Antonin Dvorak
Die Waldtaube
(Holoubek) op. 110
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Werkhintergrund:
„Die Waldtaube“ ist ein tolles Stück. „Toll“ ist hier durchaus im doppelten Sinne des Wortes gemeint: „Sex und Crime“, Mord, Wahn, verbotene Liebe und Selbstmord kommen in dieser „Sinfonischen Dichtung“ vor. Das ist viel für ein Stück von gerade einmal 19 - 20 Minuten Länge. Bei Wagner hätte das alles wohl mindestens 4 Stunden gedauert.
Als Antonín Dvořák von seinem längeren USA-Aufenthalt zurückkehrt, schreibt er in kurzer Zeit drei sinfonische Dichtungen: "Der Wassermann" op. 107, "Die Mittagshexe" op. 108 und "Das goldene Spinnrad" op. 109, die 1896 ihre Uraufführung erleben. "Die Waldtaube" erklingt 1898 in Brünn zum ersten Mal. Es folgt dann nur noch "Das Heldenlied" op. 111, das letzte Orchesterwerk des tschechischen Komponisten.
Die sinfonischen Dichtungen op. 107 bis op. 110 beruhen auf Balladen der Sammlungen "Kytice" (Blumenstrauß) von Karel Jaromír Erben. Seine volkstümlichen Dichtungen waren zu Dvořáks Zeit äußerst populär. Es sind Gedichte mit Märchenmotiven, in denen sich naive Naturverbundenheit und menschliche Abgründe mischen. So ist allen vier Gedichten Erbens, die Dvorak als Grundlage seiner symphonischen Nachdichtung nutzte, das Motiv der tragischen Schuld gemein, jedes Mal jedoch anders motiviert und musikalisch aufgelöst. Die Symphonischen Dichtungen sollten übrigens keinen innerlich einheitlichen Zyklus bilden.
So zeugt also auch die Geschichte der „Waldtaube“ von tragischer Schuld: Eine Frau hat ihren Gatten vergiftet, die Musik beginnt mit einem Trauerzug. Ein junger Mann umgarnt die Witwe und heiratet sie. Doch die Rufe der Waldtaube – ein Symbol für die Seele des Ermordeten – erinnern die Frau an ihre Untat. Sie verzweifelt und sieht als einzigen Ausweg den Selbstmord, sie stürzt sich in die Fluten. Durch die zuvor erlittenen Gewissensqualen mit Reuegefühlen erfährt sie Läuterung und ihre Seele fährt in den Himmel.
Überraschend für die Zeitgenossen kam Antonín Dvořáks (damals bekannt als Schöpfer von stattlichen Symphonien) Hinwendung zur Programmmusik, denn er galt wie sein Freund und Förderer Johannes Brahms als Vertreter der "absoluten" Musik. Beide „Lager“ von Komponisten und deren Anhänger galten damals als unversöhnlich.
Stattdessen entstanden nun musikalische Schilderungen wie sie die sinfonischen Dichtungen von Franz Liszt oder Richard Strauss prägen. Auch Dvořák hatte die Idee, "die verschiedenen Hauptpersonen, deren Charakter und poetische Stimmung herauszuarbeiten."
In seinen sinfonischen Dichtungen zieht Dvořák alle Register der Orchestrierungskunst. "Die Waldtaube" ist sehr farbig instrumentiert, auch größer als die Sinfonien besetzt, zum Beispiel mit viel Schlagwerk. Antonín Dvořák arbeite psychologisch, sagt der Dirigent Christoph Altstaedt, und ordnete den einzelnen Protagonisten bestimmte Instrumente zu. "Wenige Töne, die immer wieder abgewandelt werden, bilden die thematische Keimzelle des Stücks, das mit seinem großen dramaturgischen Bogen meisterhaft konzipiert ist."
(Quellen: WDR 3 Werkbetrachtung vom 16.9.2017 und Vorwort der Studienpartitur von Otakar Sourek, Artia – Verlag, Prag, jeweils ergänzt, gekürzt bzw. umformuliert.)
Im Werk gibt es ein Schicksals-Motiv (in den Blechbläsern). Es symbolisiert den Giftmord und tritt immer wieder an zentralen Stellen auf. Es ließe sich auch als „Schuldmotiv“ bezeichnen, denn die Schuld bedingt und besiegelt hier das Schicksal.
Dieses Schicksalsmotiv ist der melodische Keim des Werks – alle Themen (bis auf das der Taube) lassen sich auf dieses Motiv zurückführen.
Die Musik beginnt mit einem Trauermarsch: Der tote Gatte wird begraben. (ab T. 5)
Die Witwe weint und schreit – aber ihre Tränen sind übertrieben und unecht und das wird von der Musik auch so dargestellt. (z.B. Motiv in den ersten Geigen T. 44, 46,51,53)
In Wirklichkeit denkt sie an ihren jungen Geliebten. (ab T. 70 incl. „Trompetensolo“ mit 2 Trompeten! unisono aus der Ferne zu spielen, später – ich nehme an um die weitere Annäherung bereits zu verdeutlichen – tritt noch eine dritte Trompete, die im Orchester spielt, hinzu)
Danach richtet sie ihre Gedanken wieder auf ihre „Trauer“, Fortsetzung des Trauermarsches ab T. 117). Direkt anschließend drängen sich ihr erneut „unkeusche“ Gedanken auf, der junge Mann scheint sie zumindest zu umwerben, oder sie denkt zumindest daran, was sich nicht so recht unterscheiden lässt. Erneut geht es bruchlos mit dem Trauermarsch weiter.
Nach kurzer Zeit feiert sie mit ihm eine deftige Dorf-Hochzeit. (Molto vivace ab T. 143)
Dort werden wilde Tänze (ab T. 169) gefeiert – und eher romantischen, zärtlicheren Gefühlen nachgegangen…(ab T. 310)
Dann jedoch, am Grab ihres Exgatten, meldet sich ihr schlechtes Gewissen – dargestellt als gurrende Taube. (ab T. 464)
Die Witwe fleht um Gnade. (ab T. 475) (jeweils beantwortet vom immer dramatischer und übermächtiger intonierten Schicksalsmotiv). Dieser Intensität kann sie nicht entkommen.
Und stürzt sich in die Wellen. (ab T. 489)
Nach ihrem Tod schildert Dvorak eine Läuterung: Die Seele der Toten steigt in den Himmel auf (Solo-Geige) (ab T. 517).
Es folgt Himmelsmusik (ab T. 537)
Das Gurren der Taube verwandelt sich dabei in ein versöhnendes Rascheln der Blätter an den Bäumen.
Hier noch zwei Beispiele unter vielen für Dvoraks hohe Kunst der Instrumentation:
Die geheuchelte Trauer der Witwe: Die Trompete, die das Schreiten der Witwe begleitet, wird mit parallel geführten Oboen geschärft. Diese Schärfe in Verbund mit Becken-Schlägen erschafft eine Atmosphäre der Falschheit, die noch verstärkt wird, wenn die Geigen das übertriebene Weinen der Frau karikieren. das sollte die musikalische Darbietung auch vermitteln.
Im eigentlichen Trauermarsch mischt Dvorak gedämpfte Streicher mit Flöten und erhält so einen Klang, der an Seide erinnert, die in die Sonne gehalten wird. Es ist die Natur selbst, die zu trauern scheint – ein von Blättern gefiltertes und dabei intensiviertes Licht. Gleichzeitig werden hier die melodischen Einfälle zweistimmig geführt, was ebenfalls charakteristisch für Dvorak ist: Die beiden Stimmen fügen sich aneinander wie Zöpfe. Ideal um die Nähe von zwei Menschen z.B. im Tanz oder auch bei anderen Gelegenheiten darzustellen.
Die volkstümlichen Teile (Hochzeitstanz) verwenden wie bei Grieg Kirchentonleitern – deshalb klingt die Melodik leicht exotisch.
(Quellen: Blog „Papa Haydn“ von Dariusz Szymanski vom 23.9.2017, abgewandelt und ergänzt unter anderem auch um die Partiturangaben aus der Studienpartitur des Artia – Verlages, Prag)
Ist die Quelle dieser Musik zwar „lyrischen“ Ursprungs, so kann deren Inhalt doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der innere bzw. äußere Verlauf weitestgehend dramatisch- expressiv zu verstehen ist. Damit dieser dramatische Verlauf – bei dem es um nicht weniger als um Leben und Tod geht – plausibel und eindringlich nachgezeichnet, besser noch miterlebbar wird, muss von den Mitwirkenden ein Höchstmaß an Leistungsbereitschaft erwartet werden. Durch die geringe Dauer des Stückes besteht auch keine Gefahr der Überforderung der körperlichen Ressourcen, wir z.B. für die Spieler des schweren Blechs bei einer Bruckner-Symphonie. Nach dem Vergleich kann man nicht verhehlen, dass es die Dirigenten aus dem Heimatland des Komponisten sind bzw. die den wichtigsten Teil ihrer Ausbildung dort genossen haben (jeweils mit dem ersten Orchester der Hauptstadt), die den besten Zugang zur „Waldtaube“ finden und denen die packendste Realisierung des Notentextes gelingt.
Dabei gibt es in diesem Vergleich keine wirklich schlechte Einspielung. Die Waldtaube ist sicher nur in Tschechien ein Repertoire – Stück, alle anderen müssen sich den Zugang dazu erst erarbeiten, was eine leichtfertige Aufnahme ohne Proben sicher verhindern sollte.
Fertig zusammengestellt am 12.11.2019

Antonin Dvorak um das Jahr 1882
Die Rezensionen der gehörten Einspielungen:
5
Zdenek Chalabala
Tschechische Philharmonie, Prag (CzPO)
Supraphon
1961
21:49
Der Trauermarsch beginnt hier deutlich breiter, als in der Partitur (die Viertel = 66) vorgesehen, was aber die Wirkung von echter Trauer eher noch steigert, die Abschnitte dazwischen, in denen die Giftmörderin schon an ihren (späteren?) Geliebten denkt, der ihr hier bereits Avancen zu machen scheint, stechen so umso heftiger hervor. Die knisternde Spannung, die gleich zu Beginn einsetzt, wird ohne jedes Nachlassen bis zum Schluss durchgehalten. Der Hochzeitstanz erhält einen harten, scharfen, bisweilen mechanisch-gewalttätigen Unterton (deftiges Blech) Unbeschwert Tanzen lässt sich mit dieser Hypothek im Hinterkopf eben nicht. Der langsame Mittelteil atmet dagegen echte, innige Zärtlichkeit. Die Todesszene erhält in dieser Aufnahme eine schneidende Intensität, worin ihr keine andere gleichkommt.
Bis auf das Englischhorn spielt das Orchester bereits auf Toppniveau, Kleinigkeiten gehen aber noch durch: Das Andante ab T. 499 ist viel zu laut, es sollte pp sein und kleine Mängel in der Präzision des Zusammenspiels.
Die Aufnahme ist für das Aufnahmedatum von verblüffender Transparenz, Klarheit und Tiefenstaffelung. Ein etwas angerauter Gesamtklang fördert hier sogar eher den kompromisslos harten Zugriff. Nicht so gelungen ist dagegen das „Trompetensolo“ (es spielen ja 2 Trompeten unisono), das aus der Ferne erklingen sollte. Auch die Annäherung (des Geliebten) durch Hinzutreten einer 3. Trompete, die aus dem Orchester erklingt, kann hier nicht herausgehört werden. Das sind aber marginale Einwände bei einer als ganzes bezwingend gestalteten Wiedergabe.
5
Charles Mackerras
CzPO
Supraphon
2009
19:32
Genauere Einhaltung der Tempovorgabe. Die Orchesterqualität und der Gesamtklang des Orchesters erscheinen hier nochmals verbessert. Die Violinengruppe im Unisono mit den Flöten klingt wie Samt und Seide und die Flöten bewirken zusätzlich ein Licht, das sie durchleuchtet: Ein magischer Effekt. Der Trauermarsch läuft unerbittlich in bisweilen fahler Tongebung ab. Hier werden nochmals mehr Details hörbar gemacht, die sonst untergehen (z.B. Klarinettensolo in T. 56) Das „Trompetensolo“ intoniert jetzt wirklich (auch perfekt geblasen) in der Ferne, auch die Annäherung der dritten Trompete aus dem Orchester heraus kann hörbar und sinnfällig gemacht werden.
Der Hochzeitstanz erklingt rythmisch pointiert (die gegen dem Rhythmus anspielende Pauke wird hier auf dem Silbertablett serviert), Nebenstimmen finden größere Beachtung, das Stück wirkt so noch reicher und vielfältiger schimmernd als in den anderen Aufnahmen. Grosses Manko ist allerdings die lasch dargebotene Todesszene, der es erheblich an Dramatik mangelt. Die Mobilisierung der Kräfte verpufft ohne Effekt zu hinterlassen, fast erscheint es so, als seien bei der Aufnahme an dieser Stelle die Regler zurückgezogen worden, was bei so einer modernen Aufnahme jedoch verwunderlich wäre. Schade, denn sonst ist die Aufnahme mustergültig. Auch die Aufnahmequalität selbst präsentiert sich körperhaft mit großer Transparenz und seidigem Wohllaut. Das Top-Orchester unter kundiger, hoch motivierender Anleitung in seinem ureigensten Element, leider mit einem Makel behaftet.
5
Vaclav Neumann
Sinfonieorchester des SWF
Arte Nova
1986
18:22
Auch hier Spannung vom Anfang bis zum Ende. Perfektes Unisono von Geigen und Flöten, Trauermarsch mit dramatischer Steigerung, recht flott, als wolle die Frau ihn möglichst schnell hinter sich bringen, „Trompetensolo“ zunächst zu nah, dann sich entfernend. Der Hochzeitstanz stampft mächtig, wie von fremden Mächten getrieben. Der Mittelteil gelingt innig und intensiv, das reine Glück suggerierend. Die Todesszene erklingt äußerst eindrucksvoll.
Das Orchester präsentiert sich hoch motiviert und ausgeglichen hochkarätig besetzt. Den Wohllaut der Aufnahmen der Prager bei Mackerras oder Belohlavek oder der Amsterdamer erreicht die Produktion nicht. Der Bassbereich wirkt wie abgeschnitten. Aber die Aufnahme ist sehr präsent und rückt die Holzbläser hautnah ins Zentrum des Geschehens. Der Gesamtklang ist sehr trocken und schwingt wenig aus. Diese Version bietet einen stringenten Zugriff und ist spannend vom Anfang bis zum Schluss.
Der SWR sendet diese Einspielung, obwohl schon recht betagt, ab und zu mal wieder im ARD-Nachtkonzert. Man weiß anscheinend von ihrer Qualität.
4-5
Vaclav Talich
CzPO
Supraphon
1951
19:30
Die Mono-Aufnahme ist für ihr Alter ausgesprochen klar, präsent und durchhörbar. Beim Unisono der Violinen und Flöten ist die Klangmischung nicht perfekt gelungen, die Flöten dominieren teilweise stark den Gesamtklang. Manche Details fallen dem Monoklang allerdings auch zum Opfer (Klarinette im wichtigen Solo T. 56 ist nicht hörbar). „Trompetensolo“ nicht aus Ferne. Der Unterschied zwischen lauten und leisen Abschnitten ist stark nivelliert, da das Orchester jedoch hier imponierend mitzieht, wird ein leidenschaftliches Forte auch alleine mit der Anreicherung der Obertöne erlebbar. Der Hochzeitstanz wird mit der gebotenen Drastik dargestellt, der Mittelteil mit leidenschaftlichem Schmelz. Auch die „Todesszene“ inszeniert das Orchester mit äußerster Kraft. Gewaltig hier das intensiv geforderte Blech. Der raue Gesamtklang mag in erster Linie der Aufnahmetechnik anzulasten sein. Der sichere Umgang mit der Musik Dvoraks ist jederzeit spürbar. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis (Talich-Mackerras) mag sich vielleicht auch in der Spielzeit dieses Stückes mitteilen. Beide sind jedenfalls mit dem gleichen leidenschaftlichen Ernst in der Lage des Werkes reiche Facetten darzustellen. Aufnahmetechnisch sind die Unterschiede zwischen den beiden Einspielungen allerdings gewaltig.
4-5
Vaclav Neumann
CzPO
Teldec
1971
19:16
Das Orchester präsentiert sich in dieser Aufnahme schon ausgesprochen wohlklingend, exakt und rhythmisch prononciert. Der Gesamtklang ist reich und rund. Das Zusammenspiel zwischen Violinen und Flöten im Trauermarsch ist sehr schön. Das „Trompetensolo“ gut gelungen. Die saftigen und ausdrucksvollen Streicher, die markigen Hörner, die auch ein pp mühelos beherrschen, sind auch hier zu hören. Das kommt auch dem durchaus deftig intonierten Hochzeitstanz zugute. Ab Takt 473 intensive Darstellung der Verzweiflung, des vergeblichen Ankämpfens gegen das Schicksal und des Untergehens in den Fluten.
Die Aufnahmequalität ist räumlich und ausgewogen.
Was diese Aufnahme Neumanns gegenüber seiner 15 Jahre später entstandenen etwas zurückstehen lässt ist, dass die Prager weit weniger spannend und packend gerät wie die Baden-Badener. Der bessere Gesamtklang kommt aber auch in diesem Vergleich aus Prag.
4-5
Yakov Kreizberg
Nederlands PO
Pentatone
2006
19:44
Eine in jeder Hinsicht gelungene Aufnahme, die die lyrischen und dramatischen Elemente gut miteinander verbindet. Der Hochzeitstanz gelingt stupend und ausladend, der Mittelteil zeigt die Tanzenden „innig umschlungen“. Die Soli gelingen sehr gut. Überhaupt erscheint das Orchester sehr gut vorbereitet und geführt.
Der Klang überzeugt mit warmen, schönen Klangfarben und ist auch im Tutti noch sehr transparent. Das Klarinettensolo ist ausgezeichnet hörbar (T.56). Eine rundum sympathische „richtige“ Aufnahme, der es aber am letzten Quantum Spannung fehlt.
4-5
Jiri Belohlavek
CzPO
Chandos
1993
19:15
Die Klangfarbenmischung im Unisono der Violinen und Flöten im Trauermarsch ist nicht ganz perfekt. Das Lontano des „Trompetensolos“ ist aufnahmetechnisch sehr gut gelöst. Das Orchester präsentiert sich ziemlich homogen und klangschön.. Auch der - man kann es jetzt bei der fünften Aufnahme ruhig schreiben – typische blühende Klang der Tschechischen Philharmonie kann man hier wieder hören, eingebettet in einem eher weichen recht detaillierten Klangbild mit guter Dynamik. Besonders erwähnenswert wären die erstklassigen Holzbläser. Trotzdem erreicht Belohlavek nicht die Makellosigkeit des Gesamtklanges und den Detailreichtum wie Mackerras mit demselben Orchester 16 Jahre später, von der intensiven Durchzeichnung der Stimmen und der knisternden Spannung eines Chalabala ganz zu schweigen.
4-5
Neeme Järvi
Scottish National Orchestra
Chandos
1986 oder 1987
20:01
Hier liegt eine durchaus engagierte Wiedergabe vor, die einige sehr gut gelöste Einzelheiten aufweist. Die Trompetenstelle ist ausgezeichnet aufgelöst. Beim Hochzeitstanz lassen heftige Sforzati der Hörner aufhorchen, die man so derb noch nicht gehört hat. Das Violinsolo, das Entschwinden der Seele symbolisierend, gelingt auch sehr schön. Die Soli generell gelingen recht pointiert, Die Aufnahme ist weich konturiert und recht räumlich, andererseits gehen im Tutti auch einige hörenswerte Details unter und es sind auch ein paar kleinere Laxheiten durchgegangen. Generell liegt hier aber eine klangschöne Version vor.
4-5
Nikolaus Harnoncourt
COA
Teldec
1998
19:45
Würde man nur die Orchester- und Aufnahmequalität betrachten, so läge diese Interpretation mit derjenigen von Mackerras ganz vorne. Sie besticht mit herrlich leuchtenden Klangfarben, einer vollen, auch frequenzmäßig breitbandigen Dynamik und einem auch in der Tiefe des Raumes gut gestaffelten weichen Klangbild ohne jede Härte. Das Orchester besticht durch hohe Präzision und Intonationsreinheit, auch das Zusammenspiel ist bestens, ebenso die Soli. Das Violinsolo (T.508-511) ist vielleicht sogar das Beste überhaupt in diesem Vergleich. Trotzdem gelingt hier kein völlig gelungenes Unisono zwischen den Violinen und den Flöten im Trauermarsch. Das Dirigat ist hellhörig und achtet auf die Offenlegung sämtlicher Details. Das Klarinettensolo (T.56) ist so unverdeckt und hervorragend hörbar. So lässt der Dirigent – wie sonst nur Kubelik – die Geigen sich gegenüber sitzen und erreicht so sowohl antagonistische Wirkungen als auch die Korrespondenzen zwischen den beiden Stimmen in einem besonderen Licht erscheinen zu lassen. Was der Wiedergabe fehlt ist die Spannung und die Darstellung der Brisanz mit der sich das Geschehen entwickelt. Man bleibt etwas zu relaxt.
4-5
Rafael Kubelik
SO des BR
DG
1976
18:59
Perfektes Verschmelzen von Violinen und Flöten im Trauermarsch, durch die Aufteilung der Geigen auf die beiden Seiten des Orchesters ergibt sich eine interessante Aufwertung der 2. Violinenstimme. Das Orchester ist sehr engagiert, verfügt aber in den Holzbläsern noch nicht über die heute erreichte Perfektion. Die Todesszene ist gut gelungen, aber im Ganzen ist das Spiel – trotz hohen Engagements - nicht ganz so spannend wie bei Chalabala, Mackerras oder Neumann (SWF). Die Aufnahme erklingt ausgewogen jedoch verbunden mit einem ziemlich trockenen Gesamtklang, eher nach Studio als nach Konzertsaal klingend, darin Neumann (SWF) nicht unähnlich. Das Orchester spielt quasi auf einer Ebene, die Tiefendimension fehlt.
Ausdruckskraft und Spannung ist vorhanden, aber die Wirkung auf den Hörer erscheint – vielleicht wegen der etwas nivellierenden Aufnahmequalität – etwas gebremst.
Eine gelungene Darstellung mit Maß und Ziel aber durchaus auch mit Herzblut.
4
Vaclav Talich
CzPO
Andante
Live 1954
18:25
Die Spannung, die Talichs Dirigat auszeichnet bleibt auch Live erhalten, sie wird sogar eher noch erhöht. Durch die klangliche Disposition der Aufnahme gehen jedoch viele Details und Nebenstimmen verloren, die in der Aufnahme von 1951 noch besser hörbar waren. Die Aufnahme klingt auch deutlich dumpfer und viel weniger durchhörbar als die Produktion drei Jahre zuvor.
4
Zdenek Kosler
Slowakische Philharmonie
Opus
1981
20:03
Eine sorfältige und anschauliche Darbietung, die sich in einem weiträumigen aber im Forte leicht eingeschnürten Klangbild abspielt. Die Holzbläser könnten besser zur Geltung kommen. Besonders gelungen ist hier der Mittelteil des Hochzeitstanzes, der wie eine Romanze im Mondlicht erscheint. Die Orchesterqualität – obwohl durchaus respektabel – erreicht nicht die der Tschechischen Philharmonie. Im Ganzen wirkt diese Darbietung etwas langatmig. Die vorliegende LP litt unter einer sehr störungsreichen Oberfläche.
4
Eliahu Inbal
Philharmonia Orchestra
Teldec
1989
19:41
Der Trauermarsch erklingt klangschön, die Nebenstimmen sind aber nicht alle mit der nötigen Bedeutung aufgeladen. Das „Trompetensolo“ erklingt etwas „vorlaut“, so als wäre das Umwerben des „späteren Geliebten“ während des Trauermarsches schon eine offizielle Sache. Der Hochzeitstanz erklingt auf eine gemäßigte Art tänzerisch beschwingt. Hier scheint nichts Belastendes mitzutanzen. Der Mittelteil ist auch hier – wie in fast allen Aufnahmen gelungen. Er erklingt cantabel und zärtlich. Das eigentlich gute Klangbild verliert im Tutti etwas an Transparenz, auch wird die Dynamik des vollen Orchesters nur eingeschränkt vermittelt. Das PO klingt hier etwas weniger sonor als man es von anderen Aufnahmen kennt.
Das Werk wird hier im Großen und Ganzen klangschön aber nicht durchgehend spannend erzählt.
4
Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
EMI
2004
20:49
Das Tempo des Trauermarsches erscheint im Vergleich zu behäbig. Die beiden Flöten dominieren das Unisono mit den Geigen verschiedentlich etwas zu deutlich. Die Trompeten ertönen vorschriftsmäßig von weit her. Das Klarinettensolo in T. 56, das mitunter gänzlich verschwunden scheint, ist hier gut hörbar. Die Basslinie ist – wie meistens bei diesem Orchester – wieder gut zu verfolgen, allzu oft geht sie ja verloren. Die Celli singen auffallend schön, die Klangfarben der Holzbläser braucht man nicht mehr zu loben. Der Gesamtklang ist dieses Mal jedoch nicht so homogen wie z.B. beim COA. Der Klang der Aufnahme ist klar und weiträumig und dabei recht dynamisch.
Die Todesszene ist zwar effektvoll gespielt, aber sie steht etwas isoliert da, weil sie nicht dramatisch entwickelt wurde. Die Interpretation verbleibt weitgehend im Lyrischen. Zu einem Spannungsaufbau kommt es eigentlich gar nicht, vielmehr scheint das Stück etwas ins Episodenhafte zu zerfallen. Bei aller vorhandenen Klangschönheit geht man viel zu gelassen und unbeteiligt an die Musik heran.
3-4
Hymisher Greenberg
European Philharmonic Orchestra
Tring Inernational
ohne Aufnahmedatum
18:24
Ein zügig genommener Marsch mag hier suggerieren, dass die Frau die Trauer schnell hinter sich lassen möchte. Die Trompeten intonieren vorschriftsmäßig aus der Ferne, der Hochzeitstanz ist angemessen temperamentvoll. Die Todesszene wird gut herausgestellt.
Hier liegt eine angemessen stringente Darstellung vor, die durch das schnelle Tempo das Geschehen durchaus zuspitzt. Die Orchesterleistung und die Aufnahmequalität sind jedoch nur mittelmäßig. Sie ist wenig transparent und noch weniger räumlich, sogar eng. Die Violinen erscheinen auf der linken Seite sogar leicht abgeschnitten und füllen nur die Hälfte des möglichen Raumes aus. Der Klang klebt förmlich an den Instrumenten, er kann sich in keiner Weise frei entfalten oder gar aufblühen. Übrigens scheinen Dirigent und Orchester unter angegebenem Namen gar nicht zu existieren. Recherchen diesbezüglich liefen ins Leere. Dabei wäre ein Verschweigen der Namen hier nicht nötig gewesen, denn wäre die Produktion sorgfältiger verlaufen, wäre ein vollauf respektables Endprodukt herausgekommen. Es scheint sich um eine Veröffentlichung aus dem bekannten Pool um Alfred Scholz zu sein, bei dem immer dieselben Aufnahmen ständig umfirmiert werden, um immer wieder als neu zu erscheinen und neue Käufer zu finden. Es wäre also auch durchaus möglich, dass auch hier ein tschechisches Orchester beteiligt gewesen war und die Aufnahme billig „zugekauft“ wurde,
12.11.2019