander auf Augenhöhe, was angesichts einer Aufnahmetechnik, die das Cello vorne an die Rampe holt umso mehr verblüfft. Mackerras gestaltet die Temponahme konzise und temperamentvoll. Insgesamt ist seine Gestaltung sehr spannend, ja aufregend. Die Bläsersoli überzeugen auf ganzer Linie, werden sprechend gestaltet und sind auch hautnah erlebbar. Wie Wallenstein lässt auch Mackerras die Partitur voll ausspielen und vernachlässigt auch die feinen Details nicht.

Das „Piu vivo“ wirkt extrem aufgepeitscht, die Trompeten werden zusätzlich zu herausfahrendem Spiel angefeuert. Dies ist diesbezüglich die einzige Einspielung, die es mit den Produktionen von Fournier/Wallenstein und Miquelle/Hanson aufnehmen kann.

Der Cellopart wird deshalb aber nicht „an die Wand“ gedrückt, denn auch die Cellistin begeistert mit ihrem hochemotionalen Spiel, das auch vor Entäußerung (natürlich wirkt es nur so auf den geneigten Hörer) nicht zurückschreckt. Immer wieder begeistert der hautnahe Dialog der Protagonisten.  Der Höhepunkt im 3. Satz wird erneut besonders intensiv, hellhörig und mitreißend gestaltet. So wirft das Orchester auch bei Zi. 46 ff sein ganzes Potential in die Waagschale. Dass das Cello danach resigniert bzw. angesichts dieser übermächtigen Widersacher kapituliert, wird hier (ähnlich wie in allen Beiträgen der „Summa cum laude“ – Gruppe) besonders plausibel. Dieser Beitrag zur Diskographie wirkte auf uns authentisch und zudem sehr sympathisch.

Obwohl die Technik das Cello übergroß an die Rampe holt, behauptet sich das Orchester mit ebenbürtiger Präsenz. Dadurch passen die beiden Ebenen doch wieder zusammen. Das Klangbild überzeugt mit kräftigen Farben, Transparenz, Offenheit und sehr weit gespannter Dynamik

 

 

 

5

Steven Isserlis

Richard Hickox

London Symphony Orchestra

Virgin

1988

21:38

Steven Isserlis, der das Stück übrigens ein zweites Mal mit Hugh Wolff und dem DSO Berlin einspielte (bedauerlicherweise eine Fehlanzeige in unserem Vergleich), stellt sich in seiner ersten Einspielung bereits als großer Rhetoriker aber zugleich auch Sänger auf seinem Instrument vor. Er spielt zwar mit reichlich aber auch reichhaltigem Vibrato und erreicht eine sehr emotionale Wirkung. Dennoch, obwohl er sich in jede Phrase geradezu reinkniet, wirkt sein Spiel niemals unruhig, sondern besonders farbig und flexibel. Unserem Eindruck nach macht er zwar viel, aber nie aus Selbstzweck. Er zieht alle Register, die sich wohl aus seinem Cello herauszaubern lassen, aber steht dennoch hinter dem Werk zurück. Zumindest hatten wir den Eindruck, dass keinerlei Eitelkeit im Spiel zu finden ist. Also ein würdiger Sprecher Salomons. Das LSO wollte da nicht zurück stehen und lässt sich vom inspirierten Richard Hickox zu äußerst engagiertem Spiel hinreißen. Das allerbeste Zusammenspiel mündet in plastischem Dialogisieren.

Bei Zi. 31 erwartet uns erneut ein mitreißendes „Piu vivo“, eines der allerbesten übrigens, mit beeindruckender Dynamik und der Mobilisierung aller Kräfte (so ist es recht!). Überhaupt lässt auch Hickox den Orchesterpart mit allem Glanz und der gebührenden Dramatik voll ausspielen. Dazu gesellt sich hier ein Cellospiel von beeindruckender Eloquenz und Souveränität. Insgesamt geben alle Mitwirkenden dem Werk einen stringenten Verlauf, der in resignativer Ausweglosigkeit endet. Auch Isserlis und das LSO bzw. Hickox liefern sich einen (einträchtigen) Kampf auf Augenhöhe. In der Musik geht das.

Auch aufnahmetechnisch wird eine ausgeglichene Situation angestrebt, indem das Cello ins Orchester eingebettet wird. Dadurch hört man es etwas entfernter als bei den anderen bisher genannten Einspielungen. Das Orchester selbst erklingt sehr transparent, fast schon luftig, offen und räumlich und ausgestattet mit vortrefflicher Dynamik und Wucht. Gegenüber den Einspielungen von Fournier/Wallenstein, Miquelle/Hanson, Coppey/Karabits, Harnoy/Mackerras und Steckel/Raiskin klingt sie ein wenig (aber spürbar) weniger präsent.

 

 

 

5

Georges Miquelle

Howard Hanson

Eastman – Rochester Orchestra

Mercury

1960

20:28

Bei dem hierzulande weniger bekannt gewordenen Cellisten handelt es sich um einen französischen Musiker, der nach seiner Ausbildung in Frankreich in den USA Fuß fasste und dort nach Stationen beim Boston Symphony Orchestra (nur kurz) sehr lange Zeit beim Detroit Symphony Ochestra Solocellist war bis er neben seiner Solistenkarriere in den Künstlerstab der Eastman School of Music in Rochester berufen wurde. Nachdem zuvor die Aufnahme von Maisky gehört wurde, empfanden wir die Form des Ausdrucks bei Miquelles Cellospiel völlig unprätenziös. Im Gegenzug wartet er aber auch deutlich weniger mit ausdrucksstarken Details auf und sein Ton wirkte gegenüber Maisky auch mitunter leicht gequält. Stets wirkt seine Darstellung aber sehr eloquent. Show ist seine Sache nicht. Das Orchester „begleitet“ den Solisten (der ja in dem Fall ein guter Bekannter aus dem Lehrerkollegium ist, denn die Aufnahme fand wie der Großteil der Konzerte des Orchesters auch im Konzertsaal der Schule statt) mit eruptiver Dynamik und einer ungeheueren Präsenz, vor allem was das Blech anlangt. Die Präsenz begünstigt aber beide Akteure (Cello und Orchester) gleichermaßen, sodass das Dialogische besonders gut beim Hörer ankommt. Der Gestus ist gespannt und drängend, besonders die Passagen des Orchesters, das die Gedanken Salomons mit einer ganz ungewöhnlichen Entschiedenheit und teilweise auch Härte erwidert. Im weiteren Verlauf wird das Dialogisieren auf herausragende Weise deutlich gemacht, Man kann annehmen, dass man vorher gemeinsam mit dem dirigierenden Komponisten Hanson, der damals auch Mitglied des „Mitarbeiterstabes“ der Schule war, sehr intensiv gemeinsam geprobt hat. Das schon oft zitierte „Piu vivo“ im 2. Satz übertrifft sogar noch mit seinem ungeheueren Steigerungspotential ein wenig den Aplomb Wallersteins und Mackerras´. Auch die Dissonanz, die Bernstein in der Aufnahme mit Maisky so einzigartig 3 Takte nach Zi. 33 herausgearbeitet hat, kommt bei Hanson gut, wenn auch nicht mit der expressiven Unerbittlichkeit und Schärfe Bernsteins.

Hier werden wir Zeuge einer hitzigen Kommunikation, die so sehr brodelt, dass „das Fass jederzeit zum Überlaufen“ gebracht werden könnte. Insgesamt  sticht diese Einspielung besonders durch die eloquente, besonders knackige und mitreißende Orchesterleistung und die hautnahe Präsenz hervor; beidem kann man sich einfach nicht entziehen. Mit diesem überfallartig direkt zur Sache gehenden Volk (Orchester) sollte man sich gar nicht erst einlassen. Hier lernt Salomon die Lektion auf weit heftigere Art als üblich.

Diese Wirkung geht zu einem ansehnlichen Teil auch auf das Konto der Tontechnik. Wenn der Hörer dem leichten Rauschen trotzt, wird er mit Einnahme der Dirigentenperspektive belohnt. Hier sitzt er inmitten des Geschehens. Zudem wirkt der Klang selbst für „Living Presence“ – Verhältnisse ungewöhnlich klar. Den Streichern fehlt zwar ein wenig der weiche und auch strahlende Glanz, aber die unmittelbare Dynamik wiegt den kleinen Mangel mehr als auf.

 

 

 

5

Julian Steckel

Daniel Raiskin

Rheinische Philharmonie Koblenz

Avi

2009

20:50

Empfanden wir Fourniers Cellospiel eher tenoral gefärbt so hatten wir – trotz gleicher Noten - beim Spiel Julian Steckels den Eindruck, dass uns hier eher ein baritonal gefärbtes Cello „gegenübersitzt“. Sein Spiel geht in die Vollen, er spart weder an Ausdruck, noch schreckt er vor einer weit gespreitzten Dynamik zurück. Hier hat man den Eindruck, man agiert mit „offenem Visier“. Selbst wenn man ein solches um die 1000 v. Christus noch nicht gehabt haben sollte, wirkt es so. Ein offener Schlagabtausch, so als sollten hier „keine Gefangenen gemacht werden“. Das Orchester schließt sich dem drängenden Gestus des Cellisten nämlich an: Will heißen, größtmöglicher Konfrontationskurs. Das soll nun nicht implizieren, dass Julian Steckel nicht über ein außerordentliches Farbspektrum verfügen würde (ganz im Gegenteil), auch die Nuancen werden keineswegs übergangen, aber das vornehmliche Charakteristikum ist der immense Schwung, den er in die Debatte wirft. Dieser Salomon hat keinen langen weißen Bart, er ist ein junger durchtrainierter Athlet, der bereit ist, es mit jedem aufzunehmen. Das Orchester aus Koblenz könnte auf ganzer Linie überzeugen, wenn der Gesamtklang im Tutti, zumal wenn es lauter oder richtig laut wird, nicht vernehmlich an Transparenz einbüßen würde. Das haben ihm die internationalen Top-Adressen noch voraus: Die letzte Präzision. Vielleicht haben die aber auch nur bessere Aufnahmeräume? Die Holzbläser klingen wirklich ausgezeichnet (Zi. 16) und der Gestus wirkt beeindruckend entschlossen. Raiskin wandelt auf den Spuren von Hanson, Wallenstein und Mackerras. Die oft zitierte Stelle der Orchester-Wahrheit das „Piu vivo“ ab Zi. 31 langt voll zu, klingt unerbittlich hart und urgewaltig. Hier liegt also eine ausgesprochen kurzweilige, hochexpressive, mitunter gar ungestüm-feurige Darstellung vor, die sehr zu Herzen geht, gerade auch weil man spürt, dass die Beteiligten mit ihren Herzen voll dabei sind. Gratulation.

Die technische Seite könnte auch sehr erfreuen, wenn die angesprochene Transparenz im ff des vollen Orchesters besser wäre. Dem Orchester fehlt auch etwas eine großzügigere Staffelung in die Tiefe. Dafür ist die Dynamik exzellent und der Rest (Farbigkeit, Natürlichkeit, glaubhafte Relation zwischen Solo und Orchester) gut oder sogar sehr gut gelöst.

 

 

 

4-5

Zara Nelsova

Ernest Bloch

London Philharmonic Orchestra

BnF-Decca

1949

19:50

Ernest Ansermet

London Philharmonic Orchestra

Decca

1955

20:21

Beide MONO  Nicht ohne Gründe wird sich der Komponist für seine eigene Produktion Zara Nelsova als Solistin ausgewählt haben, nannte er sie doch liebevoll „Madame Schelomo“. So gibt es mit ihr drei Einspielungen des Werkes, wobei die ersten beiden in nur sechsjährigem Abstand voneinander entstanden sind. Leider hat es 1955 knapp noch nicht zu einer Produktion in Stereo gereicht (bei Decca begann man damit erst 1956 in größerem Umfang damit). Aber man hört trotzdem schon eine Annäherung des Klanges der Konserve an den der natürlichen Instrumente. 1968 in ihrer dritten Einspielung klang es dann noch natürlicher aber aus anderen Gründen, die wir weiter unten kurz darlegen wollen, kann diese späte Aufnahme mit Abravanel nicht mehr ganz mit den beiden Vorläufern mithalten. Ähnlich wie Ofra Harnoy gibt auch Nelsova von Beginn an alles und klingt expressiv wie selten. Unter dem Dirigat Blochs gegenüber der Einspielung mit Ansermet mit einer ins Ohr gehenden souveränern Präsenz. Auch ihr Ton wirkt durch ein schnelles Vibrato sehr intensiv. Dass der Komponist kein Gelegenheitsdirigent war, merkt man der Einspielung an. Er fordert das damals noch kaum den Kinderschuhen entwachsene LPO stark, vor allem die Trompeteneinsätze gefallen bei ihm besonders. Ob sich Hanson, Wallenstein, Mackerras und später Raiskin das von ihm abgehört haben? Das wäre durchaus plausibel, sollte man doch als Interpret des Komponisten Beitrag zur Diskographie unbedingt kennen, wenn schon einmal einer greifbar ist. Die wichtigsten Beiträge des Orchesters kann man weitgehend ungeschmälert verfolgen, die „hintergründigeren“ fallen leider dem Stand der Technik zum Opfer.

Das Fagott bei Zi. 16 klingt sehr präsent, so hat sich Bloch also „sein“ Shofar vorgestellt. Die Oboe hat kleine Probleme mit dem schnellen Staccato, aber das hört man bei vielen, vor allem älteren Einspielungen. Bei „Piu vivo“ gibt Bloch eindrucksvoll, ja furios „Gas“. Dynamisch ist dies zwar von der damaligen Technik nicht zu fassen, eindrucksvoll bleibt es trotzdem.

Nach dem vehementen Zorn des orchestralen Höhepunktes des 3. Satzes haben andere die Niedergeschlagenheit Salomons etwas besser dargestellt. Nelsova vibriert da immer noch voll, was zumindest noch die Gedanken lebendig hält und sie trägt immer noch einen großen, gesunden Ton auf. Hier wäre (unserer bescheidenen Meinung nach) weniger mehr gewesen. Ein aschfahler, lebloser Ton drückt das Ende oder die Entgültigkeit mit der man Einsicht in eine ungeliebte Wahrheit gewinnt besser aus. Dennoch bleibt dies die authentische Einspielung schlechthin, mit Patina zwar, aber immer noch gut hörbar. Sicher gibt es mittlerweile auch den Umschnitt auf CD.

Hier (d.h. in der Überspielung der originalen analogen Platte aus der Bibliothèque national de France)) klingt das Cello sehr präsent und offen. Nelsova bekam selbstverständlich den besten Platz vor dem Mikrophon. Das Orchester bleibt hier im „Originalklang“ der Zeit, wurde also nicht remastered. Das klingt immer noch viel besser als bei Feuermann/Stokowski oder de Machula/Otterloo. Es klingt nur ganz selten mulmig. Ein erstaunlich passabel klingendes Dokument auf das man nicht verzichten sollte.

 

Die Einspielung mit Ansermet nur sechs Jahre später klingt schon merklich ausgewogener. Das Cello verdeckt viel weniger Details des Orchesters und leise Passagen auch ohne Cello werden nun gut hörbar. Nelsova agiert nun nicht mehr ganz so draufgängerisch und wendet den Blick mehr nach innen, sie schattiert auch mehr ab und ihr Spiel wirkt noch etwas geschmeidiger. Bei Zi. 16 werden die Bläser mehr nach vorne geholt. Die Staccato-Rhythmen gelingen der Oboe aber immer noch nicht so geschmeidig und selbstverständlich wie den besten in den moderneren Einspielungen. Bei Zi. 33 hören wir die Dissonanz fast so ungeschmälert wie bei Bernsteins Einspielung mit dem IPO. Nach diesem (auch bei Ansermet) Wut-Exzess zeigt sich Nelsova deutlich konsternierter (als in der Aufnahme mit Bloch) und dämpft ihr Spiel merklich ab, wenngleich sie immer noch am vollen Vibrato festhält.

Der Klang wirkt nicht nur ausgewogener sondern auch weicher und sanfter als 1949. Die Gran Cassa klingt schon für die Zeit erstaunlich erwachsen. Sie ist eigentlich ein Probleminstrument bei die alten Aufnahmen, da ihre Dynamik in keiner Relation zu den Fähigkeiten der damaligen Equipments stand. Ähnlich verhält es sich beim Tam-tam. Dynamisch ist die Einspielung noch ziemlich begrenzt, aber trotz des Mono-Klangs schon recht transparent. Beide Aufnahmen sind eigentlich, wenn man alle Kriterien mit einbezieht, gleichwertig. Cellistin und Orchester wirken bei Bloch noch engagierter, bei Ansermet hört man dafür letztlich mehr von der Partitur.

▼ eine weitere Aufnahme Zara Nelsovas folgt weiter unten in der Liste

 

 

 

4-5

Janos Starker

Zubin Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

Decca

1968

21:50

Gerade nach der Einspielung Ulrich Schmids gehört, gefällt Starkers spannungsgeladenes und expressives Spiel besonders auf. Klanglich wirkt es auf der Decca-Aufnahme erheblich runder und voller als auf seinen bekannten Mercury-Einspielungen. Gegenüber Fournier wirkt sein Spiel aber immer noch etwas knorriger. Der noch junge Zubin Mehta verhilft dem Orchesterpart mithilfe seines israelischen Orchesters zu einem ausdrucksvollen Spiel, gepaart mit ungestümen Vorwärtsdrang und ansteckender Spielfreude, vor allem natürlich, wenn es seiner Begleitfunktion enthoben ist. Dem Volk verleiht es eindrucksvoll Stimme, so machtgebieterisch, dass man kaum weiß, wer hier der Herr im Hause ist. Eigentlich sollte es ja der König sein (dem Bloch hier aber die Funktion des Propheten andient). Zi. 12 – 15  lauschen wir vitaler, detaillierter Orchesterarbeit. Zi. 16  lässt ein sehr klangvolles Fagott hören, das vielleicht dem Sound des Shofars auf diese Weise besonders nahe kommen will. Jedenfalls ist es der Oboe im Unisono der beiden ein guter ebenbürtiger Partner. Zumeist dominiert in den einzelnen Einspielungen klanglich hier die Oboe, was eigentlich bedauerlich ist. Ganz selten kommt es mal zu der gewünschten Mischung der Klänge. Fast immer klingen sie einzeln für sich, auch wenn sie, was selten ist, perfekt synchronisiert spielen. Am besten gelingt das noch den beiden Berliner Orchestern. Bei Mehta hört man auch endlich einmal den Einsatz der Bassklarinette (ein Takt nach Zi. 22), sonst bleibt da meist nur eine Fehlanzeige.

Betrachten wir noch das „Piu vivo“ ab Zi. 31. Es gelingt durchaus packend aber nicht mit der Durchschlagskraft, die Bernstein mit demselben Orchester erreicht und auch mit einer merklich abgemilderten Dissonanz. Bei Zi. 44 ff.  klingt das Orchester majestätisch und mit Grandezza. Ingesamt eine sehr intensive, spielfreudige und vitale Darstellung.

Der Decca-Klang jener Jahre war zumeist sehnig, plastisch, offen, dynamisch und besonders lebendig. So ist es auch hier. Er wirkt sehr sinnlich, was man von den späteren Einspielungen des Orchesters bei der DG nicht mehr ohne weiteres behaupten kann. Er passt unserer Ansicht nach sehr gut zu dem Stück. Das Cello ist zwar recht deutlich vor dem Orchester platziert, die Balance erscheint aber etwas besser als bei Fournier/Wallenstein.

 

 

 

4-5

Yo Yo Ma

Miguel Harth-Bedoya

Chicago Symphony Orchestra

CSO Resound

2007, LIVE

22:33

Von Yo Yo Ma sind uns zwei Einspielungen zugänglich, wovon diese zweite die erste mit David Zinman eigentlich in jeder Hinsicht deutlich übertrifft. Das fängt schon beim Klang des Cellos an, der nun erheblich plastischer, präsenter und obertonreicher ins Bild kommt. Auch das Spiel selbst wirkt erheblich lebendiger, selbstbewusster und ausdrucksorientierter. Ma ist nun viel weniger auf einen nur fein zeichnenden, eher sublimierten Klang ohne Ecken und Kanten aus. Das er nun inspirierter wäre als in Baltimore lässt sich schwer sagen, er wählt nun aber andere Mittel. Jedenfalls wirkt sein Spiel nun hellhöriger und aufmerksamer. Dass er einen besonders schönen Ton hat (auch schon in Baltimore) braucht nicht eigens zu erwähnt werden. Auch seine Technik ist lupenrein, wird wohl in diesem Vergleich nicht übertroffen.

Das Hellhörige trifft auch auf das Orchesterspiel zu, das zwar auch fein austariert erscheint wie bereits in Baltimore aber zudem noch mit mehr Motivation und Durchschlagskraft aufwartet. Bei Zi. 16 wartet das Chicagoer Holz dieses Mal mit feinster Spielkultur (wohlgemerkt Live) und Finesse in der Phrasierung auf. Harth-Bedoya gelingt ein drastisch zugespitzter weiterer Verlauf. Da gibt ein Wort das andere bis hin zum exaltierten „Piu vivo“. Vor allem haftet aber Mas nach wie vor unüberbietbare Spielkultur und Klangschönheit im Gedächtnis, wenn man sich an diese Einspielung zurückerinnert.

Die Balance wirkt ausgezeichnet. Das Cello ist größenmäßig bestens integriert aber doch sehr gut zu hören. Der Gesamtklang ist sehr offen, klar, farbstark und farbenreich, sehr präsent und sehr gut aufgefächert. Der Frequenzbereich erscheint sehr weit, d.h. der Klang wirkt brillant und bassintensiv. Die Dynamik ist ausladend. Diese Einspielung wäre ein Tipp für audiophil orientierte Hörer.

▼ eine weitere Aufnahme Yo Yo Mas  folgt weiter unten in der Liste

 

 

 

4-5

Misha Maisky

Leonard Bernstein

Israel Philharmoic Orchestra

DG

1988

24:32

Bei Misha Maisky wird fast jeder Ton mit Bedeutung aufgeladen und auf seinen Klang hin fein austariert. Sein Ton wirkt auf uns, was natürlich wie immer auch „Geschmacksache“ ist, nicht sonderlich voll und etwas artifiziell. Bisweilen empfanden wir sein Spiel auch als etwas „geschmäcklerisch“. Fern jeder Geschmacksfrage ist jedoch seine beispielhafte Differenzierungs- und Phrasierungskunst. Den Prediger verkörpert sein Spiel jedenfalls sehr glaubwürdig. Das langsame Grundtempo unterstützt die Tendenz zur feinen und sensiblen Modellierung noch zusätzlich. Ähnlich wie bei Kniazev/Svetlanov erscheint der Spannungsbogen mitunter bis zur Grenze gespannt, wirkt aber in dieser Einspielung noch nicht überdehnt und etwas lebendiger als die Version aus Moskau. Auf das Tempo haben sich beide Partner natürlich haarfein abgeglichen. Auch Bernstein modelliert jedes Intervall, betont das Rhapsodische im Stück ganz besonders und stellt das Perkussive sehr schön heraus, was wiederum den orientalischen, exotischen und - für den Mitteleuropäer - reizvoll fremdartigen Charakter des Stückes befördert. Das gelingt ihm hier übrigens viel besser als in seiner Einspielung mit Rostropowitsch, denn die Aufnahme  gelingt nun erheblich hellhöriger und das israelische Orchester hat das Stück einfach besser „drauf“ als das Orchestre National de France. Davon jedoch später noch ein wenig mehr.

Bernstein wäre nicht Bernstein, wenn er vor deftigen Effekten zurückschrecken würde, besonders wenn sie deklamatorisch Sinn ergeben, wie in diesem Fall. Plakativ erscheint uns seine Lesart jedoch nie. Besonders im „Piu  vivo“ das eindrucksvoll gelingt, betont er wie kein anderer die bei ihm stark verzerrt und schrecklich wirkende Dissonanz im 3. Takt nach Zi. 33. In den meisten anderen wird sie fast unter den Teppich gekehrt, in einigen hört man sie eher nur zaghaft angedeutet, in wenigen deutlich aber nur hier wird sie voll herausposaunt. Wie ein entsetzlicher Aufschrei. Der Orchestersatz wird in seltener Klarheit durchgestaltet, ja durchleuchtet. Die Details werden wie auf dem Silbertablett präsentiert.

Ähnlich Nelsova deklamiert Maisky nach diesem Schock noch ziemlich heftig und bedient sich auch weiterhin eines ausladenden Vibratos, neueste Einspielungen verzichten an dieser Stelle fast gänzlich darauf. Mit Maiskys Vibrato wirkt diese Passage ein wenig zu larmoyant. Zusammenfassung: Zugespitztes zum Teil großartiges Spiel von allen Beteiligten, das so mancher sicher als dem Ideal recht nah bezeichnen würde. Wir würden dem zustimmen, wenn man (neben der kleinen Einwände im Detail) ein etwas zügigeres Tempo gewählt hätte. So erscheint die zumeist sehr stimmungsvolle Atmosphäre bisweilen doch ein wenig beschaulich.

Die Klangtechnik stellt eine gute Balance zwischen Cello und Orchester her. Das Klangbild ist sehr klar, gut gestaffelt und räumlich großzügig bemessen. Dynamik und Farbigkeit sind ausgezeichnet. Das israelische Orchester klingt hier etwas profunder und klangsatter als bei Mehta.

▼ eine weitere Aufnahme mit Leonard Bernstein  folgt weiter unten in der Liste

 

 

 

4-5

Leonard Rose

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS

1961

21:01

Rose und Ormandy zaubern mit dem Orchester eine eindrucksvolle Klanglandschaft. Der überaus erfahrene Rose, der vor seiner Solistenlaufbahn bereits Solocellist beim NBC SO (Toscanini) war, beim Cleveland Orchestra und New York Philharmonic spielte und der auch Lehrer von Yo Yo Ma und Lynn Harrell war, spielt seinen Part geradlinig und unverzärtelt. Auch er bevorzugt ein schnelles Vibrato, Larmoyanz kommt bei ihm zu keiner Sekunde auf. Der Orchestersatz ist bei dem Virtuosenorchester aus Philadelphia bestens aufgehoben, es bringt sowohl den eitlen Glanz, die exotischen Effekte aber auch die Entwicklungsverläufe mit brutaler Entschlossenheit zur Geltung. Selten wird der Part so mirakulös, spieltechnisch perfekt und besonders virtuos realisiert. Leider verhindert ein Abregeln des Aufnahmepegels (um ein Übersteuern zu vermeiden), dass die ganze Bandbreite des superben Spiels vollends genossen werden kann. So wird der legendäre Sound immer wieder daran gehindert sich verschwenderisch zu verbreiten. Nicht nur, dass darunter die originale Dynamik leidet, auch die Transparenz lässt dann nach und die Farbenpracht schwindet auch.

Dies ist dennoch eine Version von imponierender Geschlossenheit und Geradlinigkeit. Die Konfliktparteien bleiben jederzeit und gänzlich unversöhnlich und machen auch keinen Hehl daraus, dass sich je daran etwas ändern könnte.

Das Cello wirkt wie vom Orchester umschlossen, es wird also eine sehr gute Balance erzielt. Der Klang wirkt auch heute noch recht voll und opulent. Die Transparenz und Dynamik sind sehr gut mit den bereits genannten empfindlichen Einschränkungen im ff und fff. Auch ein richtiges pp bekommt man nicht zu hören.

 

 

 

4-5

André Navarra

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie, Prag

Supraphon

1964

22:15

André Navarra, der zusammen mit Fournier, Tortelier und Gendron die französische Cellotradition prägte, darf in unserem Vergleich nicht fehlen. Seine Einspielung gibt es in sehr zahlreichen Umschnitten und Überspielungen von ihrer Erstausgabe an fast ununterbrochen bis zum heutigen Tag. Wie Founier bevorzugt Navarra den eher hellen Cello-Ton, der dabei aber nicht ganz so dicht und klar wirkt wie bei diesem. Navarras Ton klingt etwas rauchiger, zum Teil auch etwas knorriger und wilder, also durchaus etwas weniger aristokratisch. Er ist stark deklamatorisch, detailliert und engagiert bei der Sache. Er spielt durchweg mit kürzer wirkender Phrasierung, ohne aber je kurzatmig zu wirken. Im Prinzip kann man hier von einem Gegenmodell zu Mörks Spiel reden, auf dessen Einspielung wir etwas weiter unten eingehen wollen.

Das Orchester spielt seinen Part enorm detailliert und aufgelichtet. Das Holz ist dabei nicht immer ganz intonationssicher, aber bisweilen mit seiner Phrasierung sehr nah an der Sprache orientiert (Zi. 15). Das Blech agiert wieder schön knackig und präsent. Bei Zi. 16 erfreut das beherzte Spiel von Oboe und Fagott, ab Zi. 30 erfreut das ganze Orchester mit feurigem und leidenschaftlichem Spiel. Bei unserer Nagelprobe dem „Piu vivo“ beeindrucken besonders die expressiven Streicher auch die Trompeten klingen für unsere Ohren zwar vielleicht etwas rau aber mit ihrem frischen Impetus einfach klasse. 3 nach Zi. 33 wirkt die Dissonanz gegenüber Bernstein, der gerade zuvor mit seinem Solisten Maisky gehört wurde, merklich gemildert.

Diese Einspielung besticht durch solistische und orchestrale Präsenz und mit einer außerordentlichen Lebendigkeit. Auch die überraschend gute Aufnahmequalität erfreut, denn der Klang ist sehr plastisch und offen, bestens gestaffelt und transparent. Die Dynamik ist gut und diesmal haben auch die Violinen viel Schmelz, was ja oft ein Problem bei Aufnahmen aus dem ehemaligen Ostblocks ist.

 

 

 

4-5

Etienne Péclard

Alain Lombard

Orchestre National de Bordeaux – Aquitaine

Forlane

1991

21 :10

Auch der französische Cellist Etienne Péclard, Schüler von André Navarra war (wie Gerges Miquelle und Leonard Rose) Solocellist im Orchester, diesmal im Orchestre Philharmonique de Radio France, Orchestre de Paris und im ihn in dieser Aufnahme unterstützenden Orchester aus Bordeaux, wo er zudem auch im örtlichen Conservatoire unterrichtete. Er steht seinem ehemaligen Lehrer in nichts nach und hat das Stück ebenfalls verinnerlicht. Sein saftiger Ton und die hervorragende Technik verleiht seiner Wiedergabe eine durchaus persönliche Aura. Auch sein Orchester wollte ihm nicht nachstehen und zeigt eine sehr gute, souveräne Leistung. Mitunter gewinnt man jedoch den Eindruck, dass man hier einem waschechten Solokonzert lauscht, indem der Solist die führende Rolle einnimmt. Alain Lombard wurde eher bekannt durch seine Aufnahmen für Erato, zumeist mit dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg, die uns allesamt als eher durchschnittlich in Erinnerung geblieben sind. Umso mehr überraschte uns das erhebliche Potential, mit dem er nun das Orchester aus der Stadt am Atlantik durch den Orient des Alten Testaments führt. Die Soli gelingen vorzüglich (was für eine schöne Oboe!), der Gesamtklang im ff und fff hat ordentlich „Schmackes“ und das Orchester zeigt generell ein aufmerksames und reaktionsschnelles Spiel. Das „Piu vivo“ (unsere Nagelprobe) klingt aufgepeitscht aber auch stets supertransparent. Die Dissonanz kommt gut heraus, wenngleich Bernstein mit dem IPO bei diesem Detail weiterhin das Maß der Dinge bleibt. Das Cello danach zieht sich extrem zurück, bleibt selbst dabei immer noch gesanglich. Kleine Intonationstrübungen nimmt man hier sehr gerne in Kauf.

Klanglich steht das Cello auch hier an der Rampe, das Orchester bietet aber Paroli durch hohe Transparenz und Dynamik. Die Auffächerung der Orchestergruppen ist sehr gut, der Klang voll und ausgewogen und auch mit kräftigen Klangfarben versehen. Für uns ist dies die beste französische Produktion des Stückes. Chapeau!

 

 

 

4-5

Mstislaw Rostropowitsch

Leonard Bernstein

Orchestre National de France, Paris

EMI

1976

22 :46

In den Siebzigern konnte das französische Nationalorchester einige Konzerte und Schallplattenproduktionen mit dem damals neben Karajan weltweit bekanntesten und berühmtesten Dirigenten veranstalten, der sich ja damals bereits seiner stressigen Chefposition bei den New Yorkern entledigt hatte. Da es sich bei dem Orchester um ein Rundfunkorchester handelt, wurden alle Konzerte Live bei France Musique übertragen. Es waren auch Werke von Berlioz, Milhaud, Schumann und Ravel und andere vertreten. Die Öffentlichkeit feierte das Treffen als Sensation und die von uns Live am Radio verfolgten Konzerte erfolgten unter prickelnder Hochspannung. Viele der Werke erschienen später bei CBS oder EMI als Schallplatte. Die prickelnde Hochspannung kann man nicht mehr in allen Fällen gleichermaßen nachempfinden, warum auch immer. Jedenfalls wurden nicht die Konzerte in die Rille gebannt, sondern jeweils ohne Publikum gesondert produziert.

Rostropowitsch und Bernstein sehen „Schelomo“ ungleich rhapsodischer als die zuvor gehörten Rose/Ormandy. Rostropowitschs Celloklang ist viel nuancenreicher und obwohl er damals bereits seiner zweiten Berufung, dem Dirigieren, viel Zeit widmete, bleibt er noch immer der Prototyp des Cellisten mit dem beseelten und schönen Celloklang. Sein Prophet hat wirklich viel zu sagen. Wir fanden seinen Vortrag auch keinesfalls überladen, aber wie gesagt, die „Geschmäcker“ sind nun einmal verschieden. Das OndF verfügt bei weitem nicht über die klangliche Opulenz des Philadelphia Orchestra bei Ormandy. Bernstein geht dagegen flexibler mit dem Tempo um (Rhapsodie) und wirkt nuancierter. Er mobilisiert beträchtliche Ressourcen im Orchester aber ein ums andere Mal geht es an seine Grenzen und auch darüber hinaus.

Beide Protagonisten nehmen ihre Rollen vorbehaltlos an und erreichen ein hohes Maß an Identifizierung. Damals von Bernstein immer besonders angestrebt: Alles Details erfahren, alles in sich aufnehmen um schließlich in die andere Rolle zu schlüpfen, um in letzter Instanz zum Komponisten zu werden. Sicher ein Idealfall. Bernstein lebt jedenfalls seine Rolle, heute würde man sagen „ganzheitlich“ voll aus. Auch die Passagen der „Weltverlockung“ klingen extrem extrovertiert. Schade dass das Orchester nicht in allem ganz folgen konnte. Die Dissonanz bei Takt 3 nach Zi. 33 ist auch hier gut zu hören, aber lange nicht so grell herausgeschrien wie zwölf Jahre später mit dem IPO.

Der Klang und die Limitierung des Orchesters verhindern hier eine noch bessere Einordnung. Die damals vom Taschengeld gekaufte LP (in Quadro) klingt in diesem Fall nicht viel besser als die CD, eher noch schlechter.

Das Cello ist auch in dieser Produktion klar und deutlich vor dem Orchester positioniert. Aber vor allem der Klang des Orchesters schwingt nicht richtig aus, die Violinen klingen belegt bis grell. Vom Quadro-Ursprung nimmt die Produktion auch auf CD eine sehr gute Tiefenstaffelung mit, Diese erscheint aber ziemlich schlauchartig. Zudem bleibt der Gesamtklang kulissenhaft, weil die einzelnen Ebenen unverbunden hintereinander stehen. Außerdem macht sich auch noch eine Tendenz zum Übersteuern bemerkbar. Trotz Rostropowitsch erscheint uns die Maisky-Einspielung im Ganzen überzeugender gelungen. Wenn man eine Aufnahme mit Bernstein kennenlernen möchte und vieles spricht dafür, dann die mit Maisky und dem IPO.

 

 

 

4-5

Lynn Harrell

Bernard Haitink

Concertgebouw Orkest, Amsterdam

Decca

1984

21:21

Harrell, zu jener Zeit im Zenit seiner Kunst, spielt sein überragendes Können souverän aus, besonders die leiseren Passagen überzeugen mit intensiver Gestaltung. Sein Ton wirkt besonders weich, sonor, einfach extrem klangschön und auch besonders gesanglich. Sein Prophet ist eher ein eleganter, verführerischer. Allerdings wirkte sein Vortrag gegenüber der gerade zuvor gehörten Ofra Harnoy und ihrem glühenden Enthusiasmus ein winziges Etwas distanzierter. Das Orchester reizt dagegen den dem Werk innewohnenden Klangzauber voll aus. Machtvoll, ausgesprochen detailliert und mit schillernder, betörender Pracht. Kein Wunder, dass das Volk diesem verführerischen (Klang)reichtum erliegt. Die Direktheit und Impulsivität des Eastman-Rochester Orchestra, der Berliner oder Londoner Philharmoniker (insbesondere mit Mackerras) erreicht es dabei jedoch nicht, was teilweise auch der aufnahmetechnischen Disposition geschuldet ist. Davon am Ende noch ein wenig mehr. Bei Zi. 16 (Ruf des Shofars) agieren die Solobläser besonders klangschön und ausdrucksvoll, das schließt ausdrücklich auch das Englischhorn mit ein (Zi. 42). Das „Piu vivo“ (Zi. 31) zieht auf mit der Heftigkeit eines bedrohlichen Unwetters und die Amsterdamer geben ihm die ganze substanzreiche Wucht des Eliteorchesters.

Zi. 39 ff zeigt besonders den betörenden Klang der Violinen, wie sie das Cello umschmeicheln. Insgesamt ist dies eine der klangschönsten Alternativen in der Diskographie des Werkes und es fehlt ihr auch keinesfalls an Ausdruck und Feingefühl.

Ohne eine gelungene Klangtechnik nutzt aber auch der betörendste Cello- und Orchesterklang wenig. Die Balance passt sehr gut, das Cello wird nur leicht vorgezogen. Der Klang ist voll und rund, zudem farb- bassstark also eigentlich schon opulent zu nennen.. Er ist aber weniger präsent als die Version von Harnoy/Mackerras, dafür aber etwas mehr in die Tiefe hinein gestaffelt. Von der Digitalitis der frühen Digitalaufnahmen bleibt sie weitestgehend verschont.

 

 

 

4-5

Raphael Wallfisch

Benjamin Wallfisch

BBC National Orchestra of Wales, Cardiff

Hyperion

2013

22:00

Vater (Cello) und Sohn (Dirigent) kennen jede Note des Stückes ganz genau. Der Vortrag gelingt auch besonders sprechend, sehr sensibel aber auch impulsiv. Dass die beiden viel Zeit hatten sich bestens abzustimmen, darf man wohl annehmen. Man kann so Synergieeffekte mitnehmen. Die beiden Ebenen fügen sich jedenfalls bestens verzahnt aneinander. Seltsam mutet es nur an, dass man das „Piu vivo“ vor lauter Enthusiasmus bereits von ab Zi. 30 beginnen lässt. Das Orchester bietet eine gute Leistung, um ganz zu den Topp-Adressen zu gehören, fehlt gar nicht mehr so viel. Klanglich müssen die folgenden Aussagen mit Vorsicht gelesen werden, denn unser Ausgangsmaterial bestand aus einer heruntergeladenen mp3-Datei, mit all ihren Einschränkungen. So könnten die leicht verschwimmenden Konturen auf die geringe Datenrate zurückzuführen sein, denn durch das Schrumpfen des Originals bleiben doch manch ein Detail und mitunter auch ein wenig Fülle auf der Strecke. Das Cello steht groß und deutlich vor dem Orchester. Die Aufnahme klingt trotzdem noch erheblich präsenter als die gerade zuvor gehörte mit Thedéen/Markiz. Die Transparenz könnte für eine so „aktuelle“ Einspielung besser sein (da winkt uns auch die mp3-Auflösung entgegen). Trotzdem klingt die Einspielung noch recht voll und farbig. Dennoch war die klangliche Abmagerungskur der Hauptgrund, weshalb wir uns für diese Einspielung nicht recht erwärmen konnten.

 

 

 

4-5

Na Mula oder auch Namula

Martin Yates

China Philharmonic Orchestra, Bejing (Peking)

Bejing Yinshang

2014, LIVE

22:30

Das Orchester verblüffte uns mir seiner erstaunlichen Qualität bereits beim Vergleich der verschiedenen Aufnahmen des „Poème de l´Extase“. Diesmal kann man das Gleiche vermelden, denn es zeigt auch hier Qualitäten, die bei einem Blindvergleich auch auf das San Francisco SO oder das Orchestre de Paris tippen ließen. Doch fangen wir wie gewohnt mit der bei uns wohl eher (noch) weniger bekannten Cellistin an. Sie ist eine in ihrem Heimatland und in Kanada hoch angesehene Pädagogin und es ist ein großer Genuss, ihr zuzuhören. Tonlich und technisch sollte an ihrem Spiel auch von erbarmungslosen Kritikern oder missgünstigen Kollegen oder Kolleginnen (gibt es die überhaupt?) nichts ausgesetzt werden können. Ihr Spiel ist auch sehr ausdrucksvoll und zumeist von vibrierender Intensität. Sie ist ohrenkundig trotz der Live-Situation auch kein bisschen nervös, oder sie kann diese Energie gut in Ausdruck umsetzen.

Dem Orchester fehlt zur 5 nur noch der letzte Biss. Die Klangfarben der (Holz)Bläser sind mit die schönsten. Im „Piu vivo“ wird fast schon eine richtige „Show“ geboten. Das gelingt voller Macht und Intensität, es fehlt – wie gesagt – nur noch der letzte Biss, wie wir ihn von Hanson, Wallenstein und Mackerras kennen. Das alles hören wir in einem absolut stabilen Klangbild. Was muss das für ein toller Konzertsaal sein, der so eine Aufnahme ermöglicht. Der Dirigent wurde bei uns bisher eher als Spezialist für das eher abgelegne (besonders britische) Repertoire bekannt.

Klanglich, obwohl in diesem Fall auch nur eine mp3-Datei vorlag, ist es um diese Einspielung sehr gut bestellt, denn sie übertrifft klanglich die Wallfisch-Einspielung in jeder Beziehung. Ihr merkt man die Herkunft vom geschrumpften Format nicht an. Sie verfügt über ein weites Panorama, eine sehr gute Präsenz und Durchhörbarkeit und volle Klangfarben. Das Orchester klingt plastisch und prall, die Dynamik ist ausladend. Das Cello zu Beginn klingt raumfüllend, vielleicht auch im weiteren Verlauf etwas über Gebühr nach vorne geholt. Offensichtlich verfügt man in China auch über feinstes technisches Aufnahme-Equipment. Dass es auch in China jede Menge erkältete Zuhörer im Publikum gibt, hört man an den zum Teil heftigen Hustern in den leisen Passagen.

 

 

 

4-5

George Neikrug

Leopold Stokowski

Symphony of the Air, New York

United Artists, später EMI

1959

21:32

Hinter dem seltsamen Orchesternamen stecken weitgehend die nach dem Tode Toscaninis und der damit verbundenen Auflösung des NBC Symphony Orchestras die an die „Luft“ gesetzten Musiker desselben, die so noch eine Weile ihr Auskommen fanden. Auch der Produktionsfirma (analog zu der ebenfalls von Charlie Chaplin gegründeten Filmgesellschaft) war kein langes Leben beschieden. Ganz anders erging es dem Cellisten, der seinen 100.Geburtstag 2019 um einen Tag überleben durfte. In seinen jungen Jahren war er übrigens Schüler von Feuermann und Solocellist in den Orchesters aus Baltimore, Pittsburgh, im für Bruno Walter zusammengestellten Columbia Symphony Orchestra und diverser Filmorchester (Paramount, Columbia und Universal). Nach seiner Solistenkarriere war er unter anderem auch Professor in Frankfurt, Detmold, Boston und Indiana.

Sein Spiel besticht durch Geschmeidigkeit und erinnert auch in anderen Charakteristika von weitem an Pierre Fournier. Sein Cello scheint er fast so zu behandeln wie der Geiger seine Violine. Es macht also hier besonders den Eindruck einer tiefen Violine. Jedoch zumindest in „Schelomo“ mit einem leicht larmoyanten Unterton versehen. Insgesamt dennoch beeindruckend schlüssig. Das Orchester klingt hochkarätig und anders als noch unter Toscanini nun auch mit voll klingenden Violinen und vor allem mit geschmeidig agierenden Holzblasinstrumenten. Das „Piu vivo“ haben wir kaum wilder gehört, aber durchaus schon dynamischer und druckvoller. Das große „Donnerwetter“ bei Zi. 46 ff erklingt eindrucksvoll aber leider auch hier mit reduzierter Transparenz, bei Schelomo macht sich sanfte Traurigkeit breit mit einem innigen, vollen Ton aber nun stark abgedämpftem Vibrato.

Stokowskis zweite Aufnahme des Stückes klingt wie erwartet ungleich besser als seine Einspielung mit Feuermann von 1940. Nun klingt es farbenreich, sehr transparent, ja aufgelichtet und leuchtend, geschmeidig und weiträumig. Ingesamt aber ein wenig gedeckt. In der Dynamik geht Miquelle/Hanson, Fournier/Wallenstein und Harnoy/Mackerras noch ein deutliches Stück weiter.

Auch diesmal hat Stokowski wieder eine Besonderheit zu bieten. Er greift zwar nicht in die Werksubstanz ein aber positioniert das Orchester ungewohnt, indem er alle Bläser (Holz und Blech) und die tiefen Streicher rechts Platz nehmen lässt, während er die Violinen und das Cello Schelomos alleine auf die linke Seite nimmt. Zu der Zeit, als man noch nicht mit 20 Mikros aufgenommen hat, sondern nur mit einem Stereomikrophon, sicher eine sinnvolle Maßnahme. Sie hat zur Folge, dass die Stimme des weisen Mannes sehr deutlich wird und die Balance dem Ideal wohl sehr nahe kommt.

 

 

 

4-5

Gary Hoffman

Christian Arming

Orchestre Philharmonique Royal de Liège (Lüttich)

La dolce volta

2017

22:57

Dieses Mal wartet der Cellist mit einer betont rhapsodischen Gestaltung auf, die fast wie eine Improvisation anmutet. Natürlich beherrscht auch der kanadische Cellist seine Stimme perfekt und verfolgt diesen Gestaltungsansatz nicht aus Verlegenheit. Sein tiefer, voller und runder Ton wirkt besonders männlich, falls sich das von einem Ton überhaupt sagen lässt. Kein anderer spielt die orientalischen Melismen so geschmeidig, wie nebensächlich, wie Hoffman, der so den eigentlichen Melodiefluss zusätzlich noch befördert. Nun zum Orchester. Nachdem zuvor die Harrell-Einspielung mit dem Concertgebouworchester gehört wurde, fällt die Orchesterleistung schon ein wenig ab. Das Holz bei Zi. 16 wird hier etwas nach vorne geholt, im restlichen Stück sind sie weit weniger präsent. Das „Piu vivo“ bringt eine gute Steigerung, bleibt aber deutlich hinter Harnoy/Mackerras und auch eine wenig hinter Harrell/Haitink zurück. Die exzessive Dynamik bei den Ausbrüchen ist auch nicht die Stärke dieser Einspielung sondern vielmehr das farbige, nuancenreiche, dabei völlig unaufgeregte aber doch ungemein expressive Spiel des Cellisten. Dem Orchester fehlen gegenüber den besten etwas die Wucht und der schillernde Farbenreichtum. Das kann aber auch hier an der diesmal wieder gehörten mp3-Codierung liegen. So erhält Salomon in dieser Aufnahme etwas mehr Gewicht im „Spiel der Kräfte“ als üblich.

Das ist verblüffend, denn eigentlich wird das Cello von der Technik etwas zurückgesetzt, das Orchester scheint es zu umschließen. Die Basswiedergabe ist gut, auch die Gran cassa kommt zu ihrem Recht. Insgesamt wirkt der Klang recht plastisch, die Violinen klingen jedoch ohne Glanz.

 

 

 

4-5

Maria Kliegel

Gerhard Markson

National Symphony Orchestra of Ireland, Dublin

Naxos

1993

22:58

Diese Darstellung des “Schelomo” ist klar und sauber angelegt. Maria Kliegels Celloton wirkt energisch und etwas rauer im Ton als üblich. Schon zu Beginn wählt sie ein überaus starkes Ausdrucksniveau, sodass wir schon fürchten mussten, es erwarte uns ein „Dauerespressivo“. Im weiteren Verlauf zieht die Cellistin jedoch alle Register der Darstellungskunst. Ihr Spiel wirkt spannend, wenn auch nicht so sinnlich im Ton wie der Vortrag Harnoys.

Das Orchester von der grünen Insel spielt plastisch aber ohne die letzte Entschlossenheit. Die Holzbläser klingen erfreulich rund und voll. Das Orchester kann auch die Spannung des Spieles der Cellistin nicht immer ganz halten, die Klangkultur überzeugt hingegen. Offensichtlich verlief die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten vorzüglich, denn er wurde später zum Chefdirigenten berufen und blieb es von 2001-2009. Im „Piu vivo“ erreicht man nicht den vorantreibenden Gestus des zuvor gehörten LPO in der Einspielung von Janigro/Rodzinsky. Letztlich liegt hier aber eine immer noch sehr eloquente Deutung vor.

Die Balance ist trotz des etwas nach vorne gezogenen Cellos  noch gut. Das Orchester klingt recht plastisch, weiträumig, transparent und ausgewogen. Die Dynamik ist gut.

 

 

 

4-5

Antonio Janigro

Arthur Rodzinki

Philharmonic Symphony Orchestra of London

(entspricht dem London Philharmonic Orchestra)

Westminster

1955

20:30

MONO  Erstaunlicherweise klingt diese Einspielung fast so räumlich, als wäre sie doch schon in Stereo aufgezeichnet worden. Das Cello wirkt so raumfüllend und präsent, dass man sich fragt, wo da noch ein Plätzchen für das Orchester frei sein soll?  Von dem man zu Begin auch so gut wie nichts hört. Erst ab dem Andante moderato, das wäre ab Seite 3 der handschriftlichen Partitur Blochs, meldet es sich gut hörbar zu Wort. Dann kommt es aber trotz Mono überraschend plastisch und sogar recht transparent zu Gehör. Und sehr präsent. Nur auf eine Staffelung muss man weitgehend verzichten.

Vielleicht zunächst aber noch ein paar Worte zum Solisten, der vielen Musikfreunden vielleicht nur noch als der Solist in Fritz Reiners Einspielung von Richard Strauss´ Don Quixote bekannt ist. Im Südwestdeutschen Raum könnte er unter den älteren vielleicht noch als Nachfolger Karl Ristenparts als Leiter des Kammerorchesters des Saarländischen Rundfunks bekannt sein, eines Orchesters, das, als 1971 als die öffentlichen Geldquellen nicht mehr so üppig sprudelten, im RSO Saarbrücken aufgegangen ist. Janigro leitete danach auch noch die Salzburger Camerata und die „Solisten aus Zagreb“. Auch als Lehrer war er sehr erfolgreich.

Das Cello dominiert also den Gesamtklang. Es hat einfach den besten Platz vor dem einzigen Mikrophon bekommen, was ja auch mehr als naheliegend ist. Bewundernswert ist Janigros robuster, ja unerschütterlicher Ton. Als Eigenschaften wäre vielleicht noch eine etwas herbe Sonorität zu nennen. Er zaubert jedenfalls durchaus eine kultivierte aber auch beherzte Klanglandschaft.

Im Orchester gehen dann doch ein paar Details verloren. Das „Piu vivo“ wird dann auch von der Technik abgeregelt, was hier besonders schade ist, denn man spürt (mehr als man es tatsächlich hört), dass das Orchester alle Register seines Könnens zieht. Es war ja in diesem Jahr schon die zweite Aufnahme des Stückes, nach der mit Nelsova/Ansermet. Vielleicht war es aber auch umgekehrt? Bei den weiteren orchestralen Höhepunkten (Zi. 44-46) wird ebenso verfahren.

Noch ein kleiner Nachtrag zum Klang: Man hört zwar kein richtiges p oder pp, aber sehr wohl aber ein ordentliches f oder ff, besonders vom Cellisten. Auffächerung und Luftigkeit wären naturgemäß auch verbesserungswürdig.

 

 

 

4-5

Thorleif Thedéen

Lev Markiz

Malmö Symphony Orchestra

BIS

1990

24:10

Bei dieser Einspielung hat man die Integration des Cellos etwas zu weit getrieben. Es klingt zwar auf gleicher Höhe wie das Orchester, aber beides erscheint so weit zurückgesetzt, als ob man nur einen Platz in der hintersten Sitzreihe des Konzertsaales erwischt hätte. Dadurch wirkt das Cello recht klein abgebildet. Diese Disposition lässt das Werk mehr zu einer Symphonie mit obligatem Cello werden. Ob sich das der Komponist so vorgestellt hatte? In der Balance wahrscheinlich schon, nicht aber mit diesem großen Abstand zum Geschehen. Ein richtiger Erlebnisplatz ist vorne, so wie es Miquelle/Hanson in extremer Position vorgemacht haben.

Was bietet uns nun diese Einspielung? Der Cellist bietet uns einen recht getragenen Beginn, sein Ton ist eher ein heller und näselnder (mittlerweile könnte sich da geändert haben, denn als Leihgabe spielt Herr Thedéen nun das Cello (oder eines der Celli) von Rostropowitsch). Auch im weiteren Verlauf wirkt der Duktus wie von der angezogenen Handbremse mit dominiert. Die Spielzeit gibt hier wirklich Auskunft. Es ergibt sich aber dennoch eine starke Atmosphäre, eher lyrisch geprägt als dramatisch, als ob der Prediger in die Rolle des Erzählers geschlüpft wäre. Das wirkt zwar zurückhaltend aber irgendwie auch nobel und weise. Den Orchestereinsätzen mangelt es nicht an Intensität, sie scheinen den eher betagten Mann in ihrer Wucht förmlich zu überrollen.

Also eine in jeder Hinsicht ausladend wirkende Einspielung, die aber nicht langweilig wird, dazu sind alle Mitwirkenden mit zuviel Herzblut bei der Sache. Vor allem die von der Parität her eigentlich ideale Aufnahmedisposition verhindert aber durch die Distanz zum Hörer ein Mitfiebern desselben, Das wird in den Aufnahmen unter anderem von Miquelle und Fournier oder aber auch Steckel und Harnoy durch einen Platz in der ersten Reihe deutlich erleichtert.

 

 

 

4-5

Truls Mörk

Paavo Järvi

Orchestre Philharmonique de Radio France

Virgin

2005

22:53

Truls Mörk ist eine weiterer Vertreter der hohen Kunst des Cellospiels. Er spannt extrem weite Bögen und ordnet einzelne Details besonders der Phrasierung dem vornehmlich cantablen Redefluss unter. Ein Redefluss fast ohne Punkt und Komma. Trotz der Gesanglichkeit, die für ihn hörbar an erster Stelle steht, gelingt es ihm auch eine gewisse Expressivität erlebbar zu machen. Im Orchesterpart wird durch treffende Prononcierung und Schärfung des Perkussiven aus dem orientalischen Dekor ein martialisches Moment großer Eindrücklichkeit. Ansonsten wirkt die „Begleitung“ Järvis sehr anschmiegsam und detailreich. Er geht sehr hellsichtig mit der Partitur um, denn die Col legno Spielweise der Celli bei Zi. 11 haben wir beispielsweise noch nie so bewusst vorgetragen gehört wie hier, und Mörks Einspielung war die Aufnahme, die (wie immer dem Alphabet nach) als Nr. 21 gehört wurde. Bei Zi. 16. dem ersten und größten Auftritt des Shofars (dargestellt von Fagott und Oboe) spielen die beiden sehr detailliert und schön aber auch sehr zurückhaltend. Hier haben wir uns das erste Mal gefragt, warum sich Bloch nicht das Horn aus dem Orchester herausgesucht hat, um das Horn aus der jüdischen Liturgie darzustellen? Unser orchestraler Hauptprüfstein das „Piu vivo“ ab Zi. 31 ff  bleibt weit hinter dem gerade zuvor gehörten Eastman-Rochester Orchestra in der Einspielung mit Miquelle zurück. Järvi treibt zwar gut voran, aber der Klangeindruck bleibt viel zu matt.

Hauptgrund dafür ist die Anordnung des Orchesters im Klangbild, das viel zu weit entfernt erscheint. Bei Miquelle und auch Maisky zuvor war das viel besser aufgeteilt. Hier fehlen die knackige Präsenz und der Biss. Transparenz und Tiefenstaffelung sind jedoch in Ordnung. Mörk agiert deutlich im Vordergrund.

 

 

 

4-5

Jacopo Scalfi

Paul Kantschieder

Royal Philharmonic Orchestra London

Erresse

1992

20:38

Nach rhapsodischem Beginn mit einem eher sachlich-nasal geführten Celloton und nicht gerade übertriebener Expressivität entspinnt sich seitens des Cello ein relativ unaufgeregter Dialog. Gegenüber dem gerade zuvor gehörten Rostropowitsch und seinem enorm reichhaltigen  Fähigkeiten der Abschattierung erscheint der Vortag und insbesondere die Farbigkeit von Scalfis Ton eher monochrom. Scalfi gewinnt dem weisen Salomon so eher introvertiertere Töne ab und lässt ihn als meditativer Denker erscheinen.

Das Orchester unter dem österreichischen Dirigent ist gut bei Stimme, vor allem das schwere Blech begeistert. Auch der Impetus gefällt. Das Oboensolo ab Zi. 16  ist rhythmisch sehr exakt und stellt den Spieler vor keinerlei Probleme. Er oder sie haben die Probleme des Rohrbaus gelöst und ein gut ansprechendes Rohr zur Verfügung gehabt. In den alten Aufnahmen war dies fast durch die Bank noch ein gravierendes Problem. Das „Piu vivo“ wird furios entwickelt, aber leider werden nicht alle Stimmen gleichermaßen gut hörbar wie in den noch besseren Aufnahmen. Diese Passage ist auch ein richtiger Prüfstein. Scalfis Darstellung des Endes begeistert mit einem gänzlich farblosen Ton, der vollends deprimiert wirkt.

Das Klangbild ist sehr perkussiosfreudig. Das Cello zu Beginn wird sehr groß abgebildet, später rückt es dann merklich nach hinten. Dann klingt es eher wie im Konzertsaal. Das heißt, das Orchester hat nun ein großes klangliches Übergewicht. Ansonsten wirkt der Klang dynamisch, farbig und transparent. Vor allem die Gran Cassa und das Tam-Tam beleben den Gesamtklang deutlich, bringen auch eine gewisse Tiefendimension mit ein.

 

 

 

 

4

Zara Nelsova

Maurice Abravanel

Utah Symphony Orchestra, Salt Lake City

Vanguard

1967

19:16

Im Vergleich der drei Einspielungen der “Madame Schelomo” geht Zara Nelsova immer noch „in die Vollen“, auch immer noch beim Vibrato. Das Cello selbst hat nun einen deutlich kräftigeren Bassanteil, was auch an der Fähigkeit der Aufnahmetechnik liegen könnte, diesen Frequenzbereich besser aufnehmen zu können. Sonst spielt sie aber eher etwas weniger farbig als zuvor. Nach unserem Dafürhalten ist das Dauervibrato des Guten ein wenig zu viel. Von ihren drei Einspielungen hört man von den Orchesterdetails nun am meisten, denn er wird von Abravanel transparent gestaltet und von Vanguard ebenso aufgezeichnet. Dies dürfte gemeinsam mit den beiden von Feuermann und Nelsovas Einspielung mit dem Komponisten mit die schnellste Einspielung des ganzen Vergleiches sein. Dass sie deshalb aber eine besonders rasant wirkende oder vor Temperament sprühende wäre, lässt sich nicht bestätigen. Da liegen die beiden anderen vorne. So fehlt den Musikern aus dem Mormonenstaat in Vergleich zu den besten des Vergleiches auch der letzte Biss und den Bläsersolisten fehlt es durch den etwas starren, harten Ton etwas an Flexibilität, was der Hörer dann mit Einfühlungsvermögen gleich setzt. Das Gesamtniveau ist aber immer noch sehr gut.

Insgesamt wirken die beiden älteren Einspielungen dieser neueren gegenüber zwar technisch antiquiert aber immer noch frischer und packender. Irgendwie spontaner empfunden.

Das Cello wirkt den beiden Mono-Einspielungen gegenüber weiter ins Orchester integriert, sodass die Balanace zwischen Cello und Orchester sehr gut passt. Für die Zeit klingt die Einspielung recht tief gestaffelt, weiträumig und recht dynamisch. Die Präsenz erscheint jedoch etwas gemindert und die Klangfarben etwas blass.

 

 

 

4

Alexander Kniazev

Jewgeni Fjodorowitsch Swetlanow

Staatliches Russisches Sinfonieorchester, Moskau

Brilliant

1998

24:39

Ähnlich Scalfi nimmt der hierzulande weniger bekannte russische Cellist eine mehr erzählende als direkt dialogisierende Haltung ein. Er tut dies mit einem recht warm wirkenden z.T. schwelgerischen Ton. Schon gleich zu Beginn rückt sich das Orchester ins rechte Licht. Durch das langsame und betont vorsichtige Tempo wird aber doch Spannung erzeugt, sodass der Hörer schon auf ein „unterschwelliges“ Konfliktpotential hingewiesen wird. Das Tempo sorgt beim Cellisten für einen leicht gequälten Unterton, was hier aber nicht für die Tonbildunng, sondern mehr für die Befindlichkeit Schelomos gilt. Die Einlassungen des Orchesters wirken auch durch das maßvolle Tempo weniger entschlossen als vorsichtig, als ob man noch nach den rechten Worten sucht und sich mit einer unüberlegten Antwort zurückhält.  Ab Zi. 13 hört es sich schon heftiger an. Die Passage mir dem Auftritt des Shofars ab Zi. 16 wird ungewöhnlich langsam genommen, was der Szenerie eine nachdenkliche, ja melancholische Note verleiht. Als ob über dem ganzen Disput ein unausgesprochenes Bedauern läge, dass sich alles so entwickelt. Zi. 31 ff „Piu vivo“  klingt mit dem exponierten schweren Blech wuchtig, aber fehlt die vehement aggressiv-dominante Note. Der Abgesang danach erklingt bereits in vollkommener Niedergeschlagenheit und Trauer. Zi. 46 ff wird überlegen gestaltet aus der Ruhe heraus und mit Bedacht. Nicht aus dem Affekt heraus, wirkt das dramatische Geschehen wie in Stein gemeißelt und endgültig. Wie bei einer episch erzählten Tragödie. So nehmen wir in dieser Version  an einer überlegen geführten Kommunikationsrunde teil, geführt von erfahrenen und mehr oder weniger rücksichtsvollen Diskussionsteilnehmern in einem gefühlt fortgeschrittenen Alter, die sich aber zu keiner Sekunde von ihrer vorgefassten Meinung abbringen lassen und das katastrophale Ende sehenden Auges in Kauf nehmen. Ein nach vorne gerichteter Gestus bleibt hier weitestgehend aus. Für unsere Ohren liegt hier eine sehr eigenständige, individuelle Auslegung des Stückes vor, wie sie kaum gegensätzlicher zu Blochs Eigenaufnahme sein könnte.

Sehr gute Balance, gut gestaffeltes, weiträumiges Orchesterpanorama. Gute Farbigkeit.

 

 

 

4

Sol Gabetta

Leonard Slatkin

Orchestre National de Lyon

Sony

2012

22:29

Sol Gabettas vollmundiger Ton steht weiter im Vordergrund als bei der gerade zuvor gehörten Fujiwara. Ungefähr wie bei Fournier, dessen Einspielung man sich diesbezüglich als Vorbild genommen haben könnte. Stars werden eben immer gerne ins „rechte Licht“ gerückt oder wünschen das bisweilen auch. Sie setzt ihr Vibrato sehr flexibel ein und spielt ihren Part erheblich ausdrucksvoller als die zuvor gehörte Fujiwara, aber auch als Anne Gastinel, die danach in unserem Fokus stand.

Dem eigentlich guten Orchester aus Lyon fehlt die Dringlichkeit im Duktus, seine Antworten wirken oft lasch, ohne jeden Biss.

Bei Ti. 16 unternimmt das Fagott erst gar keinen Versuch anders als üblich zu klingen, Business as usual also, die Oboe macht es besser, könnte aber auch deklamatorischer klingen. Beim „Piu vivo“ heizt Slatkin etwas mehr ein, er bleibt aber weit entfernt vom Furor eines Hanson oder Wallenstein.  Es bleibt uns hier eine orchestral nur gediegene Einspielung zu vermelden, die allerdings vom sinnlichen und emotional hitzigen Spiel Gabetta profitiert.

Das Orchester agiert gegenüber dem Cello etwas zu weit im Hintergrund. Es fehlt ihm auch die knackige Präsenz. Fast wäre es eine One-Woman-Show geworden, denn Gabetta wird nah mikrofoniert, sodass man viele spieltechnische Nebengeräusche von ihr hört. Der Gesamtklang ist offen und klanglich ausgewogen.

 

 

 

4

Anne Gastinel

Emanuel  Krivine

Orchestre National de Lyon

Naive

1996

22:13

Anne Gastinels Cello wird plastisch ins Orchester gestellt, ist also erheblich weniger präsent als die von Fournier oder Gabetta, Das Orchester hingegen gewinnt gegenüber der Aufnahme unter Slatkins Leitung deutlich an Präsenz. Eigentlich wäre so von einer geglückten Balance zu reden, die auch das pessimistische Ende plausibel werde lässt, was man ja kaum behaupten könnte, wenn das Cello riesenhaft groß und übermächtig erscheint. Das Orchester wird von Krivine auch etwas aufgeweckter, straffer und temperamentvoller geleitet, auch mit etwas mehr Imaginationskraft, aber  eine innige Verzahnung mit der Cellostimme will sich nicht so recht einstellen. Gastinels Spiel wirkt auch etwas kühler und reservierter als das wärmere und emotionalere Spiel Gabattas, sie muss aber auch mit viel geringerer aufnahmetechnischer Präsenz auskommen. Ihr Spiel wirkt aber weniger aufgeregt und  nervös, ist zudem stets von einem Hauch Tristesse umgeben. Ihr Salomon ist mehr der rationale, wissende Typ.

 

 

 

4

Mari Fujiwara

Jun-Ichi Hirokami

Norrköpping Symphony Orchestra

Denon

1995

23:47

Diese japanische Produktion mit dem schwedischen Orchester erreicht eine vorbildliche Balance zwischen Cello und Orchester. Es kann sich ein Dialog auf Augenhöhe entwickeln. Gerade nach Fournier/Wallenstein gehört fiel allerdings sofort auf, dass diese Einspielung nun lange nicht mehr so beherzt, spannend und auch nicht so detailreich und klangfarbenstark wie die zuvor gehörte klingt. Der erste Höhepunkt gelingt nun nur träge mit wenig Zuspitzung. Der „Schelomo“ Fujiwaras macht schon vom Tempo her einen recht verträumten, sanften Eindruck, der gegenüber dem Orchester von Anfang an der unterlegene Partner zu sein scheint und kaum zum Zuge kommen kann. Seine Stimme ist zudem recht vibratoreich und wirkt in der Höhe etwas gepresst. Das „Piu vivo“ klingt nun eher breit und ausladend, kein Vergleich zur eruptiven Kraft der Philharmoniker aus Berlin. Die Cellistin reagiert trotzdem sehr feinfühlig auf den orchestralen „Affront“, sie spielt nun mit fahlem, vibratolosen Ton, als ob das Leben herausgesaugt worden wäre. Danach kehrt sie zur nur noch etwas gezügelten vibratoreichen Spielweise wie vor dem entscheidenden Ereignis zurück. Insgesamt liegt hier eine gute Einspielung vor, der es im Ganzen etwas an prickelnder Stringenz und auch etwas am orientalischen Glanz (Orchester) und an rhetorischer Überredungskunst (Cello) fehlt.

Der Klang ist sehr transparent, eher fein gezeichnet als ausschweifend dynamisch aber auch gut gestaffelt, Auch in die Tiefe, was zur Folge hat, dass das Blech recht weit entfernt von hinten heraus klingen muss.

 

 

 

4

Yo Yo Ma

David Zinman

Baltimore Symphony Orchestra

Sony

1993

23:22

Auch in seiner ersten Einspielung ist der Celloton an Schönheit und Exzellenz wohl kaum zu überbieten. Voll und rund, vor allem auch sehr cantabel. Leider wirkt er in dieser Einspielung auch etwas leblos, wie in Watte gepackt. Ein Eindruck, der sich auch auf das Orchester ausweitet, sodass anzunehmen ist, dass ein Großteil dieses Effektes auch auf die Klangtechnik zurückzuführen sein könnte. Sie legt es auf einen soften Klang ohne Ecken und Kanten an. Es spielt zwar eigentlich ebenfalls exzellent, wirkt aber wie weich gezeichnet oder „weichgespült“. Der ganze Duktus scheint zudem darauf ausgerichtet, alles möglichst schön klingen zu lassen. Es fehlt auch über weite Strecken der dramatische Impetus. Bei unserem Prüfstein fürs Orchester, dem „Piu vivo“ werden jedoch alle Register gezogen, hörbar wird aber nur was im weichen Klangbild eben herausragt. Man meint, es wirkt wie ein Filter, der nur das durchlässt, was vorher die Prüfung „Schön“ bestanden hat. Sie ähnelt ein wenig der Einspielung von Harrell und Haitink, die aber viel mehr Drama mitbrachte. Das wiederholt sich übrigens auch bei den anderen Höhepunkten des Orchesters.

Das Klangbild ist warm getönt und sehr weich gerundet. Etwas zu soft, sodass es auch ein wenig an Transparenz und Weiträumigkeit mangelt. Das Cello ist sehr weit ins Orchester integriert. Bass und Dynamik sind in Ordnung.

 

 

 

4

Ophélie Gaillard

James Judd

Orchestre Philharmonique de Monte Carlo

Aparté

2015

21:23

Bezüglich Intonation und Legatokultur kommt die französische Cellistin nicht ganz an die besten unseres Vergleiches heran. Ihr Spiel wirkt auch über weite Teile ziemlich unruhig. Während die Tiefe schön sonor klingt erscheint die höhere Lage immer etwas gequält. Zu Beginn hört man vom Orchester kaum etwas, überhaupt wirkt sein Beitrag bisweilen pointilistisch, es fehlt ihm auch weitgehend der Nachdruck und völlig die teilweise geforderte gefährliche oder bedrohliche Aura. Hier geht man sehr friedlich miteinander um. Die Bläsersoli könnten deutlicher und präsenter herauskommen, werden sie doch an sich recht eloquent dargeboten. Den Violinen fehlt es im Umfeld unseres Vergleiches deutlich an sonorer Homogenität. Bei Zi. 16 soll doch das Unisono von Oboe und Fagott gemeinsam das Shofar repräsentieren, hier bleiben es zwei völlig getrennte Stimmen.

Beim Prüfstein der Orchesterqualität Nr. 1 dem „Piu vivo“ bei Zi. 31 entfachen die Streicher einfach keinen Sturmwind der Wut oder Entrüstung, das gesamte Orchester bleibt viel zu zurückhaltend und leichtgewichtig. Anscheinend will man jeden Bombast vermeiden. Die Wirkung auf den Hörer bleibt aber weit hinter den anderen Darbietungen zurück. Durch den zurückgenommenen Orchesterpart sollten bei dieser Einspielung wohl die Kritiker des Stückes verstummen, die „Schelomo“ als etwas zu schwülstig empfinden. Allerdings wirkt er jetzt aber auch nicht mehr beeindruckend intensiv, sondern zumeist ziemlich blass. Auf besondere Weise sehr gelungen und überzeugend erscheint uns die Gestaltung des Endes. Durch ihren besonderen Duktus lässt die Cellistin das Ende wie offen klingen, als ob die Geschichte hier noch nicht vorbei ist. Vielleicht um anzudeuten, dass sich das ganze immer wieder wiederholen kann...

Die Balance zwischen den beiden Protagonisten ist gelungen. Das Orchester selbst könnte etwas transparenter klingen, trotz guter Balance gehen wichtige Soli immer mal wieder verloren.

 

 

 

4

Ulrich Schmid

Dominique Roggen

Nordwestdeutsche Philharmonie, Herford

MDG

1985

23:40

Des Solisten Cello-Ton wirkt über weite Strecken ziemlich „leicht“ und auf Dauer mitunter etwas einförmig. Er pflegt eher einen kammermusikalischen Duktus, wobei er bisweilen durchaus auch mit Verve die Stimme erhebt. Mächtiges Auftrumpfen ist seine Sache aber nicht. Die Technik macht ihm das auch schwer, weil das Cello weit ins Orchesterpanorama integriert wird. Das achtbare Orchester selbst macht seine Sache gut, kann aber klanglich nicht mit den großen Namen mithalten. Es klingt zumeist etwas zurückhaltender als üblich. Generell wirkt diese Einspielung etwas bedächtig, nicht langweilig, aber auch nicht stringent oder gar dramatisch geschärft.

Der Klang wirkt großräumig. Die Tiefenstaffelung war schon damals gut und wurde später zu einem Markenzeichen von MDG. Der Gesamtklang wirkt allerdings noch ein wenig digitalesk, war also noch etwas mit der Kinderkrankheit der damals noch recht neuen Digital-Technik belastet. Er könnte durchaus etwas farbiger, voller, präsenter und mit mehr Glanz versehen sein.

 

 

 

 

 

3-4

Emanuel Feuermann

Leopold Stokowski

Philadelphia Orchestra

Membran

1940

19:32

MONO   Der Klang dieser historischen Einspielung wurde geradezu filetiert. Ziel war es wohl, ihn den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen und vornehmlich jedes Rauschen zu eliminieren. Das gelang auch vortrefflich, allerdings gingen dabei auch weite Teile des eigentlichen „Nutzsignals“, also der Musik verloren. Das gegenüber der New Yorker Einspielung Feuermanns noch virtuosere Orchester wirkt wie sterilisiert, die historische Patina wurde weggefegt, es bleibt nur noch ein Gerüst vom einst als fabulös bezeichneten Orchesterklang übrig. Die Lebendigkeit, dieser vom feurigen Temperament (Spieldauer!) her ebenbürtigen Einspielung wurde gleich mit weg gefiltert. Am deutlichsten hat der Bearbeitungsprozess aber beim Cello gewirkt, denn es wurde dermaßen im Volumen beschnitten, dass nur noch ein ganz schmaler Strich, quasi ein Skelett vom Original übrigbleibt. Der in der New Yorker Einspielung noch so sinnliche Ton Feuermanns entbehrt nun jeder Anziehungskraft, ist aber nun klar und sauber. Operation gelungen, Patient tot.

Die Arbeit der Putzkolonne hätte also höchstens einen Stern verdient. Die der unschuldigen Musiker wahrscheinlich sechs, sodass die Arithmetik wieder im Lot ist.

 

 

 

3-4

Gregor Piatigorsky

Charles Munch

Boston Symphony Orchestra

RCA

1957

21:42

MONO  Obwohl hier eigentlich eine „Living Stereo“ Einspielung der RCA vorliegt, haben wir beim Download nur eine miserable Mono-Version erwischt, der natürlich – wie so oft – nicht als solcher gekennzeichnet war. Es gibt zwar auch gelungene Mono Aufnahmen des Stückes aber diese gehört nicht dazu. Einzig die Balance zwischen Solo und Orchester erscheint hier sehr gut gelöst. Allerdings wird die Vereinigung der beiden so weit getrieben, dass beide fast wie ein Klangkörper wirken, sodass im Konglomerat vieles im Ungefähren bleibt, so undeutlich hört sich das Ganze an. Der Klang ist also mehr an bescheiden. Die Suche nach einer adäquaten klanglichen Umsetzung durch die beiden geschätzten Protagonisten der Einspielung geht also weiter.

Doch nachdem nun der Ärger über die klangliche Umsetzung verflogen ist, noch ein paar Worte zur Werkgestaltung durch die Musiker. Der Klang des Cellos wirkt bisweilen etwas überanstrengt, bisweilen auch etwas unsauber, jedoch stets expressiv. Mitunter werden die Grenzen zur Larmoyanz ein wenig überschritten. Wir lauschen einem zumeist sehnsuchtsvollen, flehentlichen, auch beschwörenden Redefluß. Die Qualitäten des honorigen Orchesters sind zumeist nur zu erahnen. Details bleiben undeutlich oder gehen auch einmal verloren. Andere Teile, wie z.B. der Höhepunkt des ersten Satzes bei Zi. 15 gelingen auch unter den miserablen Umständen eindrucksvoll, besonders wenn man sich aus dem Fundus der Erinnerung den Klang einer „Living Stereo“ dazu denkt.

Zi. 31, wir wissen es längst, das „Piu vivo“, gelingt extrem zugespitzt, wie wir es auch von Maestro Munch erwartet haben.

Leider wurde uns hier eine wahrscheinlich ausgezeichnete Einspielung weit unter Wert verkauft, den sie klingt wie aus den frühen 40er Jahren.

 

 

 

3-4

Tibor de Machula

Willem van Otterloo

Residenz Orchester Den Haag

Philips, Epic,

Download von Infinity

1954

20:34

MONO  Auch bei dieser Einspielung fand die Übertragung in die Digitalzeit ziemlich sorg- und lieblos statt. Wir hörten das Stück im Download. Das Cello steht groß im Vordergrund, klingt aber auch verfärbt. Dem Orchester fehlt es weitgehend an Präsenz, es erscheint insgesamt wenig vorteilhaft eingefangen. Dagegen ist es erneut gelungen, die Aufnahme fast vollständig rauschfrei zu machen. Mit dem Ergebnis, dass das Ganze einen absolut unnatürlichen Eindruck macht und dem Zuhörer der Spaß an der Sache ziemlich schnell vergeht.

Dennoch ein paar Worte zur Einspielung. De Machula der nach Studien in seinem Heimatland Ungarn und in den USA bereits zur Zeit Wilhelm Furtwänglers zehn Jahre als Solocellist bei den Berliner Philharmonikern arbeitete, bevor er in gleicher Funktion zum Amsterdamer Concertgebouw Orchester (1947-1977) wechselte. Sein Ton erhält in dieser Einspielung einen hell näselnden, teilweise auffallend heiseren Ton, der sich aber wie exakt abgegrenzt nur in der höheren Lage so anhört um dann plötzlich (immer ab genau derselben Note) in eine sonore Tiefe überzuwechseln. Für uns hört sich das erneut nach einem Remasteringfehler an, bei dem die Verantwortlichen ihr Endprodukt nicht mehr überprüft haben oder sehr unachtsam damit umgingen oder überhaupt total unmusikalisch vorgegangen sind. Der drängende Gestus, den der Cellist anstimmt, hätte sehr gut zum Anspruch des Werkes an ihn gepasst. Das Orchester, noch mit dem harten Holzbläserton der 50er Jahre belastet, macht einen flexiblen, ja leichtfüßigen Eindruck. Durch ihr großes Solo mit dem anschließenden Unisono kommen Fagott und Oboe nicht ganz ohne Makel durch. Das Spiel des Solisten wirkt ansonsten hingebungsvoll und das des Orchesters sehr aufmerksam und von Otterloo mit und zur Leidenschaft angespornt. Dem „Poco vivo“ fehlt es denn auch nicht an heftiger Leidenschaft, die aber von der Tontechnik (bzw. von der Digitalisierung oder vom Remastering) in keiner Weise klanglich angemessen umgesetzt wird.

Unter anderen Vorzeichen hätte aus der Darbietung ein ausgezeichneter Beitrag zur Diskographie werden können. Das kraftvolle, eher herbe Spiel Machulas und der (gedanklich nicht aber klanglich) glasklare Zugang Otterloos wären Garanten dafür gewesen, aber leider kam es anders.

 

 

 

 

25.7.2022