Jean Sibelius
Lemminkäinen zieht heimwärts
Legende für Orchester op.22 Nr. 4
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Werkhintergrund:
Wie schon bei der Einleitung zum CD-Vergleich des zweiten Stückes aus den Vier Legenden op. 22 „Der Schwan von Tuonela“ bemerkt, flossen die Kalevala- und Opernideen des Jean Sibelius 1895 in vier sinfonische Legenden über den finnischen Helden Lemminkäinen op. 22. Jede der Legenden trug eine Überschrift und verfügte über einen Bezug zur Kalevala, dennoch mochte sich Sibelius nicht zu textgebundener Musik entscheiden. Vielmehr ging es ihm um den „Ausdruck eines seelischen Zustandes“, um Stimmungen und Atmosphäre. Damit war er ganz nahe bei Beethoven, der für seine Sinfonie Nr. 6 „mehr Ausdruck der Empfindungen als Malerei“ reklamierte. Zugleich rückte der viersätzige Zyklus zu einem Versuch einer Art Sinfonie auf, der kurz danach in der Sinfonie Nr. 1 seine Konkretisierung erfahren sollte. Vorerst zog der skrupulöse Komponist zwei der vier Sätze wieder zurück. Mehr als 40 Jahre später, 1939, gestattete der Komponist die Veröffentlichung aller vier Legenden, nachdem er die ausgesparten Sätze zuvor gründlich überarbeitet hatte.
„Lemminkäinen ist der Kriegsheld, der Achilles der finnischen Mythologie. Dessen Unerschrockenheit und Schönheit machen ihn zum Liebling der Frauen. Von einer langen Reihe von Kriegen und Kämpfen erschöpft, entschließt sich Lemminkäinen, sein Heim wieder aufzusuchen. Er verwandelt seine Sorgen und Bekümmernisse in Streitrosse und begibt sich auf den Weg. Nach einer an Abenteuern reichen Rittes gelangt er endlich in sein Heimatland, wo er die Stellen wieder findet, welche so voll an Erinnerungen an seine Kindheit sind.“ Sigmund Freud wäre begeistert über ein solch bejahendes Lebenskonzept (Sorgen in Streitrosse verwandeln, was für ein Konzept!) bei gesunder Besinnung auf die Wurzeln der Kindheit in Form von Halt, Orientierung und Energiequelle.
Simpler 2/4 – Takt, ein fast ganz durchgehender, galoppierender Bewegungsimpuls, strahlende Es-Dur – Schönheit lassen keinen Zweifel daran, dass es seiner Mutter seinerzeit tatsächlich gelungen ist, den Helden nach seiner (Selbst-)Zerstörung, hier „Zerstückelung“ genannt wieder auszurichten, zusammenzusetzen und heimzuholen (im 3. Teil, „Lemminkäinen in Tuonela“).
Formelle Probleme gibt es in der meisterhaften letzten Legende „Lemminkäinen zieht heimwärts“ (Lemminkäinen palaa kotitienoille) keine, zumindest sind sie nicht auffällig. Seine beste Wirkung erziehlt das Stück allerdings, wenn es auch als letztes der vier Legenden gegeben wird und so ein echtes Finale ist und nicht lediglich als isolierter Rausschmeißer dient. Das Fagottmotiv am Anfang beinhaltet einen Keimling dreier Töne. Mit dessen Variationen zieht Sibelius durch das ganze Rondo des Finales.
Sibelius' motivische Entwicklungstechnik ist schon auf eine meisterliche Ebene herangereift. Von c-Moll bis zum „heimwärts“ in Es-Dur wird deutlich über die „östliche Route gegangen“. Auch der Rückschlag der Becken bringt einen geradezu orientalischen Ton in die Musik. Der Kritiker Ferdinand Pfol von den „Hamburger Nachrichten“ fand 1900 auch „gezerrte Akzente und schwere Betonung auf der ersten Note, wie die ungarischen Zigeuner es mögen.
Das „Reitakkompagnement“ führt die Legende zu einem freudenreichen Ende. Dabei entfaltet sich geradezu eine soghafte Wirkung, ein unwiderstehlicher Drive. Am Ende hört man geradezu, wie Lemminkäinen auf seinem Pferd zu Hause ankommt.
„Ich möchte, dass wir Finnen etwas mehr Stolz hätten. Nicht den Kopf hängen lassen! Wofür sollten wir uns schämen? Dieser Gedanke zieht sich durch die Heimkehr von Lemminkäinen. Lemminkäinen kann sich mit jedem Grafen vergleichen. Er ist ein Aristokrat, durchaus ein Aristokrat“, erklärte Sibelius in einem 1921 veröffentlichten Interview.
Als Ganzheit kommt die Lemminkäinen-Suite (Lemminkäissarja) einer Symphonie überraschend nahe: Es gibt den ersten Satz, der die Sonatenform nutzt („L. und die Jungfrauen auf der Insel Saari“), es gibt den langsamen Satz („Der Schwan von Tuonela“), das infernale Scherzo („L. in Tuonela“) und das freudenvolle Finale („L. zieht heimwärts“). Sibelius neigte auch selbst in seinen alten Tagen dazu, die Symphonieartigkeit seines Werkes zu betonen. Eigentlich habe ich neun Symphonien geschaffen, denn beide, Kullervo und Lemminkäinen, enthalten rein sonatenförmige Sätze“, erwähnte er.
Während er das Werk komponierte, wollte er jedoch die Bezeichnung Symphonie nicht benutzen. Vier Legenden – der Name gab zu verstehen, dass die Werke auch selbstständig waren, obwohl sie auch eine Ganzheit bildeten. Deshalb haben wir auch keine Scheu nach der zweiten nun auch die vierte Legende getrennt von den anderen Legenden in den verschiedenen Aufnahmen zu vergleichen.
Es vergingen noch ein paar Jahre, bis Sibelius dann tatsächlich seine Symphonie Nr. 1 e-Moll komponierte und es nochmals erheblich interessanter in seiner Musik zuging.
Zum Vergleich genutzt wurde die Taschenpartitur Nr. 3779 von Breitkopf und Härtel
zusammengestellt bis 7.1.2021

Jean Sibelius um das Jahr 1899, zur Zeit der Komposition der "Vier Legenden".
Vergleichende Rezensionen:
5*
Sir John Barbirolli
Hallé Orchestra, Manchester
EMI
1966
6:21
Barbirolli hat von den „Vier Legenden“ nur den „Schwan“ und die „Heimkehr“ eingespielt, das aber großartig. Er entfacht nämlich mit seinem Orchester, dem er über viele Jahre als Chef verbunden war, einen glühend leidenschaftlichen Impetus, den er während des Stückes sinnfällig modifiziert. Beispiele hierfür gibt es – trotz der kurzen Dauer des Stückes - in Hülle und Fülle. Beschränken wir uns auf ein paar Hinweise: Akzente werden vom hoch konzentrierten aber gleichwohl mit abgehobener Geläufigkeit musizierenden Orchester mit der gebotenen Heftigkeit gesetzt, so dass es für den Hörer eine Wonne ist. Die Durchführung bei I wird im Tempo mitreißend angezogen, das Blech begeistert beim fff bei M mit schneidigem Biss. Bei O (übrigens nach unseren Meinung eine der schönsten Passagen im ganzen Stück) phrasiert das gesamte Holz herrlich frisch und zudem perfekt zusammen. Alle Steigerungen sind einfach toll gelungen, das stringendo ab T. 391 gar atemberaubend. Ab T. 397, wenn Lemminkäinen schließlich die Heimat erreicht, bietet Barbirolli (nun im Presto!) ungebremste Dynamik und herzhaftes fff und bringt dadurch wie kaum ein anderer die ungebremste Freude zu Ausdruck, endlich wieder zuhause zu sein. Viele verfallen da in einen lässigen Trab, statt weiter zu galoppieren. Barbirollis Ross ist weniger ein Warmblüter, eher ein Heißblüter (nur in der Musik gibt es so etwas, nicht in der realen Welt der Pferde).
Unterstützt wird die entflammte Darbietung von praller und wuchtiger Dynamik, glasklarer Transparenz, und einer selten anzutreffenden Körperhaftigkeit. Auch die Techniker sahen sich angesichts der besonderen Umstände wohl genötigt ihr Bestes zu geben.
5*
Okko Kamu
Finnisches Radiosinfonieorchester Helsinki
DG
1975
6:03
Obwohl zwischen der Einspielung der 3. Sinfonie und der vier Legenden nur zwei Jahre liegen, präsentiert sich das Orchester nun in bestechender Toppform. Trotz des hohen Tempos fehlt der Darbietung jeder Anflug von Flüchtigkeit. Nach einem deftig akzentuierten „Startschuss“ beginnt ein elektrisierender, rasant zu nennender Galopp, den man den Musikern (nach kennenlernen der Einspielung der 3. Sinfonie) nicht unbedingt zugetraut hätte. Sie klingen nun virtuos und erheblich schlackenloser, zudem rhythmisch bestens akzentuiert. Das pralle Blech begeistert. Die Entwicklungsverläufe sind stringent, das Zusammenspiel sehr präzise, der Gesamtklang wirkt brillant. Es wird ein enorm hohes Maß an Spannung erzeugt. Das auch bei Barbirolli angesprochene stringendo ab T. 391 ist auch hier absolut mitreißend.
Der Klang der (offenbar neu abgemischten) Aufnahme ist etwas flächiger und nicht so körperhaft als diejenige Barbirollis, aber absolut transparent, super dynamisch und sonor. Die Einspielung Kamus war die furiose Überraschung des Vergleiches.
5
Paavo Järvi
Stockholm Philharmonic Orchestra
Virgin
1996
6:22
Interessant ist bei dieser Einspielung auch der Vergleich mit den Einspielungen des Vaters Neeme Järvi, zumal dessen zweite Einspielung im gleichen Jahr erfolgte. Auffallend ist der dramatischere und bewegtere Zugriff des Sohnes. Das Orchester wird zudem zu stärker akzentuiertem Spiel angehalten, was das gesamte Orchester auch minutiös und sehr engagiert umsetzt. Die Stimmenverläufe sind glaskar verfolgbar. Das Blech spielt noch etwas zupackender. Das stringendo ab T. 391 gelingt ausgezeichnet und noch gestraffter als bei Neeme. Auch das Presto wirkt zupackend. Auffallend ist die hohe Transparenz der drei Ebenen Streicher, Holz, Blech, die Sibelius häufig als Blöcke verwendet. Paavo hält sie einerseits gut auseinander, verzahnt sie aber auch wieder sehr gut miteinander. Eigentlich ein Paradoxon. Dessen ungeachtet gelingt es hier vortrefflich. Auffallend auch, dass sich Paavo, trotz des scharfen Rittes, eine gewisse Leichtigkeit im Gestus bewahren konnte. Der Klang der Aufnahme ist auch direkt nach den beiden Aufnahmen des Vaters gehört, mindestens genauso gut gestaffelt und ebenso transparent, kann es also auch in dieser Hinsicht locker mit den beiden Einspielungen des routinierten und damals sehr viel aufnehmenden Vaters mithalten.
5
Esa – Pekka Salonen
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1991
5:58
Der mitunter den glutvollen Impetus scheuende Salonen legt eine souverän dirigierte und vom Orchester ebenso gespielte Einspielung vor. Man kann sie durchaus als spannend, gar leidenschaftlich von A bis Z nennen, wenngleich sich auch eine akribische Detailgenauigkeit in den Focus des Hörers schiebt, die, so kurios das klingt, die Leidenschaft wieder etwas abschwächt. Der Intellekt obsiegt noch etwas der Emotion. Ideal wäre aus Aufgehen des Einen im Anderen. Das fällt besonders gegenüber dem direkt im Anschluss gehörten Aufnahme Sarastes auf, der die Details mehr in den gesamten Fluss der Musik einbettet, statt sie so offen und so bewusst hervorzuheben. Was bei Salonen aber besonders gefällt ist die außerordentlich deutliche Fagottstimme. Das Fagott spielt von den Holzblasinstrumenten die weitaus meisten Passagen. Sibelius muss es geliebt haben und Salonen trägt dieser Tatsache Rechnung. Aber auch die Gran Cassa erhält einen prominenten Platz im Gesamtgefüge. Die Steigerungswellen und das Stringendo ab T. 391 gelingen so mit großer Vehemenz. Salonens Aufnahme, direkt nach der von Sakari gehört, macht in dieser Hinsicht einen gewaltigen Unterschied in allen Bereichen deutlich. Sie klingt auch erheblich klarer und aufgeräumter, auch erheblich dynamischer und deutlich brillanter.
5
Jukka – Pekka Saraste
Toronto Symphony Orchestra
Finlandia
1998
6:33
Sarastes Einspielung, im Tempo eher gemäßigt, macht dennoch einen frischen, temperamentvollen, ja aufgewühlten Eindruck. Auffallend ist die dichte gespannt wirkende Atmosphäre, die sie zu erzeugen weiß. Das von der Tonträger – Industrie nicht sonderlich bedachte Orchester, dessen Chef Saraste damals war, spielt hier groß auf. Die klanglichen Valeurs werden voll aber nicht geschmäcklerisch ausgekostet. Das Blech klingt knackig. Hervorzuheben ist der gut herausgearbeitete Unterschied von ff bei L gegenüber fff bei M. Bravo. Das klingt nämlich bei fast allen gleich. Das Stringendo ab T. 391 lässt sich Saraste ebenfalls nicht entgehen, das ffff bei Quasi Presto bei erreichen der Heimat klingt super. Danach lässt er sein Ross eher locker ausgaloppieren, allerdings bei großem Jubel.
Die Dynamik der Aufnahme ist satt. Die Transparenz ausgezeichnet, ebenso die Staffelung. Der Gesamtklang ist angenehm voluminös.
4-5
Leif Segerstam
Helsinki Philharmonic Orchestra
Ondine
1995
6:16
Diese Einspielung gleicht derjenigen Mikko Francks sehr, die beim gleichen Label nur vier Jahre später als dessen Debut-Aufnahme entstand. Beide klingen offen, vollmundig, transparent und präsent. Die Dynamik ist ausladend, besonderen Wert wird auf einen prononcierten und volumenreichen Bass gelegt.
Segerstams Ross, auf dem er den Helden Lemminkäinen seinen Heimweg antreten lässt, ist besonders stämmig und kräftig. Das Spiel des Orchesters wirkt hier lustvoll aber nicht überschäumend, die Dynamik ist zupackend, aber auch fein abgestimmt. An deftigen Akzenten wird nicht gespart z.B. bei den fz bei I oder bei O. Die zahlreichen Crescendi werden alle willig ausgereizt. Das Stringendo klingt mitreißend, das fff bei T. 397 ebenso. Der Held reitet in seine Heimat mit wehenden Fahnen ein, das Finale gelingt extrem dynamisch.
4-5
Mikko Franck
Schwedisches Radiosinfonieorchester Stockholm
Ondine
1999
6:53
Bei Franck galoppiert das tragende Ross deutlich langsamer, aber nicht behäbig. Das schwergewichtige Ross ist trotzdem (ähnlich wie bei Segerstam) leidenschaftlich bei der Sache. Das Orchester spielt tadellos, emphatisch und besonders detailreich. Besonders die tollen Fagotte begeistern hier. Gegenüber der hochkarätigen Davis – Einspielung ist die Gangart zwar noch etwas langsamer, aber der Hörer bemerkt es nicht unbedingt als nachteilig. Im Gegenteil Franck wirkt spannender. Der Klang mit seiner hervorragenden Präsenz und Transparenz wirkt wuchtig und körperhaft, weiträumig und sehr gut gestaffelt. Das Schlagzeug kommt sowohl en gros als auch en detail bestens zur Geltung und trägt spürbar zu den durchdringend gestalteten, besonders dynamischen Höhepunkten bei.
4-5
Paavo Berglund
Philharmonia Orchestra London
EMI
P 1983
6:02
Auch der mit der Musik Sibelius´ besonders erfahrene Berglund geizt nicht mit knackigen Akzenten. Er plant den Ritt nach Hause strategisch und treffsicher, lässt sich zu Beginn noch Reserven. Die Nebenstimmen kommen ungemein plastisch heraus, sodass die Reise bei Berglund besonders vielgestaltig und kurzweilig erscheint. Das ffff beim erreichen der Heimat wirkt etwas schwach. Trotz des vorgelegten Tempos wirkt diese Version weder gehetzt noch getrieben, der Held mit seinem kraftvollen Ross ist einfach nur auf geschmeidige Art sehr schnell unterwegs. Das Orchester spielt klangschön und wirkungsvoll. Der Klang ist sehr sauber, voll, transparent, ausgewogen und ausgesprochen dynamisch.
4-5
Colin Davis
London Symphony Orchestra
RCA
2000
6:27
Zunächst wirkt diese Darstellung besonders unaufgeregt. Davis widersetzt sich einem übermäßig aufgepeitschten Tempo oder Hetze und nimmt jeden Druck heraus. Das Tempo wirkt eigentlich noch langsamer als es tatsächlich ist. Es wird zu einer enorm detailreichen Beschreibung des Rittes genutzt. Das Ross wirkt gewichtig, aber nicht kaltblütig. Der Freude des Reiters tut das indes keinen Abbruch, das Feuer lodert zwar nicht sehr heiß aber beständig. Er hat aber noch Zeit, sich während der Reise alles genau anzuschauen und sich mit seinen Gedanken produktiv auseinanderzusetzen. Das Orchester spielt herausragend, besonders feindynamisch und rhetorisch eindringlich. Das Stringendo wirkt nachhaltig, man hat es aber schon mitreißender gehört. Ab T. 397 zieht Davis das Tempo richtig an. Insgesamt glaubt der Hörer jedoch bei aller Liebe zum Detail, dass es dem Helden insgeheim vielleicht auf der Insel Saari mit all ihren Jungfrauen doch besser gefallen haben könnte (in der ersten der vier Legenden), denn er hat es nicht sonderlich eilig heimzukommen.
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
EMI
1979
6:13
Ormandy hat dieses Orchesterstück drei Mal eingespielt, zuerst 1940 in der Blüte seiner Jahre, dann 1951immer noch in seinem lang andauernden Zenit und schließlich als 80jähriger erfahrener Dirigent nun fast am Ende seiner Tätigkeit angelangt. War die alte Aufnahme noch ein furioser Ritt, gelingt ihm die Darstellung 1979 ungleich differenzierter und im Vergleich deutlich gemäßigter im Tempo. Aber immer noch vorantreibend, nur nicht mehr ganz so ungestüm. „Sein“ Blech hat immer noch fabelhaften Biss, aber das ff 2 Takte nach L bei der gleichen Blechbläserpassage unterscheidet sich in nichts vom fff zwei Takte nach M etwas später. Sein Orchester verweist aber auch besonders die der allerneuesten Konkurrenten immer noch auf die Plätze.
Der Klang der neuen Aufnahme ist selbstverständlich erheblich sinnlicher und natürlicher, klarer, runder, weicher und brillanter als der der alten. Sie klingt sehr transparent, weiträumig und gut gestaffelt.
▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt gleich im Anschluss
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
History
1940 Mono
5:25
In der ersten Aufnahme wird das Pferd unbarmherzig nach vorne gepeitscht. Es macht den Eindruck eines heißblütigen Rennpferdes, gefüttert mit leistungssteigerndem Spezialhafer. Der reitende Held lässt sich zu keiner Sekunde seiner Reise aufhalten, auch von seinen eigenen Gedanken nicht. Die Holzbläsereinsätze sind mitunter nur schemenhaft zu erkennen, der Bass fehlt fast völlig. Auch die Gran Cassa scheint nicht mit Aufstellung genommen zu haben. So bleibt die Suche nach Details meist erfolglos. Die auch heute noch atemberaubende Virtuosität des Orchesters, die 1940 wohl ziemlich einzigartig gewesen sein muss, wird stolz demonstriert und beeindruckt auch heute noch. Alleine der waghalsige Impetus hat alleine schon eine so hohe Bewertung verdient.
4-5
Sir Thomas Beecham
London Philharmonic Orchestra
EMI bzw. Warner
1937 Mono
5:55
Ähnlich entfesselt lässt auch Beecham seinen Helden nach Hause reiten. Nicht ganz so ungestüm, aber mit hoch loderndem Feuer, muss man aber natürlich auch bei ihm Einschränkungen seitens der Aufnahmequalität hinnehmen, wobei man etwas differenzieren muss, denn die neuere Überspielung von Warner klingt erheblich ausgewogener, wirkt auch plastischer und sogar etwas transparenter, aber auch mit höherem Rauschniveau und mehr Schleifgeräuschen versehen als der ältere EMI – Transfer. Dieser klingt teilweise greller und etwas schrill. Auf beiden sind die Stimmen aber ganz gut zu verfolgen.
Fff Einsätze kommen dynamisch kaum zur Geltung, weil der schmale Dynamikbereich schnell übersteuert, besonders beim Blech. Der Duktus ist atemberaubend, d.h. der Hörer hat keine Zeit Luft zu schöpfen, was wohl auch für das Orchester gegolten haben muss. Das Stringendo ist absolut mörderisch. Das Finale wirkt geradezu tumultös, da die Technik der Orchesterdynamik nicht standhält. Leider muss man wie bei der alten Ormandy – Einspielung auf viele Instrumente verzichten: Piatti, Pauke, Gran Cassa, Triangel hätten eigentlich gar nicht mitspielen müssen, denn man hört sie sowieso nicht. Aber wie bei Ormandy verdient schon allein die Entfesselung der Kräfte eine so gute Bewertung.
4-5
Thomas Jensen
Dänisches Nationales Radiosinfonieorchester, Kopenhagen
Decca
1953 Mono
6:29
Ungleich ausgewogener präsentiert sich diese Monoaufnahme aus Dänemark. Sie ist betont rhythmisch und in Hinsicht auf das Aufnahmejahr sehr präzise gespielt. Innerhalb des beherzt musizierenden Orchesters sind die gnadenlos präsenten, prächtig agierenden Blechbläser besonders zu loben. Aber das empathische und lebendige Musizieren nimmt als Ganzes für sich ein. Erstaunlich gut durchhörbar (und auch gespielt) ist die Fagottstimme. Des ruhmreichen Helden Heimkehr gelingt hier buchstäblich und im übertragenen Sinn mit Pauken und Trompeten. Der Klang der Aufnahme überrascht mit knackiger Dynamik.
4-5
Morton Gould
And his Orchestra
RCA
1958
6:03
Goulds Darbietung ist nicht ganz so differenziert wie die von Berglund oder Davis und wird vom hervorragenden und erfrischend frischen Spiel seines Orchesters getragen. Das ganze Stück wird unter einen spannenden Bogen gestellt und mit tollen Steigerungsverläufen versehen. Vor allem das absolut homogene Blech agiert mit erfrischend knackiger Dynamik und viel Biss. Trotz der hervorragenden Leistungen wirkt diese Heimkehr nicht so nachhaltig wie bei Barbirolli, mit der sie aber die spontan wirkende agile Grundeinstellung gemeinsam hat.
Der Klang der Living Stereo zeigt eine tolle Transparenz und Präsenz und zudem eine unmittelbar wirkende, natürliche Dynamik.
4-5
Osmo Vänskä
Sinfonia Lahti
BIS
2008 SACD
6:24
BIS
1999
6:25
Osmo Vänskä hat das Stück zwei Mal eingespielt, wobei die erste den großen Vorteil hat, auch die erste Fassung und ein alternatives Ende zu präsentieren. Wie bereits beim Vergleich des „Schwan von Tuonela“ erwähnt, ist sie jedoch, insbesondere für BIS – Verhältnisse, aufnahmetechnisch total ruiniert, weshalb höchstwahrscheinlich neun Jahre später ein Remake produziert wurde, das die klanglichen Verhältnisse wieder ins rechte Licht rückte.
Die Bewertung gilt somit ausdrücklich nur für die 2008er Aufnahme. Das Sibelius erprobte Orchester macht jedoch seine Sache in beiden Aufnahmen sehr gut, spielt temperamentvoll, dynamisch, recht spannend und akzentuiert. Seine Virtuosität erreicht jedoch nicht die der besten. Die Partiturgenauigkeit bewegt sich auf sehr hohem Niveau. Endlich ist das Quasi Presto bei T. 347 einmal ein echtes Presto.
Die Aufnahmequalität der verunglückten Einspielung, die so eigentlich nicht hätte veröffentlicht werden dürfen und viel deutlicher als verunglückt einzuordnen ist als beim „Schwan“, zeigt sich besonders bei den massiv verfärbten Violinen, die bisweilen auch noch wie ausgehöhlt klingen. Beim Blech merkt man die Verfärbungen erst im ff – Bereich, dann aber auch überdeutlich. Das Holz kommt klanglich erheblich besser weg. Ansonsten klingt es weiträumig und dynamisch, was aber in dem Umfeld überhaupt nichts mehr wert ist. Die 2008er Einspielung geht über die gute Järvi – Einspielung von 1985 noch hinaus und verfügt über eine ausgeprägte, völlig verfärbungsfreie Dynamik. Auch die anderen Parameter sind gelungen, besonders die gute Gran Cassa erfreut. Die Pauke hingegen klingt etwas mulmig.
4-5
Horst Stein
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
P 1980
5:57
Gegenüber dem zuvor gehörten Sinaisky wirkt Steins Zugang zum Stück erheblich temperamentvoller. Hier beeilt sich der Held sichtlich nach Hause zu kommen und das Orchester muss sich merklich anstrengen, um seinen Absichten zu folgen. Aber auch die Akzente sitzen besser als bei Sinaisky. Stein versucht das Stück unter einen Bogen zu spannen, wobei ihm die Gran Cassa und die Pauke als Spannungstreiber prominent unterstützen. Das homogene Blech agiert recht bissig. Generell fehlt dem Orchester aber die mühelose, souveräne Virtuosität eines Philadelphia Orchestra, um nur eines zu nennen, was man an einer leicht fahrigen Flüchtigkeit erkennen kann.
Der Klang wirkt weiträumiger, erheblich transparenter und präziser in der Abbildung als der bei der zuvor gehörten Sinaisky-Aufnahme. Die Staffelung könnte aber auch in Genf besser sein und die Transparenz wird im lauten Tutti etwas zu dicht.
4-5
Neeme Järvi
Göteborger Sinfonieorchester
DG
BIS
1996
1985
6:20
6:32
Neeme Järvis beiden Aufnahmen liegen in unserer Gunst etwa gleichauf. Die neuere DG – Aufnahme wirkt im ganzen gestraffter und präsenter, die Gran Gassa noch etwas tiefer und mächtiger und verfügt über die etwas „stringenteren“ Stringendi, während die BIS Aufnahme mehr nur schmissig bleibt.
Beide wirken weder eilend noch furios, bieten anschauliche Details von Gran Cassa oder Glockenspiel. Bei der älteren BIS leiden die Holzbläser unter einer schwachen Präsenz bei höheren Lautstärken des Gesamtorchesters. Die neuere DG weist eine deutlich verbesserte Präsenz auf, ist dafür aber nicht ganz so weiträumig. Beide klingen offen, dynamisch und bassstark. Insgesamt ist die DG – Aufnahme leicht vorzuziehen.
4-5
Sakari Oramo
BBC Symphony Orchestra
Chandos
2018 SACD
6:27
Oramo legt, wie auch in seiner Aufnahme der 3. Sinfonie, nun aber mit „seinem“ neuen Orchester der BBC aus London, erneut einen Interpretationsansatz vor, der größten Wert auf Transparenz und Offenlegung der Strukturen legt. Sein Gestus ist eher ein locker unbeschwerter als ein betont freud- oder gar lustvoller. Die Pauken zu Beginn klingen noch mit sehr guter Dynamik. Die Becken sind jedoch schon nahezu unhörbar, ganz anders als die Gran Cassa, die sich keiner vornehmen Zurückhaltung schämen muss. Der Verlauf gelingt deutlich akzentuierter als bei Uwe Mund, der zuvor gehört wurde und schwungvoller als bei Colin Davis, der aber rhetorisch ungleich eindringlicher wirkt. Den üblicherweise stets etwas abschleifenden Tendenzen eines hohen Tempos unterliegt Oramo weit mehr als Colin Davis, der die instrumentalen Details klarer, bewegter, präsenter und bewusster in den Raum stellen lässt.
Der Klang macht einen transparenten, insgesamt hellhörigen Eindruck. Er ist weiträumig aufgenommen und präziser als sonst oft bei Chandos. Die Dynamik könnte trotz High - Res - Downloads besser sein.
4
Hannu Lintu
Finnisches Radiosinfonieorchester Helsinki
Ondine
2014
6:18
Interessant ist hier der Vergleich mit der fast 40 Jahre älteren Einspielung Okko Kamus, weil ihm das vom Namen her gleiche Orchester zur Verfügung stand, wahrscheinlich jedoch in einer fast gänzlich anderen Besetzung. Lintus Darbietung wirkt weit weniger energetisch geprägt und im direkten Vergleich sogar geradezu schwerfällig und müde. Das wäre ja möglich, denn dem Helden wurde in den drei Legenden zuvor zum Teil übel mitgespielt. Dass da die Kraft fehlt, könnte plausibel sein, aber er ist ja ein Held und da ticken die Uhren bekanntlich anders. Und da wäre auch die Partitur und die hat ihre eigenen Wünsche. Ihr scheint Kamu jedenfalls die interessanteren Aspekte abzugewinnen.
Dabei ist das Spiel der Streicher gar nicht einmal unakzentuiert, aber schon bei den fz liegen Welten dazwischen: Lintu ist nur sauber, Kamu macht Ausdrucksmusik daraus. Wie Oramo legt auch Lintu die Strukturen offen, das aber ist bei Sibelius nicht wie bei einem Webern die ganze sondern allenfalls die halbe Wahrheit, die zudem den Hörer wenig packt.
Das Blech agiert wenig bissig, die Streicher sind verhältnismäßig zu weit im Vordergrund, Holz und Blech agieren ihnen gegenüber zu weit entfernt. Insgesamt wirkt der Klang wenig präsent und vor allem in der Dynamik gesoftet. Trotz High – Res –Downloads.
4
Sir Charles Groves
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
EMI
1974
7:00
Groves hat für die EMI die Werke von Sibelius aufgenommen, die es nicht mit Berglund gibt. Die Überschneidungen sind minimal. Diese Einspielung wirbt um Sympathien für den Helden. Der ist wohl nicht mehr der jüngste, hat vielleicht sogar schon ein kleines Bäuchlein und vor allem hat er ein sehr freundliches, angenehmes und rundum sympathisches Wesen. Auf diesen Sohn freut sich die Mutter ganz bestimmt. Ob er aber zuvor ein Held war, mag man ihm nicht so recht glauben. Groves´ Tempi sind unaufgeregt, stressfrei, alles andere als gehetzt und sehr gemütlich. Die oft haarfeine Artikulation und die differenzierte Gestaltung wirkt trotzdem noch recht spannend, denn der „Auftritt“ wirkt stimmig und ausgewogen. Die Stringendi sind jedoch nur mäßig drängend.
Die Aufnahme ist weiträumig, der Klang voll, farbig, recht dynamisch und plastisch.
4
Petri Sakari
Iceland Symphony Orchestra, Rykjavik
Naxos
1997
6:18
Diese Einspielung wirkt hingegen wieder aufgeweckt und agil. Das Orchester spielt engagiert, konzentriert und recht geläufig, kann aber trotz allen Bemühens nicht ganz mit den guten Orchestern dieses Vergleiches mithalten. Das Fagott ist leider viel zu leise, es fehlt an der richtigen aufnahmetechnischen Disposition um es – wie das übrige Holz in etwas geringerem Maße auch – besser hervorzuheben. Auch die Pauke geht fast unter. Aber die zehn Achteltöne der Flöte bei S sind bei Sakari endlich einmal gut zu hören, dabei „leuchten“ sie quasi aus der Partitur heraus, was die Dirigenten aber reihenweise nicht daran hindert, sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen.
Der Klang ist wie beim „Schwan“ zu weit entfernt, vor allem Holz und Blech. So fehlt ihm die viel beschworene Präsenz, Dynamik und Frische.
4
Vasily Sinaisky
Moskau Philharmonic Orchestra
Brillant
1991
6:12
Das Spiel des Orchesters ist nur oberflächlich überzeugender als beim „Schwan“. Nach wie vor unterlaufen kleinere Flüchtigkeiten und es fehlt die letzte Präzision im Zusammenspiel. Es wirkt zwar etwas geschmeidiger als die Isländer, aber nicht sonderlich brillant. Der Dirigent hat zwar den großen Boden im Auge, für gut ausgeformte Detailarbeit fehlt ihm und dem Orchester aber einfach die Zeit. Dazu ist ihr gewähltes Tempo einfach zu schnell geraten. Und die Probenzeit sehr wahrscheinlich zu kurz gewesen. Der Aderlass der Moskauer Philharmoniker (wie auch bei anderen russischen Orchestern) nach der Öffnung von Staat und Gesellschaft gen Westen ist hier noch offenkundig.
Dem Klang fehlt von allem etwas. Der Raum ist weniger breit und tief gestaffelt als bei anderen Aufnahmen der Zeit. Auch ihm fehlt es – wie dem Orchesterspiel - an Präzision und an Klarheit.
3-4
Uwe Mund
Kyoto Symphony Orchestra
Arte Nova
P 1999
6:11
Trotz des flotten Tempos wirkt Munds Beitrag zur Diskographie harmlos. Vor allem das wenig dynamische Blech befördert diesen Eindruck aber auch die kaum je deutlichen Akzente tragen dazu bei. Ein Ritt auf weichem Moosboden, wattig und auch wegen der fehlenden fff ziemlich schlaff wirkend. Auch die Abenteuer während des Rittes bzw. die eigentlich plastischen Gedanken, denen der Held nachhängt bleiben blass.
Trotz guter Gran Cassa könnte das wenig dynamische Klangbild deutlich brillanter und transparenter sein. Lemminkäinens Exkursion nach Japan wirke auf uns wenig mitreißend.
3-4
Kenneth Schermerhorn
Sinfonieorchester des tschechoslowakischen Rundfunks, Bratislava
Naxos
1988
7:00
Der breit angelegte Ritt Schermerhorns wirkt zumeist deutlich, teilweise aber auch wie durchbuchstabiert. Der drängende oder freudige Grundcharakter fehlt ihm völlig. Wenn man sich die alten Aufnahmen Beechams oder Ormandys im Vergleich anhört, liegt hier eine Zeitlupenversion vor. Das Orchester war von seiner bequemen Arbeitssituation sicherlich erfreut, es spielt nämlich recht zuverlässig, aber auch ziemlich unbeteiligt, ohne Hingabe, schwerfällig und geradezu behäbig. Der Klang der Einspielung ist klar und deutlich, das Orchester wird gut gestaffelt wiedergegeben, das ff wirkt deutlich gebremst.
3
Osmo Vänskä
Sinfonia Lahti
BIS
1999
6:24
Nur der Vollständigkeit halber sei der technisch missglückten ersten Aufnahme Vänskäs noch ihr richtiger Rang zugewiesen. Nur aus technischer Sicht wäre ihr besser die Veröffentlichung erspart geblieben. Die vom Klang losgelöste Darstellung wäre weiter oben bei 4-5 richtig aufgehoben, gemeinsam mit ihrem Remake.
Vergleich beendet am 17.1.2021