MAURICE RAVEL
TZIGANE
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Werkhintergrund:
Sie gehört zu den späten Werken von Maurice Ravel: die Konzert-Rhapsodie "Tzigane" aus dem Jahr 1924. Inspiriert wurde der Komponist zu diesem virtuosen Stück durch die ungarische Geigerin Jelly d'Arányi. Die Großnichte des Geigers Joseph Joachim hatte Ravels G-Dur-Sonate 1922 bei einer privaten Konzertveranstaltung in Paris gespielt. Der dabei anwesende Ravel war so fasziniert, dass er die Geigerin im Anschluss an das Konzert bat, für ihn einige Zigeunerweisen zu spielen und zu improvisieren. Davon konnte Ravel gar nicht genug bekommen. „Bis um 5 Uhr morgens erklangen die Zigeunerweisen, jedermann war erschöpft außer der Geigerin und dem Komponisten. Dieser Abend gab den Anstoß zur Tzigane.“ (A. Orenstein).
Ravel war so beeindruckt von ihrem Können, dass er ihr eines der schwersten Stücke widmete, die je für Geige geschrieben wurden.
Die Original-Partitur von Tzigane enthält Register-Anweisungen zur Ausführung, die sich auf das Luthéal beziehen, das original von Ravel vorgesehene Begleitinstrument. Dabei handelt es sich um ein mechanisch präpariertes Klavier, das den Klang des ungarischen Cimbalom (Hackbrett) imitiert. Diese kammermusikalische Version seines Stückes wird heute vor allem in der Besetzung mit Violine und Klavier gespielt, dagegen ist seine Besetzungsangabe für Violine und Luthéal wegen der Seltenheit des Begleitinstrumentes bisher kaum zur Ausführung gekommen. Erst in den letzten Jahren gibt es Künstler, die das Stück in der von Ravel vorgesehenen Besetzung aufführten.
Die Uraufführung fand in London am 26. April 1924 mit der Widmungsträgerin, begleitet von Henri Gil-Marchex (allerdings am Klavier) statt. Die Uraufführung der Orchesterfassung fand 30. November 1924 in Paris statt, mit den Concerts Colonne unter der Leitung von Gabriel Pierné. Als erster gelang es dem niederländischen Violinisten Theo Olof (1924–2012), der ein Luthéal im Brüsseler Musikinstrumentenmuseum fand, die Originalversion einzuspielen, es wurde von Daniel Wayenberg gespielt (EMI). Daniel Hope ließ für seine Aufnahme ein Luthéal nachbauen. Es unterscheidet sich aber klanglich sehr stark von dem letzten vorhandenen, originalen Luthéal im Brüsseler Musikinstrumentenmuseum. Patricia Kopatchinskaya soll inzwischen das Werk auch mit einem originalen Cimbalon (gespielt von ihrem Vater) aufgeführt haben, eine Einspielung ist sicher zu erwarten.
Ravel orchestrierte die Komposition bald nach der Fertigstellung der Version für Violine und Luthéal. Damit wollte er den Eindruck dieser Musik, aus dem Südosten Europas inspiriert, noch verstärken.
Die Komposition besteht aus einem einzigen etwa 10 Minuten langen Satz. Der erste Teil ist ganz für Violine solo komponiert und im Stil einer Improvisation über Zigeunerthemen konzipiert. Im zweiten Teil beginnt dann die sehr klangfarbenreiche Begleitung durch das Klavier, Luthéal oder Orchester.
Ravel nimmt die Geduld der Hörer zwar nur für zehn Minuten in Anspruch, die Virtuosität des Solisten aber bis an die Grenzen des damals physisch Möglichen.
Das Werk setzte sich dennoch in Windeseile durch, wiewohl die Rezeption von Beginn an geteilt war und es an kritischen Stimmen nie gefehlt hat, die die Komposition zum Teil rundweg ablehnten. Hier mag manches Missverständnis mitschwingen. Ravels Ziel war es, ein Violinstück für Virtuosen zu schreiben. Und weiter: „Es war nicht mein Bestreben, Ungarn heraufzubeschwören, das ich nicht kenne; meine Tzigane ist nicht das für Budapest, was, unter meinen anderen Werken, La Valse für Wien und La Rhapsodie Espagnole für Spanien ist; es ist hauptsächlich ein Stück für die Violine. Und da es passend für Jelly d´Arányi sein und ihre Art des Violinspiels reflektieren sollte, bot sich die Form einer ungarischen Rhapsodie geradezu an. Ravel näherte sich dem Sujet mit der ihm eigenen respektvoll-ironischen Distanz. Entstanden ist so ein Meisterwerk: raffiniert innovativ, temperamentvoll und klangsinnlich, augenzwinkernd ironisch, poliert, extrem wirkungsvoll, virtuos.
Das Werk ist auch deshalb so beeindruckend, weil es idiomatisch so überaus korrekt geschrieben wurde, obwohl der Komponist Zeit seines Lebens nicht Geige gespielt hat. Nicht ohne Hintergedanken ließ sich Ravel so lange wie möglich von Jelly d'Arányi vorspielen. Darüber hinaus musste ihm eine mit ihm befreundete Geigerin auch aus den Capricci Paganinis vorspielen, damit er genau hören konnte, was auf der Geige wie spielbar ist und wie er es mit weiteren Gemeinheiten noch übertreffen konnte.
Tzigane beginnt mit einem Violinensolo, das lento beginnt, ähnlich einer Kadenz oder freien Fantasie, wie es bereits aus den Ungarischen Rhapsodien bekannt war, und mit Doppelgrifftrillern endet. Danach setzt ein klarer Rhythmus ein, durch Pausen und gelegentliche Orchesterpassagen akzentuiert, die das Zigeunerkolorit der Musik hervorheben. Dieser Teil ist eine darstellende Imitation eines typischen ungarischen Instrumentes, des Zymbals (eine Art mit Saiten bespanntes Hackbrett , das mit zwei kleinen Holzhämmern gespielt wird). Gegen Ende des Stückes wird das Tempo schneller und der furiose, im Sechzehntelrhythmus gespielte Geigenpart endet abrupt in einer abschließenden Akkordfolge.
Obwohl Ravels Komposition den Namen "Tzigane", also "Zigeuner" oder "zigeunerisch" trägt, verwendet er keine Volksmelodien aus dieser Region. Ravel knüpft stattdessen an ein Klischee an, das schon Franz Liszt in seinen "Ungarischen Rhapsodien" oder Johannes Brahms in seinen "Ungarischen Tänzen" geschaffen haben. Es ist die Sehnsucht eines krisengeschüttelten Europas nach Exotik und Ursprünglichkeit.
Anders als die virtuosen Stücke Pablo Sarasates - seine "Zigeunerweisen" oder seine "Carmenfantasie" - ist Maurice Ravels "Tzigane" eigentlich kein Stück, das den Interpreten mit eingängigen Melodien lockt. Eher ist es ein Stück über das Virtuosentum, das es wie aus der Distanz zu reflektieren scheint. Eine Hintergründigkeit, die gerade den einen oder anderen Interpreten neugierig macht (BR Klassik).
Die Zahl der Einspielungen mit Violine und Klavier dürfte am größten sein.
In unserem Vergleich wollen wir uns jedoch, nicht zuletzt weil das Angebot bereits mit dieser Fassung allein sehr reichhaltig ist, zumindest für dieses Mal ausschließlich auf die Orchesterfassung konzentrieren.
Noch ein Wort zur Rolle des Orchesters in „Tzigane“. Als Hörer gewinnt man den Eindruck, dass es hinter dem Solisten zurücktreten muss, vielleicht auch, weil seine Aufmerksamkeit vom entfachten geigerischen Feuerwerk nahezu gänzlich vereinnahmt wird. Dennoch kommt Ravels Kunst der Instrumentierung überdeutlich zum Vorschein. Das Orchester klingt mit der Brillanz der Effekte in nahezu allen Einspielungen ausgesprochen plastisch. Schon alleine, wenn sich die Harfe zu Beginn des zweiten Teils zur Violine gesellt wirkt das magisch. Die besten Dirigenten und Orchester vermögen noch zusätzlich ein paar besondere Akzente zu setzen, die bei anderen unhörbar bleiben oder weniger plastisch zur Geltung kommen. Aber auch sie können nicht verhindern, dass sie in diesem Stück nur die „zweite Geige“ spielen dürfen.
Stimmen:
Arabella Steinbacher: "Das Stück hat viele dunkle Seiten, weil es so zigeunerisch geschrieben ist. Zwar ist alles ausgeschrieben, aber trotzdem kann man es doch sehr improvisiert spielen. Und das hat man ja nicht so oft im klassischen Repertoire. Das fand ich toll, dass es so etwas gibt. Und ich spiele die „Tzigane“ auch jetzt noch wahnsinnig gerne."(BR Klassik)
Patricia Kopatchinskaja: "Tzigane von Maurice Ravel gehört zu den anspruchsvollsten Werken für Geige. Ein Stück, das nach Lagerfeuer und Heimatlosigkeit klingt, dennoch nichts mit echter Volksmusik zu tun hat.“ Für sie ist "Tzigane" ein sinnliches Stück Selbstironie. (WDR 3)
Scott Foglesong: Es gab einige, die sich fragten, ob Tzigane satirisch sein könnte, wenn man bedenkt, dass er virtuose Salon-Zigeunerstücke von Liszt, Joachim, Hubay und dergleichen genau heraufbeschwört. Andere zielten auf das, was sie als Künstlichkeit hörten. Aber Ravel meinte zu seinen Noten der schillernd-virtuosen Pastiche. „Fällt diesen Leuten nie auf, dass ich von Natur aus ‚künstlich‘ sein kann?“ (In einem Programmheft des San Francisco Symphony Orchestra)
Herbert Antcliff, der meint nichts von Ironie und dergleichen zu hören: "Ravel ist zurückgekehrt zum Ursprung aller guten Musik, zu den traditionellen Melodien und Gefühlen der Menschen, die nichts auf Kunstfertigkeit und Konventionen geben." (Columbia-Records)
Eine Gepflogenheit mussten wir in diesem Vergleich wegen Patricia Kopatchinskaya aufgeben. Weil von ihr noch keine Einspielung mit Orchester auf dem Tonträgermarkt vorliegt (eine, wie man hört, hervorragende Einspielung mit Klavier (Polina Leschenko) liegt jedoch vor), wir aber im Vergleich keinesfalls auf sie verzichten wollten, mussten wir auf einen Konzertmitschnitt zurückgreifen, der 2013 von Arte aus Nantes übertragen wurde. Sie muss so lange als Ersatz herhalten, bis es eine reguläre Veröffentlichung gibt. Übrigens ist sie auch für jedermann auf Youtube abrufbar. Wünschenswert wäre es aber trotzdem, wenn eine Einspielung mit einem Orchester und einem Dirigenten (oder Dirigentin) ihrer Wahl bald aufgenommen und veröffentlicht werden würde.
Ihr verdanken wir übrigens auch die Angabe der Kriterien, die ein(e) Solist/in in diesem Stück erfüllen sollte, wenn er/sie das ganze Potential von „Tzigane“ entfalten will. Wir fassen das in einem Podcast (WDR 3) Gesagte nun in einer kleinen Liste zusammen.
Sie oder er sollte:
- alle Register der Seele ansprechen und direkt ins Herz treffen
- vielleicht sogar als verteufelt erscheinen (oder auch verhext)
- ein Feuer entfachen können
- eine rauschhafte Wirkung entfalten
- dazu das Instrument vollkommen beherrschen
- bestenfalls eins mit dem Instrument werden
- mit ihm sprechen können und
- phantasieren können.
Es verwundert kaum, dass Sie selbst den aufgestellten Kriterien in besonderer Weise gerecht wird.
Wie oft in unseren Vergleichen zeigten die älteren Generationen einen durchweg härteren (in diesem Fall fast schon machohaften) Zugang zum Stück, was sich sowohl in einem eher weniger flexiblen, schattierungsreichen Geigen-Ton, in einem eher geringeren Eingehen auf das Wesen der Rhapsodie als auch in einem kompromissloseren schnelleren Tempo bemerkbar macht. Ausnahmen bestätigen allerdings, wie so oft, die Regel.
Final zusammengestellt am 8.9.2021

Maurice Ravel
Vergleich:
5*
Patricia Kopatchinskaya
Jean - Jacques Kantorow
Sinfonia Varsovia
Arte
2013
9:50
Patricia Kopatchinskaya hat bereits von Kindestagen an von und mit ihrem Cymbalon spielenden Vater die osteuropäische Volksmusik „aufgesogen“, wie man so schön sagt. So verwundert es kaum, dass sie, die zudem eine ausgezeichnete akademische Ausbildung genossen hat, alle Facetten des Stückes auf ganz besondere Weise zum Leben erwecken kann. Nicht unbedeutend in diesem Zusammenhang dürfte es aber auch sein, dass sie den ganzen Hintergrund des Werkes, sozusagen seine Geschichte ebenfalls voll und ganz mit in ihre Darstellung einfließen lässt. Da kommen wohl höchste Begabung, Instinkt und Wissen auf geglückte Weise zusammen.
Ihr Umgang ist extrem frei und phantasievoll, wirkt rhapsodisch und spontan erfunden wie kein zweiter. Was ihre Darbietung so besonders überzeugend macht ist, dass sie dies auch noch mit absoluter technischer Meisterschaft umzusetzen weiß. Mit frischem unverbraucht wirkendem Ausdrucksvermögen trifft sie den Kern des Stückes, das „Ungarn aus den Träumen Ravels“, wie dies in diesem Maß in keiner anderen Einspielung gelingt. Ihre Farbpalette wirkt schillernd, ihre geigerischen Mittel artistisch oder, wenn man so will, wie verzaubert. Es kam uns in den Sinn, dass es so vielleicht bei einem ungarischen Paganini (oder vielmehr Paganina) geklungen haben könnte. Ihr Glissando in der „Lassu“ (der langsame Teil einer ungarischen Rhapsodie) wirkt magisch, aber nicht nur das. Sie lässt sich viel Zeit dafür, ihre Geschichte zu erzählen. Zumindest meint man als Hörer keinen Zeitdruck zu spüren. Im zweiten, schnellen Teil, der „Friss“ gesellt sich das Orchester hinzu, das sich gut auf die Solistin eingestellt hat, indem es besonders gefühlvoll und extrem detailliert agiert. Das verwundert auch nicht, denn der Dirigent, selbst ein hervorragender Geiger, kennt das Stück auch von der Seite des Solisten. Auch ihm gelang eine sehr gute Einspielung, von der etwas weiter unten noch die Rede sein wird. An den Farbenrausch, den die besten Orchester des Vergleiches (PO, LSO, WP) hervorbringen, kommt es jedoch nicht ganz heran. Das macht aber nichts, denn vom Eindruck der die Geige gemacht hat, kommt man sowieso nicht los.
Auffallend war auch, wie gut strukturiert das Stück bei Frau Kopatchinskaya wirkt und was fast noch beeindruckender ist, wie leicht und einfach fassbar es wurde. Da wirkte nichts mehr schwierig oder sperrig. Und schon gar nicht mehr „machohaft“, wie man das Stück eigentlich zu kennen glaubte. Diese Darbietung begeistert in jeder Hinsicht und auf der ganzen Linie.
Der Klang der Aufnahme ist „fernsehspezifisch“ eher wenig dynamisch, jedoch breit gestaffelt. Es ergibt sich ein glaubhaftes Orchester-Panorama. Wenn man die Aufnahme von Youtube gestreamt hört, geht es noch einmal bergab mit der Klangqualität. Hoffen wir auf eine baldige gut aufgenommene Einspielung, „Audio only“. Natürlich hat das Fernsehbild auch sein gutes, wie sollte man sonst auch sehen können, wie locker, keck und schalkhaft und vor allem auch wie kommunikativ die Geigerin mit vielsagendem und reichhaltigem Minenspiel das diabolisch schwierige Stück hinzaubert... Auch das ist faszinierend.
Ein Bonus, der in unser Fazit natürlich nicht mit einfließen durfte. Trotzdem musste es das * Sternchen geben..
5
Maxim Vengerov
Antonio Pappano
Philharmonia Orchestra London
EMI
2003
9:35
Von allen anderen Einspielungen kommt die Maxim Vengerovs unserer „Referenz“ am nächsten. Auch ihm gelingt ein flexibler, fantasievoller Umgang mit der Partitur, der ausgesprochen kraftvoll, spontan und improvisatorisch frisch wirkt. Auch im zweiten Teil mit Orchester wirkt sein Spiel erzählend, feurig und supervirtuos. Das Orchester schließt sich mit spannendem und überraschend wirkendem, hoch engagierten Spiel dem Solisten an. Mit einer eigenen präzise und agil wirkenden Profilierung gehört es zu den Besten des Vergleiches. Insgesamt überzeugt der enorm weite Ausdrucksradius dieser Darstellung vollauf. Das drastisch ausgeprägte Rubato mit dem schroffen Wechsel von verlangsamten, gestaut wirkenden Episoden und feurigen, enorm beschleunigten, begeistert. Der enorme Reichtum an Spielarten und die höchste Virtuosität ebenso. Diese Einspielung wirkt inspiriert, unmittelbar und ungeheuer lebendig. Das ist großes „Kino“. Da waren wahrhaft Meister ihres Faches am Werk.
Auch in allen Belangen der Aufnahmetechnik geglückt, stellt diese Einspielung eine enorme Bereicherung der Diskographie des Werkes dar.
5
Vadim Repin
Kent Nagano
London Symphony Orchestra
Erato
1998
9:34
Eine enorm differenzierte Leistung, die mit souveräner Ausstrahlung und einem Höchstmaß an Virtuosität einhergeht, hat auch Vadim Repin vorgelegt. Seine rhapsodische Gestaltung (besonders in der Phrasierung) geht zwar nicht so weit, wie die Kopatchinskayas, aber alleine schon die Spielarten des Vibratos sind sehr reichhaltig. Seine makellose Technik wirkt locker, wie aus dem Ärmel geschüttelt. Auch bei den größten Schwierigkeiten bleibt sein Ton bewundernswert weich und flexibel. Das Orchesterspiel des LSO wirkt souverän, wie es bereits bei Abbado, 11 Jahre zuvor, klang, nur hat Nagano den entschieden flexibler gestaltenden Solisten an seiner Seite. Der ebenfalls exzellenten Anne-Sophie Mutter gegenüber kommen noch eine gewisse generöse, großzügige Selbstverständlichkeit in der Spielweise und ein gewisser humoriger Esprit in der Charakterzeichnung hinzu. Die glänzende Technik kommt ohne jedes „zigeunerhaftes“ Ächzen oder Quietschen aus, erreicht aber trotzdem mit rauschhaft gesteigerten (und sauberen) Verläufen, auch gegen Ende des Stückes, rauschhaften Ausdruck.
Im kadenzhaften „Lassu“ des Solos wird Repin noch mit etwas Hall umgeben, der aber mit dem „Auftreten“ des Orchesters verschwindet. Ansonsten klingt die Einspielung sehr brillant, bei hoher Transparenz und sehr guter Staffelung.
5
Christian Ferras
George Sebastian
Orchestre National Belgique, Brüssel
Decca – BnF
1953
10:16
MONO Innerhalb unseres Vergleiches war Ferras Anfang der 50er Jahre der erste, der das Zigeunerhafte voll in seine Darstellung einbrachte. Im Ausdruck pendelt sie in der „Lassu“ zwischen Depression und Überschwang. Er spielt viel flexibler in Tongebung und im Metrum als beispielsweise die zuvor gehörten Chung und Chase und wirkt erheblich emotionaler im Ausdruck. Der zweite Teil mit Orchester (in der Rhapsodie ungarisch „friss“ = frisch genannt) wirkt ebenso eindrucksvoll. Ferras brennt ein geigerisches Feuerwerk ab. Er geht dabei mit seiner extrem herausfordernden Spielweise keinem Risiko aus dem Weg. Diesbezüglich geht er auch noch weit über die Spielweise Charliers hinaus, der aber gegenüber Ferras den schönen Ton mehr schätzt als der hier besonders tänzerische, fast improvisierende Ferras. Das Orchester kann dem gegenüber nur noch sekundieren.
Vom Klang der Aufnahme gesehen ist alles Wesentliche da. Die instrumentatorischen Finessen Ravels hört man jedoch nur mit größter Aufmerksamkeit. Die Violine ist (verdientermaßen) stets im Vordergrund.
5
Anne-Sophie Mutter
James Levine
Wiener Philharmoniker
DG
1992
9:54
Anne Sophie Mutter scheut in ihrer Darstellung auch exzessives Vibrato und bohrende Intensität nicht. Ihr Espressivo ist aber kein nerviges Dauerespressivo, das in seiner Intensität immer gleich bleibt und durch Monotonie schon bald ermüdet oder sogar unangenehm oder nervig wird. Ihr Spiel bietet auch extrem große Dynamik-Gegensätze. Ihr Geigenton bleibt dabei auch im pp noch seidig, glasklar und verführerisch. Auch in der „Friss“ bleibt ihr Spiel souverän. Gemeinsam mit den brillanten Einwürfen des sehr präsenten Orchesters, wirkt dieser Abschnitt sehr temperamentvoll. Das bei Zi. 17 verlangte Grandioso wird hier tatsächlich einmal voll realisiert. Diese Einspielung wirkt besonders brillant und geigerisch und orchestral auf den Punkt gebracht. Sie entfacht durchaus ebenfalls Feuer und rauschhafte Leidenschaft. Sie bringt stilistisch mehr die Paganini-Seite der Komposition zum Ausdruck als die improvisatorisch-zigeunerhafte Seite. Dies dürfte dennoch eine der besten Leistungen der Geigerin sein.
Der Klang der Aufnahme ist eine Wonne, sehr voluminös, großräumig, plastisch, voll und sehr dynamisch, wie auch sehr transparent.
5
Frank Peter Zimmermann
Gianluigi Gelmetti
Radiosinfonieorchester Stuttgart
EMI
1990
10:06
Das erste Auftauchen des Themas (bei Zi. 1) klingt bei Zimmermann weit zurückgenommen und sehr gefühlvoll. Mit vollem, ebenso wunderbar sonor klingenden iwe unaufdringlichen Ton, bringt er den sehr rhapsodisch intonierten „Lassu“ zum klingen.
Das Orchester wirkt sehr aufmerksam, auffallend reaktionsschnell, detailliert und pointiert. Im schnellen „Friss“ gelingt Zimmermann eine mit sauberer Technik veredelte, begeisternde, aufwühlende „Performance“. Bei diesem Feuerwerk steht das RSO kaum zurück. Zimmermann gelingt es besonders gut, das Werk zwischen Seriosität einerseits und Effekt und Attraktion andererseits in die Balance zu bringen.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr ausgewogen und sehr transparent.
5
Isaac Stern
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1957
8:51
Stern wählt einen recht herben Einstieg in das Werk. „Sein“ Thema bei Zi. 1 wirkt besonders traurig. Auch im weiteren Verlauf sucht er Ausdrucksextreme zu gestalten. So wirkt sein Spiel passagenweise auch wie ein Gebet, dann wieder wie eine Anklage. Sein Vibrato wirkt ziemlich erregt, sein Ton wirkt geschmeidig aber keinesfalls üppig. Der schnelle Teil wirkt betont tänzerisch, dann wieder hoch gespannt, auch einmal ungeduldig und drängend. Stets erfährt man seinen Ton als singend. Tonlich mögen einige jüngere Geiger/innen mittlerweile an ihm vorbeigezogen sein, in Sachen Ausdruck sieht es jedoch anders aus. Stern spielt das Stück in Hochform. Das Orchester steuert teilweise irisierende Farben und glanzvolle Akzente bei. Die extatische Schlusssteigerung erwähnen wir sehr gerne..
Die Klangtechnik wirkt nicht ganz so brillant wie die bei den zuvor genannten Einspielungen (Ausnahme: Kopatchinskaya und Ferras), die auch deutlich moderneres Equipment nutzen konnten. Sie wirkt aber immer noch sehr dynamisch und recht differenziert. Wie oft bei den Aufnahmen aus Philadelphia aus jener Zeit, nimmt man es mit dem p oder pp nicht so genau.
5
Leonid Kogan
Kyrill Kondrashin
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Olympia
1947
8:46
MONO Kogan besticht mit einem enorm dichten Ton und sehr schnellem, intensivem Vibrato. Sein Vortrag ist trotz der immensen Schwierigkeiten und des wie bei Stern „höllischen“ Tempos von einer gespenstisch wirkenden Sicherheit geprägt. Er baut zusätzlich noch ein paar Echoeffekte mit ein. Im zweiten Teil, den ein effektvoll angeschärftes und knackiges Orchesterspiel bereichert, überwältigt sein enorm intensiver Ton mit höchster Virtuosität. Durchaus vergleichbar mit der Einspielung von Jascha Heifetz, der bereits zuvor gehört wurde. Kogan geigt die kapriziösen Gemeinheiten der Violinstimme jedoch noch widerstandsloser hinweg. Eine höchst beeindruckende Einspielung.
Der Klang der sehr gut restaurierten Aufnahme ist fast völlig rauschfrei und zeigt den Solisten in einer fast schon „intimen“ Nähe. Sie klingt besser als die Einspielung Oistrachs, ebenfalls mit Kondrashin ein Jahr später.
5
Michel Rabin
Adrian Boult
Philharmonia Orchestra London
EMI
1957
9:16
Rabins Darstellung empfanden wir als sehr sympathisch. Er meidet das Überespressivo, klingt überhaupt nicht aufdringlich und nuanciert dynamisch sehr gut. Seine makellose Technik und das feine Vibrato münden in einen ausgesprochen schönen Geigenklang.
Das Philharmonia Orchestra mit den zur jener Zeit viel gescholtenen Oboen spielt fast schon unauffällig, unterstützt den Solisten aber auch mit zugespitzten und aufgekratzten Verläufen. Rabin und Boult treffen gemeinsam die rhapsodische, wechselhafte Tempogestaltung sehr gut. Rabins Pizzicati sind in ihrer Rasanz eine Wonne.
Der Klang der schon sehr betagten Einspielung klingt erstaunlich plastisch und gewährt einen guten, natürlich wirkenden Raumeindruck.
5
Olivier Charlier
Laurent Petitgirard
Orchestre Symphonique Francais
Label unbekannt
1991
9:24
Das vom Dirigenten 1989 gegründete Orchester konnte, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen (da ohne Subventionen) nur bis 1997 am Leben gehalten werden. An seiner musikalischen Qualität kann es eigentlich, nach dieser Einspielung zu urteilen, nicht gelegen haben. Charliers Produktion wirkt nach Kopatchinskaya, Vengerov und Ferras wieder improvisatorischer, spontaner aufgebaut. Sehr gut hält er die Fermaten als spannungsfördernde Pausen geradezu fest. Diese Möglichkeit wird von fast keinem Kollegen/in so gekonnt genutzt. Mit einem leuchtenden Ton und ohne allzu fest auf den Bogen zu drücken gelingt ihm eine spannende „Lassu“. In der „Friss“ entwickelt sich mit dem präzisen Orchester bestes gemeinsames Musizieren. Der Geiger bleibt leicht und locker, souverän und sauber. Seine Gestaltung gelingt mitreißend. Auch er macht aus seinem Notentext ein Feuerwerk.
Der Klang der Aufnahme zeigt den Geiger in seiner Solokadenz hautnah mikrofoniert; mit dem Orchester kommt dann eine recht großzügig dimensionierte Räumlichkeit hinzu.
5
Jascha Heifetz
Alfred Wallenstein
Los Angeles Philharmonic Orchestra
RCA
1953
8:13
MONO Heifetz fasst die Kadenz auf eine besonders virtuose und behände Art geradezu zusammen. Dabei bindet er die „kleinen“ Notenwerte mit zauberhafter Akkuratesse aneinander. Sein Spiel streift nun deutlich das zirzensische, sodass der Hörer auch schon einmal den Überblick verlieren kann. Die dynamische Gestaltung könnte jedoch deutlich vielfältiger sein. Im schnellen „Friss“ geht es mit draufgängerischer Tempogestaltung bis da die Grenze des menschlich Machbaren (so kam es uns jedenfalls vor). Die Rhythmik wirkt dabei aber nicht verschliffen, sondern eher noch angeschärft. Auf die technischen Schwierigkeiten scheint dieser Geiger zu pfeifen. Am Ende legen er und das unter Wallenstein an geschwinde Tempi gewöhnte Orchester ein fast schon traszendentales Accelerando vor, das den Hörer mitten ins Herz trifft. Allerdings, und das ist die Kehrseite der Medaille, scheint der Teufelsgeiger hier keinen gesteigerten Wert auf einen balsamischen Klang mehr zu legen. Darin war ihm (unter seinen Zeitgenossen) in diesem Vergleich Leonid Kogan voraus. Vielleicht wollte Heifetz auch einen All-Time-Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Zwischenzeitlich kam uns dieser Gedanke.
Der Klang der Produktion wirkt etwas dumpf; von ihm darf man leider – anders als vom Solisten - keine Zauberdinge erwarten.
5
Janine Jansen
Barry Wordsworth
Royal Philharmonic Orchestra, London
Decca
2003
9:43
Ähnlich der Aufnahme Repins wird auch Janine Jansens Violinen-Ton mit etwas Hall „bereichert“, zumindest im „Lassu“-Teil, wo sie noch ganz allein auf der imaginären Bühne steht. Ihre Gestaltung wirkt sehr differenziert, auch die Dynamik (Thema bei Zi. 1 in einem echten p!). Sie nutzt viel Rubato und verzichtet auf ein Dauer-Espressivo, was wir ausdrücklich begrüßen. Ihre hervorragende Technik lässt die Spielweise, bei aller Rhapsodik, ausgesprochen klar wirken. Im 2. Teil lässt Jansen gefühl- und rücksichtsvoll der Klarinette bei ihrem Solo die Vorfahrt. Es erfreut hier auch ihr perlendes Pizzicato, dem sie hohe Intensität verleiht. In dieser Einspielung wechseln sich deftig-kraftvolle Passagen schön mit charmanten Passagen ab. Das Orchester wartet mit brillanten Glanzlichtern auf. Jansens Einspielung verbindet die rhapsodischen Elemente mit höchster Qualität der Tonbildung. Eine abwechslungsreiche, mitreißende und schön klingende Version.
Der Klang der Aufnahme begünstigt diese Wirkung natürlich ungemein. Er ist klar, farbig und voll. Das Orchester erhält eine natürlich wirkende Staffelung.
5
Jean-Jacques Kantorow
Michi Inoue
New Japan Symphony Orchestra
Denon
1982
9:22
Dass der Dirigent der Fernseh-Aufzeichnung mit Patricia Kopatchinskaya ein herausragender Geiger war oder auch noch ist, zeigt diese japanische Einspielung. Er verfügt über einen vollen, sonoren und schattierungsreichen Ton und ist technisch mit allen „Wassern gewaschen“. Im „Friss“ überrascht sein besonders gesangliches Legato und er wartet mit einigen überraschenden Pointen auf. Sein Spiel bleibt auch bei den haarsträubendsten Schwierigkeiten farbig und locker. Am Ende erfreut ein toll animiertes Accelerando.
Der Klang der Aufnahme ist weiträumig, weich und voll. Von frühdigitaler Härte, wie es das Aufnahmedatum nahelegen würde, ist nichts zu spüren.
5
Aaron Rosand
Rolf Reinhardt
Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden (heute nicht mehr existent)
Vox
P. 1974
10:14
Rosand bringt eine in der „Lassu“ selten anzutreffende Cantbilität ins Spiel, er spürt den einzelnen Tönen nach, sucht (und findet) aber auch die große Linie. Er lässt sich dazu viel Zeit, differenziert stark und wirkt dabei sehr gefühlvoll. Auch im zweiten Teil bringt er außerordentlich viel Ausdruck mit ein, während der Orchesterpart überraschend aufgelichtet erscheint. Rosand gelingt ein ausgesprochen farbiger aber auch temperamentvoller Vortrag, der wo immer möglich, die Cantabilität in den Vordergrund stellt und der unter die Haut geht. Bei ihm ist oder bedeutet „Tzigane“ weniger „Macho“ als viel mehr Verführer.
Die Aufnahme klingt großräumig, sehr transparent und erstaunlich dynamisch.
5
Igor Oistrach
Gennadi Roshdestwensky
Grosses Rundfunksinfonieorch-ester der UdSSR, Moskau
Melodija
1968
9:45
Oistrach junior nähert sich dem Stück mit einem teilweise recht rauem, eindrücklichen Ton. Er lässt den Ton beinahe vor Intensität bersten. Die Aufnahmetechnik begünstigt, dass er sich geradezu in die Ohren der Hörer einbohrt. Sein ff erscheint exzessiv. Manche Töne schießt er ab wie Raketen. Über die p geht er eher nonchalant hinweg. Auch im zweiten Teil lässt es Igor Oistrach ächzen und stöhnen. Seine Pizzicati klingen extrem hart. Er spielt das Stück in großer Strawinsky-Nähe. Sein Tzigane scheint eher aus Russland zu kommen als aus Ungarn oder gar Frankreich. Roshdestwensky hingegen holt alle Facetten aus dem Orchesterpart heraus, besonders gefallen hat uns die schrille Trompete. Er bringt dem Stück ein wenig Ironie bei, sitzt ihm doch der Schalk im Nacken. Insgesamt wirkt diese Einspielung ein wenig exzentrisch, sehr gut gemacht und auf ihre Art außergewöhnlich ist sie aber in jedem Fall.
Das Klangbild überrascht mit einem weiträumigen, fast luftigen Orchesterpanorama. Die Staffelung ist sehr gut. Die Detaillierung ebenso. Das ff wirkt durchdringend. Der Solist wird sehr groß abgebildet.
5
Erik Friedman
Sir Malcolm Sargent
London Symphony Orchestra
RCA
1963
8:45
Wie Igor Oistrach und ansatzweise Jascha Heifetz frönt auch Erik Friedman einem herben, rauen, besonders männlich anmutenden Ton. Sein Spiel wirkt ausgesprochen energetisch, bleibt aber immer im Metrum. Die Zerissenheit „seines“ Tzigane betont er mit auffallenden Pausen. Den 2. Teil geht er neckisch an, im Tempo geht er jedoch volles Risiko, als wolle er Heifetz nacheifern. Zirzensisch wirkt es auch bei ihm. Er lässt es ebenfalls kratzen und pfeifen, jedoch mit voller Absicht, nicht aus mangelnder Kunstfertigkeit heraus. Dem Orchester bleibt nichts anderes übrig, als dem enorm vorantreibenden Impetus des Solisten mit der Mobilisierung der eigenen Virtuosität zu folgen. Sargent sorgt jedoch zugleich auch für besondere Deutlichkeit. Die draufgängerische Art erfordert, wie bei Heifetz jedoch einen gewissen Tribut an Klangschönheit. Vielleicht wird sie jedoch absichtlich hinten angestellt, denn ein richtiges „Rauhbein“ darf nicht allzu schön klingen, zumal wenn es dermaßen in die Offensive geht. So zumindest das Klischee. Das Team hält den letzten Ton noch etwas länger als erforderlich vielleicht um noch etwas länger an sich zu erinnern? Das sollte jedenfalls gelungen sein.
Sehr plastischer Orchesterklang. Dynamisch und transparent.
4-5
Renaud Capucon
Daniel Harding
Deutsche Kammerphilharmonie, Bremen
Virgin
2000
9:57
Mit einem vollen und sonoren Geigenklang ohne Kratzgeräusche und erheblich gefühlvoller als die zuvor gehörten Accardo und Amoyal nähert sich der französischer Geiger dem Werk seines Landsmannes. Technisch ist alles überzeugend und auf souveräne Art gelöst. Tonschönheit geht hier vor wilder Show. Im zweiten Teil ist das Orchester ein frischer und präzise agierender Gegenspieler oder auch beflügelnder Partner. Das Geigenspiel wirkt sehr facettenreich und ausdrucksvoll. Den ebenfalls zuvor gehörten Bisengaliev in technischer Eloquenz noch etwas übertreffend kommt das Rhapsodische gegenüber den zuvor gelisteten Einspielungen etwas zu kurz. Dennoch eine vollgültige Alternative mit hohen Meriten.
Der Klang ist sehr plastisch, dynamisch und transparent.
4-5
Benjamin Schmid
Antoni Ros Marba
Real Qrquesta Filarmonica Real de Galizia, Santiago de Compostela
Warner
2012
9:50
Schmids Spiel wird extra für das Thema bei Zi. 1 mit etwas Hall unterlegt, zuvor hat man sich das gespart. Der Sinn erschließt sich uns nicht, zumindest nicht unmittelbar. Schmids Spiel hätte diese Mätzchen nicht nötig. Er spielt ausdrucksvoll, aber auch leicht und luftig. Er geht recht frei mit der Musik um, spielt aber auch mit großer Tonschönheit. In seiner Wiedergabe sind im weiteren Verlauf nicht alle Töne auch Volltreffer, was auf eine Live-Einspielung schließen lässt. Vom Publikum ist jedoch nichts zu spüren oder zu hören. Das hätte sicher korrigiert werden können. Es war den Beteiligten vielleicht wichtiger, dass der ausdrucksvolle Spannungsverlauf erhalten geblieben ist. Das Spiel Schmids ist von hoher Virtuosität und das Orchester steht den bereits zuvor gelisteten kaum nach und beteiligt sich mit zupackenden, mitreißenden Steigerungsverläufen. Er Klang ist plastisch und weiträumig.
4-5
Itzhak Perlman
André Previn
London Symphony Orchestra
RCA
1966
9:44
Jean Martinon
Orchestre de Paris
EMI
1974
9:50
Zubin Mehta
Israel Philharmonic Orchestra
DG
1986
9:26
Von Itzhak Perlman liegen dreí Einspielungen vor. Je eine für das jeweilige Plattenlabel, bei denen er zur betreffenden Zeit unter Vertrag stand. Die erste in Stereo, die zweite dann Quadro und die dritte schließlich Digital. Perlman war zu jener Zeit sicher einer der Geiger, dessen Aufnahmen am besten verkauft wurden und jede Firma wollte daran Anteil nehmen. Künstlerische Gründe sprechen eher weniger für die beiden Remakes. Die Unterschiede zwischen den drei Produktionen sind nicht substanziell und betreffen nur Nuancen.
1966 spielt er das Thema bei Zi. 1 mit der größten Wärme und durchaus im p. Die „Lassu“ spielt er klar und genau, lässt aber kaum Abweichungen vom Notentext zu, der für ihn festzustehen scheint. Auch das Orchester im 2. Teil ändert daran nichts. Previn überlässt dem Geiger bereitwillig die Bühne, was vielleicht auch von der Technik so inszeniert wird. Technisch ist Permans Spiel eine Ohrenweide. Als folkloristische Zutat baut er nur ein paar Schleifer mit ein, die aber sehr bewusst wirken. Seine Darstellung wirkt gut gelaunt. Aber man gewinnt den Eindruck, dass der Geiger mit dem Stück kaum gefordert wird.
1974 in Paris wirkt die Einspielung etwas blutvoller, was auch an der Mitwirkung Martinons liegen mag. Aber auch schon beim Thema (Zi. 1) zieht er bereits das Espessivo merklich an. Er forciert nun bereits etwas mehr als noch 1966. Generell wirkt die Spieltechnik nun nochmals verfeinert. Die Orchesterarbeit wirkt nun ausgesprochen pointiert, das Orchester bekommt auch einen breiten und tiefen Raum zur Verfügung gestellt. Insgesamt ähneln sich die Einspielungen jedoch gerade in solistischer Hinsicht sehr. Aufnahmetechnisch tönt der Solist nun von der Rampe, das Orchester klingt großräumiger und noch ein wenig transparenter. Vor allem die tiefe Staffelung erfreut. Die Dynamik ist sehr gut, der klang weich, voll und rund.
1986 klingt es fast zum verwechseln ähnlich. Der Ton Perlmans wirkt lediglich ein wenig massiver und noch mehr wie ein homogener Strahl. Das Orchester wirkt etwas hellhöriger, so ist die Oboe mit ihren kleinen Akzenten (ab Zi. 6) hier erstmalig nach Bernsteins Einspielung zu hören. Die „Friss“ wird im Tempo etwas schneller genommen Das Espressivo bei Zi. 9 wirkt nun nicht mehr so wundervoll getroffen wie noch in Paris. Das Allegro ab Zi. 15 wirkt dafür noch etwas rasanter. Perlman spielt in allen drei Einspielungen extrem sauber. Das Miteinander ist vielleicht in Tel Aviv um einen Hauch präziser als in Paris. Klanglich liegt die Aufnahme aus Israel zwischen der aus London und aus Paris. Nicht ganz so räumlich wie in Paris, noch etwas klarer als in London. Bei aller Perfektion des Spiels könnten die drei Einspielungen manch einer Hörer/in etwas zu geradlinig erscheinen. Wenn wir zu einer Entscheidung für nur eine einzige Einspielung Perlmans gezwungen wären, würden wir uns wahrscheinlich für die Pariser entscheiden.
4-5
Arthur Grumiaux
Jean Fournet
Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris
Philips-BnF
1954
10:05
Auch Arthur Grumiaux spielt das Stück sehr sauber und genau wie eine Bach-Fuge. Jedoch spart er auch nicht an Espressivo. Sein besonders schön und erregt klingendes Vibrato sticht heraus. Auch den Spitzentönen entlockt er ein gewisses magisches Leuchten, was in diesem Vergleich sonst nicht zu hören war, jedenfalls nicht in diesem Maß. Sein Spiel ist sehr intonationssicher, auch souverän und virtuos. Am Ende hören wir ein ausgesprochen ausgeprägtes, erregendes Accelerando.
Der Klang der von der Bibliothèque digitalisierten LP klingt etwas mulmig. Die Violine kommt sehr präsent ins Bild.
4-5
Zino Francescatti
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1964
9:11
Die beiden Protagonisten werden der Rhapsodie im Werk besonders gerecht. Francescatti lässt seine Geige besonders kratzen, um das Urwüchsige das das bis ins letzte konstruierte Stück ausdrücken soll, deutlich zu machen. Das vorantreibende und packende Dirigat überzeugt vollends. Die Oboenakzente bei Zi. 6 und danach noch einmal kommen sehr schön zur Geltung. Was für ein schöner Einfall Ravels das war bekommt man doch nur mit, wenn es auch richtig austariert gespielt und dadurch hörbar wird. Bei fast allen Einspielungen ist die Oboe einfach weg, an diesen Stellen. Dafür hat sie Ravel sicher nicht gerade da in die Partitur geschrieben. Das Orchesterspiel wirkt generell besonders pointiert. Des Geigers Pizzicato wirkt besonders knackig. Besonders der 2. Teil überzeugt in dieser Einspielung mit feuriger Inspiration.
Der Klang wirkt sehr transparent und der Teil mit Orchester auch sehr plastisch.
4-5
Julia Krasco
Vasily Sinaisky
Moskauer Philharmoniker
Orchard Enterprises
P 2014
9:34
Julia Krasco gelingt eine geradlinige Darbietung. Mit ihrem weichen und lebendigen Ton von großer Geschmeidigkeit und ihrer enormen Virtuosität nimmt sie die Hörerschaft gefangen. Das kratzt nichts. Gespielt wird mit unbändiger Lebensfreude. Von dieser Geigerin hatten wir zuvor noch nichts gehört. Ihren Namen sollte man sich merken.
Der Klang der Aufnahme wirkt großräumig und leicht hallig. Auffallend ist seine leichte „metallische“ Färbung. Früher hatten die sowjetischen und russischen Aufnahmen ja oft einen leicht metallischen Klang, aber hier merkt man der Aufnahme an, dass sie neueren Datums sein müsste. Ein AD war jedoch nirgends zu sichten. Sie klingt aber dynamisch, transparent und sehr gut gestaffelt.
4-5
Leila Josefowicz
Neville Marriner
Academy of St.-Martin-in-the-Fields
Philips
1996
9:20
Leila Josefowicz gelingt eine Gestaltung aus einem Guss. Sie kann dabei auf hervorragende technische und musikalische Ressourcen zurückgreifen. Vor allem die Präzision ihres Spiels lässt erstaunen. Der Rhapsodie-Charakter des Stückes wird bei ihr jedoch weniger berücksichtigt, außer bei der strettaartigen Beschleunigung am Ende. Marriner und die Academy erweisen sich ans hochkompetente Partner, die sich dem hochpräzisen Spiel der Solistin gut anpassen können.
Auch der Klang der Einspielung ist von hoher Präzision und ausgesprochen brillant. Die Violine und das Orchester sind auch klangtechnisch gleichberechtigte Partner.
4-5
Marat Bisengaliev
Johannes Wildner
Polnisches Radiosinfonieorchester Kattowitz
Naxos
1992
9:31
Bisengalievs Ton wirkt sonor, rund und besonders tief, fast schon der Viola ähnlich. Sein Spiel ist erheblich rhapsodischer und nicht so überexpressiv und steif wie beim zuvor gehörten Accardo. Sein Vortrag wirkt auch erheblich freier in der Gestaltung.
Auch in der „Friss“ wirkt sein Spiel lebendig und virtuos. Uns konnte er voll überzeugen. Das Orchester könnte ein wenig agiler klingen, mitunter könnten auch die Hörner und die Trompete etwas besser herauskommen. Im Acclerando gegen Ende wachsen die Beteiligten noch einmal über sich hinaus.
Auch das Klangbild überzeugt. Es ist sehr transparent, offen und rund, gar brillant, wie man es von Naxos eher weniger gewöhnt ist. Die Violine klingt mit Orchester etwas räumlicher als ohne.
4-5
Stephanie Chase
Geoffrey Simon
Philharmonia Orchestra London
Cala
1990
10:35
Forcieren und Überdruck wird bei Stephanie Chase deutlich minimiert. Sie legt mehr Wert darauf, dass sie in einer entspannten Atmosphäre eine Geschichte erzählen kann. Sie lässt sich dabei gebührend viel Zeit und man gewinnt den Eindruck, dass sie keinen „Eindruck schinden“ möchte. Ihren angenehmen und großen Ton in tadelloser Intonation hörten wir sehr gerne zu. Ob ihr Vortrag schon ein wenig brav gerät, mag jeder für sich selbst entscheiden. Wir fanden ihn weder zu seriös, schon gar nicht zu vulgär, noch Effekt machend um jeden Preis. Sie hat einen guten klangschönen Mittelweg gefunden.
Auch die Klangtechnik wirkt angenehm, wird der Musik aber in Hinsicht auf Farbenpracht, Dynamik und Fülle unseres Erachtens sehr wohl gerecht.
4-5
Arabella Steinbacher
Lawrence Foster
Orchestre Philharmonique de Monte Carlo
Pentatone
2014
10:40
Arabella Steinbacher hat nach eigenem Bekunden das Stück bereits als zwölfjähriges Mädchen eingeübt und findet es nicht einmal besonders schwierig. Im Vergleich erspart sich ihre Darbietung auch ein zuviel an forciertem Bodendruck, sodass der Ton ihrer Violine klangvoll und frei ausschwingen kann. Eine technische Begrenzung ist bei ihr zu keiner Sekunde des Vortrages spürbar. Im ersten Teil ist auch immer wieder feines Rubato spürbar. Im zweiten Teil wirkt die Wiedergabe lässig, aber doch auch pointiert. Der Rhapsodiecharakter wird gut getroffen. Geigerisch durchaus höchstes Niveau haltend, wirkt das ganze Stück schwungvoll aber nicht feurig. Die höchste „Erregungsstufe“ wird nicht ganz erreicht.
Klanglich ist die Einspielung voll, sonor, weich und transparent.
4-5
Chantal Juillet
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1996
10:22
Der vorgenannten Einspielung nicht unähnlich hören wir bei Chantal Juillet Geigenspiel mit viel Feinzeichnung. Nun mehr lyrisch und zurückhaltend als dramatisch in die Offensive gehend. Ohne zu viel Druck und angenehm leicht. Das Orchester klingt wie zuvor Marriners Academy ganz ausgezeichnet. Mitunter fehlt hier aber der tänzerische Schwung ein wenig. Auch zum Abschluss vermissen wir ein wenig das Extatische.
Auch aufnahmetechnisch wirkt der Klang aus Montréal eher fein zeichnend, transparent und gut gestaffelt. Im zweiten Teil rückt die Geige nicht so sehr in den Fokus, wie in vielen anderen Einspielungen.
4
David Oistrach
Kyrill Kondrashin
Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR
Melodija – BnF
1948
9:08
Ernest Bour
Orchestre National de l´ORTF
INA
1959, LIVE
8:36
2x MONO Von David Oistrach liegen zwei Einspielungen vor. Die erste von 1948, ein Jahr nach der Einspielung mit Kogan, klingt geradlinig und differenziert. Oistrach gestaltet recht differenziert und verzichtet auf ein Dauerespressivo. Sein Zugang wirkt spielerischer als der Kogans, dessen kompromisslos auftrumpfende, blendende Virtuosität Oistrach hier nicht bietet.
In der zweiten Einspielung aus Straßburg ist das Tempo nochmals geraffter. Auch hier gestattet sich Oistrach keine rhapsodischen Temposchwankungen. Live ergeben sich ein paar nicht so souveräne Passagen (zwischen Zi. 8 und 9), die nicht zu überhören sind. Auch das Orchester kommt an die Präzision des UdSSR SO elf Jahre zuvor nicht heran.
Klanglich liegen die beiden Einspielungen auch eng beieinander, obwohl elf Jahre dazwischen liegen. Wirkt der Melodija-Klang für sein Alter erstaunlich klar und transparent und sogar fast rauschfrei (obwohl hier eine alte LP digitalisiert wurde), so wirkt die französische LIVE-Einspielung noch sehr trocken und ohne jede Raumanmutung. Das Orchester klingt nur im Hintergrund. Der Ton wirkt teilweise rau.
4
Ida Händel
Karel Ancerl
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1964
10:52
Ida Händel nutzt dagegen Rubato ziemlich exzessiv. Ihr Geigenton wirkt dabei spröde, eher wenig sanftmütig und kaum abgerundet. Ihr starkes Vibrato ist praktisch immer im Einsatz. Das Thema ab Zi. 1 bringt sie jedoch gut phrasiert und vorbildlich im p. Ihre Gestaltung im „Lassu“ wirkt recht frei, wie gerade so eingefallen oder eben mal so ausprobiert. Allerdings bei weitem nicht so ausdrucksvoll und fein abschattiert wie es Patricia Kopatchinskaya gelingt. Das tschechische Vorzeigeorchester spielt weniger Ravel als den schnellen Teil einer ungarischen Rhapsodie von Franz Liszt. Das klingt zwar leidenschaftlich und pastos, es fehlt aber noch der zusätzliche „Schuss“ französischer Eleganz oder gallischen Esprits. Während Händel ab Zi. 14 ihr Flageolett nuancenreich gestaltet, packt sie sonst auch mal die „Kratzbürste“ aus. Eine sehr eigenwillige Interpretation.
Der Gesamtklang ist gut, sehr transparent und dynamisch.
4
Sarah Chang
Placido Domingo
Berliner Philharmoniker
EMI
2001
9:52
Sarah Changs Violine klingt stets voll und sauber. Technisch ist sie über jeden Zweifel erhaben. Ihr Vortrag hört sich zumindest in dieser Produktion unter Studiobedingungen (es gibt auch noch ein LIVE-Video) jedoch mehr nach Paganini als nach Ravels Vision von Ungarn an. Das Rhapsodische wirkt ein wenig zurückgedrängt. Die Berliner spielen im „Friss“ durchaus brillant, während auch Chang die enormen Anforderungen an die Spieltechnik erneut vergessen lässt. Für sie ist das Stück in erster Linie ein Virtuosenstück. An den Facettenreichtum des zuvor gehörten Capucon kommt sie jedoch nicht heran.
4
Gordan Nikolic
Carlo Rizzi
Nederlands Philharmonic Orchestra
Tacet
2012
9:17
Von den drei bewundernswerten Konzertmeister/innen (Nikolic, Gilbert, Kim), die sich an das Stück gewagt und aufgenommen haben, gefiel uns diese am besten. Im rasanten Tempo weiß Nikolic mit seiner flinken Technik durchaus zu überzeugen. Es fehlt im jedoch die zirzensische Facette im Spiel und das gewisse Etwas, das jedoch immer mehr subjektiv empfunden wird als objektiv beschreibbar ist. Die eigentlich ausgezeichnete Klangtechnik macht es ihm auch schwer, denn sein Geigenklang wird relativ weit ins Orchester gerückt, sodass er bei normaler Lautstärke relativ klein abgebildet wird. Das wird der überragenden Bedeutung der Solistenstimme eigentlich nicht gerecht. Das Orchester selbst klingt fein strukturiert, differenziert und ausgewogen in einem großen Raum.
3-4
Henryk Szeryng
Hans Rosbaud
Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden
Hänssler
1955 oder 1957
9:32
Edouard de Remoortel
Ochestre de l´Opéra de Monte Carlo
Philips
1969
9:42
Die ältere Aufnahme noch in MONO. Von Szeryng konnten wir zwei Einspielungen zum Vergleich heranziehen, die keine gravierenden Unterschiede im Werkverständnis des Geigers erkennen lassen. Die ältere aus Baden Baden zeigt einen sonoren Geigen-Ton, der jedoch, wahrscheinlich durch die damalige Rundfunk-Tontechnik einen heute etwas angegraut wirkenden Unterton mitbringt. „Süß“ wirkt der Ton aber auch in der neueren Einspielung nicht, aber etwas fülliger und einen Hauch abgerundeter.
Bei Zi. 7 sind Geige und Klarinette in Baden Baden nicht ganz zusammen. Uns erschien es so, dass den Klarinettisten daran keine „Schuld“ trifft. In Monte Carlo ist dieser kleine Fauxpas behoben. In Baden Baden wirkt das Orchester etwas präziser und auch etwas temperamentvoller. Es fällt auf, dass Szeryng das Thema (Zi. 1) in Monte Carlo noch weniger im p spielt als in Baden Baden und auch generell mehr forciert, wahrscheinlich um den Ausdruck zu steigern. Im weiteren Verlauf trifft er 1969 nicht alle Töne optimal. Das Orchester aus Monte Carlo (es nannte sich damals noch Opernorchester, später dann Philharmonisches Orchester, es gibt also nur eines in Monte Carlo und nicht zwei, wie man annehmen könnte) klingt nicht so haarfein präzise wie die anderen hier versammelten Klangkörper.
Dafür ist der Klang der Aufnahme gegenüber der trockenen Aufnahme des SWF erheblich plastischer und sonorer. Sie weist auch eine gute Staffelung auf.
3-4
Ruggiero Ricci
Eugène Bigot
Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris
Vox - BnF
1956 ?
8:57
MONO Auch von Ruggero Ricci konnten wir zwei Einspielungen mit vergleichen. Die ältere aus Paris gefiel deutlich besser als die Einspielung aus Genf mit Ernest Ansermet; da hatte der Geiger leider keinen guten Tag erwischt. In Paris entfaltet er mir seinem sehr schnellen Vibrato eine gespannte und intensive Wirkung. Die virtuos und zirzensisch, uns aber auch etwas vordergründig anmutete. Im zweiten Teil überzeugt seine durchweg leicht wirkende Phrasierung. Er geht mit dem Notentext frei um, auch mit seinen Schwierigkeiten. Ingesamt wirkt seine Deutung aber dabei eher weniger differenziert. Das Orchester kann in keiner Weise mit dem gerade zuvor gehörten LSO in der Einspielung mit Vadim Repin mithalten.
Der Klang wirkt ausgesprochen trocken, schon im Solo, später mit Orchester ebenfalls. Er wirkt wenig plastisch, naturgemäß ist keine Staffelung des Orchesters möglich. Kaum Rillengeräusche der von der Bibliothèque national de France digitalisierten alten LP.
▼ eine weitere Aufnahme des Solisten weiter unten in der Liste
3-4
Pierre Amoyal
Armin Jordan
Orchestre de la Suisse Romande
Erato
1986
9:43
Amoyals Ton erscheint etwas weicher und voller als der des zuvor gehörten Accardo. Es gelingt ihm trotz des beträchtlichen Aufwandes nicht recht, den rhapsodischen „Lassu“ zum sprechen zu bringen. Er lässt ihn auch nicht zum atmen kommen, denn die Fermaten werden übergangen. Wohl damit dem Vortrag nicht die Spannung entzogen wird. Unsere Ansicht wäre es mit der Beachtung der Fermaten spannender geworden. Ein wirklich atemloses Geschehen ist das Resultat. Und da der Hörer irgendwie doch mit atmet, geht im fast schon die Luft aus und er wird nervös. Vortragszeichen werden nicht vollumfänglich beachtet. So intoniert er das Thema (Zi. 1) keinesfalls im p. An Espressivo fehlt es keineswegs. Ganz im Gegenteil, davon wird fast ein Überangebot verabreicht.
Leider wirkt Amoyals Spiel auch kaum freier oder lockerer, wenn das Orchester dabei ist. Auch hier sind die geforderten p viel zu laut. Bei Zi. 11 lässt er gute Pizzicati hören, sie sind am Ende jedoch nicht ganz vollzählig. Das Orchester macht einen sehr guten Eindruck.
Der Klang ist gut, das sehr gute Orchester ist (ohrenscheinlich) auch mit dem Herzen dabei und klingt transparent.
3-4
Kyung Wha Chung
Charles Dutoit
Royal Philharmonic Orchestra, London
Decca
1979
10:06
Ähnlich Amoyal und Accardo erzeugt Kyung Wha Chung mit sehr viel Bogendruck und einem deutlichen Vibrato einen recht rauen Ton mit einem fast schon aufdringlichen Espessivo. Ihre Darbietung wirkte auf uns nervös, wild zerklüftet und sehr wenig spontan. Eine generöse Souveränität, wie beispielsweise bei Repin zu hören, wäre das Gegenteil. Die „Friss“ wirkt jedoch freier und virtuoser. Nicht alle Pizzicati ab 4 Takte vor Zi. 22 werden gebracht. Mitunter merkt man auch den Supervirtuosen einmal an, dass das Stück „diabolische“ Gemeinheiten mitbringt.
3-4
Salvatore Accardo
Claudio Abbado
London Symphony Orchestra
DG
1987
9:51
Salvatore Accardo spielt seine Solo- „Lassu“ extrem gespannt mit dem immer gleichen Über-Espressivo und einem gleichförmigen Vibrato unter hohem Druck. Er bleibt im Metrum wie gefangen, mit wenig Fantasie, allerdings mit erstaunlicher technischer Meisterschaft. Er lässt dem Stück keinen Freiraum zum atmen. Seinerzeit war er als Paganini-Spieler auch auf Tonträger sehr prominent vertreten. Das Orchester bringt reiche, glitzernd-frische Farben in seinen Part ein. Es spielt pointiert, virtuos, brillant und in belebender Perfektion. Wie bereits bei „Le Tombeau de Couperin“ und der 2. Suite aus „Daphnis und Cloé“ wäre Abbados und des Orchesters Beitrag viel höher in unserem Vergleich einzuordnen. Accardo verbleibt leider nur in solider technischer, akademisch wirkender Ausübung. Er bringt „Tzigane“ nicht zum sprechen oder gar zum singen.
Der Klang ist ausgezeichnet. Großräumig, gut gestaffelt, brillant, voluminös und sehr plastisch.
3-4
Jennifer Gilbert
Leonard Slatkin
Orchestre National de Lyon
Naxos
2019
10:38
Größer als beim gerade zuvor gehörten Erik Friedman könnte der Kontrast kaum sein. Jennifer Gilberts Geigen-Ton wirkt sehr gepflegt und vibratoreich. Sie baut jedoch wenig Spannung auf und von der inspirierten Ausdrucksvielfalt einer Patricia Kopatchinskaya ist nichts zu spüren. Uns gefiel ihr Spiel jedoch besser als das mitunter zu hörende aufdringliche Dauerespressivo. Auch das Spiel des Orchesters erschien ein wenig zu brav und angesichts des Aufnahmedatums als wenig transparent. Und das, obwohl uns diese Aufnahme als High-Res-File zur Verfügung stand. Ingegesamt vermissten wir in dieser Einspielung auch die in diesem Vergleich so häufig gehörte souveräne Virtuosität und die Risikobereitschaft. Sie wirkte auf uns solide, aber etwas zu vorsichtig und vielleicht daher auch weniger inspiriert.
3-4
David Kim
Rafael Frühbeck de Burgos
Philadelphia Orchestra
Phi,
Label des Orchesters
2010, LIVE
9:36
Dies ist eine sehr solide Einspielung, bei der der Konzertmeister des Orchesters sich sogar Live aufnehmen lässt. Kleine Holprigkeiten sind nicht zu überhören. Die horrenden Schwierigkeiten des Stückes werden hier an wenigen Stellen deutlicher hörbar. Völlig zu Recht wurde auch der lebhaft aufbrausende Jubel des Publikums hörbar gemacht. Großer Respekt für David Kim.
3-4
Ruggiero Ricci
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca-BnF
1959
10:12
Ruggero Riccis Ton wirkt zunächst etwas facettenreicher und die Artikulation etwas genauer als in der Pariser Einspielung ein paar Jahre zuvor. Allerdings lässt sich das von der Intonation nicht behaupten. Auch im 2. Teil bemerkt man ein minimales Nachlassen der Treffsicherheit gegenüber 1956. Das Spiel Riccis wirkt generell angestrengter, es quietscht und zischt mitunter deutlich und auch die Rasanz geht ihm nicht so leicht von der Hand. Vielleicht war der Geiger nicht so gut vorbereitet wie ´56 oder er hatte einfach einen schlechten Tag erwischt?
Klanglich ist die Aufnahme der 56er in jeder Hinsicht deutlich vorzuziehen. Das Orchester wird viel besser aufgefächert und besser gestaffelt, klingt auch etwas brillanter.
Vergleich beendet am 8.9.2021