Arnold Schönberg
Verklärte Nacht op. 4
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Werkhintergrund:
Als Arnold Schönberg sein Streichsextett „Verklärte Nacht“ komponierte, war er gerade einmal 25 Jahre alt. Den Sommer des Jahres 1899 verbrachte er zusammen mit Alexander von Zemlinsky in Payerbach, das südlich von Wien gelegen ist und sich damals als Ferienort in Künstlerkreisen besonderer Beliebtheit erfreute. Es sollte eine sehr intensive Zeit werden, denn dort verliebte er sich in Mathilde von Zemlinsky, die jüngere Schwester seines Freundes, Lehrers und Mentors. Derart inspiriert komponierte er noch gleich an Ort und Stelle innerhalb von nur drei Wochen das Streichsextett "Verklärte Nacht" nach einem Gedicht von Richard Dehmel.
Die Arbeit an dem Werk machte ihm offensichtlich keine großen Probleme, obwohl er nie eine akademische Ausbildung oder einen Kompositionsunterricht in einer Hochschule erhalten hatte. Schon nach drei Wochen hatte er die in einer Aufführung immerhin ungefähr halbstündige Komposition beendet. Schönberg schrieb die "Verklärte Nacht" in seiner ersten, tonalen Schaffensphase. Das Opus 4 trägt zwar bereits teilweise die Zeichen der kommenden Neuerungen in sich, ist aber noch fest in der Musiktradition verwurzelt. So ist es nicht verwunderlich, dass der Tondichter dieser Komposition große Bedeutung beimaß und sie als seine erste wirklich vollgültige ansah - eine Wertschätzung, die sich auch in den beiden Bearbeitungen für Streichorchester aus den Jahren 1917 und 1943 zeigt.
Das Werk geht zurück auf ein Gedicht von Richard Dehmel (1863-1920) das aus dem Lyrikband „Weib und Welt“ stammt. In der damaligen Zeit war er zumindest in konservativen Kreisen suspekt, wenn nicht gar diskreditiert, der Gedichtband, aber auch sein Autor. Wegen des Bandes gab es juristische Probleme und es wurde verfügt, dass ein Poem daraus sogar geschwärzt werden musste. „Verklärte Nacht“, so auch der Name des der Komposition zugrundeliegenden Gedichtes, handelt von einer vermeintlich jungen Frau (hier noch „Weib“ genannt), die ihrem jetzigen Geliebten „beichtet“, dass sie ein Kind erwartet, das jedoch nicht von ihm gezeugt wurde. Dieses Geständnis führt nun nicht zur schmerzhaften Entzweiung des Paares oder gar zu Mord und Totschlag, womit der eher ängstliche Leser vorsichtshalber schon gerechnet hatte. Schönberg hätte man doch zumindest in Unkenntnis seines Werkkanons gänzlich dem Expressionismus zugeordnet und da geht es meist ungut zu (denken wir nur an „Wozzeck“ oder „Lulu“ von Alban Berg). Nein, der Liebste vergibt der Frau und erklärt sich dazu bereit, das Kind schon im ungeborenen Zustand als seines anzunehmen und auch später mit aufzuziehen. Das Gedicht besteht aus fünf Strophen, wobei die drei kürzeren (1-3-5), die mehr einen beschreibenden Charakter haben und mit der geschilderten äußeren Welt (der Natur, besonders in 1) bereits die gewünschte Stimmung erzeugen, die beiden längeren Strophen (2 und 4) umrahmen. In diesen beiden sprechen der Mann und die Frau (beide haben übrigens keine Namen) zueinander. In der zweiten Strophe zuerst die Frau (ihr geben die beiden Violinen Stimme), dann in der vierten Strophe der Mann, dem die beiden Celli Ausdruck verleihen. Die drei letzten Zeilen geben dann dem Poem, das zu Beginn noch sehr schwermütig anhebt den ersten Teil seines Titels: „Verklärung“. Aus dem „kahlen, kalten Hain“ des Beginns wird so eine „hohe, helle Nacht“. Allumfassendes Liebesgefühl macht sich breit.
„Er fasst sie um die starken Hüften,
Ihr Atem küsst sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehen durch hohe, helle Nacht.“
Die Wortwahl Dehmels mag heute vielleicht unfreiwillig komisch oder gar peinlich wirken, aber damals verschlang der verliebte Schönberg den ganzen Band geradezu. Unerhörtes, damals völlig gegen den bestehenden Moralkodex stehendes wurde da thematisiert, unter anderem die freie Liebe, von Dehmel übrigens „erotische Kameradschaft“ genannt.
Bevor wir uns Schönbergs eigener Meinung zu seinem op. 4 zuwenden, die er zum einen 1902 also drei Jahre nach der Komposition verlauten und zum zweiten in einem Konzert-Programm 1950 veröffentlichen ließ, wäre es vielleicht doch angeraten dem ganzen Gedicht einmal ansichtig zu werden, denn mitunter kann man einzelne Zeilen sozusagen direkt in Musik übersetzt in Schönbergs Komposition wiederfinden. Zur besseren Orientierung und der Einordnung der Bemerkungen zu den einzelnen Einspielungen haben wir zu den fünf Strophen des Gedichts die passenden Anfangstakte aus der Partitur ergänzt:
Verklärte Nacht
Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; (1. Strophe: T. 1 bis T. 99)
der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen;
kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
in das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:
Ich trag ein Kind, und nit von Dir, (2. Strophe: T. 100 bis T. 200)
ich geh in Sünde neben Dir.
Ich hab mich schwer an mir vergangen.
Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
und hatte doch ein schwer Verlangen
nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,
da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
von einem fremden Mann umfangen,
und hab mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt:
nun bin ich Dir, o Dir, begegnet.
Sie geht mit ungelenkem Schritt. (3. Strophe: T. 201 bis T. 228)
Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:
Das Kind, das Du empfangen hast, (4. Strophe: T. 229 bis T. 369)
sei Deiner Seele keine Last,
o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um alles her;
Du treibst mit mir auf kaltem Meer,
doch eine eigne Wärme flimmert
von Dir in mich, von mir in Dich.
Die wird das fremde Kind verklären,
Du wirst es mir, von mir gebären;
Du hast den Glanz in mich gebracht,
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.
Er faßt sie um die starken Hüften. (5. Strophe: T. 370 bis T. 418)
Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.
(Weib und Welt. Gedichte von Richard Dehmel, Berlin: Verlag von Schuster u. Loeffler 1896, S. 61-63)
1902 meint Schönberg zu seiner Komposition in der Deutschen Tonkünstler-Zeitung vom 21. Oktober, nachdem er sich selbst erst einmal artig vorstellt:
„Ich bin am 13. September 1874 in Wien geboren. Da ich ursprünglich Ingenieur werden sollte, kam ich erst ziemlich spät dazu, meiner Neigung nachzugehen, und die Musik als Beruf zu ergreifen. Bis zu meinem 21. Lebensjahre hatte ich gar keinen theoretischen Unterricht erhalten, mich aber als Autodidakt soweit gebracht, dass ich, nachdem ich ein Jahr unter Alexander von Zemlinsky's Leitung komponiert hatte, ein Streichquartett öffentlich zur Aufführung bringen konnte.
Bei der Komposition von Richard Dehmels Gedicht „Verklärte Nacht“ leitete mich die Absicht, in der Kammermusik jene neuen Formen zu versuchen, welche in der Orchestermusik durch zu Grunde legen einer poetischen Idee entstanden sind. Zeigt das Orchester die gleichsam episch- dramatischen Gebilde tondichterischen Schaffens, so kann die Kammermusik die lyrischen oder lyrisch-epischen darstellen. Stehen nun auch die Mittel der letzteren hinsichtlich der tonmalerischen Ausdrucksfähigkeit hinter denen des Orchesters zurück – ein Mangel, der nur beim Vergleich bemerkbar ist, der aber doch auch, wenn er wirklich einer ist, mit Rücksicht auf das Kolorit zu Gunsten der Sinfonie gegen das Streichquartett überhaupt spräche –, so bleibt doch als Gemeinsames das formenbildende Prinzip. Dieses ist ein uraltes und leitet seinen Ursprung von jenen alten Meistern her, die in den – heute endlos scheinenden – Textwiederholungen, solange über einen poetischen Gedanken musikalisch phantasierten, bis sie ihm alle möglichen Stimmungen und Bedeutungen abgewonnen – fast möchte ich sagen: bis sie ihn analysiert hatten.“
Anlass der Niederschrift war die Ankündigung der Aufführung auf dem Deutschen Tonkünstlerfest in Berlin am 30. Oktober 1902
Und nun Schönbergs Kommentar von 1950 zu seinem Werk, dieses Mal also im Abstand von über 50 Jahren zur Komposition und zugleich ein Jahr vor seinem Tod:
„Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts waren Detlev von Liliencron, Hugo von Hofmannsthal und Richard Dehmel die vordersten Vertreter des »Zeitgeistes« in der Lyrik. In der Musik hingegen folgten nach dem Tod von Brahms viele junge Komponisten dem Vorbild von Richard Strauss und komponierten Programmmusik. Dies erklärt den Ursprung der Verklärten Nacht: es ist Programmmusik, die das Gedicht von Richard Dehmel schildert und zum Ausdruck bringt.
Meine Komposition unterschied sich vielleicht etwas von anderen illustrativen Kompositionen erstens, indem sie nicht für Orchester, sondern für Kammerbesetzung ist, und zweitens, weil sie nicht irgendeine Handlung oder ein Drama schildert, sondern sich darauf beschränkt, die Natur zu zeichnen und menschliche Gefühle auszudrücken. Es scheint, dass meine Komposition aufgrund dieser Haltung Qualität gewonnen hat, die auch befriedigen kann, wenn man nicht weiß, was sie schildert, oder, mit anderen Worten, sie bietet die Möglichkeit, als »reine« Musik geschätzt zu werden. Daher vermag sie einen vielleicht das Gedicht vergessen lassen, das mancher heutzutage als ziemlich abstoßend bezeichnen würde. (Anm.: Die 50er Jahre waren anscheinend noch prüder als die 1900er. Schönberg wollte sicher auch den prüden Leser nicht verlieren.)
Dessen ungeachtet verdient vieles von dem Gedicht Anerkennung wegen seiner in höchstem Maße poetischen Darstellung der Gefühlsregungen, die durch die Schönheit der Natur hervorgehoben werden, und wegen seiner bemerkenswerten moralischen Haltung bei der Behandlung eines erschütternd schwierigen Problems.
Bei einem Spaziergang im Park
in einer klaren, kalten Mondnacht
bekennt die Frau dem Mann in einem dramatischen Ausbruch eine Tragödie.
Sie hatte einen Mann geheiratet, den sie nicht liebte. Sie war unglücklich und einsam in dieser Ehe,
zwang sich aber zur Treue,
und nachdem sie schließlich dem mütterlichen Instinkt gefolgt ist, trägt sie jetzt ein Kind von einem Mann, den sie nicht liebt. Sie hat ihre Pflichterfüllung gegenüber den Forderungen der Natur sogar für lobenswert gehalten. (Anmerkung: Heute fragt man sich, was der Liebhaber (oder neue Geliebte) zu verzeihen hat, wenn die geliebte Frau ein Kind aus erster Ehe mitbringt? Er selbst wird auch nicht in vollkommener Keuschheit gelebt haben. Aber heute sind Patchwork-Familien sowieso völlig normal geworden. Andere Zeiten, andere Sitten.)
Ein höhepunktartiger Aufstieg, der das Motiv verarbeitet, drückt aus, wie sie sich selber ihrer großen Sünde bezichtigt.
Voller Verzweiflung geht sie nun neben dem Mann her, den sie liebt, und fürchtet, dass sein Urteilsspruch sie vernichten wird.
Aber »die Stimme eines Mannes spricht«, eines Mannes, dessen Großmut so erhaben ist wie seine Liebe.
Harmonien, die mit gedämpften Läufen ausgezeichnet sind, drücken die Schönheit des Mondlichts aus und über einer flimmernden Begleitung wird ein Nebenthema geführt, das bald in ein Duett zwischen Violine und Cello übergeht.
Dieser Abschnitt gibt die Stimmung des Mannes wieder, dessen Liebe im Einklang mit dem Schimmer und dem Glanz der Natur fähig ist, die tragische Situation zu leugnen: »Das Kind, das Du empfangen hast, sei Deiner Seele keine Last.«
Nachdem das Duett einen Höhepunkt erreicht hat, wird es durch eine Überleitung mit einem neuen Thema verbunden.
Seiner Melodie, die die »Wärme« ausdrückt, die »flimmert von Dir in mich, von mir in Dich«, die Wärme der Liebe, folgen Wiederholungen und Verarbeitungen früherer Themen. Schließlich führt es zu einem weiteren neuen Thema, das dem würdigen Entschluss des Mannes entspricht: die Wärme »wird das fremde Kind verklären, Du wirst es mir, von mir gebären«.
Ein Aufstieg führt zum Höhepunkt, zu einer Wiederholung des Themas des Mannes zu Beginn des zweiten Teiles.
Ein langer Coda-Abschnitt beschließt das Werk. Sein Material besteht aus Themen der vorausgehenden Teile. Alle sind von neuem verändert, wie um die Wunder der Natur zu verherrlichen, die diese Nacht der Tragödie in eine verklärte Nacht verwandelt haben.
Man darf nicht vergessen, dass dieses Werk bei seiner Erstaufführung in Wien ausgezischt wurde und Unruhe und Faustkämpfe verursachte. Aber es hatte sehr bald großen Erfolg.“
(Aus: Arnold Schönberg: Stil und Gedanken. Aufsätze zur Musik. Herausgegeben von Ivan Vojtech. Frankfurt am Main 1976. p. 453-457.)
Die Uraufführung des Streichsextetts „Verklärte Nacht“ kam erst mehr als zwei Jahre nach dessen Vollendung zustande. Sie fand am 18. März 1902 im Kleinen Musikvereins-Saal in Wien statt und wurde vom Rosé-Quartett in der Besetzung Arnold Rosé und Albert Bachrich (Violine), Anton Ruzitska (Viola) und Friedrich Buxbaum (Violoncello) übernommen, erweitert durch Franz Jelinek (2. Viola) und Franz Schmidt (2. Violoncello), zwei weiteren Mitgliedern aus den Reihen der Wiener Philharmoniker.
Die Uraufführung stieß auf weitgehendes Unverständnis und bildete den ersten Skandal in der Aufführungsgeschichte Schönbergscher Werke in Wien. Die Ablehnung galt neben der ungewohnten Tonsprache auch der Gedichts-Vorlage mit ihrem explizit erotischen Inhalt, der eine musikalische Umsetzbarkeit abgesprochen wurde, während dem Komponisten immerhin gewisses Talent bescheinigt wurde. So hieß es im Feuilleton der Wiener Neuen Freien Presse:
„Programmusik, die schon mehr als einmal ein Scheinleben begann und jetzt wieder eine vorübergehende Auferstehung feiert, scheint nun auch in die Kammermusik übergreifen zu wollen. A. Schönberg, der Komponist eines Streichsextetts nach Richard Dehmel, hat uns auf diese alt-neue Angelegenheit gebracht. Dass er diesmal soweit vom Ziel blieb wie mancher andere, der sich an der Ermöglichung des Unmöglichen versuchte, wird wohl jedermann erkennen, der dem Verlauf des merkwürdigen Werkes folgte […] Dabei unterläuft nun nebst Absichtlich Confusem und Hässlichem manches Ergreifende, Rührende, manches, das den Hörer mit unwiderstehlicher Gewalt bezwingt, sich ihm in Herz und Sinne drängt. Nur eine ernste, tiefe Natur kann solche Töne finden, nur ein ungewöhnliches Talent kann sich auf so dunklem Wege selbst in solcher Weise voranleuchten. Die Aufnahme der Novität war eine geteilte. Viele verhielten sich ruhig, einige zischten, andere applaudierten, im Stehparterre brüllten ein paar junge Leute wie die Löwen.“ (Quelle: Wikipedia)
Noch ein paar kurze Worte zum Lehrer, Mentor und Freund Schönbergs, Alexander von Zemlinsky, der später auch noch zu seinem Schwager wurde, wobei die Ehe mit Mathilde von Zemlinsky nicht gerade lange währte und auch nicht glücklich gewesen sein mag. Mathilde wird als kluge, musikalisch hoch gebildete Frau und hervorragende Pianistin beschrieben, die sich aber nach und nach immer mehr in sich zurückzog und sich nicht mehr an gemeinsamen Gesprächen z.B. von Schönberg mit seinen Schülern beteiligte. Sie war vielleicht an der Seite des allzu dominanten Schönberg unglücklich geworden. Sie ließ sich später auf eine Affäre mit dem Maler Richard Gerstl ein (ein gemeinsamer Freund des Paares), der sich höchstwahrscheinlich aus Schuldgefühlen später das Leben nahm. Wahrlich expressionistische Begebenheiten.
Nun zurück zu ihrem Bruder, Alexander von Zemlinsky, der hatte nämlich Brahms noch höchstpersönlich gekannt und genoss dessen Förderung. Erst nach Brahms´ Tod wandte er sich Richard Wagner zu, Schönberg seinerseits folgte seinem Mentor darin und man merkt es der Musik durchaus an, dass da gerade in der „Verklärten Nacht“ noch viel Brahms (allein schon die Besetzung als „Sextett“!) aber auch noch viel Wagner drinsteckt. Schönberg selbst meinte, dass er zurzeit mit Zemlinsky „Brahmsianer“ gewesen sei. Wie sein Mentor wurde auch er Verehrer von Brahms und von Wagner. Dazu kam auch noch, Schönbergs eigener Ansicht nach, „eine Spur Liszt, Bruckner und vielleicht auch Hugo Wolf. Deshalb beruht in meiner „Verklärten Nacht“ die thematische Konstruktion einerseits auf dem Vorbild von Wagners „Modell und Sequenz“ über einer wandernden Harmonie und andererseits auf Brahms Technik der entwickelnden Variation, wie ich es nenne.“ Der berühmteste Kommentar zum „Sextett“ stammt von einem Vorstandsmitglied des Wiener Tonkünstlervereins, das sich zur Ablehnung der dortigen Aufführung wie folgt äußerste: „Das klingt ja, als ob man über die noch nasse Tristan-Partitur drüber gewischt hätte!“
Heute zählt „Verklärte Nacht“ zu den meistgespielten Werken Schönbergs und liegt sowohl als Sextett wie auch in den später entstandenen Streichorchesterfassungen in zahlreichen Einspielungen vor.
Die Umstände wie es zur Bearbeitung des Streichsextetts für ein ganzes Streichorchester kam, sind beim österreichischen Arnold-Schönberg-Center folgendermaßen akribisch dokumentiert: Wer möchte, kann diesen Abschnitt ohne großen Verlust an Verständnis für das Werk überspringen.
„Die ersten (brieflichen) Zeugnisse, in denen eine Einrichtung von „Verklärte Nacht“ für Streichorchester erwähnt wird, stammen vom Herbst 1916 aus dem unmittelbaren Vorfeld der Uraufführung. Spätestens Anfang November muss festgestanden haben, dass die Uraufführung Ende November 1916 in Prag unter der Leitung von Alexander Zemlinsky stattfinden sollte, und dass Schönberg (mit der Familie) aus diesem Anlass nach Prag reisen würde. Unbekannt ist indes, wann und aus welchem Grund Schönberg eine Einrichtung des Streichsextetts vornahm, ob also er selbst oder aber Zemlinsky eine derartige Bearbeitung vorgeschlagen hatte, und ob damit von vornherein beabsichtigt war, vor allem eine größere Verbreitung des Werks zu erreichen (vgl. hierzu Hertzkas Brief vom 1. Dezember 1916). Unklar ist auch, ob der Plan erst im Herbst 1916 aufkam und unmittelbar danach in die Tat umgesetzt wurde (sich möglicherweise einem konkreten Aufführungsplan verdankt), oder aber schon länger ins Auge gefasst worden war. Die Tatsache, dass für die Aufführung vom Verlag eingerichtetes Stimmenmaterial verwendet wurde – es ist allerdings nicht bekannt, welcher Art diese Einrichtung gewesen ist – deutet jedoch daraufhin, dass zumindest eine Drucklegung dieser neuen Fassung von Beginn an einkalkuliert wurde. Sowohl aus den Briefen des Kreises um Schönberg und einer Konzertkritik, als auch aus zwei eigenhändigen Schreiben Schönbergs geht hervor, dass die Uraufführung, die am 29. November 1916 in Prag stattfand, ein großer Erfolg gewesen war. An Zemlinsky schrieb der Komponist einen überschwänglichen Dankesbrief, und in einem Brief an Hermann Kutzschbach vom 4. Dezember 1916 bekundete Schönberg, er sei mit der Wirkung des Sextetts äußerst zufrieden gewesen. Schönberg betonte hier, dass alles prachtvoll schön geklungen und an Klarheit und Präzision gewonnen habe. Zugleich teilte er mit, dass ursprünglich eine gründlichere Umarbeitung geplant gewesen sei, wovon er jedoch nun angesichts des Erfolgs der Aufführung absehen werde. In der Tat beschränkten sich die Änderungen gegenüber der Sextett-Fassung auf einige wenige Retuschen der Dynamik und Artikulation sowie eine zusätzliche Kontrabassstimme, während der Tonsatz selbst nicht angetastet wurde.
Dass dieser Einrichtung für Streichorchester ein großer Erfolg beschieden war, geht auch aus den Nachauflagen hervor. Von der Partitur wurde am 8. Februar 1921 eine zweite Auflage veröffentlicht, die nun, anders als die erste Auflage, von der 100 Exemplare gedruckt worden waren, in einer Auflagenhöhe von 200 Exemplaren erschien. Die Stimmen wurden zu unterschiedlichen Zeiten zwischen 1921 und 1938 (in zwei Fällen auch noch 1949) nachgedruckt. Im Unterschied zur Partitur, bei der die zweite Auflage keine Änderungen aufweist, sind in späteren Auflagen der Stimmen Revisionen vorgenommen worden, von denen jedoch nicht bekannt ist, inwiefern Schönberg an ihnen beteiligt gewesen ist.
Mit dem Erscheinen von Partitur und Stimmen im Sommer 1917 war die Grundlage für weitere Aufführungen gelegt, die bereits in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des I. Weltkriegs in rascher Folge stattfanden. Bekannt sind Aufführungen unter Arthur Nikisch in Leipzig (am 14. März 1918 und somit noch vor der Beendigung des Krieges), unter Wilhelm Furtwängler (in Mannheim, Frankfurt/Main und Wien), Willem Mengelberg und Hermann Scherchen. Auch Schönberg selbst hat im Juni 1919 in Wien und 1920 in Rotterdam die Einrichtung für Streichorchester dirigiert. Wie vergleichsweise populär das Werk um die Mitte der 20er Jahre geworden war, geht aus zwei Schreiben der Universal-Edition hervor. So sandte Erwin Stein am 14. Juni 1926 eine Liste der geplanten Aufführungen Schönbergscher Werke in der Saison 1926/27 an den Komponisten, aus der hervorgeht, dass Opus 4 in Berlin, Breslau, Karlsruhe, Luzern, Utrecht, Wien, Winterthur, Würzburg, Reichenberg, Paris und Mannheim gespielt werden sollte. Eine analoge Liste existiert aus dem Oktober 1928, in der für „Verklärte Nacht“ Aufführungen in Buenos Aires, Antwerpen, Stuttgart, Königsberg, Berlin, Hamborn, Stockholm, Köln, Prag, Halle und Lemberg verzeichnet sind. Auch eine Einspielung auf Schallplatte mit der Staatskapelle Berlin unter der Leitung Schönbergs wurde im Herbst 1929 in Angriff genommen. Die Aufnahme wurde jedoch nicht fertig gestellt und ist im Handel nicht erschienen, was eine längere briefliche Auseinandersetzung zwischen Schönberg und der Plattengesellschaft, der Deutschen Ultraphon Gesellschaft nach sich zog. Aus dieser Zeit sind uns also keinerlei Einspielungen überliefert.
Mit der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten zu Beginn des Jahres 1933, die Schönbergs Emigration nach Amerika zur Folge hatte, fielen nicht nur Aufführungen in Deutschland und bald schon in anderen europäischen Ländern fort. Zugleich stellte sich für die Streichorchesterbearbeitung von Verklärte Nacht auch die Frage des Copyrights neu.“ (Albrecht-Hohmaier, Martin; Scheideler, Ullrich: GA, Reihe B, Bd. 9, S. 77-78)
Schönberg sah sich daher genötigt erneut eine Bearbeitung für Streichorchester in Angriff zu nehmen. Daraus wurde eine fast endlose Geschichte von Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Beteiligten, die nicht selten vor dem Gericht landeten. Schönberg war seit 1934 mit unterschiedlichen amerikanischen Verlagen in Verhandlungen über eine Neubearbeitung, um das Werk urheberrechtlich zu schützen, denn bei der Einrichtung für Streichorchester von 1916/17 war dies von der Universal-Edition versäumt bzw. mit Rücksicht auf den Originalverlag von op. 4 (Sextett-Version beim Verlag Dreililien) unterlassen worden. Ein Problem, das Schönberg und die beteiligten Verlage über Jahre hinweg beschäftigte und daher eine etwas nähere Betrachtung verdiente, der wir jedoch, um nicht über Gebühr zu langweilen nicht nachgehen wollen. Nachzulesen mit allen denkbaren Nuancen ebenfalls unter der Website des Arnold-Schönberg-Centers.
1943 erschien endlich bei AMP eine von Schönberg revidierte Version dieser Orchesterfassung von 1917 mit Modifikationen, die über die bloß hinzugefügte Kontrabassstimme weit hinausgehen und im Sinne einer ausgewogeneren Klangbalance insbesondere Dynamik und Artikulation sowie Tempoangaben betreffen. So wird auch zwischen Soloabschnitten und Orchesterabschnitten unterschieden das (jedoch nur gegenüber der Ur-Partitur von 1899, denn in der Erstaufnahme von Ormandy 1934 werden auch schon Solo- und Tuttiabschnitte gespielt), Haupt- und Nebenstimmen werden gekennzeichnet, Metronom-Angaben werden hinzugefügt, wo zuvor noch keine waren, die Bezeichnung der Vortragsbezeichnungen sind nun nicht mehr deutsch, sondern italienisch, also in der internationalen Sprache der Musik gehalten. Manchmal mogelt sich auch ein englischer Begriff dazwischen: „Very soft.“ Schönberg nimmt den Interpreten durch seine Präzisierungen gegenüber der Kammermusikversion von 1899 und der ersten Orchesterversion von 1917 ein wenig Eigenverantwortung ab, was gerade bei größeren Streichorchestern sicher von Vorteil sein kann, da nun in hohem Maß die Präzision im kollektiven Zusammenspiel gefordert ist.
Die Streitereien um die Rechte und damit das Geld fanden dagegen erst 1946 ein Ende.
Der Pianist und Komponist Eduard Steuermann, ein Schüler Schönbergs, schuf 1932 eine Transkription für Klaviertrio. Auch von dieser Bearbeitung existieren nicht wenige Einspielungen. Da es aber genügend Einspielungen von der originalen Streichsextett-Version und von den Bearbeitungen Schönbergs für Streichorchester gibt (die eigentlich alle der Version von 1943 folgen), und weil es uns in unserer Sammlung ganz einfach bisher an der Trio-Version mangelt, lassen wir diese Version in unserem Vergleich außen vor.
Zu den Rechtsstreitigkeiten nur noch einen kuriosen Appendix: Die Streitigkeiten mit AMP (Associated Music Publishers, dem neuen Verlag in den USA) und der Universal-Edition (dem Verlag der „alten“ Fassung von 1913 in Wien) hielten weiter an, Schönberg beschwerte sich bis an sein Lebensende über ausbleibende Abrechnungen und Zahlungen. Einen kuriosen Nebenschauplatz dieser Streitigkeiten eröffnete Schönberg im Sommer 1946: Am 17. Mai 1946 hatte er sich direkt bei RCA Victor nach Tantiemen vermutlich für eine Schallplattenaufnahme aus diesem Jahr erkundigt (wahrscheinlich ist damit die Golschman-Aufnahme aus Saint Louis gemeint, Anm.) was sich allein aus dem Antwortbrief vom 20. Juni des durch RCA beauftragten Holen Adjustment Bureaus (wohl eine Art Inkassounternehmen) erschließen lässt. Darauf bestätigte ihm RCA am 20. Mai telegraphisch einen Betrag von $ 349,57, allerdings ohne nähere Angabe, warum, an wen und wann gezahlt werden solle. Dies führte zu dem Missverständnis, dass das besagte Holen Adjustment Bureau im Auftrag von RCA am 20. Juni bei Schönberg diesen Betrag als zahlbar anmahnte. Dieser bat am 25.Juni um Richtigstellung, aber am 8. Juli folgte die Antwort, dass man doch mit einer Zahlung rechne. In Anspielung auf den Namen des Büros schrieb Schönberg erzürnt am 12. Juli: „Enclosed a copy of the letter which I sent you answering your previous letter. I have nothing to add this time but, that if you write me again dann soll sie der Teufel H O L E N.“ Schließlich klärte RCA die Angelegenheit, es sei eine Verwechslung und bezüglich der Tantiemen habe man sich inzwischen mit AMP verständigt. (Albrecht-Hohmaier, Martin; Scheideler, Ullrich: GA, Reihe B, Bd. 9, S. 78-80)
Wenn´s ums Geld geht…hört der Spaß bekanntlich auf.
Die Geschichte der Aufnahmen der „Verklärten Nacht“ lehrt uns jedoch, dass es nicht immer nur ums Geld zu gehen scheint. Nach der ersten, heute nicht mehr erhaltenen Einspielung des Werkes mit dem Spencer Dyke String Quartet (1924/1925), das war selbstverständlich die Sextett-Fassung, es gab also noch zwei „Aushilfen“, die man heute nicht mehr kennt, herrschte sage und schreibe Totenstille bis 1950, als das Hollywood String Quartet seine von Schönberg quasi autorisierte Einspielung vorlegte. Dazwischen und danach hängte die Orchesterfassung die Sextett-Fassung deutlich ab, obwohl eine Aufnahme sicher ein Vielfaches kostete und kostet, zumal zu den zahlreichen Streichern auch noch meistens ein „Kasse machender“ Pultstar bezahlt werden musste. Ormandy, Golschmann, Stokowski und Mitropoulos tragen sich hier – zum Teil mehrmals - in die Aufnahmegeschichte ein. Alle Aufnahmen entstanden in den USA. Europa hinkte hinterher. Der Name „Schönberg“ verbreitete damals in Europa und besonders in Deutschland bis in die siebziger Jahre hinein noch Angst und Schrecken beim Publikum und bei den Veranstaltern. Während der Nazi-Diktatur Werke Schönbergs aufzuführen war undenkbar (da lebensgefährlich), es fehlte dem Publikum also (die ganz frühen einmal ausgenommen) über Jahrzehnte jede Möglichkeit sich an den sperrigen Kompositionen zu üben und sich offenen Herzens darauf einzustellen. In Deutschland gab es daher auch lange gar keine Aufnahmen der „Verklärten Nacht“. Wieder einmal besorgte das Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden die Pioniertat. Unterdessen, grob gezählt seit den 90er Jahren, hat die Sextett-Fassung zahlenmäßig gut aufgeholt und zumindest einmal mit der großen Besetzung gleichgezogen. Fast jedes Quartett, das einen festen Plattenvertrag hat und was auf sich hält, lädt sich irgendwann zur Verstärkung zwei ihm gut bekannte oder befreundete Musiker ein und nimmt es auf. Bekannte Geiger(innen) initiieren auch einmal Solistenvereinigungen, ganz selten nimmt einmal ein festes Sextett die „Verklärte Nacht“ auf, denn es gibt sie kaum, die festen Streichsextette.
Der Dirigent und Violinist Christoph Poppen findet die Bearbeitung für Streichorchester noch wirkungsvoller als die Fassung für Streichsextett: "Was mich fasziniert an dieser Orchestrierung, dass er es geschafft hat, die Ekstase, diese gigantischen Dimensionen klanglich durch die Orchestrierung deutlich zu vergrößern, ohne die Zerbrechlichkeit an bestimmten Stellen zu verlieren, indem er eben immer wieder zurückgeht auf Soli - es gibt wunderbare Geigen- und Cello-Soli in dieser Orchester-Fassung -und dadurch eigentlich das extrem empfindlich kammermusikalische, was in dem Sextett da ist, erhalten bleibt, obwohl es jetzt um großes Orchester geht." (Christoph Poppen in „Das starke Stück“ vom BR, 2005)
Dem könnte man zustimmen, denn Herr Poppen kennt aus eigener Ausübung als Kammermusiker und Dirigent gewiss alle Fassungen bestens. Dazu meinen wir jedoch, dass beim Hören von Tonträgern doch noch etwas andere „Gesetze“ gelten als im Konzertsaal. Schließlich könnte man ein Streichsextett zu Hause mit der gleichen Lautstärke hören und mit ähnlicher Erhabenheit klingen lassen wie ein 60-köpfiges Streichorchester. Der Poti macht es möglich. Und vice versa kann eben dieses riesige Orchester genauso leise klingen und so zärtlich oder sanft wirken wie ein Streichsextett. Oft können gerade die ganz großen Besetzungen sogar ein „magischeres“ pp (den Willen und das Vermögen dazu einmal vorausgesetzt) hervorbringen als ein kleineres Kammerorchester. Zu Hause werden die Karten also wieder neu gemischt. Es gibt nach dem Hören der über 80 Einspielungen von unserer Seite keine eindeutige Empfehlung für die eine oder die andere Besetzungsstärke. Das individuelle Gelingen der jeweiligen Unternehmung scheint da entscheidender. Wenn man nicht zu stark von eindeutigen Vorlieben vorgeprägt ist, sollte man sich von jeder Besetzung zumindest eine gelungene Einspielung aussuchen, dann lernt man das Stück mit seinen reichen Facetten am besten kennen. Und vielleicht ist die Lieblingseinspielung danach eine ganz andere als die, die man zuvor erwartet hätte.
Zusammengestellt bis 28.11.2023

Arnold Schönberg um 1930 (Bildquelle: Arnold Schönberg Center Wien)
Übersicht über die im Anschluss rezensierten Einspielungen:
Fassung von 1899 für Streichsextett, ausgeführt von Solistenvereinigungen (evtl. auch aus größeren Ensembles oder Orchestern), einem Streichquartett mit zwei Gästen oder einem festen Streichsextett
5
Belcea Quartett
mit Nicolas Bone und Antonio Meneses
Alpha
2015
27:16
5
Artemis Quartett
mit Thomas Kakuska und Valentin Erben
Virgin später Warner
2002
28:40
5
Quatuor Ébène
mit Antoine Tamestit und Nicolas Altstaedt
Erato-Warner
2020
30:49
5
Arditti Quartet
mit Thomas Kakuska und Valentin Erben
Auvidis, Naive
1993
27:44
5
Isabelle Faust, Anne Kathrin Schreiber, Antoine Tamestit, Danushka Waskiewicz, Christian Poltéra und Jean-Guihen Queyras
Harmonia Mundi
2018
28:04
5
Janine Jansen and Friends (Boris Brovtsyn, Amihai Grosz, Maxim Rysanov, Thorleif Thedéen, Jens Peter Maintz)
Decca
2012
29:48
5
Schönberg Ensemble
Philips
1984
30:05
5
Juilliard String Quartet
mit Walter Trampler und Yo Yo Ma
Sony
1991
28:36
4-5
Prazák Quartett
mit Vladimir Bukac und Petr Prause
Praga
2006-2007
26:12
4-5
David Oistrach String Quartet
mit Daniel Autrich und Alexander Buzlov
Praga
P 2022
27:10
4-5
The Completed Bartók Quartet
Hungaroton
ca. 1994
26:22
4-5
Leipziger Streichquartett
mit Helmut Rode und Michael Sanderling
MDG
1998
29:09
4-5
Pierre Boulez
Mitglieder des Ensemble Intercontemporain
CBS-Sony
1983
29:12
4-5
Hollywood String Quartet
mit Alan Dinkin und Kurt Reher
Capitol, EMI, Testament
1950
29:07
4-5
Die Kammermusiker Zürich
Jecklin
1995
29:17
4-5
LaSalle Quartet
mit Donald McInnes und Jonathan Pegis
DG
1982
27:33
4-5
David Atherton
Members of the London Sinfonietta
Decca
1973
29:07
4-5
Schönberg Quartett
mit Jan Erik van Regteren Altena und Taco Koolstra
Chandos
2001
29:03
4
Fred Sherry String Sextett
Naxos
2012
27:21
4
Ramor Quartett
mit Zolt Deaky und Edith Lörincz
Vox, Tuxedo
1960
27:34
4
Emerson String Quartet
mit Colin Carr und Paul Neubauer
Sony
2012
27:07
4
Ensemble Epomeo and Friends
Somm
2013, live
27:18
4
Armin Jordan
Kammer Ensemble de Paris
Gallo
1996
29:00
4
Kenneth Slowik
The Smithonian Chamber Players
Dorian
2008
29:22
4
Tschechisches Philharmonisches Sextett
Ultraphon, Arco Diva
1999
27:10
3-4
Neues Wiener Streichquartett
mit Siegfried Führlinger und Fritz Hiller
DG, Philips
1967
32:30
Fassung von 1917 für Streichorchester revidiert 1943, ausgeführt von den Streichern eines Kammerorchesters oder einem „festen“ kleiner besetzten Streichorchester
5
Geir Inge Lotsberg
Trondheim Soloists
Pentatone
2018
28:17
5
Thomas Zehetmair
Stuttgarter Kammerorchester
SKO Records (Eigenlabel des Orchesters)
2021
26:29
5
Heinz Holliger
Chamber Orchestra of Europe
Teldec
1992
31:33
5
Neville Marriner
Academy of St.-Martin-in-the-Fields
Decca
1973
29:16
5
Yoav Talmi
Israel Chamber Orchestra
Teldec
1986
29:08
5
Yuli Turovski
I Musici de Montréal
Chandos
1991
29:39
4-5
Candida Thompson
Sinfonietta Amsterdam
Channel Classics
2010
29:23
4-5
Thomas Zehetmair
Camerata Bern
ECM
1995
26:30
4-5
Jean-Guihen Queyras
Ensemble Resonanz
Harmonia Mundi
2013
29:17
4-5
Max Pommer
Kammerorchester Berlin
Eterna
1976
29:25
4-5
Misha Rachlevsky
Chamber Orchestra Kremlin (heute bisweilen auch Russian String Orchestra genannt)
Claves
1993
29:33
4-5
Orpheus Chamber Orchestra
DG
1989
28:32
4-5
Vladimir Ashkenazy
English Chamber Orchestra
Decca
P 1984
28:45
4-5
Martin Sieghart
Stuttgarter Kammerorchester
Mediaphon
P 1987, live
28:55
4-5
Heinz Holliger
Orchestre de Chambre de Lausanne
Zig Zag
2013
32:17
4-5
Frieder Bernius
Streicherakademie Bozen
Carus
1999
26:17
4-5
Iona Brown
Norwegisches Kammerorchester
Chandos
1994
31:06
4-5
Sandor Vegh
Camerata Academica des Salzburger Mozarteums
Capriccio
1992
28:07
4-5
Jiri Belohlávek
Neues Tschechisches Kammerorchester (englisch: Prague Chamber Philharmonic Orchestra genannt)
Supraphon
1994
28:11
4
Jean-Jacques Kantorow
Tapiola Sinfonietta, Espoo, Finnland
BIS
1994
28:29
3-4
Vladimir Spivakov
Moskauer Virtuosen (Moscow Virtuosi)
Capriccio
2003
27:39
3-4
Daniel Barenboim
English Chamber Orchestra
EMI
1967
31:14
3-4
Liana (oder Ilana) Issakadze
Georgisches Kammerorchester
RCA
1986
29:32
Fassung von 1917 für Streichorchester revidiert 1943, ausgeführt von den stark besetzten Streichern eines Sinfonieorchesters
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Sony
2004. live
27:41
5
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Orchestra
Columbia-Sony, Urania
1958
25:05 bzw. 24:40
5
Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
ORF, unveröffentlicht
2020, live
28:43
4-5
Christian Thielemann
Wiener Philharmoniker
ORF, unveröffentlicht
2023, live
29:13
4-5
Michael Gielen
Sinfonieorchester des SWR Baden Baden und Freiburg (inzwischen wegfusioniert)
SWR Classic
AD ?
34:14
4-5
Pierre Boulez
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1973
28:31
4-5
Zubin Mehta
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Decca
1967
31:12
4-5
Georges Sébastian
Gewandhausorchester Leipzig
Eterna, Berlin Classics, EMI
1964
30:22
4-5
Lothar Zagrosek
Bamberger Symphoniker
Orfeo
1994
31:48
4-5
Eliahu Inbal
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, unveröffentlicht
2011, live
30:45
4-5
Philippe Jordan
Wiener Philharmoniker
ORF
2021, live
30:58
4-5
Otto Klemperer
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Archiphon
1955, live
27:30
4-5
Dmitri Mitropoulos
Wiener Philharmoniker
Music and Arts
1958, live
30:43
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
Columbia-Sony
1950
30:42
4-5
Barbara Hannigan
Dänisches Nationales Sinfonieorchester Kopenhagen
Danmarks Radio, gesendet von Deutschlandradio Kultur, unveröffentlicht
2023
31:44
4-5
James Levine
Berliner Philharmoniker
DG
1991, live
28:42
4-5
Seiji Ozawa
Saito Kinen Orchestra
Philips
1993
29:56
4-5
Pierre Boulez
Concertgebouw Orchester Amsterdam
RCO
1995, live
30:57
4-5
Zubin Mehta
Bayerisches Staatsorchester
Farao
2002
32:24
4-5
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
DG
1973
29:49
4-5
Riccardo Chailly
Radio-Sinfonieorchester Berlin (heute: Deutsches Sinfonieorchester Berlin)
Decca
1987
29:55
4-5
Donald Runnicles
BBC Symphony Orchestra
BBC Music
2001, live
28:32
4-5
Edward Gardner
BBC Symphony Orchestra
Chandos
2021
28:38
4-5
Giuseppe Sinopoli
Philharmonia Orchestra London
DG
1992
32:50
4
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
Testament
1988, live
30:02
4
Vladimir Golschman
Saint Louis Symphony Orchestra
RCA Victor, EMI, Designo
1945
28:48
4
Takuo Yuasa
Ulster Orchestra, Belfast
Naxos
1998
28:23
4
Leopold Stokowski
Leopold Stokowski Symphony Orchestra
EMI
1960
28:16
4
William Boughton
English String Orchestra
Nimbus
1987
26:36
4
Paul Kletzki
Israel Philharmonic Orchestra
Columbia-BnF
ca. 1954
27:06
4
Yoel Levi
Atlanta Symphony Orchestra
Telarc
1993
34:21
4
Robert Craft
CBC Symphony Orchestra
Columbia-Sony
1963
24:56
3-4
Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra
Teldec
1994
29:20
3-4
Jascha Horenstein
Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden
Vox, Turnabout, Preiser, Hässler
1956
28:52
3-4
Eugene Ormandy
Minneapolis Symphony Orchestra (heute: Minnesota Orchestra)
RCA Victor, EMI
1934
32:39
Die Rezensionen vergleichend und im Detail:
Fassung von 1899 für Streichsextett, ausgeführt von Solistenvereinigungen (evtl. auch aus größeren Ensembles), einem Streichquartett mit zwei Gästen oder einem festen Streichsextett:
5
Belcea Quartett
mit Nicolas Bone und Antonio Meneses
Alpha
2015
27:16
Dem Belcea Quartett und seinen beiden Mitgestaltern gelingt eine von der ersten Note an hoch expressive und im Verlauf nie äußerlich aufgeregt wirkende Gestaltung. Ein traumhaft sicheres Zusammenspiel mit besonders ausgewogener Proportionierung der einzelnen Stimmen zeichnet das Spiel des Ensembles aus, was zuallererst bedeutet, dass sich die Violinen, und darunter besonders die erste nicht in den Vordergrund drängt. Besonders farbige, teils aparte Klangwirkungen sind ebenso auffällig wie bestes pp-Spiel, das den Grundstein für eine breite Dynamik bildet, die genauso ein durchgreifendes, teils mühevolles, teils müheloses ff bereitstellt, genau wie es das Werk erfordert. Das Spiel wirkt außerordentlich flexibel, aber genauso präzise und ebenso jedoch auch frei und natürlich. Darüber hinaus scheint man sich auch die Orchesterfassung genau angeschaut zu haben und nimmt die zahlreichen Präzisierungen Schönbergs, die in erster Linie das Zusammenspiel eines Orchesters verbessern sollten, mit in die Darbietung auf.
Wir hören eine ausgezeichnete Verbindung von sinnlich-verführerischen Klang, geistiger Durchdringung und einer in höchstem Maß verfeinerten, meisterhaften Spieltechnik.
Die Aufnahmequalität passt dazu kongenial. Die exemplarische Transparenz führt zu einer ausgezeichneten Ortbarkeit der sechs Instrumente. Dennoch wirkt der Gesamtklang nicht wie seziert. Der Zusammenklang zählt hier sehr viel. Und er ist voll und sonor, wirkt aber nicht aufdringlich, wie bei manch einer Einspielung bei der das Ensemble zu präsent ans Ohr kommt. Es wurde vielmehr ein ausgewogenes Verhältnis von Präsenz und Räumlichkeit erreicht. Die Aufnahme klingt wärmer als die des Quatuor Ébène oder die von Frau Faust mit Ensemble.
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5
Artemis Quartett
mit Thomas Kakuska und Valentin Erben
Virgin später Warner
2002
28:40
Wie sich das Spiel aus der anfänglichen bewegungslosen Erstarrung löst und dann nach und nach immer expressiver und erregter wird, konnte diesem Ensemble kaum ein anderes nachmachen. Das sf bei T. 43 klingt heftig. Kaum ein Spiel wirkt ab T. 50 so liebevoll, zart und fast schon intim. Das damals noch recht junge Quartett wird von zwei seiner Mentoren aus dem Alban Berg Quartetts verstärkt, die ihre Unterstützung neun Jahre zuvor bereits dem Arditti Quartett gewährt hatten. Für Thomas Kakuska sollte es die letzte Aufnahme gewesen sein, denn er verstarb 2005. Die CD erschien erst postum mit einer entsprechenden Widmung.
Im weiteren Verlauf wird sehr dynamisch und mit sehr viel Klangsinn gespielt und spieltechnisch in höchstem Maß vollkommen. Zumindest für unsere Ohren wirkt die Darbietung ausgesprochen stimmungsvoll, enorm nuancenreich, schnörkellos, schlank in der Tongebung und emotional zu- und anpackend. Die einzelnen Stimmen sind genau so gewichtet, dass das feine Gewebe exemplarisch hörbar wird und sich keiner der Partner über das erforderliche Maß hinaus exponiert. So kommt auch das Dialogische, wenn vorhanden, bestens zur Geltung. Zum klaren Kopf und der absoluten Kontrolle über die Technik kommt ein sinnlicher Klang, der auch träumen lässt. Eine bezaubernde Einspielung.
Der Klang wirkt sehr transparent und natürlich. Da ist nichts zu viel und es mangelt an nichts.
Leider hat das Quartett nicht zuletzt pandemiebedingt 2021 eine Spielpause eingelegt. Sehr zum Bedauern auf unbestimmte Zeit und leider hält sie derzeit (November 2023) immer noch an. Dann drücken wir einmal fest die Daumen.
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5
Quatuor Ébène
mit Antoine Tamestit und Nicolas Altstaedt
Erato-Warner
2020
30:49
Extrem nuancenreich, fiebrig-intensiv und daher hochsensibel wirkend nähert sich das Ensemble um das Ébène Quartett dem Nachtstück. Vibrato wird etwas reichhaltiger verwendet als bei den beiden zuvor genannten Formationen. Es werden weite Bögen gespannt und eine enorme dynamische Bandbreite genutzt um die Emotionalität weiter zu steigern. Mitreißende Beschleunigungen und die Betonung der allesamt von Schönberg bereits vorgegebenen zahlreichen verschiedenen Tempi dienen dem Erzeugen eines spontan wirkenden, fast schon rhapsodischen Gestus. Der Hörer fühlt sich in ein heftiges Spannungsverhältnis versetzt. Das Ganze spielt sich in einem durchaus bedachten Grundtempo ab, was die Tiefenwirkung der Gefühlswelt, in der die Frau sich befindet nur intensiviert. Wir ertappten uns bei dem Gedanken: „Wie schön, dass die Sechs so langsam spielen, dann dauert es auch länger“. Der „Stimmenproporz“ ist exzellent. Die beiden Gäste fügen sich nahtlos ins Quartett ein.
Die Entwicklung gelingt hochdramatisch in der ersten Hälfe (wozu die Strophen 1, 2 und 3 des Gedichts gehören). An Sinnlichkeit und instrumentaler Verführungskunst fehlt es dann der zweiten Hälfte (sie umfasst die 4. und 5. Strophe des Gedichts) nicht. Jederzeit wird auch in dunkler Nacht die größtmögliche Klarheit des Tonsatzes gewährleistet. Bestes Miteinander. Diese Einspielung ist wie die beiden zuvor erwähnten kaum zum verträumten einlullen lassen geeignet. Das ist Gänsehautmusik. Die finale Verklärung stellt sich ebenfalls ein.
Beckmesserisch mag es vor diesem Hintergrund anmuten, dass es dieser Einspielung, wenn man mit der gewohnten Stellung des Potentiometers hört, an einem echten pp mangelt. Die Relationen zu den anderen Lautstärken stimmt aber und das ist das Wichtige.
Der Klang wirkt gegenüber den beiden zuvor genannten Einspielungen um Belcea und Artemis auch um Arditti oder Bartók Quartett (beide seien ebenfalls noch beispielhaft genannt) heller und weniger weich. Der Gesamtklang wirkt eine Spur glasiger und geht was die Violinen betrifft im ff schon leicht ins Schrille. Das bemerkt man besonders im direkten Vergleich. Geht man unbedarft an die Sache heran, mag das jedoch kaum auffallen. Dann wirkt die Aufnahme immer noch zwar ziemlich trocken und direkt, aber doch voll und sonor genug. Und vor allem: wunderbar transparent.
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5
Arditti Quartet
mit Thomas Kakuska und Valentin Erben
Auvidis, Naive
1993
27:44
Bereits fast zehn Jahre vor der Einspielung mit dem Artemis Quartett wurden die beiden Herren aus dem Alban Berg Quartett zum gemeinsamen Musizieren der „Verklärten Nacht“ geladen und das Zusammenwirken verlief nicht minder erfolgreich.
Es liegt hier eine expressiv geschärfte Einspielung vor in dem das Ensemble ein haarfeines, traumhaft sicheres und perfekt ausgewogenes Zusammenspiel präsentiert mit einer geweiteten Dynamik, die die Extremwerte nicht scheut und zwar in beiden Richtungen. Die Violinen legen bei diesem Stück fest, wie sollte es auch anders sein, wie rund und warm das gesamte Ensemble klingt. Da sich das Ensemble auf eine schön und besonders warm klingende 1. Violine stützen kann, klingt es auch als Ganzes wunderbar warm, weich und rund. Mit diesem Pfund wird besonders die zweite Hälfte des Stückes, also die 4. und 5. Strophe zu einem besonderen sinnlichen Erlebnis, ja Vergnügen. Wir waren jedenfalls von dieser Einspielung gefangen. Im direkten Vergleich mit dem Ensemble um das Artemis Quartett wirkt Artemis etwas gefühlvoller, im Gegenzug Artemis vielleicht nicht ganz so superperfekt wie Arditti. Arditti klingt auch präsenter, aber weniger räumlich als Artemis.
Für sich genommen wirkt diese Aufnahme trocken und sehr präsent, um nicht zu schreiben knackig (für eine reine Streicherbesetzung will das schon was heißen). Trotzdem kommen Klangfülle und Sonorität nicht zu kurz. Auch bei diesem Ensemble und dieser Aufnahme ist die Durchhörbarkeit der Stimmen ausgezeichnet und sie ist ebenfalls enorm dynamisch.
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5
Isabelle Faust, Anne Kathrin Schreiber, Antoine Tamestit, Danushka Waskiewicz, Christian Poltéra und Jean-Guihen Queyras
Harmonia Mundi
2018
28:04
Diese Aufnahme entstand im Teldex Studio Berlin und ist nach der Aufnahme um Janine Jansen die zweite Einspielung eines „All Star Ensembles“ in unserem Vergleich. Dass sie aus einem Studio kommt merkt man ihr im positiven wie im negativen durchaus an.
Im Ausdruck trifft nach unserem Dafürhalten das Ensemble den sogenannten Nagel auf den Kopf. In keiner anderen Einspielung klingt der Beginn so düster und fahl wie hier. Kein Lufthauch regt sich (ganz ohne Vibrato und wirklich ganz extrem leise wird hier intoniert). Die Instrumente klingen besonders schlank (viel schlanker als die Instrumente des voll und saftig spielenden Ensembles um Janine Jansen) und voneinander separiert. Eine extreme Transparenz der Stimmen ist die Folge, die sich kaum noch zu vermischen scheinen. An Expressivität wird nicht gespart, ganz im Gegenteil, das Innerste wird durch die Musik nach außen gekehrt. Ein kleines Beispiel nur ist das berstende Pizzicato in Takt 46. Ein so fantastisch abschattiertes pp hört man höchst selten, eigentlich überhaupt nicht noch einmal. Frau Faust lässt ihren Geigenton in der Höhe ganz besonders leuchten. Man hört jederzeit die fantastische Solistin und trotzdem gelingt es ihr, nicht aus dem Ensemble herauszufallen. Man fragt sich, wie sie das schafft, beantworten lässt sich die Frage allerdings nicht so recht. Man muss bemerken, dass die Aufnahmetechnik dieses mögliche Problem erkannt und ihm erfolgreich gegengesteuert hat. Jedes einzelne Instrument erhält im gesamten Klangbild seinen fest und haarscharf umrissenen Platz, und zwar jedes den gleichen. In vielen anderen Aufnahmen überwuchert die 1. Violine das gesamte Ensemble geradezu. Das mindert im Ganzen die Wirkung teils erheblich. Frau Faust ist Prima inter pares und gerade so gelingt es, auch den Partnern besonderen Glanz zu verleihen. Das wirkt bei aller Bravour uneitel.
Rubato kommt durchaus auch zum Einsatz, was den Verlauf nur noch spannender macht. Frau Faust mach die „Rede“ der Frau (2. Strophe des Gedichtes, bei Schönberg ab T. 100) zu einer richtigen „Klangrede“, als Ganzes wird besonders die erste Hälfte zu einem echten Psychogramm. Das hatte auch schon Sinopoli in seiner Einspielung versucht, hier ist man jedoch viel näher dran. Die 2. Strophe klingt herzzerreißend. Das Ensemble stellt hier viele instrumentale Finessen bereit, die anderen bisher gar nicht eingefallen sind (und die Einspielung war die 64ste, die wir hörten). Auch hierbei ist Frau Faust Prima inter pares.
In der 4. Strophe (ab T. 229 bei Schönberg: die Rede des Mannes und der Dialog zwischen Mann und Frau) bleibt man da bei einem pp, wo ein pp steht. Bei anderen gehen da bei der Dynamik mitunter längst die Pferde durch. Das gilt übrigens für die ganze Darstellung: Die Partitur gilt zunächst einmal alles und sie wird minutiös realisiert. Der „Klangzauber“ (ab T. 249 mit der Sordine gespielt), der ein bisschen an das „Waldweben“ bei Wagner erinnert, klingt kaum je so sublim wie hier. So als ob „die Frau“ ihre innere Befreiung und Freude über das „Urteil“ des Mannes zunächst einmal für sich behält und erst danach in den Dialog tritt und man sich im Verlauf dann immer näherkommt. Alles wird hörbar gemacht und die Fantasie darf sich beflügelt fühlen. Das ist facettenreiche, enorm nuancierte Kammermusik, allerbeste Instrumentenbeherrschung und Werkverständnis auf höchstem Niveau. Einfach wunderbar. Allerdings, wenn man die besten Ensembles um die besten Streichquartette hört, schwingt da noch etwas mehr blindes Einvernehmen oder Intuition im Zusammenspiel mit. Das mag aber auch Einbildung sein, denn Beweise für diese Behauptung ließen sich spontan kaum anführen, denn das Zusammenspiel wirkt auch im Ensemble um Isabelle Faust durchaus eng verzahnt und der absoluten Perfektion angenähert.
Dem hellen und weniger sonoren Klang hört man hingegen sofort die Herkunft aus dem Studio an. Er mag daher rühren, dass es eigentlich zu keiner Mischung der verschiedenen Instrumentenklänge kommt. Man hört wie im Konzert, wenn man direkt vor dem Sextett sitzend und sich die fühlbaren Raumproportionen des Saals komplett wegdenkt. Direkter und transparenter geht es kaum noch, aber manch ein Hörer oder eine Hörerin könnte den Klang schon als analytisch oder als die Musik sezierend empfinden. Das mag aber Ansichtssache sein. Beim Ensemble um Janine Jansen gibt es bei guter Transparenz einen deutlichen Ensemble-Schmelzklang.
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5
Janine Jansen and Friends (Boris Brovtsyn, Amihai Grosz, Maxim Rysanov, Thorleif Thedéen, Jens Peter Maintz)
Decca
2012
29:48
Diese Ensemble bietet ein besonders hohes Maß an Klangfülle an und übertrifft dabei auch Artemis, Faust, Juilliard und Co.. Leiser und behutsamer lässt sich das Werk auch kaum beginnen. Man schreckt aber auch von rabiaten „Eruptionen“, wie z.B. beim Pizzicato bei T. 46 oder drastischen Kontrasten nicht zurück (z.B. 2. Strophe komplett, „Geständnis der Frau“). Im Spiel mit Dämpfer (nicht erst ab T. 229, sondern bereits bei T. 50) wird es zauberhaft schön. Die einzelnen Stimmen werden auch bei diesem Ensemble als besonders ausgewogen und gleichberechtigt empfunden, was wir als hohes Verdienst bereits bei der Aufnahme um Isabelle Faust beschrieben haben. Manche Passagen erscheinen so geradezu in einem neuen Licht und könnte Hörgewohnheiten infrage stellen.
Bei der 4. Strophe (ab T. 229) legt man etwas mehr Vibrato auf als z.B. das Ensemble um Frau Faust, man hat anscheinend keine Scheu eine leicht schwülstige „Fin de Siècle“-Stimmung aufkommen zu lassen, warum auch nicht, wenn es so geschmackvoll gemacht wird. Die Betonung liegt auf leicht, nicht auf schwülstig…Man höre dabei, wie zart und innig Janine Jansen ihre „süßen“ Kantilenen im „Klangzauber“ ab T. 249 spielt. Das bezaubert auch den hartgesottenen Hörer, der bereits alles zu kennen glaubt. Auch der instrumentale „Untergrund“ bleibt dabei mustergültig differenziert, sodass da fast schon von gemeinschaftlicher Verklärung gesprochen werden darf. Das Cello hält sich als die Stimme des „Mannes“ dergestalt von der „Frau“ motiviert kaum zurück, wie sollte es auch, wenn die Geige so verführerisch herausfordert. Ein Geben und Nehmen, fast wie im richtigen Leben. Klanglich und artikulatorisch auf allerhöchstem Niveau. Und sehr effektvoll. Es wurden alle Register gezogen. Dieses Sextett macht einen sehr gut eingespielten Eindruck. Sehr persönlichkeitsstark im Einzelnen aber auch als Team große Klasse. Auch Frau Jansen spielt sich nie in den Vordergrund. Brava!
Der Klang der Aufnahme suggeriert bisweilen eine fast schon orchestrale Klangfülle. An hautnaher Präsenz, Transparenz und Dynamik fehlt es ebenso wenig. Im Konzerthaus Dortmund hört man im Gegensatz zum Teldex-Studio Berlin, dem Aufnahmeort der Faust-Einspielung, mehr einen klaren Mischklang wie vom besten Platz in der vorderen Mitte.
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5
Schönberg Ensemble
Philips
1984
30:05
Das niederländische Ensemble, 1974 von und um Reinert de Leeuw gegründet, hat 2008 mit dem ASKO-Ensemble fusioniert und trägt jetzt den etwas seltsamen Namen ASKO/Schönberg. Bei dieser Einspielung haben wir übrigens keinen Hinweis darauf gefunden, dass ein Dirigent, so wie es bei der einen oder anderen Sextett-Aufnahme der Fall ist, mitgewirkt hätte.
Das hindert das Ensemble nicht daran eine exemplarisch deutliche Artikulation und Stimmentransparenz hervorzuzaubern. Man lässt sich die Zeit für den Aufbau einer höchst atmosphärischen Stimmung. Beim empathischen Spiel, sanft, ohne je gefühlig zu wirken, geht kein Detail verloren. Das Spiel wirkt in hohem Maß kammermusikalisch fein, ohne es bei den betreffenden Passagen an Wucht und Durchschlagskraft fehlen zu lassen. Auch die große Geste geht hier nicht verloren. Klanglich meidet man sowohl jede Schärfe als auch eine betont warme oder volle Diktion. Die erste Violine versteht sich erneut als Prima inter pares. An die klangliche Delikatesse oder auch artikulatorische Finesse von Frau Faust oder Frau Jansen kommt sie nicht ganz heran, aber viel fehlt da nicht. Das Ensemble-Spiel verdient sich höchste Meriten. Diese Einspielung macht dem Namen des Ensembles alle Ehre.
Der Klang ist bestechend klar, übersichtlich und deutlich, feinzeichnend und trotzdem körperhaft, präsent und räumlich zugleich. Wir haben es hier mit einer der allerbesten Aufnahmen des gesamten Sextett-Angebotes zu tun. Voller Frequenzumfang, gute Tiefe und bei der zu erwartenden frühdigitalen Härte herrscht erfreulicherweise totale Fehlanzeige.
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5
Juilliard String Quartet
mit Walter Trampler und Yo Yo Ma
Sony
1991
28:36
Mit dem Juilliard Quartett tritt nun eines der ältesten und ehrwürdigsten Formationen in die Aufnahmegeschichte der „Verklärten Nacht“ ein. Obwohl es bereits seit 1947 existiert und teilweise schon mehrfach umbesetzt wurde, scheint es die erste und bisher einzige Einspielung des Werkes zu sein, jedenfalls haben wir keine weitere entdecken können. Dass es gerade im personellen Umbruch gewesen sein könnte, der Primarius (Robert Mann) war zur Zeit der Aufnahme bereits stolze 71 Jahre und Walter Trampler, die mehr oder weniger ständige „Aushilfe“ beim Juilliard, aber auch beim Guarneri oder beim Budapest String Quartett bereits 76 Jahre alt, hört man der Einspielung nicht an. Technisch läuft alles in souveräner Manier ab und die Spannung wird hochgehalten. Auch an heftiger Artikulation, wo von Schönberg verlangt, mangelt es in keiner Weise. Der Klang des Ensembles wirkt luzide und durchlässig, fragil und hoch differenziert. Es besteht kein Zweifel, da spielen absolute Meister ihres Fachs und ihr Zusammenspiel ist traumhaft sicher. Die 1. Violine mogelt sich keinesfalls nach vorn, der kammermusikalische Ur-Gedanke ist da längst verinnerlicht. Das Werk selbst böte durchaus Gelegenheit auch mal eine Ego-Show zu starten. Insgesamt wirkt der Gestus emotional ein wenig zurückhaltender, nicht kühl, aber auch nicht hochromantisch oder gar expressionistisch hochgepeitscht. Man hört das große Vorbild Schönbergs, Johannes Brahms durchaus noch mit. Man hat den Eindruck, hier ist alles ausgereift und völlig durchdacht. Eine bewundernswert klare Interpretation. Die verschiedenen Tempi, auch die Accelerandi klingen beherzt umgesetzt, die leisen Töne werden ebenfalls sehr gut umgesetzt. Hier wird nicht vergröbert. Der Unterschied in der Spielweise zwischen der mehr beschreibenden und innerlich wirkenden Strophen 1 und 3 unterscheidet sich erheblich von den subjektiven, noch emotionaleren Strophen 2 und 4. Da zieht man dann alle Register, deren ein Sextett fähig ist. Teil 4 mit Flageolet und Dämpfer klingt auch in dieser Einspielung ganz bezaubernd. Wir hatten den Eindruck, dass dieser Abschnitt den meisten Ensembles besonders viel Freude beim Spiel gemacht hat. Das Duett zwischen erster Violine und erstem Cello klingt minutiös ab- und ausgewogen. Hier wirkt das Spiel warm, wie bei einem Brahms-Quartett. Zu übermäßigem Schwelgen kommt es bei dieser Formation nicht, das „Fin de Siècle“ bleibt noch einigermaßen sachlich.
Das Klangbild ist sehr gut aufgefächert, die einzelnen Stimmen sehr transparent. Der Gesamtklang ist wärmer, klarer körperhafter als bei den früheren Analog-Aufnahmen, von harter oder scharfer „Digitalitis“ ist nichts mehr zu spüren.
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4-5
Prazák Quartett
mit Vladimir Bukac und Petr Prause
Praga
2006-2007
26:12
Diese Einspielung haben wir nur ein wenig zurückgesetzt, weil sie angesichts des Aufnahmedatums gegenüber den vorgenannten Einspielungen auffallend an klanglicher Fülle und sinnlichem Reiz einbüßt. Und zuallererst sind dabei - wie so oft – die Violinen (besonders die erste) prägend. Inwieweit daran die Aufnahmetechnik ursächlich beteiligt ist, ist schwierig zu beurteilen. Für unseren Vergleich ist dies aber auch zweitrangig, weil wir uns selbstverständlich mit dem Ist-Zustand auseinandersetzen müssen und das Ensemble nun einmal nicht live im Konzertsaal hören können. Ähnlich verhält es sich übrigens auch bei der folgenden Einspielung um das David Oistrach String Quartett, die ebenfalls bei Praga erschienen ist.
An der Musikalität, an der technischen bzw. geistigen Durchdringung und am hervorragenden Ensemblespiel ist nicht zu zweifeln, wenn man vom passagenweide relativ starken Vibrato einmal absieht, das jedoch als dramatisch bedingt erscheint und sich somit am Werk orientiert und nicht aufgesetzt wirkt. Das Spiel des Ensembles selbst wirkt aufmerksam, agil und sehr stimmungsvoll. Der Ensembleklang ist von seltener Homogenität, denn wo kommen sonst einmal die Bratschen und Celli so gut zum Zuge? Gerade die Celli sind den Violinen ein echter Partner „auf Augenhöhe“. Dem Ensemblespiel ist unmittelbarer Ausdruckswille eigen. So wird es, je weiter wir dem Ende zustreben, ab der 4. Strophe etwa (also ab T. 229), immer schöner und herzerwärmender, auch ohne den explizit warmen Ton. Es liegt eigentlich einer der ausdrucksvollsten Einspielungen überhaupt vor.
Der Klang ist sauber und klar und gerade was die Violen und Celli anlangt auch präsent und plastisch. Allerdings klingt die Aufnahme für ihr AD seltsam dünn, noch dünner als das David Oistrach String Quartett mit Gästen. Das ehrwürdige Bartok Quartett klingt dagegen mit der ungenannten Verstärkung geradezu balsamisch und von weicher, voller Sinnlichkeit geprägt. Bei dieser tschechischen Einspielung könnten sich empfindliche Hörer/innen auch von allerlei Atem- und Arbeitsgeräuschen der Musiker gestört fühlen. Wir empfanden sie als leise und der Sache als durchaus angemessen.
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4-5
David Oistrach String Quartet
mit Daniel Autrich und Alexander Buzlov
Praga
P 2022
27:10
Das noch immer junge, russische Quartett bekam 2012 seinen Namen von der Familie David Oistrachs verliehen, ob das zugleich auch der Gründungszeitpunkt war konnten wir nicht verifizieren. Eine Einspielung mit der Beteiligung David Oistrachs selbst scheint es unseren Nachforschungen nach übrigens nie gegeben zu haben, obwohl er der Kammermusik sehr zugewandt war.
Das Quartett und seine beiden Mitstreiter haben sorgfältig an dem Stück gearbeitet, denn es spielt akribisch genau und mit höchster Präzision. Wie schon beim tschechischen Prazák Quartett und seiner Verstärkung hören wie auch in dieser Einspielung keinen sinnlich-süßen Klang, an den man sich allzu gerne gerade bei diesem Stück gewöhnen kann. Bezeichnen wir ihn einmal als „unverblümt“, was erneut an den beiden Violinen liegt, obwohl die Musiker mit Top-Instrumenten erlesener italienischer Provenienz ausgestattet sind. In emotionaler Hinsicht geht es jedoch hoch her. Dazu dienen u.a. harte oder scharfe Kontraste, auch vor exzessivem Schmachten macht man nicht halt und auch ein gewisser „Wiener Dialekt“ hört man bei der Musik stärker durch als bei anderen Formationen. Dabei wird man auch mit relativ starken Atemgeräuschen der Spieler konfrontiert, die aber sicher auch von der dichten Mikrophonierung herrühren. Die Verläufe sind in der ersten Hälfte des Stückes dramatisch geschärft und zugespitzt, Zuckerguss darf man hier nicht erwarten. Das Zusammenspiel gelingt hautnah.
Beim „Liebesglück“ trägt die erste Violine vielleicht ein wenig zu dick auf (wann sonst, wenn nicht hier?), jedenfalls legen sich die sechs jungen Männer mächtig ins Zeug und legen sich keinerlei Zurückhaltung auf.
Insgesamt liegt hier also eine jugendlich-feurige Darbietung vor, die die Extreme nicht scheut. Klanglich mag die letzte Finesse noch fehlen und vielleicht auch nur der Wille den letzten Schmelz aus den Saiten zu zaubern. Trotzdem eine beeindruckende Aufnahme eines bei uns noch ziemlich unbekannten Ensembles.
Der Klang der Aufnahme ist super transparent und super präsent, so als säße einem das Sextett genau gegenüber. Ähnlich der Einspielung mit Janine Jansen gibt es aber genug Fluktuation und Rundung im gemeinsamen Klang, sodass er nicht überanalytisch wirkt. Trocken und dicht klingt es schon. Wenn Geigen wenig Raumklang mitbekommen klingen sie selten brillant, so ist es auch hier. Sie klingen etwas stumpf. Das Atmen der Musiker fällt bei diesem Ensemble besonders ins Ohr.
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4-5
The Completed Bartók Quartet
Hungaroton
ca. 1994
26:22
Dem gegenüber ist der Klang dieser Einspielung und das Spiel des altehrwürdigen Bartók Quartetts sinnlich, weich, warm und passagenweise geradezu zart besaitet. Das Zusammenspiel mit den leider ungenannten beiden Mitspielern ist sehr gut und sehr geschmeidig. Die beiden Geigen drängen sich auch in dieser Einspielung nicht vor. Auch an Expressivität mangelt es nicht und bei Bedarf kann das Ensemble eine geradezu orchestrale Wucht mobilisieren. Gerade die sonst gegenüber den beiden Violinen klanglich ein wenig abfallenden Bratschen und Celli erlangen hier eine demokratische Repräsentanz. Es wird zügig und in großen Bögen musiziert. In Punkto Leidenschaft müssen die ungarischen Herren mittlerweile jüngeren Formationen den Vortritt lassen, aber wenn es um einen farbig-schillernden Klang mit sinnlicher Verführungskraft geht, kommt so schnell niemand an ihnen vorbei. Ein Klang wie Samt und Seide.
Der Klang für sich genommen wirkt plastisch, körperhaft und ausgewogen, kein Instrument wird bevorzugt. Auch die Präsenz und Transparenz halten ein Topniveau. Bei der Aufstellung des Sextetts wird die gesamte Breite des heimischen Raums genutzt. Die Aufnahme klingt sehr breitbandig und voll. Ein besonderer klanglicher Hochgenuss.
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4-5
Leipziger Streichquartett
mit Helmut Rode und Michael Sanderling
MDG
1998
29:09
Auch der Klang des Ensembles um das Leipziger Streichquartett wirkt warm und klangsatt, aber doch etwas nüchterner und einen Tick weniger strahlkräftig als der des Bartok Quartetts+. Er wirkt dunkler abgetönt und vielleicht schon deshalb einen Hauch weniger sinnlich. Vielleich würde „bittersüß“ hier ganz gut passen, weil wahrscheinlich auch aufnahmetechnisch etwas weniger Hochton-Brillanz zur Verfügung gestellt wird. An Expressivität mangelt es nicht und auch die Dynamik und Feinzeichnung gefällt. Wenn erst die Sordine (der Dämpfer) mit ins Spiel kommt, darf man ruhig mal ins schwärmen kommen, verführerischer geht es kaum noch. Außerdem ist die absolute Ensemblehomogenität sehr zu loben. Ein nahezu perfekter Vortrag.
Wie schon beim Bartok Quartett+ ist auch bei den Leipzigern mehr Raumklang mit im Spiel, man rückt hier vom anscheinend meist als ideal empfundenen direkten und trockenen Klang ab. Hier stimmt die von uns oft beschworene Fluktuation und Rundung zwischen den Instrumenten, das Klangbild wirkt natürlich und geschmeidig. Hier ist nichts Hartes mit im Spiel und der Hochtonbereich wirkt ein wenig matter glänzend.
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4-5
Pierre Boulez
Mitglieder des Ensemble Intercontemporain
CBS-Sony
1983
29:12
Pierre Boulez hat das Stück ziemlich oft eingespielt. Nicht in unserem Vergleich vertreten sind die ersten Versuche mit dem Ensemble des Domain musicale aus den 60er Jahren (für Disques Adès). Sehr gut gelang die Einspielung mit der großen Besetzung, die er 1973 mit den New Yorker Philharmonikern machte, deren Chef er zu dieser Zeit war. Darüber später mehr. Warum er sich 1983 veranlasst sah, das Sextett zu „dirigieren“, das aus Mitgliedern des Ensemble Intercontemporain bestand, dem er damals ebenfalls als Chef vorstand, mag sein Geheimnis bleiben. Vielleicht hat er die „Verklärte Nacht“ auch „nur“ mit ihm eingeübt, so wie es ein Lehrer der Kammermusikklasse mit seinen Studenten täte und die Produzenten nutzten das, um den damals bereits sehr prominenten Namen Boulez auf das Cover zu schreiben? Es wäre ihnen nicht zu verdenken, denn auf eine lukrative Auflage wird ohne diese Maßnahme auch 1983 niemand gehofft haben können.
Mit der Unterstützung eines Dirigenten sollte es zumindest mit der Präzision und der Stimmengewichtung keine Probleme geben. Diese Rechnung ging weitgehend auf, wenngleich es die anderen Ensembles in diesen Disziplinen zu ähnlichen Resultaten bringen. Aber zumindest bei der dynamischen Genauigkeit lässt es das dirigierte Ensemble doch bisweilen ein wenig fehlen. Generell klingt das pp schon ziemlich laut und wenn dann einmal ein pppp (Schönberg bringt das tatsächlich, z.B. T. 222) kommt, geht es trotzdem nicht mehr leiser. Außerdem dominiert die erste Violine doch hörbar das eine ums andere Mal sehr deutlich das Geschehen. Wir gehen einmal davon aus, dass Boulez es genauso wünschte. Da die erste Violine einen hellen, ein wenig aufdringlichen aber doch auch sinnlichen Ton aufbietet, wollen wir das einmal so hinnehmen. Es wird generell sehr expressiv und eindrücklich gespielt und ansonsten ist das Ensemble wirklich gut aufeinander abgestimmt. Sehr gut bringt man die Celli in der 4. Strophe zur Geltung, die „dem Mann“ ihre Stimme leihen. Und sehr schön empfanden wir, wie zart und innig hier einmal die beiden Violinen darauf antworten (ab T. 255).
Die 1983 gewählte Perspektive auf das Sextett war ebenfalls hautnah, ein sehr präsenter Klang die Folge. Die einzelnen Stimmen klingen nun schon ziemlich präsent, jedoch wird die Breite des möglichen Klangbildes nicht voll genutzt. Die Celli hätten einen höheren Pegel durchaus vertragen können, sie stehen bis auf die Strophe 4 noch deutlich unter dem „Pantoffel“ der Violinen.
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4-5
Hollywood String Quartet
mit Alan Dinkin und Kurt Reher
Capitol, EMI, Testament
1950
29:07
MONO Dies ist eine ganz besondere Einspielung. Wie bereits eingangs erwähnt, war sie die zweite Sextett-Einspielung überhaupt und ist die erste, die heute noch erhalten ist. Die erste wurde vom Spencer Dyke Quartet 1924-25 eingespielt. Außerdem waren die Musiker, die sich zuerst als Studiomusiker in den Filmstudios Hollywoods zusammenfanden und ihr Quartett zunächst nur als Privatvergnügen empfanden, bei Schönbergs zu Gast, um dem Komponisten ihre Arbeit vorzustellen. So eine Art „Demo-Auftritt“ also. Da haben sie sich sicher keine Blöße gegeben und sich bestens vorbereitet. Dieser war vom Spiel der sechs Musiker angetan und wollte später selbst noch mit dem Quartett auftreten. Sein Kommentar wurde überliefert: „Es war gut, sehr gut…tatsächlich habe ich nichts zu sagen.“ Später sendete er den Musikern Fotos von dem heimischen Auftritt mit einer Widmung: „An das Hollywood String Quartett, das meine „Verklärte Nacht“ so entspannt und so schön gespielt hat.“ Sein Wunsch gemeinsam aufzutreten ging jedoch nicht mehr in Erfüllung.
Entspannt würden wir die Aufnahme in dieser Besetzung nicht unbedingt bezeichnen. Düsterer ist der Beginn kaum jemals gespielt worden und das Spannungsfeld, in das die Musik gesetzt wird, hat es in sich. Gespielt wird allerdings hoch sensibel und wenn es die Musik erfordert recht zupackend. Es mangelt keineswegs an unmittelbarer klanglicher Intensität. Überraschend gut für das Alter der Aufnahme wirkt die breite und zudem fein abgestufte Dynamik. Die Balance der Stimmen erscheint vollkommen, wenngleich der einschränkende Mono-Klang die Balance vielleicht noch ein wenig begünstigen könnte.
Klanglich gibt es an der Darbietung wenig auszusetzen. Man spielt mit etwas mehr Vibrato, als dies heutzutage üblich geworden ist, aber immer noch geschmackvoll. Die Intonation bei der 1. Violine, gespielt übrigens von Felix Slatkin sen., dem Vater des heute noch als Dirigent tätigen Sohnes gleichen Namens, erscheint nicht ganz so perfekt, wie z.B. bei Isabelle Faust oder Janine Jansen. Am „Klangzauber“ der 4. Strophe muss man vielleicht kleinere Abstriche machen, aber zur „Verklärung“ kommt man auch in dieser Aufnahme.
Der Klang wirkt überraschend angenehm, voll und transparent, Die Dynamik ist beträchtlich geweitet und stellt manch eine neuere Einspielung locker in den Schatten.
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4-5
Die Kammermusiker Zürich
Jecklin
1995
29:17
Dieses Sextett klingt am meisten nach einem ganzen Orchester. Das Spiel wirkt ausgewogen und versiert und sehr klangvoll und füllig. Ein richtig leises pp bleibt zwar außen vor, aber die große Linie und die Expressivität stimmt. Es fehlen auch die allerfeinsten Details, deshalb klingt es vielleicht aber auch besonders „süß und süffig“. Besonders zu loben wäre noch der weiche und runde Klang gerade der beiden Violinen.
Einfach zum Dahinschmelzen. Ganz nahe dran am Schönheitspreis.
Die Einspielung klingt hervorragend. Rund, füllig und mit einer optimalen Präsenz gesegnet. Die Transparenz ragt nicht hervor, geht aber völlig in Ordnung. Ein wirklich voller, warmer, praller und brillanter Gesamtklang. Da wusste jemand ganz genau, wie es geht.
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4-5
LaSalle Quartet
mit Donald McInnes und Jonathan Pegis
DG
1982
27:33
Der Einspielung des LaSalle Quartetts ist ein großer Ausdrucksreichtum eigen. Aufgewühlt und mit dramatischen Akzenten (pizzicato T. 46 mit Wucht) versehen beginnt der Ausdruck bereits beim sehr schön herausgespielten pp. Die 1. Violine musiziert besonders ausdrucksvoll, allerdings nicht immer mit der über jeden Zweifel erhabenen Intonationssicherheit der neueren Ensembles. Dem Ensemble selbst fehlt es ein wenig an der Geschmeidigkeit im Zusammenspiel. Bei der Betrachtung gerade der Klangqualität der Geigen sollte man die noch nicht ganz den Kinderschuhen entwachsene Digitaltechnik mit ihren Härten nicht außeracht lassen. Die kostet ebenfalls Substanz und Süße. So fällt es den Musikern in dieser Interpretation schwer, die menschliche Wärme musikalisch adäquat auszudrücken, ohne dass sie was dafürkönnen vor allem, wenn die Sordinen wieder entfernt werden. Trotz des zarten und generell nuanciert-emotionalen Spiels. Es wird außerordentlich klar und deutlich musiziert. Das Spiel am Griffbrett (ab T. 266) lässt in dieser Einspielung besonders aufhorchen, das klingt schon fast gruselig. Mit dem Text des Gedichts lässt sich dieser Effekt nicht unbedingt in Einklang bringen.
Die Aufnahme aus der Friedrich-Ebert-Halle zu Hamburg wirkt präsent und sehr transparent, allerdings wenig körperhaft und nicht zuletzt wegen der frühen Digitaltechnik kühler als es (wahrscheinlich) von den Musikern gemeint ist.
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4-5
David Atherton
Members of the London Sinfonietta
Decca
1973
29:07
David Atherton leitet bereits zehn Jahre vor Pierre Boulez die Darbietung eines Sextetts. Die Aufnahme entstand innerhalb eines größeren Aufnahmeprojekts, das die gesamte Kammermusik Schönbergs umfasste.
Das Musizieren der sechs Musiker wirkt lebendig und dynamisch, bei der expressiven Gestaltung legt man sich wenig Zurückhaltung auf. Das pp gelingt ausgezeichnet, die Übergänge zwischen den einzelnen Tempi wirken geschmeidig. Eine „warme“ Tongebung, wie sie Schönberg verschiedentlich expressis verbis wünscht, hat das Ensemble hingegen weniger im Sinn, denn gegenüber der „normalen“ Tongebung ergibt sich kein Unterschied. Leider wirken die Violinen (nur im ff) ein wenig schreiend. Zum Gefühlszustand der „Frau“ mag das sogar ganz gut passen, aber ob diese Lautäußerung tatsächlich von den Spielern gewünscht war, ist doch fraglich. Die Intonation erfolgt nicht immer ganz treffsicher und die einzelnen Stimmen weisen vielleicht auch nicht die allerhöchste Klangkultur auf, man muss bedenken, dass die „Verklärte Nacht“ sicher im Jahr 1973 nicht zum Standartrepertoire der Ensembles gehörte, das sich wahrscheinlich adhoc für das Stück zusammengefunden hat. Hervorzuheben sind das empathische Spiel und das nahtlose, ungemein aufmerksame Zusammenwirken der Musiker/innen. Die Transparenz wirkt exemplarisch und dient vortrefflich zum Verfolgen der einzelnen Stimmen. Sehr ansprechend das Ganze und durchaus stimmungsvoll.
Wenn es nur um den Klang ginge, lägen die London Sinfonietta und das Ensemble um Isabelle Faust ganz eng beisammen. Bei beiden Aufnahmen ist er außerordentlich transparent und fast schon analytisch sezierend. Die Ortbarkeit der Stimmen ist infolgedessen ebenfalls sehr gut, es gibt sehr wenig Mischklang. Der Gesamtklang wirkt trocken. Was nur für die Aufnahme der Sinfonietta gilt ist, dass der Klang auch ein wenig dünn und spröde wirkt.
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4-5
Schönberg Quartett
mit Jan Erik van Regteren Altena und Taco Koolstra
Chandos
2001
29:03
Das 1976 gegründete Quartett hat in seiner frühen Zeit (genauer von 1983 bis 1991) auch bei dem Geiger Eugene Lehner studiert, der in den 20er und 30er Jahren Mitglied des Kolisch Quartetts war, das seinerzeit viel mit Schönberg gearbeitet hatte. Von daher sollte eine gewisse Authentizität für diese Einspielung sprechen.
Das Spiel wirkt gut aber nicht überragend, gut durchdacht und durchaus präzise, aber die Diktion wirkt so überdeutlich, dass sie einem schon buchstabierend vorkommen mag. Das Zusammenspiel wirkt nicht immer ganz schlackenlos. Die Expressivität und die klangsinnliche Komponente bleiben zurückhaltend. Bestechend auch hier die Stimmentransparenz und die ausgewogene Gewichtung der Stimmen untereinander.
Der Klang wirkt direkt und präsent. Für eine Chandos-Aufnahme ist erstaunlich wenig Hall beigemischt. Das Sextett klingt klar und deutlich und wird sehr gut aufgefächert. Jede einzelne Stimme wirkt gleichberechtigt, was sich in der gleichen Präsenz zeigt und sie hat auch im Klangbild exakt den gleichen Platz inne wie jede andere.
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4
Fred Sherry String Sextett
Naxos
2012
27:21
Der dem Ensemble seinen Namen gebende Cellist gehörte bereits zum Tashi-Ensemble und unterrichtet u.a. an der Juilliard School. Zur Zeit der Aufnahme war er 64 Jahre alt. Überraschend mutet die Besetzung der 1. Violine an, denn keine geringere als Leila Josefowicz verleiht ihr mit ihrem Instrument die Stimme. Seltsam, dass man sich das Schmankerl der Namensnennung auf dem Frontcover entgehen ließ. Die Mitwirkung der Star-Geigerin ist ein Gewinn und ein Mangel zugleich, denn die besonders virtuose 1. Violine verschafft sich immer wieder dergestalt Gehör, dass man sich unwillkürlich zu sehr auf sie konzentriert. Die Herangehensweise des Ensembles wirkt sehr dramatisch, die Stimmung gelingt atmosphärisch. Das Sextett spielt sehr expressiv und durchaus ausgewogen, wenn man einmal vom gesteigerten Glanz und Espressivo von Frau Josefowicz´ Violine ein ums andere Mal absieht. Ist es tadelswert, dass sie so schön spielt wie es nun mal geht?
Der Klang der Aufnahme ist relativ unauffällig, wie meist bei diesem Label. Eine etwas hellhörigere Technik hätte die Dominanz der ersten Violine vielleicht ein wenig mäßigen können.
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4
Ramor Quartett
mit Zolt Deaky und Edith Lörincz
Vox, Tuxedo
1960
27:34
Bei der Besetzung des Quartetts handelt es sich um ausschließlich ungarische Musiker aus dem Umfeld der Philharmonia Hungarica. Der Bratscher am 2. Pult ist als Dirigent vielleicht sogar bekannter geworden. Die Spielweise wirkt durchaus expressiv jedoch ein wenig gezogen. Von einer Klangrede weit entfernt wird auch die Dynamik nicht ganz ausgereizt. Die Proportionierung der einzelnen Stimmen ist eigentlich ausgewogen, wenngleich die Tongebung der 1. Violine auch in dieser Aufnahme immer ein wenig zu sehr heraussticht. Die hohe Tonlage ist dafür natürlich prädestiniert, aber im Sinne des Ensemblespiels muss eine übermäßige Dominanz vermieden werden. In der Lautstärke spielt sich Herr Ramor nicht nach vorne, es liegt mehr an der besonders emphatischen Tongebung. Den vollen, runden und vor allem sinnlich wirkenden Klang der besten neuen Formationen erreichen die Ungarn nicht. Atmosphärisch darf man die Einspielung jedoch als gelungen bezeichnen, wenngleich als ziemlich düster.
Der Klang der Aufnahme weist eine ausgezeichnete Transparenz auf. Die Instrumente haben jedoch keinen Körper sondern klingen brettflach. Der Gesamtklang wirkt brillant und auch die beiden Celli werden gut eingefangen, das ist oft nicht so und wird dann zu einem Problem für die Balance. Die Violinen erkämpfen sich eine erhöhte Präsenz. Die Klänge der sechs mischen sich nur wenig, wie beim Ensemble um Isabelle Faust, beim Ensemble Intercontemporain und einigen anderen auch. Auch hier fehlt die schon oft erwähnte Fluktuation der einzelnen Instrumentenklänge und die Rundung des Ensembleklangs.
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4
Emerson String Quartet
mit Colin Carr und Paul Neubauer
Sony
2012
27:07
Am weichen und sonoren Klang des Ensembles gibt er erstmal nichts auszusetzen, das LaSalle oder Prazàk Quartett mit ihren jeweiligen Verstärkungen werden diesbezüglich deutlich übertroffen. Die vehemente Spielweise mit viel Espressivo lässt in dieser Einspielung relativ wenig Entspannung zu. Zu dieser Spielweise gesellt sich nun der füllige und „luxuriöse“ Klang des Ensembles hinzu. Da bleibt der kammermusikalisch fein ziselierte Eindruck ziemlich auf der Strecke, die Anmutung wirkt orchestral. Das in anderen Einspielungen lichte Gewebe der einzelnen Stimmen wirkt nicht immer deutlich genug, besonders die Bratschen und Celli, trotz der demokratisch-gleichberechtigten Proportionierung. Artikulatorisch geht man nun nicht pauschal vor aber doch ein wenig schwerfälliger als üblich. Andere wirken einfach genauer. Das Schwelgerische, das der Komposition durchaus innewohnt wirkt mitunter sogar zelebriert und plüschig. Dies Einspielung ist eher geeignet für die Klang-Kulinariker unter uns.
Der Klang ist noch transparent, vor allem aber sonor und füllig. Das Sextett wirkt dicht zusammengerückt. Der Gesamtklang sehr gefällig, aber wenig spritzig. Beim Namen „Schönberg“ soll sich nach Genuss dieser Einspielung niemand mehr erschrecken müssen.
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4
Ensemble Epomeo and Friends
Somm
2013, live
27:18
Hier liegt eine solide Einspielung vor die dynamisch etwas eintönig geraten ist, die nah an der Partitur bleibt und in der durchaus gefühlvoll gespielt wird. Der hochromantische und nahezu übersteigerter Aplomb des Fin-de-Siècle in der ersten Hälfte des Werkes und die zarte und sich immer mehr zur Entäußerung bis zur Verklärung steigernde Werkverlauf wird zwar gezeigt aber bleibt ziemlich bodenständig. Es fehlt dem Ausdruck der letzte Biss im ersten Teil und der rechte Elan und die fühlbare Entgrenzung im zweiten.
Der Klang des Sextetts wird werkdienlich aufgefächert, bleibt ohne besondere Finessen, aber auch ohne Fehler. Dass es ein wenig an der Dynamik fehlt erscheint mehr den Musikern geschuldet als der Klangtechnik.
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4
Armin Jordan
Kammer Ensemble de Paris
Gallo
1996
29:00
Die Schreibweise des Ensemblenamens wurde original übernommen. Er ist weder im Deutschen noch im Französischen richtig geschrieben, aber wenn es so sein soll: Bitteschön. Für Kammer hieße das entsprechende französische Wort „Chambre“. Das Orchester rekrutiert sich aus Mitgliedern des Pariser Opernorchesters, aus den Orchestern von Radio France, dem Ensemble Instrumental de Paris und dem Ensemble Intercontemporain. Auch hier hat man sich einen Dirigenten zur Unterstützung dazu geholt, vielleicht in erster Linie für das „Siegfried-Idyll“, das ebenfalls auf dem Tonträger Platz gefunden hat. Gerade wegen des Begleitstückes hätten wir eigentlich eine orchestrale Besetzung erwartet, fanden jedoch „nur“ ein Streichsextett vor.
Dieser Einspielung merkt man besonders an, dass man aus der Partitur (bzw. aus dem Stimmenmaterial) von 1899 bzw. 1917 spielt, in dem Schönberg noch nicht die Stimmengewichtung eigens für die Aufführung mit dem Streichorchester vorgenommen hat. Haupt- und Nebenstimmen, die oft schnell von einer Stimme zur anderen „springen“ kann gibt es in der 1899-Fassung in dieser Form also noch gar nicht. Die Musiker sind so viel stärker auf die eigne Erarbeitung verwiesen. Für einen Dirigenten, wenn er schon zu einer Aufnahme mit einem Sextett hinzugebeten wird, läge es jedoch nah, auch einmal einen Blick in die Ausgabe von 1943 zu werfen.
Dann hätte Herr Jordan die beiden Violinen sicher zur Mäßigung aufgefordert, denn die beiden sind oft allzu stark herauszuhören. Das große Drama bietet diese Einspielung in der ersten Hälfte nicht. Man behält immer die Bodenhaftung. „Sachlich“ wäre aber schon zu viel gesagt. Besonders schön und zart gelingt hingegen die 4. Strophe bei der der Ton mit einem wohl dosierten Vibrato zum Leben erweckt wird und die Instrumente dürfen im warmen Ton wundervoll singen. Da wird das Fin-de-Siècle wohlig. Wo sollte das eher zulässig sein als hier. Es wird nicht übertrieben, davor schützt eine gewisse Pariser Élégance mit der noch leichten Artikulation.
Bei der Aufnahme hat man die linke Seite favorisiert, rechts spielt sich viel weniger ab. Es wird so nicht der gesamte verfügbare Raum genutzt. Das hat zur Folge, dass die mögliche Transparenz ein wenig eingeschränkt wird, aber der geballte Gesamtklang gestärkt wird. Mitunter haben die Dirigenten wenig Sinn für aufnahmetechnische Belange. Klanglich wird die Aufnahme mit dem Ensemble um Herr Ramor übertroffen.
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4
Kenneth Slowik
The Smithonian Chamber Players
Dorian
2008
29:22
Kenneth Slowik erreicht mit „seinem“ Sextett zu Beginn eine atmosphärische Stimmung. In emotionaler Hinsicht bleibt er in der ersten Hälfte jedoch viel zu gebremst und ruhig. Die Spielzeit drückt das kaum adäquat aus. Es wirkt so, dass die existenzielle Not der Frau bereits aus einem Blickwinkel einer längst gesicherten Existenz heraus betrachtet wird, so als wüsste sie bereits vom liebvollen Einverständnis des Mannes, ja als säße man bereits seit 5 Jahren (oder noch länger) zu Hause gemeinsam gemütlich auf dem Sofa. Man beschreibt die Szenerie allenfalls, von Miterleben keine Spur. Die Einspielung wirkt viel länger, als sie ist. Allerdings war sie unsere Nr. 46, wenn sie die erste gewesen wäre, hätten wir sie vielleicht als weniger langweilig empfunden. Positiv wirkt der bestechend durchsichtige Ensembleklang, da hat das Dorian-Team ganze Arbeit geleistet. Auch die Klangkultur (der „schöne“ Klang) lässt kaum was zu wünschen übrig.
Das „Highlight“ der Einspielung ist denn auch die 4. Strophe, die einfach bestechend schön klingt. Da klingt es jetzt bereits so wohlig weich, als ob man es sich in der frisch gestärkten Beziehung bereits richtig gemütlich gemacht hätte. Mit der ekstatischen Entäußerung tut man sich auch wegen der überaus gedeckten Klänge auch ziemlich schwer. Hinzu kommen das mäßige Tempo und das gemütliche Temperament. An dieser Einspielung gibt es wenig Brisantes, Aufrüttelndes oder gar Beängstigendes.
Das Hauptaugenmerk dieser Einspielung liegt kaum auf einer emotional hochfliegenden Romantik, sondern gar zu einfach auf der Realisierung eines ausgewogen-schönen Klangs. Im Vergleich wirkt diese Einspielung zwar schwelgerisch-warm aber einfach zu betulich.
Der Klang ist das eigentliche Pfund der Einspielung, er ist sehr klar und gut aufgefächert. Der Gesamtklang wird demokratisch auf die Instrumente aufgeteilt. Den Violinen wird kein Übergewicht zugebilligt. Bei gleicher Präsenz aller Stimmen wirkt der Klang besonders ausgewogen, aber dynamisch zurückhaltend, um nicht zu schreiben schlaff. Gerade der Celloklang überzeugt besonders, währen die Violinen etwas matt klingen.
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4
Tschechisches Philharmonisches Sextett
Ultraphon, Arco Diva
1999
27:10
Diese Formation besteht ausschließlich aus Mitgliedern der Tschechischen Philharmonie Prag. Es ist, wenn wir das richtig sehen, das einzige „stehende“ Sextett unseres Vergleiches. Das Ensemble pflegt einen orchestralen, fülligen Klang. Kammermusikalische Feinheiten stehen nicht ganz oben auf der Zutatenliste. Das Zusammenspiel ist sauber, man merkt im an, dass die Musiker schon lange zusammenspielen und dass die Literatur für Streichsextette nur wenige Werke für das Ensemble bereithält. Die „Verklärte Nacht“ steht daher ziemlich oft auf dem Spielplan des Ensembles. Man kennt das Stück in- und auswendig. Man spielt weite Bögen und zarte pp sind ebenso kein Problem wie kräftige ff. An sinnstiftenden Feinheiten, die letzten Endes auf ein tieferes Verständnis schließen lassen, herrscht hingegen ein gewisser Mangel, wenn man andere Ensembles wie z.B. Faust+, Artemis+ oder Juilliard+ noch im Ohr hat. Auch spieltechnisch und im Vortragsstil fehlt die letzte Entschlossenheit, die Komfortzone restlos zu verlassen. Wenn man ein Stück sehr oft spielt stellt sich mitunter auch eine gewisse Routine mit „Abschleiftendenzen“ ein. So kocht das „Liebesduett“ in der 4. Strophe nur auf mittlerer Stufe. Nicht jede(r) mag es „heiß“.
Mustergültig nimmt das Sextett die gesamte häusliche Klangbühne ein. Der Klang ist üppig, ja süffig ausgefallen und zudem ausgewogen und besonders brillant. Satter klingt die „Verklärte Nacht“ kaum sonst einmal in der Sextett-Fassung. Die Staffelung in die Breite ist sehr anschaulich gelungen. Eine Aufnahme für Klanggourmets.
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3-4
Neues Wiener Streichquartett
mit Siegfried Führlinger und Fritz Hiller
DG, Philips
1967
32:30
Dem Namen nach wurde dieses Quartett 1922 speziell zur Aufführung der Werke Schönbergs und der Neuen Wiener Schule gegründet doch schon bald wurde es in „Kolisch Quartett“ umbenannt. Das hier aufgenommene Quartett wurde unter dem alten Namen 1964 neu gegründet. Die Aufnahme entstand im Plenarsaal in München.
Man frönt noch ziemlich ungeniert dem üppigen Vibrato (z.B. Bratschen und Celli zu Beginn, die schon beinahe bei einem Tremolo damit rauskommen). Bei der Differenzierung von Dynamik und Klangfarbe steht man den neueren Einspielungen noch weit zurück. Das sf bei T. 43 klingt schlaff, das pizz. bei T. 46 ebenfalls. Der Ton der Violinen (wie oft besonders herauszuhören: der Primarius) ist süffig und breit und leider oft viel zu laut (z.B. bei T. 64 klingt das p wie ein f). Bei dieser Einspielung wäre ein Dirigent tatsächlich hilfreich gewesen. Vom Tempo und Gestus her setzt man den Maßstab innerhalb der Sextett-Aufnahmegeschichte was die Gemütlichkeit betrifft. Dies war eine durch und durch ruhige Nacht, klangschön aber wenig aufregend. Auch die Schmetterlinge im Bauch des jungen Paares in der zweiten Hälfte flattern in dieser Einspielung allzu wohltemperiert und artig umher. Grenzsituationen durchlebt man hier wirklich nicht. Dass Schönberg sich das anders vorgestellt hat, erkennt man schon an seiner Bemerkung, dass das Hollywood String Quartet sein Werk so „entspannt“ gespielt hätte. Bei den Wienern wäre er dann vermutlich eingeschlafen.
Auch die früheste DG-Aufnahme unseres Vergleiches klingt raumfüllend, jedoch von allen Aufnahmen am wenigsten deutlich. Besonders wenn das Ensemble laut spielt verliert man als Hörer schnell den Überblick. Das Ensemble hört sich ziemlich weich und geschmeidig an, wie gesagt orchestral in seinem Spiel, homogen und wenig transparent. Der Gleichklang wird so weit getrieben, dass die Individualität der Stimmen bereits gefährdet wird.
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Fassung von 1917 für Streichorchester revidiert 1943, ausgeführt von den Streichern eines Kammerorchesters oder einem „festen“ kleinen Streichorchester:
5
Geir Inge Lotsberg
Trondheim Soloists
Pentatone
2018
28:17
Dieses Orchester ist relativ klein besetzt, sodass gerade so der einzelne Strich der einzelnen Musiker im Ensemble verschwindet. Ein sehr schlanker Klang, der die Originalbesetzung noch erahnen lässt, aber trotzdem schon wärmer klingt und mehr Fülle mit einbringt ist die Folge.
Das Ensemble bietet eine außerordentlich gefühlvolle Darbietung auf allerhöchstem Spielniveau. Es wird in weiten Bögen gedacht, aber man vernachlässigt nie das Detail. Es wird eine besonders nuancenreiche aber auch dramatisch und drastisch zugespitzte, emotional betonte Spielweise gepflegt. Die dynamische Bandbreite ist enorm geweitet wobei die leisen Passagen wunderbar abschattiert werden, während die lauten vor Intensität schier besten wollen. Da sitzt jedes Tönchen genau so, wie es sein soll, von zart über grazil bis äußerst kraftvoll wird die ganze emotionale Palette ausgereizt. Das wirkt sehr bewegt, wobei der schlanke Klang und die klangliche Klarheit vor Übertreibungen schützt. Die ganz hervorragend gespielten Soli, die es in der Sextett-Version noch gar nicht gibt (da war quasi alles Solo), sind dann noch das i-Tüpfelchen. Diese Einspielung ist besonders vielgestaltig und reich an feinen Klangfarben, ohne je schwülstig zu werden. Die Klangliche Magerstufe lässt so ein Schwelgen ohne Reue zu. Eine tolle Einspielung. Bravi! Ein echter Favorit unter den vielen hervorragenden Einspielungen mit Kammerorchestern.
Die Klangtechnik erreicht eine hervorragende Transparenz, die die solistische Besetzung sogar noch übertrifft, wenn man einmal von den superpräsenten Einspielungen mit analytischem Grundcharakter einmal absieht (z.B. Faust mit Ensemble). Schlank, plastisch, ungemein körperhaft bietet diese Aufnahme die perfekte Balance von Präsenz und Räumlichkeit. Bereits als CD. Wenn man die Chance hat SACDs abzuspielen, kann man sich vom Orchester umhüllen lassen und so noch besser schwelgen. Die Raumillusion zuhause wird so noch erheblich realistischer. Mittendrin statt nur dabei ist dabei kein Werbespruch. Leider zieht sich auch Pentatone neuerdings von der Produktion von SACDs zurück.
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5
Thomas Zehetmair
Stuttgarter Kammerorchester
SKO Records (Eigenlabel des Orchesters)
2021
26:29
Thomas Zehetmair ist unter anderem seit 2019 Chefdirigent des SKO und dies war die erste Produktion des Orchesters unter eigener Flagge. Weitere sind unterdessen erfolgt. Von Thomas Zehetmair gibt es bereits eine Einspielung mit der Camerata Bern von 1995, die bei ECM veröffentlicht wurde. Auf diese wollen wir weiter unten ebenfalls kurz eingehen.
Man stürzt sich mit großer Spannung in die Nacht hinein. Unaffektiert, unsentimental, straff und mit geschärften Akzenten, das pizz. bei T. 46 knallt geradezu heraus. Die große Vertrautheit mit dem Stück ist dem Orchester jederzeit anzumerken, es steht oft auf seinem Spielplan, auch mit anderen Dirigenten. Es existiert übrigens bereits eine weitere gelungene Aufnahme des SKO mit Martin Sieghart aus den späten 80er Jahren auf die wir ebenfalls noch eingehen wollen.
Das Zusammenspiel wirkt kammermusikalisch orientiert und traumhaft sicher. Die Äquilibristik der einzelnen Stimmen ist sehr gut. Da werden Effekte aus der Partitur herausgeschlagen, die einem vorher gar nicht so deutlich aufgefallen sind, weil sie harmlos blieben. So wirken die Takte 188 und 201 nun fast so hart wie Schläge in die Magengrube. Das „Waldweben“ des „Klangzaubers“ ab T. 249 ist, anders als in Bern 1995, mustergültig leise und liegt unter der Solo-Violine wie ganz fein gewebt. Zarter kann man das nicht spielen. In die Accelerandi stürzt man sich förmlich hinein und spitzt sie ordentlich zu. Schönberg wird hier nicht so sehr aus der Sicht von 1899, sondern mit der Klarheit von 1943, wenn nicht von heute gespielt und gehört. Das dekorative Fin-de-Siècle liegt weit zurück.
Das Orchester klingt nun noch differenzierter und präsenter als mit Martin Sieghart, aber nicht mehr so füllig und prall. Mittlerweile steht die „schlanke Linie“ im Vordergrund. Die Dynamik wirkt extrem geweitet, besonders in die leisen Bereiche hinein. Plastisch, weich, supertransparent und höchst differenziert klingt es nun. Wahrscheinlich war das Orchester auch kleiner besetzt als bei Sieghart, es klingt jedenfalls so.
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5
Heinz Holliger
Chamber Orchestra of Europe
Teldec
1992
31:33
Auch mit Heinz Holliger liegen mittlerweile zwei Einspielungen des Werkes vor, wobei wir die ältere der neueren mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne vorziehen, obwohl diese beileibe nicht schlecht ist. Von der Einspielung aus Lausanne später noch etwas mehr.
Das Besondere an der Einspielung mit dem COE ist das Offenlegen der Strukturen bei gleichzeitig gefühlsbetontem, hochpräzisem und klangschönem Spiel. Dafür braucht man etwas mehr Zeit als üblich. Die Tempi werden zudem ein wenig in die Extreme geführt, so beginnt man schon mit einem getragenen Grave lässt die Beschleunigungen jedoch mitreißend nach vorne „sprinten“. Das Orchester spielt ganz hervorragend und wird seinem legendären Ruf gerecht, seinerzeit das beste Kammerorchester gewesen zu sein. Fein, ultrapräzise, seidig und mit großer Flexibilität ist man für jede Differenzierung offen. Ein Mangel an Fülle aufgrund der kleineren Besetzung fällt nicht auf. Dass bei T. 137-140 das ff der Violinen nicht genauso laut wie das der Celli klingt, passiert auch Heinz Holliger und dem COE mal. Vor den Höhepunkten wird vortrefflich gesteigert und die Höhepunkte selbst werden expressiv und durchdringend gestaltet. Von aufgemotzter Pathetik hält man sich jedoch fern. Selten glückt das zärtliche Miteinander im Frage- und Antwortspiel von Violine (Frau) und Cello (Mann) so anschaulich, aber dabei bleibt ein pp ein pp. Bei vielen laufen die Lautstärken und damit Gefühle zu früh sozusagen aus dem Ruder. Man verschenkt so die Macht der Höhepunkte. Bei Holliger passiert das nicht. Der „Klangzauber“ bleibt dezent und innig, gesteigert wir bis zur Ekstase. Dabei gibt es kein Fin-de-Siècle-Schwelgen.
Das Einzige was vielleicht gegenüber den beiden vorherigen Einspielungen abfällt ist der leichte Spannungsabfall in Strophe 5. Vom Anfang bis zum Ende spielt das Orchester fabelhaft präzise.
Der Klang der Aufnahme unterstützt die Güte der musikalischen Darstellung. Das Orchester klingt weich, rund, präsent und plastisch. Die Transparenz wird ziemlich weit getrieben, wirkt aber nicht überanalytisch. Auch die Bässe im Klangbild werden nicht vergessen. Die einzelnen Stimmlagen werden sehr gut ausbalanciert, die Solisten nicht übermäßig exponiert. Die Äquilibristik von Solo-Violine und Solo-Cello ist auffallend.
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5
Neville Marriner
Academy of St.-Martin-in-the-Fields
Decca
1973
29:16
Diese Einspielung entstand etwa 9 Jahre nach der Aufnahme-Premiere der Academy bei ihrem ersten Label Argo. Sie hatte 1973 bereits höchstes spieltechnisches und klangliches Niveau erreicht. Iona Brown, von der später noch eine selbst verantwortete Einspielung aus Norwegen folgt, wirkte damals noch als Konzertmeisterin mit.
Die Academy wirkt so, als wäre sie mittelgroß besetzt, also durchaus etwas größer als die 15 Streicher/innen bei einem kleinen Kammerorchester. Das Spiel wirkt sauber und klar, ausdrucksvoll und dynamisch, die pp und die ff werden sehr gut hervorgehoben. Klangfarblich gelingt es dem Orchester oder der Technik dem Klang etwas morbid-brüchiges mitzugeben. Der weniger glatte und vollmundig gerundete als vielmehr sehnige und offene Streicherklang war zu jener Zeit ein Kennzeichen von guten Decca-Aufnahmen, nicht nur der Academy. Vielleicht wirkt er in Kombination mit der Komposition schon alleine deshalb morbide, es ist uns nämlich ein Rätsel, wie man einen Streicherklang bewusst in diese Richtung tunen könnte. Jedenfalls passt es. Auch diese (mobide) Seite gehört zum Fin-de-Siècle dazu. Die zweite Strophe wirkt angstvoll, aber auch ungemein vorantreibend. Die Gefühle schlagen hohe Wellen und aus einem Gehen wird schon ein Wegrennen, natürlich nicht in der äußeren Welt, sondern im übertragenen Sinn, im Inneren der Frau, in der sich die Gefühle wohl überschlagen müssen. Sehr gut gelingt in diesem Zusammenhang die Herausarbeitung der Höhepunkte. Der Academy war zu dieser Zeit noch in hohem Maß ein spontan wirkendes Spiel eigen, es ist auch dieses Mal zu finden und wird gepaart mit einer ausgezeichneten Klangbalance und hoher Präzision.
In der 4. Strophe (bei Schönberg ab T. 229) wird der Klang spürbar wärmer, auch die Grundierung des Basses fällt nun viel mehr auf und ins Gewicht. Auch das Vibrato nimmt etwas zu und wenn dann noch die Sordine dazukommt, dann kommt die ganze Academy ins fliegen. Der Klang wirkt vibrierender und lebendiger als es bei den neueren Einspielungen der Fall ist. Das Duett der Violine mit dem Cello (in der Orchesterfassung sind da jeweils die Solisten gefordert) klingt sehr schön, es fällt aber doch auf, dass die Violine dynamisch deutlich die Oberhand über das Cello erhält. Eigentlich sollte sich das Paar hier auf Augenhöhe befinden. Die ganze Strophe wirkt sehr gefühlvoll. Neville Marriner einmal mit ordentlich Rubato, die „Verklärte Nacht“ macht es möglich. Insgesamt findet man hier eine sehr schöne Balance zwischen Dramatik und traumhaft schönem Spiel. Das Gute ist, es wurde auch ebenso gut aufgenommen.
Der Klang der Aufnahme ist nämlich exzellent: weich, schlank, hoch transparent, körperhaft und sinnlich. Man hat eine ausgezeichnete Balance zwischen Präsenz und weiter Räumlichkeit gefunden. Einziger kleiner Wermutstropfen könnte für den empfindlichen Audiophilen sein, dass die Violinen im ff etwas spitz werden. Summa summarum finden wir hier einen sehr guten, spritzigen Analogklang vor, mehr sehnig gespannt als füllig oder gar opulent. Man empfindet ihn auch heute noch als etwas Besonderes und wie gesagt als exzellent. Rauscht aber ein wenig.
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5
Yoav Talmi
Israel Chamber Orchestra
Teldec
1986
29:08
Das israelische Kammerorchester wurde 1965 von Gary Bertini gegründet. 1986 war Yoav Talmi Chef des Orchesters, aufgenommen wurde übrigens in einer Kirche im niederländischen Haarlem.
Der Klang des Orchesters würde man als durchaus hell timbriert und schlank bezeichnen. Den pp und p-Passagen wird man vollauf gerecht. Auch in allen anderen Bereichen nimmt man die Partitur sehr ernst. Die von Schönberg in so genannten primäre und sekundäre Stimmen aufgeteilte Partitur (daneben gibt es auch noch Stimmen ohne Hervorhebung) werden im plastischen Stimmengewebe sehr gut deutlich gemacht und nach ihrer Bedeutung gewichtet. Das hat eine besonders gute Durchzeichnung der Mittelstimmen (Violen und Celli) aber auch des Basses zur Folge. Also genau die Stimmen, die sonst oft „unter die Räder“ kommen. Es wird darüber hinaus besonders detailreich gespielt. Zum samt-sonoren Klang des Stuttgarter Kammerorchesters oder des English Chamber Orchestras bildet das ICO einen deutlichen Kontrast. Dünn oder gar drahtig klingt es hier jedoch keineswegs. Die 2. Strophe wirkt sehr aufgewühlt, die Violinen, am Rande des Abgrunds (der Verzweiflung) stehend, geben alles. Das klingt sehr ausdrucksstark, vielleicht nicht ganz so offenherzig und ein wenig gemäßigter als bei Turnovski gleich im Anschluss. Der geht da noch ein bisschen weiter.
Die 3. Strophe wirkt nun im Kontrast dazu völlig nach innen gewendet. Bei Strophe 4 wirkt der „Klangzauber“ sehr bewegt, der Dialog zwischen Solo-Violine (Frau) und Solo-Cello (Mann) wird sehr schön herausgestellt. Trotz des eigentlich eher hellen Klangbildes wird viel Wärme verbreitet und das „Waldweben“ wird ebenfalls exzellent hörbar gemacht.
Insgesamt erschien uns die Einspielung als guter Mittelweg zwischen Sextett- und großer Orchesterbesetzung. Sie verbindet viel der besten Eigenschaften aus beiden Welten. Man fragt sich, warum damals nicht noch weitere Einspielungen mit dem Orchester entstanden sind. Anscheinend war kein Platz mehr zwischen den beiden etablierten Kammerorchestern (Academy und English Chamber) und dem ebenfalls gerade mächtig auf sich aufmerksam machende Chamber Orchestra of Europe.
Der Klang der Aufnahme ist ebenfalls sehr gut gelungen. Das Orchester klingt präsent und räumlich, sehr transparent und man bemerkt auch eine Staffelung in die Tiefe. Die Dynamik ist gut. Es fehlt etwas an Geschmeidigkeit und auch das Sonore im Klang könnte man ein wenig vermissen. Das könnte aber auch am offenen Klang des Orchesters an sich liegen.
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5
Yuli Turowski
I Musici de Montréal
Chandos
1991
29:39
In diesem Fall ist der Dirigent zugleich auch der Gründer des Ensembles, das war 1983.
Einmal muss man dem Dirigenten und dem Ensemble gleich zu Beginn Pardon gewähren, denn gleich zu Beginn schon verwechselt man Espressivo mit Lautstärke, d.h. man spielt viel zu laut. So könnte man die Stimmung bei einem Nachtstück schon einmal gründlich „vergeigen“. Bei T. 11 und 12 platzen die Soli dann regelrecht aus dem Gesamtklang heraus und so langsam spürt man schon, wo es bei Herrn Turovski hingeht. Da wird beherzt zugepackt, die Steigerungen wirken aufwühlend. Da tobt im Inneren höchste Aufregung, die äußere Ruhe trügt. Das Spiel wirkt dynamisch stark geweitet, das Laute zu Beginn wird im Verlauf (an den richtigen Stellen) noch viel lauter, das ff klingt außerordentlich beherzt. Eine kühle Nacht, innerlich hoch erhitzt. So geht die Frau neben dem Mann her. Der Gestus wirkt sehr unruhig und expressiv geschärft, das Spiel belebt und affektgeladen. Die Artikulation gesäumt von drastischen Akzenten.
In der 2. Strophe singt das Orchester sozusagen aus vollem Herzen, das muss wohl ein sehr überzeugendes Geständnis sein. Das Spiel des kanadischen Kammerorchesters steht in etwa zwischen der Fülle des Berliner KO unter Pommer und der Artikulationsschärfe Zehetmairs mit den Stuttgartern.
Der pure Ausdruckswille lässt bisweilen den Klang etwas gröber werden, das Orchester gibt jedenfalls alles. Hochromantische Verausgabung sozusagen. Sehr plastisch durchlebt man als Zuhörer eine Entwicklung zwischen am Boden zerstört und himmelhoch-jauchzend. Immer am Limit und fast schon enthemmt leidenschaftlich. Das fordert unsere Bewunderung. Homogener und noch präziser klingt es hingegen bei Zehetmair (Stuttgart) oder Holliger (COE).
Erfreulicherweise hören wir dieses Mal keine in den 80er Jahren noch chandostypische Halligkeit. Es klingt räumlich, transparent, dynamisch und präsent. Der Streicherklang ist brillant und wirkt sinnlich.
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4-5
Candida Thompson
Sinfonietta Amsterdam
Channel Classics
2010
29:23
Frau Thompson ist seit 2003 die Leiterin des 1988 gegründeten Ensembles, Normalerweise verfügt es über 20 Streicher. Candida Thomson leitet stets von ihrer Konzertmeister-Position aus.
Die Besetzungsstärke des Ensembles erweist sich als günstig, der Klang wirkt sehr fein, zart und samtig. Das Orchester spielt auf höchstem Niveau, auch die dynamische Abstufung wirkt für sich gehört eigentlich überzeugend. Wenn man den Verglich macht merkt man jedoch schnell, dass die zuvor gelisteten Einspielungen ungleich temperamentvoller wirken und die Dynamik viel mehr ausreizen. Die Akzente sind schon da, aber doch in weicher, abgemilderter Form. Dadurch wird die immense Entwicklung, die die Frau seelisch in dieser halben Stunde des Spaziergangs durchmacht nicht ganz so plastisch und drastisch nachvollziehbar. Hier verströmt der Klang zudem von Beginn an eine große Wärme. Anscheinend lebt die junge Frau doch in einem gewissen Urvertrauen und fühlt sich bei aller Verzweiflung noch gut aufgehoben. Vielleicht spürt sie es in diesem Moment nur gerade nicht. Die angsterfüllte Atmosphäre sollte eigentlich kühl wirken und würde eine solche Wärme gar nicht erlauben. Sanft und träumerisch verhalten wirkt also tendenziell bereits die erste Hälfte in dieser Einspielung. Im weiteren Verlauf muss man Klang und Spiel des Ensembles dann schon als kongenial bezeichnen. Hier passt alles ganz wunderbar zusammen. Die Einspielung wirkt also emotional nicht so hemmungslos wie die mit Turowski und nicht so klar wie die mit Yoav Talmi. Die warm klingende Aufnahme erwärmt dafür die Herzen der Zuhörer/innen ganz besonders. Eine besondere Empfehlung bietet sich somit speziell für die Wintermonate an (das war nicht ganz ernst gemeint). Sanft-expressiv und in keiner Weise aufgedonnert wirkt sie auch nicht plüschig.
Das Klangbild wirkt recht weit gespannt (besonders wenn man die Aufnahme als SACD hören kann) aber dennoch recht präsent. Die Transparenz ist ausgezeichnet. Besonders hervorzuheben ist der warme Grundton und die unaufdringliche Brillanz. Der Klang wirkt angenehm und natürlich. Für die ersten drei Strophen des Gedichts bzw. die erste Hälfte der Komposition wirkt der Klang fast zu schön um wahr zu sein.
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4-5
Thomas Zehetmair
Camerata Bern
ECM
1995
26:30
Noch ein wenig schlanker als die Stuttgarter spielt die wahrscheinlich noch etwas kleiner besetze Camerata Bern 26 Jahre zuvor. Man kann nun schon von Klanglinien sprechen, die die einzelnen Instrumentengruppen ziehen. Das Orchester spielt homogen und klangschön, sein Glanz wirkt jedoch reduziert, was nicht zuletzt aus der vibratoarmen Spielweise herrührt. Ein Romantisieren liegt den Interpreten fern, ein schwelgen im Klang wird strikt vermieden. Bei den neueren Einspielungen werden die Anweisungen zur Dynamik, gerade im leisen Bereich, meist sorgfältiger beachtet als bei den älteren. Diese Produktion gehört diesbezüglich zu den neueren und macht da keine Ausnahme. Es wird Kammermusik auf hohem Niveau praktiziert, wie später auch in Stuttgart. Die Tempi sind schon 1995 sehr bewegt, die Expessivität und Dramatik stark angefacht. Zehetmair und die Berner sind zuverlässige Begleiter durch das gesamte Stück und dringen immer ohne Umschweife zum Kern des Sujets vor. Klanglich steht die Einspielung fast näher an der Sextett- als an der großen Orchesterfassung.
Am Konzept des Dirigenten hat sich in den 26 Jahren nicht viel geändert, wohl aber am Klang. Die einzelnen Stimmen sind 1995 nicht ganz so gut untereinander abgegrenzt und nicht so vollkommen abgerundet und samtig getönt wie 2021 in Stuttgart. Im direkten Vergleich wirkt der Klang ein wenig aufgeraut. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dies eine exzellente Aufnahme ist.
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4-5
Jean-Guihen Queyras
Ensemble Resonanz
Harmonia Mundi
2013
29:17
Nach dem LaSalle Quartett wurde auch das in Hamburg ansässige Ensemble Resonanz in der Friedrich-Ebert-Halle zu Hamburg aufgenommen und zwar während der dreijährigen Residenz des kanadischen Cellisten Jean-Guihen Queyras, der seinerseits auch bei der Aufnahme mit Isabelle Faust im Jahr 2018 ebenfalls für Harmonia Mundi mitwirkte. Das vibratoarme Spiel des kleinen Orchesters erinnert auch in der sonstigen Spielweise an das von historisch orientierten Barockorchesters. Dieses Repertoire bedient das Ensemble ebenfalls. Trotzdem ergibt sich ein recht voller Klang, nur die Violinen klingen ein wenig flacher als üblich, aber noch nicht dünn. Das Spiel wirkt ansonsten höchst präzise und feinnervig. Der Verzicht auf alles was süßlich wirken könnte hat allerdings den Preis eines wenig warmen Klangs. Das passt zu den ersten drei Strophen des Gedichts besser als zu den beiden letzten. Hinzu kommt noch eine relativ große Distanz der Hörer/innen zum Orchester, die weniger teilnehmen lässt am Drama und an der spätromantischen Aufwallung und schließlich an der „Verklärung“. Die leisen Passagen gewinnen jedoch gerade in der klanglichen Abstimmung des Ensembles noch an Stimmung, besonders wenn man den silbrig hellen, weniger sonoren Klang mag. Dann dürfte man vom während der Strophen 4 und 5 teils subtil und teils verschwenderisch verstreuten Sternenstaub und vom Mondlicht kaum genug bekommen. Unsentimental aber dennoch ungemein nuanciert und zart besaitet. Eine ganz besondere Mischung.
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4-5
Max Pommer
Kammerorchester Berlin
Eterna
1976
29:25
Vom klanglichen Ergebnis her gehört diese Einspielung eher zu den groß besetzten Orchestern. Beim Namen „Kammerorchester“ hat man entweder einfach untertrieben oder man hat sich noch Aushilfen besorgt. Es scheint fast so, als wolle man drüben die Aufnahme der Berliner Philharmoniker mit Karajan von 1973 nachspielen. Das klingt sehr voluminös und die Transparenz wirkt reduziert. Das Spiel wirkt geradezu sinfonisch, der Klang voll, satt und weich gerundet. Die Stimmung wirkt düster, gerade zu Beginn „unheilschwanger“. Andererseits spielt man bewegt und temperamentvoll. Mit großem Schmelz, viel Leidenschaft und dem typischen warmen Eterna-Sound vertreibt man hier die kalte Mondnacht. Der sinnliche „Klangzauber“ (con Sordino ab T. 249) arbeitet sozusagen mit einem kuscheligen Kaminfeuer. Im Verlauf wird der Kontrast p zu f nivelliert und man spielt generell lauter als man sollte, auch dies ein Folge der Leidenschaft. Wer hätte das aus Ost-Berlin erwartet? Man frönt geradezu der Morbidität und des Überflusses des Fin-de-Siècle.
Der Klang der Aufnahme wirkt weiträumig, präsent, voll, sehr körperhaft und großorchestral. Die Dynamik ist weit gespannt. Nur im dichtesten Satz (wenn alle sechs Stimmen was anderes spielen) wirkt die Transparenz vor lauter Fülle reduziert. Hinzu kommen noch kräftige Bässe.
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4-5
Misha Rachlevsky
Chamber Orchestra Kremlin (heute bisweilen auch Russian String Orchestra genannt)
Claves
1993
29:33
Das Orchester wurde erst 1991 von Misha Rachlewsky gegründet, verfügte jedoch bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme über einen homogenen Klang, bei dem gerade die oft vernachlässigten Mittelstimmen sehr gut zur Geltung kommen. Auch der Bass, der in vielen Aufnahmen ein Schattendasein fristet, wirkt hier recht prominent. Seinen Part hatte Schönberg ja eigens für die Streichorchesterfassung hinzu komponiert (darüber hinaus teilt er häufiger mal einzelne Stimmen auf, um die Harmonik zu bereichern und einen volleren Sound zu erzielen). Das Spiel des Ensembles wirkt geschmeidig und teilweise sogar filigran, sein Klang rund und recht üppig, die einzelnen Stimmen fließen mehr ineinander als bei der Academy. Im Gegenzug wirkt das Zusammenspiel weniger kammermusikalisch geprägt. Das pp, das vielen Orchesters so schwerfällt, kommt auch in Moskau bisweilen ein wenig zu kurz (und fühlt sich zu „höherem“ berufen), aber zumeist folgt man der von Schönberg gewünschten Dynamik. Der Gestus wirkt energiegeladen, wenngleich man an die Intensität der Kanadier mit Yuli Turowski (noch) nicht herankommt. Der warme, transparente Klang des Ensembles fördert sehr gut die Stimmung bei den gefühlvoll zu spielenden Passagen. Sehr schön blüht der Klang in der 4. Strophe auf (ab T. 229) und weiß zu bezaubern. Die Steigerungen sind gut geplant, nur das pp reißt am Schluss etwas zu abrupt ab. Da haben andere Ensembles beim Decrescendo regelrecht „gezaubert“, um es bis zum Unhörbaren sozusagen ins All zu entlassen. So wollte man wahrscheinlich einen größtmöglichen Bezug zur Natur herstellen. Das fiel uns erst auf, da es dieses Ensemble einmal nicht so macht.
Der Klang der Aufnahme ist transparent, präsent und sehr gut in die Breite gestaffelt. Wenn man ihn mit dem 1973er Decca-Klang der Academy vergleicht, könnte er körperhafter sein. Die Staffelung in die Tiefe gelingt auch recht gut.
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4-5
Orpheus Chamber Orchestra
DG
1989
28:32
Wie immer spielt das New Yorker Orchester ohne Dirigent, die Besetzung wirkt ziemlich klein und dürfte ähnlich kompakt sein wie bei den Norwegern aus Trondheim (geschätzt ca. 15 Streicher), steht also noch ziemlich nah bei der ursprünglichen Sextett-Besetzung. Das Spiel des homogenen Ensembles zu Beginn wirkt zart und wenig dunkel, wirft bei Bedarf aber auch genug Gewicht in die Waagschale. Die „helle Nacht“ („kein Wölkchen trübt das Himmelslicht“) erreicht man auch durch das völlig vibratolose Spiel und gibt ihr so auch die erwartete kühle Temperatur mit. Das Spiel wirkt kammermusikalisch durchdrungen und emotional. Die Kontraste wirken stark, wenngleich man in die Grenzbereiche nicht vordringen möchte (wie z.B. die Trondheim Soloists). Der Nuancenreichtum des Spiels lässt die implizierten menschlichen Regungen hochsensibel wirken. An Leidenschaft mangelt es ebenso wenig. Die Aura wirkt hochromantisch, noch nicht expressionistisch.
Mitunter hätte ein Dirigent vielleicht für eine noch schlüssigere Balance gesorgt. Beim „Klangzauber“ (ab T. 249) dominiert die Solo-Violine so stark, dass man vom „Waldweben“ der tieferen Stimmen fast nichts mehr mitbekommt, auch weil sie so leise spielen. Der „Zauber“ kann sich so nicht recht entfalten. Das wichtige „Liebesduett“ ab T. 270 ist dann aber wieder komplett zu hören, da wurde wieder wunderbar „gewebt“.
Der Klang wirkt schlank und entsprechend wenig sonor oder gar üppig, dynamisch und klar. Die Staffelung der einzelnen Stimmen ist gut. Der Bass wirkt leicht, kommt aber meist deutlich heraus, büßt aber seine mögliche Rolle als Fundament ein. Auch die Celli sind deutlich zu hören.
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4-5
Vladimir Ashkenazy
English Chamber Orchestra
Decca
P 1984
28:45
Ashkenazy lässt das ECO in etwa in der Besetzungsstärke der Academy, der Konkurrenz im eigenen Haus, spielen, evtl. auch mit ein paar Streichern mehr. Die Stimmung zu Beginn wirkt nun unruhig, gar nervös und doch gespannt. Beim ff fordert der Dirigent viel vom Orchester, während er beim pp weniger fordernd wirkt. Die Kontrastwirkungen reichen im Verlauf vollauf um das dramatisch aufgewühlte Innenleben der Frau zu charakterisieren. Das Orchester spielt mit einem breiteren Strich als die Academy und auch in Hinsicht auf spieltechnische (und aufnahmetechnische) Brillanz muss man einen kleinen aber feinen Rückschritt hinnehmen. Im Vergleich wirkt das Spiel weniger sensibel. Es ist anzunehmen, dass Ashkenazy weniger Interesse daran hat, der Kunst der Nuancierung breiteren Raum zu lassen. Er lässt auch kaum mal einen Ruhepol zu. Gefühllos wirkt die Darbietung deshalb nicht, aber der Vergleich bringt eben auch kleinere Unterschiede ans Licht, sodass Ashkenazy dann doch unterm Strich pauschaler wirkt als Marriner. Ein gutes Beispiel um dies zu untermauern sind auch die Violinen-Soli. Bei Ashkenazy hört man auch kaum einmal ein Rubato, was die geradlinige Wirkung der Darbietung noch erhöht. Dies soll jedoch nicht den hohen Perfektionsgrad der Aufführung schmälern. Und die homogen klingenden Stimmlagen und die einzelne Klasse der Musiker sorgen immer noch für eine sehr gute Gesamtqualität.
Zu der auch der Klang der Aufnahme beiträgt. Er ist voll und offen und fast völlig frei von frühdigitaler Härte. An den sinnlich wirkenden, warmen Analogklang der Academy kommt er mit seiner im Vergleich doch deutlich hörbaren Kühle nicht heran. Transparenz und Dynamik bleiben ohne Beanstandung.
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4-5
Martin Sieghart
Stuttgarter Kammerorchester
Mediaphon
P 1987, live
28:55
Martin Sieghart war von 1990 bis 1995 Chefdirigent des Orchesters, also einer der Vorgänger von Thomas Zehetmair.
Diese Aufführung wurde sehr sorgfältig erarbeitet. Die Gestaltung der Dynamik erscheint einfühlsam, die solistischen Darbietungen kommen präsent heraus, die Artikulation wirkt sorgsam, das Vibrato, in den 80ern vielfach noch weit verbreitet, hält sich bereits in Grenzen. Der Klang des Orchesters wirkt etwas sehniger als beim KO Berlin mit Max Pommer (mit seiner großen Besetzung) aber voller als der des COE mit Heinz Holliger, an dessen Perfektion es jedoch nicht ganz herankommt. Die Stuttgarter spielen weich (weicher als 2021) und sehr geschmeidig, die Gruppen klingen homogen. Insgesamt erreicht man ein hohes Niveau, dem des ECO durchaus ebenbürtig.
In der 4. Strophe macht Sieghart im Sordino-Zauber das „Waldweben“ besonders deutlich, er lässt es genauso laut intonieren wie die Solo-Violine spielt, das dämpfen alle anderen immer mehr oder weniger ab. Das Orchester verströmt viel Wärme und „Glückserfahrung“. Man merkt gerade dieser Passage an, dass alle hier besonders schön spielen wollen (und es gelingt auch). Die Tempowahl erscheint stimmig und der dramatische Gehalt der Komposition kommt nicht zu kurz.
Der Klang der Aufnahme ist transparenter als der bei Max Pommer, ebenfalls frei und offen, körperhaft, präsent, weich und brillant. Das Orchester hat einen substanzreichen Klang zu bieten, erreicht aber nicht ganz die Fülle des Kammerorchesters aus Berlin. Wir hören ein Klangfest, mit dem wir nicht unbedingt gerechnet hätten. Von der musikliebenden Öffentlichkeit scheint diese Einspielung keine große Beachtung erhalten zu haben. Es sind keinerlei Geräusche zu hören, die auf eine Live-Darbietung schließen ließen.
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4-5
Heinz Holliger
Orchestre de Chambre de Lausanne
Zig Zag
2013
32:17
21 Jahre nach der Einspielung mit dem COE nahm Heinz Holliger das Werk noch einmal auf. Auch dieses Mal lässt er sich viel Zeit für die Herausarbeitung von Details. Es hört sich an, als wären die einzelnen Stimmgruppen noch etwas kleiner besetzt als damals. Denn das Schweizer Orchester erreicht nicht mehr die Homogenität des COE. Auch die Solopassagen werden nicht mehr so überzeugend gespielt. Im Verlauf verbessert sich das jedoch. Vor allem die Violinen spielen nun nicht mehr mit der fabelhaften Leichtigkeit wie damals. Sonorität, Klangfülle und der seidenweiche Glanz haben auch nachgelassen. Es mag durchaus sein, dass es einfach nur ein paar Musiker mehr gebraucht hätte, aber es ist nun mal wie es ist.
Bei der Artikulation wird das pp durchaus realisiert, einen Unterschied zwischen ppp und pp gibt es aber nicht. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Man spielt durchaus genau, übertreibt es aber nicht, vielleicht damit das Ergebnis nicht schulmeisterlich wirkt. Was besonders gefällt ist, dass man die Diktion der Sprachmelodie nachempfunden hat.
Insgesamt war das COE 1992 das noch bessere Orchester, auch die Äquilibristik der Stimmen war besser geglückt, was auch der Transparenz zugutekommt.
Der Klang der Aufnahme wirkt nun noch etwas präsenter und plastischer. Die Aufnahme ist nun auch deutlich lauter abgemischt als 1992. Sie klingt ein wenig rauer, was in der ersten Hälfte der Komposition vielleicht sogar ein Vorteil sein könnte, nimmt ihr in der zweiten Hälfte aber Glanz. Wir konstatieren: Auch in der Technik entwickelt sich nicht alles zum Besseren.
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4-5
Frieder Bernius
Streicherakademie Bozen
Carus
1999
26:17
Das Orchester setzt sich vorwiegend aus Musikern aus Südtirol zusammen, die zugleich noch in anderen Orchestern beschäftigt sind. Man trifft sich projektbezogen. Da einige Musiker aus der Klassischen Philharmonie Stuttgart zur Streicherakademie stießen, hat sich über die Jahre eine enge Zusammenarbeit mit Frieder Bernius entwickelt, der den Musikfreunden vor allem als Chordirigent bekannt geworden sein sollte. Man trifft sich übrigens gerne im Sommer, wenn in den anderen Orchestern dienstfrei ist und vielleicht auch, weil es dann in Südtirol besonders schön ist. Aufgenommen wurde übrigens im Gustav-Mahler-Saal zu Toblach.
Das Orchester wirkt größer besetzt als zum Beispiel die Moskauer Virtuosen, die Trondheim Soloists, das Orpheus Chamber Orchestra oder auch das Orchestre de Chambre de Lausanne, was sich nicht zuletzt in einem besonders seidigen Klang zeigt. Die Mittelstimmen kommen klar zur Geltung und die Celli klingen sonor, während es den Violinen an Samtigkeit und Glanz gegenüber den Besten fehlt (z.B. Stuttgarter KO, COE oder auch dem KO Berlin). Manchmal ist jedoch auch die Mikrofonauswahl schuld, aber für uns zählt letztlich das Ergebnis.
Das Spiel überzeugt, denn die ambitionierten Tempi wirken dringlich und beherzt und man scheut auch vor drastischeren Akzenten nicht zurück. Der drängende Gestus führt auch zu straff angegangenen Höhepunkten. Und man freut sich, wie gut die Celli den Violinen hier Paroli bieten können. Oft genug werden sie gegenüber den Violinen einfach zu schwach besetzt, das hat Tradition und scheint nur wenige zu stören. Wie bei den Moskauer Virtuosen geht der „Klangzauber“ etwas flott über die Bühne und findet allzu schnell sein Ende.
Hier gibt es kein zerbrechlich wirkende „Zärtlichkeit“ (auch die „Frau“ scheint von robusterer Natur zu sein) und auch kein Fin-de-Siècle-Schwelgen und keine allzu herbe Männlichkeit oder gar spröde Trockenheit. Etwas robust klingt es letztlich schon.
Besonders gut gefällt uns an dieser Einspielung, neben vielen geglückten Details, die volle Emanzipation der Cellostimmen.
Klanglich ist eine ausreichende Transparenz gewährleistet. Die einzelnen Stimmen fließen mehr ineinander als bei den analytischer orientierten Aufnahmekonzepten. Sie stören sich aber nicht gegenseitig. Der Gesamtklang wirkt ein wenig kompakt und „stämmig“. Der Raum bringt etwas Hall mit ohne einen warmen, sinnlichen Klang zu unterstützen. Er wirkt aber lange nicht so kühl wie bei den Moskauer Virtuosen. Die einzelnen Stimmen werden sehr gut gewichtet, der Bass ist stattlich, die Dynamik kraftvoll.
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4-5
Iona Brown
Norwegisches Kammerorchester
Chandos
1994
31:06
Bereits sechs Jahre nach der Einspielung aus Montréal mit Yuli Turowski brachte Chandos bereits die nächste Einspielung der „verklärten Nacht“ auf den Markt. Damals verkauften sich CDs noch gut und das Werk Schönbergs hatte ebenfalls Konjunktur. Die Dirigentin Iona Brown war ab 1964 Geigerin bei der Academy of St.-Martin-in-the-Fields und ab 1970 gemeinsam mit Neville Marriner auch Dirigentin, Von 1981 bis 2001 war sie Leiterin des Orchesters in Oslo. Das Orchester rekrutiert sich projektbezogen vor allem aus Musikern der Philharmoniker Oslos und aus anderen norwegischen Orchestern.
Gegenüber der Einspielung Turowskis geht es erheblich entspannter, d.h. lange nicht so hoch erregt durch das Stück. Jedoch klarer und sehr differenziert. Sachlicher sozusagen, aber nicht kühl. Auf überbordende Emotionalität lässt man sich nicht ein. Das Orchester klingt übrigens so, als sei es etwas stärker besetzt als die I Musici de Montréal. Man stellt sich hier eine ruhigere, sanftmütigere oder introvertiertere Frau vor, kaum weniger verzweifelt aber lange nicht so laut. Man erreicht das durch die langsameren Tempi und besonders durch eine sanftere Dynamik und Diktion. Die 4. Strophe wirkt erheblich intimer, sanfter und schmeichelnder. Die Facetten der Liebe sind eben mannigfaltig.
Der Klang der Aufnahme ist klar, sehr transparent und breit gestaffelt, aber weniger präsent. Der etwas fülligere und etwas weniger brillante, also gedecktere Gesamtklang nimmt durchaus für sich ein.
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4-5
Sandor Vegh
Camerata Academica des Salzburger Mozarteums
Capriccio
1992
28:07
Der atmosphärische Beginn, resignativ und fahl nimmt sehr für sich ein. Das Bratschensolo bei T. 21 drückt in ganz besonderer Weise Einsamkeit aus. Im Verlauf wird die Expressivität stark betont und bis zur Zerrissenheit. Die Tempogegensätze werden betont, die Kantabilität wirkt ausdrucksvoll. Die leisen Töne werden nicht weit nach unten gedimmt, d.h.: Das machen andere besser, z.B. die Trondheim Soloists, die da Maßstäbe setzen. Das Stimmengewebe wirkt in Salzburg auch lange nicht so plastisch und deutlich wie in Trondheim. Leider dominieren die Violinen meist den Gesamtklang, es wundert, dass Sandor Vegh da nicht eingeschritten ist. Der Gesamtklang wirkt jedoch wunderbar weich und warm, die 4. Strophe gelingt herzerwärmend.
Leider wirkt da der kühle-glasige Touch der Aufnahme entgegen. Was weiter auffällt: der zu Beginn noch stärker ausgeprägte kammermusikalisch schlanke Klang nimmt im Verlauf des Stückes zugunsten beträchtlicher Opulenz ab. Die Gefühlswärme fordert also ihren Preis.
Die Aufnahme liegt übrigens auch als SACD vor, aktuell allerdings nur als CD. Der Klang ist recht transparent und räumlich geweitet, jedoch bei weitem nicht so klar und sonor wie u.a. bei den Trondheimern 2018. Den verführerischen Klangreiz der Decca mit Marriner erreicht sie auch nicht. Es liegt da nämlich ein leichter Hauch von kühlem Hochton in der Luft, das mag vielleicht zum Licht des Mondes und der Sterne passen, aber nicht zur herzerwärmenden Interpretation von Sandor Vegh. Klanglich bleibt der Aufnahme die vom Werk geforderte „Transzendenz“ also weitgehend verwehrt.
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4-5
Jiri Belohlávek
Neues Tschechisches Kammerorchester (Prague Chamber Philharmonic Orchestra)
Supraphon
1994
28:11
Über das Orchester konnten wir leider nichts in Erfahrung bringen. Sein englischer (internationaler) Name deutet darauf hin, dass es sich um ein Kammerorchester handeln könnte, das aus Mitgliedern der Tschechischen Philharmonie besteht. Das ist jedoch nur eine Vermutung. Es weist vom Klang her zu urteilen eine mittlerer Kammerorchesterstärke auf.
Sein Spiel ist klangschön, die Stimmlagen sind homogen besetzt und das Zusammenspiel hält hohes Niveau. Man hält die Waage zwischen Expressivität und Schönklang, Spannung und Entspannung. Die Tempi meiden die Extreme, genau wie Dynamik und Artikulation. Man nimmt eine Mittelposition ein zwischen Turowski und Iona Brown, nicht so expressiv und aufgepeitscht wie der erste und vor allem zügiger und temperamentvoller als die zweite. Wie in einigen anderen Einspielungen auch wünschte man sich die Celli gegenüber den Violinen etwas stärker besetzt oder zumindest lautstärker oder selbstbewusster. So unwichtig wie uns manche Aufnahmen es uns weißmachen wollen, ist die Rolle des Mannes, dessen Stimme für uns die Celli übernommen haben, doch auch wieder nicht.
Das angenehm wirkende Klangbild wird weit und recht tief aufgespannt. Die einzelnen Streichergruppen wirken transparent, die Soli sind gut vom Tutti abgehoben. Der Klang wirkt weich abgerundet. Eine gut gelungene Einspielung ohne besondere Meriten aber auch ohne große Schwächen.
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4
Jean-Jacques Kantorow
Tapiola Sinfonietta, Espoo, Finnland
BIS
1994
28:29
Wie bei den Einspielungen von Liane Issakadse, Thomas Zehetmair, Sandor Vegh, Iona Brown oder Vladimir Spivakov, ist auch Jean-Jacques Kantorow ein ausgezeichneter Geiger, der sich in fortgeschritteneren Jahren mehr und mehr dem Dirigieren zugewendet hat, bevor er dann die feste Leitungsposition vornehmlich eines Kammerorchesters übernahm.
Die Tapiola Sinfonietta spielt hier recht schlank besetzt, was man besonders an einem Mangel an Sonorität bemerkt. Ein sonorer Klang ist normalerweise ein Pfund mit dem die Orchester aus Nordeuropa wuchern können. Die Sinfonietta lässt teilweise ein virtuos-brillantes Spiel vernehmen. Besonders differenziert im leisen Bereich kommt es nicht immer richtig aus sich heraus, wenn Kraft und Intensität gefordert wären. Mit etwas mehr klanglicher Präsenz wäre das geschmeidige Spiel besser zur Geltung gekommen. Das Stimmengewebe wirkt sehr ausgewogen, homogen und filigran. Das leiseste Verklinge beim letzten Akkord ist ein weiterer Qualitätsbeweis der Darbietung, deren Aufnahmequalität der musikalisch nicht ganz ebenbürtig ist.
Der Klang der Aufnahme weist für eine Digitalaufnahme einen überraschend hohen Rauschpegel auf. Das Orchester wirkt etwas entfernt. Uns ist ein Platz in einer der (imaginär) vorderen Reihen des Auditoriums lieber, kann man doch dann viel besser in die Musik eintauchen, ist dem Zentrum des Geschehens näher, der erzeugten Spannung eher ausgeliefert. Der Klang wirkt aber transparent und das Orchester übersichtlich. Die Aufnahme verfügt nur über wenig Bass, sonst gibt es ihn gerade beim Label BIS meist prononciert zu finden.
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3-4
Vladimir Spivakov
Moskauer Virtuosen (Moscow Virtuosi)
Capriccio
2003
27:39
Das Moskauer Orchester tritt in kleiner Besetzung auf. Der Klang wirkt fast schon wie bei einem Sextett. Die Solopartien setzen sich dennoch sehr gut vom Tutti ab. Der Gestus wirkt betont straff, dynamisch wird weniger abschattiert, das Problem hierbei wie so oft: manch ein pp wird einfach übergangen. Bei den ff-Passagen hingegen wird aus dem kleinen Ensemble herausgeholt, was möglich ist. Zudem wirkt die Phrasierung ziemlich kurzatmig und manch ein Tempo wirkt einfach zu schnell, jedoch noch nicht gehetzt. Die Expressivität bleibt seltsam kühl, vielleicht fehlt es den Ausführenden an „Herzenswärme“? Das würde in der ersten Hälfte noch angehen, in der zweiten jedoch wird es nicht anders. Durch die rau spielende Begleitung kommt dem „Klangzauber“ viel der Magie abhanden, während sich die Solo-Violine voll ins Zeug legt. Sehr gut getroffen hingegen: Das dialogische Wechselspiel von Violine zu Viola und vor allem zum Cello. In der 4. (und auch in der 5.) Strophe, die ja so sehr zum Auskosten einlädt, geht es bei Spivakov auffallend rasant zu.
Insgesamt ist diese Einspielung auffallend hart und kantig durchgezeichnet, als solle der spätromantisch-schwelgerische Anteil der Komposition auf ein Nullniveau reduziert werden. Die Verzauberung oder die Verklärung bleibt so nach unserem Ermessen auf der Strecke. Hier dominiert die herbe männliche Note deutlich bei der zwischenmenschlichen Gemeinsamkeit.
Der Klang wirkt ziemlich präsent, offen und direkt. Er bringt wenig Raumwirkung mit und wirkt ziemlich trocken. Die einzelnen Instrumentengruppen sind bestens zu unterscheiden. Der Gesamtklang klingt wenig „soft“, wie es bisweilen in der Partitur steht oder gar seidig. Eine eher robuste Qualität herrscht vor. Nichts für Träumer(innen) oder Klangschwärmer(innen).
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3-4
Daniel Barenboim
English Chamber Orchestra
EMI
1967
31:14
Dies ist die erste von zwei Einspielungen, die Daniel Barenboim zur Diskographie der „Verklärten Nacht“ beigesteuert hat. Obwohl ihm bei seinem 67er Jahrgang ein Kammerorchester an die Seite gestellt wurde, klingt auch diese großorchestral. Ein kammermusikalisch geschärftes Zusammenspiel kommt nicht zustande. Seine Herangehensweise wirkt mitunter vorsichtig oder zögerlich. Der Klang hingegen weiß vom pp bis zum mf durchaus noch zu gefallen, da wirkt er voll und verströmt noch eine gewisse Wärme, so wie man es von guten EMI-Einspielungen aus den 60er und 70er Jahren kennt. Im f und ff hört das leider auf. Da geht das Klangbild „zu“ und der Streicherklang „versteift“ sich, d.h. er verliert seine Lockerheit. Bei mäßiger Lautstärke wirkt das Spiel mitunter gut ausgehört, sogar sinnlich und teils empathisch. Nebenstimmen finden durchaus Gehör. Wenn auch nicht immer durchgängig. Der große Bogen fehlt spürbar, sodass es auch am durchgängigen dramatischen Zug fehlt und die Linie ins episodenhafte zerfällt. Die Tiefenschärfe des Orchesters lässt sehr zu wünschen übrig, der Rhythmus wirkt mitunter „verschmiert“, so wie es sich bei weniger präzisen Darbietungen eben anhört. Das „Waldweben“ während des „Klangzaubers“ bleibt gut hörbar, wird noch nicht weggedimmt wie später in Chicago bei der zweiten Einspielung Barenboims. Insgesamt hört es sich trotzdem so an, als sei Herrn Barenboim „das Große und Ganze“ sehr viel wichtiger gewesen als das erfüllte Detail.
Der Klang der älteren EMI wirkt etwas direkter und weicher als der aus Chicago. Wenn es lauter wird verliert der Klang seltsamerweise beträchtlich an Sonorität. Der Bass ist gut zu verfolgen. Insgesamt wirkt der EMI-Klang wärmer als die Teldec-Produktion aus Chicago fast 30 Jahre später.
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3-4
Liana (oder Ilana) Issakadze
Georgisches Kammerorchester
RCA
1986
29:32
Die georgische Geigerin Liana Issakadze war von 1981 bis 1991 Chefdirigentin des Orchesters mit dem sie 1990 (nach der Perestroika) von Tiflis nach Ingolstadt umzog. Während dies für das Orchester eher ein Auswandern war, konnte die Dirigentin wenig später in Georgien wieder ein neues Kammerorchester gründen. Anscheinend hat man es doch vermisst. Der Name des in Bayern residierenden Orchesters lautete daraufhin Georgisches Kammerorchester Ingolstadt.
Um es vorwegzunehmen, diese Einspielung ist klanglich gegenüber allen anderen mit Kammerorchester deutlich benachteiligt. Die musikalische Qualität liegt deutlich über der aufnahmetechnischen.
Das Orchester wirkt recht stattlich besetzt und es klingt fast schon opulent. Der Beginn gefällt auch klanglich noch sehr gut, er wirkt fahl und düster und wirkt schaurig-kalt. Das Tempo erklingt in einem angemessenen Grave. Die Phrasierung wirkt meist genau, deutlich, klar und durchaus auch akzentuiert. Es mangelt jedoch trotzdem an der nötigen Transparenz der Stimmen. Das Zusammenspiel wirkt ziemlich philharmonisch im negativen Sinn und im Gegensatz zum kammermusikalischen. Bei den schnellen Figuren beginnen die Details zu verwischen, was aber nach unserem Eindruck der Akustik geschuldet ist. Die sich verbreitende Stimmung wirkt geradezu klaustrophobisch, sodann man sich lieber verstecken oder noch besser davonlaufen möchte. Diese Frau macht ihr „Geständnis“ wirklich nicht gerne, sie hat dabei ein ganz schlechtes Gewissen. Das Legato wird meist breit und klangsatt ausgespielt, wie man es heute nicht mehr oft hören kann (keine „Klangrede“). Man hat jederzeit das Gefühl, dass sich Dirigentin und Orchester sehr gut in die Stimmung der Frau in der 2. Strophe einfühlen können. Das ff gelingt durchdringend. Es wallt auf bis zu den für ein Kammerorchester möglichen Grenzen.
In der 4. Strophe wirkt der „Klangzauber“ schön, er setzt sich sozusagen über die mäßige Klangqualität hinweg. Das Duett von Violine und Cello wird beseelt gespielt. Dies ist eine gefühlvolle Einspielung mit einem guten Orchester, leider wird es von der Aufnahmetechnik ziemlich im Stich gelassen.
Der Klang der Aufnahme wirkt nicht sonderlich transparent. Er wirkt leicht hallig, die Räumlichkeit vage, d.h. eine exakte Ortbarkeit der einzelnen Instrumentengruppen ist schwer möglich. Der Gesamtklang wirkt wenig sonor und ziemlich bassschwach, leicht höhenlastig und grobfaserig. Es wirkt teigig und geht ab ff zu. Zudem fehlt es ihm an Wärme. Einige „Vorechos“ lassen auf eine analoge Aufnahme schließen. Wahrscheinlich wurde die Einspielung von Melodija aus Sowjetbeständen zugekauft.
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Fassung von 1917 für Streichorchester revidiert 1943, ausgeführt von den stark besetzten Streichern eines Sinfonieorchesters:
5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Sony
2004. live
27:41
Mit der Ernennung von Mariss Jansons zum Chefdirigenten des BRSO schloss man einen Vertrag mit Sony, der die Veröffentlichung von zehn CDs mit dem „Neuen“ und dem Orchester umfasste. Ob dieses Projekt zu gut oder zu schlecht lief, wissen wir leider nicht, jedenfalls wurde danach das rundfunkeigene Label „BR Klassik“ gegründet. Nun konnte man nach Herzenslust Einspielungen der Orchester und des Chores des Senders unters musikliebende Volk bringen. Unter den zehn CDs (allerdings kennen wir nicht alle zehn), sodass wir besser schreiben, unten den uns bekannten CDs dieser Veröffentlichungsreihe ragt die Darbietung der „Verklärten Nacht“ heraus. Nach unserer Einschätzung ragt sie auch aus der Diskographie der „Verklärten Nacht“ mit großem Streichorchester hervor, aber wie immer darf man auch anderer Meinung sein. Unser Rat deshalb, man sollte versuchen sie kennenzulernen.
„Very soft“ schreibt Schönberg zu Beginn in seine Partitur und wir horchten auf, wie „soft“ das BRSO das hinbekommt. Super weich, super zart und trotzdem mit Substanz und so als wäre der Klang entmaterialisiert, also reiner Gedanken. Das ist stimmungsvoll. Man hatte den Eindruck, dass das Orchester seinen Neuen auf Anhieb mochte und alles für ihn tun wollte. Gut für uns Hörer/innen.
Das Orchester zeigt sich von bestechender Homogenität und einer seltenen Reinheit im Zusammenklang (gut eingestimmt!). Den Berlinern mit Karajan oder Levine steht man nicht nach, im Gegenteil, die spezielle zarte und fragile Note und dazu auch noch verbunden mit einer frischeren Phrasierung bekommen die Münchner besser hin. Das Stimmengewebe ist von erlesener Transparenz, noch klarer als bei Boulez 1973 mit den New Yorkern. Das Orchester wirkt besonders spielfreudig und reaktionsschnell, wie auf dem Sprung. Das drückt sich in einer Spannung aus, die aber nicht permanent in gleicher Intensität anhält, sondern sich flexibel zeigt und aus einer gewissen Grundspannung heraus immer mal nachlässt und dann wieder blitzschnell anzieht. Die sf kommen deutlich und unverschliffen, jedoch nicht gewalttätig hart. Das Animato hat starken Antrieb, wie auch die anderen vielen Tempoanweisungen subtil und genau umgesetzt werden. Espressivo und dolce werden im Klang deutlich unterscheidbar (z.B. die Violen bei T. 101 und 103). Die „Frau“ wird äußerst dramatisch dargestellt, aber in keiner Weise aufdringlich, alles geschieht mit einem feinen, weichen Klang und dynamisch spontan wirkend. Auf dieses Konzert haben sich Beteiligten anscheinend besonders gründlich vorbereitet, oder aber man mochte das Stück ganz besonders, wahrscheinlich beides.
Der Rhythmus wirkt prägnant das Spiel in höchstem Maß geschmeidig. Die Soli klingen frei und spontan, dabei ist das Spiel von höchster Präzision geprägt und sie werden ausgezeichnet herausgearbeitet. Nicht zu laut, nicht zu untergründig-verdeckt. Das passt. Ein pp bleibt hier ein pp, man soll nicht meinen, wie oft das vernachlässigt wird, es ist wohl die am schwierigsten zu realisierende Lautstärke, dabei ist sie für die Stimmung gerade dieses Stückes so besonders wichtig. Die „Klangzauber“-Stelle (ab Z. 249, con sordino) wirkt noch reizvoller und zärtlicher als bei Karajan oder bei Boulez, weil das BRSO das pp nicht nur genau trifft, sondern auch so unangestrengt und mühelos hinbekommt. Das klingt einfach bestechend schön. Immer wieder auffallend die Transparenz und Präzision des Spiels, das die wunderbaren Korrespondenzen im „Liebesduett“ zwischen Solo-Violine (Frau) und Solo-Cello (Mann) erst so vielfältig machen und ins lichte Stimmengewebe in perfekter Dosierung einpassen. Das ist große Kammermusik in Vollendung. Die Leidenschaft kommt dabei ebenfalls nicht zu kurz.
Eine beeindruckende Leistung, die fast schon selbst zur Verklärung transzendiert.
Natürlich muss dabei der Klang der Aufnahme mit der musikalisch-künstlerischen Exzellenz mithalten können. Das macht er auch. Bestechend klar, fabelhaft rund, besonders geschmeidig, leuchtkräftig und ganz besonders sinnlich. Der schlanke, schöne Klang lässt zu, dass sich Hörer und Hörerin auch ein besonders schönes Paar vorstellen können. Diese Einspielung wäre der ideale „Soundtrack“ für eine Ballettaufführung, wenngleich man dort vielleicht eine langsamere Gangart vorziehen würde. Der Klang wirkt durchweg heller gestimmt und brillanter als bei Karajan und Boulez. Selbst wenn in diesem Mittschnitt aus drei Live-Konzerten zusammengefügt worden sein sollten, nötigt das Ergebnis größten Respekt ab.
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5
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Orchestra
Columbia-Sony, Urania
1958
25:05 bzw. 24:40
Die Einspielung gibt Rätsel auf. Erstens gibt es sie in zwei Darreichungsformen, einmal vom Original-Label Sony, übrigens glänzend im Jahr 2022 restauriert und zweitens von Urania, die ganz anders klingt, viel matter, viel düsterer, viel grobfaseriger, obwohl sie auf ein Remaster von 2008 zurückgeht, aber wahrscheinlich nicht vom Sony-Mutterband übernommen wurde, sondern in Heimarbeit bei Urania von einer anderen Quelle gefertigt worden sein sollte. Selten hat dieselbe Aufnahme so unterschiedlich nicht nur geklungen, sondern auch gewirkt. Es ist immer seltsam, wenn eine Einspielung so verschieden wirkt, beginnt man doch die Echtheit der einen oder anderen anzuzweifeln zumal die Spielzeit um 25 Sekunden differiert. Das ist kein Pappenspiel. Man hat es schon erlebt, dass an der Geschwindigkeit der Bandmaschinen „manipuliert“ wurde oder dass sie einfach nicht korrekt justiert waren, was sich eigentlich in der Tonhöhe manifestieren müsste. Um das festzustellen reicht die Qualität unseres Gehörs leider nicht aus. Vielleicht wurden auch verschiede Takes ins Band geschnitten? Das wäre allerdings eher unwahrscheinlich, so weit gehen die Eingriffe bei einem Remastering normalerweise nicht. Die beiden angegebenen Aufnahmedaten sind übrigens genau gleich. Es wurde am 3. März 1958 aufgenommen. Man hat nur einen Tag gebraucht.
Vielleicht entspannt es die Situation ein wenig, wenn man die zweite Einspielung mit Mitropoulos in die Betrachtung miteinbezieht, die setzt dem Ganzen nämlich die Krone auf. Sie entstand im September 1958 im großen Saal des Wiener Musikvereins (leider noch in Mono), also nur ein paar Monate später als die New Yorker. Mitropoulos braucht jetzt plötzlich 30:43 Minuten. Was ist da passiert? Fühlte er sich nicht wohl? Sein Gesundheitszustand war ja bereits stark angegriffen und er sollte nicht mehr lange zu leben haben. In New York war er zu jener Zeit bereits umstritten und manch einer sägte bereits an seinem Chefdirigenten-Stuhl (auch Leonard Bernstein, der ihn dann auch tatsächlich in diesem Jahr noch als sein Nachfolger beerbte).
Bevor wir uns völlig verzetteln, konzentrieren wir uns jetzt einfach auf die Original-Sony Variante, die wie gesagt eine hervorragende Bearbeitung erfahren hat. Die Wiener Aufnahme kommt dann weiter unten noch zu ihrem Recht.
Wir sollten vielleicht noch erwähnen, dass nicht nur die erste Aufnahme der Orchesterfassung von Columbia (mit Ormandy im Jahr 1934) gemacht wurde, sondern auch die erste Stereo-Aufnahme und dazwischen gab es dann sogar noch die zweite mit Ormandy (1950). Man hatte bei CSB also keine Scheu vorm Namen Arnold Schönberg. Zu diesem Zeitpunkt gab es bei der DG noch gar keine Einspielung.
Die Darbietung Mitropoulos´ wirkt betont fließend, ja flüssig im Zeitmaß. Damit einher gehen eine gewisse untergründige Unruhe und eine starke Dringlichkeit. Die dunkle Expressivität, die der Urania-Überspielung eigen ist wirkt jedoch ganz beträchtlich aufgehellt durch die jetzt super-klare Transparenz des Streichersatzes bei Sony. Ein jeder würde spontan auf zwei völlig verschieden Einspielung tippen. Die verschiedenen Tempi werden genau beachtet. Das wirkt spannungsfördernd. Durch das schnelle Grundtempo wird noch mehr vom schwer lastenden, schwermütigen Grundcharakter vieler anderer Einspielungen reduziert. Die 2. Strophe wirkt durch die drängende Leidenschaft ins Ausweglose gesteigert. Der Gestus verliert dennoch an dunkler Tragik, wirkt viel jugendlicher und frischer als sonst. Die Nacht bleibt immer noch mondhell und sternenklar und nicht stockdunkel. Die expressive Glut wirkt hier einfach heller glühend. Die aufnahmetechnische Disposition spielt natürlich mit hinein in diese Wirkung. Das Spiel der New Yorker Streicher wirkt frei, belebt und sehr brillant, bringt durch die Virtuosität noch etwas Spielerisches mit ein. Diese Sichtweise machte auf uns einen modernen Eindruck, den 50ern weit voraus.
Beide Versionen dieser Aufnahme liegen in Stereo vor. Der Fortschritt gegenüber der letzten Aufnahme von Columbia von 1950 ist immens. Der Zuwachs an Transparenz, Räumlichkeit und Körperhaftigkeit ist staunenswert. Der Klang wirkt weich und sinnlich. Die schon bald folgende nächste CBS-Aufnahme mit Robert Craft (1963), kann da nichts mehr verbessern. Die ebenfalls bei CBS entstandene Aufnahme von Boulez (1973) kann allenfalls aufschließen.
Die Urania klingt dagegen, wir haben es eingangs bereits erwähnt, matter, weniger transparent, dunkler, ja düsterer. Die Violinen klingen weniger rund und grobfaseriger. Es klingt flächiger, weniger perspektivisch. Vom Klang her würde man nie und nimmer an ein und dieselbe Aufnahme denken. In beiden Versionen wirkt die Musik, wie in vielen alten Aufnahmen des Stückes unsentimental, ohne Umwege expressiv und total schmalzbefreit. Im Falle dieser Aufnahme sollte man in jedem Fall zum neuesten Sony-Ableger greifen. Nur ihm gilt diese herausgehobene Position in unserem Vergleich.
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5
Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
ORF, unveröffentlicht
2020, live
28:43
Diese Aufnahme ist dem ORF zu verdanken, der in Salzburg live bei einem Gastspiel der Berliner Philharmoniker im Großen Festspielhaus dabei war. In keiner anderen Einspielung wirkt das pp so leise, fast unhörbar und es gelingt, es zwar makellos klingen zu lassen ihm aber eine ausgesprochen fahle Wirkung zu geben. Das f (pizz., T. 46) das sonst immer, kräftig bis kräftigst betont wird, klingt bei Petrenko müde und ausgelaugt. Das lässt aufmerken, passt aber vielleicht sogar besser zur Stimmung der 1. Strophe. Die solistischen Passagen kommen sehr plastisch heraus, man nimmt im Verlauf auch das ppp super genau. Das wird sonst eigentlich nie vom pp abgesetzt. Das Stimmengeflecht wird außerordentlich transparent gemacht, man hört hier tatsächlich ein Sextett, nur gespielt von vielen Instrumenten, große Kammermusik also. Einschränkend muss man bemerken, dass die Bässe, wie so oft beim ORF ziemlich beiläufig aufgenommen werden. Die angetriebenen Beschleunigungen werden zu heftigen Gefühlswallungen. Der Orchesterklang wirkt lange nicht so süffig wie bei Thielemann und den Wienern, ebenfalls eine Aufnahme des ORF, allerdings aus Wien. Er trifft eher die schlanke Linie der Wiener mit Philippe Jordan, um einmal beim ORF zu bleiben. Allerdings wirkt das Spiel der Berliner noch transparenter und noch expressiver. Die 3. Strophe gar bis zum Zerreißen gespannt, was wirklich selten ist, die „Frau“ erwartet hier einen vernichtenden Urteilspruch des „Mannes“, darauf folgt zunächst einmal eine gewisse Leere, Die 4. Strophe, die tatsächliche Antwort des „Mannes“, klingt so sanft und zärtlich, wie man es nur ganz selten hören kann. Bei Petrenko hört man die Celli in exzellenter Äquilibristik zu den Violinen und der „Klangzauber“ bleibt dort vorbildlich im pp wie sehr, sehr selten. Die meisten Interpreten suchen hier schon den großen Effekt und drehen an der Dynamik-Schraube. Die ganze Aufführung wirkt erstaunlich wenig üppig, gerade wenn man die Berliner Aufnahmen von Karajan oder Levine noch im Ohr haben sollte. So filigran, leichtgewichtig, zart und berührend und ganz nebenbei partiturnah sind die beiden jedoch lange nicht. Hier regiert eine „junge Liebe“.
Der Klang der ORF-Übertragungen im Radio ist, wie schon oft bemerkt, auch bei diesem Mitschnitt von der dünnen Datenrate gehandicapt. Da spart man am falschen Ort. Hinzu kommt noch, dass man anscheinend bei den Bässen ein taugliches Mikrophon vergessen hat aufzustellen. Die Darbietung wäre reif für eine Veröffentlichung. Dann aber bitte mit einer ordentlichen, möglichst satten Datenrate.
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4-5
Christian Thielemann
Wiener Philharmoniker
ORF, unveröffentlicht
2023, live
29:13
Bis heute haben die Wiener Philharmoniker noch keine Studio-Einspielung der „Verklärten Nacht“ gemacht. Aber immerhin haben sie das Werk 2023 mit auf eine große Tournee genommen. Das Musizieren mit einem ihrer Lieblingsdirigenten wirkt atmosphärisch, klangschön, mit ausdrucksstarken Bögen und brillant. Die homogenen Gruppen wirken brillant und vollmundig. Die Agogik wirkt wie oft bei Herrn Thielemann flexibel und fein. Der Gestus wirkt gelassen und souverän, was dem Werk eine einheitliche Wirkung verleiht. Das Orchester wirkt nicht so transparent wie die Berliner mit Petrenko. Die Dynamik in diesem Mitschnitt ist leider nur schwach ausgeprägt, sodass die Musik auch weniger dramatisch geprägt erscheint. Den Musikern ist das kaum vorzuwerfen. Die leisen Partien wirken ausdrucksvoll und warmherzig und die Soli kommen auffallend klar heraus. Die Wiener wären sicher eines der besten Orchester für diese Werk, denn die Sinnenfreude wird durch den speziellen Klang der Wiener Violinen durchaus noch gesteigert. An Sanftmut und Intensität mangelt es auch nicht. Wegen der schwachen Dynamik des ORF bleibt die große Geste jedoch auf der Strecke. Trotzdem fühlt sich das Werk ganz besonders nach Fin-de-Siècle an. Im Vergleich zur Aufnahme mit Philippe Jordan mit demselben Orchester wirkt die Thielemanns schwelgerischer im Klang und ein wenig stringenter im Gestus.
Dass die Aufnahme- oder Übertragungstechnik das Stück dynamisch extrem nivelliert ist das größte Manko. Sie wirkt auch nicht sonderlich transparent (geringe Datenrate bei der Übertragung) aber präsent. Die Streicher klingen trotzdem schön weich und durchaus brillant.
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4-5
Michael Gielen
Sinfonieorchester des SWR Baden Baden und Freiburg
SWR Classic
AD ?
34:14
Michael Gielen nimmt sich für die „Verklärte Nacht“ alle Zeit der Welt. Der Beginn, betont klagend und resignativ bleibt in seiner Langsamkeit ziemlich einzigartig. Nur Yoel Levi kommt da heran. Die pp sind genau so wie sie sein sollen. Die Soli kommen deutlich heraus, die Phrasierung ist deutlich und plastisch. Der Duktus wirkt getragen, das Spiel außergewöhnlich klangschön. Die schlanken Linien der Streichergruppen wirken homogen (man hat sich bestens eingestimmt). Das Orchester klingt glasklar und spielt in bester Geläufigkeit absolut präzise, als ob es hier um einen vielgespielten Klassiker ginge, expressiv und völlig unkitschig. Sachlich wäre schon falsch formuliert. Durch das reine Spiel, das besonders langsame Tempo und die räumliche Distanz durch die Aufnahme fühlt man sich besonders an ein spätes Adagio von Mahler erinnert. Trotz der großen Besetzung wirkt das Spiel des Orchesters kammermusikalisch-intim. Diese Einspielung wirkt im Vergleich durch die ungewöhnliche Langsamkeit etwas exzentrisch, besonders betörend und auf ihre eigene Art anrührend. Wunderbares Entschweben am Ende. Die Unterschiede zur alten Einspielung des Orchesters mit Jascha Horenstein aus den 50ern beweisen eindrucksvoll, welche Entwicklung das Orchester und die Klagtechnik in den letzten ca. 60-70 Jahren durchlaufen hat.
Das Orchester wirkt etwas im Raum nach hinten gesetzt, weshalb es ein wenig an Präsenz mangelt. Sie büßt dadurch an Unmittelbarkeit ein. Im Gegenzug ist ihre Klarheit bestechend. Durch den erstaunlich schwach ausgeprägten Bass wirkt der Klang noch ätherischer und betörender.
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4-5
Pierre Boulez
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1973
28:31
Die New Yorker spielen 1973 in großer Besetzung. Zehn Jahre später lässt es sich Pierre Boulez nicht nehmen, auch eine Sextett-Besetzung zu leiten. Zuvor nahm er das Werk bereits in den 60er Jahren mit dem Domain Musical auf, eine Aufnahme, die wir leider nicht kennen. Ein Live-Aufnahme aus Amsterdam folgt ebenfalls noch.
Das Orchester spielt klangschön und expressiv. Der Dirigent legt großes Augenmerk auf die Deutlichkeit der Mittelstimmen, was ihm mit dem Orchester fast besser gelingt als mit dem Sextett. Die Darbietung wirkt dramatischer als die solistische Besetzung aber, man möchte sagen: natürlich auch schwerfälliger. Die zahlreichen pp werden nicht immer hinlänglich beachtet, was sich leider durch das ganze Stück zieht. Das ff der Bässe wirkt in dieser Einspielung richtig bedrohlich, Boulez hat das Potenzial der gegenüber dem Sextett zusätzlichen Stimme als einer der ganz wenigen ziemlich ausgereizt. Die Violinen spielen bei den schnell zu spielenden Partien mitunter häufiger Legato als es in der Partitur steht. Die Musiker lieferen sich tolle Wechselspiele von Violinen und Celli. Bei T. 215 wirken die sf ziemlich schwach.
Der „Klangzauber“ in der 4. Strophe (con sordino nach T. 249 ff) nimmt Boulez mit schnellem Tempo, wahrscheinlich um evtl. aufkommenden Kitsch zu vermeiden, so aber auch nicht im ganzen Potenzial ausgereizt. Er steigert das Folgende aber sehr schön. sodass es sozusagen zu einem „Tanz in den Lüften“ kommt (Liebesglück). Diese Stelle kommt deutlicher zum Tragen als in seiner Sextett-Version und die New Yorker-Einspielung verbreitet hier einen wundervollen, weichen und zarten Glanz, der sich gegen Ende ähnlich wiederholt.
Die Aufnahme bietet dem Orchester eine weite Bühne, die auch gut gefüllt wird. Die Balance wirkt in allen Stimmen sehr ausgewogen, die Violinen werden nicht hervorgehoben. Der Klang wirkt insgesamt seidig und weich. Die Bässe kommen nicht zu kurz. Die Violinen des BRSO (Jansons) der Berliner und auch des Gewandhausorchesters (Sebastian) klingen satter.
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4-5
Zubin Mehta
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Decca
1967
31:12
Von Zubin Mehta gibt es zwei Einspielungen der „Verklärten Nacht“. 35 Jahre nach dieser amerikanischen folgte noch eine aus München mit den Streichern des Bayerischen Staatsorchesters. Das Orchester in Los Angeles scheint sehr stark besetzt zu sein. Die „echt dicke“ Besetzung führt zu einem außerordentlich süffigen aber auch zu einem sinnlichen Klang der Superlative. Trotz des von Schönberg vorgegebenen Grave wirkt das Anfangstempo besonders getragen. Das große Ensemble entpuppt sich als besonders homogen. Zubin Mehta schlägt zwar langsame Tempi an (in etwa die gleichen wie 35 Jahre später in München), dennoch lässt er das Orchester spielen, wie es ein junger Mann spielen lassen würde. Er war damals 31 Jahre jung. Dramatisch und aufgewühlt wirkt natürlich besonders die 2. Strophe. Starke Kontraste und heftige Steigerungen stehen in starkem Kontrast zu den langsamen Tempi. Die dynamische Spannweite erscheint enorm geweitet. Von ppp über pp bis zum ausgreifenden ff, alle Nuancen sind da. Mehta breitet die Musik mit viel Klangsinn vor uns aus. Er nutzt auch mal ein Rubato und bringt die Übergänge der verschiedenen Tempi geschmeidig. Wenn man seine Darstellung mit einer ähnlich „big“ anmutenden Einspielung vergleichen will, so wirkt seine 67er doch noch gefühlvoller als die von James Levine. Ähnlich Sinopoli aber doch geschmeidiger und nicht so offensichtlich „nachsinnend“ hat Mehta keine scheu in die Extreme zu gehen ohne dass es so expressiv klingen würde wie bei Karajan (Live in London 1988), wo sich das Orchester bisweilen schon gewalttätig anhört. Leider unterläuft dem jungen Dirigenten bei dem Ganzen ein Malheur, das vielen nur im direkten Vergleich und aufgerüstet mit einer Partitur auffallen würde: Die 1. Violinen führen zu oft. Man vergleiche mit der Boulez-Aufnahme oder mit Jansons um die sofort geänderten Relationen zu bemerken.
Der „Klangzauber“ ab T. 249 (mit der Sordine) klingt überwältigend schön, zumindest in unseren Ohren, Fans der Sextett-Version werden unter Umständen die Stirn runzeln oder dankend ablehnen. Die 4. Strophe ist der Höhepunkt der Aufführung, die 5. dann der Abgesang.
Uber das Ganze gesehen mag der Aufführung der große Schwung wie bei Jansons oder Mitropoulos fehlen, ihre Meriten sind die schön ausgeformten Details (bei dem Tempo geht das besser als bei schnelleren) und der leidenschaftliche Aufriss. Dies ist obendrein eine der klangsinnlichsten Einspielungen überhaupt. Sie klingt vielleicht weniger nach Mahler wie die ähnlich langsame Michael Gielens als nach dem sinnenfrohen Richard Strauß oder ein bisschen sogar nach Scriabin.
Das zur Interpretation kongeniale Decca-Klangbild wirkt weit aufgespannt, eben „big“, Räumlich und sehr warm timbriert. Der „süße“ Gesamtklang wirkt leuchtend, plastisch, farbkräftig und körperhaft. Die Bässe wirken kräftig und durchgreifend. Die Aufnahme klingt klarer als die beiden Einspielungen Karajans. Nicht zuletzt wegen des saftigen, sinnlichen Klangbildes ziehen wir die alte Einspielung Mehtas der neuen aus München vor.
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4-5
Georges Sébastian
Gewandhausorchester Leipzig
Eterna, Berlin Classics, EMI
1964
30:22
Auch das Gewandhausorchester lässt sich nicht lumpen und bietet ein sehr großes Streichorchester auf. Das Stimmengeflecht wird unter der Leitung des französischen Dirigenten ungarischer Herkunft deutlich durchgezeichnet. Mit dem pp tut sich jedoch auch das GOL schwer und zwar bis zum letzten Akkord, den andere besser in der Unendlichkeit verschwinden lassen können. Dass ein überzeugendes ppp grundsätzlich kein Problem darstellt zeigt uns die Passage ab T. 105. Ganz hervorragend klingt übrigens auch das markerschütternde ff der Celli und Kontrabässe (ab T. 132). So hört man das in keiner anderen Einspielung. Und bei den kleinen Orchestren schon gar nicht. Insgesamt wirkt die Darbietung sehr expressiv, man dringt immer wieder bis zum Machbaren vor, verlässt jedoch nie die Prämisse, dass der schöne Klang nie gefährdet werden darf. Leider haben die Mitarbeiter beim VEB, die den Schnitt zu verantworten hatten bei T. 188 zu hart zugeschlagen.
Ähnlich wie in LA gelingt den Leipzigern eigens für die 4. Strophe ein besonders schönes Spiel, das ihnen so schnell niemand nachspielen dürfte. So schön ist es auch selten aufgenommen worden. Auch die Höhepunkte werden schön ausgespielt (z.B. T. 337-339 oder 389-394).
Diese Einspielung wird zu keiner Sekunde langweilig, wirkt besonders klangschön und auch sinnlich. Seltsam, dass dem Dirigenten keine größere Karriere bestimmt war. Es sind nur ein paar Opernaufnahmen (u.a. mit Maria Callas) ins tiefere Bewusstsein der Musikfreund/innen vorgedrungen.
Der Klang aus Leipzig ist voll, farbenreich und offen, seidenweich, warm und bestens aufgefächert, transparent und mit einer weiten Dynamik gesegnet. Eine ausgezeichnete Aufnahme mit einem weiten Frequenzbereich. Die DG-Aufnahme Karajans fast 10 Jahre später und eigentlich gar nicht schlecht wird in nahezu allen Bereichen übertroffen.
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4-5
Lothar Zagrosek
Bamberger Symphoniker
Orfeo
1994
31:48
Diese Aufnahme des BR stellt einmal einen Dirigenten ins rechte Licht, der sich eigentlich nur mit Raritäten auf dem Plattenmarkt hervortun konnte. Das Orchester erfreut unter seinem Gastdirigenten mit einem vorzüglichen Klang, der ein überzeugendes pp mit einschließt und enorm geschmeidig und gespannt wirkt. Es bewahrt sich trotz des hörbaren „Körpers“ und des allenfalls gediegenen Tempos eine schlank-geschmeidige Gangart. Nicht überexpressiv aber auch nicht übersensibel. Es spielt sogar mit einer gewissen Lockerheit durchaus nuancenreich, Sanftmut und Zartheit besonders verpflichtet. Es wagnert beträchtlich in dieser Einspielung, der die aufbrausende Show völlig fremd ist. Sie bietet zwar keine neuen Erkenntnisse aber das Zuhören ist ein großer Klanggenuss vom Anfang bis zum Ende. Spieltechnisch kommt sie nicht ganz an die allerbesten heran.
Die Aufnahme klingt supertransparent und körperhaft, weich, präsent und brillant. Klanglich ist sie eine besten überhaupt. Uns gefiel sie diesbezüglich besser als die 30 Jahre jüngere Chandos-Produktion mit Edward Gardner.
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4-5
Eliahu Inbal
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, unveröffentlicht
2011, live
30:45
Den deutschen Radiohörern ist Eliahu Inbal vornehmlich als Chefdirigent (von 1974 bis 1990) des RSO Frankfurt (heute: HR Sinfonieorchester) bekannt. Zum Zeitpunkt der Konzertübertragung war er übrigens gerade Chef der Tschechischen Philharmonie und des Teatro La Felice in Venedig. Er sprang damals kurzfristig für den erkrankten Riccardo Chailly ein. Auch heute ist der unermüdlich tätige 87jährige noch in leitender Position in Taipeh (Taiwan) tätig.
Einen Unterschied zur Einspielung mit Mariss Jansons ist schon gleich zu Beginn dingfest zu machen, das pp findet bei Inbal lange nicht die Beachtung wie beim Letten, oder auch wie bei den diesbezüglich mustergültigen Petrenko, Hannigan oder Philippe Jordan, um einmal die Radiomitschnitte herauszupicken. Die Mittelstimmen (Bratschen und Celli) werden hingegen sehr deutlich gemacht, gerade die Bratschenstimme scheint Herrn Inbal oder den Techniker besonders gefallen zu haben. Das bleibt bis zum Schluss des Stückes so. Wie bei Jansons ist der Streicherklang herausragend weich, geschmeidig, homogen und glanzvoll. Auch bei den solistischen Darbietungen bleiben keine Wünsche offen. Inbal behält die große Linie im Auge und das Werk klingt deutlich bewegter wie bei Hannigan oder Philippe Jordan. Wie im Gegenzug wirkt die Darbietung jedoch weniger zart und wirkt manchmal einfach ein wenig zu laut und ungebremst. Inbals Darbietung geht also eher in Richtung Thielemann als in Richtung Philippe Jordan. Teil 4 gelingt jedoch wunderbar schwärmerisch.
Insgesamt also eine gelungene Aufführung, der man das kurzfristige Einspringen des Dirigenten nicht anmerkt. Sehr klangvoll, gut gespielt und ziemlich schwärmerisch. Und ganz besonders für die zahlreichen Fans der Viola ein Schmankerl.
Der Klang ist klar, transparent, räumlich, recht voll und „zartschmelzend“. Obwohl es die älteste Radioaufnahme in unserem Vergleich ist bringt sie eigentlich den besten Klang mit (ORF-Aufnahmen können schon alleine wegen der ärmlichen Datenrate mit den ARD-Rundfunkanstalten nicht mehr mithalten, Ausnahmen bestätigen die Regel). Sie bringt auch die besten Bässe mit.
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4-5
Philippe Jordan
Wiener Philharmoniker
ORF
2021, live
30:58
Diese Übertragung aus Wien fand unter Quarantänebestimmungen wegen SARS-CoV-19 statt. Also zumindest mal ohne Publikum und sicher auch mit Masken für Dirigent und Orchester. Da wir das Konzert nur am Radio verfolgt haben, können wir uns an letzteres nichtmehr erinnern, sicher wurde es während der Übertragung einmal erwähnt, aber wie gesagt…Übrigens, vielleicht ist es sogar von Interesse, das Programm war exakt dasselbe wie und zwei Jahre später bei Thielemann. Es gab danach noch die „Alpensinfonie“. Dies war das Debutkonzert des neuen Wiener Musikdirektors bei einem Abo-Konzert der Philharmoniker.
Im Vergleich geht es bei Jordan etwas langsamer zu und viel leiser als bei Thielemann. Das pp wird mustergültig eingebracht. Zunächst vermisst man die klangliche Fülle, die bei Thielemann einfach einen höheren Stellenwert zu haben scheint und fast zwangsläufig den exzessiven sinnlichen Wohllaut. Das Reduzierte hat aber zweifellos seinen Reiz, vielleicht noch etwas feiner, graziler, schlanker und letztlich genauso schön. Nur eben anders. Hervorzuheben ist auch bei Jordan der herrlich leuchtende Sound der Violinen. Etwas schlanker eben oder anders herum formuliert, nicht so „fett“, wie immer kommt es auf die Betrachtungsweise an. Erstaunlich, wie flexibel sich das Orchester zeigen kann. Möglich ist aber auch, dass die Besetzung bei Jordan einfach kleiner ist. Monsieur Jordan hat keine Probleme geschmeidige Übergänge zwischen die vielen verschiedenen Tempi hinzuzaubern. Der Verlauf zeigt immer wieder, wie exakt zwischen p, pp und ppp abgestuft wird. Auch bei Jordan fehlt die dynamische Schärfung bei f oder ff. Da ist aber der ORF dran schuld, wie bei Thielemann auch. Die Grobdynamik wirkt einfach lasch. Daran sollte beim Sender unbedingt gearbeitet werden. Vom Tempo her wirkt Jordan ein wenig beschaulicher als Thielemann, Ein genüsslicher Klangverliebter ist er aber auch. Feinzeichnend und zartfühlend. Inzwischen scheint man den Mitschnitt auch käuflich erwerben zu können, als Download bei Idagio.
Der Klang der Aufnahme zeigt im Vergleich zu Thielemann die Streicher deutlich zurückgesetzt, also weniger präsent. Die Dynamik ist genauso verhalten. Die Aufstellung der Philharmoniker mit den Celli hinter den Geigen erscheint uns nicht optimal, denn es gilt den dialogischen Charakter in diesem Stück ganz besonders sinnfällig herauszuarbeiten. Und im Gedicht heißt es, dass das Paar nebeneinander her geht und nicht hintereinander. Das sagt auch schon etwas über das Verhältnis der beiden aus. Im Musikverein hängen sie fast schon aufeinander. Ein Schelm, wer sich böses dabei denkt. Angesichts der bescheidenen Datenrate muss man sich wundern, dass das Orchester immer noch so wundervoll klingen kann.
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4-5
Otto Klemperer
Concertgebouw Orchester Amsterdam
Archiphon
1955, live
27:30
MONO Dieses Konzert wurde vom niederländischen Rundfunk am 7.7.1955 beim Holland-Festival mitgeschnitten. Wie damals beim Rundfunk üblich fängt die Dynamik bei f an und endet bei ff. Das dynamische Band ist also sehr schmal und lässt dem Orchester kaum Reserven das ff eindrucksvoll zu gestalten. Das so wichtige pp gibt es gar nicht und ein ff erkennt man zu Beginn nur an den übersteuerten Violinen. Dieses Manko bessert sich, da haben die Techniker anscheinend nachjustiert. Im Verlauf kommt seltsamerweise auch das pp zu seinem Recht. Umso bemerkenswerter erscheint es, dass es Herrn Klemperer zu Beginn schon gelingt die rechte Stimmung zu erzeugen und die Expressivität weit zu steigern. Das Streichorchester klingt auch erstaunlich transparent, was angesichts der Umstände sehr viel bedeutet. Dass Klemperer eher schnelle Tempi anschlägt verwundert schon nicht mehr. Wenn man genug frühere Aufnahmen mit ihm kennt, weiß man, dass die spezifisch langsamen Tempi nur den schon kranken und bewegungseingeschränkten Klemperer der Spätzeit kennzeichnen.
Für den „Klangzauber“ lässt er sich allerdings Zeit. Der erzielte Effekt gibt ihm Recht. Man vergleiche nur einmal die Einspielung von Craft und erkennt, dass gerade diese Passage Zeit zum Atmen braucht. Es geht trotzdem sehr leidenschaftlich zu. Man übergeht vor lauter Aufregung dann doch wieder die leisen Stellen. Dass das auch live nicht passieren muss, zeigen die Mitschnitte von Jansons, Hannigan oder auch Philippe Jordan. Die Steigerungswellen wirken bei Klemperer sehr präsent und fast wie „elektrifiziert“. Das hört sich alles so an, als dirigiere ein viel jüngerer Dirigent. Klemperer war 1955 immerhin schon 70.
Der Rundfunkmitschnitt rauscht beträchtlich, wirkt wenig farbig und etwas höhenlastig, klingt jedoch erstaunlich präsent und transparent. Vom Publikum sind während der Darbietung nur ganz wenige Einlassungen zu hören.
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4-5
Dmitri Mitropoulos
Wiener Philharmoniker
Music and Arts
1958, live
30:43
MONO Am 28.September 1958 im Großen Saal des Wiener Musikvereins aufgenommen, entstand der Mitschnitt nur wenige Monate nach der Einspielung unter Studiobedingungen in New York. Das Tempo ist erheblich langsamer geworden, die Stimmen werden nun lange nicht so klar offengelegt und kommen auch nicht immer in der gewünschten Präsenz zu Gehör, was jedoch auch sicher klangtechnische Gründe hat. Die Live-Aufnahme aus Österreich kann letztlich nicht annähernd mit der amerikanischen Produktion unter Studiobedingungen mithalten. Auch die Stimmung erscheint nicht überall so haarscharf getroffen, jedoch ist immer noch ein sehr hohes Einfühlungsvermögen in die kompositorischen Gegebenheiten spürbar, sodass verschiedentlich sogar noch mehr Spannung aufkommt. Live ist eben manches anders. Für einen Mitschnitt aus dem Rundfunkarchiv jener Zeit kann man sich über eine relativ gute Dynamik freuen. Der ORF sollte sich heutzutage einmal selbst fragen, ob seine Mitschnitte so schlapp klingen müssen.
Mitropoulos wusste auch 1958 vom superben Streicherklang der Philharmoniker zu profitieren. Ein Traum, wenn die Decca unter den New Yorker-Bedingungen im Musikverein oder noch besser in den Sophiensälen aufgenommen hätte! Etwas von der New Yorker Leichtigkeit ist zwar immer noch spürbar, aber die Wirkung lange nicht mehr so jugendlich frisch und nicht mehr so wenig exzessiv bekümmert wie noch im März des Jahres. Es klingt in Wien eher noch zugespitzter und drängender, aber auch unausgewogener, grauer und dunkler. Ob da der dunkle Wiener Herbst schon seine Schatten vorauswarf? Die Vorfrühlingsgefühle aus New York entstehen jedenfalls nicht mehr so recht. Die Tempomodifikationen sind immer noch mitreißend gestaltet.
Mitropoulos geht Übertreibungen aus dem Weg. Das entwickelte Feuer wirkt glaubhaft und überzeugend.
Die Aufnahme klingt präsent und noch wohlklingend. Die Bässe wirken etwas unkontrolliert. Das Wiener Publikum bleibt insgesamt unauffällig. Die New Yorker Columbia-Aufnahme steht der Klang aus Wien weit zurück. Weniger klar, weniger brillant, weniger sinnlich, weniger farbig und weniger dynamisch, obwohl er als Live-Mitschnitt von 1955 ganz gut dasteht. Den Wiener Mitschnitt gibt es in verschiedenen Zusammenstellungen bei verschiedenen Labels. Der Klang war soweit überprüfbar immer sehr ähnlich.
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4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
Columbia-Sony
1950
30:42
MONO Nach der allerersten Aufnahme der Streichorchester-Version überhaupt (1934 noch nicht in der revidierten Fassung von 1943) in Minneapolis, verantwortete Mister Ormandy auch die dritte Einspielung der Streichorchester-Version in der Diskographie der „Verklärten Nacht“. Inzwischen war er nach der Zeit in der er gemeinsam mit Leopold Stokowski Chef in Philadelphia war (1936-38) bereits seit 12 Jahren alleiniger Chef. Sein Tempo ist generell zügiger geworden, die Beherrschung der Partitur souveräner. Der Klang der Streicher aus Philadelphia wirkt gleich ein paar Klassen besser. Es spielt auch viel besser als die Kollegen aus Minnesota, falls man sich dieses Urteil angesichts des bescheidenen Sounds von 1934 überhaupt erlauben darf. Es herrscht ein ganz anderes Ausdrucksniveau: Die Expressivität wird bis ins Ungestüm-Verzweifelte hineingesteigert. Beim „Klangzauber“ geht die Solo-Geige leider weit über das von Schönberg gesetzte p hinaus. Die Ponticello-Spielweise (ab T. 266) wirkt ungemein rau und beeindruckt mit ihrer Härte. Im Verlauf singen die Celli sehr intensiv und das ganze Orchester hängt sich voll rein. Leider wirkt das Schlussadagio (pp) dann wieder zu laut.
Gegenüber 1934 also eine große Verbesserung. Ormandy (nun 51jährig) und sein Orchester wirken viel leidenschaftlicher als zuvor. Ormandy geht es weniger um die Ausschöpfung der Details sondern um den großen dramatischen Drang, die große Emotion hinter dem glücklich endenden Gefühlsdrama. Damit stellt er den Gegenpol dar zu modernen Darstellungen, die das genau umgekehrt gewichten, wie beispielsweise Giuseppe Sinopoli. Schade, dass es mit Ormandy zu keiner Einspielung in Stereo mehr gekommen ist. Es wäre noch Zeit genug für ihn geblieben.
Auch diese Einspielung wurde, wie die Columbia von Mitropoulos 1958 und die 64er mit Robert Craft, aufwendig bearbeitet. Das Rauschen bleibt jedoch in diesem Fall immer noch recht aufdringlich, der Gesamtklang ist indes schon recht angenehm und transparent geworden, der Stimmenverlauf viel besser nachvollziehbar als 1934. Der 50er Jahrgang wirkt klanglich schon ausgereift und sinnlich ansprechend.
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4-5
Barbara Hannigan
Dänisches Nationales Sinfonieorchester, Kopenhagen
Danmarks Radio, gesendet von Deutschlandradio Kultur, unveröffentlicht
2023
31:44
Frau Hannigan, auch als Sängerin in allen Stilen, insbesondere bei zeitgenössischer Musik reüssierend, belässt es zuerst einmal bei einem sehr langsamen, fast bewegungslosen Entstehen-lassen einer Stimmung von Leere und Kälte. Von Gehen ist da noch keine Spur zu entdecken. Es gelingt ihr, die Streicher des ehemals unter „Dänisches Nationales Rundfunksinfonieorchester“ firmierenden Orchester pp spielen zu lassen, wo pp steht. Man sollte meinen, das wäre eine Selbstverständlichkeit, aber das ist nicht der Fall, man muss es als Verdienst erwähnen. Die Dirigentin und das Orchester machen das sehr gut, auch die Berliner mit ihrem neuen Chef Kirill Petrenko bekommen es kaum besser hin. Es wird noch besser, denn auch das ppp unterscheidet sich nochmals. Man geht mit dem besonders gefühlvollen und sensibel wirkenden Spiel sehr sorgsam auf die Befindlichkeiten der (unbenamten) „Frau“ ein (Strophe 2 des Gedichts). Es mag jedoch die letzte Expressivität fehlen und den Glanz und den sonoren Klang der Berliner oder Wiener Philharmoniker (ebenfalls Radiomitschnitte) erreicht man (noch) nicht ganz. Dem ff fehlt es mitunter ein wenig an Nachdruck. Die Präsenz und Transparenz der einzelnen Stimmen sind hervorragend. Gegenüber Petrenko fehlt es ein wenig am großen gespannten Bogen und an der übergreifenden Linie. Detailakribie geht bei ihr vor. Die mitunter besonders farbschwache Wirkung (depressive Gefühlsstimmung in der 3. Strophe) gelingt beeindruckend. Langsam, beschwert und immer das „schwach“ klingende pp im Auge. Das Adagio „Antwort des Mannes“ (4. Strophe), ebenfalls langsam und nachdrücklich, wirkt ebenfalls äußerst gefühlvoll. Da herrscht völlige Emanzipation. Barbara Hannigan nutzt viel Rubato und die Übergänge zwischen den einzelnen Tempi und das Gespräch zwischen Violinen und Celli überzeugen vollends, der Gestus macht einen recht lebendigen Eindruck.
T. 338, einer der absoluten Höhepunkte des ganzen Werkes, fff zu spielen, bleibt gegenüber den allerbesten im Ausdruck etwas zurück. Dramatischer klang es bei Thielemann oder Petrenko, in Kopenhagen klingt es vor allem traumhaft schön. Die kanadische Dirigentin sollte man im Auge behalten.
Der Klang der Aufnahme wirkt großräumig und lasst das Orchester in einem transparenten Panorama erklingen, dem es jedoch ein wenig an den richtig tiefen Tönen zu fehlen scheint (z.B. Tremolo bei T. 132). Die höhere Datenrate gegenüber dem ORF macht sich deutlich (positiv) bemerkbar. Leider war das Publikum in Kopenhagen sehr unruhig.
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4-5
James Levine
Berliner Phiharmoniker
DG
1991, live
28:42
Dies ist nach der 73er Karajan-Einspielung die zweite „Verklärte Nacht“ der DG und der Berliner Philharmoniker. Das ausgesprochen geschmeidige Spiel zeigt eine weite Dynamik wirkt jedoch, gerade wenn man es mit dem BRSO unter Mariss Jansons vergleicht, im ff vergröbert. Der Klang des Orchesters wirkt erheblich sonorer, die Spielweise organischer fließend als bei Barenboim und dem CSO. Teilweise wirkt die Musik wie emotional hochgepeitscht. Teilweise erscheinen die kulinarischen Aspekte etwas zu sehr ausgekostet, immer wird der Effekt mitgenommen. Die Virtuosität der Berliner Streicher wirkt teilweise blendend. Sie hängen sich voll rein und haben das Stück ohrenscheinlich voll drauf. Und das sicher mit viel weniger Proben als mit Karajan. Obwohl viele Musiker von den Proben zur letzten Tournee mit Karajan 1988 vielleicht immer noch profitieren konnten. Dennoch ging uns die Aufnahme mit Mariss Jansons und sogar mit dem rationalen Pierre Boulez (1973) mehr unter die Haut als diese mit James Levine, die allerdings letztere in Hinsicht auf Perfektion deutlich übertrifft. Es wirkt fast so, als stelle sich die blendende Grandezza des Orchesters ein wenig vor das Werk und verstelle den Blick auf sein Innerstes. Levine dirigiert „zusammenhängender“ als Barenboim, beachtet die große Linie besser und setzt das Stück stärker unter Spannung.
Der Klang der Aufnahme wirkt weich, sonor und lebendig. Er ist viel transparenter als bei der 73er mit Karajan, zudem körperhafter und plastischer. Die letzte Finesse der Sony-BR-Aufnahme mit Jansons fehlt ihr jedoch. Die Berliner Streicher klingen hier einfach prächtig und mit viel Bravour, manch einem Musikfreund bzw. Musikfreundin vielleicht schon zu aufdringlich und angesichts des Werkes zu wenig dezent. Ein Hochglanzprodukt und klanglich noch polierter als die Karajan-Einspielung. Über den Dirigenten verlieren wir lieber kein weiteres Wort.
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4-5
Seiji Ozawa
Saito Kinen Orchestra
Philips
1993
29:56
Auch die Darbietung des Saito Kinen Orchesters wirkt fast schon gespenstisch perfekt, besonders die Legato-Kultur beeindruckt. Die Spielweise wirkt ausgesprochen fein nuanciert. Herr Ozawa sieht in dem Stück auch eine wertvolle, zerbrechliche Preziose. Die Expressivität steht mit dem schönen Klang auf einer gemeinsamen Stufe der Wichtigkeit. Die Streichergruppen wirken absolut ausgeglichen besetzt, sodass die 1. Violinen nie die Oberhand gewinnen, wie dies bei zahlreichen Einspielungen passiert. Hier nehmen wie Anteil an vielen berückend schön gelungenen Momenten. Insgesamt fehlen hier zwar die ganz großen Gefühlsaufwallungen, der Gestus wirkt sozusagen eher fernöstlich entspannt, aber auch gewiss nicht harmlos.
Das Orchester klingt etwas distanziert, nicht so körperhaft, sonor, farbstark und brillant wie bei Jansons, Levine, Sinopoli oder Mehta (LA). Der Sound wirkt im Hochton wie abgeschnitten mit der Folge etwas stumpf und matt zu wirken. Das mag der atmosphärischen Wirkung zu Beginn sogar zuträglich sein. Die Transparenz ist dennoch gut, der Klang noch recht vollmundig. Der klangsinnliche Aspekt fällt gegenüber Jansons und Mehta (LA) etwas zurück. Es klingt aber besser als bei Chailly.
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4-5
Pierre Boulez
Concertgebouw Orchester Amsterdam
RCO
1995, live
30:57
22 Jahre nach seiner Einspielung in New York dirigierte Pierre Boulez die „Verklärte Nacht“ live im Amsterdamer Concertgebouw. Insgesamt wirkt das Werk nun nicht mehr ganz so dramatisch geschärft. Das Unternehmen profitiert von der Klanggüte des Orchesters, widersteht aber auch den Einflüssen des Live-Konzerts nicht vollends. Live heißt in diesem Fall auch ungeschnitten, wie dies bei Rundfunkübertragungen oft der Fall ist. Da sind aber nur wenige, kleinere Mängel im Zusammenspiel, die meist wenig ins Gewicht fällt. So wirken die Kontraste zwischen pp und f nicht immer hinlänglich ausgespielt, mitunter gibt es auch hier stattdessen ein wenig differenzierte Dauerforte. Der „Klangzauber“ ab T. 249 klingt wunderbar, sogar noch etwas wohliger als in New York. Das Adagio molto tranquillo ab T. 370 trifft Boulez super.
Die einzelnen Stimmen werden im Gesamtklang nicht mehr so klar separiert wie in NY. Sie fließen stärker ineinander ohne zu verwischen. Das Orchester wirkt sehr homogen. Die Dynamik wirkt weit, da gibt es keinen Rückschritt gegenüber der Aufnahme aus NY. Wir hören keinerlei Rauschen.
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4-5
Zubin Mehta
Bayerisches Staatsorchester
Farao
2002
32:24
35 Jahre nach seiner Einspielung aus Los Angeles, Zubin Mehta war nun 66 Jahre alt, lässt es sein damaliges Orchester nicht mehr so riesenhaft besetzt aufspielen. Das suggeriert zumindest der zu hörende Klang des Streichorchesters. Es klingt ähnlich eingedunkelt wie damals, sodass die Soli relativ wenig auffallen. Die “süße“ Üppigkeit und der mattschimmernde, anziehende Glanz des LAPO fehlt den Münchnern, was aber zum Teil auch der damaligen State oft the Art Decca-Technik geschuldet sein mag. Die ff klingen immer noch durchdringend und die Kontraste sind kaum schwächer geworden. Der Klang erinnert jetzt weniger an Strauss, sondern mehr an Wagner, besonders an „Tristan“. Diese Assoziation mag sich aber bei jedem anders einstellen. Der Preis für den schöneren „Klangzauber“ geht nach Los Angeles, hier wirkt er heller, „lichtduchfluteter“. Die Sinnenfreude wirkt also weniger überbordend als in LA, die Stimmungsschwankungen nicht so stark gegensätzlich wie bei Jansons oder auch bei Boulez (New York).
Die Transparenz und die Präsenz haben sich gegenüber der Decca-Aufnahme etwas verbessert, die Klarheit des Klangbildes wirkt somit leicht gesteigert. Die Aufnahme aus LA bringt schon früher (d.h. wenn das Orchester noch leiser spielt) mehr Glanz und Brillanz ins Spiel. Das Münchner Klangbild wirkt aber immer noch voll und rein. Wirkt jedoch neutraler, etwas weniger warm. Bei dieser Einspielung konnten wir nicht auf die ebenfalls erhältliche SACD zurückgreifen, mit ihr sähe der Vergleich vielleicht schon wieder anders aus. Die Streicher des Staatsorchesters stehen denen des BRSO kaum nach, wobei die Klangtechnik in diesem Fall für den BR und Sony spricht.
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4-5
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
DG
1973
29:49
In Berlin spart man ebenfalls nicht an Personal um die „Verklärte Nacht“ auf Band bzw. in die Rille zu bannen. Es sind nur noch die einzelnen Gruppen, aber keine einzelnen Spieler zu hören. Die Übergänge Tutti-Solo-Tutti sind meisterhaft gelungen, wenn man darunter in erster Linie den unmerklichen Übergang versteht. Das Legato ist typisch für Karajan extrem ausgefeilt. Das Spiel könnte kaum geschmeidiger ausfallen, nicht zuletzt dank zahlreicher Proben. Die Differenzierungen der Lautstärke sind gut, vor allem das ff ist mitunter berstend laut geraten. Mitunter erscheinen die Crescendi etwas überstürzt zu laut zu werden (z.B. bei animato T. 91). Die Violinen werden im Gesamtklang nach unserem unmaßgeblichen Eindruck minimal bevorzugt. Die Bässe lassen sich ebenfalls nicht lumpen und lassen beim Tremolo bei T. 132 die Erde beben (vielmehr den Fußboden und die Wände mitsamt dem Mobiliar). Die nächste klangliche Verwandtschaft wäre auch bei Karajan eher ein spätes Adagio von Mahler. Es klingt weniger nach Brahms, Strauss oder Wagner.
Die 4. Strophe (ab T. 229) und besonders die Passage, die an Wagners „Waldweben“ und die durch die Sordinen einen so zauberhaften Klang erhält, dass sie als Ganzes von uns „Klangzauber“ genannt wurde (ab T. 249) lässt sich sanfter und bezaubernder kaum spielen. Sehr gute Solo-Violine. Allerdings wirkt die gesamte zweite Hälfte besonders aber ab T. 407 zwar ätherisch, aber auch luxurierend. Die Streicher des Orchesters klingen wie ein riesiges Sextett, besser geht das eigentlich nicht mehr. Auf der Kehrseite des Luxusklangs steht allerdings eine nicht immer mithaltende Stimmentransparenz, die offensichtlich im Wunschkatalog Karajans nur eine untergeordnete Rolle spielte. Beim Konzert in London 1988 wurde die „Verklärte Nacht“ erneut aufgeführt und von der BBC mitgeschnitten. Nicht so perfekt und manchmal mit einer fast schon gewalttätigen Expressivität, als ob Karajan den Luxusklang von früher vergessen lassen wollte. Davon weiter unten mehr.
Der Klang der DG-Aufnahme wirkt weich und sehr einheitlich. Es klingt zwar zwischendurch sanftmütig, weil die pp gut eingepegelt werden, aber an Kraft bei der Dynamik wird nicht gespart. Die Aufnahme klingt nicht gerade brillant (wie hörten die „Originals“-Ausgabe) im Hochton aber ziemlich voluminös, sonor und fast ein wenig dick, gerade wenn man das BRSO mit Jansons noch im Ohr hat. Die Transparenz wird zugunsten des homogenen Gesamtklangs zurückgefahren.
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4-5
Riccardo Chailly
Radio-Sinfonieorchester Berlin (heute: Deutsches Sinfonieorchester Berlin)
Decca
1987
29:55
Das RSO Berlin spielt das Werk Schönbergs gut, jedoch nicht mit der Perfektion, Homogenität und Brillanz der Philharmoniker oder des BRSO. Die Expressivität bleibt moderat. Man hebt sie sich vor allem für die Höhepunkte auf (z.B. T. 175). Sehr subtil gelingt das partiturkonforme pp. Insgesamt wirkt der Orchesterklang glanzlos, die Interpretation geradlinig und bodenständig. Vom Gestus her wirkt die Einspielung der von Jansons ähnlicher als vom Klang, der weit abfällt oder vom Orchesterspiel her. Sie wirkt recht gefühlvoll, nicht überexpressiv, klangschön aber nicht besonders sinnlich. Eine Einspielung der „Mitte“.
Der Klang bietet einen Konzertsaaleindruck von einem mittleren Platz eher noch von weiter hinten aus. Der Klang der Streicher wirkt recht natürlich und recht transparent, leicht entfernt und etwas stumpf.
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4-5
Donald Runnicles
BBC Symphony Orchestra
BBC Music
2001, live
28:32
Donald Runnicles ist durch seine Zeit als GMD in Freiburg und bei der Deutschen Oper Berlin in Deutschland kein Unbekannter und muss nicht eigens vorgestellt werden. Der Streicherchor des BBC SO ist üppig besetzt. Der Beginn wirkt gravitätisch denn Mister Runnicles hat die Ruhe weg. Tatsächlich sind die Tempi auch im Verlauf schneller als sie wirken. Das Orchester spielt geschmeidig und unangestrengt, die einzelnen Soli werden sehr gut verdeutlicht. Die Darstellung der Tempoübergänge wirkt ebenfalls souverän und geschmeidig. Die Vortragszeichen werden nicht immer ganz genau befolgt, einzelne Effekte wirken bisweilen eher schwach (z.B. pizz. T. 46) oder unterbelichtet.
Das Stimmengeflecht wirkt nicht immer ganz klar durchgezeichnet, die weich klingenden Violinen („Frau“) werden auch von Runnicles besonders geliebt, sie haben auch bei ihm nicht nur viel zu sagen, sondern wirken meist stärker als Violen oder Celli. (Wie im echten Leben, könnte man meinen.)
Die Verläufe werden gut gesteigert, an den Höhepunkten wird jedoch an Vehemenz gespart, wie so oft bei Rundfunkaufnahmen fehlt da der Mut zum Risiko oder man geht beim Aussteuern „auf Nummer Sicher“. Am Orchester mag es weniger liegen. Es klingt sehr gut, spielt sehr sorgfältig bis akribisch, es fehlt ihm allenfalls der jugendliche Schwung, weshalb die Tempi langsamer wirken als sie sind. Sein Klang wirkt warm und gerundet. Insgesamt also viel mehr Licht als Schatten bei diesem Mitschnitt. Insgesamt ähneln sich die beiden Einspielungen mit dem Londoner BBC-Orchester vom Streicherklang her deutlich. Beide haben beinahe dieselbe Spieldauer. Runnicles mag vielleicht etwas inspirierter wirken (ist ja auch live), in jedem Fall aber etwas emotionaler.
Der Klang der Aufnahme aus der Londoner Barbican Hall wirkt durchaus transparent und räumlich, weich, geschmeidig und voluminös. Dass Celli und Bässe ebenfalls links positioniert wurden unterstreicht ihren über weite Strecken dialogischen Charakter nicht gerade. Die Celli kommen etwas zu kurz. Der Bass wirkt hingegen kräftig. Gegenüber der Aufnahme mit Gardner, die 20 Jahre später erfolgte, fehlt der Aufnahme etwas Brillanz. Insgesamt hören wir einen sehr angenehmen, werkdienlichen Klang.
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4-5
Edward Gardner
BBC Symphony Orchestra
Chandos
2021
28:38
Das zarte, fragile, sehr präzise Spiel stellt den Streichern des BBC SO ein sehr gutes Zeugnis aus. Die Soli kommen deutlich heraus. Die 1. Violinen dominieren auch da ein wenig zu sehr, wo sie es den Markierungen Schönbergs nach nicht unbedingt sollten. Das gilt auch für die Solo-Violine gegenüber der gleichlaut einsetzenden Solo-Bratsche. Das sind jedoch Beckmessereien, denn der Beginn gelingt sehr stimmungsvoll. Das Offenlegen des Stimmengeflechts ist Gardner ein vornehmliches Anliegen. Die expressive Ausformulierung wird hingegen nicht forciert. Der romantische Duktus schon eher, es fehlt dabei die letzte expressive Brisanz. Besonders bei der 3. Strophe irritiert das völlig entspannte Spiel, da hier das Problem der Frau zwar formuliert, aber noch nicht aufgelöst wurde. Bei anderen Darbietungen bleibt die Spannung da sehr viel höher. Mitunter sogar bis zum Zerreißen gespannt. Auch bei der 4. Strophe empfanden wir einen Spannungsabfall bevor der „Klangzauber“ einsetzt. Das superzart und klangschön gespielte Violinen-Solo begeistert hingegen. Der „Klangzauber“ wirkt als Ganzes sehr introvertiert und zurückhaltend, da pp und ppp vorbildlich berücksichtigt werden und das Tempo modert bleibt. Insgesamt wirkt diese Einspielung nicht gerade „gefühlsscheu“ aber über weite Strecken der Komposition doch zu „wohldosiert“ für so ein hochromantisches, fast schon an der Schwelle zum Expressionismus stehenden Werkes.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr transparent, offen, tendenziell ein wenig hell und weniger sonor. Der Stimmenverlauf wird sehr gut nachvollziehbar. Sehr präzise wirken auch die dynamischen Abstufungen, die das Orchester anbietet, wiedergegeben. An den Glanz des BRSO mit Jansons oder der Berliner (Levine) kommt man nicht ganz heran. Diese Einspielung konnten wir nicht als SACD hören.
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4-5
Giuseppe Sinopoli
Philharmonia Orchestra London
DG
1992
32:50
Sinopoli lässt sich viel Zeit, um die Atmosphäre des Stückes aufzubauen und auch den Zuhörer/innen, um sie auf sich wirken zu lassen. Grave heißt hier zugleich auch: mit sehr wenig Energie. Die Klagelaute werden (über)deutlich herausgestellt, den Tempomodifikationen wird nachdrücklich nachgespürt. Sinopoli lässt den feinen Verästelungen der Linien und zarten Gefühlen der Hauptperson (die Frau) viel Raum. Das klingt nun alles so deutlich, als wäre man bei einer Psychoanalyse. Rein musikalisch bedeutet das, dass die Musik mal zögerlich tastet, mal losbraust, sich aber meist einfach sehr langsam vor sich hinbewegt. Äußerst bewusst werden hier die Melodien artikuliert. Nach unserem Ermessen zerfällt der Bogen noch nicht in einzelne Bestandteile, aber da darf man durchaus anderer Meinung sein. Die Verzweiflung der Frau wirkt so schnell ein wenig zu durchdacht, es geht ihr die unmittelbare ängstliche Aufregung verloren. Sinopoli geht sehr detailfixiert vor. In der 3. Strophe wird die Resignation ganz besonders deutlich herausgearbeitet (ganz im Gegensatz zu Edward Gardner zuvor). Die 4. Strophe klingt luzide und klar, hell, bei gleichzeitiger Ausstrahlung von viel Wärme. Sie wirkt besonders gelungen. Bei der Verklärung nimmt Sinopoli besonders die Bratschen mit ihrem Pizzicato in den Fokus. Das drückt mit der gewonnenen Leichtigkeit noch zusätzlichen Optimismus aus.
Das Klangbild hat Gegenüber der Vorgänger-Aufnahme bei der DG, die mit James Levine und den Berlinern noch etwas mehr räumliche Tiefe und Differenzierungsreichtum dazugewonnen. Es kommt auch mehr Bass ins Spiel, aber die Berliner wirken erheblich sonorer im Klang. Das Orchesterspiel wirkt in dieser Aufnahme sehr deutlich und transparent. Darin kommt sie Jansons schon sehr nah.
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4
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
Testament
1988, live
30:02
Bei dieser Aufnahme können wir Anteil nehmen an der letzten Gastspielreise Karajans mit den Berliner Philharmonikern. Der Maestro war schon sehr gebrechlich und die Streitereien mit dem Orchester dauerten schon lange an, der endgültige Bruch sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Das Konzert selbst kam nur nach dem Bestehen von erheblichen Widrigkeiten zustande. Die Instrumente wurden durch einen Streik in Frankreich nicht rechtzeitig in die Londoner Royal Festival Hall geliefert, sodass das Konzert erst mit einer Stunde Verspätung und ohne Anspielprobe beginnen konnte. Die Techniker der BBC konnten sich so höchstens notdürftig auf die Sitzordnung des Orchesters einstellen und die Mikrophon-Positionierung war mehr oder weniger ein Glücksspiel. Man kann zwar davon ausgehen, dass man in einer Weltstadt wie London häufiger mal mit Missgeschicken in diesem Ausmaß zu kämpfen hat, aber der Qualität von Aufführung und Aufnahmequalität waren die Probleme sicher nicht gerade zuträglich. Vom Stress, dem die Musiker dabei ausgeliefert sind, einmal ganz abgesehen.
Die Aufführung stand also schon aus externen Gründen unter großer Spannung und berstende Spannung kommt auch in der Musik zum Ausdruck. Zu Beginn wirkt das Tempo zügiger als 1973 bei der Plattenaufnahme in Berlin, der Zugriff auf die Musik wird direkter und härter. Das pp klingt nun, wie oft bei Rundfunkmitschnitten lauter. Die dynamischen Kontraste wirken teils rabiat, werden aber von der Technik tatsächlich abgemildert, oder besser ausgebremst. Die Homogenität der Gruppen erreicht nicht ganz die Qualität von ´73. Die Transparenz der Aufnahme ist nicht die beste, da merkt man, dass es an Vorbereitungszeit gefehlt hat. Dem gegenüber steht ein fast ungebärdiger Ausdruckswille, der das Espressivo erheblich weitertreibt als bei der DG-Aufnahme und in sehr vielen anderen Aufnahmen. Die Riesenbesetzung befördert denselben sicher noch zusätzlich. An einen Dirigenten namens Karajan würde man, wenn man die Musik ohne entsprechende Kenntnis hören würde, nicht unbedingt denken. Es ist sehr schade, dass der Detailreichtum unter den Gegebenheiten da nicht mithalten kann. Die Subtilität der sanfteren Gefühlsregungen leiden jedoch und die machen einen ebenso entscheidenden Teil des Werkes aus.
Die Aufnahme rauscht mehr als die 73er DG-Einspielung, man scheint bei der BBC dieses Mal analog aufgenommen zu haben. In London klingt es etwas brillanter, noch direkter und präsenter, jedoch noch weniger transparent als in Berlin. Dynamisch wirkt die Aufnahme vergröbert. Das Orchester wurde sehr laut aufgenommen und man geht mitunter über den oberen Grenzbereich hinaus. Es wurde dann nachgeregelt. Das wirkt ein wenig so, als seien die Philharmoniker nicht unter die Räder aber doch „aus den Fugen geraten“.
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4
Vladimir Golschman
Saint Louis Symphony Orchestra
RCA Victor, EMI, Designo
1945
28:48
MONO Durch den grauen Klang der alten Aufnahme wirkt das breite Grave besonders gefahrvoll, die Stimmung verängstigt bis verzweifelt. Die Tempi werden oft zugespitzt, wenn es ums Animato geht ganz besonders. Die Mittelstimmen gehen leider oft verloren, denn die ersten Violinen leuchten sozusagen dem ganzen restlichen Streichorchester voran. Die Gefühle kochen dennoch hoch. Gegenüber der Ersteinspielung mit Ormandy von 1934 wirkt Golschman als „Zweiteinspieler“ durchaus sicherer im Umgang mit der Materie, emotionaler und zugespitzter was die orchestrale Rasanz angeht. Golschman skizziert von Beginn an bis zum Ende ein ungemein expressives Szenario, leider bleibt der Klang noch allzu bescheiden. Ein sinnlicher Klang sollte im Aufgabenheft der Tontechnik bei diesem Werk ganz weit oben stehen. Dazu fehlte es 1945 noch am technischen Rüstzeug. Das Orchester selbst übertrifft Minneapolis von 1934 deutlich, aber das Philadelphia Orchestra 1950 bleibt doch meisterhaft, wenn es um die frühen diskographischen Jahre der „Verklärten Nacht“ geht.
Störend sind die Schleifgeräusche der alten Platte, die man notgedrungen mit überspielen musste. Der dichte Klang unterscheidet nur schwarz-weiß und grau. Auf Klangfarbe durfte man allenfalls hoffen. Immerhin wird ein Übersteuern des lauten Klangs vermieden. Verzerrungen leider nicht immer. Die Bässe brummen, Mittelstimmen gehen oft verloren. Trotz der musikalischen Meriten bleibt die Einspielung wegen ihres Klangs doch eher nur von historischem Interesse.
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4
Takuo Yuasa
Ulster Orchestra, Belfast
Naxos
1998
28:23
Bei dieser Einspielung nähern wir uns der beinahe schon der Besetzungsstärke an, wie sie von einem (grossen) Kammerorchester aufgeboten werden könnte. Spieltechnisch nicht ganz auf dem höchsten Niveau wirkt das stimmige, hochexpressive, nervös-dringliche Spiel sehr beachtlich. Stellenweise erinnert sie uns an die Filmmusik zu einem Hitchcock-Thriller. Man würde sich nach der ersten Hälfte (Strophen 1-3) nicht wundern, wenn die Geschichte hier ein tragisches Ende nehmen würde. Die Soli kommen gut heraus. Der „Klangzauber“ (4. Strophe) wird sehr flott gespielt und wirkt bewegt. Der Stimmenverlauf wirkt stets deutlich und die Stimmen selbst werden richtig gewichtet. Das Spiel wirkt sehr engagiert, so als hätten die nordirischen Musiker ihre ganze Leidenschaft in ihr Spiel einfließen lassen. Nicht zuletzt durch die kleinere Besetzung wirkt die „Verklärte Nacht“ leichtgewichtiger als üblich. Eine ernstzunehmende Alternative, die das Stück leidenschaftlich aber klanglich ein wenig nüchterner erleben wollen.
Wir hören der Aufnahme ein leises Restrauschen an. Der Klang wirkt nicht so sinnlich wie bei den bekannteren Orchestern (Berliner, BRSO, Philharmonia, New York Philharmonic). Der leicht sachlich-herbe Klang erlaubt der Musik kein Schwelgen im Luxus-Sound.
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4
Leopold Stokowski
Leopold Stokowski Symphony Orchestra
EMI
1960
28:16
Vom Klangmagier Leopold Stokowski sind uns bei unserer Recherche vier Aufnahmen begegnet. Die drei übrigen, derer wir leider nicht habhaft werden konnten sind: 1) 1952 ebenfalls mit einem eigens von Stokowski zusammengestellten Streichorchester für RCA, 2) 1957 mit den Streichern des Los Angeles Philharmonic Orchestra für Capitol (Capitol in USA, EMI in Europa) eingespielt, die daher häufiger mit der uns vorliegenden verwechselt wir, die jedoch 1960 zwar ebenfalls für Capitol aber in New York aufgenommen wurde. Und 3) ebenfalls in New York entstand eine Live-Aufnahme mit dem Symphony oft he Air (das umbenannte, nach dem Tode Toscaninis an die Luft gesetzte NBC Symphony Orchestra). Der Verdacht liegt nah, dass man anschließend mit den Musikern, oder in Teilen umbesetzt, ins Studio ging, um die uns vorliegende Einspielung zu machen.
Den Einspielungen Stokowskis eigen ist, dass er die Solopositionen, die ja in der Partitur von 1943 auch zu Soli herangezogen werden, nicht selten mit prominenten Musikern besetzt hat. So spielt z.B. kein geringerer als Leonard Rose das Solocello in der Aufnahme von 1952, 1960 wurde Walter Trampler als 1. Bratscher aufgeboten. Der verstärkte 1991 auch noch das Juilliard Quartett in der Sony-Aufnahme und war auch Mitglied im Beaux Arts Trio. Viele Aufnahmen hat er auch mit dem Guarneri Quartett zusammen gemacht.
Stokowski lässt sein Streichorchester erwartungsgemäß ganz schön schwelgen. Wo dürfte er das eher, wenn nicht bei der „Verklärten Nacht“? Die Stimmen klingen homogen und keine sticht heraus, auch die ersten Violinen ordnen sich gut ins Stimmengefüge ein. Immer wieder werden einzelne Stimmen plastisch herausgehoben, stets im Einklang mit den Hervorhebungen in der 1943er Partitur. Manche Passage hört sich dennoch ganz anders an als gewohnt woran Stokowskis spezielle Phrasierung mit dem individuellen Bogenstrich sicher einen Anteil hat.
Irritiert hat uns Stokowskis Tempo bei der 4. Strophe, also auch beim „Klangzauber“ ab T. 249, bei dem er tatsächlich mit der schnellste ist, obwohl man durch ein Ritardando dorthin gelangt, das durch ein neues Tempo nicht aufgelöst wird.
Insgesamt fehlt es uns in dieser Einspielung ein wenig an der phrasenübergreifenden, gespannten Expressivität und vor allem an erfahrbarer Dynamik. Die Technik lässt das Orchester dabei ziemlich im Stich. Wenn die Dynamik fehlt, geht der Musik viel von der einkomponierten Lebendigkeit verloren.
Der Klang der Aufnahme ist relativ stumpf und wie gerade erwähnt wenig dynamisch. Das Orchester kommt recht wenig präsent ins Bild, klingt aber recht transparent. Die wohligen Bässe wirken prominent, die Violinen leider ein wenig gepresst. Wenn man an den Referenz-Klang der RCA-Aufnahme von Enescus „Rumänischer Rhapsodie“ zurückdenkt, ebenfalls von 1960 und ebenfalls in New York aufgenommen, muss man in diesem Fall den Wechsel des Labels sehr bedauern.
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4
William Boughton
English String Orchestra
Nimbus
1987
26:36
Auch diese Einspielung bringt eine große Besetzung ins Spiel, die weit über die eines Kammerorchesters hinausgeht. Dynamisch ist sie durchaus weit gefächert (es gibt ein echtes pp) und auch der stimmungsvolle Beginn gelingt. Jedoch „verschluckt“ die hallige , das Orchester weit auseinanderziehende Akustik manches Detail. Anderes bleibt lasch oder mau, z.B. das Tremolo von Celli und Bässen (T. 132). Der Diktion fehlt es in den dramatischeren Passagen einfach am erforderlichen Biss. Insgesamt wird weich, gefühlvoll, ja sogar sanftmütig gespielt. Die Spielanweisung Schönbergs vom Anfang des Stückes „very soft“ wird hier auf das ganze Werk übertragen. Das ist jedoch allenfalls die halbe Wahrheit.
Der Klang der Aufnahme ist etwas zu hallig und sehr großräumig geraten. Die Violinen wirken in dieser Einspielung sehr weit von den Celli entfernt und gegenüber diesen zurückgesetzt. Der Gesamtklang wirkt mitunter etwas diffus ist aber von einer sehr weichen und anschmiegsamen Wärme gekennzeichnet.
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4
Paul Kletzki
Israel Philharmonic Orchestra
Columbia-BnF
ca. 1954
27:06
MONO Diese Einspielung kann der 1950er Ormandy nichts hinzufügen oder gar sie gar verbessern. Die Expressivität wurde wieder etwas zurückgenommen, der Zugang wirkt sehr ernst. Die Strophen 4 und 5 klingen weniger überschwänglich und trockener. Auch die Transparenz hat sich nicht verbessert. Das Orchester spielt gut und engagiert, kommt aber an Ormandys Orchester aus Philadelphia nicht heran. Aufgefallen ist ein grober Schnitt vor der 5. Strophe (T. 370), bei dem man nicht weiß, ob er bereits auf der Platte war oder ob er bei der Digitalisierung der LP aus den Beständen der Bibliothèque de France entstanden ist.
Der Klang wirkt aber deutlich klarer als bei der 45er von Golschman, bleibt aber immer noch eng und relativ wenig brillant. Diesmal gab es keinen sinnlichen Hochgenuss beim Hören der „Verklärten Nacht“.
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4
Yoel Levi
Atlanta Symphony Orchestra
Telarc
1993
34:21
Nach dem betont langsamen Einstieg muss man sich bei dieser Einspielung auf ein äußerst behutsames, fast behäbiges Voranschreiten einstellen. Sie ist noch ein paar Sekunden langsamer als die Einspielung Michael Gielens und somit die langsamste überhaupt. Ihr ist im Gegensatz zur Einspielung Gielens jedoch jede Intensität und Dringlichkeit abhandengekommen. Wir betrachten die Szenerie somit wie unter einem emotionalen Weichzeichner, der die Probleme („der Frau“) wenn nicht komplett wegfiltert, so doch zumindest deren Intensität im Gefühlsleben stark herabsetzt.
Das bringt allerdings nicht nur Nachteile mit sich, denn das Orchester spielt besonders schön und scheint das Stück mit Genuss ein wenig zu zelebrieren. „Hört nur her wie romantisch die Musik Schönbergs klingt und ihr habt sie bisher gemieden!“, scheint uns diese Darbietung zurufen zu wollen. Ob da sogar ein missionarischer oder didaktischer Eifer dahintersteht? Das zu vermuten wäre Spekulation.
Die Kontraste wirken stets vermittelnd und wenig scharf, ähnliches gilt auch für die gegensätzlichen Tempi. Dem Musizieren fehlt der Druck und durch das lahme Tempo fehlt ihm auch die Spannung. Der „Klangzauber“ bei Schönbergs „Waldweben“ klingt dennoch wunderschön. Levi hat die Ruhe weg. Insgesamt erscheint uns die Lesart jedoch zu entspannt, die „Verklärte Nacht“ fürs Kaffeekränzchen und für alle, die es lieber etwas ruhiger als leidenschaftlich mögen. Das hat ja auch was. Uns kam die Darbietung so vor, als erzählte der Großvater seinen Enkeln, wie es damals 1899 mit der Beziehung zu Oma angefangen hat. Nostalgisch. Ein abschließendes „verklärtes“ Schwelgen lässt sich dieser schön klingenden Erzählung nicht absprechen.
Das Orchester ist in einem weit aufgespannten Klangbild zu hören. Es klingt weich, recht voll und recht brillant. Etwas weniger farbig als BRSO, BP oder auch das Philharmonia aus London. Die mittlere Distanz zum Hörer verstärkt eine gewisse Unverbindlichkeit, die von der Interpretation noch verstärkt wird. Durch das saubere und klangschöne Spiel bei gleichzeitigem Fehlen an Dramatik tritt die Kulinarik stark in den Vordergrund und verselbstständigt sich.
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4
Robert Craft
CBC Symphony Orchestra
Columbia-Sony
1963
24:56
Robert Craft, in der Schallplattengeschichte besonders als Adlatus von Igor Strawinsky bekannt geworden, der in dessen späten Jahren für ihn Konzerte und Aufnahmen vorbereitete (u.a. auch die Orchester bei Proben dirigierte und mitunter auch bei Vorstellungen, wenn Strawinsky unpässlich war)), machte sich auch für die sogenannte Zweite Wiener Schule stark. Ihm ist die erste Gesamtaufnahme der Werke Schönbergs zu verdanken und unseres Wissens hat er auch Berg und Webern zuerst in einem größeren, zusammenhängenden Rahmen eingespielt. Eine zweite Gesamtschau entstand später für Naxos, wobei die „Verklärte Nacht“ bereits 2000 zuerst bei Koch erschienen ist (mit dem Philharmonia Orchestra). Erneut eine Aufnahme, die wir leider nicht in den Vergleich aufnehmen konnten.
Mit dem Orchester des kanadischen Rundfunks legt Robert Craft die schnellste Aufnahme von allen vor. Es spielt gut, kann sich aber mit der Perfektion und der Expessivität der New Yorker unter Mitropulos in der Vorgänger-Aufnahme bei Columbia nicht ganz messen. Es wird tüchtig eingeheizt, mitunter sogar gehetzt, ein Eindruck der sich bei Mitropoulos, dessen Tempi ähnlich schnell sind (in New York, nicht in Wien), nie einstellt. Mit den vielen verschiedenen Tempi kommt Mister Craft auch nicht sonderlich überzeugend zurecht und mitunter scheint er sie sogar zu ignorieren. Die dynamischen Anweisungen werden vom eingeschlagenen Tempo ebenfalls mitunter förmlich überrannt. Alles wirkt irgendwie zum Lauten hin gleichgemacht, kaum ein pp findet einmal den Weg zum Gehör des Zuhörers oder der Zuhörerin. Kontraste wirken eingeebnet.
Insgesamt ergibt sich ein ziemlich oberflächlicher Eindruck. Der „Klangzauber“ (ab. Z. 249) wirkt nüchtern und durch die Solo-Violine ziemlich hell. Es sind einige fragwürdige Schnitte zu hören (z.B. bei Z. 277) und immer mal wieder wirkt das Musizieren an der 1. Violine orientiert, ohne dem Rest die gebührende Transparenz zu verleihen. Sollte Robert Craft versucht haben, die Mitropoulos-Einspielung zeitlich noch zu toppen? Insgesamt weist die Einspielung viele musikhandwerkliche Mängel auf.
Die Einspielung von Craft wurde 2023 neu überspielt, wie die Columbia-Aufnahme Mitropoulos´ und Ormandys auch. Trotzdem rauscht sie vernehmlicher als die fünf Jahre ältere. Die Gruppen wirken sehr transparent, die Soli heben sich deutlich vom Tutti ab. Der Gesamtklang wirkt hell aber die New Yorker haben den Kanadiern einen sinnlicheren Klang voraus, was nicht heißen soll, dass man letzteren nicht mit Genuss zuhören könnte. Insgesamt wirkt die Aufnahme viel neuer als sie ist. Allerdings muss man ihr den völligen Mangel an klanglicher Wärme gerade bei diesem Stück vorhalten. Uns wirkt sie auch klanglich zu intellektuell und nüchtern.
Die Verantwortlichen bei CBS haben das vielleicht ebenfalls so gesehen, es dauerte nämlich nicht lange, da war von der Gesamtaufnahme der Schönberg-Orchesterwerke mit Craft auf dem Markt nichts mehr zu sehen. In Deutschland sind einige Platten daraus gar nicht erst erschienen. Statt sie später wieder zu veröffentlichen hat man lieber gleich eine Neuproduktion mit Pierre Boulez als Dirigenten gestartet.
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3-4
Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra
Teldec
1994
29:20
In den 27 Jahren, die seit der ersten Einspielung mit dem English Chamber Orchestra vergangen sind, hat sich die Sichtweise Barenboims auf das Werk nicht hörbar geändert. Die Tempowahl ist ganz ähnlich geblieben, die Leidenschaft wirkt gebremst, es fehlt am rechten Schwung, die Musik wirkt episodenhaft, ohne dass wie bei Sinopoli eine geschärfte Sicht auf das Detail dabei herauskäme. Der Stimme der ersten Violinen gilt die Hauptaufmerksamkeit. Bei Takt 189, 190, 192 wird jeweils die winzige kleine Atempause überspielt (wie bei Karajan). Die beiden „subjektiv-dialogischen“ Strophen 2 und 4 klingen genauso wie die eher beschreibenden Strophe 1 und 3. An keiner wirkt man restlos innerlich beteiligt.
Bei der 4. Strophe werden die Celli erfreulicherweise deutlich herausgestellt, bei „Klangzauber“ ab T. 249 wird die Solo-Violine jedoch überdeutlich exponiert. Das „Waldweben“ der anderen Stimmen wird so leise gespielt, dass man es kaum noch hören kann. Der zauberhafte Effekt kommt jedoch genau von den fließenden Bewegungen der 2. Violinen und Bratschen auf denen die Solo-Violine so schön abheben kann, wie ein Vogel, der sich nach und nach in die Lüfte aufschwingt. Bei keiner anderen Aufnahme ist davon so wenig zu hören wie bei dieser.
Sehr schön klingt dann die 5. Strophe, da sind die Stimmen kompositorisch nicht mehr so reich verwoben und deshalb können die 1. Violinen endlich mal so richtig ätherisch „auftrumpfen“.
Trotz all der Einwände spielt das Orchester gut und bringt viele schön klingende, gelungene Passagen hervor aber trotzdem wirkt die Aufnahme so als würde über die „Verklärte Nacht“ eher referiert, als mit dem Paar möglichst hautnah miterlebt. Man ist kaum gepackt und fast stellt sich das Gefühl von Langeweile ein.
Noch ein paar Bemerkungen zu Klang: Er wirkt spröder als bei Jansons aber etwas brillanter als bei Karajan 1973, zugleich aber auch dünner, mit weniger Körper und flacher. Der Streicherchor wirkt lange nicht so transparent wie bei Jansons, wirkt aber ganz gut in die Breite gestaffelt. Insgesamt wirkt er leicht distanziert und ein klein wenig höhenbetont. Es fehlt ihm die sonore Fülle der Berliner 1973.
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3-4
Jascha Horenstein
Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden
Vox, Turnabout, Preiser, Hässler
1956
28:52
MONO Dem Orchester aus Baden Baden, geschätzt und berühmt besonders für seinen Einsatz für die Neue Musik, gebührt das Verdienst, die erste Aufnahme der “Verklärten Nacht“ in Deutschland gemacht zu haben. Wenn man Klemperers Live-Aufnahme aus Amsterdam nicht veröffentlicht hätte, wäre es sogar die erste Aufnahme in Europa gewesen. Leider kann man nicht sagen, dass sich Jascha Horenstein und/oder das Orchester dabei besonders engagiert gezeigt hätte(n). Die Solo-Stellen kommen nur schlecht heraus, die sf bleiben schwach, das Pizzicato bei T. 46 ebenfalls. Mit dem pp-Spiel nimmt man es nicht immer genau genug. Das Ponticello klingt zwar sehr deutlich, aber auch enorm schwerfällig. Dass ausgerecht hier ein sehr leises pp gelingt überrascht angesichts des bisherigen Verhaltens. So schön leise gelingt es nur wenigen. Danach findet Horenstein jedoch erneut keinen Zugang zu den leisen Zügen des Werkes. Man empfindet sein Dirigat, d.h. das Spiel des Orchesters, das den Dirigentenwillen ja widerspiegeln sollte als eine Übertreibung der expressiven Seite der Komposition. Der Detailreichtum leidet ganz empfindlich darunter. Die 4. Strophe wirkt so fast schon wie eine Dauerekstase, zumal das Stimmengeflecht schon deutlicher gemacht wurde. Das Orchester hält sich insgesamt recht wacker, man merkt ihm jedoch an, dass es noch nicht so recht mit dem Werk vertraut war. Vielleicht hatte man nicht genug Probenzeit oder vielleicht hat es sich der Dirigent einfach ein bisschen zu leicht gemacht. Wenn man eine klassische Mono-Aufnahme hören möchte, greife man besser zu Klemperer (1955) oder Ormandy (1950).
Der Klang der Hänssler-Ausgabe hörte sich so an, als hätte man eine LP digitalisiert, ähnlich wie die von der Bilbiothèque National de France digitalisierte Platte klingt sie dann auch. Es klingt nicht mulmig, aber doch etwas gepresst und das Grau in Grau dominiert. Die Studioaufnahme klingt bereits ziemlich brillant und transparent aber bassschwach. Ein dünner Klang, der kaum Wärme ausstrahlt und höheren Ansprüchen kaum genügen kann.
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3-4
Eugene Ormandy
Minneapolis Symphony Orchestra (heute: Minnesota Orchestra)
RCA Victor, EMI
1934
32:39
Der junge Ormandy war von 1931 bis 1936 Chef in Minneapolis, bevor er nach Philadelphia ging. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war er 35. Es ist die erste dokumentierte Einspielung der „Verklärten Nacht“ mit einem großen Orchester und, da es die revidierte Partitur von 1943 noch gar nicht gab, spielte man wahrscheinlich noch aus Noten, die auf dem ersten Arrangement von 1917 beruhten. Auffallend ist auch, dass sie nicht in einer der Metropolen, wie New York oder Philadelphia entstand, wo damals noch der rührige Stokowski die Leitung innehatte. Die Tempi wirken trotz des jugendlichen Alters des Dirigenten ziemlich „gesetzt“ und gewichtig. Die Übergänge zwischen den vielen verschiedenen Tempi gestaltet er bereits gut und auch die dynamischen Unterschiede werden schon sehr gut hörbar, besonders wenn man sie mit heutigen Rundfunkmitschnitten aus Österreich vergleicht. Dass die ff bisweilen eine Tendenz zum Übersteuern mitbringen, macht die Expressivität sogar noch schmerzlicher. Der klangsinnliche Aspekt des Werkes wird jedoch nicht eingelöst. Zudem spielt das Orchester auch nicht immer ganz sauber.
Die Solo-Passagen werden schön gespielt und die Stellen die Schönberg in der Revision von 1943 als priorisiert, weniger priorisiert und gar nicht priorisiert gekennzeichnet hat, bringt Ormandy im Wesentlichen ebenfalls zu Gehör. Ormandy folgt zwar keinem romantischen Musizierideal, bleibt auf dem geradlinigen Pfad, ohne indes gefühllos zu wirken. Gegenüber seiner zweiten Einspielung von 1950 wirkt die erste jedoch blasser und relativ eindimensional. Für sich betrachtet ist sie immer noch von historischem Interesse. Den Charme die „Verklärte Nacht“ das erste Mal für die Nachwelt festgehalten zu haben, wird ihr niemand nehmen können.
Trotz eines nicht näher datierten Remasterings bleibt der Klang der Aufnahme „historisch“. Sie klingt insgesamt flach, blass und besonders im ff noch verzerrt. Die einzelnen Schellack-Platten, die zur Überspielung herangezogen wurden, haben verschiedene Rauschniveaus. Oft aber nicht immer rauscht es stark. Celli und Bässe sind oft undeutlich, was man von den Violinen nicht schreiben kann. Wenn man das Werk kennt, kann man dennoch alle Stimmen erkennen, für Neulinge wird es schwieriger. Das Knistern der Platten konnte nicht restlos eliminiert werden.
Vergleich fertiggestellt am 23.11.2023