Gioacchino Rossini 

Ouvertüre zu „Semiramide“

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Werkhintergrund:

 

Die Oper Semiramide wurde 1823 im Teatro „La Fenice“ in Venedig uraufgeführt. Sie war damit die letzte für ein italienisches Opernhaus komponierte Oper Rossinis und dauerte je nach Aufführungssituation üppige 4 bis 41/2 Stunden. Es geht darin um die sagenumwobene Assyrerkönigin, die ihren Gatten tötet und später von ihrem eigenen Sohn erschlagen wird.

Rossini hatte für ihre Komposition die für ihn als üppig empfundene Zeit von 40 Tagen zur Verfügung. Nach nur 33 Tagen war er aber bereits fertig. Das erklärt unter anderem, dass er als Ouvertüre keine bereits bei einer anderen Oper verwertete wieder verwenden musste. Er hat sie sogar – im Vergleich mit seinen anderen Ouvertüren - üppig dimensioniert und mit am stärksten ausgearbeitet.

Die Ouvertüre könnte auch – trotz des typischen Opera-seria-Sujets mit Mord und Totschlag - genauso gut vor einer Buffa stehen. Für Rossini steht der Unhaltungswert seiner Kunst an erster Stelle, weshalb er auch hier nicht an klangvoller Orchestrierung, mitreißenden Themen und Raffinement spart.

 

Nach dem Spannung erzeugenden leisen Paukenwirbel setzt sogleich eines der typischen Crescendi im lebhaften Allegro ein. Ein mitreißender Duktus erzeugt hier sofort Theateratmosphäre pur. Danach dürfte jedes zur Aufführungszeit noch übliche Gespräch im Auditorium verstummt sein und die Aufmerksamkeit ganz dem piano zu intonierenden lyrischen Hornquartett gelten.

Viele Dirigenten lassen die Hörner hier schon im gesunden sichereren mf oder gar f spielen. Ein piano erreicht Marriner, auch Karajan, Paita, Solti, Pappano und  Abbado (2x) bemühen sich hörbar um ein p. Bei Celibidache ist das Hornquartett nicht nur zu laut, sondern auch raumfüllend, als ob es von der Technik nach vorne gezogen und so aufgebläht wurde. Dieses lyrische Thema erklingt auch später in der Oper noch einmal, wenn die Höflinge ihrer Königin Treue schwören. Partiturtreue sollte hier – wie natürlich auch an allen anderen Stellen - oberstes Gebot sein. Als Zeitmass ist hier Andantino vorgeschrieben (kleines Andante, im Tempo eher etwas schneller). Die Bandbreite der Interpretation ist hier jedoch wie bei der Lautstärke ziemlich groß. Es kann passieren, dass sich manche Vergleichsaufnahmen an dieser Stelle mehr nach einem Choral (besonders bei Celibidache, aber auch bei Pappano und Giulini) anhört. Ein beschwingter, tänzerischer Charakter (der 6/8 Takt ergäbe dann ein Siciliano-Tänzchen) erhält es, wenn das Tempo schneller gewählt wird bei Thomas Fey.

 

Die Hornmelodie wird im Folgenden, nachdem sich immer wieder ein temperamentvolles Crescendo dazwischen einreiht, von verschiedenen Holzbläsern wiederholt, die von Rossini  überhaupt reich mit einfallsreichen, farbigen Soli bedacht werden. Hier können die Bläsersolisten immer wieder ihr Können virtuos unter Beweis stellen. Besonders gelungen bei Marriner, Abbado (COE) und Karajan aber auch bei Fey, Fischer und Goodman.

Danach schließt sich im Allegro-Teil ein von den Geigen sotto voce intoniertes 1. Hauptthema an, das in der Oper das Finale des 2. Aktes eröffnet. Hier wie auch im weiteren, turbulenten Verlauf der Ouvertüre (es gibt auch noch ein von Triolen geprägtes 2. Hauptthema) kann sich das Team aus Dirigent und Orchester als Anwalt der Musik unter Beweis stellen wenn Witz, ein hohes Maß an Tempo aber auch Subtilität geboten werden. Gefordert werden auch kontrastreiche urplötzlich ansetztende Dynamikgegensätze, aus dem piano und nicht bereits vom mf heraus startende Crescendi genauso wie die Beachtung fein differenzierender Artikulation.

 

Grosse Unterschiede bei den Vergleichaufnahmen zeigen sich auch bei der „Inszenierung“ der Trommel. Bei vielen geht sie im Gesamtklang fast unter, bei einigen wenigen spielt sie gar die Rolle eines Solisten, wenn wie in der Goodman-Aufnahme (auch bei Fey und Norrington) eine „Gran Cassa“ Verwendung findet. In der mir vorliegenden Partitur (Eulenburg) wird lediglich eine „Cassa“ verlangt, aber es gibt auch noch eine aktuellere von Ricordi, bei der das anders sein mag. Die große Trommel gibt den jeweiligen Aufnahmen auch ein solideres Fundament und erhöht die Wucht des ff erheblich. Gut zu vernehmen aber noch in den Gesamtklang integriert ist die Trommel auch in einigen wenigen nicht historisch informierten Aufnahmen (Solti, Karajan, Paita, Dutoit und Fischer). Ein besonderes Lob in diesem Zusammenhang verdient sich das Team der Karajan-Aufnahme: Hier hört man auch einmal die Kontrabassstimme deutlich, sodass der Aufnahme ein solides Fundament gegeben wird.

 

Eine Anmerkung noch zu den Hörnern in den Aufnahmen, die sich der historisch informierten Aufführungspraxis verpflichtet fühlen. Die verwendeten Naturhörner (bei Goodman und Norrington) können die eine oder andere Note (Chromatik) nur mithilfe der Stopftechnik hervorbringen, womit eine plötzliche Änderung der Klangfarbe einhergeht. Man kann darin einen „wunderbaren Vorteil“ sehen, wie Philip Gossett im Beiheft der Norrington-Aufnahme. Wenn man sich diese Stellen jedoch gesungen vorstellt, erscheint diese Spielweise als Verfremdung. Das klingt zwar witzig, erscheint im Umfeld jedoch wie ein Fremdkörper. Ein guter Kompromiss ist die Aufnahme von Fey (übrigens die einzige Live-Aufnahme im Vergleichsfeld): Hier werden trotz HiP Ventilhörner verwendet und das Hornquartett kann homogen erklingen.

 

 

 

Meinungen:

 

Heinrich Heine schätzte den italienischen Komponisten: „Rossini, divino Maestro, Helios von Italien, der Du Deine klingenden Strahlen über die Welt verbreitest! Verzeih meinen armen Landsleuten…die Deine Tiefe nicht sehen, weil Du sie mit Rosen bedeckst, und denen Du nicht gedankenschwer und gründlich genug bist, weil Du so leicht flatterst, so gottbeflügelt!“

 

Dagegen Hector Berlioz, einer der schärfsten Kritiker Rossinis:

„Ich habe mich oft gefragt, wie ich es anstellen müsste, um das Théâtre italien zu unterminieren und es mit seiner gesamten Rossinianer-Bevölkerung in die Luft zu sprengen!“

 

Nochmals Hector Berlioz:

„Sein melodischer Zynismus, seine Verachtung des dramatischen Ausdrucks, sein ewiges kindisches Crescendo und seine brutale große Trommel – das ist die Musik eines unredlichen Menschen.“

 

Ulrike Timm in „50 Klassiker“:

Rossinis Ouvertüren leben von ihrer Melodienseligkeit, ihrer rhythmischen Vitalität und ihrem manchmal clownesken Esprit. An ihrem Zauber gibt es wenig zu verstehen, man muss ihn erleben. Gut dargeboten sind Rossini-Ouvertüren das zuverlässigste Antidepressivum, das die Musik zu bieten hat.

 

 

 

Noch eine andere Geschichte:

Rossini wies einmal einen Nudelhändler darauf hin, dass die Makkoroni, die er ihm verkaufen wollte, aus Genua stammten; er wollte aber welche aus Neapel haben. Es gab Streit, Rossini zog ohne Nudeln ab. Man erklärte dem Händler, wer der anspruchsvolle Kunde sei, dem man partout nicht irgendwelche Pasta andrehen konnte. Darauf der Händler: „Wenn er so viel von Musik versteht wie von Makkaroni, dann muss er ein großer Komponist sein.“

 

 

Hintergrund:

Eine Loge im Teatro La Fenice in Venedig war weit mehr als ein Theaterplatz, sie war eine Art Salon, wo man „Eis und kühlen Sorbet schlürft, Süßes knabbert – nur Leute der Mittelklasse verzehren dort etwa Mahlzeiten…Musik und die Entzückungen der Szene sind nur Zutaten. Das Hauptinteresse liegt in den hier geführten Gesprächen, in den großen und kleinen Herzensaffären, in den Stelldicheins, die man sich gibt…und wenn das Gespräch nicht mehr interessiert, lauscht man der Musik.“ So beschrieb es der Schriftsteller Honoré de Balzac.

 

Eines der vielen überlieferten Rezepte des Gourmets Rossini lautet:

Nehmen Sie eine Schüssel, tun Sie Provence-Öl, englischen Salat, französischen Essig, etwas Zitronensaft, Pfeffer und Salz hinein, reiben Sie dies alles bis zur vollkommenen Mischung durcheinander und würzen Sie durch kleingeschnittene Trüffel.

 

 

zusammengestellt bis 19.8.2019

 

 

 

 

Signore Rossini

 

 

Die vergleichenden Rezensionen im Detail

 

5

Neville Marriner

Academy of Saint-Martin-in-the-Fields

Philips

1976

11:49

 

Sehr differenzierte Dynamik, schwungvolle Crescendi, vorbildliches piano, trockenes ff, sehr gute Cassa, klare Pizzicati, vitale, lockere, höchst virtuose Spielweise, Reserve für temperamentvolle Stretta bereitgehalten und aktiviert, beste Partiturtreue, farbige, körperhafte und dynamische Aufnahme von fast schwereloser Anmut. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Marriner auf eine Gran Cassa verzichtet und ein kleineres Modell bevorzugt. Herz, was willst du mehr? Der Klassiker!

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5

Ferenc Fricsay

RIAS Sinfonieorchester Berlin

DG

1952

11:19

 

Mono  Zeitgemäß geringe Differenzierung im unteren Lautstärkebereich, auch pp und p wird mf, dennoch knackiges ff und atemberaubende, feurige Steigerungen und drastische Kontraste, eloquente Soli. Die temperamentvollste aller Darbietungen. Ein elektrisierender Rossini, wie unter Starkstrom gesetzt.

 

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5

Claudio Abbado

Chamber Orchestra of Europe

DG

1989

11:53

 

Dringlicher Einstieg, gesangliches Hornquartett, gefühlvolle Soli mit Akkuratesse, tolle Crescendi, präzise sitzende ff, duftige Pizzicati, sehr gute dynamische Differenzierung, hohe Partiturtreue. Lebendige Interpretation mit viel Bravour an allen Pulten.

 

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5

Sir Malcolm Sargent

Wiener Philharmoniker

EMI

1960

12:51

 

Sehr gemütlich startende Eröffnungsrakete, dann aber hören wir ein Hornquartett der Extraklasse, zwar sehr langsam und getragen, aber mit durchschimmernder Ironie. Sehr, sehr traurig, aber wir wissen es schon, denn es schwingt bereits im Hörnerklang mit: Alles wird am Ende wieder gut, irgendwie. Das Oboensolo (T. 20) mit demselben Hörner-Thema setzt noch eins drauf, spielt mit ihrem alten Wiener Ton sehr, sehr larmoyant, so larmoyant, dass man bereits zu grinsen beginnt. Welche Oboe könnte larmoyanter spielen als die Wiener? Beim Hauptsatz wird es dann vollends klar, dass Sargent nicht nur ein Spezialist für die Britische Musik ist, sondern auch der leichten Muse ein besonders charaktervolles Gesicht verleihen kann. Die Violinen spielen ihr Thema mit einem feinen, geschmackvollen Glissando. Das wirkt köstlich, neckisch und schelmisch zugleich. Niemand hat sich das getraut, zumindest nicht in unserem Vergleich. Das wieselflinke Holz umspielt. Der weitere Verlauf wird beileibe nicht schnell gespielt, trotzdem sprühen die Funken. Es ist schön, dass die Ouvertüre hier länger dauert als üblich. So kann man auch länger genießen, sich das Herz wärmen lassen. Große dramatisch-tragische Oper trifft Komödie, oder vielmehr Seria trifft Buffa und schon in der Ouvertüre beginnt ein köstliches Amusement für die Hörer.

Der Klang ist sehr weiträumig, sehr dynamisch und frisch wie Quellwasser. Die Transparenz hervorragend, der Gesamtklang brillant und strahlend, übertrifft den der Zeitgenossen beim gleichen Label Karajan (PO), Giulini und Beecham.

 

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4-5

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DG

1971

12:04

 

Besonders im p-Bereich feinst ausdifferenzierte Dynamik, die bei Bedarf auch im starken Kontrast sehr weit ausladend, gar fulminant wirken darf. Ausgezeichnet intoniertes Hornquartett, leuchtende Holzbläserfarben, seidige Violinen, sattes Blech, Gran Cassa und Kontrabässe kommen sehr gut heraus, Orchesterklang teils opulent, Orchesterspiel ganz besonders geschmeidig. Insgesamt virtuose, teils mitreißende Darstellung mit ansatzlosem ff. Leicht hallig, dadurch und durch die große Besetzung bekommt die Unternehmung etwas Monumentales und die rechte Grandezza für eine große italienische Oper voller Glanz und Gloria. Klanglich ist die Aufnahme ein echtes Schmuckstück, einer schönen Königin würdig.

 

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4-5

Pierino Gamba

London Symphony Orchestra

Decca

1960

11:14

 

Kantables, aber zu lautes Hornquartett, ansatzlose, quirlige Dynamik mit lebendigem Duktus. Gute Gran Cassa. Insgesamt sehr temperamentvoll, gute, körperhafte Aufnahmequalität, besonders in der XRCD-Version. Rossini auf den Punkt gebracht.

 

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4-5

Georg Solti

Orchestra oft he Royal Opera House, Covent Garden

RCA

1959

11:22

 

Viel besserer Klang als bei Fricsay, sehr gut durchhörbar, Hornquartett leise, wie in der Partitur gefordert und bewegt. Orchester nicht ganz so perfekt wie das LSO oder das CSO, mit denen Solti auch arbeitete, aber sehr engagiert. Flotte Tempi, aber nicht ganz das Feuer des Landsmannes Fricsay (aber fast). Aufnahme von Umgebungsgeräuschen gestört (U-Bahn?). Typischer früher Solti mit viel Biss und Temperament. Klanglich sehr lebendige und dynamische, sehr präsente „Living Stereo“, von Decca aufgenommen.

 

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4-5

Sir Thomas Beecham

Royal Philharmonic Orchestra London

EMI

1958

12:02

 

Enorm ausdrucksvolles Hornquartett. Orchester nicht ganz so geschliffen und präzise wie die Academy, das COE oder die Berliner aber mit sehr großem dynamischem Ambitus. Auch die Intonation ist noch nicht so traumhaft sicher. Tolle Crescendi, besonders deutliches und kontrastreiches Musizieren. Tempo nicht so brisant wie bei Fricsay oder Abbado. Jedoch besonders ausgewogen und stimmig.

Der Klang ist erheblich weiträumiger und dynamischer als in der Marriner-Einspielung fast 30 Jahre später beim gleichen Label. Ein weiteres Zeichen, wie sehr und wie lange EMI mit der Digitaltechnik gefremdelt hat. Bei leichtem Rauschen wirkt der Klang auch lebendiger, farbiger und offener. Unsere CD war sogar noch in den späten Achtzigern als Werbegeschenk für das Pharmaunternehmen der Familie gut, das schon in den Gründungsjahren des Orchesters als Geldquelle diente. Damals hieß es noch SmithKline Beecham, heute GlaxoSmithKline.

 

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4-5

Carlos Paita

Royal Philharmonic Orchestra London

Lodia, ehemals Decca

1976

11:38

 

Angenehm zurückhaltendes Hornquartett, Cassa gut hörbar. Temperamentvolle und zügige Darstellung. Bässe gut zu hören, gute Crescendi. Orchester nicht ganz von der Qualität der Besten. Insgesamt eine Rossinigerechte Interpretation der es an nichts mangelt, außer an einer gewissen Individualität. War zu LP-Zeiten einmal eine Decca-Phase-4 Aufnahme.

 

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4-5

Herbert von Karajan

Philharmonia Orchestra London

EMI

1960

12:05

 

Mit dem gleichen Brio wie rund zehn Jahre später in Berlin. Orchesterspiel nun etwas schlanker und nüchterner, mit erheblich weniger Klangfarbenzauber. Gutes Hornquartett (wie fast immer lauter als von Rossini gewünscht). Knackige Dynamik. Holzbläser viel weiter zurückgesetzt als bei den Klemperer-Aufnahmen jener Zeit. Sie sollten den vollen Streichersound offensichtlich nicht so sehr tangieren. Stattdessen gibt es bereits das für Karajan so typische schier endlose Streicher-Legato, nur noch nicht so perfektioniert wie in den späteren Jahren.  Gestus jedoch mehr geprägt durch das recht angetriebene Tempo, das allerdings weniger quirlig und weniger pointiert ausgestaltet wird wie z.B. bei Marriners Academy (nur bei Philips, 1976). PO klingt auch schwerer als COE bei Abbado.

Sehr schöne, räumliche und transparente Aufnahme (neues Remaster innerhalb der großen Karajan-Edition). Klingt lange nicht mit den üppigen Farben der Berliner Einspielung, eher noch ein wenig schwarz/weiß.

 

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4-5

Riccardo Chailly

Orchester der Mailänder Scala

Decca

1995

11:20

 

Hornquartett erreicht fast ein p, generell könnte die Lautstärkedifferenzierung im unteren Bereich noch besser sein, schlankes Spiel, irritierend ist die kaum hörbare Cassa, transparenter Klang. Insgesamt gelungen und genauer als die frühere Einspielung bei Decca.

 

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4-5

Claudio Abbado

London Symphony Orchestra

RCA

1978

11:37

 

Viel Hall verunklart die Struktur ein wenig mehr als nötig, soll wahrscheinlich große Oper suggerieren. Holz nicht mit derselben Akkuratesse des COE, Triolen des zweiten Themas nicht ganz so charmant, trotzdem wird eine sprechende, pointierte Artikulation erreicht. Ff nicht ganz ansatzlos. Crescendi noch rasanter und durch die größere Besetzung noch klangmächtiger als beim COE. Diese Aufnahme ähnelt, wie auch die folgende mit Ozawa der Berliner Karajan-Einspielung ohne sie jedoch zu erreichen,

 

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4-5

Seiji Ozawa

Boston Symphony Orchestra

DG

AD unbekannt

11:33

 

Startverhalten der Mannheimer Rakete zu Beginn ein wenig verhalten und breit. Aber dekorativ und klangprächtig. Hervorragend brillantes, energisches Orchesterspiel mit tadellosen Holzbläsern, pulsierend und durchaus auch pointiert, aber nicht überraschend. Es bleibt ein Rest von bemühtem Ernst. Es fehlt ein wenig der leicht moussierende Charme der Buffa. Etwas einseitig auf große Oper getrimmt, was „Semiramide“ ja auch sein soll. Die Crescendi gelingen sehr gut, durch die exponierte Gran Cassa auch wuchtig. Tolle Schlusssteigerung. Orchester bietet nicht das Klangfarbenfest der Berliner, die fraglos vorhandene Brillanz bleibt gleichsam bodenständiger.

Der Klang ist weiträumig aber nicht hallig, wie so oft aus Boston. Er ist angemessen transparent, keine Stimme geht verloren, sehr dynamisch, brillant und wuchtig.

 

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4-5

Arturo Toscanini

NBC Symphony Orchestra

RCA

1951

11:44

 

MONO  Vivace mit dem vollen Brio des Temperamentsmusikers. Hornquartett nicht ansatzweise im p, sondern mit fast schmetternden f. Virtuoses Orchester, immer mit einem gewissen Drill in der Diktion, kaum mit der Lockerheit der Academy (1976) oder des COE. Die Steigerungen klingen fulminant und mit Präzision und einem gewissen Schneid durchgezogen. Das wirkt ein wenig militärisch, nicht bar aller Pointen, aber wenig charmant. Ausgelassene, atemberaubende Schlussstretta mit der ganzen Kraft des voll ausgereizten Orchesters.

Der Klang ist bereits recht transparent, brillant und dynamisch. Von einer Staffelung, wie sie manch eine späte Mono in die Tiefe hinein hinbekommt, gibt es hier keine Spur.

 

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4-5

Riccardo Muti

Philharmonia Orchestra London

EMI

1979

11:40

 

Das Hornquartett klingt auch bei Muti zu laut, im Gegensatz zum PO bei Giulini klingen die Oboen nun sehr schön. Der Gestus ist präzise und flott, mit vitalen, quirligen Crescendi. Ein, ähnlich Toscanini, geradliniger, klarer, recht zugespitzter Rossini mit einem guten Klang aber ohne besondere Finessen.

 

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4-5

Christian Benda

Prag Sinfonia Orchestra

Naxos

2011

12:27

 

Auch bei Benda hören wir ein zu laut und zudem ohne dynamische Abstufungen geblasenes Hornquartett im Verlauf jedoch sehr prägnante ff und eine mit harten Schlägeln geschlagene Pauke. Die recht kleine Streicherbesetzung ermöglicht ein recht präzises Musizieren, wenngleich ASMF (1976) und COE nicht erreicht werden. Die Temponahme im Hauptsatz erscheint eher gelassen als temperamentvoll. Trotzdem wird eine frische, leichte, heitere und fröhliche Gesamtwirkung erreicht. Eine sympathische, Grenzwerte meidende Rossini-Einspielung der Mitte.

 

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4-5

Riccardo Chailly

National Philharmonic Orchestra

Decca

1984

12:09

 

Langsam und traurig angestimmtes aber auch hier – im Gegensatz zur Mailänder Produktion – wieder einmal zu laut angestimmtes Hornquartett, gute Pizzicati. Insgesamt eine sehr gute Aufnahme, die nicht viel falsch macht, der es aber etwas an Temperament, Raffinement und dem letzten Glanz mangelt.

 

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4

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1968

11:37

 

Auch bei Bernstein klingt das Hörnerquartett etwas zu laut, aber es bleibt sehr gut an seinem ihm zugewiesenen Platz im hinteren Bereich des Klangraumes ortbar. Die Pizzicati wirken schön drängend aber das Potential bei den Crescendi wird nicht voll ausgereizt, da sie schon zu laut angesetzt werden. Überhaupt dringt diese Einspielung nur wenig in die unteren Lautstärkeregionen vor. Summa summarum ist dies eine temperamentvolle Darbietung, die aber etwas zu pauschal über die Eigenheiten der Komposition hinweggeht. Wenn es eine von Rossinis Saucen wäre, so würde hier wohl etwas Salz und etwas Pfeffer fehlen.

 

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4

Antonio Pappano

Academia di Santa Cecilia Rom

EMI

2013

12:08

 

Pappano lässt das Hornquartett salbungsvoll erklingen, aber mit einem echten pp, was in diesem Vergleich schon eine echte Seltenheit darstellt. Wir hören hier einen Dirigenten, der genauer hinschaut mit einem Orchester, das über gute Holzbläser verfügt. Die Steigerungen kommen nur solide aber nicht besonders spritzig oder gar furios. Da hätten wir aus dem Land des Komponisten ein wenig mehr Esprit erwartet. Ein fein ausgewogener Rossini der Mitte nicht unentschieden wirkend, sondern genau so wie er beabsichtigt ist, also erstaunlich seriös und ohne besonderen Pepp.

 

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4

Neville Marriner

Academy of Saint-Martin-in-the-Fields

EMI

1987

12:00

 

Gegenüber der ersten Einspielung Marriners, die in jeder Hinsicht ein echter Volltreffer ist, fällt die zweite rund zehn Jahre später merklich ab. Sogleich zu Beginn fällt bereits die teigig-träge Dynamik auf. Die Artikulation gelingt nicht mehr so haarfein, das Zusammenspiel nicht mehr ganz so „ultrapräzise“. Die Tempi sind nun nicht mehr so quirlig und überschäumend turbulent, die ff nicht mehr so deutlich von den pp abgesetzt. Die Holzbläser-Soli sind jedoch immer noch vom feinsten. Der elegant-jugendfrische Esprit der feschen Semiramide von 1976 wirkt nun etwas großtantenhaft-gezähmt und ein wenig müde geworden. Daran ist wohlgemerkt der direkte Vergleich mit dem 76er Jahrgang schuld. In der Gesamtheit der Einspielungen, im sogenannten „Klassenspiegel“ betrachtet, gibt es immer noch ein glattes „Gut“.

Klanglich hat die EMI gegenüber der Philips mehr Raumklang zu bieten, sie klingt aber weniger prall, weniger dynamisch und sogar ein wenig verhangen. Digitaltechnik, EMI und die 80er Jahre, das passt einfach nicht so richtig zusammen.

 

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4

Michael Halasz

Zagreb Festival Orchestra

Naxos

1989

12:49

 

Schon gleich in der Einleitung fällt es auf, da konnten es die Techniker nicht lassen, ein wenig mit ihren Möglichkeiten herumzuspielen. Einzelne ff-Stellen, vornehmlich am Ende einer Steigerungswelle, werden künstlich verhallt, mitunter sehr stark. Und so lässt der solchermaßen manipulierte Gestus keinen beschwingten Esprit aufkommen oder macht ihn wieder zunichte. Das wirkt plump. Erfreulich hingegen das echte p des Hornquartetts. Gespielt wird es allerdings sehr langsam, sehr weihevoll und keineswegs augenzwinkernd wie bei Sargent. Das Orchester spielt sehr klangschön und geschmeidig, andererseits wenig großbogig und ein Schuss jugendlicher Unbekümmertheit hätte dem Spiel auch gut angestanden. Was wirklich stört, sind die verhallten ff-Schläge, die zu einem glücklosen Effekt werden. Das hätten sich die Musiker sicher anders gewünscht. Auch Halasz hat sich für die Gran Cassa entschieden, statt eines kleineren Modells. In der Partitur steht übrigens nur „Cassa“.

Die Aufnahme klingt besser als die Marriners zwei Jahre zuvor. Der Klang wirkt angenehm räumlich, farbig, körperhaft, weich, transparent und dynamisch. Wenn die ärgerliche punktuelle Einhallung nicht wäre, es hätte ein Sonderlob für Naxos gegeben, da man in jener Zeit bei diesem Label sonst nicht gerade spendabel mit dem guten Klang umgegangen ist.

 

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4

Yoel Levi

Atlanta Symphony Orchestra

Telarc

1992

11:38

 

Die Einleitung klingt recht spannungsarm. Es schließt sich ein grundsolider Hauptsatz an, der trotz sauberen Spiels wenig Prickelndes mitbringt. Dem Orchester, mit typisch amerikanisch klingendem Holz, fehlt sozusagen ein gewisses Lächeln in seiner Virtuosität.

Die Aufnahme verfügt über ein farbiges, dynamisches Klangbild mit hinreichender Transparenz und relativ wenig Tiefenstaffelung. Den Violinen fehlt der Glanz der Berliner oder Wiener, des COE oder der ASMF (1976).

 

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4

Carlo Maria Giulini

Philharmonia Orchestra London

EMI

1962

12:52

 

Zurückhaltendes Hornquartett, wenig spritzige Crescendi, allerdings gut realisierte p-Bereiche und ansatzloses ff. Insgesamt eine sehr sorgfältige und auch engagierte Darbietung, der es einfach an Tempo und Brio fehlt.

 

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4

Alberto Zedda

Orchester des Teatro Comunale di Bologna

Hommage

1992

12:22

 

Das Hornquartett erklingt im p und räumlich schön zurückgesetzt. Das Orchester überzeugt mit gefühlvollem, im unteren Dynamikbereich gut abschattiertem Spiel aller Orchestergruppen und einem recht sauberen Zusammenspiel. Die Artikulation könnte etwas präziser sein. Der Gesamtklang ist großräumig, hallig und in den dynamischen Steigerungen zu zahm: Eine Aufnahme, die den Notentext gut wiedergibt, die insgesamt aber zu betulich geraten ist. Aus einer Gesamtaufnahme der Oper.

 

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4

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1992

12:01

 

Etwas laues Intro, Pizzicati kaum hörbar, Piccolo-Flöte zu zurückhaltend, ff verschliffen. Eine Einspielung mit einem guten Gesamtklang, die flott, professionell aber zu routiniert vorüberzieht und die Hörer wohl etwas zu unbeteiligt zurücklassen dürfte.

 

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3-4

Ivan Fischer

Budapest Festival Orchestra

Channel Classics

2007

12:20

 

Das Hornquartett klingt viel zu laut, die Dynamik zu Beginn ist stark eingeebnet, sodass es gar kein ff zu geben scheint. Für so ein noch recht frisches Aufnahmedatum wirkt die Einspielung sogar ein wenig dumpf. Hier hätten wir besser die SACD-Schicht und die Fünfkanalspur wählen sollen. CD-Stereo befriedigt nicht. Das Orchester spielt virtuos und verfügt über sehr gute Solisten. Alles wirkt leicht und locker hingelegt. Die Cassa ist hörbar aber nicht durchdringend. Eine Einspielung, die um Differenzierung bemüht ist, der es aber an Brisanz mangelt, vor allem, weil sie von der Technik benachteiligt wirkt.

 

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3

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

EMI

1983

13:49

 

Schon der Beginn wirkt schwerfällig, das Hornquartett spielt viel zu laut und wird zudem raumfüllend in den Fokus genommen. Pizzicati bedeutsam wie bei Bruckner, Staccati rundlich und weich. Klangvolle aber gedehnt wirkende Darbietung. Cassa fast unhörbar. Celibidache gibt dem Melodrama tragico einen weiteren Raum als üblich. Trotzdem wirkt seine Darstellung fast wie eine Meditationsübung. Ein klangvoll-sonores Orchester in einer Interpretation, der es entschieden an Temperament, Lebendigkeit und an Esprit mangelt.

 

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3

Tullio Serafin

Orchester der Oper Rom

DG

1963

13:06

 

Auch hier schwerfälliger Beginn, in den Crescendi wird das Pulver früh verschossen, wenig dynamischer Kontrast, bei den Geigen wird das p bisweilen gänzlich übergangen, Triolenthema ohne Pfiff. Zusammenspiel nicht immer perfekt. Eine Aufnahme, die für ihr Alter sehr gut klingt, der es aber an Präzision und Spritzigkeit mangelt.

 

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2-3

Gustav Kuhn

Orchestra Filarmonica Marchigiana

Arte Nova

2000

12:48

 

Sehr langsames Hornquartett, sehr stark eingeebnete dynamische Kontraste, ff verpuffen ohne Wirkung, wenig homogenes Orchester mit Schwächen im Zusammenspiel, Soli wenig souverän, erstes Thema mit Legato wo von Partitur staccato gefordert wird. Die Interpretation wirkt wie das Orchesterspiel müde und lasch. Die Aufnahmetechnik macht insgesamt nur einen semiprofessionellen Eindruck.

 

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Aufnahmen, die gänzlich oder in Teilaspekten der historisch informierten Aufführungspraxis folgen:

 

5

Thomas Fey

Heidelberger Sinfoniker

Hänssler

1.1.2005, Live

12:49

 

Nicht nur in Wien werden Sylvesterkonzerte gegeben, in Heidelberg können sie sogar noch aufregender klingen, wie diese Aufnahme beweist. Fey lässt eine wunderbar kantables, zügig bis flottes Hornquartett hören, das nunmehr einem Siciliano-Tänzchen ähnelt, die Ventilhörner spielen sauber, duftige Pizzicati, knackige Pauken, wuchtige Gran Cassa, Holzbläser und Hörner auch im weiteren Verlauf 1A. Auch die Posaunen werden perfekt ins Rampenlicht gesetzt, ihnen kam meist nur ein stiefmütterliches Dasein am Rande des Geschehens zu. Klasse! Durch die wenig zurückhaltenden Gran Cassa voll „durchschlagende“ ff. Fey reizt die agogischen Möglichkeiten voll aus, um sein Publikum zu überraschen. Eine Einspielung, die sowohl die spielerisch grazilen mit Esprit darstellen kann, als auch kraftvoll und gewaltig zulangen kann, wenn es von Rossini so gewünscht wurde. Den überbordenden Überschwang der Einspielung von Roy Goodman erreicht Fey nicht ganz.

 

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5

Roy Goodman

The Hanover Band

RCA

1995

12:04

 

Die Hörner der Hanover Band landen im Andantio nicht immer intonatorische Volltreffer, im weiteren Verlauf klingen sie jedoch sehr sicher, langen voll zu und schmettern, wann immer die Partitur grünes Licht dazu gibt. Auch die Gran Cassa erhält einen prominenten Platz im Klangbild uns weiß temperamentvoll auszufüllen. Das historisierend klingende Holz gefällt durch sein graziles Spiel mit den würzig-üppigen Klangfarben. Die dynamische Differenzierung ist ausgezeichnet, die hervorragenden Crescendi werden durch die Gran Cassa noch zusätzlich pointiert zugespitzt. Die pure Spielfreude triumphiert. Am Ende überrumpelt die beste Schlussstretta aller Vergleichsaufnahmen.

 

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4-5

Michael Hofstetter

Orchestre de Chambre de Genève

Virgin

P 2007

11:30

 

Zu Beginn hören wir eine wirklich seltsam intonierendes, historisierend artikulierendes Hornquartett (moderne Instrumente).  Es folgt eine sehr temperamentgeladene, aufregende Darstellung des Hauptsatzes, mit kurzer (auch schon einmal verkürzter) Artikulation und prickelnden Staccati. Aufgeweckte Holzbläsersoli, vibrierende Steigerungsverläufe und eine sprechendere Artikulation als gewöhnlich runden den positiven Gesamteindruck ab. Der Klang der Aufnahme ist klar, farbig, mit einer guten Tiefenstaffelung und einer sehr guten Dynamik gesegnet.

 

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4-5

Roger Norrington

London Classical Players

EMI

1990

12:24

 

Die Hörner haben ihre liebe Mühe mit der Chromatik im Andantino, das recht flotte Tempo macht jedoch einen schönen Sicilano daraus (ähnlich Fey). Das Holz allerdings kommt an die Eloquenz und Perfektion der Kolleg/innen bei Fey oder Goodman nicht ganz heran. Die Pauken klingen schön hart und knackig, dadurch entsteht auch ein duftiges Tremolo. Das Tempo im Allegro wirkt etwas zurückhaltend. Eine gut akzentuierte Einspielung, der es gegenüber den anderen HiP-Produktionen ein wenig an Brisanz mangelt.

 

 

 

 

19.8.2019, ergänzt am 22.6.2022