Paul Hindemith
Sinfonische Metamorphose(n)
(über Carl Maria von Weber‘sche Themen)
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Werkhintergrund:
Er war Modernist und Konservativer zugleich, und im amerikanischen Exil besann er sich 1943 auf die deutsche Romantik: der Komponist Paul Hindemith. In den „Sinfonischen Metamorphosen“ erkundete er die Welt Carl Maria von Webers.
Musik aus dem Exil, Musik eines Komponisten zwischen den Kontinenten und zwischen den Zeiten. All das drückt sich bereits im Titel dieses Werkes von Paul Hindemith aus – genauer gesagt: in den Titeln. Die englische Originalfassung lautet schlicht „Symphonic Metamorphosis“. Das klingt klassisch und bedeutend, aber die „Metamorphosen“ des Ovid sind damit nicht gemeint.
Um Gestalt-Veränderungen geht es hier allerdings schon, nicht zuletzt um Veränderungen des Lebens, von denen der im „Dritten Reich“ verfemte Komponist genug erfahren hatte. Die deutsche Variante, die gleich nach 1945 Erfolg hatte und etwa von Wilhelm Furtwängler dirigiert wurde, ist in altmodischer Liebenswürdigkeit so überschrieben: „Sinfonische Metamorphosen Carl Maria von Weber‘scher Themen“.
Diese Metamorphosen zeigen die Vielschichtigkeit eines Werkes, das aus Variationen besteht und zugleich mehr bietet: Hindemith komponiert auf Basis Weberscher Themen neue Musik, er denkt die romantischen Klänge des „Freischütz“-Meisters in die Moderne weiter, und er verwendet keineswegs die Weberschen Gassenhauer, sondern Fundstücke wie einen Trauermarsch (dem Hindemith allerdings gehörig Beine macht) sowie die „Turandot“-Ouvertüre. Carl Maria von Weber befand einst, damit eine „ächt chinesische“ Musik erdacht zu haben – Musik für ein italienisches Märchen, das am Kaiserhof von China spielt, das literarisch von Carlo Gozzi bearbeitet und von Friedrich Schiller nachgedichtet wurde, und das schon Giacomo Puccini und Ferruccio Busoni zu Kompositionen angeregt hatte.
Das vierteilige Werk, das Hindemith daraus gewann, hat sich als eines seiner wenigen Orchesterstücke im Repertoire gehalten. So ist auch die Diskographie eindrucksvoll, Hindemith selbst betätigte sich ebenfalls als Interpret seiner Musik, die er 1955 mit den Berliner Philharmonikern einspielte. Wie so oft, wenn Komponisten zu ihren eigenen Deutern werden, soll es sich manchen Quellen zufolge um eine Gratwanderung handeln. Hinzu kam, wie eine Zeitzeugin notierte: „Hindemith im Frack sah komisch aus“ – sein Wesensmerkmal waren eher aufgekrempelte Ärmel. Vom äußerlichen sollte man sich jedoch nicht blenden lassen. Später mehr zu den verschiedenen Einspielungen. Als eines der wenigen Werke Hindemiths fordert es einen Vergleich seiner Einspielungen geradezu heraus, sie sind zwar zahlreich, aber nicht gerade in übermäßiger Zahl vorhanden.
Doch nun zunächst zurück zum Werk, den Hintergründen und seinen Eigenheiten: Ab 1934 wurden Werke von Hindemith nicht mehr im deutschen Rundfunk gespielt, im Jahr 1936 verboten die Nationalsozialisten dann auch, seine Musik öffentlich in Deutschland aufzuführen, 1937 kündigte er daraufhin seine Stellung als Professor an der Berliner Hochschule für Musik und als 1938 die Ausstellung „Entartete Musik“ stattfand und ausdrücklich auf die jüdische Abstammung seiner Ehefrau Gertrud Rottenberg hingewiesen wurde, beschlossen die Hindemiths zu emigrieren – zuerst in die Schweiz und ab dem Jahr 1940 (zunächst Paul Hindemith allein) in die USA. Im gleichen Jahr machte der russische Tänzer und Choreograf Léonide Massine ihm, der gerade in das amerikanische Exil gekommen war, den Vorschlag, ein Ballett nach Musikstücken von Carl Maria von Weber zu komponieren. Bereits Ende der 1930er Jahre hatten Massine und Hindemith ein Projekt miteinander realisiert, es war das Ballett „Nobilissima Visione“, das am 21. Juli 1938 von den Ballets Russes de Monte Carlo in London uraufgeführt wurde. Ein weiteres Ballett-Projekt aus jener Zeit sollte sich mit den niederländischen Sprichwörtern und Bildern von Pieter Brueghel dem Älteren beschäftigen, aber das scheiterte. Das Weber-Ballet nahm jedoch bald Gestalt an, denn noch im selben Jahr arrangierte Hindemith zwei Themen, Allegro und Andantino, die später zum ersten und dritten Satz der „Symphonischen Metamorphosen“ werden sollten, für Klavier. Doch die Zusammenarbeit verlief danach nicht zufriedenstellend. Massine wollte eigentlich nur eine Instrumentierung einiger Musikstücke von Weber, Hindemith hingegen war das zu wenig, er wollte die Webersche Musik frei paraphrasieren. Die Zusammenarbeit mit Massine endete danach wegen künstlerischer Differenzen (aus dem Brief an Gertrud vom 21. März 1940). Andere Quellen behaupten, dass Hindemith von der Nachricht, dass Picasso die Bühnenbilder hätte entwerfen sollen, dermaßen frustriert war (er kannte seine Arbeiten bereits von anderen Balletten), dass er das Handtuch warf.
Hindemith schrieb am 12. April 1940 an seine Frau Gertrud, die als Jüdin im Schweizer Exil ausharren musste, weil sie zunächst kein Ticket für eine Schiffsreise in die USA erhalten konnte, dass er Webers Musik nur „leicht gefärbt und ein bisschen schärfer gemacht“ habe. Erst als Artur Rodziński, ein Bewunderer der Musik Hindemiths, ihm am 13. März 1943 einen Kompositionsauftrag in Aussicht stellte, setzte er die Arbeit fort und die Partitur war am 29. August 1943 für den Druck zunächst fertig, doch Hindemith nahm weiterhin noch Korrekturen und Verbesserungen vor. So fiel ihm immer noch kein Titel für das Werk ein, und den Arbeitstitel Weber-Suite mochte der Verleger nicht. Ende 1943 war alles fertig, und die Uraufführung fand dann am 20. Januar 1944 in New York mit den New York Philharmonic-Symphony Orchestra unter der Leitung von Artur Rodzinski statt.
Das Stück wurde für Hindemith ein großer Erfolg, und auch er selbst fand es gut gelungen. Das Konzert der Uraufführung bestand aus Georg Friedrich Händels Concertino D-Dur, bearbeitet für Orchester und Orgel, gefolgt von Johannes Brahms' Violinkonzert. Danach stand Hindemiths Metamorphose auf dem Programm, das schließlich mit Auszügen aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ beendet wurde. Die Reaktionen der Presse nach der New Yorker Uraufführung waren vorwiegend positiv. So schrieb Olin Downes in der New York Times am 21. Januar 1944:
“…it was one of the most entertaining scores […] a real jeu d’esprit by a great master of his medium in a singularly happy mood […]. But we must also confess to finding the music diverting and delightful.”
Der Komponist Virgil Thomson schrieb damals als Musikkritiker für die New York Herald Tribune: "The novelty was a piece by Hindemith […]. This turned out to be a jolly and roistering number, except for its scherzo in chinese vein, which included, of all things, a fugato and was a pretty laborious joke. […] The audience applauded boisteriously […].”
Nach der erfolgreichen Uraufführung bekundeten auch andere amerikanische Orchester Interesse an der Metamorphose und am 15. November 1944 lagen bereits Anfragen von sechs bekannten Orchestern vor. Nach Deutschland kam die Symphonische Metamorphose von Themen Carl Maria von Webers 1947. Am 28. Mai 1947 fand die erste Aufführung im Rahmen des 102. Niederrheinischen Musikfests unter der Leitung von Heinrich Hollreiser in Düsseldorf statt. Noch im gleichen Jahr gab es fast 30 Aufführungen nicht nur in der West-, sondern auch in der sowjetischen Besatzungszone; Orchestern in Dresden und Leipzig wurde die Partitur vom Mainzer Schott-Verlag ebenfalls zugeschickt. Auch mehrere Rundfunkanstalten, darunter der RIAS Berlin, nahmen das Werk auf. Über die Aufführung am 30. August in Dresden mit der Sächsischen Staatskapelle unter der Leitung von Joseph Keilberth schrieb ein Autor mit dem Kürzel G.C. im Sächsischen Tageblatt:
„Der neueste Hindemith […] lässt eine innere Beziehung zur Welt der deutschen Romantik vermuten […]. Zwar, wir wissen es ja: Hindemith ist längst nicht mehr der verhasste Bürgerschreck, der wilde Extremist von einst. […] So sind denn diese Metamorphosen für den unbefangenen Hörer echter, unverfälschter Hindemith […]. Eine Musik von seltsam bohrender Intensität […].“
Hindemith dirigierte bis 1958 sein Werk 27 Mal selbst. Einige Konzerte wurden im Radio mitgeschnitten, aber auch Schallplatten bei der Deutschen Grammophon wurden Mitte der 1950er Jahre mit den Berliner Philharmonikern produziert. Doch gab es zumindest auch eine kritische Stimme aus Deutschland, die das Werk als nicht sehr bedeutend beinahe schon verriss. So schrieb 1970 der Musikwissenschaftler Helmut Rösner in einer Schrift für die Musikbibliothek Frankfurt am Main, dass „amerikanische Einflüsse“ vorhanden seien und „handwerkliche Meisterschaft zweifellos zum Ausdruck“ käme, doch es sei ein „lärmendes Stück, ein effektvoller Orchesterreißer, nicht viel mehr, Talmi-Geglitzer statt wirklicher Leuchtkraft“.
Bereits 1934 bezeichnete der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels Hindemith öffentlich als „atonalen Geräuschemacher“. Der sowjetische Musikwissenschaftler Vitalij Sergeevič Fomin schreibt über das Werk: „...ist wohl die populärste Komposition Hindemiths. [...] Metamorphosis ist nicht einfach nur eine geistreiche Transformation der [unbekannten] Weberschen Themen. Entstanden [...] auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs, besingt das Werk, nach Meinung vieler Kritiker, das gewesene Deutschland und bringt eine lichte Hoffnung für seine Zukunft zum Ausdruck.“
Hindemith selbst machte, außer für den zweiten Satz Turandot, keine Angaben zu den verwendeten Vorlagen, die von ihm angekündigte Einführung in das Werk erschien nicht. Erst nach den Aufführungen des Stückes wurden die Weberschen Themen, bis dahin eher vergessen, nach einer Rundfunkübertragung identifiziert und so bekannt gemacht.
Das Allegro, Thema für den ersten Satz der Metamorphose, entnahm Hindemith aus Webers acht eher unbekannten Klavierstücken zu vier Händen, op. 60, hier die Nr. 4, aus dem Jahr 1819. Der zweite Satz der Metamorphose stammt in leicht veränderter Melodieführung aus der Ouvertüre der Bühnenmusik op. 37 zu dem Schauspiel Turandot, Prinzessin von China nach einem Theaterstück von Friedrich Schiller aus dem Jahr 1811, das sich wiederum auf das Märchen Turandot von Carlo Gozzi bezieht und in der klassischen Musik und Literatur als Thema immer wieder neu verarbeitet wurde. Im dritten Satz der Metamorphose, dem Andantino, verarbeitete Hindemith ein Thema aus Webers 6 Pièces faciles, op. 10, hier Nr. 2, aus dem Jahr 1809 (ursprünglich als op. 3 bezeichnet). Dem vierten und letzten Satz diente Webers Marsch aus Huit Pièces Op. 60 (etwa 1802–03), dort die Nummer sieben, einen Marsch (bei Weber Marcia. Maestoso), als Vorlage.
Hindemith veränderte an Webers Themen wenig, er lieferte aber eine virtuose Instrumentierung für große amerikanische Orchester mit ausgeprägter Berücksichtigung der Blas- und Schlaginstrumente, sowie rhythmische Verlagerungen, die den Themen einen modernen, nahezu amerikanischen Charakter mit ungewohnten Klangfarben mit fast jazzmäßigen Elementen verleihen. Damit bekamen die Stücke einen ganz anderen Charakter als die Originale. Carl Maria von Weber schrieb sie als kleine, nicht allzu schwere Vortragsstücke für die vierhändige Hausmusik seiner Zeit; sie wurden vergessen, Hindemith hingegen machte sich weitergehende Gedanken und schuf daraus ein Werk mit völlig anderem modernen Ausdruck. In der Studienpartitur aus der Edition Eulenburg zu dem Stück schreibt Ian Kemp in seinem Vorwort, dass Hindemith, noch im Schweizer Exil, die Weberschen Stücke „mit seiner Frau Gertrud, einer guten Pianistin, in den häuslichen Musizierstunden durchgespielt hatte.“
Obwohl das Werk in seiner Thematik zur europäischen romantischen Musiktradition gehört, war es doch im virtuosen Geiste moderner amerikanischer Symphonieorchester komponiert worden und trägt im Original einen englischen Titel „Symphonic Metamorphosis“. Später wurden ihm auch unterschiedliche Titel gegeben, beispielsweise als Symphonische Metamorphose von [über/nach/zu] Themen Carl Maria von Webers oder in zwei Versionen mit fälschlichem Plural als Sinfonische Metamorphosen nach Themen von Carl Maria von Weber und Sinfonische Metamorphosen Carl Maria von Weber’scher Themen. Hindemith beanstandete diese Bezeichnungen jedoch nicht. So kam es teilweise sogar zu Rückübersetzungen dieser Titel ins Englische, beispielsweise als Metamorphoses on Themes by …. Im Englischen ist das Werk auch als Symphonic Variations on [oder „of“] Themes by Carl Maria von Weber betitelt worden. Obwohl sich diese scheinbar auf eine Auswahl von Themen Webers beziehen, beinhaltet das Stück doch eher einen Querschnitt seiner gesamten Werke. Hindemith selbst hat zu seinem Werk, entgegen seiner Ankündigung, wie bereits erwähnt nichts geschrieben. Arthur Mendel, der damals für Hindemith zuständige Mitarbeiter des Musikverlags Associated Music Publishers, entwarf dafür ein Vorwort für die Partitur, das er dem Komponisten zur Korrektur zusandte. Hindemith machte zwar Korrekturen, doch das Werk erschien ohne einleitende Worte. Mendel verwandte dann den Text wahrscheinlich für Werbezwecke.
Die Symphonic Metamorphosis besteht aus vier Sätzen, alle sind ohne Vorzeichen notiert (Hindemiths Musik weist auch keine durchgehende Tonart auf):
- Allegro:
Dieser Satz trägt die Metronomangabe: die Viertel = 108, die Viertelnote soll also 108 mal in der Minute angeschlagen werden. Als Takt verwendet Hindemith den 2/4-Takt. Die Betonung liegt immer auf dem ersten Schlag. Der Satz erstreckt sich über 165 Takte und damit weniger als vier Minuten. Carl Maria von Weber bezeichnet sein Klavierstück als Alla Zingara (zu spielen nach Zigeunerart), es soll also temperamentvoll gespielt werden, was Hindemith durch seine Bearbeitung noch steigert, wobei er die metrische Gesetztheit in Webers Original durch asymmetrische Verlagerungen parodiert.
- Scherzo (Turandot): Moderato – Lively:
Hier sind die Angaben die Viertel = 132 und ab der Tempobezeichnung Lively (Takt 28 ff.) der Metronomwert: die Halbe = 96 für die halbe Note vorgesehen. Zunächst beginnt das Turandot-Scherzo im 4/4 und wechselt dann aber in den 2/2-Takt. Dieser Satz ist der längste der Metamorphosis und dauert mit 304 Takten, je nach Interpretation, um die neun Minuten. Das an sich einfache Thema mit beschränkt melodischer Struktur (V. S. Fomin) wird immer wieder in verschiedenen Variationen gespielt. Im Mittelteil, einem Fugato, erscheint dann eine synkopisch-rhythmische Verlagerung, die fast an eine Jazzsequenz erinnert. Hindemith gruppiert musikalische Motive, Takte und auch einzelne Töne so um, dass zwar immer die Melodie erkennbar bleibt, aber das eigentlich pseudochinesische Ambiente einen völlig neuen überraschenden Charakter erhält.
- Andantino:
Das Andantino ist ein langsamer Satz. Der Wert für die Achtelnote beträgt = 126 bis 132, der Komponist wählte hier einem leicht tänzerischen 6/8-Takt. Dieser Satz ist der kürzeste des Werks, er umfasst nur 28 Takte und dauert damit unter vier Minuten. Er ist eins der wenigen Beispiele in Hindemiths Musik, in der ein lyrischer Charakter (im romantischen Volkston) erscheint.
- Marsch:
Der bekannte Marsch, der bei Carl Maria von Weber durchaus noch als romantischer Trauermarsch aufgefasst werden kann, wird in Hindemiths Metamorphosis schneller, schmissiger, ironischer und schärfer (Hindemith) gespielt, hat nicht mehr den düsteren Charakter eines Trauerzugs. Der Wert für die halbe Note beträgt daher = 80 mit dem marschtypischen 2/2 Takt (im Militärjargon: links, zwo – links, zwo!). Er hat 139 Takte und endet nach knapp fünf Minuten. Dieser teilweise pompöse Marsch, der gleichzeitig aber auch ungestüme und scherzohafte Elemente aufweist, bildet mit einem fulminanten Finale den Höhepunkt der Metamorphosis
(nach Fomin, Vorwort zur Symphonic Metamorphosis).
Humorlosen Menschen erscheint der fröhliche Gestus vielleicht als banal, doch der kernige, kraftvolle Umgang mit den Melodien des Frühromantikers ist dem unvoreingenommenen Publikum allemal ein großes Vergnügen. (Eckhardt van der Hoogen, im Beiheft zur Einspielung Wolfgang Sawallischs, 1995)
Bei unserem Vergleich befand sich keine einzige Einspielung darunter, die dem Werk nicht wenigstens cum grano salis gerecht werden würde. Durch die exakte Metronomisierung Hindemiths waren die Spielzeiten nicht so divergierend wie sie es sicherlich ohne sie gewesen wären. Trotzdem war es verwunderlich, wie weit sich die Charaktere der einzelnen Sätze in den verschiedenen Einspielungen unterschieden, auch bedingt durch die immer noch unterschiedlichen Tempi. Anscheinend begreifen die Pultgrößen die Angaben des Komponisten mehr oder minder nur als Empfehlung. Für uns ist das erfreulich, denn sonst hätten wir kaum noch etwas zu schreiben.
(Beim Vergleich verwendete Partitur: Schott ED 3541)
zusammengestellt bis 17.1.2022

Paul Hindemith an der Yale Universty, an der er ab 1941/42 einen Lehrauftrag übernommen hatte.
Vergleichende Rezensionen der diversen Einspielungen:
Historische Aufnahmen bis 1958 in Mono-Technik:
5
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester Berlin (heute: Deutsches Sinfonie Orchester Berlin, zwischenzeitlich RSO Berlin)
EMI - IMG
1952, Live
3:36 7:26 3:15 4:27 18:44
MONO Besonders beschwingt und spritzig, spielerisch-leicht und mit magyarischem Pfeffer gewürzt lässt Fricsay den 1. Satz intonieren. Für die damaligen technischen Möglichkeiten bereits enorm transparent. Das Orchester zeigt ausgezeichnetes Zusammenspiel und erzeugt eine vibrierende Spannung. Wie im Vergleich der „Alpensinfonie“ lässt das athletisch-leichtfüßige und ungemein frisch intonierende Blech des Orchesters (damals jedoch unter Karl Böhm spielend) immer wieder aufhorchen, setzt immer wieder Glanzlichter.
Im Turandot-Scherzo entgeht Fricsay im Verbund mir der hellhörigen Klangqualität kein Detail. Ab Q begeistert das Blech erneut mit einem anspringend jazzigen Swing, als ob es nie etwas anderes gespielt hätte. Insgesamt wirkt dieser Satz zudem noch erheblich fließender, aber trotzdem rhythmisch noch akzentuierter als bei Celibidache.
Das Fließende ist übrigens ein Charakteristikum, das uns auch im Andantino wieder begegnet. Gemeinsam mit dem flotten Tempo erhält dieser Satz so mehr den Charakter eines – allerdings sehr intensiv musizierten – Intermezzos. An Espressivo mangelt es nämlich nicht. Die Cantabilität wirkt nicht „still“ sondern sehr ungeduldig, drängend. Gegenüber Celibidache, kommt das Solo der Flöte erheblich besser durch. Sie dominiert hier mit Ihren zarten Umspielungen deutlich über die mehr thematisch orientierten, gewichtigeren Orchestergruppen. Die dynamischen Vorzeichen geben Fricsay recht.
Im abschließenden Marsch lässt Fricsay die Funken fliegen, weniger weil er ein rasantes Tempo vorgeben würde, sondern weil er dem Rhythmus die entscheidende Würze mithilfe von Schärfung und deftigen Akzenten mitgibt. Auch hier klingt das Blech einfach toll, auch die Hörner können dieses Mal (anders als in der Alpensinfonie) die Klasse von Trompeten und Posaunen halten.
Die Aufnahme klingt erheblich transparenter und ausgewogener als bei Busch, obwohl sie nur drei Jahre später entstand. Sie wirkt auch noch hellhöriger als die des WDR bei Celibidache. Erstaunlich auch, dass sie ohne klangliche Schärfen auskommt und schon recht weich und abgerundet erscheint.
5
Rafael Kubelik
Chicago Symphony Orchestra
Mercury
1953
4:15 7:38 3:29 4:32 19:54
MONO Dass das CSO bereits zu der Zeit als Rafael Kubelik für kurze drei Jahre Chefdirigent war, also vor Reiner, der gerade, nur etwas später im Aufnahmejahr, zum Chef ernannt wurde, Martinon und Solti ein hervorragendes Orchester war, lässt sich dieser Einspielung schon nach den ersten Takten entnehmen. Zu dem fulminanten Blech gesellen sich hoch präzise Streicher, lediglich das Holz klang damals noch ein wenig dünner als später. Noch deutlicher als im ersten Satz wird man von der umwerfenden Präzision des Orchesters im Turandot-Scherzo gefangen. Das Blech erweist sich als enorm durchschlagskräftig. Im Jazzteil, der dem Blech eine Weile ganz alleine gehört, klingt es sogar auch zudem noch voll und rund. Die Steigerungen profitieren von einer geradezu explosiven Dynamik.
Das Andantino wird etwas ausführlicher ausgesungen als bei Fricsay. Wie bei diesem behält die Soloflöte stets die Oberhand vor den thematisch geprägten Melodien der anderen Instrumente und Instrumentengruppen. In späteren Einspielungen (mit einer allerdings erheblich aufwändigeren Technik) gelingt die Balance zwischen diesen Partien jedoch noch ausgewogener.
Der Marsch wird mit einer atemberaubenden Virtuosität und einem erneut absolut brillanten Blech mitreißend zu Gehör gebracht. Auch das Schlagwerk wirkt furios. Das fulminante Orchester war damals, dieser Einspielung nach zu urteilen, bereits eines der allerbesten. Es gibt hier ein Lehrstück ab, was damals bereits an virtuoser Orchesterbrillanz möglich war. Hindemith hat das Stück besonders für amerikanische Orchester geschrieben. Das CSO, obwohl nicht der Auftragsgeber, nimmt diese Herausforderung dankend an und legt die Messlatte bereits fast unübertrefflich hoch. Gegenüber der Einspielung Fricsays fehlt lediglich eine Prise rhythmischer Verve, in Hinsicht auf Orchesterglanz und -virtuosität kann andererseits das RIAS SO mit dem CSO noch nicht ganz mithalten.
Der Klang der Einspielung war bereits vor der Stereo-Zeit Mercurys, zumindest in dieser Aufnahme, von hautnaher Präsenz und erstaunlicher Transparenz. Gegenüber der Hindemith-Aufnahme der DG jedoch etwas heller und weniger warm. Der Bass fehlt noch weitestgehend. Aber die Dynamik wirkt bereits 1953 mitreißend frisch und urwüchsig. Mit Abstand diesbezüglich die beste unter den historischen Einspielungen des Werkes.
5
Paul Hindemith
Berliner Philharmoniker
DG
1955
3:34 8:01 4:01 4:31 20:07
MONO Nach der Aufnahme mit Wilhelm Furtwängler, die gerade zuvor gehört wurde, wirken die Philharmoniker hier wie von einem Korsett befreit. Ohne Überdruck, locker und mit einem flotten Tempo, aber beileibe nicht zu sachlich, dirigiert der Komponist hier sein eigenes Werk. Es wird vielfach kolportiert, dass Komponisten schlechte Dirigenten ihrer eigenen Werke wären. Davon ist hier nichts zu spüren. Der gemeinsame Musiziergedanke steht bei Hindemith im Vordergrund. Genau das machen die Philharmoniker auch und zwar wie aus einem Guss. Die zahlreichen Soli sind sehr klangschön. Mit viel Schwung wird hier ein ungetrübtes Hör-Vergnügen geboten.
Trotz des eigentlich langsamen Tempos wird der Scherzo-Charakter im 2. Satz sehr gut getroffen, das saubere Spiel des Orchesters wirkt hier zwar nicht übermäßig temperamentvoll aber voller Akkuratesse, wie in Reinschrift, aber auch rhythmisch vital. Die jazzigen Rhythmen ab Q atmen mehr Swing als bei Furtwängler, wirken aber deutlich zahmer als bei Fricsay oder Celibidache. Der ganze Satz wird sehr sorgfältig ausgehört.
Das Andantino wirkt ganz anders als bei Furtwängler nicht so schwer lastend, aber auch nicht ganz so intermezzohaft mit ausdrucksvoller Raffinesse ausgestaltet wie bei Fricsay, sondern auf eine einfache Art stimmig. Hier wird auf höchstem Niveau geradlinig Musik gemacht. Die Gesanglichkeit kommt überzeugend. Diese Darstellung wirkt auf uns besonders warmherzig.
Der Marsch wirkt gelassen, ohne die furiose Attitüde von Kubelik und ohne die rhythmisch Brisanz Fricsays. Dafür aber ohne jeden militärischen Drill. Hindemith lässt den Marsch immer wieder ins Leere laufen, was die anderen Dirigenten meist zu überspielen suchen. Der Triumph der Melodie und des Rhythmus über den Marsch (als Sinnbild des Militärischen) wirkt bei Hindemith selbst mehr ausgenzwinkernd-brillant und humorig-locker. Nicht etwa erzwungen wie bei Schostakowitsch, der stets mit der Knute im Rücken komponieren musste. Hindemith verzichtet in seiner Darbietung aber auch auf zu viel Glamour, vielleicht weil in Europa zur Zeit der Komposition noch der 2. Weltkrieg tobte.
Der Klang der Aufnahme ist noch besser als bei Fricsay, sehr transparent und nuanciert. Alle Instrumente bzw. Instrumentengruppen kommen gleichermaßen ausgewogen zu Gehör. Der Gesamtklang ist sogar recht weich und voll, ziemlich luftig und man vermeint sogar eine gewisse Staffelung des Orchesters zu vernehmen. Die Gran Cassa ist gut hörbar (was man von den beiden vorangegangen Aufnahmen nicht behaupten kann) und die Basslinie ist überhaupt schon gut ausgeprägt. Dynamisch kommt sie an Kubeliks Mercury-Sternstunde jedoch nicht heran.
5
Joseph Keilberth
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg (zwischenzeitlich: Philharmoniker Hamburg)
Telefunken - BnF
1955
3:34 7:26 3:48 4:18 19:06
MONO Diese Einspielung haben wir als High-Res-Download einer von der Bibliothèque national de France digitalisierten Original-LP gehört. Darauf wird als Orchester das Sinfonieorchester des NDR genannt. Die Recherche hat ergeben, dass es nie eine andere Einspielung Keilberths als die mit dem PSO Hamburg existiert hat. Auch als Label wird immer Telefunken oder die späteren Rechteinhaber Teldec oder Warner genannt. Es gibt also nur eine Einspielung Keilberths, zumindest auf kommerziellen Tonträgern.
Hier wird mit anspringendem Temperament sehr genau musiziert, die Stimmenverläufe wirken klar herausgearbeitet, die Diktion wirkt leicht. Das Orchester macht insgesamt einen sehr guten Eindruck.
Im Turandot-Scherzo wirkt der Gestus deutlich temperamentvoller als bei Hindemith selbst, fast schon etwas heißblütig. Leider wirkt das gute Spiel des Blechs etwas zu weit entfernt, obwohl es ab Q eine Weile ganz alleine seinen Swing spielt. In einem neuen Remastering wäre sehr wahrscheinlich eine klarere und präsentere Wahrnehmung möglich geworden. Auch das Holz leidet etwas unter der aufnahmetechnischen Distanzierung. Dies ändert allerdings nichts an der gewinnenden Musizierweise.
Der 3. und 4. Satz klingen etwas verhangener als die beiden Sätze zuvor. Angesichts des historischen Mono-Klangs muss das Verhältnis von Solo-Flöte zu Tutti als nahezu ideal bezeichnet werden.
Der Marsch wird sehr spannend, feurig, klangprächtig, glanzvoll und wie in einem Zug gegeben. Dieses Feuer hätte man den Hanseaten nicht unbedingt zugetraut. Klasse.
Der Klang wirkt recht plastisch, offen, transparent und dynamisch. Die Basslinie wird sogar recht gut durchgezeichnet hörbar. Der Rillenlauf der Platte war sehr sauber. Die Gran Cassa wird leider sehr stiefmütterlich behandelt. Mit diesem Instrument hatten die alten LPs oft Probleme. Insgesamt kann sich der Klang aber durchaus mit dem der Hindmith-Einspielung messen.
4-5
Sergiu Celibidache
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester (heute: WDR Sinfonieorchester Köln)
Orfeo
1958, Live
3:45 7:22 4:15 5:10 20:32
MONO Auch das Orchester des Westdeutschen Rundfunks lässt bei der Komposition des Landsmannes nichts „anbrennen“ und präsentiert sich als beschwingt und mit Leidenschaft musizierende Gemeinschaft. Die Holzbläser kommen sehr transparent zur Geltung, was viel zur effektvollen Wirkung der Einspielung beiträgt. Celibidache folgt hier noch nicht unbedingt seinem späteren Credo der Langsamkeit.
Wirkt der 1. Satz noch etwas dicht, erklingt der 2. viel besser durchhörbar. Das Blech kommt gebührend prall zur Geltung, jedoch wirkt es, wie der gesamte Satz etwas hastig, aber auch enorm drängend und erfreut mit einer enormen Steigerung. Der swingenden Blechbläserpassage lässt Celibidache eine enorme Zuspitzung zuteil werden. Er hat die Dynamik und ihre Wirkung auf das Steigerungspotential immer fest im Blick. Das RSO wird von ihm an allen Pulten enorm gefordert. Der Schlussakkord klingt mächtig verstimmt. Sicher ein nicht unbedingt erwünschter Spezial-Effekt.
Das Andantino wirkt innerlich bewegt. Die Umspielungen der Soloflöte, die dem Satz erst seine Leichtigkeit verleihen wird in dieser Einspielung arg von den thematisch orientierten Mitspielern bedrängt. Dies in einer Live-Aufnahme in perfekter Balance hinzubekommen war vielleicht damals noch gar nicht möglich. Vielleicht wollte Celi aber auch, dass es die Flöte so schwer hat? Ihre Vortragszeichen liegen meist über den der Mitspieler, sodass zumindest zu großen Teilen die Flöte besser zu hören sein müsste.
Der Marsch hingegen wird im Tempo erstaunlich zurückhaltend dargeboten, es soll ja auch kein Geschwindmarsch daraus werden. Steigerungstechnisch wirkt er aber besonders raffiniert strategisch aufgebaut, zudem enorm kontrastreich und sehr spannend gespielt. Die Kölner wirken trotz des moderaten Tempos wie entfesselt.
Der Klang der Aufnahme ist bereits erheblich plastischer, besser durchhörbar und dynamischer als der in der gerade zuvor gehörten Einspielung von Fritz Busch. Die Streicher klingen voll, nur vereinzelt wirkt ihr Klang leicht gepresst. Einige Huster des Publikums nimmt man gerne hin.
4
Fritz Busch
Konsertförenings Orkester Stockholm (Stockholmer Philharmoniker)
Guild
1949, Live
4:00 8:32 3:47 4:29 20:48
MONO Diese Einspielung leidet besonders unter der historischen Aufnahmequalität, sie wirkt weitestgehend dumpf und unausgewogen. Die Dynamik verbleibt zumeist auf einem soliden mf -f, das heißt von einer echten Dynamik lässt sich hier kaum reden. Man hört eigentlich nur die Themen aufblitzen, der Rest versinkt weitgehend im Hintergrund. Das Schlagzeug wirkt im p diffus, auch wenn es alleine spielt. Man merkt der Aufnahme ihr Alter an und es ist der gekonnten musikalischen Darbietung eine schwere Last.
Der 1. Satz wirkt sehr rhythmisch und von A bis D wie in einem Atemzug durchgespielt. Eine großbogige Sichtweise ist dieser Einspielung übrigens in allen Sätzen eigen. Auch daran erkennt man den Meister.
Busch überrascht mit einem sehr langsam genommenen 2. Satz. Er lässt jedoch sehr frei musizieren. Vielleicht schätzt er aber auch die Leistungsfähigkeit seines Orchesters mit diesem Tempo genau richtig ein? Das Accelerando nimmt Busch noch weit ins neue Tempo „Lebhaft“ mit hinein. Das f wirkt technikbedingt stark lärmend. Ab Q klingen die Bläser plötzlich viel transparenter, als ob sie eine Waschstraße durchlaufen hätten. Auch wenn im Folgenden das Schlagzeug alleine spielt, ist die Technik bereits überfordert, sie kommt mit seiner Dynamik und der des großen Orchesters überhaupt einfach nicht zurecht.
Im 3. Satz macht der überaus wenig sinnliche Klang die Stimmung zunichte. Es lässt sich so kaum ein gültiger Eindruck über das Spiel erlangen. Stellenweise wirkt es extrem verzerrt.
Im 4. Satz durchbricht das enthusiastische Musizieren selbst diese schwere Bürde und lässt ein sehr spannendes Musizieren mit einem drängenden Gestus hören. Bei diesem Konzert hätte man einfach dabei sein müssen.
Noch ergänzend zur Klangtechnik: Das Holz wird zumeist völlig zugedeckt, nur die Flöten kommen ganz gut durch, zumindest wenn sie f oder ff zu spielen haben. Die Zuhörerbeteiligung am klanglichen Geschehen des Live-Konzertes ist gering. Bedauerlicher Weise hat man Fritz Busch viel zu selten die Gelegenheit gegeben, Aufnahmen unter Studiobedingungen zu machen. Der Nachwelt wurde so ein potentieller Schatz an Referenzaufnahmen vorenthalten.
4
Wilhelm Furtwängler
Berliner Philharmoniker
DG – Urania
1947, Live
4:04 7:42 4:44 5:28 21:56
MONO Dieser Einspielung liegt auch ein Live-Mitschnitt einer Rundfunkanstalt zugrunde, in diesem Fall des SFB. Im 1. Satz werden Holz und Blech in einen kaum definierbaren Hintergrund verbannt. Die Streicher werden deutlich bevorzugt. Nur wenn sie schweigen oder p spielen kann man die Bläser einigermaßen gut verfolgen.
Das Turandot-Scherzo wird, ähnlich wie es auch Busch praktiziert, bedächtig begonnen. Die Soli erklingen aber mit mehr Finesse, es wird auch bereits ein Mehr an Concertare hörbar. Die Pauke und das Schlagwerk generell erklingen deutlich weniger brillant und zurückhaltender als bei Fricsay (Aufnahme des RIAS). Die schon oft zum Vergleich erwähnte Passage ab Q (Blech als swingende Big-Band) erklingt bei Furtwängler nur wenig jazzig eingefärbt. Die Entladungen wirken bei Furtwängler jedoch gewohnt eruptiv. Wir konnten uns jedoch des Verdachtes nicht entledigen, dass Furtwängler hier tiefer graben wollte, als Hindemith dies beabsichtigt hatte. Der tiefsinnige Ernst in dieser Einspielung überwiegt also deutlich der lebendigen Welt eines Scherzos.
Der Verdacht vertiefte sich noch während des Hörens des Andantinos. Es wirkte tief romantisch und sehr tiefgründig empfunden. Weiter entfernt vom luftigen, aber ebenfalls keinesfalls oberflächlichen Zugang Fricsays kann man sich diesen Satz kaum vorstellen. Wie bei Busch fehlt dem Klang hier die sinnliche Komponente besonders schmerzlich. Das heikle Miteinander bzw. stellenweise auch Gegeneinander von Soloflöte und dem Rest des Orchesters geht zu ungunsten der Flöte aus. Damit wird dem Satz zusätzlich noch Leichtigkeit entzogen. Die Umspielungen der Flöte dürfen nicht untergehen. Am Ende spielen die beiden Hörner viel zu laut, sie dürften hier nur p und dann sogar nur pp zu hören sein. Ein leises Herausschleichen aus der intimen Stimmung des Satzes wird sonst übrigens von allen Dirigenten dieses Vergleiches (außer eben Furtwängler) an dieser Stelle realisiert.
Auch beim Marsch erfolgt der Einsteg langsam, fast behäbig oder gar träge. Ein Tempo an dem sich leider auch nichts mehr ändert. Furtwängler nutzt viel Rubato, was einem stringenten Ablauf, wie ihn Hindemith selbst dirigiert, eher im Wege steht. Die Hörner ab D klingen nun mit der Partitur im Einklang und einfach toll. Insgesamt fehlt der Aufführung, besonders aber dem letzten Satz, Brisanz und vor allem Vitalität. Hier bekommen wir einen Hindemith zum mitschreiben (wenngleich ein paar Stimmen nur schlecht erkennbar wären) geliefert, immerhin aber in aller Ausführlichkeit.
Die Aufnahme selbst wirkt, obgleich noch zwei Jahre älter als diejenige Buschs, bereits erheblich ausgewogener, klarer und weniger verzerrt (bis auf die Violinen). Transparent wirkt sie aber nur solange es nicht lauter als mf wird. Es gibt auch hier keine tiefen Frequenzen. Von einer guten Durchzeichnung des Basses, später ein Charakteristikum dieses Orchesters, kann also noch keine Rede sein. Die Pauke klingt schmächtig und die Gran Cassa macht nur durch völlige Abwesenheit auf sich aufmerksam.
Moderne Aufnahmen in Stereo ab 1964:
5*
Claudio Abbado
London Symphony Orchestra
Decca
1968
4:04 7:34 3:58 4:28 20:04
Von Claudio Abbado gibt es zwei Einspielungen der Metamorphosis. Dieser ersten folgte eine weitere, ebenfalls ausgesprochen gelungene Einspielung mit den Berliner Philharmonikern aus dem Jahr 1995.
Wie bereits Abbados erste Produktion von Janaceks „Sinfonietta“ (siehe Vergleich dort), die während der gleichen Session wie die „Metamorphosis“ entstanden ist, steht auch diese Einspielung unter einem besonderen Glücksstern. Es passt einfach alles wunderbar zusammen. Auch hier zeigt das Orchester eine überbordende, anspringend lebendige, temperamentvolle, frische und draufgängerische Musizierlaune, die einer gewissen Abenteuerlust oder Entdeckerfreude zu entspringen scheint. Bereits der leicht etwas massiv oder affirmativ wirkende 1. Satz wird so von einem pulsierenden, tänzerischen Rhythmus durchzogen.
Das Turandot-Scherzo wird mit höchster Aufmerksamkeit gespielt. Das Orchester konzertiert auf das beste miteinander und zeigt dabei eine kaleidoskopartige, schillernde Farbenfülle. Getragen wird das mitreißende Spiel von einer überwältigend anmutenden Musizierlust, an die auch Abbados Remake mit den Berliner Philharmonikern nicht mehr herankommt. Der erste enorm gespannte Bogen reicht bis Orientierungspunkt P, danach beginnt das jazzige Blech (ab Q) mit seiner herausragenden Swing-Passage. Die Pauke erfreut danach mit voller Energieentfaltung. Das alles ist in hautnaher Präsenz zu hören. Das filigran artikulierende Holz wird dann mit unter den mit einer wunderbar spritzigen, nahezu überbordenden Energie aufgespannten zweiten großen Bogen gespannt. Das Ganze wirkt zudem auch noch mit leichtem und lockerem Enthusiasmus gespielt und wird in dieser Güte nur noch von einer weiteren Einspielung wieder erreicht.
Das Andantino klingt wunderbar schwebend aber dennoch ausdrucksstark. Beseelt gespielt von einem LSO in Gala-Form. Zuerst Klarinette und Fagott, später dann schließlich die wunderbare Solo-Flöte, deren Ausflug tatsächlich anmutet wie der strahlende Flug eines im Sonnenlicht glänzenden Vogels. Er währt großartige 17 Takte lang, nimmt also einen großen Teil des gesamten, nur 28 Takte währenden Satzes ein.
Der Marsch profitiert besonders von der ausgezeichnet angelegten, herzhaften Steigerung über den ganzen Satz hinweg, einem feurigen, freudig-ausgelassenen Gestus und einer zauberhaften Detailausleuchtung. Der Rhythmus wirkt sehr pointiert und wird voll ausgespielt. Dieser Satz wirkt wie unter Strom gesetzt. Das Orchester spielte damals enorm hellhörig, enorm kontrastreich und mit besonders gelungenen Übergängen auf dem Zenit seines Könnens. Besonders das enorm knackige und ungemein bewegliche und reaktionsschnelle Blech begeistert wieder einmal ganz besonders. Gänsehaut pur sollte garantiert sein. Applaus!
Die Aufnahmequalität, erneut verantwortet von dem Magier unter den Tonmeistern, Kenneth Wilkinson, wirkt ungemein plastisch und ist gesegnet mit einer unmittelbaren Präsenz und einer urwüchsigen Vitalität. Die Staffelung ist ausgezeichnet, die Dynamik umwerfend. Der Gesamtklang hat genau das richtige Maß zwischen einer angenehm weichen Fülle und einer sehnig-muskulös und schnell wirkenden Kraftentfaltung. Die Abbildung des Orchesters füllt den heimischen Hörraum. Die Partitur wirkt wie durchleuchtet, sodass zwar alle Details wie auf dem Präsentierteller liegen, aber immer noch ein lebendiges Ganzes ergeben. Wieder einmal bestätigt sich die These, dass es zwar viele gute Tonmeister gibt, aber nur einen Kenneth Wilkinson. Hier konnte er eine auch musikalisch exemplarisch erfüllte Darbietung für die Nachwelt erhalten.
▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten in der Liste
5*
Leonard Bernstein
Israel Philharmonic Orchestra
DG
1989
4:04 7:21 4:22 4:39 20:26
Auch von Leonard Bernstein existieren zwei Einspielungen des Stückes. Dieser zweiten ging eine Produktion mit den New Yorker Philharmonikern aus dem Jahr 1968 voraus. Keineswegs selten stehen die Remakes Bernsteins den früheren Einspielungen gegenüber etwas zurück, zumal wenn das IPO beim Remake beteiligt ist, aber nicht immer. Dieses Mal präsentiert sich das IPO jedenfalls enorm spielfreudig, erfreut mit kontrastreichem, plastischem, farbenreichen, virtuosen und hoch präzisem und gleichermaßen vitalem Spiel, ohne jeden Ansatz von Patina, die so manche andere Einspielung aus jener Zeit kennzeichnet.
Im Turandot-Scherzo lässt Bernstein die exotischen, kapriziösen Elemente der Märchenkönigin voll ausspielen und kurz fühlt man sich zu Puccinis Turandot zurück versetzt. Der Vortrag erscheint gegenüber dem bereits exzellenten Spiel der New Yorker nochmals etwas nuancierter, spannender, vor allem aber spontaner empfunden. Vor allem das sonst mitunter etwas farblose Blech des Orchesters überrascht mit stürmischem Temperament und treffend jazziger Färbung. Keine Orchestergruppe steht jedoch dieses Mal hinter einer anderen zurück (oder der vergleichbaren des New Yorker Orchesters). Auch das perfekte, nahtlos verzahnte Zusammenspiel erfreut besonders.
Das Andantino ist dieses Mal ein Beleg dafür, dass weniger auch manchmal mehr sein kann. Bernstein reduziert nun etwas die extremen Ausdruckswerte gegenüber der 68er Version, bleibt in etwas bescheideneren Dimensionen und hält den Musiziergestus so etwas lockerer und wirkt dabei sogar noch etwas feinfühliger und ein wenig nuancierter. Ausdrucksvoll bleibt es immer noch.
Der Marsch zeigt nun ein absolut brillantes, quirliges und jubilierendes Musizieren eines tollen Orchesters, das diesen Mal sein ganzes Potential auszuschöpfen scheint. Das Zusammenspiel wirkt beseelt, die dynamischen Gegensätze werden voll ausgereizt. Der Aufbau gelingt auch Bernstein sehr spannend. Das Finale dann sogar ganz besonders brillant und mitreißend. Besser geht es nicht. Die bisher beste Leistung des Orchesters, die wir je von ihm gehört haben.
Der Klang ist gegenüber der 1968er aus New York deutlich voluminöser, großräumiger und dennoch sehr plastisch, brillant und ungemein farbig, wie es der DG in Israel nur ganz selten einmal gelang. Ein klein wenig mehr Hall als in der etwas trockener wirkenden Akustik in New York wird dazu eingesetzt, aber er verunklart nichts und wirkt natürlich. Ein straffer aber trotzdem voluminöser Bass rundet den hervorragenden Klang nach unten ab. Die Dynamik ist ausladender und wenn es die Partitur verlangt auch wuchtiger als 1968.
▼ eine weitere Aufnahme desselben Dirigenten folgt weiter unten in der Liste
5
George Szell
Cleveland Orchestra
CBS-Sony
1964
3:52 7:02 3:57 4:20 19:11
Die Einspielung George Szells begeistert mit der gewohnten höchsten Präzision und Akkuratesse, dieses Mal noch ergänzt mit einer anspringenden Musizierlaune und erfüllten Soli (Oboe). Die Detailzeichnung ist ganz erstaunlich, ebenso die auffallend schlanke Transparenz der Stimmen. Weniger dicht wirkt gerade der etwas dick instrumentierte 1. Satz kaum noch einmal. Der so aufgelichtete Gestus wirkt in hohem Maß souverän aber deutlich intellektueller geprägt als zum Beispiel bei Abbado, bei dem wie erwähnt die abenteuerlustig frische, quicklebendige Art des Musizierens absolut dominiert und begeistert.
Das Scherzo, etwas weniger sinnlich ansprechend als bei Abbado und Bernstein, wirkt enorm angetrieben aber trotz des schnellen Tempos wunderbar nuanciert ausmusiziert. Der Gestus wirkt wegen der ganz enormen virtuosen Fähigkeiten dennoch leicht, beschwingt und voller Vitalität. Das Blech legt seinen Swing mit fetziger Selbstverständlichkeit, selbstsicher und völlig ansatzlos einfach nur so hin. Der Spannungsbogen ist enorm. Insgesamt wirkt dieser Satz kühler temperiert als bei den beiden Einspielungen Abbados und den beiden Bernsteins, aber voller Saft und Kraft.
Das Andantino erstrahlt in perfekt geführter schlanker Klanglichkeit und Ebenmäßigkeit wie ein funkelnder Edelstein.
Der 4. Satz wirkt mit vielen Feinheiten angereichert, deren man sonst weniger gewahr wird. Sie werden eingebettet in das soghafte und ungemein schlank und geschmeidig wirkende vorantreibende Tempo eines Geschwindmarsches. Bombast oder gar Monumentalität kommt bei Szell auch nicht im Keim auf. Besonders erfreuen wir uns aber an der schon fast magisch zu nennenden makellosen Vollkommenheit. Abbado und Bernstein und ihre Orchester können vielleicht nicht ganz mit dieser höchsten Perfektion mithalten, aber der Vortrag insbesondere mit den bereits angesprochenen LSO bzw. IPO wirken einfach noch etwas lebendiger, mit etwas mehr ungestümen Drive.
Das Klangbild geht Hand in Hand mit der musikalischen Darbietung. Damals musste man wohl auch die technische Seite als meisterlich bezeichnen. Der Klang ist sehr transparent, sehr gut gestaffelt, schlank, dynamisch und farbig, wirkt aber mittlerweile ebenfalls etwas kühl und hat mit den Jahren in Punkto Brillanz etwas Patina angesetzt. Aber wirklich nur etwas. Ein neues Remastering könnte hier schon wieder auffrischend wirken.
5
Paavo Järvi
HR – Sinfonieorchester (früher: RSO Frankfurt)
Naive
2013, Live
3:52 7:50 4:02 4:37 20:21
High-Res Download Järvi meidet im 1. Satz die übernervöse Hektik Eschenbachs und den etwas bulligen, dichten Gestus Janowskis genau wie eine leere Motorik. Sein in ganz besonderem Maß nuancierter und feiner Vortrag fördert die hier anzutreffende enorme Transparenz ungemein. Und auch die Akzeptanz bei den Hörer/innen, die das mitunter plump positivistische dieses Satzes sonst nicht so mögen. Begeisternd fanden wir auch die ganz hervorragende Oboe, der das Kunststück gelingt, zugleich voll aber auch schlank und biegsam zu klingen und eine außergewöhnliche Flexibilität und ein Füllhorn an Nuancierungen zu präsentieren. Jedoch stehen ihr die anderen Holzbläser kaum nach. Der 1. Satz, der in den anderen Aufnahmen - oft ein wenig auch in der kompositorischen Finesse - gegenüber den anderen drei Sätzen zurückzustehen scheint, erscheint hier als völlig ebenbürtig.
Das Turandot-Scherzo wirkt zunächst besonders feingliedrig und atmosphärisch, da Järvi das Exotische darin voll auskosten lässt. Im weiteren Verlauf sind alle Beteiligten jedoch durchaus zu Scherzen aufgelegt. Erneut verdienen sich die Holzbläser Bestnoten mit ihrem enorm detaillierten und klangschönen Spiel. Preußisch trocken wirkt hier gar nichts, im Gegenteil sehr lebendig und besonders sinnlich und auf eine leichte Art hingezaubert. Das Blech ab Q swingt erheblich jazziger als die Kollegen bei Eschenbach, Janowski oder Colin Davis. Man kann sagen, das Blech des HR SO gewinnt den internen Wettbewerb der deutschen Rundfunksinfonieorchester, einen Wettbewerb, den es natürlich in der realen Welt gar nicht gibt. Der weitere Verlauf gelingt enorm kontrastreich und nuanciert, wie man ihn nur ganz selten zu hören bekommt.
Auch im Andantino kleistert nichts von den Stimmen zusammen sondern werden besonders fein ausgesungen. Das Tempo dürfte dem Ideal wohl ebenso nahe kommen wie der unforcierte lockere Ausdruck und die im höchsten Maß zu lobende Transparenz des ganzen Orchesters. Auch die schwierig herzustellende Balance der Soloflöte zum Restorchester (ab 4 1/3 Takte vor C) erscheint vollendet gelungen.
Im Marsch fällt die ausgesprochen präsente Rührtrommel auf, die man sonst auffallend oft nur ganz leise hört. Dabei gehört sie doch zu einem Marsch wie das Salz in die Suppe. Sie wird besonders penibel ins Klangbild integriert und dynamisch haargenau nach Vorschrift austariert. Beispiele dieser Art, die das gewissenhafte Vorgehen Järvis ein ums andere Mal belegen, gibt es zuhauf. Die große Linie wird dabei aber nicht aus den Augen verloren und er bringt die Spannung ordentlich in Richtung Siedepunkt. Dieser Satz begeistert ganz besonders, aber auch die ganze Performance überzeugt vom ersten bis zum letzten Ton. Järvi jr. zeigt sich als akribischer Perfektionist, der den Blick aufs Ganze aber nicht aus den Augen verliert und „sein“ damaliges Orchester auf ein enorm hohes Niveau gebracht hat, auf dem er es auch noch zu Höhenflügen zu beflügeln weiß.
Der Klang der Einspielung wirkt etwas weniger sonor als der von Pentatone bei Janowski oder von Ondine bei Eschenbach. Bei aller Transparenz und Offenheit ist es besonders die exzellente Ortungsschäfe die besonders hervorsticht. Die Instrumente erscheinen förmlich, man verzeihe den unpassenden Ausdruck, wie an ihren Plätzen fest genagelt. Auch die Dynamik erscheint geweitet, aber ausgerechnet im Finale des Marsches leider gerade nicht (es hörst sich an wie abgeregelt). Warum das so ist, erschließt sich uns nicht. Die Gran Cassa wird besonders ortungsscharf und dynamisch extrem nuanciert eingefangen. Kein einziger Schlag geht unter, sei er noch so leise.
5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS – Sony
1968
3:56 7:12 4:07 4:40 19:55
Bernsteins erste Aufnahme steht der späteren kaum nach. Der 1. Satz erklingt rhythmisch und betont perkussiv, jedoch nicht ganz mit dem überbordend abenteuerlustigen Schwung der Abbado-Aufnahme aus demselben Jahr. Seiner eigenen mit dem IPO steht er in Hinsicht auf einen freien und inspiriert wirkenden Vortrag auch eine Kleinigkeit nach. Das Orchester präsentiert sich aber, nicht dass nun ein falscher Eindruck entstünde, immer noch hoch motiviert und enorm spielfreudig.
Auch im 2. Satz erfreut das plastische und spannende Musizieren mit einem hohen Dringlichkeitsgrad unter einem weit gespannten Bogen. Die exotisch wirkende Atmosphäre lässt Bernstein dabei mit einer preußisch zackigen Handhabung des Grundrhythmus kollidieren. Die jazzige, außerordentlich pointiert vorgetragene Blechbläserpassage hat viel Swing, man merkt, dass Bernstein auch in dieser Welt zuhause und z.B. der Musik eines Duke Ellington stark zugewandt war. Auch die korrespondierenden Holzbläserpartien erstrahlen in bestechender Klarheit. Der Verlauf in diesem Satz ist enorm zugespitzt, das Spiel des kompletten Orchesters besonders plastisch.
Das Andantino erhält einen durchaus lebendigen Charakter und exakte dynamische Verhältnisse, wirkt aber auch tief lotend, fast bis ins Tragische hinein gesteigert. Also vielleicht ein wenig zu viel des Guten? Bernstein selbst ging jedenfalls 1989 etwas lockerer mit diesem Satz um. Wir meinen passender. Aber auch 1968 löst sich die Tragik durch das locker umspielende Flötensolo fast wieder in Wohlgefallen auf. Überhaupt gefallen die New Yorker dieses Mal auch mit brillanten solistischen Leistungen.
Auch im 4. Satz, dem Marsch, erreicht Bernstein nicht ganz die fröhliche, fast schon ins Groteske (grotesk deshalb, weil vitale Fröhlichkeit und Marsch eigentlich überhaupt nicht zusammen passen sollten) hinein gesteigerte Vitalität von Abbado (1968) und seiner Version mit dem IPO (1989). Das Staccato der Streicher wird aber gut herausgearbeitet, das Holz formt seine Figurationen keck und das Blech hält sich mit einer atemberaubenden Dynamik kaum zurück. Die Schlusssteigerung beeindruckt auch hier bereits.
Noch etwas brillanter und transparenter als das CO in der Szell-Einspielung klingt hier Bernsteins Orchester. Wahrscheinlich nicht, weil sie vier Jahre jünger ist, sondern weil sie in einem neueren Remaster vorlag. Es wirkt außerordentlich gut gestaffelt, sehr präsent und sehr plastisch in den Raum gestellt. Sehr offen und knackig klingt es auch noch.
5
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
DG
1995
4:00 7:09 4:00 4:32 19:41
Gegenüber der 27 Jahre älteren Einspielung aus London wirkt das Berliner Remake eine Spur gesetzter, nicht mehr ganz so ungestüm, abenteuerlustig und spontan empfunden. Und wegen des etwas volleren, oder umgekehrt etwas weniger schlanken Orchesterspiels nicht mehr ganz so spritzig, poitiert und beweglich. Dafür leuchten die Klangfarben noch intensiver und das Orchesterspiel wirkt noch homogener. Beide Orchester erreichen höchstes Niveau. Die Soli klingen bei den Berlinern absolut brillant und sehr ausdrucksstark. In Berlin nun mit einem dickeren Pinsel und in Öl bemalt, in London eher mit leichterer Hand etwas aquarellhaft und genialisch hingezaubert. Da kann man sich aussuchen, was einem besser gefällt. Es ist in jedem Fall eine gute Wahl.
Im Turandot-Scherzo wirkt das höchst virtuose Spiel des Orchesters und aller Solisten noch etwas eloquenter. Die Steigerungen werden herausragend herausgearbeitet, auch hier hören wir bestes Zusammenspiel und höchste Brillanz.
Im Andantino bleibt gegenüber der Londoner Einspielung das Flötensolo etwas zurückhaltender, im Klang etwas gedeckter, aber kaum weniger angemessen. Ansonsten hören wir hier eine ebenso herausragende Darbietung wie in London.
Trotz der effektvollen Kraftentfaltung im 4. Satz meidet Abbado auch in Berlin alles Pompöse. Erneut etwas weniger ungestüm als in London aber mit höchster Brillanz und begeisterndem, aber auch bestens strukturierten Spiel, hören wir eine auf das fulminante Ende hin angelegten furiosen Steigerungsverlauf.
Von Abbado liegen also prinzipiell zwei gleichwertige Einspielungen vor. Der persönliche Geschmack und die Vorliebe für das eine oder andere Orchester dürften bei der Auswahl entscheiden. Die ältere, um es etwas zusammenzufassen ist etwas temperamentvoller und begeistert mit jugendlichem Enthusiasmus und unbändiger, aber doch auch sehr nuancierter Kraftentfaltung während die neuere, etwas weniger ungestüm und vielleicht ein wenig intellektueller erscheint und etwas bodenständiger und noch etwas souveräner ausformuliert erscheint.
Der Klang in Berliner Aufnahme erreicht nicht ganz die ultimative Lebendigkeit und Plastizität der Londoner, wirkt aber sonorer und verfügt über einen makellos geschlossenen und geschliffenen Gesamtklang. Die Dynamik wirkt weit, die Transparenz hoch und die Basslinie voll und rund. Die Staffelung ist in beiden Fällen ausgezeichnet. In Berlin wirken die Klangfarben etwas satter und tiefgründiger.
In Berlin wirkt Abbados Darbietung also etwas kühler vom Temperament her aber etwas wärmer im Klanglichen.
5
Alan Gilbert
New York Philharmonic Orchestra
NYP Live
2010 oder 2011, Live
4:01 8:17 4:13 4:28 20:59
In diesem ersten vom Orchester selbst veröffentlichten und nur als Download oder im Streaming erhältlichen Konzert-Mitschnitt erfreut im 1. Satz der besonders rhythmische und perkussive Klang. Der noch mehr als beispielsweise bei Salonen vorangetriebe Gestus gefällt ebenso.
Das Tempo Gilberts erscheint im Turandot-Scherzo dagegen etwas zu langsam, was den Scherzo-Charakter ein wenig abmindert. Der jazzige Swing des Blechs könnte etwas kürzer und prägnanter, auch ein wenig hitziger artikuliert werden. Die hautnahe Präsenz jedoch begeistert genau wie die urwüchsige, ungehemmte Dynamik.
Im Andantino findet Gilbert ein gutes Maß zwischen Genauigkeit, Konzentration einerseits und aufgelockerter Spielweise. Das Flötensolo wirkt nicht ganz so voll und brillant wie beim Concertgebouw-Orchester und Riccardo Chailly, aber die wechselnden Relationen mit dem Orchester wirken stimmig.
Auch im abschließenden Marsch kommt das Schlagwerk bestens akzentuiert und hervorragend deutlich heraus. Das Musizieren erscheint nicht gerade übermäßig eilig oder gar feurig angetrieben, sondern locker und wie aus einem Guss. Mit etwas weniger Drive aber viel groovendem Swing. Irgendwie hat man den Eindruck, dieser Satz wäre dem Orchester auch noch nach über 60 Jahren nach Auftragserteilung wie auf „den Leib“ geschrieben worden. Begeisterter Applaus in New York. Bei uns reicht es noch für die 5.
Der Klang des echten Live-Mitschnitts ist von hautnaher Präsenz. Das Orchester wird auch sehr gut gestaffelt, hervorragend transparent und sehr dynamisch abgebildet. Der Raumklang wirkt natürlich, aber nicht besonders weiträumig, eher mit einem Hang zum Trockenen als zum Halligen. Die Partitur wirkt in allen Details wie durchleuchtet.
4-5
Herbert Blomstedt
San Francisco Symphony Orchestra
Decca
1987
3:45 7:18 4:13 4:24 19:45
Den 1. Satz bringen Herbert Blomstedt und das SFSO zunächst mehr motorisch geprägt und etwas gleichförmig zu Gehör. Ab 8 T. vor E jedoch klingt es differenzierter. Der Gestus wirkt etwas großstädtisch-gehetzt, nicht mit dem lockeren Überschwang des jungen Abbado.
Dem Scherzo verleihen die Mitwirkenden hingegen einen leichten und lockeren, geradlinig aber auch spritzigen Gestus. Das Orchester präsentiert sich mit aller Perfektion. Es erreicht aber nicht den spontan wirkenden Drive von Abbado und Bernstein. Der Spaß an der Sache kommt bei Blomstedt jedoch nicht zu kurz. Die Gran Cassa ist bei jedem Einsatz gut hörbar, auch bei einem pp. Für uns immer ein kleines aber gutes Zeichen für eine akribische Partiturnähe, auch der Mitwirkenden hinter den Reglern.
Das Andantino wird einfach schön und ausdrucksvoll gespielt.
Der 4. Satz wird marschbetont intoniert, wirkt aber dabei nicht preußisch bierernst, sondern eher etwas ironisch überhöht. Die Bläser verdienen sich noch vor den Streichern (dieses Mal etwas weniger rund und strahlend) besonderes Lob. An die Glanzleistung, die das Orchester bei der Alpensinfonie zeigt, kommt es dieses Mal übrigens nicht ganz heran.
Eine natürlich und durch und durch kompetent wirkende Einspielung, die jeden Bombast erfolgreich meidet.
Der Klang wirkt voll, weich und sonor, transparent und dynamisch. Räumlich etwas weniger großzügig als die Aufnahmen Bernsteins (IPO und NYPO) und Abbados (LSO) oder auch Järvis (HR SO).
4-5
Otmar Suitner
Staatskapelle Dresden
Eterna
1969
4:15 7:44 4:06 4:14 20:19
Bei Otmar Suitner und den Dresdnern klingt der 1. Satz hingegen wieder rhythmisch betont, pointiert aber auch herzhaft und kernig. Dieses Mal erscheinen die Streicherstimmen sehr schlank geführt, zumeist wirkt der Streicherklang bei diesem Orchester eher etwas füllig, in jedem Fall aber voll und abgerundet.
Auffallend am 2. Satz ist das fast schon hervorstechende, da sehr gut hörbare Pizzicato (4 T. nach F), das sonst zumeist unter geht und die fast kammermusikalisch direkt klingende glanzvolle Jazz-Einlage des Blechs. Nichts desto trotz wird das Blech über den ganzen Raum verteilt, sodass das kammermusikalische Spiel zwar etwas konterkariert wird, weil der ganze Raum beansprucht wird, was aber den Spaß daran eher noch erhöht. Denn wann hört man das Dresdner Blech je einmal so großräumig und doch so hautnah? Der Spaß am Musizieren scheint auch nicht zu kurz zu kommen, jedenfalls gewinnt man als Hörer diesen Eindruck.
Das Andantino wirkt zwar bewegt und lebendig aber auch unruhig, teilweise gar aufgewühlt. Der Flöte wird auch klangtechnisch eine große Bühne bereitet, die sie auch brillant nutzt, aber nicht über Gebühr, denn die Balance stimmt.
Der Marsch wird virtuos und leicht genommen, er bekommt aber auch vor allem vom Schlagwerk gehörig „Schmackes“ mit und das Blech darf sich ordentlich austoben. Der Gestus wirkt sehr temperamentvoll und gegen Ende ordentlich zugespitzt.
Der Klang beweist erneut die exzellente fachliche Arbeit, die damals in der DDR aufnahmetechnisch geleistet wurde. Das Klangbild ist sehr klar, weist eine hervorragende Staffelung des Orchesters auf, klingt präsent und offen und verfügt über eine knackige Dynamik. Es ist uns dieses Mal jedoch kein vollkommenes Glück beschert, denn wie bereits oben erwähnt, fehlt besonders den Violinen etwas Fülle und sie klingen auch nicht ganz frei, bisweilen also etwas belegt.
4-5
Wolfgang Sawallisch
Philadelphia Orchestra
EMI
1994
4:00 7:58 4:51 4:53 21:42
Direkt nach der Einspielung Salonens gehört, überrascht Sawallisch mit einem beschwingteren Gestus im 1. Satz und einem Mehr an vorwärtsdrängendem Drive. Sein Orchester bringt darüber hinaus mehr „Wumms“ ins Spiel.
Auch im Turandot-Scherzo zeigt sich eine lebendigere Phrasierung, besonders auch bei den solistischen Darbietungen und eine generell musikantischere Auffassung des Satzes. Die Dynamik wirkt vitaler und frischer, die Entwicklung feuriger als bei Salonen. Die jazzige Blech-Passage hat ebenfalls etwas mehr Swing im Feeling. Der Verlauf wird mit mehr Animato gespielt.
Das Andantino mit einer im Ton ziemlich hell gefärbten Klarinette bietet bei einem vergleichsweise langsamen Tempo ein besonders gefühlvolles, cantables Spiel, das schon ein wenig die Grenze zur Elegie streift.
Auch der 4. Satz erklingt mit mehr Bedacht, allerdings nur vom Tempo her. Der Gestus wirkt wie bei den beiden ersten Sätzen lebendig und mit viel Animato. Die Rührtrommel wird exponiert, wie sich das für einen Marsch auch gehört, die dynamischen Gegensätze werden kontrastreich ausgereizt. Dies ist eine enorm sichere und brillante Darstellung des Satzes mit einem wuchtigen, fast schon extatischen Finale.
Schade, dass die Klangqualität nicht ganz mit der musikalischen Darbietung mithalten kann. Der Klang wirkt ziemlich kühl timbriert, weniger voll und auch weniger fein als beispielsweise in Los Angeles. Er wirkt auch ein klein wenig diffus, aber ebenfalls transparent und gut gestaffelt. Tendenziell wirkt der Klang auch heller und erheblich weniger sonor als bei Salonen. Der Klang wirkt in LA insgesamt „audiophiler“, auch der Klang bei Ormandy (1978), ebenfalls aus Philadelphia wirkt etwas vollmundiger und wärmer als der der Sawallisch-Aufnahme von 1994.
4-5
Esa-Pekka Salonen
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1999
4:18 7:41 3:38 4:35 20:12
Salonen beginnt den 1. Satz mit einer mechanisch und kühl wirkenden Herangehensweise, die darüber hinaus aber auch besonders klar und exakt wirkt. Nur die Soli bringen etwas mehr Lebendigkeit in diesen Gestus ein.
Das Turandot-Scherzo wirkt atmosphärisch, auch tänzerisch aber keinesfalls feurig. Die etwas ziselierte Spielweise besticht mit herausragender Transparenz aller Stimmen. besonders das Holz, aber auch die Streicher profitieren durch die gewonnene herausragende Durchhörbarkeit. Die jazzige Passage des Blechs wird nicht mit dem besonderen Drive gespielt, der unter anderem bei Bernstein so packt. Salonens Version wirkt mit seiner mehr analytisch geprägten Ruhe aber nicht uninteressant.
Im Andantino klingen die Philharmoniker von der Westküste mit mehr Wärme und stets mit einer verlässlichen Partiturtreue. Das fein ausgehörte, aber auch etwas ziselierte Flötensolo besticht gemeinsam mit seinen orchestralen Partnern mit einer perfekten Balance. Auch das Tempo erscheint goldrichtig. Insgesamt können wir also einem sehr gelungenen 3. Satz lauschen.
Der Marsch wird geprägt vom herausragend guten Zusammenspiel der Musiker. Das gemäßigt wirkende (objektiv ist es gar nicht so langsam) Tempo besticht mehr durch die Souveräität der Beteiligten, als durch inneres Feuer. Das Finale wirkt besonders brillant und sehr gut gesteigert.
Die Aufnahme präsentiert einen ausgezeichneten Gesamtklang: Besonders transparent und bestens gestaffelt, offen, räumlich und körperhaft. Die Dynamik ist gut, die Gran Cassa exponiert. Der Klang ist also bestens auch für audiophile Ohren geeignet. Einzig der Hörnerklang wirkt ein wenig zu indirekt. Das hat Meister Wilkinson im London anno 1968 bereits viel besser hinbekommen.
4-5
Neeme Järvi
Philharmonia Orchestra London
Chandos
1989
4:08 7:31 3:44 4:38 20:01
Ähnlich der Einspielung des SO des BR mit Colin Davis klingt auch das Philharmonia Orchestra ein wenig füllig. Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks klingt jedoch klarer, da es nicht so hallig aufgenommen wurde. Das englische Orchester ist aber ebenfalls sehr gut besetzt und die Oboe klingt mittlerweile ebenfalls weich und voll. Järvi nimmt den 1. Satz musikantisch und spielt die ff voll aus.
Auch im 2. Satz erleben wir einen gut angelegten Spannungsaufbau und eine Darbietung, die den humorigen Aspekten nicht abhold gegenübersteht. Obwohl spannend und kontrastreich gespielt, erreicht Järvi sen. (Neeme) nicht denselben Grad an Pointierung wie Järvi jun. (Paavo).
Im Andantino wirkt das weich gerundete Klangbild besonders einnehmend. Es ermöglicht eine ungeschmälert stimmungsvolle Wiedergabe, die dem Orchester besonders zu liegen scheint.
Im Marsch geht Neeme deutlich weniger auf die diversen dynamischen Vorschriften des Komponisten ein wie Paavo, auch sonst ist das Spiel des Philharmonia nicht ganz so reich an Nuancen wie das des HR SO. Die Hauptsache verliert Neeme jedoch nicht aus den Augen. Er verhilft dem Orchester zu einem ansonsten sorgfältigen, durchaus einnehmenden und locker-beschwingten, auch zupackenden Spiel mit einer großartigen Schlusssteigerung.
Die Aufnahmetechnik verstärkt noch den fülligen und sonoren, weichen und gerundeten Klang des Orchesters, den man auch von seinen Einspielungen bei anderen Labels her kennt. Das Klangbild ist gut vom Bass her aufgebaut, das Orchester gut gestaffelt in eine groß dimensionierte Klangbühne hineingestellt. Die Violinen klingen mitunter nicht ganz geschlossen, die Dynamik ist saftig.
4-5
Colin Davis
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Philips
1989
3:58 7:32 4:18 4:58 20:36
Die gelassene Gangart im 1. Satz mit seinem sehr wenig affirmativen Gestus erinnert etwas an Hindemiths Eigenaufnahme. Im Tempo hinkt Davis dem Komponisten jedoch ein wenig hinterher. Hektik lässt Davis völlig aus dem Spiel.
Im Scherzo lässt Davis und das ausgezeichnete Orchester zu Beginn eine zauberhafte Märchenwelt entstehen. Das f des Blechs wirkt im weiteren Verlauf ein wenig zurückhaltend, die Synkopen der Jazz-Einlage ein wenig brav. Generell fehlt dem Duktus ein wenig der scherzohafte Drive. Der Satz erscheint fast wie eine Wohlfühloase, wozu der einnehmend farbige und dieses Mal ein wenig füllige Klang des Orchesters in Verbindung mit dem warmen Philips-Klang natürlich ebenfalls viel beitragen. Am Ende des Satzes findet Davis den Weg zurück in die zauberhafte Märchenwelt.
Im Andantino überlässt sich Davis ein wenig der Zeit und der strömenden Cantabilität. Das Orchester weiß beides gefühlvoll auszugestalten. Das Espressivo geht lange nicht so weit wie bei Fürtwängler. Die filigrane Flötenornamentik ist zumeist sehr gut zu hören, steht aber bei Davis nicht im Vordergrund. Vielmehr liegt sein Hauptaugenmerk auf der thematischen Arbeit (darin Furtwängler ähnlich).
Den Marsch nimmt Davis, auch darin Furtwängler nicht ganz unähnlich, sehr langsam, jedoch verbleibt er noch in einem fließenden Gestus, vermeidet so auch den übermäßig deutlichen Hinweis auf das nur Militärische. Jedoch wird der Gestus angereichert mit einer ordentlichen Portion Saft und Kraft. Die begeisternde Klangkultur des ganzen Orchesters lässt diesen Satz zu einem klanglichen Leckerbissen werden. Das Temperament wirkt jedoch arg gezügelt und auch das Finale wenig zugespitzt. Davis folgt auch hier dem Motto, das wir schon in anderen Vergleichen bemerkten: In der Ruhe liegt die Kraft.
Der Klang der Aufnahme wirkt voll, rund, transparent, leicht eingedunkelt und etwas gedeckt aber mit sehr kräftigen Klangfarben. Das Orchester wird sehr gut gestaffelt und tief im Raum abgebildet, bei bester Bassgrundierung. Holz und vor allem das Blech sind ein wenig zu weit entfernt um das Ihnen mögliche zu einer weiten Dynamik beizutragen. Bestechend wirkt jedoch der besonders „blühende“ Gesamtklang.
4-5
John Neschling
Sao Paulo Symphony Orchestra
BIS
2008
4:06 7:56 4:23 4:48 21:13
SACD Dass wir vom brasilianischen Vorzeigeorchester beim Vergleich der Lieutenant Kijé Suite ein wenig enttäuscht waren, findet dieses Mal keine Bestätigung. Das Orchester zeigt sich allseits gut besetzt und mit diesem Dirigenten hoch motiviert. Die Gestaltung im 1. Satz überzeugt durch enormen Nuancenreichtum und sensibles Gestalten. Ein affirmatives pures Musikantentum, das gar in Kraftmeierei münden könnte, wird so wirkungsvoll untergraben. Hier wirkt es sogar gerade wegen der Sensibilität besonders musikalisch.
Gerade im Scherzo wirkt das Spiel so kontrastreich, auch fein ziseliert, dass man das Orchester gegenüber seinem Prokofjew-Auftritt gar nicht wieder erkannt hätte. Nur die Swing-Passage des Blechs wirkt aber auch hier so verinnerlicht, leise, also ganz im Gegensatz zum sonst so extrovertierten Charakter, den diese Passage sonst vermittelt, dass man doch kurz an das eingeebnete Spiel bei Prokofjew denken muss. Anschließend geht es jedoch, zwar immer noch sehr sorgfältig aber auch ordentlich gepfeffert weiter.
Das Andantino erfährt eine fein ausgewogene, klanglich und im Ausdruck jedoch auch substanzreiche Darstellung. Flöte und Orchester befinden sich in vollkommener Harmonie: Toll!
Dem Marsch wird ein sehr zurückhaltendes Tempo zuteil, fast wieder wie zum mitschreiben. Er wird aber keinesfalls zum „Papiertiger“, denn Neschling lässt die Themen herrlich aufblühen. Ohne jede Hektik aber trotzdem vital. Es gelingt ihm sogar der Spannung eine gewisse Sogkraft mitzugeben. Er nimmt den Marsch weder bierernst noch ironisch überdreht. Er findet einen guten Mittelweg, der nicht unentschieden wirkt. Zudem holt er das vermeintlich Beste aus dem Orchester heraus. Es überzeugt nun noch mehr als im Vergleich der „Fontane die Roma“, bei dem es auch schon eine gute Figur abgab. Neschling beweist den Mut, der Musik einen eigenen Stempel aufzudrücken, denn so warmherzig hört man gerade den Marsch nur sehr selten. Darin geht er noch weiter als Colin Davis.
BIS-typisch wirkt der Klang weit in die Tiefe hinein gestaffelt. Glücklicherweise bleiben dieses Mal aber alle gut aufgefächerten Orchestergruppen präsent genug, sodass zur hohen Transparenz und weiten Räumlichkeit auch ein gehöriges Maß an Präsenz und Dynamik erhalten bleibt. Der Gesamtklang klingt warm und ausgewogen. Eine ganz ausgezeichnete Arbeit hinter den Reglern, auch für die audiophilen Kulinariker unter den Hörern und Hörerinnen bestens geeignet.
4-5
Marek Janowski
WDR Sinfonieorchester Köln (früher: Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester)
Pentatone
2017
3:27 7:27 3:53 4:00 18:47
SACD Im 1. Satz wirkt der Gestus (ganz im Gegenteil zum zuvor erwähnten John Neschling) sportlicher, aber auch gedrungener, fast schon bullig. Das resultiert aus einer Kombination aus einer hektisch wirkendem Temponahme und der Mobilisierung fast aller Kräfte, bei gleichzeitiger Betonung der dem Satz innewohnenden Motorik. Eine Ausformulierung findet hier vor allem in den Soli statt. Wie bei den Orchestern von HR, BR und NDR klingt die Oboe auch beim WDR SO ebenfalls ganz exzellent.
Im Turandot-Scherzo findet Janowski zu mehr Sinnlichkeit, später wirkt der Gestus dann erneut etwas atemlos, gerade durch, ohne einen Blick „von der Hauptstraße“ abzuwenden. Bis P wird sehr ordentlich gesteigert. Und ab Q wirkt das Blech des Orchesters sehr pointiert, ebenso wie das Schlagwerk gibt es eine glänzende Visitenkarte ab. Die Leidenschaft, die ein Bernstein oder Abbado zu entfesseln weiß, wird jedoch nicht ganz erreicht, auch in den eruptiven Höhepunkten nicht. Trotzdem: Alle Achtung!
Im Andantino trifft Janowski fast genau das Tempo von Hindemith selbst. Hier wirkt es nun wunderbar fließend und sogar ein wenig tänzerisch, hat keinen Hang zum Oberflächlichen und wirkt sehr gefühlvoll. Dieser Satz gefällt besser als z.B. bei Eschenbach. Janowski gibt der Soloflöte im heiklen Miteinander eindeutig die Vorfahrt.
Beim Marsch lässt er wieder ein wenig unbekümmert drauflos musizieren, ein p wird da schnell einmal zum f. An Drive mangelt es jedoch nicht. Hier wird übrigens die Verwandtschaft zum 3. Satz von Tschaikowskys „Pathetique“ sehr gut herausgearbeitet. Das SO des WDR macht einen sehr brillanten Eindruck, wirkt wie bereits bei Celibidache sehr temperamentvoll und wie entfesselt.
Die Klangtechnik erreicht einen vollen, prallen, exzellent aufgefächerten und weich gerundeten Gesamtklang bei ausgezeichneter Staffelung. Audiophiles Herz, was willst du mehr?
4-5
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
EMI
1978
4:05 7:50 4:00 4:41 20:36
Ormandy hat das Werk unserer Recherche nach mindestens drei Mal eingespielt. Zwei Mal bei CBS (1949 und 1964) und ein letztes Mal für EMI. Verwunderlich ist das Aufnahmedatum der zweiten CBS-Einspielung, denn im selben Jahr realisierte man bei CBS auch Szells Aufnahmeprojekt des Werkes. Dort und beim späteren Rechteinhaber Sony griff man in der Folgezeit stets auf den Beitrag Szells zurück. Diese Wahl könnte vielleicht auch eine gewisse Wertschätzung beinhalten. Nun, der langen Rede kurzer Sinn, wir mussten uns mit Ormandys letzter Einspielung begnügen, da zumindest die 1964er auf CD nur schwer aufzutreiben ist.
Die 1978er präsentiert einen orchestral brillanten 1. Satz mit dem typisch amerikanisch klingendem Holz und einem betont knackigem Blech. Im Gestus gelassen, fast schon ein wenig altersmilde und gesetzt, vor allem aber auch noch immer souverän. Kein vordergründig wirkender musikantischer Schwung ist hier zu vernehmen. Das Orchester spielt es dennoch „mit links“.
Das Scherzo wirkt sehr gut ausgehört und nuanciert. Insgesamt hätte der Vortrag ein wenig scherzhafter ausfallen können. Die swingende Passage des Blech wird zwar brillant geblasen, bleibt aber weniger vorangetrieben, hätte also noch ein Mehr an Pointierung und Drive vertragen. Das Orchester ist nach wie vor bestens in Schuss. Von einem trockenen Vortrag kann keine Rede sein.
Beim Andantino träfe das schon eher zu, da hätte man, auch von den anderen Sätzen her vom Orchester etwas mehr Glanz und Wärme erwartet. Das Flöten-Solo bringt jedoch zumindest die Brillanz zurück ins Spiel.
Beim Marsch nimmt Ormandy zunächst wenig Rücksicht auf die notierten Lautstärke-Relationen, da hört es sich nach pauschalem mf an, ein echtes p überlässt Ormandy den anderen Dirigenten. Das Blech ist jedoch wie gewohnt für jeden Effekt zu haben. Im weiteren Verlauf trumpfen Ormandy und sein Orchester, wie von vielen anderen Einspielungen dieser jahrzehntelangen Zusammenarbeit bekannt, mächtig auf, wenngleich der Marsch ein wenig ernster und weniger ironisch klingt oder gar zur Groteske hin gesteigert wird.
Klanglich wirkt alles sehr gut ausgewogen, transparent und natürlich, wenngleich nicht ganz so voll wie vormals bei den ehemaligen Labels. Dafür aber differenzierter, schlanker und griffiger. Insgesamt viel besser als die ersten Digitalaufnahmen der EMI mit Muti, die sich alsbald anschlossen und insgesamt auch natürlicher anmutend als Sawallischs Einspielung mit demselben Orchester 16 Jahre später (siehe oben).
4-5
Eugen Jochum
London Symphony Orchestra
BBC LIVE
1977, Live
3:44 7:58 3:44 4:24 19:50
Eugen Jochum lässt das LSO im 1. Satz mit ungebremstem Temperament, pointiert und gut akzentuiert spielen. Der Charakter einer leichten, luftigen Spielmusik wird so sehr gut getroffen.
Auch im 2. Satz spielt das LSO in Topp-Form. Die Waage von kraftvoll und wuchtig einerseits und lockerer Leichtigkeit andererseits schlägt hier deutlich in Richtung Kraft aus. Die swingende Jazzeinlage des Blechs wirkt stark symphonisch geprägt, könnte also etwas spritziger kommen. Der Satz bietet aber einen tollen Steigerungsverlauf mit einem fast schon monumentalen Höhepunkt.
Das Andantino ist zwar zügig aber bei Jochum kein Intermezzo, im Charakter weniger leicht und luftig als intensiv und vielleicht etwas zu dicht. Entsprechend tritt das große umspielende, lockere Flöten-Solo auch gegenüber der thematischen Arbeit des Orchesters zurück. Dies könnte aber auch aufnahmetechnisch bedingt sein, denn die Aufnahme wirkt etwas unausgewogen.
Der Marsch erfreut durch plastisches und vibrierend akzentuiertes Musizieren. Wenn es zum Finale geht, zieht Jochum die Intensität immer mehr zum stürmisch gesteigerten Groteskmarsch an. Vom Londoner Publikum enthusiastisch gefeiert.
Gegenüber der neun Jahre zuvor im „Studio“ entstandenen Einspielung Abbados, ebenfalls mit dem LSO, steht die Darstellung Jochums, wenn es um detaillierten Nuancenreichtum geht, zurück, auch in Hinsicht auf lockere Kraftentfaltung oder spontan wirkendes Temperament. Daran hat aber auch die dieses Mal etwas dynamisch einebnend wirkende Live-Aufnahme der BBC ihren Anteil, die auch in Hinsicht „klare Sicht“ nicht mit Wilkinsons Glanztat mithalten kann. Da werden dann aber auch bereits Äpfel mit Birnen verglichen, was bekanntlich nicht viel Sinn ergibt.
Der Klang bietet ansonsten leichtes Rauschen aber für eine Live-Aufnahme des Radios jener Zeit besonders in weniger lauten Passagen eine gute Transparenz und Offenheit. Dynamisch ist der Klang besonders beim ff und bei der Gran Cassa deutlich eingebremst. Die Präsenz ist hingegen ausgezeichnet, fast so hautnah wie bei Kubelik oder Abbado (LSO). Publikumsgeräusche gibt es eigentlich kaum. Eigentlich nicht nennenswert und unerheblich nur in den Satzpausen als Raunen und Räuspern.
4-5
Christoph Eschenbach
NDR Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie-Orchester)
Ondine
2012
3:43 8:00 4:12 4:25 20:20
Etwas temperamentvoller als bei der zuvor gehörten Einspielung mit Colin Davis, aber auch mit mehr großstädtischer Hektik, die sogar während des Verlaufs des 1. Satzes noch ein wenig zunimmt, präsentiert Eschenbach das beginnende Allegro. Die Stimmenverläufe wirken nicht so bewusst und klar wie bei Davis. Die Oboe wie auch die übrigen Holzbläser klingen hervorragend und schön singend.
Im Turandot-Scherzo wird nicht so sehr in langen Bögen gedacht, die Phrasierung wirkt etwas kurzatmig. So wirkt der Gestus jedoch nicht scherzhafter, eher im Gegenteil. Ab Q wirkt die kleine Blechsession besonders klar, etwas jazziger als bei Davis, aber eher fetzig als heißblütig.
Das Andantino wirkt insgesamt verhalten, trifft den gewünschten Charakter aber so sicher gar nicht schlecht. Das Flöten-Solo wird brillant in den Vordergrund gerückt, wirkt durch das reichlich verwendete Staccato aber weniger cantabel als sonst.
Im Marsch wird die Dynamik erfreulich weit gespreizt. Das Spiel des Orchesters ist sehr klangvoll und schmissig. Die Virtuosität bleibt aber wie „auf dem Teppich“.
Ondine legt eine ebenfalls weich gerundete, sehr transparente Aufnahme vor. Die Dynamik ist weiter gespreizt als bei der über 20 Jahre älteren Einspielung von Colin Davis. Da merkt man schon eine gewisse Weiterentwicklung nicht zuletzt durch die erheblich erhöhte Datenrate beim Aufnahmeverfahren und der damit verbundenen besseren Auflösung und der technisch möglichen Erweiterung des Dynamikbereiches. Bei Davis wirkt der Klang jedoch immer noch etwas sinnlicher, bzgl. der Klangfarben „tiefgründiger“ und körperhafter. Die menschliche Expertise auch beim Aufnahmeteam bleibt also nach wie vor, über die Entwicklung der Technik hinweg, unentbehrlich, spielt vielleicht sogar immer noch die „erste Geige“.
4-5
Riccardo Chailly
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
RCO Live
1994, Live
4:03 8:12 4:14 4:35 21:04
Das Amsterdamer Vorzeige-Orchester überzeugt auch im vom Rundfunk übertragenen Konzert, also ohne die Möglichkeit von verbessernden, nachträglichen Schnitten. Typisch ist der volle, sonore und glanzvolle Klang aller Orchestergruppen. Alle Solistenpositionen sind ganz exzellent besetzt und es lohnt daher kaum, eine besonders herauszustellen. Alle Soli kommen auch vorzüglich zur Geltung. Die fantastische Innenbalance des Orchesters ist auch im Rundfunkmitschnitt mühelos herauszuhören. Im 1. Satz gelingt ihm eine leichte, lockere Darbietung mit anspringender, temperamentvoller Musizierlaune, guten Steigerungsverläufen, ohne großstädtische Hektik und ohne preußischen Drill.
Anders im Turandot-Scherzo. Da gelingt zwar ein stimmungsvoller Beginn, der weitere Verlauf bleibt aber insgesamt ruhig, relativ verhalten und gemessen. Besonders hörenswert wird der 2. Satz durch die klangvollen Soli, die vollen, luxuriösen Streicher und das insgesamt feine, lockere und gut durchgezeichnete, nicht allzu schlanke, aber beileibe auch nicht fette, eher dramatisch orientierte als jazzige oder spritzige Spiel. Ein scherzhaftes Mehr wäre durchaus denkbar.
Im Andantino sind die Amsterdamer auf ihrem ureigensten Terrain. Es wirkt durch den blühenden Klang und den gelassenen Gestus idyllisch und wie sonnendurchflutet. Das Flötensolo gelingt herausragend und steht in geglückter Balance zum Orchester.
Auch der 4. Satz ist musikalisch sehr gelungen, besonders durch das brillante Orchester und seine üppigen Klangfarben, denen der „kulinarisch“ interessierte Genuss-Hörer einfach nicht widerstehen kann. Leider fällt in diesem Satz aber auch die dynamisch Bremse des Rundfunkklangs besonders deutlich ins Gewicht. Die musikalische Seite der Darbietung hätte das Festhalten unter Studiobedingungen unbedingt verdient gehabt.
Der Transfer der Konzertaufnahme wirkt sehr leise. Man müsste den Lautstärkeregler also bemühen, um für vergleichbare Verhältnisse zu sorgen. Das Klangbild wirkt dann übersichtlich, aber deutlich weniger präsent als bei den sehr guten Aufnahmen aus jener Zeit. Auch weniger plastisch und körperhaft als z.B. die 1968er Einspielung Abbados, die diesbezüglich den Maßstab setzt. Auch dynamisch wirkt der Mitschnitt eher matt. Man vernimmt gelegentlich Geräusche vom Publikum, die aber nicht stören sollten. Dass das Werk höchst wahrscheinlich am Anfang des Konzertes stand, merkt man vor allem dem viel zu verhaltenen Applaus des Amsterdamer Publikums an. Es war noch nicht so recht „aufgetaut“.
4-5
Werner Andreas Albert
Queensland Symphony Orchestra, Brisbane
CPO
1991
3:56 7:46 3:58 4:39 20:19
Diese Produktion entstand innerhalb einer Einspielung des gesamten Orchesterwerks von Paul Hindmith mit Werner Andreas Albert. Sie präsentiert ein sehr beachtliches, niveauvolles Spiel des australischen Orchesters. Es wirkt durchaus dynamisch und differenziert. Klanglichen Luxus darf man aber nicht erwarten und vor allem auch die Soli erreichen nicht die eloquente Brillanz der besten. So wirkt die Oboe z.B. ziemlich „heiser“. Sie würde besonders gut zum Hahnenschrei in Saint-Saens „Danse macabre“ passen.
Im 2. Satz gelingen die Höhepunkte nicht ganz ansatzlos, auch der flinke Scherzo-Charakter wirkt gegenüber dem zuvor gehörten bei Abbado ein wenig abgemildert. Da fehlt es auch am vorantreibenden Temperament. Gerade im direkten Vergleich. Auch die lässige Virtuosität des der besten erreicht das Orchester nicht. Auch der Höhepunkt zwischen 4 T. vor Y und Z hätte besser herausgearbeitet werden können. Das ist aber Jammern auf einem bereits ziemlich hohen Niveau.
Das Andantino wirkt gelungen. Das Espressivo der 1. Geigen 4 T. vor B wirkt auch in Anbetracht des vorgeschriebenen p ein wenig dünn.
Im Marsch kann das Orchester durchaus brillieren. Sein Musizieren wirkt plastisch ausmodelliert, aber nicht ganz so nuanciert (vor allem im Dynamischen), ausdrucksvoll und mitreißend. Mit Abbado (x2) als direkt vorangegangene Versionen hatte Albert auch ein für ihn denkbar schweres Los gezogen, die anderen Einspielungen relativieren diesen Eindruck jedoch alsbald.
Auch die Klangtechnik muss sich nicht verstecken. Sie lässt das Orchester gut gestaffelt, durchaus auch in die Tiefe des Raumes, dynamisch und präsent hören. Holz und Blech kommen sehr gut zur Geltung. Auch die Gran Cassa wird sehr gut klanglich eingefangen. Die Streicher können sich mit dem (sicher zu Teilen auch klangtechnisch bedingten) Schmelz der Spitzenorchester nicht messen. Die Dynamik und die Klangfarblichkeit erfreuen aber mehr als in der neueren Produktion des noch am nächsten benachbarten Orchesters aus Neuseeland.
4
Gaetano Delogu
Tschechische Philharmonie Prag
Supraphon
1976
3:52 7:43 3:53 4:21 19:49
In dieser tschechischen Einspielung überzeugt die musikalische Seite erheblich mehr als die technische.
Sie wird im ersten Satz mit anspringendem Musiziergestus eröffnet. Dem Orchester fehlt es jedoch ein wenig am klanglichen Feinschliff. Besonders die Oboe klingt ziemlich fest im Klang und sie vermag die Musik kaum frei fließen zu lassen, als ob ihr Spieler einen allzu starken Widerstand zu überwinden hätte.
Auch der 2. Satz erfreut mit einer aufgeweckten, gut ausgehörten Darstellung. Besonders das Blech swingt, wie man es im sozialistischen Teil Europas nicht für möglich gehalten hätte (handelte es sich beim Jazz doch um verwerfliches Kulturgut des verfeindeten Westens). Die Philharmoniker und ihr italienischer Dirigent sehen das jedoch anders. Die Höhepunkte kommen lebendig, klingen aber wegen der Beteiligung des dynamisch agierenden Blechs über Gebühr blechern, aber nur aus klangtechnischen Gründen.
Im Andantino stört nun auch der scharfe, harte Klang der Violinen sehr.
Im Marsch schlägt die Stunde der „Paradegruppe“ des Orchesters, des Blechs. Es gefällt mit seinem, biegsamen, flexiblen, kräftig und bisweilen auch deftig-zupackenden Spiel weitaus am besten. Die Oboe gackert wie bei „Peter und der Wolf“ und die Paukenstimme läuft wenig nuanciert wie unter dem Radar. Dem Blech gebührt so besonders Lob, es wird seltsamer Weise auch von der Schärfe der Aufnahme weitgehend nicht betroffen. Es überstrahlt sie einfach.
Wie bereits mehr als nur angedeutet wird der musikalische Wert von der technischen Seite in Mitleidenschaft gezogen. Die Violinen, die anscheinend mit am schwierigsten aufzunehmende Instrumentengruppe, klingen besonders scharf und dünn, etwas gepresst und sie können nie richtig ausschwingen und wirken besonders trocken. Dabei stehen sie immer im Fokus und hätten entsprechend größere Beachtung verdient gehabt. Ingesamt ist das Klangbild aber noch übersichtlich und recht transparent. Es verfügt über wenig Raumklang und auch wenig Tiefenstaffelung.
4
Karl Anton Rickenbacher
Bamberger Symphoniker
Virgin
1989
3:45 7:50 4:06 4:47 20:28
Karl Anton Rickenbacher präsentiert einen Hindemith der Mitte. Im 1. Satz zügig, kräftig, klanglich etwas stämmig und weniger drastisch. Im Turandot-Scherzo verweigerte die CD leider den Dienst, aber immerhin ging es danach wieder ungehindert weiter.
Im Andantino kann das Orchester dann mit seinen Qualitäten im cantablen Bereich wuchern. Die Holzbläsersoli überzeugen vollauf, dem Orchester als Ganzes fehlt ein wenig, zumindest nach dieser Einspielung zu urteilen, die Strahlkraft der besten.
Im Marsch fällt der etwas betuliche Gestus besonders auf, ein Gestus, der im weiteren Verlauf auch kaum geschärft wird. Auch im Finale lässt man es sowohl an orchestraler Wucht als auch an der erwartbaren Zuspitzung fehlen.
Der Klang ist im Tutti weniger transparent und weniger räumlich oder luftig. Er wirkt jedoch ansonsten weich, sonor und wartet mit kräftigen Klangfarben auf.
4
Sascha Götzel
Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra
Onyx
2009
4:22 7:57 4:25 4:44 21:28
Das Spiel des türkischen Orchesters im 1. Satz wirkt rhythmisch stark akzentuiert, aber auch etwas plump. Der Vortrag wirkt wenig elegant und virtuos, auch etwas unfrei. Nichts desto trotz wirkungsvoll und das leicht Groteske oder Seltsame, das diesem Satz auch innewohnt, herausstellend.
Dem Turandot-Scherzo wird bei Götzel von einer latenten Unruhe durchzogen und wirkt ein wenig unausgewogen. Die Crescendi starten jeweils von einer schon etwas zu lauten Basis aus. Der Jazz des Blechs ab Q ist ordentlich laut geraten, hat aber weniger Feingefühl. Hier fällt auch mehr als im 1. Satz auf, dass es dem Orchester im direkten Vergleich ein wenig an klanglicher Rundung und Finesse fehlt.
Im Andantino überzeugt zu Beginn ein samtweich geblasenes Klarinettensolo aber trotz des langsamen Tempos will sich die rechte Stimmung nicht einstellen, es wirkt auch hier seltsam unruhig, Auch könnte das Zusammenspiel etwas nahtloser sein. Das große Flöten-Solo wirkt durch die unruhige Atemführung ein wenig flackrig. Sie hat auch schwer um ihre wichtige, zwar nur umspielende, aber für das gesamte so entscheidende Rolle zu kämpfen, denn sie wurde allzu weit hinten im Raum platziert. So wirkt der Satz auch weniger leicht, als bei den meisten Vergleichsaufnahmen.
Beim Marsch fällt nun das etwas aufdringliche, hart klingende Blech mehr ins Gewicht. Das Tempo wirkt ziemlich bedächtig, das Spiel lässt so aber eine hohe Transparenz beim reichhaltigen Instrumentarium zu. Die Rührtrommel ist jederzeit sehr präsent, die Gran Cassa jedoch, wie zu Furtwänglers Zeiten unhörbar. Ein schwerer Fauxpas für eine Aufnahme dieses Jahrgangs.
Ansonsten ist der angebotene Klang jedoch gar nicht schlecht, zwar etwas schärfer als von einer so neuen Aufnahme gewohnt aber durchaus offen und recht transparent. Er lässt das Orchester etwas bullig erscheinen. Vor allem in ruhigen Passagen wirkt es sehr gut gestaffelt und zeigt sich mit bestechender Ortbarkeit. Im Lauten wächst die Tendenz zum aufdringlichen Lärmen. Der Gesamtklang wirkt groß und ausladend, aber etwas hart.
4
Franz-Paul Decker
New Zealand Symphony Orchestra, Wellington
Naxos
1994
4:13 8:05 3:37 4:18 20:13
Das reduzierte Tempo im 1. Satz wirkt ein wenig vorsichtig und kaum draufgängerisch wie bei Abbado oder Bernstein. Irritierend klingen die wie in Watte gepackten Hörner. Ansonsten klingt es in diesem Satz durchaus respektabel und engagiert.
Im Scherzo erreichen die Mitwirkenden nicht die zunächst exotisch-geheimnisvolle, farbige Atmosphäre wie dies in der zuvor gehörten Einspielung von Colin Davis gelang. Langsam, brav, ohne besondere Delikatesse und wenig kontrastreich werden nur wenige Funken aus der Musik geschlagen. Die jazzige Passage des Blechs wirkt sogar regelrecht wie verschlafen: Sorry, this is not a lullaby. Auch der finale Höhepunkt bei Y bleibt domestiziert. Der ganze Satz macht so einen allzu sanftmütigen, wenig brillanten oder scherzohaften Eindruck.
Auch im Andantino bleibt das solide Orchester den Klangzauber des SO des BR unter Colin Davis schuldig. Das schön geblasene Flötensolo dominiert mit den umspielenden Figurationen die zweite Hälfte des Satzes etwas über Gebühr.
Der Marsch allerdings ist deutlich zügiger als bei Davis, vom Gestus her auch etwas angetriebener, wirkt aber auch ein wenig flüchtig. Bisweilen prescht die Pauke vor und lässt ihre Schläge wie Gewehrsalven herausplatzen, was nicht unbedingt so im Notenbild erkennbar wäre und uns auch bei keiner anderen Vergleichsaufnahme so begegnet. Immerhin besser als die Pauke im Nirwana verschwinden zu lassen.
Dies ist also insgesamt eine Einspielung, die dem Stück immer noch ganz gut gerecht wird, im Vergleich aber doch im Mittelmaß stecken bleibt.
Insgesamt wirkt der Klang der Einspielung recht transparent, könnte aber deutlicher gestaffelt sein, insbesondere bekommt das Orchester nur wenig räumliche Tiefe. Sie klingt insgesamt matter als es das Aufnahmedatum vermuten ließe. Noch eine 4. Mit einer gewissen Tendenz zur 3-4.
17.1.2022