Joseph Haydn
Sinfonie Nr. 100 D-Dur „Militär“
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Werkhintergrund:
Die Sinfonie Nr. 100 komponierte Haydn im Jahr 1794 im Rahmen seiner zweiten Reise nach London. Wahrscheinlich entstanden die Ecksätze kurz nach der Ankunft in London, die mittleren Sätze dagegen in Wien. Für das Allegretto griff Haydn auf den Variationssatz aus einem der Concerti für zwei Orgelleiern (Hob. VIIh:3*) zurück, die er 1786/87 für König Ferdinand IV. von Neapel geschrieben hatte (Haydn führte in den Londoner Konzerten auch andere Werke auf, die er ursprünglich für König Ferdinand komponiert hatte, wobei die Orgelleiern durch Flöte und Oboe ersetzt wurden.
Der Titel „Militärsinfonie“ ist nicht auf dem Autograph eingetragen, Haydn hat ihn aber bei dem Konzert vom 4. Mai 1795, bei dem auch die Sinfonie Nr. 104 uraufgeführt wurde, benutzt. Der Titel bezieht sich auf den zweiten und vierten Satz, in denen durch Einsatz von Pauke, Triangel, Becken und Großer Trommel die Assoziation einer Militärkapelle entsteht (der zweite Satz enthält zudem ein Trompeten-Signal). Dieser Musik-Typus entstand nach 1720 als Folge mehrerer Türkenkriege Venedigs und Österreichs, war beeinflusst von den Militärkapellen der Janitscharen (türkische Fußtruppen) und vor allem in Wien als „Türkische Musik“ beliebt (Janitscharenmusik). (Bei der Uraufführung war für das Publikum vermutlich die Assoziation mit den kriegerischen Auseinandersetzungen Frankreichs näher als die historische Rückbetrachtung auf die Türken.). In London befanden sich damals zahlreiche französische Flüchtlinge.
Wir erinnern uns: Auch Mozart kam in seiner „Entführung aus dem Serail“ und Beethoven im Schlusssatz seiner Neunten auf dieses Instrumentarium zurück.
Die Sinfonie wurde am 31. März 1794 bei den „Salomon´s Concerts“ in den Londoner Hanover Square Rooms uraufgeführt. „Der Morning Chronicle“ berichtet von der Wiederholungsaufführung am 9. April 1794: „ […] und der mittlere Satz wurde wieder mit uneingeschränkten Beifall-Rufen begrüßt. Zugabe! Zugabe! Zugabe! Erscholl es von jedem Platz: Selbst die Damen wurden ungeduldig. Es ist das Anrücken zum Gefecht, der Marsch der Männer, das Geräusch des Ladens, der Donner des Beginns, das Klirren der Waffen, das Stöhnen der Verwundeten und das, was man als das höllische Gebrüll des Krieges bezeichnet – gesteigert zu einem Höhepunkt von scheußlicher Eindringlichkeit!, die, wenn andere sie sich vorstellen können, nur Haydn allein ausführen kann; denn er allein hat bislang dieses Wunder erwirkt.“ Nach einer weiteren Aufführung am 2. Mai mischte die Zeitung allerdings auch kritische Untertöne gegen die Verwendung der türkischen Musik im Schlusssatz ein (siehe dort).
Die „Allgemeine musikalische Zeitung“ schreibt im April 1799 zu der Sinfonie: „Sie ist etwas weniger gelehrt, und leichter zu fassen, als einige andere der neuesten Werke desselben, aber an neuen Ideen eben so reich, als sie. Die Ueberraschung kann vielleicht in der Musik nicht weiter getrieben werden, als sie es hier ist, durch das urplötzliche Einfallen der vollen Janitscharenmusik im Minore des zweyten Satzes – da bis dahin man keine Ahndung davon hat, daß diese türkischen Instrumente bey der Symphonie angebracht sind. Aber auch hier zeigt sich nicht nur der erfinderische, sondern auch der besonnene Künstler. Das Andante ist nehmlich dennoch ein Ganzes: denn bey allem Gefälligen und Leichten, das der Komponist, um von der Idee seines Coups täuschend abzuleiten, in den ersten Theil desselben brachte, ist es doch marschmäßig angelegt und bearbeitet.“
Die Sinfonie Nr. 100 war neben Nr. 94 Haydns beliebteste Sinfonie in England, v. a. das Allegretto. Haydn bearbeitete diesen Satz für Blasorchester um, daneben entstanden viele andere Bearbeitungen für den Hausgebrauch (Klaviertrio, Streichquartett u. a.).
Dietmar Holland in „Der Konzertführer“ (Rowohlt Verlag) schreibt dazu: Nie zuvor wurde in Musik ein solches Plädoyer gegen Brutalität und für liebevolle Zartheit gesprochen als hier. Im Allegretto-Satz erzählt Haydn eine kleine Geschichte, die sich jedoch unversehens ausweitet zum Bewusstwerden der Realität, konkret: der militärischen, die in die erzählte ‚Romanze‘ unbarmherzig hereinbricht und es schafft, dass der Romanzenton sich scheu zurückzieht und am Ende nicht mehr den Elan hat, mit dem er ins Geschehen eintrat: „Ein bitterer, herbstlicher Geruch steigt über der Musiklandschaft auf“ (Heinrich Eduard Jacob). Nach dem brutalen Einbruch des Militärsignals (sogenannte ‚türkische‘ Musik mit Schlagwerk) in die Idylle ist es vorbei mit dem 18. Jahrhundert:
„Der ältere Haydn weiß: Das Vergangene ist unwiederbringlich. [...] So gleicht er einem Manne, der bedauernd und fröstelnd die Kulissen von der Bühne trägt“ (H. E. Jacob). Die kriegerischen Schlaginstrumente bedeuten, in der Äquivokation des ‚Schlagens‘, zugleich Mut und Angst, Angriff und Qual, so als würde ein Mensch gepeinigt. Der Schrecken, den das Metallgeräusch der Triangel mit Ringen und der Becken, ferner die türkische Trommel, die sowohl mit einer Keule als auch, gewissermaßen ‚peitschend‘, mit einer Rute geschlagen wird, verbreiten, veranlasst die Musik, zur c-moll-Klage zu werden, wie man sie bei Haydn nicht erwarten würde. Dass er keine Glorifizierung des ‚Militärischen‘ musikalisch im Sinn hatte, zeigt sich auch daran, wie konsequent er auf stolze oder anfeuernde Marschcharaktere verzichtet hat; die gibt es erst im Schlusssatz der gegen Napoleon gerichteten Symphonie Nr. 7 Beethovens. Haydns Militär-Symphonie dagegen ist von „irisierender und oft geisthaft-kühler Zartheit“ (H. E. Jacob), ein Dokument für den moralischen Sieg des Differenzierten über der nackten Gewalt und zugleich die Einsicht in die eigene Vergänglichkeit.
Nach der langsamen Eröffnung, die in zwei Schüben der Dominante zusteuert und dabei die dunkle Welt, die Eintrübung des Allegretto-Satzes vorwegnimmt (Takte 14 bis 16), beginnt der Hauptsatz verblüffend mit einem Holzbläserthema, dessen ‚militärischer‘ Charakter einzig im Klang und keineswegs im Rhythmus liegt. Die Originalität dieses Hauptthemas ist ohnegleichen. Das absichtlich locker und munter gehaltene, episodische Seitenthema enthüllt erst in der Durchführung dunklere Seiten seines Charakters. Die zwei Takte Generalpause zu Beginn der Durchführung machen gleichsam Platz für diesen Charakterwechsel, der zugleich eine Umkehrung des Themenverhältnisses zur Folge hat, denn das Hauptthema wird nun zur (fragenden) Episode (Takte 170 bis 177).
Die Einbrüche der ‚militärischen‘ Realität ereignen sich auch drastisch im weiträumigen Finale, das wieder als differenzierte Mischform aus Rondo- und Sonatengeist angelegt ist und ungeahnte Durchblicke in Entlegenes freigibt, so, wenn etwa aus einem unscheinbaren, zweitönigen Schlussmotiv (erstmals Takt 74) gar ein fremdartiges Fugato wird (ab Takt 166, nach einer bedeutungsvollen Generalpause) oder die Pauke brutal dazwischenfährt (Takt 122) und der Satzverlauf ins Ungewisse führt. Wiederum ist es kein bloßer ‚Kehraus‘-Satz, sondern das Höchstmaß einer musikalischen Gedankenarbeit, die diesmal übrigens sogar das Menuett erfasst, denn es ist in rudimentärer Sonatenform gearbeitet mit einer Durchführung des anfänglichen Doppelschlagmotivs. Während es zunächst auftaktig war, tritt es in dem durchführungsartigen Mittelteil insistierend abtaktig auf, und zwar im Bass, als metrischer Gegenstoß zu den Oberstimmen. Haydns bewusster Umgang mit metrischer Betonungsordnung und rhythmischer Ausfüllung des Taktes wird hier einmal mehr deutlich. Das ist seine Art der ‚motivisch-thematischen Arbeit‘.
Vermutlich ist die Symphonie Nr. 100 erst nach der als Nr.101 gezählten entstanden; zumindest wurde sie erst nach dieser, am 31. März 1794, uraufgeführt. Ob Haydn sie selbst als „Militär-Symphonie“ bezeichnet hat oder nicht, wissen wir nicht, da das Autograph des ersten Satzes mit dem Titelblatt verschollen ist. Der Titel tritt jedoch in den Programmankündigungen auf, und so ist es wahrscheinlich, dass es mit Haydns Zustimmung geschah, soweit Dietmar Holland.
Die Besetzung: zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten in C (diese nur im Allegretto), zwei Fagotte, zwei Hörner in G, zwei Trompeten in C, Pauken in G und D, zwei Violinen, Viola, Cello, Kontrabass. Als Besonderheiten treten auf: Triangel, türkisches Becken-Paar, Große Trommel. Zahlreiche Quellen belegen, dass Haydn seine Sinfonien bei den Londoner Konzerten vom Cembalo und ab 1792 vom „Piano Forte“ leitete, wie es der damaligen Aufführungspraxis entsprach. Dies deutet auf den Gebrauch eines Tasteninstrumentes (also Cembalo oder Fortepiano) als Continuo in den „Londoner Sinfonien“.
Damit sind wir auch schon bei den Problemen der Aufführungspraxis, die selbstverständlich auch die Diskografie der „Militärsinfonie“ betrifft, die wir aber in unserem bescheidenen Zusammenhang nur ganz kurz anreißen wollen. 1912 wurde erstmalig eine Sinfonie von Joseph Haydn aufgenommen. Es war, man möchte sagen natürlich, die Nr. 94 („Mit dem Paukenschlag“) mit dem Victor Concert Orchestra. Sie ist bis heute seine am häufigsten eingespielte Sinfonie. Im „akustischen“ Zeitalter (Aufnahme mit einem Trichter, statt eines Mikrophons) folgten dann vier weitere Aufnahmen. Da war dann 1913-1915 auch die „Militärsinfonie“ dabei. Bis 1950 gab es nur ca. 30 weitere Einspielungen von Haydn-Sinfonien, damals drehten sie sich noch mit 78 Umdrehungen pro Minute. Mit Einführung der 33er LPs nahm ihre Zahl dann beträchtlich zu. Bis fast in die späten fünfziger Jahre hinein stellte sich die Frage nach einer authentischen Wiedergabe erster Hand noch nicht. Es wurden die im 19. Jahrhundert gültigen Druckausgaben verwendet, die nicht immer der Urschrift Haydns entsprachen. Mitunter gar ein Sammelsurium an genau diesen Ausgaben benutzen noch Herrmann Scherchen und Thomas Beecham für die ersten Einspielungen der gesamten zwölf „Londoner Sinfonien“. Die Suche nach Authentizität begann aber bereits durch Einspielungen der Haydn Society (Boston, doch bereits ab ca. 1950) bereits unter Mitwirkung Hans Swarowskys, die später auch Max Gobermann, Leslie Jones, Eugen Jochum sowie Leonard Bernstein anstrebten und ihren Höhepunkt in der ersten Gesamtaufnahme aller Sinfonien mit Antal Dorati fand. Sie bezog sich auf die 1968 fertig gestellte Haydn-Gesamtausgabe von Robbins Landon. Alle Fragen waren damit noch nicht final gelöst. Cembalo ja oder nein? Fortepiano, ja oder nein? Respektierung aller Wiederholungen? Gerade bei den Menuetten nach den Trios? Ist damit nicht das Gesamtgleichgewicht gestört? Zögert dies nicht über Gebühr das Finale heraus? Und Hand aufs Herz, wer zieht das Finale (oft der inspirierteste und fröhlichste Satz überhaupt, der Satz der die Begeisterung an Haydns Musik überkochen lässt) nicht einer erneuten Wiederholung des Menuetts vor? Auch die Fragen der Orchesterbesetzung auch des Tempos, evtl. der Ornamentik, Improvisation sind damit noch nicht geklärt.
Tendenziell war zu vernehmen, dass nach Dorati die Menuette eher schneller gespielt werden, als er es tat, sowie Trompeten und Pauken stärker hervortreten durften. Dorati markiert auch bei der 100 eine Art Scheitelpunkt, an dem sich die neueren Einspielungen messen lassen müssen. An ihm muss man erst einmal „vorbei“. Das ist (zumindest bei der 100) wahrlich nicht leicht! Am besten erschien es uns, sich keinem Dogmatismus zu verschreiben und die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte mit einzubeziehen und das eigens ermittelte Ergebnis mit Überzeugung und Verve zu vertreten. Aber auch das Genie einzelner Dirigenten der Vergangenheit bricht sich mitunter Bahn und kommt, von einer authentischen Wiedergabe im engeren Sinn weit entfernt, aus unserer Sicht zu herausragenden Ergebnissen.
Wir verwendeten für den Vergleich eine Taschenpartitur ungarischer Provinienz, von Editio Musica, Budapest, die im Druck, anders als die Ausgabe von Eulenburg, augenfreundlicher, weil gestochen scharf war. Beide entsprechen nicht den Ergebnissen neuester Forschung und greifen auf die Fassung von Robbins Landon zu. Damit passen sie immerhin noch gut zum Gros der gehörten Aufnahmen.
Nur für den Leser (wir verzichten bewusst auf den Plural), der noch tiefer in die Komposition eindringen möchte, wurde anschließend der Artikel zur Werkanalyse aus Wikipedia komplett übernommen. Bei der Lektüre eine Taschenpartitur zur Hand zu haben, wäre von großem Vorteil.
Die hier vorgenommene Beschreibung und Gliederung der Sätze ist außerdem als Vorschlag zu verstehen. Je nach Standpunkt sind auch andere Abgrenzungen und Deutungen möglich.
Erster Satz: Adagio – Allegro
Adagio: G-Dur, 2/2-Takt (alla breve), Takt 1 bis 23
Beginn der Einleitung
Die Streicher beginnen mit Beteiligung vom Solo-Fagott piano mit einem zweitaktigen Motiv, das durch seine „fragende“ Quarte am Anfang und den punktierten Rhythmus auffällt. Es wird durch ein ähnliches Motiv weitergeführt. Das Anfangsmotiv wird dann wiederholt, jedoch mit anderer Fortführung zur Dominante D-Dur hin (Takt 8). Im weiteren Verlauf findet eine Trübung durch Benutzung von Chromatik statt bis hin zum Fortissimo-Ausbruch mit Paukenwirbel in Moll (Takt 14f.) und folgender Generalpause. Wurde hierbei bereits der auftaktige Rhythmus des (ganztaktig beginnenden) Anfangsmotivs hervorgehoben, wird er mit dem schleppenden Neuansatz im Piano noch stärker betont. Die Einleitung klingt als pochender, gebrochener D-Dur – Dreiklang im Unisono aus. Durch die Quarte aufwärts und abwärts am Satzbeginn besteht ein thematischer Bezug zum folgenden Allegro (ähnlich auch am Beginn des Presto).
Allegro: G-Dur, 2/2-Takt (alla breve), Takt 24 bis 289
Das erste Thema wird im Vordersatz zunächst von Flöte und Oboen vorgestellt.
Das erste Thema (Takt 24 bis 38) mit periodischem Aufbau fällt durch seine kontrastierende Instrumentation auf: Der Vordersatz wird von den hohen Holzbläsern (Flöte und Oboen), der Nachsatz von den Streichern vorgetragen. Möglicherweise ist diese Instrumentation (Spielmannszug) als erster Hinweis auf die militärischen Anklänge v. a. im Allegretto zu verstehen.] In Takt 39 beginnt die Überleitung als Tutti-Block im Forte (das erste Thema war durchweg piano). Sie betont zunächst die Tonika G-Dur, etabliert dann jedoch mit einer Reihe von chromatisch abwärts gehenden Vierteln und A-Dur-Tonleiterläufen die Dominante D-Dur, in der nun nochmals der Beginn vom ersten Thema erklingt. Der Kopf des Themas im dramatischen d-Moll-Forte leitet über zum zweiten Thema.
Das auftaktige zweite Thema setzt über einem Streicherteppich (ab Takt 93) mit stimmführender 1. Violine ein, in Takt 98/99 treten Solo-Flöte und Fagott hinzu. Die Instrumentierung ist somit umgekehrt wie beim ersten Thema. Beide Themen haben den Charakter eines Geschwindmarsches. Dass das zweite Thema am Beginn eine Ähnlichkeit zum 1848 von Johann Strauss (Vater) komponierten Radetzkymarsch aufweise, gehört in das Reich der Legenden: Das Marschthema des Radetzky-Marsches ist annähernd notengetreu zu dessen „Jubel-Quadrille“ (Teil: „Finale“, op. 130, 1841) und hat allenfalls Vorläufer (opp. 12 und 18 von Johann Strauss (Vater) von 1828, d. h. am Beginn seiner kompositorischen Laufbahn) beeinflusst. Für den heutigen Hörer klingt möglicherweise diese behauptete Assoziation das zweite Thema noch marschartiger als das erste. Das Thema führt in die Schlussgruppe (Takt 108 ff.), bei der zunächst im Bass das Auftaktmotiv des Themas aufgegriffen wird. Nach Achtelläufen und Akkordmelodik endet die Exposition in Takt 124 in D-Dur und wird wiederholt.
Die Durchführung beginnt unerwarteter Weise mit zwei Takten Generalpause (als wäre der Satz bereits zu Ende), auf die das zweite Thema einsetzt – allerdings nicht wie sonst üblich in D-Dur, sondern im harmonisch fernen B-Dur. Der weitere Verlauf ist durch Wechsel von forte/fortissimo und piano, Akzenten (Takt 158 ff.) und Tonartenwechsel gekennzeichnet, wobei Haydn insbesondere den Rhythmus vom zweiten Thema im Unisono hervorhebt. In Takt 169 erfolgt mit Erreichen von h-Moll eine kurze Zäsur, auf die der Kopf vom ersten Thema als Dialog zwischen Holzbläsern und Streichern einsetzt (beginnend in e-Moll). In der Folge dominiert dann wieder der Marschrhythmus vom zweiten Thema, teils im Unisono und mit Synkopen verstärkt. In der Rückführung zur Reprise (Takt 195 f.) verebbt das Geschehen, in dem nur noch die Streicher und schließlich Flöte und Oboen spielen.
Die Reprise (ab Takt 203) ist gegenüber der Exposition verändert: Der Nachsatz des ersten Themas wird als Tutti und forte gespielt, und die Überleitung zum zweiten Thema ist fast vollständig ausgelassen. Anstelle der Schlussgruppe nach dem zweiten Thema setzt Haydn einen Fortissimo-Ausbruch im überraschenden Es-Dur ein (Takt 239), der wiederum auf den Marschrhythmus vom zweiten Thema zurückgreift. Anschließend wird das eben ausgelassene Material der Überleitung nachgeholt (Achtelläufe, Sequenz der chromatisch absteigenden Viertel), bis die erweiterte Schlussgruppe (ab Takt 273) den Satz codaartig beendet.
Zweiter Satz: Allegretto C-Dur, 2/2-Takt (alla breve), 186 Takte
Der Satz ist in folgende Abschnitte gliederbar:
Erster Abschnitt: Vorstellung des grazilen Hauptthemas im Piano, charakteristischer Rhythmus mit zwei Vierteln und vier Achteln.[16]Stimmführung zunächst in Solo-Flöte und 1. Violine, dann wechselnd zwischen Holzbläsern (inklusive Klarinette[17]) und Streichern mit Solo-Flöte. A-Teil in C-Dur (Takt 1–16), Mittelteil B in der Dominante G-Dur (Takt 17–28), Wiederholung A-Teil (Takt 29–36), B-Teil Takt 37–48) und nochmals A-Teil (Takt 49–56).
Zweiter Abschnitt: Variation des Hauptthemas in c-Moll mit veränderter Instrumentierung (Tutti), wobei Becken, Große Trommel, Triangel, Chromatik, die scharfen Wechsel von forte und piano und die Akzente die exotisch-„türkische“ Klangfarbe bewirken.
Dritter Teil: Veränderte Wiederholung des ersten Teils: Teil A und B im Tutti (Takt 92–111), Teil A im Tutti mit Becken, Großer Trommel und Triangel (Takt 112–119), B-Teil in den Holzbläsern (Takt 120–133), ausgeschmückter A-Teil im Tutti inklusive des Schlagwerks. Die Musik kommt dann pianissimo in C-Dur zur Ruhe (Takt 151).
Vierter Teil (Coda): Beginn mit einem tief liegenden Trompetensignal in der 2. Trompete, das möglicherweise ein österreichisches Militärsignal darstellt.[18] Pianissimo beginnend, schwillt dann ein Paukenwirbel zu einem As-Dur – Ausbruch im Fortissimo an, wiederum mit den Schlaginstrumenten. Als wäre nichts gewesen, folgt dann (Takt 167) kontrastierend eine Piano-Passage mit dem Hauptmotiv in der Holzbläserbesetzung. Auch der Schluss in C-Dur mit durchgehendem Pochen des Schlagwerks wird vom Wechsel forte-piano bestimmt, das Satzende vom Betonen der signalartigen Quarte G-C im Unisono.
Insbesondere das Allegretto wird in der Literatur besprochen und interpretiert:
„Natürlich ist der Satz keine Programm-Musik […] mit Aufmarsch der Armeen und Schlachtgetümmel, aber er öffnet doch auf sehr nachdrückliche Weise den Assoziations-Hintergrund des Krieges, und zwar ganz ohne Stilisierung, vielmehr mit allen schreckliche Zügen in der erwähnten As-Dur-„Katastrophe“ und der c-Moll-Variation, in der zum ersten Mal die türkische Musik einsetzt.“[2]
„Bei besagten theatralischen Momenten liegt – zumal wegen der damaligen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich – die Gefahr nahe, in der Symphonie 100 eine Art „Programmmusik“ zu hören. Doch wäre dies eine Überinterpretation des von Haydn allerdings suggestiv genutzten europäischen „alla-turca“-Zeitgeschmacks.“[1]
„Vielmehr setzt Haydn hier […] das Diskordante und Hässliche ein, um die Sublimität des Schönen zu verdeutlichen, die erst vor diesem Hässlichen deutlich wird. Zumindest ist das der Fall im zweiten Satz. Am deutlichsten wird der Kontrast zwischen „hässlicher“ türkischer Musik und kunstvollem Marsch wohl bei dessen mit Holzbläsern und Hörnern instrumentierter Variante in Takt 92 ff.“[10]
„[…] ein Pianissimo-Paukenwirbel mündet nach zwei Takten in einen Fortissimo-Aufschrei des gesamten Orchesters, der jäh die drei zentralen Parameter abendländischer Musik niederreißt. Es gibt weder eine erkennbare Harmonie noch einen feststellbaren Rhythmus, geschweige denn eine Melodie – sechs Takte lang röhrt die Musik ihr Entsetzen hinaus.“[5]
Dritter Satz: Menuet. Moderato G-Dur, 3/4-Takt, mit Trio, 80 Takte
Thema des Menuetts
Das Hauptthema des Menuetts trägt einen kennzeichnenden Rhythmus mit auftaktigem Sechzehntel-Vorschlag und zwei klopfenden Vierteln. Der erste Teil wird nicht notengetreu wiederholt, sondern als Piano-Variante mit anderer Instrumentierung. Den Beginn des Mittelteils hat Haydn mit dem Kopf vom Hauptthema motivisch sehr dicht gearbeitet, so dass er Durchführungscharakter annimmt (z. B. der Achtellauf aufwärts vom ersten Teil nun auch gegenstimmenartig). Nach einem Echo erscheint in Takt 31 der Auftakt auf jeder Zählzeit des Taktes, so dass kurzfristig die metrische Orientierung des Hörers verunsichert wird. Die „Reprise“ beginnt nach einer frei in Triolen fallenden Passage in Takt 43 mit einem codaartigen Schluss, bei dem das Klopfmotiv im Fortissimo kurzzeitig auf drei Viertel ausgedehnt ist.
Thema des Trios
Das Trio steht ebenfalls in G-Dur und wird in seiner Klangfarbe von parallel geführter Flöte, Oboen und Violinen bestimmt. Das „zierlich-elegante“ Hauptthema, das „wie ein Zitat aus der Welt des galanten Stils wirkt“[2], besteht aus einem in punktiertem Rhythmus fallendem Dominantseptakkord, gefolgt von zwei aufsteigenden Dreiklangsbrechungen. Der Mittelteil enthält einen viertaktigen, stark kontrastierenden Moll-Einschub, der über dem Orgelpunkt auf D eine bedrohliche Linie mit Chromatik hämmert, und mit seinem punktierten Rhythmus an den Militärcharakter der vorigen Sätze erinnert.
Vierter Satz: Finale. Presto G-Dur, 6/8-Takt, 334 Takte
Hauptthema vom Presto.
Das erste Thema (oder: Rondo-Thema, da der Satz in der Form zwischen Rondo und Sonatensatzform steht: „Sonatenrondo“) ist dreiteilig angelegt: Zunächst (Takt 1–8) wird das Thema im Piano der Streicher vorgestellt und wiederholt (A-Teil). Es ist periodisch strukturiert und weist in der ersten Phrase vom Vordersatz eine kennzeichnende vierfache Tonrepetition auf (Motiv A, Takt 1–2), in der zweiten Phrase eine sich kurz aufschraubende Figur (Motiv B, Takt 3–4). Beide Motive sind auftaktig und durch den fortlaufenden Achtelimpuls geprägt, der dem Thema (und dem ganzen Satz) seinen vorwärtstreibenden, hastig-huschenden Charakter gibt. Dies lässt den Hörer zunächst einen typischen Kehraus-Schlusssatz erwarten. Der Mittelteil (B) mit Durchführungscharakter beginnt stark kontrastierend mit Motiv A im Forte-Tutti auf e-Moll, um kurz darauf pianissimo nach B-Dur zu wechseln. Die Dominante D-Dur wird in Takt 17 mit Motiv B und in Takt 26f. mit versetztem Einsatz von Motiv A kurz gestreift. Die energisch-hämmernde Achtelbewegung verliert sich dann jedoch mit „fragendem“ Motiv A (als Dominantseptakkord) in Soloflöte und -oboe, und nach einer Generalpause wird das Hauptthema (A-Teil) nochmals pianissimo aufgegriffen. Damit kann man in dem Thema eine dreiteilige Struktur A-B-A sehen. Auch der Abschnitt ab Takt 9 wird wiederholt. Die achttaktige Hauptmelodie wurde im 19. Jahrhundert als volkstümliche Tanzweise unter dem Titel Lord Cathcart oder Lord Catheart bekannt[1], so dass Haydn hier wahrscheinlich als Autor einer Volksmelodie gelten kann, während er sonst meist auf vorhandene Volkslieder zurückgriff.
Die folgende Überleitung (Takt 50 ff.) stellt einen Forte-Block dar mit Modulationen von Motiv A und von Dreiklangsbrechungen in rasanten Achtelketten. Durch Generalpausen abgetrennte Viertelschläge im Forte und Piano kündigen das zweite Thema an, das nach kurzem Dialog von Bass und Solo-Flöte einsetzt (Takt 86 ff.). Es steht in der Dominante D-Dur und wird piano von den Streichern vorgetragen. Stimmführend sind Bass und 1. Violine in einem Dialog aus abgesetzten Staccato-Vierteln mit Vorschlägen, während die übrigen Streicher im Achteltremolo einen Begleit-„Teppich“ setzen. Die 1. Violine führt die Vorschlags-Viertel dann weiter. Diese werden auch zu Beginn der Schlussgruppe (Takt 94 ff.) im Forte-Tutti aufgegriffen, gehen dann aber wiederum in die rasanten Achtelketten der Streicher über. Die Schlussgruppe endet mit den bereits aus Takt 75 ff. bekannten, durch Generalpausen abgetrennten Viertelschlägen, in die dritte Generalpause schlägt dann aber unerwartet ein Forte-Paukenwirbel ein (ggf. als Kanonendonner / Gewehrsalve[1] interpretierbar) und schließt die Exposition mit zwei Viertelschlägen im Forte. Karl Geiringer vergleicht den Effekt mit dem „Paukenschlag“ aus der Sinfonie Nr. 94:
„Ein ähnlicher Effekt, doch noch wirksamer verwendet, findet sich im Finale von Nr. 100. Hier werden zwei Akkorde erst piano, dann, nach einer weiteren Generalpause, pianissimo von den Streichern vorgetragen. Bevor der Hörer die reizende Wirkung voll ausgekostet hat, aber bricht die Pauke mit Fortissimoschlägen ein. Indem der Komponist die erwartete dritte Generalpause auslässt, überrumpelt er sein Publikum völlig.“[20]
Die Durchführung (ab Takt 123) beginnt piano mit Motiv A im d-Moll der Streicher. Der weitere Verlauf enthält zahlreiche Modulationen und wechselt zwischen zögerlichen piano-Passagen, die von Generalpausen unterbrochen sind, und energischen Forte-Abschnitten. Bereits in Takt 132 tritt ein Motiv aus vier Vierteln auf (Motiv C), zunächst noch aufsteigend, später meist aufsteigend. Es erinnert etwas an das Motiv mit den vier chromatisch abwärts gehenden Vierteln vom Allegro (dort z. B. Takt 58 f.). In Takt 146 wird mit dem zweiten Thema As-Dur erreicht, dass über Motiv C nach Des-Dur wechselt. Die geheimnisvoll-unheimliche Passage ab Takt 166 mit Motiv C im Pianissimo der Streicher kontrastiert stark zum Forte-Block ab Takt 182, der mit Motiv A in E-Dur einsetzt. Der Dialog zwischen Bass und Solo-Flöte (Takt 202 ff.) erinnert an die Überleitung zum zweiten Thema aus der Exposition. Anstelle des zweiten Themas tritt jedoch – ähnlich Takt 38 – Motiv A als „fragender“ Dominantseptakkord auf, der als Ankündigung zur Reprise dient.
Die Reprise setzt nach zwei Takten Generalpause ein (Takt 218) und ist gegenüber der Exposition verkürzt: Das erste Thema wird einmal forte im Tutti wiederholt, um dann, von Es-Dur aus einsetzend, in einen durchführungsartigen Abschnitt mit Motiv A im versetzten Einsatz überzugehen (ähnlich Takt 26 ff). Die rasanten Achtelketten führen direkt zum zweiten Thema, nun bereits schlussgruppenartig im Forte und mit Einsatz des Schlagwerks. Weitere Achtelketten münden in die Coda, die das erste Thema nochmals aufgreift und den Satz „lärmend“ mit Beteiligung aller Instrumente beendet.
Der zweite Einsatz der „türkischen“ Instrumente im Presto wurde und wird teilweise im Sinne einer Effekthascherei negativ bewertet.[1][21]
Artikel wie bereits erwähnt übernommen aus Wikipedia, die Quellen des Artikels waren:
- Rüdiger Heinze:Symphonie in G-Dur, Hob. I:100 („Militär“).In: Renate Ulm (Hrsg.): Haydns Londoner Symphonien. Entstehung – Deutung – Wirkung. Im Auftrag des Bayerischen Rundfunks. Gemeinschaftsausgabe Deutscher Taschenbuch-Verlag München und Bärenreiter-Verlag Kassel, 2007, ISBN 978-3-7618-1823-7, S. 159–166.
- :ab c d e f g Ludwig Finscher: Joseph Haydn und seine Zeit. Laaber-Verlag, Laaber 2000, ISBN 3-921518-94-6, S. 376 ff.
↑3. Kriegserklärung Frankreichs an Österreich 1792, Eingreifen Englands in die Auseinandersetzungen nach der Hinrichtung von König Ludwig XVI. am 21. Januar 1793, Hinrichtung von Marie Antoinette am 16. Oktober 1793.
- Anthony van Hoboken:Joseph Haydn. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, Band I. Schott-Verlag, Mainz 1957, 848 S.
5.:a b Anonymus: Joseph Haydn. Symphonie Nr.100 G-Dur, Hob.I:100, „Militär“. Begleittext zum Konzert am 31. März 2009 der Haydn-Festspiele Eisenstadt, Stand Juli 2010.
- H. C. Robbins Landon:Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et al., 1981, S. 123–124
- 7. Zum Gebrauch des Cembalos als Orchester- und um 1802 (!) schreibt Koch in seinem Musikalischen Lexicon, Frankfurt 1802, unter dem Stichwort „Flügel, Clavicimbel“ (S. 586–588; bitte bedenken, dass zu dieser Zeit Flügel = Cembalo !): „...Die übrigen Gattungen dieser Clavierart (d.h. Kielinstrumente, Anm. d. Verf.), nemlich das und das Clavicytherium, sind gänzlich außer Gebrauch gekommen; des Flügels (d.h. des Cembalos, Anm. d. Verf.) aber bedient man sich noch in den mehresten großen Orchestern, theils zur Unterstützung des Sängers bey dem Recitative, theils und hauptsächlich aber auch zur Ausfüllung der Harmonie vermittelst des Generalbasses ...Sein starker durchschlagender Ton macht ihn (d.h. den Flügel = Cembalo, Anm. d. Verf.) aber bey vollstimmiger Musik zur Ausfüllung des Ganzen sehr geschickt; daher wird er auch wahrscheinlich in großen Opernhäusern und bey zahlreicher Besetzung der Stimmen den Rang eines sehr brauchbaren Orchester-Instruments so lange behaupten, bis ein anderes Instrument von gleicher Stärke, aber mehr Mildheit oder Biegsamkeit des Tons erfunden wird, welches zum Vortrage des Generalbasses ebenso geschickt ist. ... in Tonstücken nach dem Geschmacke der Zeit, besonders bei schwacher Besetzung der Stimmen, ... hat man seit geraumer Zeit angefangen, den Flügel mit dem zwar schwächern, aber sanftern, Fortepiano zu vertauschen.“
- Selbst James Webster, einer der Haupt-Verfechter der Anti-Cembalo-Continuo-These nimmt dieLondoner Sinfonienvon seiner Idee, dass Haydn kein Cembalo (oder anderes Tasteninstrument, insb. Fortepiano) für Continuospiel benutzte, aus („And, of course, the argument refers exclusively to pre-London symphonies and performances outside England“; in: James Webster: On the Absence of Keyboard Continuo in Haydn's Symphonies. In: Early Music Band 18 Nr. 4, 1990, S. 599–608, hier: S. 600). Und zwar deshalb, weil die gut bezeugte Tatsache, dass Haydn die Sinfonien vom Cembalo (oder Pianoforte) aus leitete, im Normalfall zu dieser Zeit auch Continuospiel bedeutete (siehe Zitat aus Kochs Musicalisches Lexikon, 1802 in der vorhergehenden Fußnote).
- Jürgen Mainka:Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 100 G-Dur Hob. I:100 (1794).In: Malte Korff (Hrsg.): Konzertbuch Orchestermusik 1650–1800. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden / Leipzig 1991, ISBN 3-7651-0281-4, S. 385–387.
- :ab Michael Walter: Haydns Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer. C. H. Beck-Verlag, München 2007, 128 S.
- Kurt Pahlen (Sinfonie der Welt.Schweizer Verlagshaus AG, Zürich 1978, S. 164–165): „Es ist also möglich, daß beide Themen – jenes von Haydn wie das von Strauß – auf eine altösterreichische Quelle zurückgehen.“
- 12.Finscher (2000): „[…] dem Seitensatz (von dem sich Johann Strauß Vater 1848 bei der Komposition des Radetzkymarsches inspirieren ließ) […]“
- Informationstext zur Sinfonie Nr. 100 beim Projekt „100&7“ der Haydn-Festspiele Eisenstadt: „Vom Seitenthema des ersten Satzes hat man oft behauptet, es nehme den‚Radetzkymarsch‘voraus.“
- Jubel-Quadrille, Op. 130auf YouTube mit ab Minute 3:26 bereits 1841 vorweggenommem Marsch-Thema des Radetzky-Marsches
- Mainka (1991) bezeichnet das Thema dagegen als „wiegende, serenadenartige Melodie.“
- Teilweise (z. B. bei Heinrich Eduard Jacob (Joseph Haydn. Seine Kunst, seine Zeit, sein Ruhm.Christian Wegner Verlag, Hamburg 1952) wird auf die Ähnlichkeit bzw. Gleichheit des Themas mit dem des zweiten Satzes der Sinfonie Nr. 85 verwiesen. Van Hoboken (1957) lehnt dies jedoch ab: „Mit der Romanze aus „La Reine“ hat diese Melodie […] lediglich die Achtelfigur in der 2. Hälfte des 1. Taktes gemein, die aber in beiden Werken in unterschiedlichem melodischem Zusammenhang steht.“
- Den Holzbläser-Abschnitt kann man je nach Standpunkt als serenadenhaft-idyllisch oder – wie im ersten Thema vom Allegro – als Anspielung auf eine Militärkapelle verstehen.
- Einleitungstext und Formübersicht in: Joseph Haydn:Sinfonie 100 (XI) G dur. Wiener Philharmonischer Verlag A. G., Nr. 35, Wien ohne Jahresangabe (ca. 1950). Taschenpartitur
- Heinze (2007): „Es soll angeblich bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als „Paradepost“ der Kavallerie Österreichs bekannt gewesen sein (Schering 1940).“ [Arnold Schering: Bemerkungen zu Joseph Haydns Programmsinfonien.In: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters. Band 46, Ausgabe von 1940]
- Karl Geiringer:Joseph Haydn. Der schöpferische Werdegang eines Meisters der Klassik. B. Schott´s Söhne, Mainz 1959, S. 237
- Morning Chronicle zur Aufführung am 2. Mai 1795: „We cannot help remarking, that the cymbals introduced in the military movement, though they there produce a fine effect, are in themselves discordant, grating, and offensive, and ought not to have been introduced, either in the last movement of that Overture, or in the Finale at the close of the Concert.“ (zitiert bei Finscher 2000)

Joseph Haydn (Ölgemälde von Thomas Hardy, 1791), in drei Jahren wird er seine 100. Sinfonie uraufführen.
Vergleich der Einspielungen unter dem Einfluss der herkömmlichen Interpretationshaltung:
5
Claudio Abbado
Chamber Orchestra of Europe
DG
1995
7:46 5:47 4:44 5:01 23:18
Bei Claudio Abbados Einspielung gilt es abzuwägen, zu welcher Interpretationshaltung sie nun eher zugehörig ist. Für beide gäbe es Gründe genug. Es finden keine Originalinstrumente Verwendung, auf ein Vibrato wird wohl nicht gänzlich verzichtet, wobei die Artikulation und der Gesamtklang des Orchesters dennoch ausgesprochen klar erscheint. Das spräche noch eher für die herkömmliche Interpretation. Dann werden die sf herzhaft betont, Blech und Holz werden klar und deutlich aus dem Gesamtklang herausgearbeitet. Die Pauke klingt präsent. Die Streicherbesetzung ist ziemlich klein. Dies und die sinnfällige Phrasierung sprächen bereits eher für einen gewissen Einfluss der historisch informierten Interpretation. Vielleicht kann man es am besten so zusammenfassen, dass Abbado das Beste aus beiden „Welten“ völlig undogmatisch miteinander kombiniert.
Mustergültig ist die haargenaue Beachtung der haydnschen Dynamikvorschriften, bei Abbado bleibt es nicht nur bei „Empfehlungen“. Dem einfach herrlich klingenden Holz nimmt man ein gewisses „Lächeln“ im Allegro sofort ab, auch wenn sich ein Lächeln beim Spiel natürlich von selbst verbietet, denn es würde den Ansatz ruinieren. Es klingt einfach gut gelaunt und besonders frisch intoniert. Das Spiel des ganzen Orchesters wirkt einfach noch etwas straffer, virtuoser und eloquenter als das der Philharmonia Hungarica unter Dorati. Es wirkt zudem natürlich atmend und noch etwas „pfiffiger“. Trotzdem gelingt es Abbado den Satz mit viel Stilgefühl in einer wunderbaren Balance zu halten.
Der exquistite Gesang der Oboen begeistert auch im 2. Satz. In ihm kann man auch sehr gut das stark interaktiv geprägte Spiel innerhalb des Orchesters verfolgen. Nirgends werden die kommentierenden „Antworten“ auf die zuvor gestellten „Fragen“ so sinnfällig herausgearbeitet. Die „Janitscharen“ (wie bereits erwähnt spielen sie aber eher mitteleuropäische als türkische Motive, nur eben mit dem den Türken zugeschriebenen Instrumentarium, sie sind daher wohl als „Pars pro toto“ für das Militärische schlechthin zu verstehen), spielen deutlich, präsent und bestens artikuliert. Die Gran Cassa ist eine „Ohrenweide“. Besonders bedrohlich klingt es bei T. 161 ff.
Das Menuett leuchtet wie ein Juwel. Wo andere langweilen, begeistert Abbado und das Orchester mit Musikalität, Inspiration und einem überhaupt nicht aufdringlichen tänzerischen Gestus, ganz besonders nuancenreich dargeboten wie selten. Ein Kabinettstückchen mit einer leicht getriebenen Note, von einem serviert, der vielleicht schon Schubert im Kopf hatte und so eine gewisse Beziehung der beiden Komponisten aufzeigt.
Das Presto ist herrlich überdreht, hochvirtuos und pointenreich. Die „Janitscharen“, hier nun selbst zu einer Deja-vu-Pointe für das avisierte Londoner Publikum geworden, spielen im 4. Satz nun fröhlich mit, nicht als Gegner, sondern mittlerweile auf „unserer Seite“.
Der Klang der Aufnahme ist sehr offen, dynamisch, sehr plastisch, gut gestaffelt, farbig und konturenreich. Diese Einspielung ist ein kleines Gesamtkunstwerk.
5
Antal Dorati
Philharmonia Hungarica (Orchester seit langem aufgelöst)
Decca
1974
7:27 5:47 5:15 4:56 23:25
Von Antal Dorati liegen zwei Einspielungen der Sinfonie vor. Die gute, recht spritzige Londoner Einspielung von 1957 wird von der neueren, innerhalb der gerühmten ersten Gesamteinspielung aller Sinfonien Haydns deutlich übertroffen. Es sind nicht alle Sinfonien aus Doratis Gesamteinspielung gleichermaßen auf höchstem Niveau gelungen, aber zumindest bei der einhundertsten ließen es sich der Dirigent und die Musiker aus Marl nicht nehmen, ihr Bestes zu geben und der Sinfonie eine glanzvolle Einspielung mit Tiefgang und mitreißendem Schwung zu bescheren.
Der großorchestral wirkenden Adagio-Einleitung merkt man bereits die besonders aufmerksame, differenzierte Gestaltung an und schon mit den ersten Takten des Allegros, die ja noch den klanglich ausgezeichneten beiden Oboen und den beiden Flöten alleine gehören, erfreut Dorati mit einem aufgeweckten, freudig-erregten Impetus. Das Frage-Antwortspiel gelingt pointenreicher als mit dem eigentlich viel prominenteren Orchester aus London. Das perlende Spiel des Orchesters erfreut außerordentlich, die dramatische Durchführung und der mitreißende Schwung ebenfalls.
Im Allegretto begegnet uns eine ausgesprochen wuchtige Militärkapelle mit einer für die Zeit der Aufnahme überragend eingefangenen Gran Cassa. Die damaligen Hörer dürfte diese Darstellung wohl aus dem heimischen Sessel gehoben haben. Jedenfalls könnte der Überraschungseffekt wohl kaum größer sein. Auch das Trompetensolo, so einfach gestrickt es ist, gelingt sehr eindringlich.
Im Menuett kann der Orchesterklang sogar mit dem Amsterdamer Orchester unter Colin Davis durchaus mithalten. Sehr offen und einfach sehr schön.
Das feurige, spannend und inspiriert wirkende Presto ist sehr facettenreich und nun auch dynamisch aufgeladen. Gerade der Nuancenreichtum geht weit über das der älteren Einspielung Doratis aus London hinaus. Anscheinend hat er selbst auch viel mehr, bedingt durch die intensive Beschäftigung mit der Musik Haydns über etliche Jahre hinweg, einbringen können. Der überschäumende Kehraus, nun verstärkt durch die beherzt auftrumpfenden „Janitscharen“, begeistert mit grandioser Lärmentfaltung.
Diese Aufnahme lag auf zwei unterschiedlichen CDs vor. Die mit AMSI überspielte Billig-CD wirkte gegenüber der älteren zwar etwas glasig im Klang, aber erheblich räumlicher. Gegenüber dem raueren Klang der älteren Mercury von 1957 wirkten beide Decca-CDs abgerundeter und erheblich feiner, auch lebendiger, voller und brillanter. Ganz konnte der Nachhall des Kirchenraums allerdings nicht gebändigt werden, aber er stört auch nicht.
▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten weiter unten in der Liste
5
Eugen Jochum
London Philharmonic Orchestra
BBC LIVE
1973, LIVE
7:08 5:30 4:28 4:36 21:42
Auch von Eugen Jochum liegen zwei Einspielungen vor, jedoch sind beide höchstwahrscheinlich nach derselben Probenphase entstanden, die eine live von der BBC aufgezeichnet, die andere als Studio-Aufnahme der DG. Das Spiel unterscheidet sich in markanten Nuancen, denn live kommt noch mehr Spontaneität und Spielfreude zu der bereits perfekt eingeübten Spielweise hinzu. Was aber sehr überrascht ist, dass die Live-Aufnahme erheblich voller und plastischer klingt als die Einspielung unter Studio-Bedingungen. Die Violinen (sollten es live mehr gewesen sein?) klingen beispielsweise weicher, sonorer, fülliger, die Oboen mit einem deutlich dunkleren Timbre. Sie klingt auch eher noch etwas transparenter, frischer und unmittelbarer. Insgesamt ein klanglich ganz erstaunlich gut gelungenes Zeitdokument. Allerdings rauscht es live etwas mehr, was aber hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt sei, denn man vergisst es sofort wieder, weil man vom Spiel des LPO sogleich gebannt wird.
Bei den eingeschlagenen Tempi gibt es keine Unterschiede. Jochum scheint da sehr verlässlich und sicher wie ein Metronom gewesen zu sein. Das Orchester scheint den Abend genossen zu haben, denn es spielt noch temperamentvoller als im Studio, drängend, fast ungestüm. Es sprühen die Funken vor Vitalität. Das Tempo wird konstant durchgezogen. Eine etwas flexiblere Handhabung hätte die Intensität der Pointen eher noch gefördert. Aber angesichts des ausgereizten Überschwangs wäre das vielleicht auch vom grandiosen LPO dann doch zu viel verlangt gewesen. Begeisternde Hörner am Schluss des Satzes, während das Augenmerk Jochums auf die Trompeten nicht so deutlich ausgeprägt erscheint.
Auch im Allegretto klingen die Oboen tatsächlich deutlich sonorer als im Studio, die „Militärkapelle“ verfügt über noch erheblich machtvoller dreinschlagende „Janitscharen“. Sie machen durch ihre Zwischenspiele den 2. Satz ganz besonders ausdrucks- und druckvoll. Man wundert sich über das disziplinierte Londoner Publikum, denn eigentlich wäre hier unweigerlich „Szenenapplaus“ fällig gewesen.
Auch das Menuett steht unter Strom. Es klingt ausdrucksmäßig außerordentlich ausgereizt. Wer würde dazu tanzen wollen? Denn man würde sich wohl die Füße verbrennen, so eine Hitze wird hier verbreitet. Ob Jochum bereits Anklänge an ein brucknersches Scherzo mit dachte?
Beim Presto könnte man schon sofort ins Jubeln kommen, denn das Orchester spielt geradezu enthusiasmiert und enthemmt. Es hat auch gar keine Zeit für die Wiederholung der Exposition, spielt extrem kontrastreich und dreht voll auf. Der letzte Satz wirkt auf uns unwiderstehlich. Auch die Gran Cassa haben die Techniker der BBC viel besser eingefangen. Das ist große Klasse und natürlich mit großem Jubel in London belohnt worden. Er dürfte auch im heimischen Zimmer garantiert sein. Ob an der herkömmlichen oder an der historischen Spielweise orientiert, bei solchen Sternstunden spielt das einfach überhaupt keine Rolle.
▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten weiter unten in der Liste
5
Otto Klemperer
Philharmonia Orchestra London
EMI
1965
8:17 6:23 5:08 5:37 25:25
Auch Otto Klemperer ließ Haydn mit großer Streicherbesetzung spielen. Mit den Wiederholungen nimmt er es sehr genau. Er beachtet alle, was zum Teil die recht langen Spielzeiten bereits erklärt. Aber auch die Tempi kann man nicht gerade als flott bezeichnen. Die Relationen stimmen jedoch immer. So klingt das einleitende Adagio schmerzvoll wie selten. Klemperer setzt es sehr kontrastreich vom lichten und durchaus pointierten Spiel im Allegro ab, das erheblich spritziger und akzentuierter, kontrastreicher und dynamisch vielfach abschattierter als beim zuvor gehörten Karajan klingt. Auch das Holz, das sich alleine schon aufgrund seiner Klangfarbe sehr gut vom starken Streicherklang absetzt, kann sich ohne Probleme der streichenden Armada erwehren. Auch klanglich erreicht Klemperer absolut stimmige Relationen. Trotz des recht langsamen Tempos kommt der Eindruck von Behäbigkeit oder Gemächlichkeit nie auf. Dazu ist die Phrasierung viel zu lebendig. So gut haben die sonst oft gescholtenen, eigentlich rau und hart klingenden Oboen noch nie gefallen. Hier spielen sie einfühlsam und bisweilen gar keck. Das Blech lässt Klemperer bereits lange vor den Entdeckungen der historischen Aufführungspraxis sehr präsent klingen.
Dem Allegretto fehlt durch das langsamer gewählte Tempo der einfache, unbedarfte, idyllische Charakter des sonst oft leichten und lockeren Satzbeginns. Das Leben scheint hier bereits vor dem Einfall des Militärs kein „Zuckerschlecken“ gewesen zu sein. Das Eintreten des Militärischen das bei Klemperer dramatische Ausmaße annimmt, führt zu außerordentlich deutlich gemachten, tiefgreifenden Angstzuständen. Auch Jochum zeigte diese Facette lange nicht so drastisch auf. Man vergleiche alleine die Einsätze der Trompeten. Bei Klemperer hätte dieser Satz kaum zum Divertissement des Londoner Publikums zur Zeit der Uraufführung getaugt. Obwohl das Kampfgetümmel nicht lange andauert (nur sechs Takte lang) hat es bei Klemperer eine niederschmetternde Wirkung.
Das Menuett klingt nun dynamisch sehr kontrastreich und ausladend, voller Leidenschaft und sehr expressiv, fast schon so unerbittlich, als ob Wozzeck mit seiner Marie tanzen würde (Alban Berg).
Das Presto (das Tempo ist bei Klemperer immer relativ zu den anderen Tempi zu verstehen) erhält eine mitreißende Gestaltung mit mächtigem Impetus und ordentlich Biss. Auch die Pauke haut hier lange vor den Historisten mächtig zu. Die Dynamik hat Klemperer immer ganz besonders im Blick, er reizt die Gegensätze mit geschärften Kontrasten aus. Der ganze Satz lässt in der Spannung nie nach, denn es wird mit brennendem Feuer musiziert. Haydns 100ste ist hier eine ausgewachsene Sinfonie. Der leichte spritzige Humor findet bei Klemperer eher wenig Beachtung. Ernster geht es nimmer, sollte man meinen. Eine besonders subjektive und sehr modern wirkende Sicht auf das Werk, vielleicht aus heutiger Sicht nicht idiomatisch, aber großartig und konsequent.
Das Klangbild wirkt sehr transparent und räumlich, es ist vor allem weit in die Breite gespannt, weniger in die Tiefe. Es klingt voll, rund und sehr voluminös. Extrem voluminös klingt es, wenn die Gran Cassa mitwirkt.
5
Bruno Walter
Columbia Symphony Orchestra
CBS-Sony
1961
7:30 6:31 5:47 5:47 25:35
Der Klemperer-Einspielung recht ähnlich hören wir bei Bruno Walter ein erheblich kontrastreicheres, ausdrucksvolleres Adagio als beim gerade zuvor gehörten Jeffrey Tate. Das anschließende Allegro ist zwar zurückhaltend im Tempo aber stürmisch und spannend im Charakter. Das spürbar vom Bass als grundierendem Element aufgebaute Orchesterspiel erhält eine ausgefeilte Phrasierung. Die Dynamikspitzen werden voll ausgespielt. Wir hören hier eine große Sinfonie, gespielt von einem ausgezeichneten Orchester, das einen ungemein motivierten Eindruck macht und viel Frohsinn verbreitet.
Auch das Allegretto erhält eine deutliche Herausarbeitung der verschiedenen Charaktere. Die hervorragende „Militärkapelle“ hat hohes Bedrohungspotential. Die Gran Cassa klingt ausgezeichnet, auch die Hörner kommen gut zur Geltung und vor allem auch die beiden Trompeten! Walter macht aus dem Satz „Ausdrucksmusik“. Takt 161 ff wirkt explosiv und zerstörerisch.
Das Menuett klingt bärbeißig und expressiv aufgeladen. Kaum leicht zu nennen und musikalisch den Gepflogenheiten der höfischen Zeit weit voraus. Dieses Menuett ist, wie bei Klemperer, wahrlich keine kleine, nebensächliche Sache.
Im Presto lässt Walter das Orchester wie entfesselt aufspielen. Es spielt geschmeidig, aber weniger leicht als stämmig und kraftvoll und setzt die Akzente ganz genau. Obwohl der Dirigent fraglos den Humor Haydns genau erkennt, wirkt seine Darstellung sehr seriös, versehen mit viel Wärme, aber vielleicht eine Kleinigkeit zu gewichtig. Die Gran Cassa klingt für das Aufnahmedatum einfach toll. Diese „alte Schule“ war in vielerlei Hinsicht ihrer Zeit weit voraus.
Die Aufnahme rauscht ziemlich stark, zumindest in der vorliegenden CD-Version. Ihr Klang ist aber supertransparent, sehr offen und plastisch, sehr dynamisch und präsent, vor allem das Holz. Sehr gut verfolgbare Basslinien.
5
Fritz Busch
Wiener Symphoniker
Archipel
1950
6:43 4:55 4:57 4:30 21:05
MONO Mit den Wiederholungen nahm man es, besonders in den frühen 50er Jahren, noch nicht so genau. Busch machte da keine Ausnahme. Man versuchte zu kürzen wo es möglich war, um das Werk noch auf eine Platte zu bekommen. Busch verzichtet im 1. Satz ebenfalls auf die Wiederholung der Exposition.
Er nahm damals schon das Holz in den Fokus, vor allem die Wiener Oboe ist eigentlich bei allem was sie spielt herauszuhören. Nur die Pauke wird im Klangbild sträflich vernachlässig. Sie wird zu sehr nur als Füllinstrument verstanden, dem noch kein Eigenleben zugebilligt wird. Eine Eigenart, die fast alle frühen Aufnahmen eint. Buschs Interpretation ist ansonsten aber herausragend in ihrem Zugriff. Er betont die innere Zerrissenheit im ersten Satz wie kaum ein anderer. Die unterschwellige dunkle Seite kommt so viel mehr zum Vorschein wie bei allen anderen, Klemperer und Walter vielleicht einmal ausgenommen. Buschs Artikulation wirkt in ihrer Klarheit fast schon schneidend und nimmt die „Historisten“ schon ein wenig vorweg, ohne aber je in Kurzatmigkeit zu verfallen. Das Spiel des Orchesters wirkt beredt.
Im Allegretto vermisst man zur Pauke auch die Gran Cassa schmerzlich. Der Triangel dagegen tönt sehr präsent. Fast zwangsläufig fehlt dem Höhepunkt des Satzes bei T. 161 ff dann auch die Wucht. Ein Tribut, das man dem Alter der Einspielung einfach zollen muss. Damals ging einfach noch nicht mehr. Das Menuett erklingt sehr kraftvoll, wirkt wie bei den „Altergenossen“ kaum tanzbar, wie bei Walter wirkt es wenig leicht, vielmehr bärbeißig und ein wenig schroff.
Ausgesprochen agil und temperamentvoll, fast, wie bereits das Menuett, ein wenig schroff, erklingt das Presto. Leider hört man von der „Militärkapelle“ fast nur den Triangel. Dennoch hören wir hier eine individuelle, ungewohnt ernsthafte, intensiv aufgeladene und nachdrückliche Interpretation. In ihr wird Haydn zum älteren Bruder Beethovens, an dessen erste Sinfonie man ein ums andere Mal besonders bei Busch denken muss. „Papa Haydn“ wurde von Busch damals schon mehr als rehabilitiert und direkt neben Beethoven sozusagen in den „Titanenstatus“ erhoben.
5
Hermann Scherchen
Philharmonic Symphony Orchestra of London (= Royal Philharmonic Orchestra)
Beide Westminster, heute DG aber auch unter anderen Labels erhältlich
1956
6:04 7:35 5:14 4:26 23:19
Orchester der Wiener Staatsoper
1958
6:12 7:28 5:08 3:53 22:41
In London noch in MONO. Hermann Scherchen hat die Sinfonie drei Mal innerhalb von acht Jahren für das Label Westminster eingespielt. 1950 zum ersten Mal mit den Wiener Symphonikern, eine Aufnahme, die uns leider nicht zum Vergleich vorlag. Das zweite Mal mit dem RPO bereits 1956, Fortschritte der Technik scheinen die Einspielung nötig gemacht zu haben und ein drittes Mal, nun bereits in Stereo, mit dem Orchester der Wiener Staatsoper (was aber auch das Orchester der Wiener Volksoper gewesen sein könnte und sehr wahrscheinlich de facto auch war, denn damals firmierten beide Institutionen unter dem gemeinsamen Oberbegriff „Wiener Staatsoper“). Ein Vergleich mit der Münchinger-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern machte dies, nur drei Jahre später aufgenommen, deutlicher, als es dem Orchester der Volksoper lieb gewesen sein dürfte.
Das britische Orchester spielt generell deutlich präziser als das österreichische, bemerkbar vor allem bei den Violinen. Im ersten Satz kommt das Adagio bereits ziemlich flott daher, das Allegro klingt dann voller Lebensfreude, prall, reich an Kontrasten und an Konturen. Für den Haydnschen Humor hat Scherchen ein offenes Ohr. In beiden Einspielungen wiederholt Scherchen die Exposition nicht, wahrscheinlich aus demselben Grund wie Busch. Das Klangbild in der neueren Wiener Einspielung lässt die Pauke und das Blech noch besser zum Zuge kommen.
Dem Allegretto gewinnt Scherchen ganz besondere Seiten ab. Er beginnt den Satz extrem verhalten im Tempo. In Wien nochmals defensiver und „schwächlicher“ auch noch in der Tongebung und im Ausdruck, während in London viel kräftiger intoniert und hier schon bereits von Beginn an leidenschaftlich gesungen wird. Es fällt hier nun besonders auf, dass das Londoner Holz viel besser intoniert. Die Wiener Oboen liegen bisweilen auch mal daneben. Der auffallend verhaltene Beginn, besonders in Wien, lässt dann die „Janitscharen“ (in Wien) besonders brutal in das zerbrechliche Idyll einfallen, während man im „kräftigeren“ London mit erheblich mehr Widerstand rechnen muss, die lassen sich weniger vom anrückenden Militär überrollen. Inszenatorisch liegt man in Wien jedoch vorn, denn man wollte die neue Technik geradezu vorführen. Die Gran Cassa entfaltet ein für das nicht unbedingt auf audiophile Köstlichkeiten spezialisierte Label kaum glaubliches Volumen und eine tolle Dynamik. Das Becken wird „an vorderster Front“ positioniert, die Trompeten gehen quasi bestens „sichtbar“ von der einen Seite (links) des Aufnahmeraums zur anderen (rechts). Das wirkt fast schon filmisch oder naturalistisch. Auch in London, noch zu Mono-Zeiten, tat man alles was Möglich war, das Militärische ganz besonders in den Fokus zu rücken. Die Gran Cassa haut rein wie Kanonenschläge, genauso wie die Pauken und die Becken alles rausholen. Der Triangel klingt hier sogar besser, nämlich nicht ganz so vordergründig als in Wien. Eigentlich hätte dieses Ausreizen der Partiturvorgaben Schule machen müssen, denn es wird ein Höchstmaß an Plastizität erreicht.
Das Menuett bekommt in London durch eine starke Intensivierung der Dynamik und der Phrasierung bereits eine gewisse beethovensche Scherzo-Grimmigkeit. Die Pauke ist immer sehr präsent. Auch in Wien geht es energisch, aber nicht ganz so ruppig und auch erheblich transparenter zu.
Das Presto in Wien, das schnellste des ganzen Vergleichs, trägt seine Tempobezeichnung wahrlich zu recht. Leider wirkt es aber auch etwas gehetzt, obwohl das Orchester hier konzentrierter bei der Sache ist wie noch im 1. Satz. Die wild gewordenen Janitscharen stimmen aber in den Jubel, der fast schon etwas karikaturenhaftes, satirisches annimmt, voll ein. Das hört sich dann wirklich bereits überdreht an. In London klingt das Presto zwar auch sehr hitzig, wirkt aber nicht so gehetzt wie in Wien. Besonders erfreulich ist die bereits 1956 „emanzipierte“ Pauke. Die „Janitscharen“ werden hier nicht ganz so brillant eingefangen, bleiben aber immer noch deftig genug. Der entfachte Jubel gefällt. In seinen eigenständigen beiden Einspielungen fördert Scherchen Aspekte zutage, die erst viel später mit der historisch informierten Spielpraxis weiter in den Vordergrund rückten. Haydns 100ste ist hier (besonders in Wien) eine Sinfonie der extremen Kontraste. Allerdings mit noch mehr Innenspannung versehen und besserem Orchesterspiel erklingt sie 1956 in London.
Der Klang der Londoner Einspielung ist erstaunlich plastisch und transparent, Das Holz ist sogar besser zu hören als ein paar Jahre später in Wien und in Stereo. Kaum Rauschen, kaum Rillengeräusche der alten digitalisierten Platte der Bibliothèque national de France.
In Wien hören wir ein gutes Stereopanorama, besonders gut in die Breite geordnet, weniger in die Tiefe. Der Klang ist transparent und bereits erstaunlich plastisch und offen.
4-5
Adam Fischer
Austro-Hungarian Haydn-Orchestra
Nimbus-Brillant
1988
7:45 5:44 5:11 5:18 23:58
An die Autorität Doratis, dessen Aufnahme gerade zuvor gehört wurde, kommt Fischers Einspielung nicht ganz heran. Obwohl der Geist Haydns vielleicht noch durch den Aufnahmeraum wehte, konnte man doch Schloss Esterhazy, den langjähriger Arbeitplatz Haydns, dazu nutzen. Die Aufnahme besticht denn auch durch farbige Natürlichkeit. Das Orchester gewinnt hier ein recht dunkles Timbre. Leider gerät der Gesamtklang eine Spur zu hallig, was zwar für recht volle aber auch sehr weiche Konturen sorgt. Die Transparenz ist eigentlich sehr gut, jedoch könnte die Präsenz des Holzes durchaus besser sein. Vor allem der 3. Satz fällt diesbezüglich deutlich gegenüber dem ersten ab. Im 1. Satz wird agil musiziert, kleine Präzisionsprobleme bei den Violinen bleiben nicht ganz verborgen. Das Allegretto des 2. Satzes gerät eine Spur zu breit, ein Schicksal, das den Satz noch häufiger in unserem Vergleich ereilt, aber eines das er mit dem 2. Satz aus Beethovens siebter Sinfonie teilt. Ein „echter“ langsamer Satz fehlt beiden Sinfonien. Manche wollen aber trotzdem gerne aus dem Allegretto einen langsamen Satz machen. Das „Militärorchester“ wird gut dynamisiert, das Kampfgetümmel gewinnt den nötigen Nachdruck.
Das Menuett verliert durch die Nachlässigkeit der Technik, die, wie bereits angedeutet das Holz nun ganz weit hinten und nur noch undeutlich vernehmbar im Raum platziert, viel Kolorit, besonders im Trio.
Der 4. Satz (mit dem ersten der überzeugendste dieser Einspielung) wird mit besonderem Charme musiziert, woran der aparte Wechsel von Streichertutti und solistischen Streicherpassagen großen Anteil hat. Auch hier werden bereits Elemente der historisch informierten Aufführungspraxis mit einbezogen. In Hinsicht auf Inspiration und Feuer wird der Standard Doratis nicht ganz erreicht. Die deftige Reminiszenz an die „Janitscharen“ des 2. Satzes gefällt aber außerordentlich.
4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1970
8:24 6:17 5:23 5:15 25:19
Die Einspielung der „Militärsinfonie“ zählt innerhalb der Gesamtaufnahme der Londoner Sinfonien Bernsteins zu den besten. Es wird auch hier noch, wie beim zuvor gehörten Beecham, eine große Sinfonie in großer Streicherbesetzung gegeben. Die Wiederholungen werden alle beherzigt. Schon in der Adagio-Einleitung fällt auf, dass Bernstein die Dynamik in ein besseres Verhältnis setzt als Beecham, der diesbezüglich unbekümmerter agiert. Vielleicht waren aber auch die vorliegenden Partituren in diversen Punkten verschieden, denn Bernstein griff ja bereits auch die Neuausgabe von Robbins-Landon zurück, die es zu Beechams Zeiten noch gar nicht gab. Auch die Pauke bekommt bei Bernstein schon ein eigenes “Gesicht“. Die Hörner und Trompeten sind schon viel besser exponiert als beim älteren Briten. Bernstein findet zu einer sehr guten Balance zwischen Bläsern und Streichern. Natürlich unterstützt von der hellhörigen Technik. Der 1. Satz klingt bei ihm sehr frisch und vital. Mit Haydns Humor hat Bernstein keine Probleme, diesbezüglich scheinen sie dieselbe Sprache zu sprechen.
Im 2. Satz sind die Violinen vielleicht eine Kleinigkeit im Übergewicht, aber eigentlich ist das schon Haarspalterei. Denn was wichtiger ist: Das Holz verschafft sich Präsenz und bei der „Militärkapelle“ kommt das Schlagwerk sehr schön zu Geltung. Bernstein betont hier auch gut den Marschrhythmus. Auch die Militärkapelle wird plastischer dargestellt, sodass der 2. Satz insgesamt ebenfalls nachdrücklicher klingt als bei Beecham.
Das Menuett (mit dem Trio) wirkt bei Bernstein tänzerisch, keinesfalls verzopft, sondern musikantisch und locker musiziert. Der 4. Satz erklingt sehr beschwingt, da wird allerdings auch einmal ein p überspielt (z.B. T. 240). Sehr überzeugend und letztlich auch bewegend wirken die sehr schön und spielerisch herausgearbeiteten schnellen Wechsel der Orchestergruppen.
Der Klang wirkt voller, differenzierter und brillanter als bei Beecham. Auch luftig, transparent und körperhaft. Auch die Basslinie kommt gut zur Geltung.
4-5
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
a)Sony und
b) BR- Eigenproduktion
2003, LIVE
7:30 5:41 4:45 5:16 23:12
Wenn man beide CD´s vor Augen hat, könnte man annehmen, es wären zwei verschiedenen Einspielungen, aber beim Vergleich bemerkt man, dass die angegebenen Spielzeiten nur divergieren, weil die Pausen bei der BR-Eigenausgabe etwas länger sind und beim letzten Satz der Schlussapplaus nicht herausgeschnitten wurde. Die „bereinigte“ tatsächliche Spielzeit der beiden Ausgaben ist sekundengleich. Alles, was während der „LIVE“-Aufnahme des BR während des Konzertes „passiert“, hört man auch auf der Sony-CD.
Wir erfreuen uns erneut an der exquisiten Qualität des Orchesters. Stilistisch werden nicht mehr Elemente der historischen Aufführungspraxis mit aufgenommen, als wir es schon bei Bernstein hören konnte. Diesbezüglich also nichts Neues bei Jansons. Der Impetus beim ersten Satz wirkte aufgeweckter, rhythmischer und inspirierter als bei Colin Davis, der ein ähnlich klangvolles Orchester zur Verfügung hatte. Vor allem die Violinen, aber auch die Oboen klingen beim SO des BR noch etwas sonorer als beim COA zur Zeit der Aufnahme mit Colin Davis.
Der zweite Satz klingt sehr gefühlvoll, denn die Reaktionen auf die Passagen mit der gut dargestellten, aber nicht aufgesetzt wirkenden „Janitscharenkapelle“ wirken sehr eindrücklich. Die Trompete bläst von weit her zum Appell. Die Gran Cassa hätte noch deftiger sein dürfen.
Das Menuett samt Trio erklingt hier ebenfalls sehr gefühlvoll. Das Presto inspiriert, vielschichtig und detailreich. Ein ausgelassenes Finale. Bernsteins Darstellung wirkte hier jedoch noch etwas frischer.
Von den beiden CDs hatte die Sony-Ausgabe klanglich etwas die Nase vorn. Für die Veröffentlichung wurde die Originalaufnahme des BR vielleicht noch einmal etwas überarbeitet. Sie klingt voll, breit gestaffelt, räumlich, farbig und präsent.
4-5
Eugen Jochum
London Philharmonic Orchestra
DG
1973
7:08 5:33 5:01 4:38 22:20
Auf die Live-Einspielung Jochums sind wir bereits weiter oben eingegangen. Auch die Studio-Version erfreut durch das saubere, agile, hoch konzentrierte, aufgeweckte Spiel und den beinahe feurigen Impetus. Gegenüber Abbado fällt aber das viel weniger nuancierte Spiel direkt auf. Live wird alles noch ein wenig spannender, frischer und unmittelbarer, denn das Orchester und sein Dirigent hatten am Abend des Konzertes eine echte Sternstunde erwischt.
Die Technik hält auch im zweiten Satz das Orchester stets transparent, das Vorbeiziehen und die verschiedenen „Stationen“ des Militärs muten sehr realistisch an. Die präsente Trompete bläst unmittelbar zum Appell, zum Sammeln oder sehr wahrscheinlich doch gleich zum Angriff. Zwar erscheint das Signal auch von Mahlers 5.Sinfonie bekannt zu sein, die genaue Bedeutung ist uns trotzdem leider nicht bekannt. Man konnte lesen, es wäre eine zu Haydns Zeiten sehr bekannte Weise gewesen. Das wundert nicht, denn Kriege gab es ja damals andauernd irgendwo in Österreich-Ungarn und Umgebung. T. 161 ff bleibt bei der DG sehr konturiert und distinguiert. Für echten Lärm war man sich bei der DG jedoch zu schade. Wie bereits geschrieben sahen das die Techniker der BBC dieses Mal glücklicherweise anders.
Das Menuett hat nicht viel Tänzerisches. Es kam uns eher vor wie eine eindrückliche Rede, denn die entfachte Dynamik erschien uns für einen Gesellschaftstanz doch deutlich überzogen. Die Tänzer würden sich wahrscheinlich erschrecken. Jochum tat das natürlich bewusst, um den Ausdruck durch extrem anmutende Kontraste zu steigern.
Dem 4. Satz verleiht Jochum trotz eines echten, erregenden Presto-Tempos ordentlich Biss, der begeistert. Jochum lässt auch im Studio die Philharmoniker fliegen. Super. Wer die Chance hat, sollte sich trotz der gelungenen Einspielung auf DG um den LIVE-Mitschnitt bemühen. Es lohnt sich.
Der Klang wirkt weniger rund und geschmeidig als der BBC-Klang. Als ob ein paar Violinen fehlen würden. Es fehlt gegenüber live eben auch an Fülle. Dünn klingt es aber auch bei der DG nicht. Die Aufnahme klingt minimal hallig und etwas heller als Live. Die Transparenz ist sehr gut, die Präsenz ist live auch etwas besser.
▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten weiter unten in der Liste
4-5
Sir Thomas Beecham
Royal Philharmonic Orchestra, London
EMI
1959
6:26 4:54 4:56 4:40 20:56
Wie so oft in der Zeit, bevor die Robbins-Landon Neuausgabe der Partitur bekannt wurde, ging auch Sir Thomas sehr freizügig mit den notierten Wiederholungen um. Zumeist entschied es sich, sie wegzulassen. Das ist heute ja weniger ein Problem als zur Haydnzeit, als die Zuhörer, wir nehmen es einmal an, nicht genug von dieser Musik bekommen konnten. Heute drückt man auf die Wiederholungstaste und schon wird man bedient. Anderseits war das Auffassungsvermögen des Publikums auch noch geringer, sodass Haydn selbst in London die ersten beiden Sätze der 104 am Anfang des Konzerts spielen ließ, die letzten beiden erst am Ende. Die Wiederholungen waren also in jedem Fall hörpsychologisch sinnvoll und natürlich auch zur Schaffung der klassischen Proportionen unabdingbar.
Sicher die Beecham-Einspielung wahrt trotz der vermeintlich willkürlichen Kappung immer noch schön das klassische Ebenmaß, aber dass man von der Pauke so gar nichts hört, ist bedauerlich. Der 1. Satz (ohne Wiederholung der Exposition) wirkt lebendig und quirlig, andererseits auch nachdrücklich. Die Differenzierung im p-Bereich erscheint jedoch verbesserungswürdig. Im zügigen Allegretto fällt die Abwesenheit der Pauke noch schmerzlicher ins Gewicht. Im Menuett lässt Beecham sogar alle Wiederholungen spielen!
Auch im Presto verzichtet Beecham auf die Wiederholung der Exposition. Die Janitscharen kommen präsent ins Bild und nun hört man sogar auch die Pauke (T. 105 und 111). Das Spiel des hochklassigen Orchesters wirkt beseelt und sehr temperamentvoll. Mit viel Spaß an der Musik. Beecham lässt es sich nicht nehmen die letzten beiden Akkorde als zwei tolle Schlusspunkte zu setzen.
Der Klang der Aufnahme versetzt das Orchester etwas nach hinten, insgesamt ist er zwar klar und deutlich, aber auch etwas zu streicherlastig. Vor allem dem Schlagwerk fehlt es entschieden an Präsenz.
4-5
Georg Solti
London Philharmonic Orchestra
Decca-Membran
1949
5:56 5:35 4:09 4:11 19:51
MONO Von Georg Solti existieren zwei Einspielungen, die im Abstand von 35 Jahren mit demselben Orchester entstanden, dem jedoch wohl kaum noch dieselben Musiker 1984 wie im Jahr 1949 angehört haben dürften. Die frühere Aufnahme entwickelt erheblich mehr vorantreibende, gar überschäumende Musizierlaune wie die ältere. Das LPO ist zwar groß gesetzt, spielt aber sehr virtuos und sehnig. Es wirkt in dieser Einspielung sogar noch virtuoser als das RPO, das zu jener Zeit noch als das Londoner Vorzeigeorchester galt. Die kürzeste Spielzeit unseres Vergleiches resultiert auch daher, dass Solti in seiner ersten Einspielung, wie seine Zeitgenossen auch, viele Wiederholungen weglässt. Das Tempo ist aber auch so furios, dass der Haydnsche Humor fast überspielt erscheint.
Im 2. Satz klingen die Violinen schon sehr schön (1949!). Solti und seine Techniker bringen das Militärorchester etwas besser zur Geltung als dies bei Carl Schuricht gelang. Die Oboen wirken noch etwas ländlich-unkultiviert, das war dann 1984 ganz anders. Der zweite Satz als Ganzes und die die bedrohlichen Aspekte werden jedoch von Hermann Scherchen bei weitem intensiver dargestellt, um einmal in den 50er Jahren zu bleiben. T. 161 ff gelingt jedoch auch bei Solti schon intensiv.
Dem Menuett belässt Solti, bei aller Ausdruckshaftigkeit noch ein Rest von Behäbigkeit, das Trio klingt sogar recht lieblich. Nicht schlimm, dass Solti auch das Menuett einkürzt. Da lassen sich die Auslassungen am besten verschmerzen.
Das Presto war 1949 bei Solti in den allerbesten Händen. Temperamentvoll, und mit seiner damaligen feurigen, ungarischen Spezialwürze versehen, treibt er die Sinfonie zu einem ausgesprochen vitalen und zugespitzten Ende.
▼ eine weitere Aufnahme des Dirigenten weiter unten in der Liste
4-5
Antal Dorati
London Symphony Orchestra
Mercury
1957
5:57 5:23 5:07 4:37 21:01
Doratis zweite Einspielung wurde bereits weiter oben gewürdigt. Die ältere mit dem LSO findet in ihr „ihren Meister“. Für sich genommen hat die Mercury-Einspielung aber durchaus ihre Meriten. Auch Dorati wiederholt die Exposition im 1. Satz leider nicht. Bei T. 16 im Adagio wirkt das ff sehr schwach. Im 2.Satz ist der Triangel zwar superpräsent, dafür aber die Gran Cassa sehr schwach. Im Menuett wird das Holz mitunter verdeckt. Das Trio wirkt im rauen, jederzeit ungeschönten und modernen, eher kühlen Umfeld erstaunlich behutsam gespielt. Es wirkt sogar zart.
Das Presto schließlich überschlägt sich fast. Da zeigt das Orchester sein Klasse mit virtuosen und filigranem Spiel. Dynamisch wirkt der Satz trotz des rasanten Tempos etwas gebremst. Die „Janitscharen“ kommen entsprechend nur etwas schwächlich weg. Für sie brachten die Decca-Techniker bei Münchinger in Wien oder später in Marl bei Dorati mehr Sinn auf.
Wie zumeist bei Mercury rauscht die Aufnahme vernehmlich. Unüblich ist es, dass die Holzbläser etwas zurückgesetzt werden. Da ist sonst eigentlich hautnahe Präsenz üblich. Vielleicht liegt es daran, dass wir dieses Mal mit einer mp3-Datei vorlieb nehmen mussten. Insgesamt klingt es jedoch differenziert und dynamisch.
4-5
Karl Münchinger
Wiener Philharmoniker
Decca
1961
6:24 5:43 5:15 5:13 22:35
Das Adagio klingt bei Münchinger und den Wienern zum Teil etwas breit aber auch romantisch-gefühlvoll. Trotz großer Streicherbesetzung wirkt die Balance zwischen Streichern und Holz sehr gut ausgewogen. Münchinger wiederholt die Exposition, wie von der Partitur gewünscht, was bei seiner akzentuierten Wiedergabe voller Wärme und Leidenschaft sehr zu begrüßen ist.
Im Allegretto agiert das Holz nicht immer ganz perfekt, die Oboen mit ihrem damals noch etwas helleren und dünneren, typischen Wiener Oboen-Ton beherrschen den Bläsersatz. Klanglich ähneln sie mehr den Oboen des Philharmonia Orchestra als den Wiener Oboen von heute. Der Höhepunkt bei T. 161 ff gelingt mit Effekt, nicht zuletzt wegen der herzhaften Pauke.
Das Menuett, etwas breiter und etwas weniger ziseliert als zuvor bei Marriner angelegt, erklingt immer mit großem Ton und etwas zu bedeutungsschwerem Impetus. Münchinger liebt hier die große Geste.
Im frischen und drängenden Presto brillieren die Wiener Geigen mit herrlichem Klang und leuchtenden Spitzentönen. Wenn man bedenkt, dass in den Reihen der Wiener Philharmoniker ausschließlich (besonders verdiente Mitglieder) des Orchesters der Wiener Staatsoper musizieren, tippen wir darauf, dass 1958 mit Herrmann Scherchen doch eher das Orchester der Wiener Volkoper am Werk war. Das Qualitätsgefälle wäre sonst binnen drei Jahren kaum zu glauben. Gegenüber Abbado und Jochum fehlt es noch etwas an Brio, aber durchaus pointenreich und mit Verve gespielt wird hier durchaus. Sehr gute herzhafte Gran Cassa.
Leichtes Rauschen damals auch noch bei Decca. Ansonsten hören wir erneut den feinsten Decca-Klang der frühen 60er. Sehr klar, lebendig und dynamisch, plastisch, griffig, spritzig und leuchtend.
4-5
Carl Schuricht
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
1958
6:01 5:31 4:51 5:42 22:05
MONO Schuricht nimmt das Adagio so zügig, dass es eigentlich gar keines mehr ist. Selbst als Andante wäre es noch recht flott zu nennen. Das Allegro hingegen wirkt nicht ganz so überschwänglich und vorwärtssprudelnd wie zuvor bei Scherchen. Es überzeugt dennoch, denn das leichte Gefühl des Abspulens, dass uns beim Abhören von Marriners Einspielung in den Sinn kam, kommt bei Schuricht auch nicht ansatzweise auf. Auch die „Janitscharen“ im 2. Satz klingen lange nicht so aufsässig und zu allem entschlossen wie bei Scherchen und entfalten auch viel weniger Bedrohungspotential. Alles wirkt bei Schuricht viel dezenter. Auch emotional. Nichts bringt hier das klassische Ebenmaß aus der Balance. Das Besondere der Sinfonie wird so beinahe versteckt. Wahrscheinlich trägt daran aber die Technik die Hauptschuld, denn sie nivelliert das „türkische“ Instrumentarium etwas über Gebühr. Immerhin ist die Gran Cassa aber leise hörbar.
Das Menuett wirkt sehr stimmig. Es gesellt sich qualitativ ebenbürtig zu den anderen drei Sätzen. Bei minderen Interpretationen fällt es auch schon einmal deutlich ab.
Auch das Presto wirkt gegenüber Scherchen gemäßigt. Schuricht lässt gepflegt musizieren und verlässt die ausgetretenen Pfade hier nicht. Eine ebenmäßige „klassische“ Balance war ihm offensichtlich wichtiger. Das wirkt intensiv, aber nicht gerade spritzig oder gar überraschend.
Auch klanglich fällt die Rundfunk-Aufnahme gegenüber der RPO-Einspielung Scherchens ab, die ja ebenfalls noch Mono war. Sie klingt nicht ganz so transparent und voll, auch weniger farbig und dynamisch. Insgesamt verhaltener und blasser.
4-5
Neville Marriner
Academy of St.-Martin-in-the-Fields
Philips
1977
7:40 6:01 4:58 5:20 23:59
Spieltechnisch brillant und in der Ausführung nahezu perfekt präsentiert sich die Einspielung Neville Marriners. Das Holz tritt etwas zurück, sodass man sich, wegen der Balance zu den Streichern aber auch wegen der exzellenten klanglichen Güte, eine bessere Präsenz gewünscht hätte. Im Tutti gelingt es Marriner nicht ganz den Eindruck des virtuosen Abspulens zu verhindern. Die klanglich erlesenen Bläsersoli sind davon jedoch völlig ausgenommen. Aber auch was die spontane Virtuosität oder die Transparenz anlangt, kommt die Academy nicht ganz an das COE unter Abbado heran. Im Allegretto erscheint das Tempo recht langsam, das sf der Pauke (T. 78) ist gar nicht zu hören, ebenso bei T. 89. Die Intonation des türkisch-militärischen Instrumentariums hätte mehr Farbe und Entschiedenheit vertragen. Es wird ihm keinerlei Selbstzweck oder Eigenleben zugebilligt. Dieser Satz wirkt insgesamt mehr solide vorgetragen als inspiriert.
Dem Menuett fehlt es nicht an Akkuratesse, ja Akribie. Es wirkt tänzerisch und unterhaltsam. Leider wirken die Violinen hier meist etwas zu dominant. Das Trio wirkt schön leicht.
Ähnlich der Einspielung Schurichts wirkt das Presto im Tempo sehr zurückhaltend. Auch die „Reminiszenz“ der Militärkapelle bleibt, allerdings sehr gepflegt, in den herkömmlichen Bahnen. Insgesamt stimmig, distinguiert, aber wenig temperamentvoll. Den haydnschen Humor bekamen wir schon mit mehr Lust und „Tollerei“ präsentiert.
Der Klang der Aufnahme wirkt besonders klar und gut konturiert, bestens gestaffelt, natürlich und brillant. Blech und Holz hätten mehr in Fokus gerückt werden können. Wo bleibt die Gran Cassa?
4-5
Jesus Lopez - Cobos
Orchestre de Chambre de Lausanne
Denon
1993
7:27 5:20 5:14 5:04 23:05
Diese Einspielung wird gekennzeichnet durch eine kammermusikalisch kleine Streicherbesetzung, sodass es den Holzbläsern leicht fällt durchzukommen. Die Spielweise erscheint leicht, locker und durchaus lebendig und in keiner Weise forciert. Die Stimmung wirkt freundlich ja freudig erregt. Zur hörbaren Virtuosität, Dynamik und Facettenreichtum des COE unter Abbado fehlt aber „ein gutes Stück“.
Auch im 2. Satz wirkt das Spiel recht plastisch und rhythmisch prononciert. Das Holz hatte damals noch die typisch französische, helle Klangfarbe. Die Lautstärkeverhältnisse erscheinen partiturgerecht. Die Gran Cassa erklingt wuchtig.
Das Menuett kommt wohl der Idealvorstellung recht nah, wie ein Haydnsches Menuett zu klingen hat. Tänzerisch locker, leicht, mit einer „atmungsaktiven“ Phrasierung und lieblichen Tempomodifikationen. Nichts wirkt hier zusätzlich mit Ausdruck aufgeladen.
Im Presto wünschte man sich etwas mehr Biss und Feuer. Es mangelt jedoch nicht an quirliger Eleganz. Auch der Haydnsche Humor wird nicht aus den Augen verloren. Noch besser wäre es gewesen, wenn die Pauke nicht so ein Schattendasein führen müsste.
Der Klang der Aufnahme ist sehr transparent und luftig. Er wird auch recht farbig, ausgewogen und mit einer gut hörbaren Basslinie versehen. Der Gesamtklang wirkt offen, aber auch ein wenig dünn. Gute Gran Cassa.
4-5
Sir Georg Solti
London Philharmonic Orchestra
Decca
1984
7:54 5:47 5:06 5:04 23:51
Dieses Mal wiederholt auch Solti die Exposition des 1. Satzes. Dieser erklingt immer noch beschwingt und recht vital, erreicht aber nicht mehr die überschäumende Lebenslust der 1949er Einspielung. Das Blech wird leider weitgehend in der recht stattlichen Streicherbesetzung mit integriert. Damit gibt Solti ein wesentliches Gestaltungsmoment der jugendfrischen ersten Einspielung aus der Hand.
Das Holz im Allegretto klingt nun erheblich kultivierter. Der Duktus wirkt abgemildert. Die Gran Cassa und die Bässe wirken an den entsprechenden Stellen aber sehr viel gewaltiger als noch 1949. Auch stellt Solti die „dumpfe“ Monotonie des Militärs sehr gut heraus. Das Bedrohungspotential erscheint nun erheblich machtvoller. Das Vorbeiziehen der Soldaten wird plastisch gemacht.
Das Menuett wirkt nun konventionell, etwas weniger ausdrucksstark und auch das Trio weniger stark in Kontrast gesetzt.
Auch im Presto wiederholt Solti nun die Exposition. Pauke und Blech lässt er auch hier noch integriert mitspielen. Bei Solti fand diesbezüglich keine Emanzipation statt. Hier sind die Unterscheide zu 1949 insgesamt aber weniger groß.
Trotz des bedeutsamen klanglichen Fortschrittes gefällt die alte Einspielung besser, denn sie wirkt weniger altersmild, temperamentvoller und etwas unmittelbarer im Ausdruck. Am besten wäre vielleicht eine Einspielung Ende der 50er Jahre oder Anfang der 60er gewesen. Da hatte auch die Decca-Technik ihren Höhepunkt.
Klanglich hat die 84er (natürlich) die Nase vorn. Sie klingt klar, gut gestaffelt, ausgewogen, und erheblich breitbandiger. Auch schön räumlich und recht farbig. Es fehlt ihr aber an Lebendigkeit und ungestümer Dynamik. Da klingt es etwas dicklicher und deutlich moderater als zum Beispiel bei Münchinger, ebenfalls auf Decca, aber in den 60igern.
4-5
Hans Swarowsky
Orchester der Wiener Staatsoper
Früher Saga oder Concert Hall, heute Hänssler
1956
Früher 6:57 heute 8:48 5:07 5:10 4:43 21:58 bzw. 23:49
MONO Bei allen Daseinsformen dieser Einspielung handelt es sich immer um dieselbe Aufnahme. Heute ist sie noch bei Hänssler in einer Sammelbox gemeinsam mit anderen Einspielungen Swarowskys erhältlich. Zweifelsfrei spielt auch immer das Orchester der Wiener Staatsoper (Volksoper?), aber nicht die Wiener Symphoniker, denn zeitgenössische Platten mit dieser Aufschrift waren nicht zu finden. Und in der Aufstellung aller Einspielungen Swarowskys war auch nur diese eine (von 1956) zu finden. Der große Unterschied in der Dauer des 1. Satzes resultiert daher, dass Hänssler entweder die Exposition ein zweites Mal in die Aufnahme hineinkopiert hat (als Wiederholung) oder an das Master gekommen ist, auf dem die Exposition ein zweites Mal gespielt wurde. Auf der Originalplatte (digitalisiert ins Netz gestellt von der Bibliothèque national de France) wird sie jedoch nur einmal gespielt. Die Exposition dauert übrigens genau 1:51 und genau so lange spielt auch der erste Satz in der Hänssler-Version länger. Klanglich geht der Lorbeerkranz an die Hänssler CD, denn gegenüber der LP klingt sie transparenter, etwas heller, das Holz kommt besser raus und die Nuancen kommen etwas differenzierter zur Geltung. Die Linkslastigkeit der Mono-Aufnahme (in den ersten drei Sätzen) wurde beim Remastering übrigens nicht behoben, denn sie ist sowohl der LP, als auch der CD eigen. In beiden Versionen wurde sie im 4. Satz korrigiert. Nach soviel Worten der Identitätsbestimmung nun noch ein paar Worte zur musikalischen Darstellung.
Generell wirkt die Herangehensweise Swarowskys geprägt von einer gewissen sachlichen Nüchternheit. Das Adagio wird aber schön ausgespielt, p und f sehr gut von einander abgesetzt. Das Allegro wirkt etwas gebremst im Tempo. Die Violinen spielen sauber und locker. Immer wieder hören wir auch hier schöne Kontraste. Haydns Pointen werden zwar etwas gemächlich, aber doch bewusst nachgezeichnet. Vor allem die Hörner, aber noch nicht die Trompeten, kommen auch einmal etwas exponierter zur Geltung.
Der 2. Satz wird klanglich, wenn die Militärinstrumente spielen, vom Triangel bestimmt. Die Trompete beim Appell klingt weich. Erst T. 161 ff geht das Orchester richtig aus sich heraus.
Im 3. und 4. Satz überwiegt ein unprätentiöser Zugriff, der wenig elegant wirkt, aber mit klaren Strukturen überzeugt. Im 4. Satz legt Swarowsky ein rigides Presto vor. Insgesamt ist hier eine gute Einspielung gelungen, wobei unter den zeitgleich entstandenen Scherchen deutlich einfallsreicher wirkt.
Wie bereits erwähnt ist klanglich die neu abgemischte CD der alten, digitalisierten Original-LP der BnF „klar“ überlegen.
4-5
Nikolai Malko
Kongelige Kapel, Kopenhagen
EMI - BnF
AD war für uns nicht zu ermitteln, spätestens jedoch 1953
7:04 5:56 3:55 4:27 21:22
MONO Der Klang der königlichen Kapelle Dänemarks wirkt beweglicher und dynamischer als der der Bamberger Symphoniker in der Einspielung Ferdinand Leitners, die wir zuvor gehört haben. Das Spiel des Orchesters erscheint recht locker, aber nicht unbekümmert. Humor wird nur angedeutet. Vielleicht durfte ein in die himmlischen Sphären entrückter Klassiker wie Haydn in Malkos Augen nur sehr sparsam damit umgehen?
Auch im 2. Satz, in dem Malko das Orchester ausdrucksvoll, eher langsamen Fußes, schreiten lässt, dominiert ein ernster, dramatisch zugespitzter Verlauf. Die Violinen dürfen dabei ausdrucksvoll singen.
Im Menuett dominiert in dieser Einspielung die Erdenschwere. An den blühenden Tanzcharakter, den gerade zuvor Lopez-Cobos hören ließ, kommt Malko nicht heran. Sicher hatte er ihn auch gar nicht beabsichtigt. Beschwingter als bei Leitner wirkt der 3. Satz jedoch trotzdem. Hier spart sich Malko übrigens die erste Wiederholung des Menuetts und des Trios.
Im Presto agiert das Orchester dann aufgeweckt, fast stürmisch. Dem Paukensolo (f) fehlt jedoch etwas die Leidenschaft, es knallt sonst viel mehr und weiß dadurch auch mehr zu überraschen. Trotz auffallend ähnlicher Tempi kommt Malkos Darstellung nicht an das Ausdruckspotentials von z.B. Jochum heran (besonders live).
Das Holz kommt besser heraus als bei Leitner. Leider fehlt der Bass fast völlig (besonders im Tutti), ebenso wie die Gran Cassa. Der Klang hat noch eine leichte Tendenz zum Schrillen. Die Platte rauscht kaum und läuft sehr ruhig.
4
Colin Davis
Concertgebouworchester, Amsterdam
Philips
1977
8:09 6:07 5:02 5:12 23:30
Davis Einspielung gewinnt vor allem durch die ausgewogene Klangkultur des Orchesters unsere Aufmerksamkeit. Nach der Einspielung Buschs gehört, fällt aber ein ziemlich neutraler Ausdruck ebenso auf. Die Gestaltung geht selten über eine genaue Beachtung des Notentextes hinaus. Ein echtes sf wird dem Hörer dabei jedoch vorenthalten. Wie so oft bei Aufnahmen des Dirigenten findet man auch hier den typischen warmen, bassgrundierten, etwas fülligen Colin-Davis-Klang.
Im 2. Satz (Allegretto) lässt Bernstein in seiner Einspielung, die kurz zuvor gehört wurde, ungleich lebendiger und charaktervoller artikulieren. Insgesamt wirkt der Satz bei Davis ein wenig „zopfig“. Sehr gut (und besser als bei Bernstein) kommt jedoch die Gran Cassa ins Bild, die hier tief und fest zu hören ist. Die Philips-Techniker konnten ja bei der Einspielung Marriners schon ein wenig üben.
Aus dem Menuett vermag Davis keine Funken zu schlagen, es klingt konventionell und ein wenig zu massiv.
Im Presto wahrt Davis gekonnt die Proportionen. Die Pointen hätten jedoch etwas beschwingter und überraschender herausgearbeitet werden können. Der reminiszenzartige Einsatz der „Janitscharen“ wirkt etwas zu „kalorienhaltig“.
Der Klang der Aufnahme wirkt weich und rund, dennoch ausreichend konturiert. Die Gran Cassa klingt sehr gut. Nur im Presto wirkt der Gesamtklang (durch das Tempo) etwas zu füllig.
4
Wolfgang Sawallisch
Wiener Symphoniker
Philips
1961
8:07 5:05 5:20 5:12 23:44
Sawallisch beginnt das Adagio mit einer weiten Spreizung der Dynamik. Das Allegro wirkt aufgeweckt und frisch, durch die etwas raue Tongebung etwas burschikos. Sawallisch lässt stark auf Linie spielen und hält unbeirrbar Kurs, darin Karajan nicht unähnlich, dessen Einspielung etwas weiter unten vorgestellt wird. Nur sind Sawallischs orchestrale Mittel leichter und sein Orchester strahlt etwas mehr Begeisterung aus.
Im 2. Satz bekommen die Violinen kein echtes p hin, zumindest hört man keines. Das zügige Tempo entspricht einem Allegretto sehr gut. Bei Sawallisch darf kein Instrument aus dem Gesamtklang herausstechen, weder die Pauke, noch die Gran Cassa und auch Hörner und Trompeten nicht. Haydns Instrumentierung wirkt so blasser als sie ist. T. 161 ff, der Höhepunkt des Satzes (auch das einzige ff des Satzes) klingt eindrücklich.
Das Menuett erklingt mit dem vollen Klang des Orchesters, tut darin etwas zuviel des Guten, zeigt aber auch Lust an der tänzerischen Bewegung. Das abschließende Presto wirkt gestalterisch etwas pauschal, erklingt aber mit Drive und bereitet dem Hörer einen fröhlichen Kehraus. Ingesamt ein durchaus stringenter Haydn, dem es etwas an Feinheiten und Zwischentönen fehlt.
Die Aufnahme rauscht deutlich, die Streicher wirken wenig geschmeidig und weich, die Pauke klingt mulmig. Der Gesamtklang wirkt leicht distanziert, die räumliche Tiefe etwas zu schwach ausgebildet.
4
Jeffrey Tate
English Chamber Orchestra
EMI
P 1987
8:17 5:15 5:27 5:31 24:30
Bei Jeffrey Tate wirkt das einleitende Adagio ermattet und saft- und kraftlos. Die dynamischen Kontraste wirken müde. Auch das Allegro haben wir schon vitaler gehört, es wirkt auch ziemlich humorlos, die Fröhlichkeit auffallend zurückhaltend. Erfreulich ist das frische Mitwirken der Hörner.
Auch im 2. Satz gefällt Marriners Academy deutlich besser, das betrifft sowohl das Holz als auch die präziseren Streicher. Insgesamt wird jedoch recht genau phrasiert und liebevoll musiziert. Der Verlauf des Satzes wirkt jedoch nur wenig zugespitzt. Die Militärkapelle erklingt differenziert, für einen vollen Erfolg fehlt jedoch die Gran cassa. Von ihr ist nichts zu hören!
Das Menuett erklingt mit Bedacht, wird aber recht locker musiziert, das Trio klingt anmutig und engagiert.
Im 4. Satz hat Tate das Holz immer im Blick, er scheint aber immer mehr um den Ausgleich der Proportionen und um die Genauigkeit des Spiels bemüht zu sein, als um ein spritziges Presto. Den inspirierten Elan vermissten wir an dieser Einspielung am meisten.
Die Aufnahme klingt transparent und wirkt gut ausbalanciert, ansonsten aber ist sie unauffällig.
4
Hans Rosbaud
Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden Baden
SWR Classic
1953
6:13 6:04 5:47 4:39 21:43
MONO Im Allegro erfreut Rosbauds Einspielung mit einem hellen, luftigen Duktus und einem recht geschmeidigen Spiel, das uns mehr überzeugte als das des ECO bei Tate oder gar Paillard. Die Pauke ist nur ganz schwach abgebildet, man bräuchte fast ein Hörrohr um sie zu verifizieren.
Auch im 2. Satz haben die wenig luxuriös klingenden Oboen noch nicht dasselbe Niveau wie später. Die Janitschren klingen ambitioniert, die Gran cassa vernehmlich, T. 161 ff hinreichend bedrohlich. Das Menuett erklingt kontrastreich, differenziert und recht gesanglich. Das musikalisch phrasierte Trio wirkt nachdenklich. Wie schon im ersten Satz verzichtet Rosbaud auch im Presto auf die Wiederholung der Exposition. Der Monoklang wirkt sogar recht plastisch, klangfarblich aber recht blass. Hier wirkt alles ein wenig „grau in grau“. Der Frequenzgang wirkt an beiden Enden beschnitten. Es klingt aber „räumlicher“ als bei Fricsay.
4
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester, Berlin
DG
1954
5:43 5:10 5:16 5:13 21:22
MONO Nur ein „grauer“ Klang wie bei Rosbaud ist auch der Einspielung Fricsays beschieden. Sie klingt aber recht deutlich und die Pauke kommt besser heraus als bei vielen Stereo-Einspielungen. Das Instrumentarium, insbesondere das Schlagwerk, klingt aber eher diffus als klar umrissen.
Fricsay lässt auf das sehr zügige Adagio (hier eher ein sehr lebhaftes Andante) ein leicht gebremstes Allegro folgen. Auch Fricsay lässt die Exposition nicht wiederholen. Die Hörner klingen schon recht präsent, nicht aber die Trompeten. Im 2. Satz lässt auch in Berlin die Oboe noch schmerzlich den Schönklang späterer Jahre vermissen als sich das Orchester dann RSO oder DSO Berlin nannte bzw. nennt. Die Gran Cassa ist gerade noch spürbar, die Janitschren klingen aber ziemlich diffus, fast wie „Schattenkrieger“. T. 161 ff erfolgt keine Mobilisierung aller Kräfte. Man hört auch noch keine Differenzierung, ob eine Rute oder Keule die große Trommel anschlägt, das war damals noch nicht von der Musikwissenschaft ermittelt worden.
Das Menuett klingt wenig akzentuiert und sehr trocken. (Ausnahme: Trio.)
Der 4. Satz hat zwar Schwung, bleibt aber doch in der Virtuosität eher spröde und erdeverhaftet. An die losgelassenen Londoner Philharmoniker unter Jochum (live) darf man noch nicht denken. Der Gestus bleibt hier noch sehr ernst, als ob man so kurz nach dem Krieg noch keinen offensichtlichen Humor in diesem Zusammenhang zulassen wollte.
4
Herbert von Karajan
Berliner Philharmoniker
DG
1981
8:41 5:19 5:48 5:17 25:05
Karajans Orchester ist groß besetzt. Das recht breit genommene Adagio lässt das typische karajansche Legato hören, hier eingebettet in Steigerungen von fast brucknerschen Ausmaßen. Das hört sich schon beeindruckend an, wirkt aber keinesfalls idiomatisch. Dynamisch wirkt das Spiel wenig überraschend. Die Gegensätze von p zu f wirken mitunter nivelliert. Das Allegro wirkt wenig schlank oder gar leicht musiziert. Das goldfarbene Holz hätte viel mehr Präsenz verdient gehabt. So kann es nicht wirklich brillieren. Allerdings kann man doch ein paar einzelne berückend gelungene Momente genießen. Insgesamt wirkt der vorgelegte Duktus zu sämig und zu schwerfällig und dynamisch alles eine Nummer zu „overdessed“.
Wie bei vielen Produktionen kommt das Holz auch bei Karajan erheblich besser im 2. Satz zur Geltung, was bei diesem Orchester ein nicht zu unterschätzender Gewinn darstellt. Die hochglanzpolierten „Janitscharen“ kommen hier recht präsent und dynamisch ins Bild. Sie brauchen sich auch keine dynamischen Schranken aufzuerlegen und dürfen voll reinhauen und tüchtig lärmen. Insgesamt wird der Fluss der Musik im 2. Satz erheblich besser getroffen als im ersten.
Wenig tänzerisch und auch wenig elegant hört sich „Karajans“ Menuett an, von der Leichtigkeit, Feinzeichnung und Farbigkeit eines Abbado ist es doch denkbar weit entfernt. Ob der schweren, bedrückt wirkenden Bewegung bekommt es gar eine tragische Note, die ihm allenfalls als Randnotiz zustünde, aber so dick aufgetragen nicht gut ansteht. Das Trio hingegen kann mit schwebender Kultiviertheit auf seine Art durchaus gefallen.
Wie bereits der 1. Satz klingt auch das Presto des 4ten zu dick und wenig spritzig. Dieser bei Karajan groß dimensionierten Sinfonie fehlt es gerade im letzten Satz an Lockerheit, Witz und Esprit. Der orchestrale Glanz, besonders der Violinen, steht hier über Gebühr im Fokus und damit dem Haydnschen Humor ein wenig im Weg.
Der Klang der Aufnahme befördert das Gesamtergebnis zusätzlich. Es wirkt großformatig (man darf fast schon schreiben: großspurig), aber auch sehr dynamisch, die Gran Cassa kann gefallen, könnte es aber noch mehr, wenn sie sich in einem schlankeren Umfeld tummeln könnte. Insgesamt wirkt der Klang aber brillant und sehr opulent. Wenn es diese Spielart der 100sten nicht gäbe, würde jedenfalls eine extreme Sichtweise im kaleidoskopartigen Angebot fehlen. Allerdings hört man ihr vielleicht doch mehr Karajan als Haydn.
4
Günter Herbig
Dresdner Philharmonie
Edel, Eterna
1975
7:19 4:27 4:28 5:23 21:37
Herbig beginnt die Sinfonie in der Einleitung mit einer ziemlich ungenauen Einhaltung der geforderten Dynamik. Das Allegro wirkt zwar aufgeweckt vom Tempo her, aber erheblich glatter als bei Busch oder mit viel weniger Nuancen als bei Abbado. Das Spiel ist zu sehr auf klare Linien angelegt. Die Flöten gefallen mit ihrem schönen Timbre sehr gut.
Das überaus flotte Allegretto überrascht außer mit dem Tempo auch mit einem für diesen Satz auffallend hellen Orchesterklang. Den „Janitscharen“ fehlt bei ihrem wenig überraschenden Auftritt die Gran Cassa gänzlich. Daher bleiben sie auch ohne besonderen Nachdruck. Die Musik wird hier vor allem vom Holz gemacht. Der vorgelegte „Geschwindmarsch“ wirkt so etwas „obenhin“. Als ob Herbig das Militär am liebsten aus dieser Sinfonie raushalten würde. Diese pazifistische Haltung wäre zwar ehrenhaft, aber wenig werkdienlich.
Das Menuett läuft ohne gestalterische „Interventionen“ mehr oder weniger schnurrend ab. Ziemlich leicht und locker aber irgendwie auch belanglos. Von Abbados Kabinettstückchen ist Herbig hier ebenfalls denkbar weit entfernt.
Das Presto wirkt lange nicht so leicht und virtuos wie beim COE oder der Phiharmonia Hungarica, bei den New Yorkern oder dem Royal Philharmonic. Die Stimmung wirkt keinesfalls ausgelassen. Immer wieder wird abgebremst um den sorgenvollen Passagen viel Gewicht zu verleihen. Die sind aber eigentlich nur da, um ein erneutes Lossprinten zu ermöglichen und das Publikum höchstgradig zu erfreuen. Übrigens wird nun die Gran Cassa doch noch hörbar, sie war also tatsächlich dabei. Obwohl der 4. noch der beste Satz bei Herbig ist, hat man das Gefühl, dass auch hier einiges Potential nicht genutzt wurde.
Diesmal klingt die Aufnahme des VEB Deutsche Schallplatten, der gerade aus Dresden schon Herausragendes geliefert hat, leider wenig sonor und gerade noch transparent. Den Violinen verbleibt ein Rest von heller Schärfe. Bei der Staffelung erscheint das Holz etwas zu weit nach hinten „gerutscht“. Insgesamt wirkt der Klang etwas „blutleer“.
3-4
Leonard Slatkin
Philharmonia Orchestra London
RCA
1994
7:54 4:40 4:12 5:05 21:51
Auch das Philharmonia Orchestra spielt mit stark besetztem Streicherkorps. Das Spiel wirkt nicht sonderlich impulsiv oder spritzig. Die Violinen klingen sogar etwas dick. Ähnlich der Einspielung mit Colin Davis bemerken wir nun allerdings noch weniger gestalterische Eingriffe des Dirigenten. Er lässt es weitgehend durchlaufen. In der Einleitung werden die Triller in der ersten Phrase der Violinen übrigens so schwach gespielt wie in keiner anderen Einspielung. Man bemerkt sie kaum. Das Allegretto erklingt eher zügig, nun sind aber die sf sehr schwach ausgeprägt. Bezüglich der Pauke erleben wir einen Rückfall in alte Zeiten, sie ist nach Slatkins Meinung nur für eine Füllstimme gut. Was auch für die schwindsüchtige Gran Cassa gilt. Der Satz, der sich für eine fantasievolle Gestaltung so sehr anbieten würde, bietet hier wenig Überraschendes, auch wenig Akzente und wenig Einfallsreichtum. Das Menuett wirkt flott aber auch beliebig im Ausdruck. Wie das abschließende Presto wirkt es klanglich „dicklich“ und wenig kontrastreich. Selten wurde der geniale 4.Satz mit seinen verrückten Modulationen so ohne Anteilnahme abgespult wie hier. Funken fliegen hier überhaupt keine. Übrigens vermissen wir auch im 4. Satz die Pauke und die Gran Cassa. Was haben sich die Verantwortlichen dabei nur gedacht, oder sind ihnen die Mikrophone ausgegangen? Da geht wesentliches Profil verloren. Die Einspielung lässt wenig Liebe zur Musik Haydns erkennen und dass ein Londoner Orchester spielt, weil es ja eine „Londoner“ Sinfonie ist, nützt leider auch nicht viel. Wehmütig denken wir an die Aufnahme Klemperers mit dem gleichen Orchester 30 Jahr vor Slatkin. Sie ist in allen Belangen besser und wirkt dagegen spannend wie ein Thriller von Hitchcock. Der Klang müsste 1994 viel transparenter sein. Das Holz ist zu weit entfernt, der Raum wirkt etwas zu hallig (obwohl es die Abbey Road Studios waren!) Klangfarblich eher blass hat man das Orchester schon viel brillanter, motivierter und inspirierter gehört. Auch klangtechnisch liegt Klemperer weit vorne.
3-4
Ferdinand Leitner
Bamberger Symphoniker
DG
1957
8:09 5:28 5:13 5:05 23:55
MONO Im 1. Satz, mit Wiederholung der Exposition, hören wir ein recht temperamentvolles, aber letztlich doch nur solides, ziemlich undifferenziertes Musizieren am Notentext entlang. Besonders die Dynamik erscheint monoton und gleichförmig. Der haydnsche Humor wird so nicht gerade profiliert befördert. Der 2. Satz wirkt wenig klangsinnlich, die „Militärkapelle“ klingt ziemlich schrill. Das Menuett wirkt steif und bieder, ohne Finesse oder Liebe zum Detail gerade durchgespielt. Das Presto wird etwas besser dynamisiert. Das Musizieren wirkt nun temperamentvoller aber immer noch wenig schlank und ohne Nuancen. Die Darstellung wirkt, wenn man Klemperer oder Jochum zum Vergleich heranzieht, eher beliebig und uninspiriert. Sogar nach Karajan, der gerade zuvor gehört wurde, wirkt der gebotene Orchesterklang geradezu unbeweglich-schroff und farblos. Die Bamberger Symphoniker haben wir schon viel besser gehört, den Dirigenten schon erheblich inspirierter.
Obwohl Mono wirkt der Klang sogar noch recht plastisch, er könnte jedoch transparenter sein. Das Orchester wird mit ziemlich hartem und aufdringlichem und vordergründigem Klang in Szene gesetzt.
3-4
Jascha Horenstein
Orchestre National de l´ORTF, Paris (heute Orchesre National de France)
M+A
1954, LIVE
6:28 5:50 5:15 4:30 22:03
MONO Horenstein nimmt die Adagio-Einleitung langstielig und breit als wäre sie von Bruckner. Das Allegro (ohne Wiederholung der Exposition) nimmt alles gleich wichtig. Das Allegretto zeigt gut inszenierte „Janitscharen“, die ihren Part mit Herzblut umsetzen. Sogar die Gran Cassa ist hier ganz gut zu hören. Besonders in T. 161 ff, versucht Horenstein mit den vorhandenen Mitteln und mit Erfolg „echtes“ Kriegsgetümmel klanglich zu imitieren. Auch im Presto wirkt (nur) das Schlagwerk enthusiastisch, ansonsten gewinnt das Orchester aber keinen rechten Bezug zum Stück. Eigentlich eine überflüssige Veröffentlichung, die die Herzen der Hörerschaft nur sehr wenig erwärmt.
Der Klang mit sehr lauten Publikumsgeräuschen wirkt diesbezüglich völlig ungefiltert, d.h. das Husten ist fast genauso präsent wie eine Oboe oder ein Horn. Vom Bass ist wenig zu hören, der Klang wirkt insgesamt pauschal und unausgewogen.
3
Jean – Francois Paillard
English Chamber Orchestra
RCA
1980
7:54 5:34 5:10 5:44 24:22
Unter der Leitung Paillards wirken insbesondere die Violinen des Orchesters noch weniger präzise als bei Jeffrey Tate. Paillard lässt eigentlich nur die Noten spielen, es fehlt im 1. Satz jederzeit an Ausdruck und vor allem am rechten Timing.
Im Allegretto spielen die hell intonierenden Holbläser wenig gesanglich. Es wird nur wenig Spannung erzeugt und das Bedrohungspotential der „Janitscharen“ fehlt eigentlich gänzlich. Der Trompetenappell klingt lasch. Das Menuett samt Trio klingt nach „Stangenware“, erzeugt ohne jede Finesse oder Liebe zum Detail. Im Presto des 4. Satzes werden die Gegensätze von p und f weitestgehend eingeebnet. Allerdings hört man hier erstmals, dass es im Orchester auch Blechbläser gibt, wenn auch nur ganz leise. Vom haydnschen Humor bleibt nicht viel übrig. Der sanguinische, vitale Impetus fehlt, der Satz bleibt ohne jeden Biss. Das falsche Klischee vom weißhaarigen, verzopften und wenig genialen „Papa“ Haydn erfüllt sich in dieser Einspielung, zumindest wenn man nicht die Spreu (Interpretation) vom Weizen (Komposition) trennt. Immerhin erschien sie damals sogar noch schallplattenwürdig.
Der Klang der Aufnahme könnte transparenter und geschmeidiger sein. Die Abbildung des Orchesters bleibt zumeist indifferent und vage, wenig fokussiert. Zudem auch wenig farbig, eher dünn, wenig räumlich, wenig dynamisch und alles andere als brillant. Aus heutigem Blickwinkel eine völlig überflüssige Produktion, der man auch das angegebene Aufnahmedatum nicht so recht abnehmen möchte.
3
Henry Swoboda
Niederländisches Philharmonisches Orchester
Concert Hall, nun Astory Classical
1951
6:46 6:01 3:50 4:24 21:01
MONO Klanglich ist diese Einspielung völlig verunstaltet worden. Das Orchester klingt in diesem mp3-Download als ob man selbst beim Zuhören den Kopf unter Wasser gehalten hätte. Das war aber noch nicht genug des Verhunzens, denn man hört im Hintergrund Geräusche, als würde in weiter Ferne ein Militärkampfjet seine Übungsflüge vollführen. Die Digitalisierung der im originalen Zustand sicher ganz anders klingenden Aufnahme, geschah also ohne jedes Einsfühlungsvermögen in die Belange der Musik. Es ergeht somit eine eindringliche Warnung vor dem Kauf.
Musikalisch sieht es anders aus, aber was bringt das noch? Der 1. Satz erklingt, wenn man sich das Digitalisierungsfiasko einmal wegdenkt, ausgesprochen kraftvoll und mit ungestümer Dynamik ausgeführt, darin durchaus mit der Einspielung Scherchens vergleichbar. Im 2. Satz wird exzessiv Gebrauch vom Becken gemacht. Der Triangel hört sich an wie ein schemenhaftes Glitzern, als ob man der musikalischen Untermalung eines Schneetreibens in einem Walt-Disney-Film lauschen würde. Den Triangel erkennt man nur, weil man weiß, dass es einer sein muss. Die Militärkapelle wird stark hervorgehoben. Die Trompete klingt zum Appell wie die handbediente Hupe eines Oldtimers. Vom 4. Satz hört man immerhin ein rasches Tempo, vital und fernab jeder Gefühligkeit, ausgelassen und dynamisch.
Schade, die Aufnahme hätte die Diskographie sicher bereichern können, wenn sie nicht in die Hände von unmusikalisch denkenden Geschäftemachern geraten wäre.
Aufnahmen ausgeführt unter dem Einfluss der historisch informierten Aufführungspraxis unter Verwendung von mehr oder weniger zahlreichen originalen Instrumenten aus der Zeit Haydns:
5
Thomas Fey
Heidelberger Sinfoniker
Hänssler
2013
7:50 4:30 5:08 5:21 22:49
Vordinglichstes Merkmal der Einspielung Thomas Feys, bei der nur die Blechbläser originale Instrumente nutzen, ist das hoch motivierte „emanzipierte“ Orchester, bei dem jeder alles gibt. Emanzipiert bezieht sich hier auf die einzelnen Instrumentengruppen, die völlig gleichberechtigt agieren dürfen. Und die in den meisten Einspielungen sträflich vernachlässigten Blechbläser und die Pauke nutzen ihren Freiraum bis an die Grenzen des „blas- bzw. schlagbaren“ weidlich aus. Insgesamt hören wir in Feys Deutung die extrovertierteste Version von allen.
Die Adagio-Einleitung gerät schon sehr spannend, die Dynamik wird weit ausgereizt, die Pauke klingt deftig und das Blech erfreut mit straffer Präsenz bei den sf. Das anschließende Allegro kann man nur als übermütig oder gar als „rotzfrech“ bezeichnen. Das Holz wird besonders intensiv artikuliert, das Blech agiert mit berserkerhafter Schärfe, die Pauke scheut auch vor krachenden Akzenten nicht zurück. Das Tempo wirkt ausgesprochen agil und segelt wie dahinbrausend unter vollen Segeln. „Feys“ erster Satz verbreitet Lebenslust pur und lässt Haydns Humor in Essenz wie in gleißendem Licht erscheinen.
Der 2. Satz erhält durch das sehr zügige Tempo und die lebendige fast unruhig und ein wenig nervös zu nennende Phrasierung lässt schon in den unschuldig klingenden ersten Takten eine Vorahnung von dem spüren, was da noch kommen soll. Jedoch ohne das Überraschungsmoment auch nur einen Gran zu schmälern. Die janitscharenhafte Militärkapelle (bestehend zuförderst aus Gran Cassa, Becker, Triangel und Pauke; dazu sind aber auch die Blechbläser des „normalen“ Orchesters zu zählen) nähert sich prima inszeniert immer mehr und das Gefühl der Bedrohung wächst vom einen zum nächsten Einsatz. Das Blech und die vehemente Gran Cassa sind hier fast eine Klasse für sich. Letztlich wirkt das Einbrechen der Gewalt und dafür steht ja die Militärkapelle letztlich bei Fey dann doch wie ein Überfall. Aber andererseits wirkt sogar die Militärkapelle tänzerisch bewegt. Der Hörer weiß nicht so recht ist das nun blutiger Ernst oder doch wieder einer von Haydns „Jokes“? Oder um es mit einer Stimme der Uraufführung zu sagen: „Great, but very noisy!“ Wobei der entfachte „Lärm“ hier absolut sauber und extrem impulsiv in den Raum gestellt wird und nur Mittel zum Zweck ist.
Das Menuett klingt sehr modern und gar nicht zopfig. Die scherzohaften Elemente werden betont und weisen bereits auf die entsprchenden Sätze in Beethovens Sinfonien voraus. Hier kommt keine Sekunde Langeweile auf. Mit dem überaus kontrastreichen und farbigen, beseelten Spiel wird der Eindruck von Biederkeit, den viele Einspielungen in diesem Satz vermitteln erfolgreich vermieden. Große Klasse!
Der 4. Satz bekommt bei Fey das Attribut „Con Brio“. Die pralle Musizierlust und die pure Spielfreude werden durch das teilweise extreme und gewagte Rubato noch veredelt. So bekommen einige Passagen den Charakter des Improvisatorischen, das aber serviert mit erstaunlich sicherer Virtuosität. Haydns Humor mit all seinen „Verrücktheiten“ wird hier ungeschmälert transportiert und erlebbar gemacht. Er hätte wahrscheinlich seine helle Freude daran gehabt.
Der Klang der Aufnahme ist viel präsenter und noch dynamischer als beim zuvor gehörten Brüggen. Das Klangbild ist farbig und prall und klingt noch etwas voller als bei Norrington von selben Label.
5
Roger Norrington
RSO Stuttgart des SWR
Hänssler
2009, LIVE
7:15 4:24 4:54 4:40 21:13
Norringtons Einspielung, innerhalb einer Gesamtaufnahme aller Londoner Sinfonien zum Gedenken an den 200. Todestag Haydns 2009 live in Stuttgart eingespielt, steht der Einspielung Feys kaum nach. In Sachen Transparenz und Nuancenreichtum sähe die Rangfolge sogar eher umgekehrt aus. Die Stuttgarter nutzen ebenfalls nur die historischen Blechblasinstrumente. Auch Norrington lässt das einleitende Adagio zügig und pointiert vortragen, es verbreitet ebenfalls mehr innere Unruhe als Beschaulichkeit oder Versenkung. Schon hier weist die Behandlung des Blechs und der Pauken in dieselbe Richtung („Emanzipation“), wie bei Fey. Im dem Adagio folgenden Allegro erfreuen die atmende Phrasierung und das sehr rhythmische, pulsierende Spiel mit den reichhaltigen Akzenten ganz besonders. Die exponierten Bläser (Blech und Holz) und auch die herzhafte Pauke bringen viel belebende Farbe und vorwärts gerichteten Drive ins Spiel. Das klingt bezaubernd und mitreißend zugleich. Erneut muss das Holz besonders gelobt werden, es kommt auch in Sachen Flexibilität und Nuancenreichtum an die besten Einspielungen mit Originalinstrumenten locker heran, die bekanntlich , vor allem was die Oboen anlangt, viel leichter ansprechen. Besonders erquickend: Die Trompeten kommen voll zum Zuge. Bei vielen Einspielen kann man ihre Mitwirkung nur erahnen.
Im besonders flott musizierten Allegretto, das alleine schon durch das vorgelegte Tempo seine sonst anzutreffende „ländliche Unschuld“ verliert, überrascht das Auftreten des Militärischen mit einem ausgesprochen tänzerisch eingefärbten Marsch. Die Militärkapelle ist nicht nur eine „Tanzkapelle“ sondern in dem was sie tut auch noch ausgesprochen facettenreich und musikalisch. Ihr Tatendrang ist ganz erstaunlich oder wollte Haydn in uns vielleicht sogar tatsächlich tanzende Soldaten vor Augen führen? Wäre das humorig oder eher sarkastisch gemeint gewesen? Nun Haydn ist nicht Schostakowitsch, aber Norrington lässt uns zumindest darüber nachdenken. Die Pauke bei T. 160 haut rein, dass sich die Balken biegen.
Das Menuett wirkt impulsiv, das Trio wird auf das Solistische reduziert, mit einer aparten, intimen Wirkung.
Der 4. Satz, bei Norrington ein echtes, gepfeffertes Presto, klingt wunderbar temperamentvoll und wirkt bestmöglich überraschend, wenn man das nach 40 gehörten Einspielungen noch sagen kann. Das entfachte Brio findet man nur noch bei Fey und Jochum (Live), da ist eine Menge „Swing“ und „Groove“ drin. Die Pointen sitzen auf den Punkt, das Spiel klingt facettenreich und mit angetriebener Verve. Das Blech, die Pauke und die Gran Cassa werden auf herausragende Weise mit viel Lust und Spaß an der Freud in Szene gesetzt. Da bleibt beim Hörer wohl kaum ein Auge trocken. Die Stuttgarter spielen ihr Furioso übrigens noch eine Spur sauberer und virtuoser als die Heidelberger, die aber ihrerseits spontaner und noch herzerfrischender (ja das geht noch, man merkt es am besten im direkten Vergleich) bei der Sache sind. Wohl dem, der beide Einspielungen hören kann.
Klanglich ist die Produktion besonders offen und transparent geraten (darin noch besser als bei Fey und bei Minkowski). Fey klingt jedoch voller und noch dynamischer.
5
Marc Minkowski
Les Musiciens du Louvre, Grenoble
Naive
2009, LIVE
7:09 5:37 4:37 4:54
22:17
Das Originalklangensemble aus Frankreich spielte die Londoner Sinfonien, wie Norrington, ebenfalls live im Haydn-Jahr 2009 ein, allerdings nicht zuhause, sondern in Wien. Wie bei Norrington fällt das vibratolose Spiel sofort auf, die Pauken werden deutlich hervorgehoben und ihr dramatisierendes Moment voll ausgenutzt. Das gilt auch für das Blech, das jedoch gegenüber den beiden zuvor genannten Produktionen ein klein wenig zurückhaltender agiert. Das Orchester macht einen ganz ausgezeichneten Eindruck. Es spielt sehr virtuos, phrasiert prägnant und sein Vortrag ist absolut „schlackenlos“. Vor allem das Holz brilliert. Der 1. Satz wirkt so geradlinig-straff, bisweilen auch stürmisch. Anders als Fey oder Norrington hat man bei Minkowski aber nicht das Gefühl, dass Rekorde gebrochen werden sollen. Auch beim kraftvollen Losfetzen bleibt diese Lesart klassisch und ausgewogen.
Die Militärkapelle im 2. Satz wirkt zu allem entschlossen. Mit festem Schritt marschiert sie stramm und unbeirrbar vorbei und wirkt dabei besonders „gewaltbereit“. Sie bildet einen besonders harten Kontrast zum zunächst lieblich wirkenden Umfeld und wirkt nicht tänzerisch wie bei Norrington. Besonders auffallend ist der Trompeten-Apell. Er wirkt rau und ungeschlacht „hingerotzt“ (man verzeihe den Ausdruck, aber er passt nun einmal), ausgeführt von einem Soldaten und nicht von einem akademisch ausgebildeten Musiker (der das aber genauso hinbekommen hat). Er war offensichtlich zudem mit brisanter Eile am Werk, um nur ja den Gegner nicht zu verpassen. Oder war da vielmehr eine Portion Angst im Spiel?
Auch das Menuett wird, obgleich sehr schön differenziert, straff angepackt und erklingt offensiv und spielstark. Das Trio wirkt im Kontrast dazu gemütlich, fast als wäre es von Schubert.
Der 4. Satz in einem gegenüber den beiden Vorgängern recht maßvollen, aber immer noch sehr virtuosen Tempo klingt hier live so perfekt hingelegt, wie bei anderen im Studio. Nicht ganz so überschäumend wie bei Fey, Norrington oder Jochum. Zudem erscheint hier die Gran Cassa etwas zu zurückhaltend. Dennoch eine herausragende Einspielung, die das Herz des Haydn-Fans höher schlagen lässt.
Der Klang der Aufnahme wirkt kompakter, also weniger transparent als bei Fey und besonders als bei Norrington aber auch Hogwood oder Brüggen. Das mag der Live-Situation geschuldet sein. Dennoch wirkt er angenehm räumlich.
5
Christopher Hogwood
Academy of Ancient Music
Decca
1983
7:27 5:42 5:40 4:58 23:47
Die Einspielung Hogwoods, komplett mit Originalinstrumenten ausgeführt, besticht zu allererst durch ihren schlanken, fast grazil wirkenden Klang. Erheblich schlanker als bei Fey oder gar Harnoncourt. Nach einem sehr differenziert gestalteten Adagio hören wir hier ein spritziges, mit Herzblut musiziertes Allegro, das mitreißend vital, fast ungestüm wirkt. Die akzentuierten Bläserstimmen sind auch im Tutti noch gut hörbar. Bisweilen hört man im Hintergrund auch ein Cembalo im Tutti mitspielen, aber nur ganz leise.
Im Allegretto überraschen die Holzflöten mit ihrem bei diesem Vergleich ungewohnten Klang. Überhaupt klingt das Holz hier herausragend präsent, flexibel und würzig. Es gibt dem Satz eine ganz besondere Farbigkeit. Das Militär bekommt hier keinen so durchschlagenden Auftritt wie in den Einspielungen zuvor. Der Vorbeizug, der Ruf zur Schlacht und der kurze Aufschrei als Symbol für das Gemetzel werden aber gut dargestellt. Das Blech klingt dabei recht präsent aber nicht so schroff und mit unbändiger Kraft wie bei Fey oder Norrington.
Aus dem eigentlich nicht tanzbaren Menuett macht Hogwood noch das Beste. Das Trio wirkt durch die besonders exponierten Flöten auch besonders hell und liebenswürdig.
Der 4. Satz wirkt temperamentvoll, leicht und auf lockere Art virtuos. Unter sehr guter Beherzigung der dynamischen Vorschriften und mit nuancenreichen Details versehen macht er beim Hören viel Spaß. Die Militärkapelle wird voll in den mitreißenden Schwung eingebettet, kommt aber nicht mehr so exponiert zur Geltung wie noch im 2. Satz. Immer wieder leuchtende herzerfrischende Bläsersoli.
Der Klang erfreut direkter Präsenz. Der unverhallte Gesamtklang wirkt sehr farbig und ganz besonders klar und frisch.
5
Charles Mackerras
Orchestra of St. Lukes, New York
Telarc
1990
7:21 4:52 4:40 4:54 21:47
Auffallend bei Charles Mackerras ist das Musizieren ohne Originalinstrumente aber mit viel Wärme und Anteilnahme. Hinzu kommt ein virtuoses, bestens phrasierendes, lockeres, geschliffenes, akzentuiertes und klares Spiel des Orchesters. Auch hier gefällt die bestens hervorgehobene Pauke. Man fragt sich einmal mehr, warum sie so gerne in den alten Aufnahmen bis zur Unkenntlichkeit versteckt wurde, sind doch ihre Impulse so wichtig.
Im beschwingten Allegretto hören wir eine ausgezeichnete Militärkapelle, die es kaum erwarten kann ins Gefecht zu ziehen und dann loszustürmen. Nur die Gran Cassa bleibt hinter den Erwartungen zurück. Hier bläst eine sehr präsente Trompete zum Appell und T. 161 ff wird wirklich alles aus dem Orchesterchen herausgeholt was es hergeben kann.
Das Menuett klingt bei Mackerras sehr lebendig aber auch zackig, garniert mit einer immens rüstigen, umtriebigen Pauke. Die frischen Akzentuierungen nehmen dem Stück die wohl auch nicht beabsichtigte Eleganz zugunsten eines sanguinischen Vorantreibens.
Ein Charakterzug, der auch mittels eines sehr anspringenden Tempos ins abschließende Presto übernommen wird. Die kleine aber schlagkräftige Militärkapelle kommt prächtig ins Bild. Haydns Witz ist bei Mackerras sehr gut aufgehoben.
Der Klang der Produktion ist dynamisch, transparent, perfekt ausgewogen und mit einer sehr guten Basslinie ausgestattet. Wenn man die zuvor gelisteten Einspielungen nimmt, klingen die Streicher hier etwas gedeckter.
5
Sigiswald Kuijken
La Petite Bande
DHM
1994
7:37 5:56 4:47 5:13
23:33
Unbelastet von technischen Grenzen gelingt dem kleinen Orchester mit Originalinstrumenten ein quirliges Musizieren wie klares Quellwasser. Fast durchweg freudig-erregt, wo nötig aber auch kraftvoll-dynamisch. Bei Kuijken sind die Streicher und das Holz sehr akzentuiert, weniger jedoch das Blech. Bei Fey, Norrington oder auch bei Hogwood darf es viel mehr aus sich herausgehen.
Der 2. Satz zeigt uns eine wie selbstverständlich durchs Klangbild marschierende (nicht buchstäblich, nur durch Lautstärkedifferenzierung), besonders differenziert und ausgewogen klingende Militärkapelle. Die gelassene Grundstimmung bleibt dennoch weitgehend erhalten. T. 161 ff wird hier mit am Eindrücklichsten überhaupt gestaltet, obwohl doch nur eine kleine „Band“ spielt.
Das Menuett klingt leicht und locker, das Verhältnis von Temperament und Beschaulichkeit und von Akkuratesse und Rhythmus erscheint hier besonders ausgewogen.
Das Presto ist ein fröhlicher Kehraus mit stark akzentuierten Einschüben der Bedenken, die sich aber immer wieder willig vom sanguinischen Temperament in die Schranken weisen lassen. Die Militärkapelle gewinnt hier keine Führungsrolle mehr. Auch hier sehr gutes Holz, die Trompeten agieren nach den bisher gehörten Versionen zu zurückhaltend.
Der Klang erinnert an die Hogwood-Einspielung, auch er klingt besonders transparent. Zudem ausgewogen und stimmig, aber nicht so dynamisch wie bei Fey oder Norrington und nicht so farbig wie bei Hogwood.
4-5
Frans Brüggen
Orchester des 18. Jahrhunderts
Philips
1990
7:52 6:27 5:00 4:59 24:18
Brüggens Haydn-Stil, getragen von dem niederländischen Originalklangensemble, pulsiert geschmeidig, fein und lebendig. Zumeist mit einiger Eleganz, bisweilen aber auch wuchtig. Die sf klingen gegenüber den zuvor gelisteten Einspielungen eher zurückhaltend, auch der Einsatz des Blechs könnte bisweilen noch etwas prononcierter sein. Die Dynamikreserven werden nicht ganz ausgeschöpft.
Das Allegretto, recht langsam genommen, klingt kontrastreich und emotional. Das plastische Orchesterspiel kommt auch der „Militärkapelle“ zugute. Sie wirkt naturalistisch und geradezu „marschhaftig“. Die Gran Cassa klingt gebieterisch durchdringend.
Das Menuett erklingt mit einem nachdenklichen Unterton. Die Betonung der Basslinie bringt mehr rhythmischen Schwung aber auch ein Mehr an Dunkelheit. Das lichte Trio ist davon völlig frei. Das Presto im 4. Satz wirkt ausgelassen und freudig aber auch sportlich. Die Dynamik könnte etwas differenzierter gestaltet werden. Erfreulich ist das hier sehr präsente Blech. Die Marschkapelle stimmt in die allgemeine Fröhlichkeit mit ein.
4-5
Gordan Nikolic
Niederländisches Kammerorchester
Pentatone
2006
7:25 6:44 4:57 4:52 23:58
Das auf modernen Instrumenten spielende Niederländische Kammerorchester spielt fast vibratofrei, zeigt wie die Aufnahmen zuvor ein deftig exponierte Blech und sprechende, aber nicht kurzatmige Artikulation. Im einleitenden Adagio gibt es kleinere aber leicht hörbare Präzisionsprobleme. Seltsam, dass man es nicht zur erneuten Aufnahme wiederholt hat, denn im weiteren Verlauf spielt es ohne Probleme, sogar sehr überzeugend, erreicht aber nicht ganz die Qualität des COE unter Abbado oder der ASMF unter Marriner. Das folgende Allegro erklingt aufgeweckt, leichtfüßig, dynamisch bisweilen auch etwas drängend. Da ist „Musik“ drin. Wie bereits erwähnt überzeugen die Trompeten hier besonders. Gute, herzhafte sf.
Der 2. Satz, das Allegretto, erklingt zunächst innig, bevor dann das deftig und sehr dramatisch dreinfahrende Janitscharen-Militär diese Stimmung zunichte macht. Insgesamt erklingt dieser Satz differenziert und ausdrucksstark. Vor allem auch weil das Blech das weitgehend übliche Schattendasein verlässt.
Das Menuett erhält ebenfalls eine deftige Spielweise, sodass man bereits an einen Ländler denkt. Eine sehr lebendige Darstellung des Satzes, der in minderen Darbietungen auch gerne einmal langweilig gerät. Das abschließende Presto erklingt extrovertiert und frisch, durch das exponierte Blech auch sehr farbig und deftig. Auch die Reminiszenz an die Janitscharen aus dem 2. Satz ist sehr gut umgesetzt. Der haydnsche Humor ist in Amsterdam und Umgebung sehr gut aufgehoben.
Der Klang der Einspielung (SACD) ist sehr dynamisch, griffig, sehr farbig und räumlich. Die Gran Cassa gefällt hier sehr gut.
4-5
Nikolaus Harnoncourt
Concertgebouw Orchester, Amsterdam
Teldec
1987
8:11 6:02 5:10 5:17 24:40
Harnoncourts Amsterdamer Orchester, das er damals „seinem“ Concentus Musicus vorgezogen hat, spielte damals ohne Originalinstrumente. Jedoch werden auch hier Blech und Holz schon mehr exponiert als in den herkömmlichen Interpretationen. In diesem Zusammenhang wirkt der großformatige Klang aus dem Concertgebouw wie eine Mischung aus Tradition und Innovation. Der Klang des Orchesters ist sehr sauber und man kommt mit ganz wenig Vibrato aus, aber zugleich auch füllig. Mit dem leicht anämischen Sound einer Hanover Band und anderer historisierender Originalklangensembles der 80er Jahre hat der nichts zu tun. Auch die Temponahme im Adagio ist viel flotter als früher. Das Allego wirkt kontrasreich und straff, das Blech und auch das Holz haben es aber schwerer durch den Streicherteppich zu kommen und auch den großen Raum noch mit Präsenz zu überwinden. Ihre Beiträge wirken so bei Fey oder Brüggen, von Hogwood oder Norrington einmal ganz zu schweigen, erheblich exponierter, überraschender, spritziger und humorvoller. Der ganze Satz wirkt somit viel ernster. Trotzdem bleibt eine teilweise mitreißende Wirkung, aber erstaunlicher Weise eher dem Gestus eines Bernstein verwandt als den anderen Vertretern der Originalklangbewegung..
Im Allegretto werden wir Zeuge eines außerordentlichen militärischen Einfalls in die zuvor noch beschworene ländliche Idyll. Dazu agieren die Pauke und die Gran Cassa ausgesprochen beherzt und letztere geradezu körperlich fühlbar. Auch dürften hier erstmals Peitschenklänge zu hören sein. Das volle Reinschlagen ist hier nicht nur ein witziger, koloristischer Einfall, sondern gehört zum Programm der möglichst plastischen Gestaltung der Aggressivität, ja Brutalität. Entsprechend klingt auch der Appell der Trompete sehr angespannt mit einem aggressiven Unterton. Das Allegretto ist wohl der überzeugendste Satz in Harnoncourts Darstellung.
Das Menuett lässt mit sehr gut abgegrenzten Stimmenverläufen aufhorchen. Es klingt schwungvoll, auch hier teils etwas aggressiv. Das Blech überzeugt mit eigenständigen Beiträgen, die sonst oft untergehen. Insgesamt wird sehr engagiert gespielt. Das Trio, deutlich langsamer, wirkt teilweise beschaulich.
Das Presto bietet erheblich mehr Klangpracht als die Einspielungen von Brüggen oder Goodman. Ähnlich Fey, jedoch schwerfälliger und erheblich weniger transparent, überzeugt Harnoncourt mehr mit seidiger Streicherfülle. Die Janitscharen schlagen nun sehr temperamentvoll drauf, klingen lärmend und ausgelassen. Ingesamt und besonders für eine historisierende Einspielung klingt der Satz bei Harnoncourt vergleichsweise dick.
Das liegt natürlich auch an der Klangtechnik, denn sie hüllt den Klang in relativ viel Hall, sodass es deutlich weniger transparent zugeht als bei Fey, Brüggen aber auch bei Bernstein.
4-5
Bruno Weil
Capella Coloniensis, Köln
Ars
2013, LIVE
7:35 4:39 4:37 5:36 22:27
Das Originalklangensemble vom Rhein zeigt eher ein filigranes Spiel. Die souveräne, pralle Virtuosität, die bei den Heidelberger Sinfoniker, dem RSO Stuttgart und anderen so begeistert,vermisst man hier ein wenig. Blech, Holz und die Pauke werden gut herausgehoben aus dem Gesamtklang, jedoch wird die Wirkung enorm geschmälert durch die aufnahmetechnisch viel zu groß erscheinende Entfernung zwischen den einzelnen Instrumentengruppen. Wir nennen dies lapidar eine Prärieakustik. Irgendwo steht einmal ein Baum oder Strauch in der Landschaft, zwischendurch aber nichts als Steine oder Sand. So verhält es sich hier mit den Instrumentengruppen.
Im 2. Satz trumpft die Militärkapelle richtig auf (mit einer sehr plastischen prallen Gran Cassa) und es gelingt Weil, sie (auch durch besonderes Instrumentarium) tatsächlich „türkisch“ klingen zu lassen. Das Blech hätte durch erhöhte Präsenz noch viel besser dazu gepasst. Trotzdem eine ausdrucksvolle Gestaltung, allerdings mit einem wie zur Schau gestellten Militärinstrumentarium versehen. Aber vielleicht hat es sich Haydn auch genau so gedacht? Übrigens handelte es sich bei der Aufnahme um ein mitgeschnittenes Gesprächskonzert, in dem das Orchester zu den Erklärungen des Dirigenten die passenden Musikbeispiele hören ließ. Diese sind um Welten plastischer und dynamischer in Szene gesetzt worden wie der eigentliche Konzertmitschnitt der Sinfonie und hätten in dieser Form Referenz-Status verdient gehabt. Schade, dass man nicht mit diesen Einstellungen die ganze Sinfonie mitgeschnitten und veröffentlicht hat.
Das Menuett wird flott und farbig angegangen. Das Trio teilweise gar unwirsch. Hier klingen die Hörner wunderbar. Dem 4. Satz mit einem leicht abgebremsten Presto fehlt es etwas an Verve und am Überschwang. Besonders gut ins Bild kommen hier die prima aufgenommenen “Janitscharen“, wobei besonders die Gran Cassa richtig „reinknallt“.
Der weit gespannte, entfernt wirkende Klang der Aufnahme staffelt das Orchester weit in die Tiefe des Raumes hinein. Dadurch wirkt er erheblich weniger präsent, prall und animierend wie der der Aufnahmen von Fey oder Norrington. Die Transparenz ist dagegen sehr gut.
4-5
Roy Goodman
The Hanover Band
Nimbus
1996
7:28 5:33 5:25 5:14 23:40
Die Einspielung Goodmans ähnelt der Weils. Auch hier spielt ein Originalklangensemble mit exponiertem Blech (auch die Hörner) mit recht flottem Tempo in einer sehr weiträumigen Akustik. Hier handelt es sich um eine Kirche, die zu wenig bedämpft wurde. Dadurch verschwimmen die Konturen. Uns erschien das Zusammenspiel in der eigentlich stimmigen Interpretation mit viel Spielfreude bisweilen gar ziemlich gefährdet. Entsprechend hinkt das Orchester in der Entfaltung seiner Spielstärke den anderen Ensembles auch etwas hinterher.
Im Allegretto klingt die Militärkapelle vergleichsweise lasch und die Soldaten haben es auch lange nicht so eilig zur Schlacht vorzurücken. Verständlich, aber musikalisch weniger aufregend. Durch die räumliche Distanz zusätzlich verstärkt wird der Eindruck, dass hier nur eine Übung vorgeführt wird, während es bei Fey um ein hautnahes Miterleben geht.
Im Menuett wundert man sich, wie ein so präzises Musizieren über die (gehörten) weiten Distanzen überhaupt möglich ist. Es klingt auch deutlich zarter und lieblicher wie bei anderen Einspielungen dieser (4-5) Gruppe. Der Satz stellt mehr ein ländliches Idyll der lieblichen Vergnügungen vor.
Trotz fast der gleichen Spielzeit wie bei Feys furioser Gestaltung des Presto, hören wir hier lediglich einen faden Aufguss. Trotz differenzierten und engagierten Spiels reicht es kaum für den erwünschten Überschwang der Gefühle mit denen Haydn seine Konzertbesucher gerne nach Hause entlassen hätte. Angesichts der Umstände dennoch eine sehr gute Leistung der britischen Musiker.
Zusammenfassend zum Klang: Zu hallig, manche Details gehen verloren, Orchester wirkt etwas verloren im weiten Kirchenschiff. Vor allem das Holz und das Blech ist zu weit vom Geschehen weg. Die Akustik wirkt gerade noch nicht diffus, ist aber nahe dran. Der Klang ist alles andere als prall. Ganz knapp noch in die Bewertungsgruppe gerutscht.
4
Barry Wordsworth
Capella Istropolitana, Bratislava
Naxos
1988
7:46 6:13 5:07 5:20 24:26
Ähnliche Gedanken bzgl. der Aufführungspraxis wie bei der Einordnung der Einspielung mit Abbado (oder auch Nikolic) kann man sich auch mit dieser Produktion machen. Die kleine Besetzung, der nahezu vibratolose Klang der Streicher, die relativ exponierte Pauke und ein nun echtes Mitwirken des Blechs am musikalischen Geschehen weisen in die Richtung historisch orientiert. Allerdings scheinen nicht alle Prizipien vollkommen verinnerlicht zu sein, denn mit der lebendigen Phrasierung treibt man es nicht sehr weit. Da kam Abbados Orchester erheblich weiter. Im Allegretto ist die Gran Cassa gut hörbar, immerhin ein Garant für ein gewisses Bedrohungspotential. Die Trompeten und Hörner sind hier voll emanzipiert im Orchesterklang angekommen. Das flotte Menuett schnurrt etwas unbeteiligt am Hörer vorbei.
Im finalen Presto bleibt man auch nur in mittleren Ausdrucksregionen, noch relativ flott aber wenig akzentuiert. Insgesamt ergibt sich ein wenig entschiedenes Bild: Nicht Fisch, nicht Fleisch kann den Hörer hier nicht recht begeistern. Das Spiel wirkt zwar ausgewogen aber zu dienstbeflissen, zu wenig energetisch und zu wenig feurig.
Die Aufnahme hat mit ihrem wenig farbigen Klang auch ihren Anteil daran, dass alles etwas flauer klingt als nötig. Sie ist auch etwas hallig geraten und das Holz ist nur gerade noch hinreichend präsent.
27.9.2021