Richard Strauss
Burleske d-Moll
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Werkhintergrund:
Wir befinden uns im Thüringischen Meiningen. Hans von Bülow ist Chef des damals berühmtesten deutschen Orchesters, der Meininger Hofkapelle. Er selbst reüssiert als Dirigent und als Pianist, hat auch bereits Tschaikowskys Klavierkonzert aus der Taufe gehoben. Als er erfährt, dass Johannes Brahms sein zweites Klavierkonzert schreibt, stellt er ihm sein renommiertes Orchester zur Verfügung, wann auch immer er den Wusch haben sollte, sein neues Werk einmal zu hören. Daher fand der erste Probelauf des 2. Klavierkonzerts in Meinigen statt und bei der Gelegenheit begann eine lange Zusammenarbeit zwischen Brahms und Bülow. Die Uraufführung fand dann allerdings in Budapest statt, aber noch im selben Monat (November 1881) spielte Brahms sein Konzert erneut mit dem Meininger Orchester unter der Leitung Bülows.
Das sollte nicht unerwähnt bleiben, denn, auch wenn heute das 25000 Einwohner zählende Städtchen nicht mehr unbedingt der Nabel der musikalischen Welt ist, damals war sie zumindest nahe dran. Ein Jahr später lernte Bülow in Berlin einen jungen Komponisten namens Richard Strauss kennen und bestellte bei ihm einige Werke für die Hofkapelle. 1885 ernannte er Strauss zu seinem Assistenten und ein Jahr später folgte ihm Strauss auf der Hofkapellmeister-Position in Meiningen. Das war seine erste gute Anstellung und bedeutete für den 21jährigen einen großen Karrieresprung. Verena Großkreutz schreibt dazu: „Strauss, der im Dirigieren noch unerfahren war, leitete als Bülows Assistent Proben und Konzerte des Orchesters und des Chorvereins und trat als Pianist auf. Er erlernte in Meiningen das Handwerk des Dirigierens, indem er Bülow bei den Proben beobachtete und ihn schon bald vertrat. In den letzten Wochen seiner Tätigkeit wurde er sogar selbst Leiter des Orchesters, weil sich Bülow von Meiningen verabschiedet hatte. Bülow hatte großen Einfluss auf den jungen Mann.“
Strauss schreibt über seinen Mentor: "Wer ihn einmal Beethoven spielen oder Wagner dirigieren hörte, wer je einer seiner Orchesterproben lauschte, für den musste er das Vorbild aller leuchtenden Tugenden des reproduzierenden Künstlers sein, und seine rührende Sympathie für mich, sein Einfluss auf die Entwicklung meiner künstlerischen Fähigkeiten war das einschneidende Moment in meiner Laufbahn."
Strauss präsentierte Bülow nach einiger Zeit der Zusammenarbeit die Partitur eines einsätzigen Werkes für Klavier und Orchester mit dem Titel „Scherzo in d-Moll“, das er ihm auch zum Dank gewidmet hatte. Bülow weigerte sich, das Stück zu erlernen, da er es für „unspielbar“ hielt. Dieses Urteil, so schreibt Jeremy Nicolas im Beiheftchen zur Einspielung von Joseph Moog und Nicolas Milton (Onyx), hatte vermutlich damit zu tun, dass Bülows Hände kaum eine Oktave greifen konnten. Ein unüberwindliches Hindernis in einem Werk, das mit kräftezehrenden Oktaven superlativische Ansprüche stellt; doch es stellt sich die Frage, warum Strauss für seinen Mentor ein Stück komponierte, das rein physisch so ungeeignet für ihn war. Strauss selbst probte das Werk mit dem Meininger Orchester und dirigierte vom Klavier aus, wobei er den Solopart selbst übernahm. Dann legte er es beiseite und schrieb an Bülow: „Wenn man einen außergewöhnlichen (!) Pianisten und einen erstklassigen Dirigenten (!) hat, wird sich das Stück nicht als Unsinn durch und durch herausstellen, als den ich es nach der ersten Probe betrachte.“, soweit Jeremy Nicolas. Mit anderen Worten, Strauss hat es selbst auch nicht in zufriedenstellender Weise hinbekommen. Zu seiner Entschuldigung sollte erwähnt werden, dass es seither niemand unternommen hat, das Stück vom Klavier aus auch noch dirigieren zu wollen. Von den einschlägig bekannten dirigierenden Pianisten, die da in Frage kommen könnten (Ashkenazy, Barenboim oder Bernstein vielleicht) gibt es lediglich von Barenboim eine Einspielung, die er allerdings nicht selbst dirigiert.
Nach weiteren Proben zeigt sich Strauss bald "total entmutigt", empfindet das Stück als "unmenschlich schwer", hält es für "reinen Unsinn". "Die Begleitung ist wohl etwas überladen und der Klaviersatz zu detailliert", gesteht er Bülow. Strauss lässt das Werk zunächst in der Schublade verschwinden.
Drei Jahre später traf Strauss den großen Pianisten Eugen d´Albert, einen von Liszts bekanntesten Schülern, der sich zudem berufen fühlte ein bedeutender Komponist zu werden. D´Albert gefiel das Stück und mit seiner Ermutigung überarbeitete Strauss das Scherzo, nahm einige Striche in der Partitur und Änderungen im Klavierpart vor. Er benannte es nun „Burleske“ und widmete d´Albert die neue Fassung. Die Erstaufführung fand aber erst am 21. Juni 1890, also vier Jahre nach seiner ersten Fertigstellung im Stadttheater Eisennach beim Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins mit D´Albert als Solist und dem Komponisten am Pult statt.
Als Hans von Bülow in der Zwischenzeit die neue Version gehört hatte, beschrieb er die Burleske in einem Brief an Brahms im Januar 1891 als „genial“, aber auch als „erschreckend“. Nichtsdestotrotz dirigierte er das Werk noch im gleichen Monat in Berlin mit D´Albert als Solist. Sogar Strauss selbst blieb nicht überzeugt von den Meriten des Stücks, und trotz eines guten Preisangebots eines Verlegers wollte er es nicht veröffentlichen. Erst 1894 willigte er in eine Publikation ein.
Warum all die Zweifel? Dazu erneut Jeremy Nicholas: „Humor in der Musik, der für Haydn und Mozart noch tägliches Brot war, wurde für jeden ernsthaften Komponisten im 19. Jahrhundert zum Problem. Doch Strauss´ einsätziges Klavierkonzert mit seinen parodistischen Zügen, den unvorhersehbaren Harmonien und der einfallsreichen Rhetorik bleibt ein faszinierendes und eigenständiges Werk, das eine lange Liste von Weltklasse-Pianisten angezogen hat, die den Spuren D´Alberts folgten. Strauss´ Urteil wurde mit den Jahren auch etwas gemäßigter: Er hatte es auf das Programm seines allerletzten Konzertes gesetzt, das er, es war 1947 in London, überhaupt dirigierte. Ein gewisser Alfred Blumen war der bemitleidenswerte Pianist. Eine Aufnahme, die es bei YouTube zu hören gibt, uns aber leider nicht als Medium zur Verfügung stand.
Auch bei diesem Werk hat der Bayerische Rundfunk einen Beitrag zur Reihe „Das starke Stück“ produziert. Diese Beiträge sind immer interessant, da ein bekannter Künstler zu Wort kommt, der sich selbst mit dem Werk auseinandergesetzt hat. In diesem Fall war es der Pianist Rudolf Buchbinder (2014). Obwohl es bisher unserer Erkenntnis nach erstaunlicherweise noch keine Einspielung von ihm auf dem Tonträgermarkt gibt, hat er das Stück schon oft mit großem Erfolg aufgeführt. Der BR selbst sendet von Zeit zu Zeit eine Aufnahme mit ihm und dem eigenen Sinfonieorchester unter der Leitung von Lorin Maazel zum Beispiel im ARD-Nachtkonzert. Darüber hinaus sollte die Aufnahme mit Daniele Gatti als Videomitschnitt immer noch in der Mediathek des BR zu finden sein. Andere Rundfunkanstalten sollten weitere Darbietungen mit ihm mitgeschnitten haben. Zu dem frechen Jugendstreich von Richard Strauss schreibt Sylvia Schreiber:
„Albern, schrill und fantasievoll ist sie, die Burleske. Richard Strauss parodiert darin liebevoll sein Idol Richard Wagner und überzeichnet die romantischen Klangideale seines zweiten Idols Johannes Brahms. Das Klavier wirbelt in Kaskaden, die vier Pauken protzen, die Piccoloflöten tirilieren und das Orchester wiegelt obendrein die Stimmung ordentlich auf. Richard Strauss will mit allen Mitteln komisch sein und verlangt das sogar an zwei Stellen explizit vom Solisten: wenn die Spielanweisung "con umore" in den Noten steht, also mit Humor.
Dieser große Aufwand lohnt sich. Der Witz kommt an. Und entlockt dem Pianisten nicht selten ein Lächeln. "Das Problem ist, dass man seine eigenen Grimassen nicht kontrollieren kann", sagt der Pianist Rudolf Buchbinder dazu. "Deswegen will ich mich auch nicht anschauen dabei. Gott behüte, ich müsste mir bei der Strauss'schen Burleske ansehen, wie ich das spiele.“
Der Schelm sitzt also dem Solisten in doppelter Hinsicht im Nacken. Es versteht sich unter diesen Umständen fast von selbst, dass er das Stück bloß nicht zu zäh anpacken darf. Sonst geht der burleske Charakter verloren, und es besteht gar die Gefahr, dass Langeweile aufkommt. Überhaupt bietet die Burleske allen Freunden der Interpretation ein wahres Eldorado. So entfaltet das Werk nicht nur eine Klangvielfalt, sondern auch eine Assoziationsvielfalt, wenn man nämlich versucht, das Stück irgendwie in Worte zu fassen. "Man kann da einiges hineininterpretieren: frech, hinterfotzig, da gibt's schon einiges" meint Rudolf Buchbinder. "Das ist ja typisch Richard Strauss, es ist ja schon der ganze 'Till Eulenspiegel' drin. Und dann kommt der Moment, wo er genau weiß, dass man auf die Tränendrüse drücken muss. Plötzlich diese Kantilene. So sind einige Stellen in dieser Burleske."
Aller Anfang ist bekanntermaßen schwer. Das gilt auch für die ersten Töne einer Komposition. Und da landet Richard Strauss in seiner Burleske einen Coup: Er überlässt der Pauke den Auftakt. Sie ist die heimliche Solistin des Werkes. Ausgerechnet die Pauke, ein Instrument, das nicht gerade für seinen Melodienreichtum berühmt ist, darf die Melodie einführen. Das kann man erneut nur als Witz verstehen.
Das Gegenüberstellen von Extremen ist es, was die Burleske auszeichnet - und dies ist ein typisches Merkmal der Musik von Richard Strauss. Und zwar bereits des jungen Strauss. Doch bei allem Witz, bei aller Liebe zur Parodie, bei allen inszenierten Stimmungsschwankungen: Ohne Virtuosität am Klavier kommt man in der Burleske nicht weit. Erstaunlich versiert hat der 21-jährige Strauss für das Klavier komponiert. Als er seinen Mentor und Lehrer Hans von Bülow im Jahr 1886 um die Uraufführung bat, lehnte der entrüstet ab. Die Begründung war ganz einfach: Das Stück sei einfach zu schwer. Er hätte mindestens vier Wochen die Noten studieren und die Handstellungen üben müssen, das war dem viel beschäftigten Bülow zu aufwendig. Dazu Rudolf Buchbinder: "Es sind verschiedene Dinge, die für uns Pianisten eine neue Welt sind: die Harmonik, sein Rhythmus und seine Klaviertechnik. Wir sind mit der Musik von Strauss in keiner Weise konfrontiert, nicht so wie ein Sänger oder Streicher - die wachsen auf mit Strauss. Und es war auch für mich eines der allerschwersten Werke zu lernen, zu studieren und daran zu arbeiten."
Auch wenn Strauss in der Burleske zum Witzbold wird - Unsinn produziert er nicht, sondern am Ende weist er damit klar in die Zukunft: Neben "Till Eulenspiegel" (der erblickt erst in ein paar Jahren das Licht der Welt) kann man auch Züge des "Rosenkavalier" heraushören. Es ist, als ob sich Strauss diese Maske des Possenreißers aufgesetzt hat, um ungeniert über die Stränge schlagen zu können, zu experimentieren. Dafür setzt er ein Instrument ein, das nicht gerade sein Lieblingsinstrument ist. Und reizt dennoch bei diesem die technischen Möglichkeiten mit bombastischen Akkorden und komplexen Läufen bis ins Letzte aus.
Nicht gerade häufig kommt es vor, dass von einer zweiten Sendeanstalt der ARD eine weitere Werkschau des gleichen Werkes erarbeitet wird. Der WDR lud sich dazu den Pianisten Joseph Moog ein und befragte ihn zu seinen Erkenntnissen und Erfahrungen mit dem Werk. Im Dialog mit Antonia Ronnewinkel spricht in erster Linie der Pianist, kenntnisreich und sympathisch. Von Joseph Moog liegt übrigens eine Einspielung mit der Deutschen Radiophilharmonie unter Nicolas Milton vor, auf die man sich nach der Analyse des Pianisten besonders freuen darf. Zurecht wie sich noch herausstellen wird.
Wir fassen einmal das Gehörte zusammen: Dass die Pauke das „Konzert“ eröffnet, findet man genial erfunden und ein unerhörter Beginn. Der unbefangene Hörer fragt sich sogleich: ist das nun ein Pauken- oder ein Klavierkonzert? Bevor man lange darüber nachsinnen kann, fängt das Klavier bereits an in schnellen Oktavläufen nach unten, als chromatische Abgänge mit Nachschlägen sozusagen, eine ganz andere Richtung einzuschlagen. „Die Burleske behandelt sehr viele humoristische Themen auf eine diabolische Art und Weise“, meint Joseph Moog. „Mal erschreckend, mal teuflisch und derb, dann wieder heiter und schwärmerisch.“ Das Stück wäre gespickt mit unzähligen Ideen und Charakteren. „Als Interpret muss man es überzogen darstellen und es parodistisch wirken lassen. Es ist das Lachen eines tollkühnen Till Eulenspiegel, der die Musikwelt mit tollkühnen Possen herausfordert.“
Die Burleske ist ein programmatisches Stück, man wird dabei viele Bilder vor dem geistigen Auge sehen, mit vielen Charakterumschwüngen. Es gibt aber auch Momente, die eine ganz enorme Eleganz zeigen und ein schwärmerisches Wiener Element, das zu einem Charakteristikum der Musik von Richard Strauss gehören wird. Dieses walzerhafte Schwärmen greift bereits auf den „Rosenkavalier“ voraus. Die damit verbundenen hervorragenden Harmonien kommen dann in seinem ganzen Schaffen immer wieder vor.
Nie zu langsam und immer schwungvoll und auftrumpfend, denn im nächsten Moment gewinnt schon wieder der Schalk die Oberhand. Wenn dann tatsächlich „con umore“, also mit Humor zu spielen ist, so meint Joseph Moog, „dann könne man die Rhythmen ein wenig überzeichnen, die Akkorde ein wenig „anschneiden“, arpeggieren oder auch mal ein wenig unrhythmisch spielen, um zum „con umore“-Effekt beizutragen. Man kann seiner Fantasie freien Lauf lassen. Der interpretatorische Spielraum ist in diesem Stück „gigantisch“. Auch dies macht das Stück zu einer großen Aufgabe für alle Beteiligten.“
Oft wird das Klavier von dem Orchester vollkommen verdeckt, man muss beim Spiel sehr genau berücksichtigen, was Strauss da dynamisch notiert hat. Es fasziniert auch, wie Strauss die Illusion erzeugt, es würde ein viel größeres Orchester spielen. Er schichtet musikalische Ideen so geschickt übereinander, dass man das Gefühl hat, es müssten Hunderte auf der Bühne sein.
Überhaupt ist alles in der Burleske anscheinend auf den Kopf gestellt. Das macht es schwierig, alles beim ersten Hören zu erfassen. Umgekehrt kann man das Stück beim wiederholten Hören immer wieder neu entdecken. Das ist das tolle an dem Werk. Sehr schön zu hören sind die Dialoge zwischen Pauke, Klavier und Orchester.
Auch Josef Moog kommt auf die ablehnende Haltung Bülows zu sprechen. Nicht nur die kleinen Hände wären schuld daran gewesen, meint er. Strauss fordert vom Pianisten abrupte Sprünge, unbequeme Lagen in der Hand und vor allem hat er viele Akkordumkehrungen eingesetzt, um Verdopplungen mit dem Orchester zu vermeiden, die aber für Pianisten sehr ungewohnt sind, sodass man sich fast ein wenig verloren fühlt. Ein Problem war es wohl auch, dass Bülow das Stück nur in der Partitur gesehen habe und die neuartigen, unpianistischen Ideen von Strauss gar nicht recht realisieren konnte. Auffällig bei Strauss ist auch, dass er beim Komponieren kein Klavier benötigte, sondern er hat die Partitur auf das Soloinstrument übertragen. Auch er erwähnt, dass Strauss versucht hätte, das Werk in Personalunion als Pianist und gleichzeitig als Dirigent zu spielen, was jedoch auch für ihn unmöglich war.
Der junge Strauss war ein glühender Verehrer von Johannes Brahms. Gerade die weite Lage, die Brahms so gerne in seinen Klavierwerken verwendet hat, kommt in der Burleske wieder. Im jugendlichen Überschwang geht Strauss jedoch noch weit über Brahms hinaus. Er überspitzt, übertreibt und fügt noch weitere Akkordtöne hinzu. Auch für Joseph Mogg waren die Griffe zu groß und zu weit für die Handspannen, er konnte sie nicht zugleich greifen, sondern musste sie nacheinander spielen. So schnell, dass man es kaum merkt.
Was ist nun dran an der Ähnlichkeit zu Brahms? Es gibt einige harmonische Wendungen, die entfernt an Brahms erinnern, doch die Burleske ist ein völlig eigenständiges Werk. Brahms selbst hat, als er die Partitur zu Gesicht bekam, deutliche Kritik geübt und war von der, wie er sagte, „Akkordschichterei“ gar nicht angetan. Brahms, als Norddeutscher reservierter, introvertierter und sehr viel selbstkritischer passte so gar nicht zu dem jungen, schwärmerischen Bayer. Es war wohl menschlich schwierig zwischen den Beiden. Es hat wohl nicht harmoniert. Das Treffen hat auch mit dazu beigetragen, dass sich Strauss von Brahms abwandte und durch den Konzertmeister der Meininger Hofkapelle, Alexander Ritter, den Zugang zu Liszt und vor allem auch zu Wagner gefunden hat. Das war maßgeblich für seine Entwicklung. (Sonst hätten wir vielleicht noch ein paar Sinfonien mehr als die beiden Jugendsinfonien in d-Moll und f-Moll von Strauss zu hören bekommen.)
Auch in der Burleske gibt es schon pompöse und schwelgerische Momente. Die Inspiration von Liszt (und Wagner) wird im Laufe des Stückes schon immer größer. Es könnte auch fast schon eine Sinfonische Dichtung für Klavier und Orchester sein. Beim Hören kam uns mitunter der „Totentanz“ von Liszt in den Sinn. Strauss wird ihn sicher gut gekannt haben.
„Im Laufe des Stücks steigt man immer höher und höher bis zu einem Gipfel, wo es kalt wird und uns friert, bis wir fast einzufrieren drohen“, so wieder der Pianist Joseph Moog. „Und dann kommt der Absturz. Eine Henkerszene bei der man für die üblen Späße büßen muss (wir denken erneut an den „Till“), oder liegt der Held nun sogar schon im Sterben? Strauss zwingt den Pianisten (oder die Pianistin) in den Kampf. Man ringt mit den Akkorden und den gleißenden Kaskaden, die über die Tastatur fliegen und die einem den Schweiß ins Gesicht treiben.“
Dann plötzlich Tristanakkorde, schmerzliche, sehnsuchtsvolle Vorhalte.
Gegen Ende des Stückes wird es dann ruhiger, versöhnlicher, vielleicht auch eher verführerischer, denn es blitzen wieder die „Rosenkavalier“-Harmonien auf und man freut sich irgendwie schon auf ein besinnliches Ausklingen des Stückes und erschrickt dann geschockt.
Strauss greift das Gelächter vom Anfang wieder auf und verdreht es nun völlig in eine teuflische Fratze, denn jetzt geht das Gelächter von unten nach oben und bekommt so eine ganz bedrohliche Dimension. Das Orchester verfällt dann auch noch in panische Motivfetzen bis das Ganze zusammenbricht wie eine mittelalterliche Burg. Ganz am Ende gibt es dann wieder, wie ganz am Anfang, den Dialog Klavier-Pauke, als ob (fast) nicht gewesen wäre. Ein absterbender Schluss in bester kompositorischer Meisterschaft. Der Vorhang fällt in aller Stille aber sehr wirkungsvoll.
Jetzt sind wir doch sehr gespannt, wie sich die Pianist:innen, auch die ohne die Riesen-Pranken, an dem Stück bewähren.
Ergänzend: Die Burleske zusammengefasst für den „schnellen Leser“ (aus Wikipedia):
Das zunächst als „Scherzo“ bezeichnete Werk (in einem Brief an seine Mutter sprach Strauss auch von einem „Klavierkonzert“) war nicht die erste konzertante Komposition von Richard Strauss, vorausgegangen waren – neben noch früheren Versuchen – das Violinkonzert op. 8 sowie das 1. Hornkonzert op. 11.
Die mit Allegro vivace überschriebene Burleske ist einsätzig und in der für Konzertsätze üblichen Sonatensatzform mit Ritornell-Solowechsel angelegt. Sie zeigt in ihrer motivischen Struktur und auch harmonischen Verläufen Einflüsse von Johannes Brahms, den Strauss 1885 persönlich in Meiningen kennen gelernt hatte. Andererseits weist sie in ihrem Überschwang und Walzercharakter des Hauptthemas durchaus Strauss-typische Eigenschaften auf. Ungewöhnlich sind die solistisch einsetzenden Pauken, deren viertöniges Kopfthema durch mehrfache Wiederkehr das Werk prägt. Die Pauke erhält auch im originellen Diminuendo-Ausklang das „letzte Wort“.
Von Bülow bezeichnete die Burleske nach der Aufführung durch d’Albert als „genial“, aber auch „erschreckend“. Strauss, zum Zeitpunkt der Uraufführung 1890 kompositorisch inzwischen an Franz Liszt und Richard Wagner anknüpfend, rechtfertigte sich gegenüber Alexander Ritter, einem Anhänger der Neudeutschen Schule, es handele sich um ein Werk „über das ich weit hinaus bin und für das ich nicht mehr mit voller Überzeugung einstehen kann“, betrachtete die Burleske später als Resultat seiner „damaligen Brahmsschwärmerei“ und soll sie „immer äußerst lieblos“ dirigiert haben.
Richard Strauss verzichtete auf die Vergabe einer Opuszahl an die 1894 im Verlag Steingräber (Leipzig) erschienene und d’Albert gewidmete Burleske. Im Werkverzeichnis von Franz Trenner (TrV) erhielt sie die Nr. 145.
Strauss sollte erst etwa 30 Jahre später wieder zur Besetzung Klavier (allerdings speziell für die linke Hand) und Orchester zurückkehren: Mit einem Parergon zur Sinfonia domestica op. 73 sowie dem Panathenäenzug op. 74, jeweils komponiert für den einarmigen Paul Wittgenstein.
Im Konzertbetrieb lange Zeit kaum vertreten, fand die Burleske erst Ende des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt durch (den Hype um) Glenn Gould, stärkere Beachtung. Zu den Solisten, die das Werk in neuerer Zeit eingespielt respektive aufgeführt haben, zählen Martha Argerich, Emanuel Ax, Hélène Grimaud, Friedrich Gulda, Gerhard Oppitz, Swjatoslaw Richter, Rudolf Serkin und Rudolf Buchbinder. Von den jungen Pianisten sind vor allen zu nennen: Joseph Moog, Kirill Gerstein und Francesco Piemontesi.
Zitate:
„Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch.“ (Das wäre einem Johannes Brahms so sicher nicht herausgerutscht.)
Und ein weiteres, dazu passend: „Ich sehe nicht ein, warum ich keine Symphonie auf mich selbst schreiben sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoléon oder Alexander.“ (Alexander der Große, versteht sich. Damit war natürlich „Ein Heldenleben“ oder aber auch die „Sinfonia domestica“ gemeint)
Ein böser Kontrast dazu: „Havemann abgesetzt wegen Stellungnahme für Hindemith. Richard Strauß schreibt einen besonders gemeinen Brief an den Juden Stefan Zweig. Die Gestapo fängt ihn auf. Der Brief ist dreist und dazu saudumm. Jetzt muß Strauß auch weg. Stiller Abschied. Keudell muß es ihm beibringen. Diese Künstler sind doch politisch alle charakterlos. Von Goethe bis Strauß. Weg damit! Strauß ‚mimt den Musikkammerpräsidenten‘. Das schreibt er an einen Juden. Pfui Teufel!“ (Tagebucheintrag von Josef Goebbels am 5. Juni 1935)
„Für mich ist das poetische Programm nichts weiter als der formbildende Anlass zum Ausdruck und zur rein musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen – nicht, wie Sie glauben, nur eine musikalische Beschreibung gewisser Vorgänge des Lebens.“ (Strauss in einem Brief an seinen Freund, den Schriftsteller Romain Rolland)
„Dass die Musik nicht in reine Willkür sich verliere und ins Uferlose schwimme, dazu braucht sie gewisse formbestimmende Grenzen, und dieses Ufer formt ein Programm… Wen es interessiert, der benütze es. Wer wirklich Musik zu hören versteht, braucht es wahrscheinlich gar nicht.“ (von Strauss, entnommen aus 50 Klassiker Orchestermusik, dargestellt von Ulrike Timm)
Im Mai 1891 erlitt Strauss eine schwere Lungenentzündung. Während seiner Konvaleszenz in Feldafing schrieb er dem befreundeten Kritiker Arthur Seidl: „Sterben wäre eigentlich nicht so schlimm, jedoch möchte ich noch einmal den Tristan dirigieren.“
„Wenn schon Richard, dann Wagner und wenn schon Strauß, dann Johann…“ („altehrwürdiger“ Musikerspruch von Strauss-Verächtern, der ganz und gar nicht unserer Meinung entspricht)
zusammengestellt bis 7.7.2022

Richard Strauss in Meinigen, zur Zeit der Komposition der "Burleske".
Übersicht über die im Anschluss rezensierten Einspielungen:
5*
Martha Argerich
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
Sony
1992, live
18:36
5*
Rudolf Serkin
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1966
19:16
5
Byron Janis
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1957
19:59
5
Emmanuel Ax
Wolfgang Sawallisch
Philadelphia Orchestra
EMI
1996
19:09
5
Elisabetha Leonskaya
Gary Bertini
WDR Sinfonieorchester Köln
Capriccio
1989, live
19:32
5
Rudolf Serkin
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1955
17:19
5
Jean-Yves Thibaudet
Herbert Blomstedt
Gewandhausorchester Leipzig
Decca
2004
19:00
5
Joseph Moog
Nicolas Milton
Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Onyx
2016
18:54
5
Ludwig Hoffmann
Bernhard Klee
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, bisher unveröffentlicht
AD? live
18:45
5
Daniil Trifonov
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, inzwischen veröffentlicht
2017, live
26:00
4-5
Marc-André Hamelin
Ilan Volkov
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB)
RBB, auch auf Hyperion
2010
19:23
4-5
Francesco Piemontesi
Marek Janowski
Dresdner Philharmonie
Deutschlandfunk, bisher unveröffentlicht
2023, live
20:25
4-5
Leonard Pennario
Seiji Ozawa
London Symphony Orchestra
RCA
1966
20:12
4-5
Malcolm Frager
Rudolf Kempe
Staatskapelle Dresden
EMI
1975
19:40
4-5
Claudio Arrau
Désiré Defauw
Chicago Symphony Orchestra
Columbia, Naxos, Camden, Intense Media, Arlecchino
1947, live
18:26
4-5
Nelson Goerner
Mikko Franck
Orchestre Philharmonique de Radio France
Alpha
2020
19:55
4-5
Hélène Grimaud
David Zinman
Deutsches Sinfonieorchester Berlin (DSO)
Erato
1995
21:24
4-5
Gerhard Oppitz
John Fiore
Düsseldorfer Symphoniker
Hänssler
2001
18:04
4-5
Daniel Wayenberg
Christoph von Dohnanyi
Philharmonia Orchestra London
CNR-EMI
1963
19:19
4-5
Ewa Kupiec
Leo Sibersky
SWR Sinfonieorchester Baden Baden und Freiburg des SWR
SWR, bisher unveröffentlicht
2012, live
19:28
4-5
Daniel Barenboim
Zubin Mehta
Berliner Philharmoniker
Sony
1985
19:35
4-5
Nelson Freire
Zoltan Pesko
Sinfonieorchester des SWF Baden Baden
Decca
1985, live
19:17
4-5
Friedrich Gulda
Karl Böhm
Wiener Philharmoniker
Praga und Orfeo
1957. live
18:43
4-5
Friedrich Gulda
Anthony Collins
London Symphony Orchestra
Decca
1955
17:53
4-5
Bertrand Chamayou
Antonio Pappano
Orchestra dell´Accademia Nazionale di Santa Cecilia
Warner
2020
19:43
4-5
Margrit Weber
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester
DG
1955
20:30
4-5
Margrit Weber
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester
Audite
1955, live
19:54
4-5
Poldi Mildner
Artur Rother
RIAS Sinfonieorchester
Telefunken-BnF
1955
18:20
4-5
Svjatoslav Richter
Gennadi Roshdestwenskij
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija-Brilliant
1961, live
18:57
4
Sergei Edelmann
Paavo Berglund
Stockholm Philharmonic Orchestra
RCA
1989
22:13
4
Ian Hobson
Norman del Mar
Philharmonia Orchestra London
Arabesque
P 1987
19:42
4
Lilya Zilberstein
Andrés Orozco-Estrada
Wiener Symphoniker
ORF, bisher unveröffentlicht
2017, live
21:40
4
Emmanuel Ax
Andrés Orozco-Estrada
HR Sinfonieorchester
HR
2015, live
20:32
4
Kirill Gerstein
Alan Gilbert
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, bisher unveröffentlicht
2022
21:51
4
Joshua Pierce
Paul Freeman
Czech National Sympho-ny Orchestra, Prag
MSR Classics
2009
21:41
4
Yuja Wang
Andris Nelsons
Gewandhausorchester Leipzig
DG
2021
20:30
4
Philippe Entremont
Okko Kamu
National Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1979
19:37
4
Denis Kozhukhin
Marc Albrecht
Nederlands Philharmonic Orchestra
Pentatone
2017
19:53
4
Plamena Mangova
Walter Weller
Orchestre National de Belgique
Fuga libera
P 2008
20:54
4
Rudolf Buchbinder
Lorin Maazel
Sinfonieorchester des BR
BR, bisher unveröffentlicht
2001, live
20:34
4
Lang Lang
Christoph Eschenbach
Wiener Philharmoniker
Sony
2014, live
22:00
3-4
Estella Olevsky
Dennis Burgh
Janacek Philharmonic Orchestra, Ostrava
Centaur, Stradivarius Classics
1990
20:16
3-4
Glenn Gould
Vladimir Golschmann
Toronto Symphony Orchestra
CBS-Sony
1967
23:56
3
Elly Ney
Willem van Hoogstraten
Staatskapelle Berlin
Biddulph, Intense Media, APR
1932
16:35
Die Rezensionen im Detail:
5*
Martha Argerich
Claudio Abbado
Berliner Philharmoniker
Sony
1992, live
18:36
Bei dieser Einspielung handelt es sich um einen Mitschnitt des Silvesterkonzerte von 1992, das auch im Fernsehen live übertragen wurde. Bevor wir das Orchester als Ganzes oder die Solistin zu hören bekommen serviert uns Rainer Seegers seinen Auftritt, er spielt seine vier Pauken mit absoluter Meisterschaft und nach Kennenlernen aller hier vorgestellten Produktionen und Mitschnitte hat uns sein Vortrag am meisten beeindruckt. Er versteht seine Rolle ganz deutlich als konzertierend und weiß, auch wenn er immer nur dieselben vier Töne spielt, dabei die meisten Nuancen herauszuholen. Sein ff hat auch besonders viel „Biss“. Uns kam es so vor, als wäre die Pauke bei ihm eine Art „Erziehungsberechtigter“, der immer wieder versucht auf den jungen „burlesken“ Menschen einzuwirken, der sich über so vieles lustig macht, weil er denkt, dass er schon so viel kann (alles?), aber aus Sicht der Pauke noch einiges lernen müsste. Ob Strauss tatsächlich ähnliches im Sinn hatte, ist jedoch Spekulation.
Der unbestreitbare Star der Aufnahme ist jedoch die Pianistin, die sich dabei allerdings mit den prächtig aufgelegten Philharmonikern in einem heißen Wettstreit um die Krone befindet. Schwungvoller, jungendfrischer und wenn man das so sagen darf so prächtig „aufgebrezelt“ spielt kein anderes Orchester das Stück. Dem gegebenen Anlass und dem zweifellos daher ordentlich vorhandenen Extra-Budget geschuldet ist wohl auch die extragroße Streicherbesetzung, die das übliche Maß deutlich übersteigt. Die Bühne der Philharmonie war damals richtig voll und das hört man auch.
Die Vortragsbezeichnung Allegro wird genauso beachtet wie vivace. Besonders lebendig wirkt der Vortrag vom Anfang des ersten Paukenschlags bis zum „verklimmenden“ Finale. Dazwischen hören wir allerbestes Concertare in pointierter, effektvoller und absolut klangschöner Manier. Das Schwärmerische der Musik wird dabei besonders ausgekostet. Im Lyrischen dominiert warme Kantabilität ohne je gefühlig zu werden. Frau Argerich glänzt mit behänder, wieselflinker Artikulation, schnellsten Griffwechsel, beherztem Zugriff und einem fantastischen Leggiero in bestechender Geschmeidigkeit. Die intensiv zu erlebenden Steigerungen sind brillant und der dynamische Ambitus ist enorm geweitet, was übrigens besonders für das Orchester gilt. Das Orchester spielt mit Frau Argerich engstens verzahnt, versteht sich bei den betreffenden Passagen sozusagen als ihr verlängerter Arm. Der Vortrag ist in Hinsicht auf Intensität und Beherztheit eigentlich nur mit der folgenden Einspielung Serkis vergleichbar. In Hinsicht auf reine Kraftentfaltung kommt vielleicht noch Richter mit, dem aber in diesem Fall eine ähnliche Perfektion abgeht. Zugleich bringen Argerich aber insbesondere das Orchester noch eine stupende Eleganz mit, die sehr gut zum Werk zu passen scheint und die den ganzen Vergleich über ein gewisses Alleinstellungsmerkmal geblieben ist. In Punkto Klangfarbenreichtum und Leuchtkraft kommt ebenfalls kaum eine andere Einspielung an diese heran.
Dass die pralle Vitalität hier schon fast unverschämt wirkt und somit auf den einen oder anderen Hörer protzig wirken könnte, scheint uns bereits in der Komposition grundgelegt zu sein. Zugespitzt und keck kommen die verschiedenen Soli bestens zur Geltung. Dem Orchester kommt dabei vielleicht sogar zugute, dass sein typischer Strauss-Klang aus der Karajan-Ära, der über viele Jahre zuerst erworben und dann kultiviert wurde, durchaus noch abrufbar war und zusätzlich noch flexibler und feingeistiger geworden ist..
Eine traumhaft agile, im Lyrischen bezaubernde Solistin, ein hervorragender, mitspielender, „virtuoser“ Pauker, ein aus allen Nähten platzendes brillantes Orchester und ein urmusikalischer, umsichtiger und befeuernder Dirigent, was will man mehr? Ach ja, der Klang der Aufnahme unterstützt die pralle Sonderstellung der musikalischen Seite bzw. macht sie erst möglich. Umwerfend.
Der Klang der Live-Aufnahme ist sehr voll, sonor und farbig, zudem dynamisch und frisch. Er vermittelt eine gute Räumlichkeit und ein recht weites, aber kein übertrieben weitläufiges, transparentes Panorama. Üppig blühende Landschaften in der Philharmonie also, wenn die Aufnahme ein Gemälde wäre, mit kräftigen Farben.
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5*
Rudolf Serkin
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1966
19:16
Karl Schumann meinte in seiner Laudatio bei der Vergabe des Ernst-von-Siemens-Musikpreises 1979 an Rudolf Serkin: „Er ist ein Expressionist aus der Generation der musikalischen Präzisionsfanatiker mit dem Drängen auf ein Maximum an Ausdruck, Akzenten und Spannung.“ Man meint, Herr Schumann hätte sich zuvor Rudolf Serkins beide Einspielungen der Burleske angehört, denn auf diese trifft die erwähnte Charakterisierung ganz genau zu. Serkin begleitete immer ein gewisses Misstrauen gegenüber einer extrem analytisch interpretierten Musik und ein Hadern mit den eigenen Fähigkeiten. Beides scheint er für die Burleske jedenfalls überwunden zu haben.
Er bewegt sich in beiden Einspielungen (von 1955 und 66) an der äußersten Grenze der expressiven Möglichkeiten des Instruments, um diesem von vielen Pianisten als sperrig empfundenen Stück gerecht zu werden. Und um es gleich vorweg zu nehmen, sperrig klingt die Burleske bei ihm überhaupt nicht. Beide Aufnahmen sind enorm spannungsgeladen. Uns hat von den beiden Einspielungen die zweite, die ein Stereo-Remake mit denselben, nur um elf Jahre älter und reifer gewordenen Mitstreitern darstellt, noch besser gefallen als die erste. Bei den weiten Griffen, den Akkord-Entladungen, der krassen Schärfe der sf und den auffallend „markigen“ Marcati ist der besonders als Brahms, Reger und Schumann-Spieler (natürlich auch mit Mozart und Beethoven bestens) bekannte Pianist in seinem ureigensten Element.
Im Tempo ist der 66er Jahrgang etwas gemäßigter, gleichsam milder geworden. Der Vortrag wirkt verbindlicher, weniger aufgeregt, spontan und nervös. Es ist nun gelungen, die fast schon überbordende Spannung von 1955 besser zu kanalisieren und stattdessen mehr Herzblut in die Darstellung mit einzubringen. Nun wird auch einmal geatmet während des Spiels und ein wenig innegehalten. Auch das Orchester bzw. sein Chef investieren mehr Gefühl, sodass nun auch der „Wiener Schmäh“ im Walzer vortrefflich zur Geltung gebracht wird. Das Musizieren des Orchesters hat viel Glanz und das Concertare gelingt vorbildlich. Man hat das Gefühl, dass man die Kräfte nun noch besser bündelt. In dieser Einspielung fällt auf, dass die herrliche Cellopassage, die die Klavierkantilene noch intensiviert, dieses Mal nur von einem Cello gespielt wird. In unserer Partitur steht kein Vermerk, dass hier ein Solo anstehen würde. Beim Großteil der Einspielungen spielt dann auch die ganze Cellogruppe. Ormandy lässt dieses Mal nicht im Breitwandsound aufspielen, sondern detailreich und tiefenscharf. Er wird dabei von einer hellhörigen Klangtechnik vortrefflich unterstützt.
Supervirtuos und extrem expressiv gelingt Serkin auch die Kadenz, die er zu einem klaviertechnischen Feuerwerk werden lässt. Insgesamt wirkt Serkis Einspielung bei aller Vitalität gerade gegenüber der Einspielung von Martha Argerich etwas kämpferischer und ernster, während Argerich demgegenüber bei allem draufgängerischem Elan dem kapriziösen Spaß mit mehr Ironie zu begegnen scheint. Bei Serkin hört man mehr „Don Juan“ mit, bei Argerich mehr „Till Eulenspiegel“.
Noch ein paar Worte zum Klang der Aufnahme: Er ist im Ganzen viel besser und vor allem nun sehr breit gestaffelt als in der Aufnahme von 1955. Das Orchester steht tief gestaffelt und deutlich körperhafter vor den Hörenden. Auch plastischer und fülliger, wobei der Charakter immer noch schlank und sehnig bleibt. Die Transparenz kann man nur als hervorragend bezeichnen. Ebenso die Balance von Flügel und Orchester. Der Gesamtklang wirkt nun erheblich sinnlicher und wärmer, ohne je wohlig zu werden. In dieser Hinsicht (Sinnlichkeit und Wärme) wird sie jedoch von der Berliner Aufnahme von 1992 noch übertroffen. Diese lebendige Aufnahme ist als eine exzellente Arbeit der Techniker, die der Musik zur vollen Geltung verhilft, nur zu loben.
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5
Byron Janis
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1957
19:59
Anlässlich eines Konzertes, das Janis 1944 gemeinsam mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter der Leitung des erst 14-jährigen Lorin Maazel gab, wurde Vladimir Horowitz auf ihn aufmerksam und unterrichtete ihn daraufhin von 1944 bis 1947/48. Janis gilt neben Gary Graffman und ein paar weiteren Pianisten als einer der wenigen „echten“ Schüler, die von Horowitz kontinuierlich unterrichtet wurden. Er begleitete Horowitz auf Konzertreisen und absolvierte in diesem Rahmen selbst etwa 50 Konzerte.
Seine wahrscheinlich wichtigste Prägung erhielt der aus Ungarn stammende Dirigent, anders als der Pianist nicht in den USA, sondern in Dresden, wo er von 1914 bis 1921 als Hofkapellmeister wirkte. In allabendlichen Opern- und Konzertdirigaten in der Dresdner Oper lernte er sein musikalisches Handwerk. In jenen Jahren arbeitete er viel mit Richard Strauss zusammen. Unter anderem dirigierte Reiner hier die deutsche Erstaufführung von „Die Frau ohne Schatten“.
Die Kombination der beiden Protagonisten dieser Einspielung führt dann auch zu einem ungemein kraftvollen inspirierten Vortrag. Sehr vital und virtuos im Zugriff vom Pianisten und Orchester. Pianistisch klingt das glänzend und perlend, sehr rhythmisch und sehr pointiert. Technisch sind da für uns keine Grenzen auszumachen, nur selten klingt es mal minimal eckig. Da ist die rhythmische Präzision nicht ganz so makellos wie bei Serkin oder den „Übertechnikern“ der heutigen Zeit, die jedoch viel mehr auf ein abgerundetes, weiches Spiel aus sind wie Marc-André Hamelin oder Emmanuel Ax. Die humorigen Passagen kommen überzeugend, nicht überzogen, genau wie die eher schlicht gehaltene Kantilene. Insgesamt wirkt die Darbietung extrem virtuos.
Dass das Chicagoer Orchester in jener Zeit hervorragend besetzt war, braucht nicht mehr erwähnt zu werden. Es überzeugt ebenso mit beherztem wie ultrapräzisem Spiel. Dass Reiner als Strauss-Kenner von der besonderen Bedeutung der Hörner (Strauss Vater war Hornist) weiß, hört man der Einspielung an, denn sie stehen beim gestrengen Mister Reiner unter besonderer Beobachtung. Sie klingen ausgezeichnet, was auch für die Cellogruppe und die Holzbläser gilt. Alle spielen enorm pointiert und transparent auf.
Das Orchesterzwischenspiel mit Durchführungscharakter, währenddessen das Klavier einmal längere Zeit zu schweigen hat, wird mitunter ziemlich lieblos runtergespielt, nicht so bei Fritz Reiner. Hier wird es zu einem „Highlight“ und klingt nach bestem Strauss. Die Pauke sucht immer wieder den Dialog mit Klavier und Orchester, hier ergibt sich geradezu ein spannendes Dreiecksverhältnis. Der Walzer klingt mit viel Schmelz aber doch völlig schmalzlos. Janis´ Spiel wirkt fast so energiegeladen wie bei Serkin, die von uns so betitelte „Scheinstretta“, weil sie eine Schlussstretta andeutet, dann aber bei doch noch ein besinnlicher Schluss folgt, gelingt in Chicago umwerfend virtuos.
Summa summarum hören wir hier einen ungemein substanzreichen Vortrag, weniger verführerisch als (männlich, darf man das überhaupt noch schreiben?) herb in Gestus und Klang, ohne jedoch die Lyrismen zu vernachlässigen. Begeisternd.
Der Klang, es handelt sich um eine der legendären „Living Stereo“-Einspielungen ist offen und sehr präsent. Die digitale Überspielung lässt das Original vielleicht etwas weicher klingen als es einmal war, im Grundzug bleibt der Klang vor allem knackig und frisch, sehr dynamisch und von fast holografischer Transparenz. Die Aufnahme wirkt noch klarer als die Digitalaufnahme von 1992 mit Argerich und Abbado. Es ist kaum Rauschen zu hören. Wir erfreuen uns an einem Klang, der einen fast schon vor Vitalität anspringt. Toll.
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5
Emmanuel Ax
Wolfgang Sawallisch
Philadelphia Orchestra
EMI
1996
19:09
Emmanuel Ax spielt das „haarige“ Stück ziemlich häufig. Die Pianisten, die es draufhaben, werden von den Veranstaltern auch gerne mit ihm angefragt. Es scheinen insgesamt nicht gerade viele zu sein. Es existieren mit Herrn Ax weitere Aufnahmen auf Video (z.B. beim HR mit Orozco-Estrade oder aus Berlin mit Andris Nelsons, auch die mit Sawallisch haben wir im Netz als Video erspäht). Es gibt auch noch mehrere Radio-Mitschnitte. Auf die Aufnahme vom Hessischen Rundfunk, die immer mal wieder gerne gesendet wird, kommen wir im weiteren Verlauf unserer Liste noch zurück.
Emmanuel Ax scheint sich in dieser Einspielung von 1996 auf der Höhe seiner Kunst zu befinden, denn er spielt seinen Part ebenfalls sehr profiliert und mit einem auffallend geschmeidigem Legato, dem man in dieser staunenswerten „Reinkultur“ nur noch bei Marc-André Hamelin begegnet. Auf der Kehrseite haben seine sf weniger Biss. Sein Ton ist besonders weich, sein Anschlag jedoch nicht teigig (wie so oft bei Barenboim) sondern brillant und in dieser Einspielung körperhaft. Sein Marcato klingt durchaus „markig“. An Kraft mangelt es ihm keineswegs. Dennoch erschien uns das Spiel von Frau Argerich noch brillanter und an rhythmischer Klarheit bzw. Schärfe noch ein wenig überlegen zu sein. Das Orchester spielt ebenfalls mit äußerster Geschmeidigkeit, kommt jedoch nicht ganz an die generöse Üppigkeit und Wärme der Berliner unter Abbado heran. Wahrscheinlich hat man in Philadelphia auch nicht alle verfügbaren Streicher für das Stück mobilisiert wie in Berlin. Das hindert in Philadelphia jedoch niemand daran, sehr lebendig zu spielen und bisweilen sogar pompös, wobei das sehr gut zu dem Stück zu passen will.
Insgesamt gefällt diese Einspielung auf ihre Art ebenfalls mitreißende Darstellung besonders durch ihre ungewöhnlich gelungene Geschlossenheit. Die Burleske wirkt weniger spannend als bei Serkin oder Janis, die Einspielung verblüfft aber durch ihre geschmeidige Gelassenheit und schon alleine durch ihre pure pianistische Potenz.
Der Klang der EMI-Aufnahme ist sehr klar, dynamisch, voluminös und offen. Sie ist heller timbriert und besonders die Streicher, aber auch der Rest des Orchesters klingen erheblich kühler als Berliner.
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5
Elisabetha Leonskaya
Gary Bertini
WDR Sinfonieorchester Köln
Capriccio
1989, live
19:32
Die Live-Einspielung aus Köln beginnt schwungvoll, wenn auch nicht überschwänglich. Besonders das gefühlvolle, klare Klavierspiel mit gut fokussiertem, ausgezeichnet tragenden Klang, einer sehr ausladenden Dynamik (prächtiges ff), klangvollem Legato und dem kräftigen Marcato begeistert. Das Orchester könnte demgegenüber ein wenig nuancierter spielen, weiß aber vor allem durch seinen farbigen, satten Klang ebenfalls mitzureißen. Besonders gefällt der enorm gespannte Spannungsbogen, der auch über die „Pseudostretta“ hinweg nicht abreißt. Im Gegenteil bisweilen wird er sogar noch zugespitzt. Gegenüber der Einspielung Argerichs fehlt insbesondere der freche Überschwang und gegenüber den Berlinern die luxurierende Brillanz und die noch nuancenreichere Dynamik. Das Spiel zu Silvester 1992 wirkt noch expansiver. Allzu groß sind die Unterschiede jedoch nicht.
Das funkelnde Klavierspiel gefällt ebenso wie das hervorragend klingende Orchester und die exzellente Aufnahmequalität mit dem zusätzlichen Luxus die CD auch als SACD abspielen zu können. Klasse!
Der Klang ist voll, rund, körperhaft und prall. Das klangsatte Orchester wirkt sehr transparent, Das Klavier wirkt sehr präsent und hat mit seiner enormen Durchschlagskraft gegenüber dem Orchester eine gewisse Tendenz zur Dominanz. Sein ff ist lauter als das ff des Orchesters. Der Gesamtklang ist brillant. Zudem kommen wir in den Genuss einer der bestklingenden Pauken lauschen zu dürfen.
Das Publikum verhält sich vorbildlich und lässt gerade nur so viel von sich hören, dass man die Live-Aufnahme verifizieren kann.
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5
Rudolf Serkin
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1955
17:19
MONO Auf die Unterschiede der beiden Einspielungen von Rudolf Serkin und Eugene Ormandy sind wir bereits bei der 66er Einspielung eingegangen. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Einspielung war Herr Serkin 52 Jahre jung. Man könnte jedoch, wenn man nur von seinem Spiel ausgehen würde, annehmen, dass er sich noch in seinen Zwanzigern befinden würde. Das Spiel ist absolut leidenschaftlich, enorm drängend und hoch spannend, aber doch differenziert und stimmig. Die Zusammenarbeit mit dem Orchester und dem Dirigenten erscheint bereits 1955 aus bruchlosem Verständnis zu resultieren. Wie im Rausch der Jugend, würde man meinen, spielt man hier.
Gegenüber vielen anderen Einspielungen klingt es hier geradezu wie eine Zusammenfassung. Ein Eindruck, der sich einstellt, weil man quasi ohne Punkt und Komma wie besessen musiziert. Ohne Luft zu holen. Atmen? Was für eine Zeitverschwendung ist das denn. Selbst die Kantilene gestattet kaum ein Innehalten. Dabei wird aber trotz des besessenen Spiels zwischen sostenuto und grazioso ganz fein differenziert, wie kaum in einer anderen Einspielung. Serkin spielt, darin dem Orchester gleich, enorm impulsiv, spannend und vorantreibend. Wir hören ein packendes Concertare bis zur Atemlosigkeit.
Eine beeindruckende Einspielung wie aus dem Augenblick geboren, frisch, rasant überschwänglich und agil. Das fratzenhaft Grimassierende der Burleske macht diese Einspielung ungeschminkt deutlich, deutlicher als die anderen Aufnahmen. Wie bereits dort erwähnt, erscheint uns die neuere umfassender in der Werkschau geraten und da auch die Klangqualität des 66er Jahrgangs die 55er (fast) deklassiert, raten wir dem Neuling in Sachen Burleske zur 66er. Dem Serkin-Fan oder dem, der es noch werden möchte, raten wir unbedingt zu beiden.
Der Klang der Aufnahme ist bereits erheblich voluminöser als bei Arrau (der ebenfalls außerordentliche pianistische Fähigkeiten mitbringt) und viel besser konturiert. Sie ist sogar bereits körperhaft zu nennen. Die Aufnahme von Margrit Weber und Ferenc Fricsay aus demselben Jahr wird an Transparenz und sinnlichem Vergnügen auch ein wenig übertroffen. Gegenüber der 66er klingt sie jedoch immer noch trocken und ist auch in allem anderen Kriterien klipp und klar zweite Wahl.
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5
Jean-Yves Thibaudet
Herbert Blomstedt
Gewandhausorchester Leipzig
Decca
2004
19:00
Bei dieser Einspielung haben wir uns einen vergleichenden Blick in den gleichen Konzertsaal nur 17 Jahre später erlaubt (das Gewandhausorchester spielt da unter Andris Nelsons mit Yuja Wang zusammen). Der Vergleich geht und da werden alle, die an den Fortschritt mit der Zeit glauben sollten, enttäuscht sein, eindeutig zugunsten der älteren Produktion aus.
Schon gleich zu Beginn klingt es vitaler, beschwingter, beherzter und mit mehr Schmelz und Brillanz. Dann, wenn das Klavier einsetzt, gilt das Gleiche auch für das Klavier. Das klingt 2004 auch differenzierter. Die Dynamik beim Pianisten könnte dabei auch 2004 noch ein wenig weiter gespannt sein und das Marcato klingt lange nicht so wuchtig und markant als bei Serkin oder weiter unten in unserer Liste bei Richter. Dem setzt Jean-Yves jedoch seine hohe Anschlagskultur, seine perlenden Läufe und seinen brillanten Ton mit der eleganten Phrasierung entgegen. Das Leggiero kann man (wie schon beim Vergleich des Ravel-Konzertes) erneut als seine Paradedisziplin bezeichnen. Das macht die mitunter letzte Attacke und den geringen Biss in sf und Marcato wieder wett. Das ist buchstäblich eine runde Sache und würde ähnlich wie bei Herrn Ax klingen, wenn Thibaudets Ton nicht deutlich brillanter wäre. Das Leipziger Orchester klingt aufgeweckt, frisch und sonor, ist immer nah dran an seinem Solisten. Es spielt bissiger als bei Nelsons und klingt weicher und erheblich sonorer. Das wird in erster Linie nicht am Orchester selbst liegen, sondern an der sich zurückentwickelnden Klangtechnik.
Die unaufdringliche, locker und geschmeidig wirkende Virtuosität Thibaudets erscheint bei Blomstedt und dem Orchester auf großes Entgegenkommen zu treffen, denn das gemeinsame, stimmige Musizieren steht im Vordergrund, keineswegs die One-Man-Show des Solisten.
Der Klang von 2004 ist voller, körperhafter, weicher, üppiger, runder, wärmer und satter als 2021. Das gilt für das Orchester und für den Flügel. Der Flügel wird zu alldem noch gegenüber dem Orchester nach vorne gezogen, womit Herr Thibaudet gegenüber Yuja Wang schon von der Aufnahmetechnik einen großen Vorsprung erhält, der musikalisch kaum kompensierbar erscheint.
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5
Joseph Moog
Nicolas Milton
Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Onyx
2016
18:54
Während sich das Orchester seit der Gesamtaufnahme der Bruckner-Sinfonien mit Stanislav Skrowaczewski einen guten Ruf auch über die Grenzen des Sendegebietes hinaus erworben hat, sollten wir sowohl den Pianisten als auch den Dirigenten noch kurz vorstellen, wobei wir den Pianisten Joseph Moog bereits mit einer sehr guten Einspielung des „Totentanzes“ von Franz Liszt kennengelernt haben und natürlich auch in unserem Werkhintergrund, wo wir seine Analyse der Burleske für den WDR zitiert haben.
Der Pianist Joseph Moog wurde 1987 in Ludwigshafen geboren, hat in Karlsruhe, Würzburg (bei Bernd Glemser) und Hannover (bei Arie Vardi) studiert und wurde bei den Gramophone Classical Music Awards, bei den International Classical Music Award sowie etlichen weiteren Wettbewerben ausgezeichnet. Neben dem Standardrepertoire setzt er sich gerne auch für Raritäten ein (Godowsky, Busoni, Rubinstein, Reger) und komponiert auch selbst.
Der Australier Nicholas Milton ist „nur“ Gastdirigent der Deutschen Radiophilharmonie, arbeitete aber zur Zeit der Aufnahme in beinahe fußläufiger Entfernung bis Ende der Spielzeit 2017/18 als Generalmusikdirektor und Chefdirigent am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. Zur Saison 2018/19 wurde er neben seiner Tätigkeit in Australien der neue Chefdirigent des Göttinger Symphonie-Orchesters. Danach wechselte er nach Klagenfurt (Kärnten).
Herr Moog stellt sich in der Burleske mit kräftigem Bass, hellem, frischem und strahlendem Diskant und perlenden Läufen vor. Milton ist ihm mit dem Orchester, das ungemein aufmerksam und „auf Zack“ wirkt ein hellhöriger Begleiter und Mitgestalter. Auch das Orchester erweist sich als bestens vorbereitet, spielt mit seinen hervorragenden Holzbläsern und den geschmeidigen Streichern (ungemein singende Celli in der Kantilene) fast in einen Rausch. Jedenfalls scheint man sich, der Pianist uns das Orchester, gegenseitig befeuert zu haben. Wir werden Zeugen eines bestens aufeinander abgestimmten Concertare, das auch die ausgezeichnet aufgenommene Pauke hautnah mit einbezieht. Das wirkt feurig und empathisch, sodass die gesamte Bandbreite der Burleske sehr gut rübergebracht wird. Von versonnen bis keck-aufmüpfig ist alles dabei. Die Einspielung erinnert in allerlei Details an die Produktion Thibaudets, wirkt aber noch etwas schlanker. Das Orchester gefällt dieses Mal besonders gut. Nach der Pauke bei den Berliner Philharmonikern hören wir mit die beste Pauke überhaupt. Es fehlt dem Pauker weder am Mitfiebern noch am rechten Biss.
Insgesamt hören wir eine sehr ausdrucksvolle Darbietung mit einem großartigen Solisten und einem ungemein engagierten Orchester, die die ganze Bandbreite an Emotionen, die das Stück zu bieten hat, in die Waagschale wirft.
Der Klang der Aufnahme ist sehr klar und plastisch, sehr gut konturiert und mit einer sehr guten Tiefenstaffelung ausgestattet. Schlank, farbig und lebendig lässt diese sehr gute Aufnahme eigentlich keine Wünsche offen.
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5
Ludwig Hoffmann
Bernhard Klee
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, bisher unveröffentlicht
AD? live
18:45
Der Bayerische Rundfunk hat seinen Sitz bekanntlich in München. Da Richard Strauss ein „Sohn der Stadt“ ist, hat man beim BR anscheinend ein ganz besonderes Auge auch auf die Burleske geworfen. Bei unserer kleinen Recherche sind uns sechs Einspielungen, teils sogar mit Fernsehaufzeichnung begegnet, wovon wir ausgerechnet von dieser kein Entstehungsdatum ausfindig machen konnten. Außer Hoffmann/Klee waren dabei zu entdecken: Arrau/Dixon/1957, Buchbinder/Maazel/ 2001, Buchbinder/Gatti/2014, Trifonov/Jansons/2017, Gerstein/Alan Gilbert/2022.
Ludwig Hoffmann überzeugt auf der ganzen Linie. Sein Zugriff ist flott, frisch, expressiv und brillant. Sein Anschlag ist sehr gut konturiert aber flexibel, nicht teigig aber auch nicht hart. Das Spiel wirkt ungemein sauber, locker und vor allem sehr pointiert. Ihm nimmt man den imaginären jugendlichen Protagonisten der Burleske sofort ab. Uns erschien sein Spiel nahezu perfekt und es gefiel besser als das von Buchbinder oder Gerstein, um einmal beim BR zu bleiben. Das Orchester spielt mit viel Gefühl hat mehr Energie für die Passagen mit packendem Biss als die meisten anderen Einspielungen und lässt die Kantilene und den Walzer weniger gefühlig wirken. Liszt liegt dieser Burleske näher als Brahms. Entsprechend straff und temperamentvoll klingt es auch. Es handelt sich um die weitaus „straffste“ aller uns bekannten Einspielungen des BR. Das aufgeweckte Orchesterzwischenspiel (von O bis R) klingt sehr bewegt. Details werden sehr gut aufeinander abgestimmt, das Zusammenspiel wirkt kammermusikalisch. Die Soli und die beiden „quasi Kadenzen“ beeindrucken und machen einen inspirierten Eindruck. Wieder ein Pianist der Extraklasse an den die Plattenindustrie nahezu übergangen hat. Wer kennt den Pianisten heute noch? Eine aus unserer Sicht absolut plattenreife Darstellung der Burleske. Man hat aber vor kurzem beim BR eine andere gewählt um ihr zu Plattenehre zu verhelfen. Das war die gleich im Anschluss gelistete erheblich neuere mit Daniil Trifonov und Mariss Jansons.
Der Klang der Analogaufnahme (wir schließen aus dem vernehmbaren Rauschen, dass es sich um eine Analogaufnahme handeln müsste) wirkt sehr offen, frisch und transparent. Die Präsenz gefällt ganz besonders. Auch die Staffelung des Orchesters und die Balance von Flügel und Orchester überzeugen voll und ganz. Das Ganze wirkt straff und dynamisch. Diese Aufnahme wurde von uns während des ARD-Nachtkonzertes mitgeschnitten. Die Aufnahme klingt besser als die BR-Produktionen von Buchbinder/Maazel und Gerstein/Gilbert und ganz anders als Trifonov/Jansons, allesamt Digitalaufnahmen, wie man am Fehlen des Rauschens bemerken kann.
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5
Daniil Trifonov
Mariss Jansons
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, inzwischen veröffentlicht
2017, live
26:00
Diese Darbietung haben wir während der Direkt-Konzertübertragung aufgenommen. 2020 hat der BR die Aufnahme auf CD veröffentlicht. Die CD kennen wir jedoch nicht, und da eine Bearbeitung der Konzertaufzeichnung mit den Proben- und den beiden weiteren Konzertmitschnitten von den Abenden bei denen nicht übertragen wurde, bei der Erstellung einer Live-CD nicht unüblich ist, können wir eine Identität der CD mit der Konzertübertragung nicht bestätigen.
Der bei der Aufführung 26 Jahre junge Pianist war begeistert von der Zusammenarbeit mit Mariss Jansons und dem Orchester. Er hob hervor, dass man bei der ersten Probe das ganze Stück bereits ohne Unterbrechung durchspielen konnte, was sensationell gewesen wäre, da das Zusammenspiel mehr als heikel sei. Auffallend seien für ihn die mäßigen Tempi gewesen, die Maestro Jansons vorgab. Er hätte das Stück kurz zuvor bereits (das erste Mal für ihn) in Madrid gespielt. Auch Herr Trifonov bestätigt, dass das Stück nicht gerade pianistisch geschrieben worden sei. Die linke Hand müsse viel springen und es sei oft nicht klar, welche Hand zu führen hätte, welche denn nun Melodie und welche die Begleitung übernehme. Beide Hände würden sich völlig unabhängig voneinander entwickeln. Auch der Virtuose Trifonov bestätigt, dass der Anfang der Burleske „erschreckend“ sei, da man keine Chance hätte, sich zuvor ein wenig einzuspielen. Gleich mit der ersten Note müsse man volle Power geben. In den lyrischen Passagen wäre viel Brahms mit drin, von Liszt würde das 1. Klavierkonzert mitunter hervorgucken. Besonders in harmonischer Hinsicht stecke aber viel Strauss drin. Das „con umore“ meine ein teuflisches Lachen und wäre eine Art Leitmotiv. Der Humor wäre jedoch kein freundlicher, sondern eher sarkastisch gemeint. Das Werk würde aus seiner Sicht viel vom Zusammenspiel mit dem Orchester leben. Soweit des Pianisten Antworten im Pausengespräch zusammengefasst.
Er meinte überdies noch, dass das Stück nicht unüberwindlich schwer sei und es sei auch nichts Unüberwindliches drin. Nicht so wie bei Prokofievs zweitem. Man müsse jedoch sehr präzise spielen. Das natürlich fließende, mäßige Tempo von Maestro Jansons gefalle ihm sehr. Kontinuität sei sehr wichtig, sonst könne viel schief gehen. Das Tempo lasse es zu, viele Feinheiten zu bringen, die sonst verloren gehen würden.
Trifonovs Darstellung spielt sich dann in den Tempi von Herrn Jansons ab. Er weiß diesen gewonnenen Spielraum weidlich zu nutzen und eine ungewohnte, in Details oft nicht vorhersehbare, überraschende Darbietung ist die Folge. Der junge Mann spielt sagenhaft gut Klavier, das kann man zudem vorausschicken und er lässt sich durch nichts in Verlegenheit bringen. Seine Darstellung wirkt jugendlich-elastisch, kühl strahlend, blank geputzt und sehr konturenscharf, garniert mit fast schon impressionistischem Klangzauber. Sehr flexibel und poetisch in den lyrischen Abschnitten bleiben andererseits die Grimassen des Schalks nur wenig geschärft und zugespitzt erkennbar. Das Tempo Jansons´ wirkt dazu ein wenig zu ruhig, wenig dringlich und hat kaum etwas draufgängerisches. Das Orchester, es ist auch dieses Mal wieder eines der allerbesten, spielt trotz des sehr mäßigen Tempos beherzt, zeigt wie gewohnt bestes Zusammenspiel und klingt einfach ganz ausgezeichnet. Der Klavierklang ist sehr brillant, der Anschlag sehr klar und präzise, dabei nicht unnötig hart. Was jedoch ganz ungewöhnlich ist, ist der Blickwinkel den man nun von Mariss Jansons geführt einnimmt. Er blickt quasi aus einem viel späteren Zeitpunkt des Lebens von Strauss auf die „Jugendsünde“ der Burleske zurück. Der Unterton ist nun viel melancholischer, mitunter gar traurig, sehr wienerisch, wenn man so will. Mit Bedauern zurückblicken. Der Blick wird nach innen gewendet, als ob das Äußerliche bereits überwunden wäre. Unser jugendlicher Held ist sozusagen bereits altersweise geworden. Jansons spürt auch (aber natürlich nicht nur) im bereits mehrfach erwähnten Orchesterzwischenspiel (von O bis R) jedem Ton auffallend nach und lässt ihn auf sich und uns wirken. Eine sehr intensive, liebevolle Gestaltung, die ihre Spuren hinterlässt und die man so schnell nicht vergisst, nicht nur weil sie sich von fast allen anderen Einspielungen deutlich absetzt.
Der Walzer atmet schon ganz deutlich die Luft des „Rosenkavaliers“, so verhalten gespielt wird bereits, wie erwähnt, viel Bedauern, Verlust und Schwermut spürbar. Wenn man schon als junger Mensch die Erfahrungen des alten hätte…. Ob Strauss bei der Komposition als 21jähriger bereits so dachte? Manche Passage wirkt gegenüber dem Üblichen fast wie in Zeitlupe genommen, als ob Jansons Celibidaches Erbe angetreten hätte. Die Kantilene wird bis zum Letzen ausgekostet, aber irgendwie auch in Frage gestellt. Denn es scheint, als ginge es kaum noch weiter. Bis dann die wütende „Pseudostretta“ einsetzt. Die Dekomposition gegen Ende des Stückes wirkt dann allerdings für unser Empfinden, das sich aber aufgrund von über 25 zuvor gehörten schnelleren Vergleichsaufnahmen gebildet hat, zerdehnt.
Insgesamt wirkt diese Aufführung aus dem Blickwinkel des reifen, bereits auf das Leben zurückblickenden Strauss vielleicht doch unidiomatisch, vielleicht sogar exzentrisch, in jedem Fall aber eigenständig. Musikalisch wirkt sie jedoch ungemein überzeugend, gar bezaubernd. Auf die Hochspannung des Jugendwerks à la Argerich, Serkin oder Janis muss man jedoch verzichten. Hier erklingt die Burleske als ein reifes Meisterwerk. Wer wollte sich dieser Beförderung widersetzen?
Noch ein Wort zum Klang der Übertragung im 5.1.-Format. Er ist offen, brillant, weit gefächert, voll und abgerundet, fast füllig, aber sehr klar und weist warme Klangfarben auf. Das Klavier klingt präsent, insgesamt recht prominent, aber nicht vorlaut. Von allen Rundfunkmitschnitten klingt dieser mit der alten Hoffmann/Klee-Aufnahme gemeinsam am besten.
Es ist sehr bedauerlich, dass man bei BR-Klassik wieder dazu übergegangen ist, den Klang des prächtigen Orchesters für den Tonträger, für den man Geld vom Kunden haben möchte, auf zwei Kanälen einzusperren, während man bei den Konzerten (von den Rundfunkgebühren, die man sowieso zahlen muss einmal abgesehen) sozusagen gratis in den Genuss eines satten Surround-Klangs kommt. Diese Bemerkung bitte nicht als Vorwand zum Abschaffen des Surround-Klanges nehmen, schlimm genug, dass man dies beim Nachbarsender ORF so gemacht hat, sondern bitte wieder SACD produzieren!
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4-5
Marc-André Hamelin
Ilan Volkov
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB)
RBB, auch auf Hyperion
2010
19:23
Wie die zuvor genannte Einspielung des BR wurde auch diese Einspielung eines ARD-Klangkörpers auf CD veröffentlicht. Sie ist auf der Nr. 58 der Reihe „The Romantic Piano Concerto“ enthalten. Da wir diese Einspielung während einer Sendung des RBB aufgezeichnet haben, wissen wir nicht, ob es sich um eine von Kräften des Rundfunks getätigte eigene Aufnahme handelt oder die Aufnahme von Hyperion, die von eigenen Technikern aufgenommen wurde, gesendet wurde. Letztere stammte jedenfalls aus dem Haus des Rundfunks. Publikum war bei dieser Aufnahme jedenfalls nicht zugegen, zumindest wurde keines bemerkt.
Das federnde, ungemein saubere, präzise und unaufdringlich virtuose Spiel Hamelins wirkt in seinem durchaus jugendfrischen Zugriff spielerisch und gelöst. Der kanadische Pianist wirkt technisch noch nicht einmal herausgefordert, so locker und geschmeidig hört sich sein Spiel an. Den Eindruck, die Burleske scheint schwierig zu sein oder jemals gewesen zu sein, stellt sich bei ihm nicht ein. Bei ihm hört man jeden Ton, da wird nicht geschummelt. Das klingt höchst brillant, das p und das pp kommen perfekt, genau wie das lupenreine Legato. Allenfalls könnte man den Klavierklang zu weich finden, den Anschlag zu wenig kernig oder dass eine gesunde Härte fehle. Den Höhepunkten fehlt dann ein wenig die Vehemenz, die bei anderen dann doch noch aufblitzt (Trifonov, aber auch bei Argerich, Serkin oder Janis). Bei Hamelin überwiegt der weiche „Perlglanz“. Seine warm-funkelnde Gangart wirkt erdverbunden und nicht abgehoben. Es fehlt dem einen oder anderen vielleicht die Würze, aber auch die Süßspeisen schmecken gut. Das Orchester ist ebenfalls bestens vorbereitet. Man könnte nicht sagen, dass es den anderen Berliner Top-Orchesters in irgendeiner Form nachstehen würde. Es klingt nach Samt und Seide.
Das Klangbild wirkt sehr transparent und weiträumig. Das Klavier weich, sonor und brillant, das Orchester zudem farbenreich, detailreich und mit einer tiefen Staffelung versehen. Vollmundiger Gesamtklang.
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4-5
Francesco Piemontesi
Marek Janowski
Dresdner Philharmonie
Deutschlandfunk, bisher unveröffentlicht
2023, live
20:25
Auch Francesco Piemontesi wurde vor der Übertragung des Konzertes nach seinem Umgang mit der Burleske gefragt. Es meinte, er spiele sie sehr gerne und ziemlich oft, obwohl sie höllisch schwer sei. Sie werde mittlerweile oft von ihm nachgefragt, weil sie nicht viele Kollegen und Kolleginnen im Repertoire hätten. Die Burleske sei „voller Poesie und Witz“ und sie stelle das abendländische Konzert auf den Kopf. Er meint, dass besonders aus der ersten Ballade von Brahms die Weitsicht und die weihevolle Stimmung auf´s Korn genommen werden würde, genauso wie der so gerne verwendete verminderte Akkord generell. Pianistisch blitze bereits Rachmaninov und Prokofiev auf, der Walzer sei eine Reminiszenz an eine vergangene Welt. Die Burleske sei ein „Antikonzert mit Respekt vor der Vergangenheit“. Auf eine komplizierte und verfeinerte Art würde die Kunst des Andeutens perfektioniert.
Janowski gibt zu Beginn ein sehr flottes Tempo vor, das im Verlauf jedoch nicht ganz gehalten werden kann. Piemontesi kommt in seinem Vortrag dem rhapsodischen recht nah und ist dem verlebendigenden Rubato nicht abgeneigt, er kann mit dem Tempo spielen und erzeugt viel Spannung, spielt klar, mit wenig Pedal und sein Flügel klingt voll und rund. Sein Vortrag wirkt auf uns zudem flexibel und charmant. Das Orchester wirkt nicht immer ganz präzise, klingt aber sehr voll, fast süffig. Das Holz wirkt bisweilen etwas vorwitzig und etwas zu laut, der Vorteil dabei: Es wird dadurch immerhin sehr deutlich. Die Kantilene klingt in dieser Darbietung beim ersten Auftauchen bezaubernd, beim zweiten Mal schon deutlich ironischer. Der Vortrag pendelt sehr schön zwischen lebendig und verinnerlicht, wirkt insgesamt sehr musikalisch mitunter sogar pulsierend und swingend.
Der Klang der Übertragung in 5.0 Technik (fünf separate Kanäle ohne Subwoofer-Kanal) lässt das Klavier etwas nach hinten versetzt, aber sehr schön vom Orchester umgeben hören. Der Gesamtklang ist voll, weich, geschmeidig und sehr transparent. Dass Deutschlandradio Kultur in der Datenrate deutlich draufgesattelt hat, während viele ARD-Anstalten darin abspecken, fördert bei uns Sympathien, denn es ist deutlich zu hören, dass der Klang an Natürlichkeit und Fülle, auch an Abbildungsgenauigkeit und Dynamik gewonnen hat.
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4-5
Leonard Pennario
Seiji Ozawa
London Symphony Orchestra
RCA
1966
20:12
Leonard Pennarios Flügel klingt etwas weniger brillant, was jedoch auch an der RCA-Klangqualität in der Zeit nach der „Living-Stereo“-Ära liegen kann. Sein Spiel wirkt jedoch sehr differenziert, rhythmisch genau und überhaupt sehr souverän. Der Gestus wird mit dem schlank, transparent, sehr differenziert und leidenschaftlich frisch aufspielenden Orchester sehr gut getroffen. Die Pauke wird klangtechnisch prominent unter die Lupe genommen. Dass Ozawa die Hörner genau im Blick hat (z.B. ab K) ist dabei das i-Tüpfelchen. Ganz so umwerfend überschwänglich wie bei Argerich/Abbado geht es allerdings nicht zu. Pennario spielt den jugendlich-forschen Aplomb nicht voll aus, sondern bleibt sachlicher. Er lässt sich von der Romantik des Stückes nicht überwältigen. Kühl oder zurückhaltend wirkt sein Spiel deshalb jedoch nicht. Die „Schein-Stretta“ ist eine der brillantesten überhaupt. Sehr schade, dass man bei RCA dem hochtalentierten Pianisten (außer das Schumann-Konzert) keine weiteren Konzert-Klassiker aus dem mitteleuropäischen Bereich anvertraut hat.
Brillanter Pianist, brillantes Orchester, besinnliches Finale.
Der Klang der Aufnahme ist weiträumig und sehr transparent. Die Balance von Klavier und Orchester ist sehr ausgewogen. Die Aufnahme ist nicht ganz frei von ganz leichtem Analog-Rauschen.
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4-5
Malcolm Frager
Rudolf Kempe
Staatskapelle Dresden
EMI
1975
19:40
Der US-amerikanische Pianist wartet mit versierter Diktion und natürlich wirkender Dynamik auf. Er donnert und plustert nichts auf, erreicht aber einen recht energischen Vortrag. Die Kapelle wartet auch in der Burleske mit ihrem warmen und „sonnigen“ Streicherklang auf, den wir auch von den Aufnahmen der sinfonischen Dichtungen sehr gut in Erinnerung haben (z.B. Till Eulenspiegel!). Das Orchester überrumpelt nicht, bleibt aber immer „am Ball“. Das Zusammenspiel vom Pianisten und Orchester wirkt nahtlos. Die Pauke erklingt in natürlich wirkender Distanz, klingt also nicht wie vom Präsentierteller, wird so aber auch weniger ihrer hier ganz besonderen Rolle als konzertierendes Element gerecht. Gerade die lyrischen Passagen werden einschmeichelnd und mit großer Wärme vorgetragen. Sehr schön gelingen auch die Cello-Passage in der Kantilene, die Kempe von allen Celli spielen lässt (vor M) und der Walzer.
In dieser Einspielung wirken nicht die einzelnen gelungenen Details, sondern der natürliche Fluss des Ganzen. Details werden zwar nicht überspielt, man wird aber auch nicht mit der Nase darauf gestoßen. Eine Einspielung von Könnern für Kenner.
Der Klang der Aufnahme wirkt sauber und transparent. Der Flügel wird deutlich vom Orchester abgegrenzt und mit einem schönen „Halo“ umgeben, den das Orchester nicht bekommen hat. Es spielt im weiten Halbrund dahinter. Die Pauke wirkt etwas zu distanziert. Insgesamt wird eine natürlich wirkende „Halbdistanz“ eingenommen, nicht so präsent wie bei Janis oder Chamayou aber auch nicht zu distanziert. Ein guter Überblick wird gewährt. Dynamisch bleibt man hinter Argerich/Abbado oder auch Ax/Sawallisch weit zurück. Der Klang wirkt aber insgesamt angenehm und besser wie der teilweise klirrende Flügel-Klang bei Edelmann/Berglund. Insgesamt dieses Mal keine Hochglanz-Produktion aus dem Hause VEB-Deutsche Schallplatten in Co-Produktion mit EMI.
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4-5
Claudio Arrau
Désiré Defauw
Chicago Symphony Orchestra
Columbia, Naxos, Camden, Intense Media, Arlecchino
1947, live
18:26
Nach seiner Zeit bei Columbia war Claudio Arrau noch viele Jahre bei Philips unter Vertrag. Leider ist in dieser Zeit nach unserem Kenntnisstand keine weitere Einspielung der Burleske entstanden. Es gibt allerdings auf YouToube noch einen Mitschnitt mit dem SO des BR (erneut!) unter Dean Dixons Leitung von 1957. Die Einspielung Arraus von 1947 leidet unter ihrer historischen Klangqualität, so klingt die Pauke im pp eigentlich fast genauso laut wie im ff. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der ersten Serkin-Einspielung von 1955 ist der Arrau-Aufnahme nicht abzusprechen. Auch Arraus Zugriff auf die Burleske wirkt vorbehaltlos vorantreibend, jugendlich-stürmisch und außerordentlich kraftvoll. Sehr rhythmisch und virtuos, zudem durch die Technik wahrscheinlich noch perkussiver im Klavierklang wirkend als in realiter geht es bei Arrau zu. Das Chicagoer Orchester spielt straff geradeaus mit viel Marcato und wenig Sinn für die gefühlvollen Seiten der Partitur. Die pianistische Seite wirkt demgegenüber interessanter, denn sie klingt, wenn uns die antiquierte Technik nicht „übers Ohr haut“, treffsicher und sehr athletisch geprägt. Leider wird die Pauke als konzertierender Partner (oder Gegner) kaum hinreichend wirksam.
In Anbetracht des Alters der Aufnahme erstaunt die außergewöhnliche Perfektion des Klavierspiels und der sagenhaft virtuose „himmelsstürmende“ Zugriff des Pianisten.
Leider fördert die Klangqualität keine zusätzliche Akzeptanz der Einspielung. Das Klavier klingt hart, „klimpernd“ und bisweilen schrill. Die Virtuosität wirkt schneidend. Die Dynamik steht nur in der Partitur, ist jedoch nicht wirklich hörbar. Ein sinnlicher Klang wird nicht erfahrbar.
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4-5
Nelson Goerner
Mikko Franck
Orchestre Philharmonique de Radio France
Alpha
2020
19:55
Der Vortrag des argentinischen Pianisten gehört mit dem eines Emmanuel Ax (vor allem in Frankfurt) und einigen anderen zu den eher lyrisch geprägten. Sein Anschlag ist jedoch heller und etwas brillanter und seine Rhythmik wirkt aufgeweckter. Die Korrespondenzen zwischen ihm und dem mit Wärme und zugleich schlank aufspielenden Orchester gelingt gut. An den Glanz und den Schmelz der Berliner kommt es jedoch bei weitem nicht heran. Es wirkt etwas schwerfälliger und nicht mit der ansatzlosen Dynamik gesegnet wie wir sie bei Abbado hören können. Die humoristischen Passagen gelingen sehr gut, wenngleich sie vielleicht doch weniger diabolisch als neckisch wirken. Goerner versteht es auch sehr gut bei der Kantilene, wie Rudolf Buchbinder meinte, „auf die Tränendrüse zu drücken“. Auch gelingt es ihm sehr gut den Wiener Walzer wieder aufleben zu lassen, während es einem Chamayou besser gelingt die Reminiszenzen an Franz Liszt aufblitzen zu lassen. Mikko Francks passagenwiese süffiges Auskosten mit gespielt protziger Attitüde passt ebenfalls sehr gut zum Werk. Die feurigen Temperamentsausbrüche gelingen ihm jedoch weniger. Auch den großen Bogen, den ein Abbado dem Werk angedeihen lässt, konnten wir nicht erkennen. Das Stück zerfällt mehr in einzelne Episoden.
Die Aufnahme wirkt ähnlich klar und ausgewogen wie die Einspielung von Frager und Kempe. Klangfarben und Tiefenstaffelung sind gut. Das Orchester wirkt sehr transparent und eher warm getönt als kühl oder gar hart.
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4-5
Hélène Grimaud
David Zinman
Deutsches Sinfonieorchester Berlin (DSO)
Erato
1995
21:24
Die Einspielung beginnt mit einer glasklar eigefangenen, butterzart angeschlagenen und bestens konturierten Pauke, die im Verlauf durchaus den Status eines konzertierenden Instruments erhält. Das haben die Verantwortlichen sehr gut realisiert. Bravo! Madame Grimaud spielt nicht mit dem pianistisch bestechenden, wild-burschikosen ungemein virtuosen Zugriff von Martha Argerich. Sie geht viel mehr in eine Legato-Spielweise hinein. Ihr Klavierklang ist weniger sonor als etwas gläsern aber recht brillant. Sehr gefühlvoll gelingen ihr die lyrischen Abschnitte, weniger drängend die wilden. Stets geschmeidig und anmutig, die Kantilene sehr klar und perlend. Der Klavierpart klingt weniger spannend und kraftvoll, wird aber mit bisweilen versonnener dolce-Manier und Ironie dargeboten. Die Orchesterdurchführung (auch schon mal „Zwischenspiel“ genannt), die andere oft ziemlich unsensibel „durchschlagen“ wirkt bei Zinmal kundig und in „Don Juan“-Manier vorangetrieben. Das Orchester gefällt sowieso mit Schwung und Eleganz. Der Orchesterpart wird in äußerster Klarheit kompetent und generell in (vielleicht zu) großer Gelassenheit offengelegt. Wenn Goerners Spiel von Brahms inspiriert war und Chamayous von Liszt, so wäre das von Hélène Grimaud von Chopin inspiriert, denn ihre Stärken liegen zweifellos im lyrisch-versonnenen und innigen.
Die Aufnahme lässt das Orchester in einem sehr breiten Klangbild hören. Die Balance von Flügel und Orchester ist gut. Es klingt weder zu präsent noch besonders distanziert, man erreicht einen guten, den Überblick wahrenden Zwischenweg.
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4-5
Gerhard Oppitz
John Fiore
Düsseldorfer Symphoniker
Hänssler
2001, live
18:04
Ganz anders verhält es sich in der Einspielung mit Gerhard Oppitz. Er lässt zusammen mit den quicklebendigen Düsseldorfern die Temperaturen der musikalischen Darbietung sogleich höher steigen. Einen anspringenden Impetus hören wir vor allem vom Orchester, das kultiviert und rasant aufspielt. Das liegt vor allem daran, dass das Klavier akustisch benachteiligt wirkt. Dennoch weiß sich Oppitz zu behaupten. Seinem Klavierklang wurde auch nicht die Brillanz z.B. eines Joseph Moog zugebilligt aber er versteht es, den Hormonspiegel mit seinem kraftvollen Spiel hochzuhalten. Das Orchesterzwischenspiel wird dann wieder mit kräftigen Akzenten versehen, an denen es auch der Pianist nicht fehlen lässt. Überhaupt bringt das Orchester schöne Übertreibungen mit ein. Das immer eloquenter werdende Klavierspiel steigert sich mit zunehmender Spieldauer deutlich. Im Concertare wirkt diese Einspielung hingegen ein wenig weniger hellhörig als andere, was auch dem deutlich weniger transparenten Klangbild geschuldet sein dürfte. Diese Einspielung wirkt dennoch sehr emotional und mehr als angemessen widerborstig, aber leider hinkt die klangtechnische Realisierung der musikalischen deutlich hinterher.
Das Klavier ist nämlich gegenüber dem Orchester zu leise abgemischt worden, zudem wird es deutlich ins Orchester eingebettet und dann fehlt es generell an der gebotenen Transparenz. So wirkt der Klang deutlich pauschaler und matter als z.B. bei der DRP und Joseph Moog. Von der Anwesenheit des Publikums bekommen die Hörenden nichts mit.
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4-5
Daniel Wayenberg
Christoph von Dohnanyi
Philharmonia Orchestra London
CNR-EMI
1963
19:19
Der niederländische Pianist hat uns bereits mit seiner Aufnahme der „Rhapsody in Blue“ sehr gut gefallen. Auch bei der Burleske gefallen sein brillanter Klavierklang, seine gute Legato-Kultur und die lockere und geschmeidige Spielweise, der es auch an Kraft keineswegs fehlt. Dabei macht Herr Wayenberg noch nicht einmal einen geforderten Eindruck. Das Pedal nutzt er im Vergleich reichlich, seine Verwendung wird aber in der Partitur auch ein ums andere Mal gefordert. Die meisten Pianisten machen jedoch sparsamer Gebrauch davon als Herr Wayenberg. Sein Ton wirkt dann manchmal ein wenig verschwommen, meist jedoch kernig und trocken. Auch das Orchester spielt geschmeidig, leider fehlt den Violinen etwas der Schmelz gerade um die Wiener-Walzer-Seligkeit ungeschmälert oder noch besser ironisch gebrochen oder übertrieben auszudrücken. Ansonsten ist die Lesart von Christoph von Dohnanyi akribisch genau ohne es an den passenden Momenten an Druck und Biss fehlen zu lassen. Die Pauke wird als konzertierendes Element nicht besonders herausgestellt.
Insgesamt ist dies eine druckvolle und nuancenreiche Darstellung der vollgriffigen Textur mit einem sehr guten „gewissenhaften“ und musikalischen Orchester. Der Gestus wirkt generell nicht übertrieben jugendlich-frech aber unternehmungslustig und lebendig.
Wir haben die EMI-Einspielung mittels einer niederländischen CD-Wiederauflage wahrscheinlich aus den 80er Jahren gehört. In den Niederlanden ist der Pianist verständlicherweise noch immer am populärsten. Der Klang ist nicht frei von „Digitalitis“ und wirkt zudem leicht hallig und sehr weiträumig, so wie es die Aufnahme im EMI-Original von 1963 wahrscheinlich nicht war. Das Orchester wirkt distanziert. Das niederländische Remastering eliminiert das Rauschen restlos. Der Gesamtklang wirkt etwas hart, das Orchester im ff leicht verschwommen.
Mit Christoph von Dohnanyi liegt auch ein Video von 1977 vor, in dem er die Burleske gemeinsam mit der Wiener Philharmonikern und Rudolf Buchbinder als Solisten aufführt und dabei (natürlich) auch zu sehen ist (auf YouTube).
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4-5
Ewa Kupiec
Leo Sibersky
SWR Sinfonieorchester Baden Baden und Freiburg des SWR
SWR, bisher nur in der Mediathek veröffentlicht
2012, live
19:28
Ähnlich der Einspielung von Hélène Grimaud wirkt auch Ewa Kupiecs Spiel farbig, rund, geschmeidig und wunderbar perlend. Den lyrischen Partien bekommt der warme Klavierton mit dem innig gespielten Legato besonders gut. Obwohl sich Frau Kupiec erfolgreich um eine starke Kontrastsetzung bemüht, wirken die jugendlich-kecken bzw. stürmisch-aufbrausenden Passagen ein wenig soft und mild. Dadurch fehlt die furiose Note, die Martha Argerich, Rudolf Serkin oder Byron Janis stärker apostrophieren konnten.
Die Diktion des Klavierspiels von Frau Kupiec ist ausgesprochen nuanciert, so wird bei der Kantilene das sostenuto ganz deutlich von grazioso abgesetzt, und dann wird da mal ein bisschen verlangsamt, da mal ein wenig beschleunigt, das wirkt organisch. Sie verleiht dem Stück eine sehr schöne Musikalität, die wir als sehr sympathisch empfanden. Auch das Orchester befleißigt sich eines flexiblen Rubatos, gefällt dieses Mal besonders durch die seidig klingenden Streicher. Das Orchesterzwischenspiel mit Durchführungscharakter klingt transparent und lebendig, nicht so steif wie bei Hoogstraten aber auch nicht überbordend oder plüschig.
Man kann zusammenfassend bemerken, dass das Klavier- und das Orchesterspiel sehr gut aufeinander abgestimmt wurden, da wird vieles bezaubernd mit leichter Hand entworfen aber es fehlt doch die letzte Don Juan-Rasanz und die letzte Till Eulenspiegel-Spitzbüberei. Dennoch ein umfassender Ansatz mit besonders gelungenen lyrischen Akzenten.
Damals wurde das Konzert in 5.1. gesendet. Der Interessent oder die Interessentin kann das Konzert derzeit immer noch und jederzeit als Stream von der Website des SWR hören, dann jedoch „nur“ in Stereo. In 5.1. klang es weiträumig und das Orchester wurde besonders gut in die Breite gestaffelt. Die Pauke wurde sehr gut abgebildet und klang voluminös, aber wenig straff. Sie ist aber auch im pp gut hörbar geblieben. Es wurde ein hoher Raumklang-Anteil vom Konzerthaus Freiburg mit übertragen. Der Gesamtklang war konsumentenfreundlich ohne Ecken und Kanten fast schon balsamisch.
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4-5
Daniel Barenboim
Zubin Mehta
Berliner Philharmoniker
Sony
1985
19:35
Sieben Jahre vor der maßstabsetzenden Live-Aufnahme mit Martha Argerich und Claudio Abbado, ebenfalls in der Berliner Philharmonie entstanden, muss man dieses Mal auf die üppige, fast überbordende Klangfülle und den fast schon unverschämten Glanz der philharmonischen Silvesteransprache von 1992 verzichten. Daniel Barenboim zeigt sich als zuverlässiger Pianist mit seinem damals typischen, leicht teigigen Anschlag. Er kommt sicher durch seinen sehr anspruchsvollen Part wobei ihm die besinnlichen Passagen am besten gelingen, denn es fehlt ihm nicht am sprechenden Ausdruck. Poesie und augenzwinkernder Humor ist seinem Spiel durchaus eigen. Diese Abschnitte kostet er voll aus und droht dabei mitunter das Tempo aus den Augen zu verlieren. Besonders in den fast schon traumverlorenen Soli. In den anderen Passagen fehlt ihm die pianistische Brillanz einer Argerich ziemlich deutlich. Die Darbietung profitiert zudem in nicht unerheblichem Maß von der umsichtigen und rücksichtsvoll-flexiblen Orchesterführung Zubin Mehtas. Er passt das Orchesterspiel gefühlvoll an seinen Solisten an, sodass sich eine Darbietung wie aus einem Guss ergibt, auch wenn die Soli Barenboims immer mal wieder ein wenig retardieren. Den Walzer haben Barenboim, Mehta und die Berliner voll drauf. Der Stretta (vielmehr der „Pseudostretta“) fehlt der überwältigende virtuose Aplomb. Der ganzen Einspielung fehlt gegenüber der Argerich/Abbado-Version insgesamt einiges, sie klingt weniger überschwänglich, weniger keck und weniger leidenschaftlich. Das ist allerdings ein unfairer Vergleich, denn da ereignete sich wohl ein seltener Glücksmoment. Die Barenboim/Mehta-Version hat durchaus ihre Meriten. Nur wirkt sie nicht so jugendlich-frisch und unbekümmert-frech sondern ein wenig gesetzt wie das eben bei gestandenen Männern in den sogenannten besten Jahren so ist, ein klein wenig routiniert. Aber eben auch nicht altväterlich.
Der Sony-Klang ist ausgewogen und klar. Man erhält eine sehr gute Übersicht über das Orchester. In der Dynamik wirkt das Klavier untergeordnet, obwohl es gegenüber dem Orchester nach vorne gezogen wurde. Dem Orchester mangelt es dadurch jedoch nicht an Transparenz. Insgesamt wirkt die Disposition etwas distanzierter als bei Argerich/Abbado, ebenfalls aus dem Hause Sony, die Aufnahme ist aber sehr angenehm zu hören, ist aber kein Dynamikwunder und ist auch nicht die lebendigste. Dafür gibt es kaum Anzeichen von „Digitalitis“. Das allein ist schon was wert.
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4-5
Nelson Freire
Zoltan Pesko
Sinfonieorchester des SWF Baden Baden
Decca
1985, live
19:17
Die Aufnahme schlummerte in den Archiven des SWR und wurde erst postum nach dem Tod des Pianisten veröffentlicht. Schon zu Beginn fällt auf, dass die Pauke in dieser Aufnahme niemanden darstellt, der „Courage“ hat oder ein Autoritätsperson darstellen könnte. Ob der Vater von Richard, Franz Strauss damit ausscheidet? Oder das verehrte Ex-Vorbild Johannes Brahms? Während der ganzen Aufführung hören wir von ihr kein „Machtwort“. Dem Klavier fehlt es hingegen nicht an Verve und dynamischer Differenzierungskunst. Das Spiel wirkt generell souverän, jedoch ist nicht jeder der schwierigen Griffe ein Volltreffer. Live ist hier richtig live. Das Orchester agiert ebenfalls differenziert und spielfreudig. Besonders schön gelingt den Mitwirkenden die Kantilene, die ganz einfach aber doch sehr wirkungsvoll klingt. Die Cellountermalung scheint in diesem Fall auch wieder „nur“ von dem Solocello ausgeführt worden zu sein. Die „quasi Cadenza“ wird von Nelson Freire aufbrausend und wild gestaltet, jedoch wirkt sie weniger klar, auch im Anschlag, wie dies bei Serkin, Gulda oder Argerich der Fall ist. Auch die „Pseudostretta“ klingt wild.
Das Orchester bekommt ein gutes Panorama und steht in guter Balance zum Flügel. Insgesamt klingt es ein wenig nüchtern für ein Werk von Richard Strauss. Es könnte voller und mit mehr Schmelz klingen. Es wurde auch ein wenig hintergründig positioniert. Gemeinsam mit dem Klavier bildet es jedoch ein stimmungsvolles Ganzes, dem gegenüber den besten CDs die Brillanz ein wenig abgeht. In der Dynamik wird hier das Klavier bevorzugt.
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4-5
Friedrich Gulda
Karl Böhm
Wiener Philharmoniker
Praga und Orfeo
1957. live
18:43
MONO Friedrich Gulda hat die Burleske gerne aufgeführt. Außer den beiden hier vorgestellten Aufnahmen aus London von 1955 und Salzburg 1957 existiert bei Decca auch noch eine Einspielung mit dem Orchestre de la Suisse Romande und Ernest Ansermet ebenfalls von 1957, die überhaupt erstmals als CD veröffentlicht wurde. Ob der (oder die) Künstler damit nicht ganz zufrieden waren? Wir kennen diese Einspielung leider nicht.
Außer dem Video mit den Herren Buchbinder und von Dohnanyi ist diese Live-Einspielung und die mit Lang Lang (ebenfalls live) unseres Wissens die einzige weitere Aufnahme auf Tonträger an dem die Wiener Philharmoniker mitwirken. Man meint, dass überall wo ein Wiener Walzer gespielt wird auch die Philharmoniker dabei sein müssten.
Der süße Schmelz der Violinen der Philharmoniker ist tatsächlich in dieser Aufnahme von den Salzburger Festspielen vom 25.8.1957 nicht zu überhören. Aber trotz des „Wiener Schmäh“ im Walzer bleibt der straffe Grundcharakter der Aufnahme erhalten. Gulda wirkt etwas gefühlvoller als 1955, sein Ton wirkt etwas brillanter und reicher an Höhen. Das Orchesterzwischenspiel klingt etwas dick und massiv, da ist man weit weg von der schlanken Grazie, die ein David Zinman mit dem DSO vorführte. Bedauerlich ist auch, dass die Pauke ein ums andere Mal im Tutti untergeht. Ansonsten ist diese Darbietung auch von Seiten Böhms und den Philharmonikern eine frische und vitale Darbietung geworden, die von einem großen Engagement für das Werk zeugt. Dabei wirken die gefühlvolleren Passagen inniger als in London gespielt ohne dabei je schmalzig zu werden. Gulda ist auch live großartig!
Wir konnten diese Aufnahme in zwei Versionen hören, denn sie liegt sowohl bei Praga als auch bei Orfeo vor.
Bei Praga ist der Raum merklich geweitet, mitunter meint man sogar eine Stereo-Version oder eine gelungene Stereofonisierung vor sich zu haben. Die Pauke klingt gerade gegenüber der Londoner Decca-Einspielung nicht mehr so wattiert. Das ganze Orchester klingt ausgewogener und transparenter. Die Aufnahme wirkt so, als hätte man sie an heutige Hörgewohnheiten angepasst. Die Decca wirkt dagegen geradezu burschikos und ungebändigt. Gegenüber der Orfeo-Version mit derselben Aufnahme aus Salzburg klingt sie bei Praga auch etwas voller und runder und wirkt räumlich breiter aufgestellt. Die Live-Geräusche wurden bei Praga ebenso wirkungsvoll eliminiert während der Schlussbeifall weggeschnitten wurde. Bei Orfeo kann man ihn hören.
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4-5
Friedrich Gulda
Anthony Collins
London Symphony Orchestra
Decca
1955
17:53
MONO Friedrich Gulda spielt seinen Part enorm virtuos und rhythmisch, brillant und feurig. Leider klingt sein Flügel deutlich brillanzreduziert. Das Orchester wirkt dagegen erheblich reicher an Höhen oder sogar an Obertönen. Damals war der Frequenzbereich nach oben hin eigentlich bereits bei 12 bis 15 KHz zu Ende. Die Pauke klingt etwas diffus. Das passt leider nicht so gut zu der ansonsten knackigen Aufnahme und der knackigen Spielweise vom Pianisten und Orchester. Der Gestus ist jugendlich-draufgängerisch, getreu dem Motto, das sich auch Strauss zu eigen gemacht haben könnte: „mir gehört die Welt“. Pianist und Orchester sind sich darin völlig einig. Es gibt, ganz ähnlich wie in Serkins Aufnahme von 1955 keinen Raum für Sentimentalitäten. Guldas Spielweise findet man allenfalls bei Martha Argerich noch einmal, die in den 50er Jahren Unterricht bei Meister Gulda nahm. Die „Pseudo-Stretta“ gerät Molto vivo. Klanglich betrachtet bietet die viel „sehnigere“ Londoner Einspielung Magerkost für sportliche Schlankheitsapostel, während die Wiener Version einen Schlag Sahne dazugibt (in Wien „Schlagobers“ genannt, womit wir schon wieder ganz nah an Strauss sind, der hat nämlich auch ein Stück über die Sahne auf dem Kuchen, namens „Schlagobers“ geschrieben). Die Wahl zwischen den beiden Gulda-Einspielungen wäre hier also reine Geschmackssache.
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4-5
Bertrand Chamayou
Antonio Pappano
Orchestra dell´Accademia Nazionale di Santa Cecilia
Warner
2020
19:43
Vom französischen Pianisten hören wir eine temperamentvolle, straffe Rhythmik und einen leuchtenden, eher zur Härte als zum Weichen hintendierenden, ziemlich brillanten Klang. Das Orchester spielt zwar geschmeidig artikulierend und mit Autorität auf, aber es fehlt an der weich gerundeten „goldenen“ Wärme der Berliner und an der echten Brillanz der übrigen Crème de la Crème-Orchester. Das liegt vor allem an den Violinen, die, sobald sie ein wenig lauter spielen müssen, hart klingen. In den leisen Bereichen klingen sie deutlich besser, insbesondere geschmeidiger. Den jugendlichen Überschwang trifft man gut. Die wienerischen Einschübe (Walzerseligkeit) werden hingegen gekonnt gespielt und die kecken Späße liegen den Römern auch gut. Der Pianist agiert durchaus mit unmittelbarem, mitunter frischem Zugriff während auf der Gegenseite p und pp ein wenig vergröbert werden. Chamayous Spiel liegt etwa zwischen der Brillanz einer Argerich und der Wärme von Emmanuel Ax ohne das eine oder das andere ganz erreichen zu können. Die Einlage der Celli (hier spielen sie wieder alle mit) bei der Kantilene klingt betont schmachtend. Im Verlauf gut zugespitzt wirkt die Darbietung dann doch ziemlich jung und ungeschliffen oder auch kraftprotzig. Das passt richtig gut zu dem Werk, genauso wie die ausgeprägte Spielfreude mit der die Beteiligten dann zu Werke gehen.
Die Aufnahme klingt recht voll, sehr präsent, voll und sonor. Das Klavier wird ein wenig zu deutlich in den Vordergrund gestellt. Es gibt nur eine sehr geringe Tiefenstaffelung zu hören, gerade für so eine aktuelle Einspielung. Das wirkt deutlich zu flach und vordergründig für 2020. Andererseits mag man der fast völligen Distanzlosigkeit auch ihre Vorteile zubilligen: Man nimmt einen Platz in der ersten Reihe ein. Die Aufnahme wirkt sehr laut und dynamisch.
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4-5
Margrit Weber
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester
DG
1955
20:30
MONO Das Jahr 1955 war ein gutes für die Burleske. Rudolf Serkin, Friedrich Gulda, Poldi Mildner und Margrit Weber machten fast zeitgleich ihre Aufnahmen, fast als ob man sich abgesprochen oder belauert hätte. Diese Einspielung fand Mitte September statt.
Margrit Weber und ihr bevorzugter Dirigent oder vielmehr umgekehrt Ferenc Fricsay und seine bevorzugte Pianistin kamen zudem bereits vier Monate zuvor zu Konzerten mit der Burleske zusammen und da das RIAS SO ein Rundfunkorchester war (bzw. ist, es heißt nur mittlerweile Deutsches Sinfonieorchester Berlin, abgekürzt: DSO) wurde eines davon mitgeschnitten. Der Konzertmitschnitt wurde von Audite ausgegraben und sorgfältig restauriert, sodass man von einer mindestens gleichwertigen, wenn nicht sogar besseren Klangqualität des Mitschnitts schreiben darf. Doch nun zunächst die Studio-Einspielung.
Das Klavierspiel von Frau Weber wirkt griffig, konzise und präzise, auch wenn man das Gefühl hat, dass sie sich bei wenigen Stellen richtig anstrengen muss. Das kommt aber nicht teigig rüber, sondern immer wohl konturiert. Obwohl es im „DG-Studio“ ein wenig verhaltener zugeht (man geht etwas mehr auf „Nummer sicher“) als beim Konzert, wirkt die Darstellung sehr spannend. Die „quasi Cadenza“ meistert sie klar und deutlich. Beide Aufnahmen sind sich sehr ähnlich. Da die Live-Aufnahme von Audite aber derzeit leicht verfügbar ist, wird man eher zu ihr greifen wollen.
Die Studio-Aufnahme rauscht stärker (!) und das Orchester klingt etwas gepresster als bei Audite. Das Klavier klingt im Studio einen Tick weniger offen, aber ebenfalls bereits brillant. Leider wird das Klavier, vor allem aber die Pauke im ff von aufdringlichen Knistergeräuschen gestört, so als ob man etwas, was da nicht hingehört, auf dem Fell der Pauke hat liegen lassen (was natürlich keinem Pauker passieren würde) und ungute Resonanzen erzeugt. Die Transparenz ist im Studio (mitunter aber nicht generell) etwas besser. Die Streicher nicht ganz so seidig, wie es Audite durch seine Auffrischungskur beim Live-Mutterband hinbekommen hat. Insgesamt klingt es im Studio sehr präsent. So präsent, als stünde der Flügel im eigenen Zimmer und dann noch ziemlich nah an den Ohren. Und das Orchester ganz dicht dahinter. Das nennen wir unmittelbar dran am Geschehen.
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4-5
Margrit Weber
Ferenc Fricsay
RIAS Sinfonieorchester
Audite
1955, live
19:54
MONO Diese Aufnahme des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) wurde von Deutschlandradio lizensiert, nicht vom RBB. Das Konzert fand im Mai statt. Im Gestus sind sich die vier 1955er Einspielungen gar nicht einmal so unähnlich. Auch Margrit Weber spielt wie Rudolf Serkin und Friedrich Gulda geradlinig und völlig unsentimental. Das Orchester straff, elastisch und mit katzenartiger Aufmerksamkeit, beherzt und pointiert. Sehr gut klingt die gut konturierte sich voll reinhängende Pauke. Sogar die Violinen, sonst nicht unbedingt das Aushängeschild des Orchesters (das war das Blech!) klingen in dieser Aufnahme ausgezeichnet (seidig). Ferenc Fricsay mochte die Kantilene der Celli auch lieber nur vom Solo-Cello gespielt haben. Das Orchesterzwischenspiel (mit Durchführungscharakter) klingt transparent wie nur selten. Auch pianistisch liegt hier ein „sprechender“ Vortrag vor, dynamisch differenziert, obwohl die Werte im leisen Bereich nicht ganz ausgereizt werden (da können moderne Aufnahmen einfach mehr), die „Attacke“ und der pianistische Biss ist für Frau Weber jedoch kein Problem. Das Spiel wirkt zudem auf besondere Weise generös und großherzig, das ist aber nur ein Eindruck, den man kaum mit einer Taktangabe belegen könnte. In der Kadenz nutzt Frau Weber noch unseren Vorstellungen vielleicht doch ein wenig zu viel das Pedal.
Der Klang wirkt nach der Audite-Frischzellenkur natürlicher und sogar etwas brillanter. Erstaunlich brillant für eine Live-Aufnahme von 1955. Das Klavier und die Pauke sind hier völlig frei von Fremdresonanzen oder anderen Störenfrieden. Zudem wirkt der Klang nicht ganz so trocken und etwas körperhafter als im Studio. Bei Audite versteht man sein Geschäft. Das Publikum war anscheinend entweder völlig infektionsfrei oder äußerst diszipliniert. Es war fast mucksmäuschenstill. Vielleicht hat man bei Audite aber auch da ein wenig gezaubert. Natürlich ist die Aufnahme trotz der gekonnten Bearbeitung kein audiophiles Highlight.
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4-5
Poldi Mildner
Artur Rother
RIAS Sinfonieorchester
Telefunken-BnF
1955
18:20
MONO Um allen Spekulationen vorzubeugen, Poldi ist ein „weiblicher“ Vornamen und steht in diesem Fall für Leopoldine Josefine. Sie war Österreicherin, zwischenzeitlich Schwedin, schließlich Argentinierin (und diese Wechsel der Staatsbürgerschaft erfolgten sicher nicht aus freien Stücken). Das Burleske-erprobte RIAS SO durfte 1955 zum (mindestens) dritten Mal ran. Dieses Mal für Telefunken. Eine Platte, die sich in den Archiven der Bibliothèque nationale de France finden ließ und die nun digitalisiert wieder zur Verfügung steht.
Frau Mildner, von der man eigentlich heutzutage gar nichts mehr weiß, spielt ihr Instrument ausgesprochen behände und flink, locker und pointiert, teils einschmeichelnd und teils frech. Ihr Ton wirkt weicher als der von Frau Weber, sie verfügt dennoch über einen präzisen Anschlag. Mit anderen Worten, sie hat es drauf. Das Orchester, dieses Mal einmal nicht von Ferenc Fricsay geleitet, sondern von Artur Rother, der damals hauptamtlich an der Deutschen Oper engagiert war, lässt erneut sein erlesenes „junges“ Blech hören Auch die Pauke lässt sich nicht lumpen, klingt präsent und ist mit viel Verve als „konzertierender Partner“ zur Stelle. Die „Stretta“ spielt man in feurig loderndem Tempo, jedoch technisch absolut sicher.
Eine sehr versierte und virtuose Solistin. Leider ist sie ziemlich in Vergessenheit geraten (vielleicht weil sie in ihrer „besten Zeit“ nach Argentinien auswandern musste), denn wenn sie die Burleske so wie hier gehört spielen kann, hätte ihr ein höherer Bekanntheitsgrad in der „Szene“ zugestanden. Ab 1946 unternahm Mildner wieder von Argentinien aus Konzertreisen in die USA und nach Europa und unterrichtete am Salzburger Mozarteum. 1975 ging sie nach Deutschland, wo sie als Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und schließlich von 1982 bis 1995 als Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik Mainz lehrte. 1995 ging sie zurück nach Argentinien, kehrte aber 1997 nochmals zu Konzerten nach Deutschland zurück.
Telefunken war ja für einen weichen Klang bekannt und den können wir auch diesen Mal hören. Von allen 55er-Aufanhmen klingt sie natürlich nicht am besten, denn sie ist die einzige Aufnahme, die man von einer alten Platte zu hören bekommt, aber der sinnliche Klang von Klavier und Orchester hätte in einem Remaster vom Originalband sicher sehr positiv überraschen können. Er wird hier immerhin mehr als nur angedeutet. Vor allem die Violinen klingen mit sinnlichem Glanz. Die Aufnahme wirkt auch bereits recht farbig, man hört, wenn auch rudimentär bereits den Raum mit. Der obere Frequenzbereich ist jedoch beschnitten, weshalb das Klavier nicht ganz frei klingt. Pressung und Abtastung bringen nur sehr wenige Störgeräusche mit.
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4-5
Svjatoslav Richter
Gennadi Roshdestwenskij
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija-Brilliant
1961, live
18:57
MONO Von Svjatoslav Richter gibt es bei YouTube auch noch ein Video eines Live-Konzertes, ebenfalls von 1961, das in Bukarest aufgezeichnet wurde. Eine Studio-Einspielung ist unseres Wissens mit dem ukrainischen Pianisten nicht erschienen.
Er müsste aufgrund seiner großen Hände eigentlich der ideale Interpret der Burleske sein. Er spielt sie auch sehr transparent und mit sehr viel Kraft. Der Gestus wirkt viel ruhiger und gelassener als bei Rudolf Serkin in seiner nervösen, hoch spannenden 55er Aufnahme. Richters Zugang wirkt lyrischer geprägt. Tatsächlich spielt sich das Stück in einem schnellen Tempo ab, der Vortragsstil wirkt jedoch langsamer, teils sogar ein wenig schwerfällig. Das Orchester hat sich mit der Herkunft des Stückes hörbar intensiv auseinandergesetzt, es spielt fast so walzerselig wie die Wiener bei Böhm, ist auf seine Art auch gut in Form aber doch längst nicht so geschliffen und klangsatt wie die Berliner oder das Philadelphia Orchestra. Man merkt, dass Strauss nicht das ureigenste Metier des Moskauer Orchesters ist. Die Musik „atmet“ aber mehr als bei Serkin, wirkt zugleich überlegter, also weniger spontan und jugendfrisch. Anders ausgedrückt: Bei Serkin scheint mehr Adrenalin im Spiel zu sein. Im Prinzip hat Richter alles im Griff, doch manchmal schleicht sich ein falsches Tönchen ein und manches wirkt auch mal hölzern. Gerade in der kadenzähnlichen Passage. Die pure Kraft seines Spiels beeindruckt jedoch schon alleine. Die Stretta (vielmehr die „Scheinstretta) wird zu einem Naturereignis.
Der Klang der Moskauer Live-Aufnahme ist recht transparent und vor allem beim Orchester leicht topfig, während das Klavier brillanter klingt. Husteneinlagen und allerlei weitere Geräusche machen die Darbietung unruhig. Der Aufnahme fehlen generell die Wärme und die straußsche Farbenpracht. Auch die Dynamik reißt keine Bäume aus.
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4
Sergei Edelmann
Paavo Berglund
Stockholm Philharmonic Orchestra
RCA
1989
22:13
In der Ausführung sehr exakt und im Tempo gediegen gerät diese Einspielung aus Stockholm. Die Temporelationen passen. Die leisen Passagen werden intensiv und poetisch gestaltet. Das Orchester macht einen guten Job, das Problem sind wie auch in der Aufnahme aus Rom mit Chamayou und Pappano, die Violinen, denen es an Brillanz und an Schmelz fehlt. Der Kantilene fehlt es ein wenig am weichen Klavierton, mit dem Emmanuel Ax an dieser Stelle so begeistern konnte. Den jugendlichen Überschwang haben Argerich, Serkin, Janis oder auch Chamayou besser eingefangen. Sergei Edelmanns junger Mann ist besonnener unterwegs, was ihn jedoch nicht daran hindert, die dynamischen Grenzen seines Flügels ein ums andere Mal auszureizen. Besonders gut gelungen sind die Wechsel von tranquillo (ruhig) vom Klavier und feroce (wild) von Pauke und Orchester (zwischen G und H). Dass da die Geduld vom Vater, repräsentiert von der Pauke (es könnte allerdings auch das zu Beginn der Komposition noch bewunderte Vorbild Brahms sein) mit seinem Sohn (Schützling, Jünger oder Schüler) aufgebraucht scheint und Klartext gesprochen wird (und vielleicht auch der Hintern versohlt, was in der Zeit von Strauss noch eine gängige Erziehungsmaßnahme gewesen sein soll) wird deutlich. Der Stockholmer Pauker versohlt seine Felle jedenfalls ordentlich. Da spricht die Wut. Auch die Stretta ab 8 T. vor K klingt wild. Musikalisch gefällt diese Einspielung viel besser als klanglich und es wäre ihr eine 4-5 gerne zugestanden, jedoch hält der Klang der Aufnahme nicht dasselbe Niveau.
Der Flügel wird mit einer Hallglocke versehen, klingt aber noch halbwegs griffig. Im ff fängt er immer Mal wieder an zu klirren. Ansonsten ist die Aufnahme dynamisch weit lotend. Die Crux ist, dass es mit der Transparenz im ff ein jähes Ende hat, da beginnt die Aufnahme zuzugehen. Das Orchester klingt dann ungeordnet. Andere Einspielungen waren auch besser konturiert (Ax, Chamayou, Serkin, Argerich um einmal wahllos einige rauszugreifen). Das ist bedauerlich, denn ansonsten herrscht in Stockholm „klare Sicht“. Im Ganzen klingt die Aufnahme zu hart, der warme Goldton der Berliner Aufnahme mit Argerich und Abbado kommt uns da immer wieder in den Sinn. In Stockholm wirkt der Farbton eher silbrig. Bei der Dynamik hauen Pianist und Orchester mehr dB in die Konverter als den Technikern lieb sein konnte. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet.
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4
Ian Hobson
Norman del Mar
Philharmonia Orchestra London
Arabesque
P 1987
19:42
Der Flügel Ian Hobsons klingt sehr brillant, aber auch etwas kühl, als ob sein mittleres Frequenzband ausgedünnt worden wäre (geringer Mittenanteil). Er geht sehr differenziert zu Werke, was auch für das Orchester gilt. Seine Streicher und da sogar die heikel aufzunehmenden Violinen klingen hingegen füllig und sonor. Dieses Orchester klingt auch im ff noch transparent. Der Gestus wirkt wenig draufgängerisch, das Spiel mutet ein wenig risikoscheu an. Da waltet vielleicht noch ein Rest von Vorsicht, was bei dem Schwierigkeitsgrad nur allzu verständlich wäre. In unserem Vergleich muss man sich jedoch mit den Besten messen. Am an sich ambitionierten Tempo liegt es nicht, eher an der verhaltenen Artikulation. Klarheit und Deutlichkeit sind die oberstes Gebote. Auch hier wirken die leisen Töne am besten. Die unteren Dynamikwerte werden sehr schön ausgelotet. Die dynamischen Kontraste sind weniger ausgeprägt.
Der Klang der Aufnahme ordnet das Orchester sehr gut an, auch die Tiefenstaffelung überzeugt. Es wird in einem großen Raum abgebildet und man erhält eine sehr gute Übersicht. Wie so oft, wenn die Technik den Raum in hohem Maß unterbringen will, wird es hallig. So ist es auch hier und daher wirkt die Konturierung nicht gerade straff. Das Klavier ist in sehr guter Balance zum Orchester zu hören. Es ergibt sich ein glaubhafter Eindruck wie in einem großen, aber leeren Konzertsaal. Die Klangfarben wirken kühl. Das Orchester wirkt ein wenig distanziert und die ff ein wenig eingeebnet. Ein leichter Anflug von „Digitalitis“ ist nicht zu leugnen. Aber nur leicht.
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4
Lilya Zilberstein
Andrés Orozco-Estrada
Wiener Symphoniker
ORF, bisher unveröffentlicht
2017, live
21:40
Bei Frau Zilberstein, langjährige Duopartnerin von Martha Argerich, und Andrés Orozco-Estrada stellt sich jugendliches Draufgängertum kaum ein. Ihre Duopartnerin oder auch der junge Ax (mit Sawallisch) ist ihr da weit voraus. Andererseits klingt ihr Flügel brillanter als der von Emmanuel Ax bei seinem Gastspiel in Frankfurt. Bei diesem Konzert dirigierte übrigens ebenfalls der damalige Chef des HR Sinfonieorchesters Herr Orozco-Estrada. Und wie in Frankfurt wirkt auch in Wien das Schwärmerische im Orchester ein wenig flügellahm. Dieser Dirigent legte auch bei unserem Vergleich der „Alpensinfonie“ in seiner insgesamt hochklassigen Einspielung ein langsames, vorsichtiges Tempo vor. Ein Genießer, der selbst die Musik auf sich wirken lassen möchte? Die zeitweise vorherrschende Spielanweisung von Strauss „tranquillo“ (ruhig) wird bei ihm fast auf das ganze Werk ausgeweitet. Obwohl das Tempo bei Jansons noch langsamer war, empfindet man es hier als ruhevoller. Die Anweisungen stringendo und vivo werden fasr gänzlich weggebügelt. Der Schalk, der unserem Helden im Nacken sitzt, wirkt ein wenig müde. Er ist gemütlicher gestrickt und eher ein warmherziger Geselle. Das Orchester spielt weich, auch weich im Rhythmus (so klingt es auch mit dem HR Sinfonieorchester in der Aufnahme mit Ax). Vielleicht nimmt der Dirigent aber auch nur Rücksicht auf seine Solisten? Frau Zilberstein kommt mit dem Tempo jedenfalls glänzend zurecht und wartet mit einem lebendigen Vortrag auf. Nicht ganz so beweglich und vor allem nicht so kraftvoll wie ihre Duopartnerin macht sie doch einen technisch absolut sattelfesten und versierten Eindruck. Die Kantilene wird zu einem der Höhepunkte der Aufführung. Die Aufnahme ist eigentlich sehr schön, leider kommt das Orchester nicht aus seiner Komfortzone heraus.
Diese Aufnahme wurde vom ORF noch im 5.1-Kanal-Sound über den Satelliten geschickt. Das Orchester klingt denn auch voll, offen und breit gestaffelt. Eigentlich schön bassstark, nur die Pauke klingt ziemlich weich. Heutzutage gäbe es nur noch 2.0-Sound und geringere Datenraten. Das ist nur besser als gar nichts.
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4
Emmanuel Ax
Andrés Orozco-Estrada
HR Sinfonieorchester
HR, bisher nur in der Mediathek veröffentlicht
2015, live
20:32
Auch diesen Mitschnitt kann man sich jederzeit auf YouTube oder der entsprechenden ARD-Website jederzeit anschauen, denn es wurde während des Konzertes ein Video erstellt. Auch im Rundfunk kann man dem Konzertmitschnitt immer mal wieder begegnen, denn der HR hat recht viele Sendungen im Programm, die eigens Mitschnitte seines Sinfonieorchesters bringen. Darüber hinaus existiert auch noch ein Video mit Nelsons und den Berliner Philharmonikern und die von uns weiter oben bereits angesprochenen CD mit Sawallisch.
19 Jahre nach der Glanzleistung mit Sawallisch in Philadelphia ist aus dem quirligen Gestus ein behäbigerer geworden. Nicht mehr so impulsiv und kraftvoll und nicht mehr so frisch und keck bei den Eulenspiegeleien ist die Legatokultur des Pianisten immer noch bestechend. Während das ff kaum mehr so strahlend wie einst gelingen will, erklingen seine pp und p immer noch wunderbar leise und substanzreich im Klang. Dynamisch ist sein Vortrag verhaltener geworden, aber es sind sicher live und in Frankfurt wieder andere Gegebenheiten und vor allem andere Mikrofone zugegen.
Stringendo und vivo bei G sind wie in Wien zwei Jahre später ebenfalls mit Orozco-Estrada am Dirigentenpult kaum spürbar. Das Frankfurter Orchester bringt herausgehobene Details gut zu Gehör (z.B. die Hörner-Einsätze), spielt sehr sorgfältig aber auch viel schwerfälliger als das Philadelphia Orchestra mit Sawallisch. Auch bei M wartet man vergebens auf das vivo. Da es sich in Wien zwei Jahre später genauso verhält liegt der Schluss nah, dass die Orchesterleitung ein wenig zu gediegen für das fesche Jugendwerk ausgefallen sein könnte. Auch das Marcato im Solo vor D ist „weich“ geworden. Das Orchesterzwischenspiel von O bis R hat seine Längen. Der Wechsel von tranquillo (Klavier) und feroce (Pauke und Orchester) erscheinen uns wegen des lahmen Orchesters nicht hinreichend betont zu sein. Die „quasi Cadenza“ wirkt ebenfalls nicht mehr so „blitzgescheid“ wie 1996 in Philadelphia und schon gar nicht wie bei Argerich. Sehr schön und besonders sanftmütig, als ob nun die Mutter besänftigend auf den jungen Mann einwirken wolle, klingt nun die Cantilena bei J, das ist dann bereits nach der „quasi Cadenza“.
Der quirlige junge Mann wirkt tatsächlich in dieser Darbietung bereits ein wenig angegraut, er steht irgendwie nicht mehr ganz so voll im Saft wie ehedem. Wie doch die Zeit vergeht. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier eine technisch makellose und auch musikalisch runde Leistung erbracht wird und das ist angesichts des Kalibers des Stückes schon super. Eine Darbietung, die voll auf Risiko geht und wo dann auch mal was schiefgeht, wie bei Richter, wird sich heutzutage kaum noch jemand erlauben können.
Der Klang der dieses Mal nicht live mitgeschnittenen, sondern im samstäglichen Nachmittagsprogramm des HR aufgenommenen Sendung (also nur in Stereo) wirkt füllig, samtig, weiträumig, sehr transparent und offen. Die spezielle Vorliebe der HR-Techniker für eine gut bassgrundierte Aufnahme wird so weniger erfahrbar wie bei den Live-Übertragungen in 5.1.
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4
Kirill Gerstein
Alan Gilbert
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, nicht veröffentlicht
2022
21:51
Der Pianist Kirill Gerstein schont sich nicht bei seinen Konzerten, so spielt er oft beide Konzerte von Ravel an einem Abend. Oder wie hier, die Burleske gemeinsam mit der Paganini-Rhapsodie Rachmaninoffs. Ob das der Qualität der Wiedergabe des jeweiligen Werkes zuträglich ist? Oder sollte das auch für einen Meister wie ihn vielleicht zu viel des Guten sein?
Uns kam es an diesem Abend so vor, dass er zu Beginn noch nicht ganz drin ist, wobei wir im Hinterkopf haben, dass der Beginn der Burleske schon gleich extrem fordernd für den Pianisten ist. Während das Orchester schön (wie fast immer) klingt, bemerkt man doch, wie sich der Pianist bemüht sauber zu spielen. Dieser Eindruck verflüchtigt sich mit zunehmender Spieldauer jedoch die hellwache, nadelfeine Präzision von Trifonov erleben wir bei Gerstein nicht ganz. Allerdings muss er auch etwas schneller spielen als sein russischer Berufskollege. Das Zusammenspiel mit dem Orchester erscheint ein ums andere Mal ein wenig gefährdet zu sein. Immer wenn eine Solo-Passage erklingt, blüht der Pianist regelrecht befreit auf. Den jugendlichen Überschwang vermisst man, wenn man schon so viele Darbietungen kennt, auch. Wenngleich das bei Jansons 2018 auch nicht anders war, wirkte die Live-Darbietung bei ihm und Trifonov doch konzentrierter und im Vergleich erheblich nahtloser und was noch wichtiger wäre: intensiver.
Das Orchester klingt im direkten Vergleich von Alan Gilbert geführt weniger elegant und sicher und lange nicht mit derselben Spannkraft wie mit seinem langjährigen Chef. Das ist aber Jammern auf höchstem Niveau. Gersteins Zugang wirkt im Vergleich zu Trifonov und noch mehr zu Argerich oder Serkins „heißer Nadel“ kühl und sachorientiert. Dem Walzer gibt man nicht den rechten Wiener Schwung mit auf den Weg. Auch in dieser Darbietung gelingt die Cantilene vor der „Schein-Stretta“ besonders schön.
Beim Gesamtklang hat das Klavier eine imaginäre Vorzugsschaltung aktiviert. Es klingt voll und sonor jedoch nicht so brillant wie bei Trifonov. Und das Orchester lange nicht so tiefenscharf und prall wie bei Jansons steht ihm gegenüber ein wenig zurück.
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4
Joshua Pierce
Paul Freeman
Czech National Sympho-ny Orchestra, Prag
MSR Classics
2009
21:41
Den Pianisten hören wir hier das erste Mal. Wir hören nichtsdestotrotz einen brillanten Klang mit einem guten Legato und einem etwas weichen Marcato, eine nuancenreiche Spielweise und eine solide, sehr zuverlässige Technik. Unser eigentlich ziemlich draufgängerischer Held des Stückes ist dieses Mal kein leichtsinniger, er geht mit Überlegung ans Werk. Das hilft der Deutlichkeit, wirkt aber in den virtuosen Passagen zu vorsichtig. Das verhilft dann wiederum zu mehr Zwischentönen. Die lyrischen Partien klingen überzeugender, entgehen jedoch nicht immer der Gefahr gedehnt zu werden. Das Orchester spielt ebenfalls sehr deutlich und gewissenhaft, es lässt auch die leisen Einwürfe des Holzes gut hören. Sie klingen jedoch wenig „charakterstark“. Die Violinen müssen weitgehend ohne Schmelz auskommen. Man hört deutlich, dass hier nicht die Tschechische Philharmonie spielt. Das durchführungsartige Zwischenspiel nur für das Orchester wirkt ziemlich lahm und entbehrt der Zuspitzung. Es wirkt mehr referiert als durchlebt. Man lässt sich nicht gerne auf Risiken oder gar Gefahren ein, man hat genug mit der (allerdings sehr) sauberen Artikulation zu tun. Der Schluss gelingt sehr gut. Leise und geheimnisvoll wird unser Held verabschiedet bzw. er verabschiedet sich ziemlich geläutert und sehr friedlich und vielleicht auch ermüdet von seiner eigenen Jugend. Allen Dampf hat er jedenfalls abgelassen.
Die Aufnahme klingt sehr transparent und offen. Das Orchester wird sehr gut gestaffelt, das Klavier sehr gut integriert, klingt auch sehr deutlich. Man hat einen sehr guten Kompromiss zwischen Raumklang und Trockenheit gefunden. Eine sehr gut klingende Einspielung.
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4
Yuja Wang
Andris Nelsons
Gewandhausorchester Leipzig
DG
2021
20:30
Verglichen mit der Einspielung mit Lang Lang aus Schönbrunn, wird in Leipzig ein etwas flotteres Tempo vorgelegt. Yuja Wang hat eine hervorragende Technik und ihr brillant klingender Flügel klingt insgesamt sehr leichtgewichtig und locker, die Phrasierung sehr geschmeidig, die Skalen perlend. Die ff könnten allerdings mächtiger klingen, die Marcati druckvoller. Wir erleben kaum einmal eine fühlbare Attacke oder ordentlichen „Biss“. Aber die Aufnahmetechnik, darauf wollen wir später noch einmal zurückkommen, hat für sie nur ein ziemlich flaues, farbschwaches Klangbild bereitgestellt. Daher klingt der Flügel fast unauffällig und irgendwie zu diskret. Bisweilen hält Frau Wang ein paar Phrasierungseigenwilligkeiten parat, die überraschen können und im Vergleich mit dem Notenbild durchaus plausibel erscheinen. Das Orchesterspiel leidet genauso unter der enttäuschenden Klangtechnik. Die Leipziger spielen eigentlich frisch und das Zusammenspiel mit der Pianistin wirkt aufgeweckt, aber davon hat man als „Tonkonservenhörer“ reichlich wenig. Die Bühne des Gewandhauses wirkt nicht besonders weiträumig. Die Staffelung ist dagegen noch ganz in Ordnung, der Gesamtklang dann wieder viel zu einheitlich, d.h. zu wenig differenziert und zu pauschal. Dynamisch wirkt die doch so aktuelle Einspielung so temperamentvoll wie ein mit einer angezogenen Handbremse gefahrenes Automobil. Nur hat es anscheinend, anders als im Auto, niemand rechtszeitig bemerkt. Es kommt zudem nie das Gefühl von Fülle oder Wärme auf. Die 66er Aufnahme von Serkin weist diese Aufnahme von 2021 in jeder (!) Hinsicht in die Schranken und zwar deutlich. Sie klingt luftiger, farbiger, dynamischer, körperhafter, brillanter und das Klavier klingt freier, die Läufe noch perlender. In Leipzig fehlt es an allem, auch an Fluktuation und Rundung. Dass die Misere aber nicht am Leipziger Gewandhaus oder gar dem Orchester liegt, beweist die ausgezeichnete Decca-Aufnahmetechnik mit Thibaudet und Blomstedt von 2004. Man hätte sich bei der DG auch die Aufnahmen des MDR aus dem Gewandhaus anhören können und daraufhin einen Auftrag zur Aufnahme dorthin vergeben können. Die Rundfunk-Techniker kennen den Aufnahmeraum wie ihre Westentasche. Bei der DG klingt es dieses Mal wenig sanguinisch und ziemlich saft-, körper- und kraftlos.
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4
Philippe Entremont
Okko Kamu
National Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1979
19:37
Philippe Entremont zeigt sich in dieser Einspielung als ein versierter Pianist, dem das robuste Marcato mehr zu liegen scheint als ein gepflegtes oder duftiges pp. Sein Klavierspiel wirkt nicht sonderlich feingeistig, hätte aber genug Schmiss und Schmalz um die Burleske zu einem großen Publikumserfolg werden zu lassen. Sein Ton ist brillanter als der Barenboims. Das Orchester, es ist ein eigens zum Zweck von Plattenaufnahmen zusammengestelltes Ensemble aus Londoner Musikern, lässt es zuweilen an der wünschenswerten Durchzeichnung fehlen, ein Eindruck, den die hallige Aufnahmedisposition noch verstärkt, vielleicht sogar bedingt. Das betrifft auch den Klang des Flügels, bei dem man aber auch von einem reichlichen Gebrauch des Pedals ausgehen kann. Der Detailpräzision hätte vielleicht auch eine oder zwei Proben mehr ganz gutgetan. Der Verlauf, auch in der Kadenz, wird toll gesteigert. Die große Linie stimmt. Der Gestus wirkt auch animiert. Die Technik verhindert jedoch durch das Fehlen eines prägnanteren und genaueren Klangs ein besseres Gesamtergebnis. Das Resultat wirkt so pauschaler als es von den Musikern gedacht und wohl auch realisiert wurde.
Der Klang der Aufnahme ist, wie bereits erwähnt, ziemlich hallig (bei Orchester und Klavier). Die Technik vermittelt eine großzügige Übersicht über das Orchestergeschehen. Die Pauke wird nicht eigens hervorgehoben, sondern spielt an ihrem angestammten Platz weit hinten. Die Tiefenstaffelung ist sehr gut. An der Transparenz hätte man noch etwas arbeiten können. Das Orchester ist gegenüber dem Flügel etwas zurückgesetzt. Der Gesamtklag ist nicht gerade prall, es fehlt ihm auch an einschmeichelnder Wärme und Rundung.
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4
Denis Kozhukhin
Marc Albrecht
Nederlands Philharmonic Orchestra
Pentatone
2017
19:53
Diese Einspielung aus den Niederlanden beginnt mit einer Pauke, die im p etwas wattiert und gedeckt klingt, wie in einem eigenen Raum. Im ff ändert sich das und sie gehört auch klanglich zum Orchester dazu. Das Orchester klingt sehr gut und klar (insgesamt besser als der Flügel) und macht dem Concertgebouw-Orchester ordentlich Konkurrenz. Kozhukhin wirkt flink und treffsicher in den virtuosen Passagen, in den lyrischen ist er dem Rubato nicht abgeneigt, er folgt jedoch nicht immer gänzlich den von der Komposition vorgegebenen Strukturen. So bleibt bei ihm auch einmal eine Melodie unvollendet. Im Anschlag erreicht er nicht die Präzision eines Serkin, geht mit seinem doch ziemlich fülligen Klang mehr in die Richtung Barenboim. Dem Wiener Schäh im Walzer wird gehörig Gewicht (und Gehör) verliehen, das Orchesterzwischenspiel klingt energisch und hellhörig. In der Kadenz kommt es zu unschönen Resonanzen, die uns in anderen Einspielungen erspart bleiben.
Der Klang der Aufnahme, die wir dieses Mal nur in Stereo gehört haben (es handelt sich um eine Hybrid-SACD, die auch einen fünfkanaligen Sound anbietet), wirkt körperhaft, räumlich und transparent, ziemlich dreidimensional auch im Stereo-Modus. Gegenüber den anderen Einspielungen gibt es keine Fortschritte oder gar „neue Welten“ zu vermelden. Da müsste man schon den Mehrkanal-Modus erproben. Zumindest im Stereobetrieb klingt das Klavier nicht immer präsent genug.
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4
Plamena Mangova
Walter Weller
Orchestre National de Belgique
Fuga libera
P 2008
20:54
Bei der Pianistin stellt sich die Spanne von p bis zum f als sehr gering dar. Bei ihr blitzt nur sporadisch jugendlicher Überschwang auf. Die scherzhaften und ironischen Eskapaden bleiben so unterbelichtet. Tempo-Übergänge werden zumeist weidlich ausgekostet. Nicht immer passt das zur Komposition: Das „Tranquillo“ (D) wird bereits Takte zuvor realisiert, wo es noch gar nichts zu suchen hätte. Dabei wird der Schwung richtig ausgebremst. Das betrifft natürlich die Planung und das Handwerk des Dirigenten.
Das Orchester aus Brüssel verfügt über klangvolle, „dolce“ spielende Violinen und zeigt sich sattelfest und begeisterungsfähig. Fast vermeint man nach Wien zu den Philharmonikern versetzt worden zu sein. Das Blech könnte allerdings strahlkräftiger, das Holz mitunter markanter klingen.
Die Pianistin geht mit dem Tempo mehr als die anderen Pianist:innen rhapsodisch um. Das poetische liegt ihr dabei mehr als der Furor. Grifftechnisch liefert sie eine ziemlich reife, nahezu perfekte Leistung ab. Bei der Kantilene ist sie voll in ihrem Element. Insgesamt wirkt die Burleske trotz des zum Zeitpunkt der Aufnahme jugendlichen Alters der Pianistin ausgreift und nach unserem Dafürhalten zu gemäßigt. Sie könnte frecher klingen.
Vor allem dynamischer. Der Gesamtklang ist streicherdominiert und wirkt daher ein wenig gesoftet. Die Balance von Orchester und Klavier ist ausgewogen. Insgesamt herrscht eine warmer, voller und einschmeichelnder Klangcharakter vor, der sich sehr gut mit dem interpretatorischen Impetus deckt.
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4
Rudolf Buchbinder
Lorin Maazel
Sinfonieorchester des BR
BR, unveröffentlicht
2001, live
20:34
Außer diesem Mitschnitt eines Gastspiels des Orchesters im Salzburger Festspielhaus 2001 existieren mit Herrn Buchbinder noch mindestens vier Aufnahmen, die als Video den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Es sind dies: 1977 mit den Wiener Philharmoniker unter Christoph von Dohnanyi, 2014 erneut mit dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Daniele Gatti, 2019 mit dem Orchestre Symphonique de Montreal unter Kent Nagano und 2021 mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck. Allesamt sind bei YouTube anzuschauen. Wir vermuten, dass es darüber hinaus noch weitere Aufnahmen mit ihm in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern, so sind uns auch noch Konzerte mit dem RSB und Vladimir Jurowski bekannt. Trotz aller Gelegenheiten ist es bisher noch nicht zu einer Veröffentlichung auf CD gekommen, was doch einigermaßen erstaunt. Wir geben uns jedoch bis zu einer Veröffentlichung auch mit dem Mitschnitt aus Salzburg zufrieden, der via ARD-Nachtkonzert den Weg zu uns gefunden hat.
Maazel investiert zunächst einmal mehr Schwung in die Burleske als Jansons und Gilbert (wenn wir einmal bei den Einspielungen des BR bleiben wollen). Die Violinen haben nicht ganz den Schmelz der Aufnahme von 2017. Buchbinder geht das Werk mit mehr Vitalität an als Trifonov oder Gerstein, artikuliert aber öfter mal undeutlich. Bei der Kantilene drückt er dann tatsächlich (er kündigte es bereits in der Sendung „Das starke Stück“ an, die übrigens anlässlich der Produktion mit Daniele Gatti 2014 produziert wurde) richtig auf die Tränendrüse. Er nimmt sie eigens dazu etwas langsamer und rubatoreicher. Die dazugehörenden Celli (hier spielen wieder alle) werden sehr prägnant und überdeutlich hervorgezaubert. Übersteigert und ironisch möchte man meinen.
Das Orchesterspiel wirkt insgesamt deutlich äußerlicher und vordergründiger als bei Jansons, andererseits aber auch etwas feinnerviger als bei Gilbert. Was ein Dirigent alles ausmacht! Viele Details liegen lange nicht so offen vor uns als bei Jansons, dessen „Biss“ uns bei Maazel auch fehlt.
Buchbinder bringt viel Sinn für die Zwischentöne mit ein und natürlich das „Wienerische“, das ihm sicher ebenfalls am Herzen gelegen haben mag. Da ziehen Maazel und das Orchester gut mit. Rein pianistisch spielt Herr Buchbinder weniger brillant als Trifonov. Mitunter verschwindet er hinter dem Orchester oder in ihm. Dann ist nicht mehr viel von ihm zu hören. Dennoch atmosphärisch gelungen. Auf das Wichtige kommt es ihm besonders an und das kennt Herr Buchbinder ganz genau, denn am Ende gab es Ovationen für die Musiker vom verwöhnten Salzburger Festspiel-Publikum.
Der Stereo-Klang ist leiser und entfernter als bei Trifonov und Jansons und lässt uns die Darbietung mit deutlich weniger Prägnanz und „Biss“ hören. Das Orchester wirkt ein wenig zurückgesetzt. Insgesamt kommt der Mitschnitt aus Salzburg klanglich nicht an die beiden neueren Produktionen aus München von 2017 und 2022 heran. Auch gegen die ältere Aufnahme mit Hoffmann und Klee, die offener, klarer, dynamischer frischer wirkt, kommt sie bei weitem nicht an.
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4
Lang Lang
Christoph Eschenbach
Wiener Philharmoniker
Sony
2014, live
22:00
Gleich zu Beginn fällt bei dem solistischen Teil des „Sommernachtskonzertes“ in Schönbrunn auf, dass es hier wohl am „Vivace“ mangeln wird. Da ändert auch das vollgriffige Herabdonnern der Skalen des Pianisten nicht viel daran. Dabei fehlt es Eschenbach und den Wienern mit feinen und flexiblen Übergängen nicht an Einfühlungsvermögen. Den Walzer spielen den Philharmoniker nicht viele so gekonnt nach. Lang Langs Spiel macht auf uns einen ziemlich nüchternen Eindruck, er versucht zwar mit etwas Rubato ein wenig Gefühl anzudeuten, aber richtig innig und glaubhaft wirkt es nicht. Der Gestus wirkt dann letztlich doch eher vorsichtig und man könnte sich selbst unsicher sein, ob diese Charaktereigenschaft nun unserem jugendlichen Helden der „Burleske“ zugeeignet werden soll oder ob sie der trockenen Virtuosität des Solisten entspringt. An anderer Stelle dreht er dann wieder so tüchtig auf, dass man wohl doch an ersteres glauben müsste. Die Kantilene intoniert er sehr zurückhaltend und er ist einer der ganz wenigen, die sie tatsächlich gänzlich p spielt, ganz so, wie es in der Partitur steht. Die Celli singen ihren Part sehr schön, werden aber leider akustisch nicht gerade vorteilhaft präsentiert.
Diese Darbietung wirkt, obwohl eigentlich ziemlich nuanciert gespielt wird, ziemlich spannungsarm. Es fehlt der große Bogen, der sich anscheinend bei stärker angetriebenen Tempi leichter einstellen will (Ausnahmen bestätigen die Regel: Jansons ist spannender und noch langsamer). Eschenbach neigt zu Verbreiterungen, da wären sicher mehr Funken rauszuschlagen gewesen. Übrigens: In der donnernden „Pseudostretta“ gehen die Details im Orchester fast ganz verloren.
Diese eventbasierten Veranstaltungen bringen das große Publikum (und wahrscheinlich auch das große Geld) zusammen, bringen vielleicht auch Klassikneulinge auf den Geschmack an klassischer Musik, was zu begrüßen wäre, sie stellen aber nicht die besten Voraussetzungen dar, um ausgezeichnete Aufnahmen zu erstellen. Der Klang ist denn auch nur mäßig transparent und nur mäßig gut gestaffelt, insgesamt als CD nicht besser als eine Sendung im Rundfunk. Die schon angesprochene Aufnahme mit Trifonov und Jansons hat uns besser gefallen. Die Wiener spielen mit reduziertem Schmelz als ob sie auf Mager-Kur gesetzt worden wären (man erkennt sie aber trotzdem). Der Klang ist trocken und etwas stumpf, wenig dynamisch und wenig brillant. Er wirkt ähnlich anämisch, fast blutleer, wie der DG-Klang in Leipzig in der Aufnahme mit Yuja Wang und Andris Nelsons.
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3-4
Estella Olevsky
Dennis Burgh
Janacek Philharmonic Orchestra, Ostrava
Centaur, Stradivarius Classics
1990
20:16
Der Flügelklang von Frau Olevsky klingt im Vergleich zu Frau Leonskayas erheblich dünner. Der Klavierpart macht mitunter einen gar ausgedünnten Charakter. Nicht jeder Anschlag ist zudem ein Volltreffer, ihr Spiel ist aber rhythmisch prägnant, wenn auch mitunter etwas hölzern. Bei den sf könnte sie noch kräftiger in die Tasten greifen. Das Orchester bietet einen respektablen Richard-Strauss-Klang, wobei die Holzbläser noch ein wenig hart klingen. Die Passage vor M in der Kantilene wird in Ostrava nur vom Solocello gespielt statt von der gesamten Cello-Gruppe. Gerade in der ausgedehnten Passage, in der das Orchester ganz alleine spielt (Durchführung, O bis einschl. Q) wird es offensichtlicher, dass dem Orchester doch viel Schmelz und Wärme fehlt, um zu den besten gezählt werden zu können. Die Pauke ist mitunter schlecht zu hören, pp sollte nicht unhörbar bedeuten, besonders wenn das korrespondierende pp des Klavieres überdeutlich lauter klingt. Die Wichtigkeit der Pauke wird nur im ff wahrgenommen, dabei ist ihre Beteiligung in jeder Lautstärke von Bedeutung. Dem Walzer fehlt es ein wenig an Schmelz und Schmäh. Die große „quasi cadenza“ zeigt erneut Schwächen beim Anschlag und der Treffersicherheit. Trotzdem wirkt das Spiel der Pianistin recht ausdrucksvoll. Die Stretta (eigentlich ist sie formal nur eine „Pseudo-Stretta“, weil das Stück mit ihr nicht endet, wird nur mit Mühe gemeistert. Da fehlt es etwas an Souveränität, am „Stehen über den Dingen“.
Das Klavier klingt in dieser Aufnahme präsent mit schlankem Klang und einem Hang ins Hölzerne. Die Transparenz ist gut, ebenso wie die Balance. Das Orchester klingt etwas gepresst.
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3-4
Glenn Gould
Vladimir Golschmann
Toronto Symphony Orchestra
CBS-Sony
1967
23:56
MONO Diese Einspielung, gleichwohl auch als CD erschienen, wird als „Television Broadcast“ bezeichnet. Es liefen also auch die Kameras mit und tatsächlich kann man auch diesen Film bei YouTube anschauen. In diesem Fall hat die Entstehung dieser Aufnahme als Film für den gehörbezogenen Musikfreund den Nachteil, dass man den Wert des Tons bei der Aufnahme eher gering gewichtet hat. Dass es nur monaural klingt ist dabei nur ein Indiz unter mehreren.
Die Pauke klingt nur zu Beginn (wenn der Pauker groß im Bild ist) präsent. Das verflüchtigt sich und im Verlauf hört man sie dann als konzertierendes Instrument nur noch im ff. Ansonsten weich und unbedeutend. Das Orchester wirkt auch nur einigermaßen aufgelichtet, wenn es alleine spielt. Wenn man daraus schließen könnte, dass zumindest der Flügel einen schönen, vollen und brillanten Klang zugebilligt bekommen wäre, wäre das ein Trost, jedoch ist dem leider nicht so.
Diese Einspielung kommt im Tempo der von Mariss Jansons geleiteten am nächsten, aber das „gemäßigt“ erscheint bei Gould und dem sonst eigentlich sehr temperamentvoll in Erscheinung getretenen Dirigenten Vladimir Golschmann viel mehr als „bedächtig“. Ein Eindruck, der sich bei dem lettischen Dirigenten nicht einstellt. Gould selbst wirkt immer, wenn er gemeinsam mit dem Orchester zu spielen hat, etwas gehemmt. Sein Spiel wirkt lange nicht so geschmeidig wie etwa bei Poldi Mildner, um einmal eine heute unbekannte Pianistin dagegen zu halten. Auch klanglich klingt es bei Gould trotz der neueren Aufnahme keinesfalls brillanter, im Gegenteil, die alte Telefunken-Platte bringt sogar mehr Schmelz in die Musik ein. Gould spielt zweifellos sehr klar und überlegt aber auch sehr ernst. Unserer unmaßgeblichen Ansicht nach passt seine Spielweise kaum zum Anspruch, den das Stück eigentlich an die Interpreten stellt. Trifonov konnte bei ähnlichem Tempo die Pointen dringlicher und brillanter klingen lassen. Bei Gould lassen sie gefühlt so lange auf sich warten, dass sie schon verpufft sind bevor sie wirken können. Er lässt zwischen ff und fff keinen Unterschied hören.
Das Orchester bringt ziemlich wenig Feinschliff in sein Spiel ein, betont aber immerhin die burlesken Züge, wenn auch auf derbe Art und Weise. Das ändert letztlich nicht viel an der hüftlahmen Deutung des als quicklebendig einzuschätzenden Jugendwerkes.
Gould bezeichnete den Beginn der „Burleske“ als eine der dümmsten und geistlosesten Passagen der gesamten Klavierliteratur. Man fragt sich, warum er sich damit dann überhaupt mit dem Stück auseinandergesetzt hat. Nun, er beißt sich professionell durch, aber eine herzliche Beziehung hat er auch im weiteren Verlauf wohl kaum zu dem Stück aufbauen können. Vielleicht war es eher eine Hass-Liebe, von der andere Pianisten in Bezug auf die Burleske auch gesprochen haben?
Der Klang der Aufnahme klingt etwas gepresst (vor allem mal wieder bei den Violinen) und verhangen. Dass ein Brumm mit aufgenommen wurde ist ein schlimmer Fauxpas der Techniker und spricht für die Geringschätzung des Tons gegenüber dem Bild. Passagenweise klingt die Aufnahme sogar transparent, im Tutti allerdings verklumpt der Klang deutlich. Der Gesamtklang wirkt ein wenig dumpf und rauscht vernehmlich. In den leisen Passagen wirkt das störend, wenn man da empfindlich sein sollte. Man vermisst Klangfülle, Rundung, Lebendigkeit und pralle Farben. Dynamisch wird wenig differenziert. Wir hören ganz kurz zusammengefasst auch auf CD den Fernsehton der 60er Jahre. Im Gegensatz zum Bild kommt der noch in schwarz/weiß zu uns. Strauss versachlicht, entfärbt und beinahe bar jeder Sinnlichkeit. Das muss man mögen. Diese Einspielung sei daher nur eingefleischten Glenn Gould-Fans empfohlen.
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3
Elly Ney
Willem van Hoogstraten
Staatskapelle Berlin
Biddulph, Intense Media, APR
1932
16:35
MONO Wer mehr über die Pianistin Elly Ney und ihre Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus erfahren möchte, sei auf den ausführlichen Artikel in Wikipedia verwiesen. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wollen wir uns auf die musikalische Seite ihrer Einspielung der „Burleske“ beschränken.
Getrost kann man bei Elly Ney von einer Einspielung schreiben, die in vielen Details, besonders aber im Tempo genau die gegensätzliche Position zu der Glenn Goulds einnimmt. Wenn die Burleske eine „Tarantella“ wäre, würde der hier erzielte Gestus besser passen. Frau Ney und ihr vormaliger Ehemann und späterer Lebensgefährte (zur Zeit der Aufnahme) legen ein sehr schnelles Tempo vor (das schnellste unseres Vergleiches). Es wirkt zumindest was den Klavierpart anlangt meist hastig (und wie von der Tarantel gestochen). Gemeinsam mit der schlechten, sehr wenig transparenten Klangqualität und dem wenig Feingefühl ausdrückenden Klavierspiel, wird eine Kenntnisnahme vieler Details der Partitur sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Eine Differenzierung der Dynamik ist kaum bis gar nicht festzustellen. Das p des Klaviers verschwindet mitunter hinter einem dichten Rauschschleier. Frau Neys Klavierspiel ist technisch sicher hochklassig, es klingt aber sehr hart es wirkt martellato-lastig. Ob sie tatsächlich alle Töne spielt ist reine Spekulation, denn die tiefen Töne kann man kaum hören. Der Gestus der Jugendlichkeit begegnet uns hier sozusagen verabsolutiert. Hauptmanko ist wohl das durchpeitschende Tempo, das wenig Nuancen zulässt und in dem sich die lyrischen Abschnitte (und das sind gar nicht so wenige) nicht entfalten können. Frau Ney brettert durch die Partitur, wie die Jugendlichen von heute mit ihren E-Rollern durch die Fußgängerzonen: ohne Rücksicht auf Verluste.
Immerhin bietet sie uns eine eigenständige Interpretationsweise an. Dass diese an ein wildes Durchpeitschen mit einem aggressiven Unterton erinnert, mag damals dem Ideal entsprochen haben, kann heute nicht mehr begeistern. Gerne hätten wir dazu einmal den Komponisten befragt, was er dazu meint. Vielleicht wollte sie auch vor allem demonstrieren, was sie am Klavier alles kann?
Die Klangqualität ist historisch und zeitweise von einem Totalverlust der Details geprägt. Vor allem bei den Holzbläsern. Wo ist die Pauke? Eine berechtigte Frage. Nur wenn sonst absolute Ruhe oder allenfalls p herrscht, ist sie hörbar, ansonsten wirkt sie sehr weit zurückgedrängt. Der Gesamtklang ist scharf und entbehrt der Sinnlichkeit fast gänzlich. Es rauscht sehr stark und Rauschen dominiert passagenweise das musikalische Geschehen. Schwarz/weiß und Grau herrscht vor.
Vergleich fertiggestellt am 7.7.2023