Gabriel Fauré

Requiem op. 48

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Werkhintergrund:

 

Ein merkwürdiger Zufall wollte es, dass einige der schönsten Requien aus der Feder nicht sehr religiöser Komponisten stammen: Mozart hatte unter der Knute des Salzburger Erzbischofs gelitten und wandte sich lieber den Freimaurern zu. Berlioz erklärte, er sei mit der Religion seit längerem auseinander, habe sich jedoch eine zärtliche Erinnerung an wenige Jahre seiner Kindheit bewahrt, als er mit ihr glücklich gewesen war. Verdi, ein notorischer Atheist, legte im „Otello“ Jago ohne Skrupel ein blasphemisches Credo in den Mund. Und Fauré sah sich eher als Agnostiker. Er meinte, seine Zeitgenossen hätten einen stärkeren Glauben, bestenfalls wie Weltfremde, schlimmstenfalls wie Narren. Dennoch schrieb Fauré ein Requiem, „sanft, wie er selbst“, wie er einem Freund schrieb. Zu ihm passten keine der bespielhaften Werke der Klassik wie die von Mozart oder Cherubini, auch nichts Theatralisches wie Verdis dramatisches Requiem und seinen Schreckensbildern von geduckten Menschen, die vom ewigen Tod flüstern und sicherlich nicht die grandiose apokalyptische Vision von Berlioz mit ihren donnernden Fanfaren, die Fauré entsetzten.

Überließen wir dem Meister selbst das Wort, er würde das Wesen seines Requiems, das bei der Uraufführung nicht von allen verstanden wurde, aber inzwischen zum festen Repertoire gehört und in zahlreichen Einspielungen auf Tonträgern vorliegt, so umreißen: „Man hat von meinem Requiem gesagt, es bringe nicht die Schrecken des Todes zum Ausdruck (…). Aber so empfinde ich den Tod: als glückliche Erlösung, als ein Verlangen nach dem jenseitigen Glück, und nicht so sehr als einen schmerzvollen Übergang (…). Vielleicht habe ich instinktiv versucht, auf diese Weise aus dem Herkömmlichen auszubrechen, denn wie lange begleite ich nun schon die Totenmessen auf der Orgel! Jetzt reicht es mir, ich wollte endlich etwas anderes machen“! (aus Paris Comoedia, 12. Juli 1902, zitiert von J.-M. Nectoux).

Nun, wie kam es zur Komposition des ungewöhnlichen Werkes? Da wir kaum annehmen dürfen, dass der Komponist in Deutschland so populär geworden ist, dass man seine Biographie heute noch kennt, seien uns ein paar biographische Notizen verziehen, um ihn auch als Person wieder ein wenig „lebendiger“ zu machen. Damit wissen wir schon besser, warum sein Requiem so klingt und nicht anders.

Malte H. schreibt zu Faurés Lebenslauf: „Gabriel Fauré wird 1845 in Pamiers (Südfrankreich) als Sohn eines Volksschullehrers geboren. Er ist das jüngste von sechs Kindern einer durch Landbesitz wohlhabenden, unmusikalischen Familie. Mit 9 Jahren wird Gabriel Fauré, der großes Interesse und Begabung für Musik in Schul- und Privatunterricht zeigt, auf Anraten eines Freundes der Familie nach Paris an die „École de Musique Classique et Religieuse“ gegeben. Das Internat ist besser bekannt unter dem Namen „École Niedermeyer“, bezogen auf dessen Schulleiter Louis Niedermeyer (*1802), der die Schule 1853 wiederbegründete, nachdem diese zuvor, bedingt durch antireligöse Strömungen in der napoleonischen Zeit, aufgelöst worden war. Louis Niedermeyer, selbst Komponist und Kirchenmusiker, prägt die nach ihm benannte Schule stark und baut sie in seiner Zeit als Schulleiter zu einer angesehenen musikalischen Ausbildungsstätte für professionelle Musiker aus, neben dem „Conservatoire de Paris“ primär für Kirchenmusiker und Organisten. Einer der bekanntesten Absolventen der Schule ist, neben Gabriel Fauré selbst, André Messager (*1853).

Etwa dreißig Schüler erhalten um 1860 Unterricht an der „École Niedermeyer“, hauptsächlich in kirchenmusikalischen Fächern wie Orgel und (Chor-)Gesang, aber auch in Musiktheorie und Komposition. Besonderes Schwergewicht wird in der Ausbildung auf das Studium des gregorianischen Chorals gelegt. Lehrer Gabriel Faurés an der Schule sind Clément Loret für Orgel, Louis Dietsch für Harmonielehre, Xavier Wackenthaler für Kontrapunkt sowie Louis Niedermeyer selbst für Klavier, Gregorianik und Komposition.

Der Unterricht an der „École Niedermeyer“ unterscheidet sich erheblich von dem am, zu dieser Zeit zumeist als renommierter geltenden, „Conservatoire de Paris“. Anders als das „Conservatoire“, wo hauptsächlich die zu dieser Zeit als modern geltenden französischen Komponisten wie Charles Gounod und Hector Berlioz als Vorbilder gelten, orientiert sich die „École Niedermeyer“ eher an traditionelleren Kompositionsmodellen. So werden etwa in der Ausbildung im Chorgesang die Kompositionen Giovanni Palestrinas als beispielhaft herangezogen und in der Ausbildung an der Orgel Kompositionen Johann Sebastian Bachs studiert. Mozart, Haydn, Beethoven und Mendelssohn gehören zu den modernsten Komponisten, mit deren Musik die Schüler der „École“ Umgang haben. Dieser Unterschied in der individuellen Schwerpunktsetzung spiegelt sich auch in der Praxis des Harmonielehreunterrichtes in den beiden Ausbildungsstätten wider. Während am „Conservatoire“ die Harmonielehre Rameaus gelehrt wird, legt Niedermeyer in seiner Ausbildung mehr Wert auf die Unterweisung in der Benutzung der kirchentonalen Modi und die Kenntnis der Gregorianik.

Einiges ändert sich, nachdem Camille Saint-Saëns (*1835) 1861, drei Jahre vor Faurés Abschluss und nach dem Tode Niedermeyers im selben Jahr, die Schulleitung der „École Niedermeyer“ übernimmt. Jetzt kommen die Schüler erstmals mit moderneren Kompositionen in Berührung, darunter vor allem Schumann, Liszt und Wagner. Fauré baut eine enge, freundschaftliche Beziehung zu dem nur zehn Jahre älteren Saint-Saëns auf, bewundert diesen zeitlebens sehr und schätzt dessen Rat und Einschätzungen. Die enge private Beziehung wird besonders durch die Vielzahl der vorliegenden Briefe zwischen Fauré und Saint-Saëns unterstrichen, die bis zum Tode Saint-Saëns im Jahr 1921 von beiden Komponisten verfasst werden. Fauré selbst formuliert später, dass er dem jungen Lehrer (Saint-Saëns), den er im entscheidenden Moment seiner Jugend traf, „alles verdanke“. Zudem greift Saint-Saëns in späteren Jahren mehrmals helfend in das Leben seines ehemaligen Schülers und Freundes Gabriel Fauré ein, so zum Beispiel 1871, als dieser ihm einen Lehrauftrag an der „École Niedermeyer“ vermittelt oder 1896, als Saint-Saëns Fauré seine Organistenstelle an der „Église de la Madeleine“ überlässt.

Noch an der Schule komponiert der neunzehnjährige Fauré 1864/65 das „Cantique de Jean Racine“ (Op. 11), das frühste Werk mit dem er Eingang ins gängige Repertoire findet, und gewinnt mit diesem einen Kompositionspreis.

Fauré verlässt die Kirchenmusikschule 1865 mit einem Diplom in den Fächern Orgel, Klavier, Komposition und Chorleitung, womit seine Ausbildung und Rolle als Schüler mit 20 Jahren endet. Nach mehreren Organistenstellen, zunächst in Rennes und später an der „Notre-Dame de Clignancourt“ in Nordparis (eine weitere Stelle, die Fauré nur nach Empfehlung durch Camille Saint-Saëns bekommt), erhält er selbst einen Lehrauftrag an der „École Niedermeyer“, welche ab 1871 aufgrund des französisch-preußischen Krieges vorübergehend in die Schweiz ausgelagert wird. Im selben Jahr wird Fauré außerdem Chorleiter an der „Église Saint Sulpice“ in Paris unter Charles-Marie Widor.

1874 wird Fauré zweiter, 1896 erster Organist an der “Église de la Madeleine” und erhält damit seine erste volle Stelle an einer der großen Hauptkirchen von Paris. 1888 findet die Uraufführung seines Requiems an eben dieser Kirche statt, jedoch in einer Fassung, die Fauré später noch mehrfach überarbeitet.

Im Jahr 1892 erhält Fauré, nach Widerstand des Direktors Charles Louis Ambroise Thomas (*1811), der Faurés Stil für zu progressiv hält, einen Lehrauftrag für Komposition am „Conservatoire de Paris“, ein Umstand, der Faurés gestiegenes Ansehen, maßgeblich geprägt durch den Erfolg seiner bisher vorgelegten Kompositionen (hier besonders zu nennen die Violinsonate op. 13), widerspiegelt. Schüler Faurés am „Conservatoire“ werden unter anderem Maurice Ravel, Florent Schmitt, Charles Koechlin, Louis Aubert, Jean Roger-Ducasse, George Enescu, Paul Ladmirault, Alfredo Casella und Nadia Boulanger.

Im Jahre 1905 erlangt Fauré den Posten des Schulleiters am „Conservatoire“ und erweitert den Lehrplan um das Studium moderner Musiken, unter anderem von Richard Wagner (*1813) und Claude Debussy (*1862) sowie gleichfalls um das Studium der Vokalpolyphonie der Renaissance. Der Einfluss Gabriel Faurés auf die französische Kompositionsschule des späten 19. sowie frühen 20. Jahrhunderts ist aufgrund der von ihm ausgehenden einschneidenden Veränderungen im Lehrplan einer der führenden Musikhochschulen des Landes sowie der Vielzahl seiner Schüler nicht zu unterschätzen.

Ab 1911 wird Gabriel Fauré Opfer beginnender Ertaubung, welche ihn 1920 dazu veranlasst, seine Stelle am „Conservatoire de Paris“ niederzulegen. Im selben Jahr nimmt Maurice Duruflé sein Studium an eben dieser Hochschule auf. (Vielleicht schon ein maßgeblicher Grund für die Ähnlichkeit dessen Requiems mit dem seines Lehrers, Gabriel Fauré, das aber nur ganz nebenbei, Anm.) 1924 stirbt Fauré in wohlhabenden Verhältnissen an Altersschwäche bzw. an einer nicht weiter auffälligen oder näher diagnostizierten Erkrankung.

Die Kompositionsgeschichte des Requiems Faurés erstreckt sich von zirka 1884 bis 1901. Es liegen mehrere Fassungen des Werkes, erstellt vom Komponisten selbst, vor und die Gültigkeit der individuellen Einzelversionen als finale Endfassung des Requiems wird noch immer kontrovers diskutiert.

Der Beginn der Arbeiten am Requiem durch Fauré wird, je nach Quelle, von 1884 bis 1886 datiert. Es ist höchst wahrscheinlich, dass Fauré die Arbeiten an seiner Requiemsmesse in einer Zeit schwerer persönlicher Verluste, nämlich zwischen dem Tod seines Vaters am 25.Juli 1885 und dem Tod seiner Mutter am Neujahrsabend 1887, entschieden vorantreibt. Da das Werk keine entsprechende Widmung aufweist, nicht zum Begräbnis eines Freundes oder Familienmitgliedes Faurés aufgeführt wird, kein Auftragswerk ist und Fauré in einem Brief an Louis Aguettant 1887 ausführt, dass er sein Requiem aus reiner Freude und Interesse am Komponieren schreibe, ist dennoch nicht davon auszugehen, dass ein Einzelerlebnis oder das Hinarbeiten auf einen speziellen Anlass den Kompositionsprozess des Requiems bei Fauré initiiert. Auslösend für Faurés Entscheidung eine Requiemsmesse zu komponieren, mögen hingegen die akute Konfrontation mit dem Tod im Allgemeinen, bedingt durch die genannten persönlichen Verluste, sowie dessen generelle Beschäftigung mit traditionellen Formen der Kirchenmusik in seinem Amt an der „Eglise de la Madeleine“ zu diesem Zeitpunkt sein. Es kann also davon ausgegangen werden, dass bei der Komposition des Requiems vornehmlich künstlerische Entscheidungen die Gestaltung prägten, da keine Beeinflussung oder Vorgaben durch einen Auftraggeber oder eine vorbestimmte Aufführungssituation und Besetzung nachweisbar sind.

Erste kompositorische Ideen zum Requiem Faurés finden sich ab 1886 in dessen Skizzenbuch. Hier sind Teile der Sätze „Pie Jesu“ sowie Teile des „Introit“ und des „Kyrie“ skizziert. Als Tonart ist c-Moll gesetzt, der Komponist ändert die Haupttonart allerdings später nach d-Moll. Uraufgeführt wird das Werk 1888, allerdings in einer unvollständigen Form, die „Offertorium“ sowie „Libera me“ (noch) komplett auslässt. Höchstwahrscheinlich komponiert Fauré die weiteren bereits in der ersten Fassung enthaltenen Sätze „Sanctus“, „Agnus Dei“ und „In Paradisum“ sehr eilig und erst angesichts einer Aufführungsmöglichkeit, denn das Requiem wird anlässlich eines mittäglichen Begräbnisgottesdienstes für den wohlhabenden Pariser Architekten Joseph le Souffaché im Januar 1888 an der „Eglise de la Madeleine“, wo Fauré zu diesem Zeitpunkt angestellter Kirchenmusiker ist, unter dessen eigener Leitung uraufgeführt. Auch hier ist davon auszugehen, dass die Uraufführung des Requiems in keinem persönlichen Bezug zu dem Verstorbenen oder dem Anlass steht. Vielmehr ist zu vermuten, dass Fauré den zufällig gegebenen Anlass nutzt, um seine bereits bestehenden Skizzen zu vervollständigen und ein eigenes Werk zur Aufführung zu bringen.

Die Besetzung des Requiems in der Fassung von 1887/8 ist klein und intim. Bläser und hohe Streichinstrumente (Violinen) sind nicht gesetzt, es finden sich Harfe, Orgel sowie tiefe Streicher und Pauke. In der Uraufführung setzt Fauré seinen zirka 30-köpfigen, gemischten Kirchenchor ein, in Sopran und Alt verstärkt durch den Kinderchor der Gemeinde. Frauen sind im Chor nicht gestattet. Das „Pie Jesu“ wird solo von einem Knabensopran vorgetragen.“ Soweit Malte H.

Diese Version wird bisher übrigens unseres Wissens bisher mit keiner einzigen Einspielung gewürdigt, zumindest nicht in unserem Vergleich. Wir sehen da durchaus Potential für ein Alleinstellungsmerkmal.

Diese Uraufführung des Werkes an der „Madeleine“ kam nicht gut an und wurde vom Klerus selbst kritisch aufgenommen. Sie verlässt den üblichen Rahmen, das reicht ja oft schon für die Ablehnung, konkret gab es aber vom Priester einen Rüffel: „Wir benötigen diese Neuerungen nicht, seien Sie zufrieden mit dem was es an der „Madeleine“ gibt.“ Schon alleine das Fehlen eines „richtigen“ Dies irae stieß wahrscheinlich übel auf, denn die Tage des Zorns waren ja dazu da, um die Angst vor den himmlischen, bzw. besser höllischen Strafen zu schüren, um das kirchenkonforme Leben zu befördern.

Da die „Madeleine“ aber um 1890 zu einer der mondänen Stadtkirchen zählte, wäre es möglich, dass Faurés Werk zudem, als zu schmucklos für ein „Begräbnis erster Klasse“ wahrgenommen wurde, da gerade für ambitioniertere kirchenmusikalische Werke der Zeit galt, dass diese, ähnlich dem Requiem von Hector Berlioz, groß angelegt und monumental zu sein hatten. Dies dahingestellt, beschreibt diese erste Reaktion auf das Requiem Faurés trotzdem treffend die generelle Umstrittenheit des Stils Faurés, die ihn nicht nur zu Beginn seiner Karriere, sondern ein Leben lang begleitet. Fauré, an der „École Niedermeyer“ zuerst mit traditionelleren Formen des Tonsatzes konfrontiert und von diesen entscheidend geprägt, jedoch interessiert an den neuen klanglichen Möglichkeiten des nahenden 20. Jahrhunderts, erweist sich im Paris des Fin-de-siècle mitunter als kontroverser Komponist.

„In den Folgejahren wird das Requiem mehrmals, hauptsächlich im liturgischen Kontext, in Paris gespielt, bis Fauré 1893 eine zweite, überarbeitete Fassung des Requiems vorlegt. Das Werk ist nun um „Offertorium“ und „Libera me“ erweitert, die Besetzung durch zwei Trompeten, zwei Hörner, drei Posaunen und zwei Fagotte verstärkt. Über die Motivation Faurés zur Überarbeitung seines Requiems und besonders über seine Motive zur Auslassung von „Offertorium“ und „Libera me“ in der ersten Fassung lässt sich nur spekulieren. Es ist möglich, dass Fauré die Vertonung des „Libera me“ scheute, da dieses die „Dies irae“- Sequenz zitiert, die Fauré in seinem Werk, wohl aus inhaltlichen Gründen, vermeiden wollte. Das Einsetzen des „Offertorium“ hätte dann, im Fall der Auslassung des „Libera me“, zu einem inneren Ungleichgewicht in Gesamtkomposition und Satzzahl geführt, weswegen Fauré dieses in seiner Erstfassung vermutlich ebenfalls wegließ. Das Einfügen der beiden zuvor ausgelassenen Teile, und damit auch eines Teils der „Dies irae“- Sequenz, in der späteren Version von 1893 hätte vor allem Blechbläser klanglich notwendig gemacht, die vormals unter Umständen verzichtbar gewesen wären. Davon abgesehen könnten allerdings auch pragmatische Gründe, wie das vorübergehende Fehlen von Bläsern an der „Madeleine“ oder Zeitnot bei der Komposition unmittelbar vor der Uraufführung 1888, Fauré dazu bewegt haben, das Requiem zuerst in einer für ihn scheinbar „unvollständigen“ Form aufzuführen. Die Uraufführung der zweiten Fassung findet 1893, ebenfalls an der „Madeleine“, statt.“ (soweit erneut Malte H. (Autor:in), 2017, Die Requiemsvertonungen von Gabriel Fauré und Maurice Duruflé, München, GRIN Verlag) Die Anzahl der Sätze sieben dürfte nun keinesfalls zufällig sein, sondern weist auf die heilige Zahl hin.

Diese Fassung, im derzeitigen Sprachgebrauch als die „Originalfassung“ bezeichnet, wurde erst in den siebziger Jahren anhand von Orchesterstimmen, die Fauré für seine Aufführungen verwendete, durch den Fauré-Forscher Jean-Michel Nectoux rekonstruiert. Die erste Einspielung der „Originalfassung“ erfolgte 1984 durch den britischen Dirigenten und Komponisten John Rutter, der jedoch eine eigene Fassung herausgab, die zweite bereits 1987 durch Matthew Best. Leider konnte erst die dritte 1988 mit Philippe Herreweghe in unserem Vergleich dabei sein. Zuvor gab es ausschließlich Einspielungen der dritten Fassung von 1900, doch davon später mehr. Herreweghe selbst reichte übrigens erst 2001 seine Einspielung der symphonischen Fassung nach. Er blieb bisher (mit David Hill und Michél Corboz, der jedoch nur mit einer Einspielung im Vergleich vertreten ist) der einzige Dirigent von Rang, der beide Fassungen in Einspielungen vorgelegt hat. Das sei nur zwischendurch einmal vermerkt.

Vom Requiem Faurés liegt also noch eine dritte Fassung vor. Diese größer instrumentierte Fassung erscheint im Februar 1900 und wird auf mehrmaliges eindringliches Bitten von Faurés Verleger Julien Hamelle erstellt, nachdem sich das Requiem in seiner bisherigen Version von 1893 als sehr beliebt erwiesen hat. Nun sollten auch Konzertsäle ohne feste Orgel und stehende Sinfonieorchester die Gelegenheit bekommen, das populäre Werk aufführen zu können und entsprechende Einnahmen fließen.  Fauré widmet sich nur widerwillig der Aufgabe und betraut in Teilen seinen Schüler Jean Roger Ducasse mit der Aufgabe des Umarrangierens. In der dritten Version werden chorische Violinen gesetzt, und zwar nicht in erste und zweite Violinen unterschieden, sondern „gemischt“. Der ursprünglich obligate Orgelpart ist zurückgedrängt und wird, wenn vorhanden, durch Holz- oder Blechbläser gedoppelt, sodass die Orgel bei einer Aufführung auch verzichtbar wäre. Trotzdem ist der Orgelstimme in der Orginalpartitur von 1900 kein „ad libitum“ hinzugesetzt.  Fauré meinte auf eine Anfrage von Eugène Ysaye, der zu dirigieren hatte, zur Erstaufführung der dritten Fassung dazu klarstellend: „Eine Orgel wäre erforderlich, denn sie begleitet durchgehend, wenn aber keine vorhanden ist, reicht auch ein großes Harmonium aus.“ Mal sehen inwieweit dieses Verlangen in den Einspielungen der Fassung von 1900 berücksichtigt wurde. Die Uraufführung dieser Fassung erfolgte anlässlich der Pariser Weltausstellung 1900 vor 5000 Zuhörern.

Die Tatsache, dass Fauré die Druckfahnen für die ab 1900 produzierte dritte Version des Requiems nach Erhalt durch den Verlag nicht mehr selbst korrigiert und diese sich deswegen im Nachhinein als fehlerhaft erweisen, zeigt die Geringschätzung des Komponisten dieser Version seines Requiems gegenüber. Es ist heute aber gewiss, dass diese dritte „große“ Fassung des Requiems im Wesentlichen aus wirtschaftlichen Gründen entsteht, um das populärer werdende Werk auch für Aufführung mit großen Oratorien- oder Konzertchören und Orchestern außerhalb des liturgischen Rahmens im Konzertsaal zu adaptieren. Fauré selbst dürfte dieser Fassung seines Werkes außerdem aufgrund seiner klanglich veränderten Form (Verlust des kammermusikalischen Gestus und zu einem gewissen Teil auch der sanftmütigen Intimität) kritisch gegenübergestanden haben.

Die ersten beiden Einspielungen von Gustave Bret (Voix de son Maître,1930), dem Gründer der französischen Bach-Gesellschaft und von Ernest Bourmouck (Columbia, 1938) und den Chanteurs de Lyon, haben den Sprung ins CD-Zeitalter nicht geschafft und sind auch als Download schwer zu finden. Dennoch gibt es seit der ersten uns bekannten Einspielung (natürlich alle in der Version von 1900) mit Faurés ehemaliger Schülerin am „Conservatoire“ Nadia Boulanger (1948) zahllose Einspielungen dieser von Beginn an sehr populären und erfolgreichen Fassung. Nicht nur, weil es lange keine andere gedruckte gab.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass drei unterschiedliche Fassungen des Fauré Requiems vorliegen, die sich als eine „unfertige Erstfassung“ (1888), als eine „kleine Fassung“ (1893), auf den CDs als „Originalfassung“ bezeichnet, und als eine „große Version“ oder „Sinfonische Version“ (1900) beschreiben lassen. Die Frage, welche der drei Fassungen als endgültig zu betrachten ist, wird, wie bereits erwähnt, immer noch kontrovers diskutiert. Die Fassung von 1893 scheint dem intendierten Klangbild und Werkaufbau des Komponisten mutmaßlich am ehesten zu entsprechen. Es ist davon auszugehen, dass, bedingt durch Aufführungsdruck, die erste Version des Requiems 1888 unfertig veröffentlicht wurde und dass der Komponist plante, das Werk entsprechend den Veränderungen der Version von 1893 zu vervollständigen und somit indirekt auch Teile des „Dies irae“ zu vertonen. Dies belegt vor allem die Tatsache, dass Fauré das Werk aus eigenem Antrieb zwischen 1889 und 1893 revidierte. Bei der „großen Fassung“ von 1900 handelt es sich lediglich um ein (womöglich Fremd-) Arrangement des Stückes, das den ursprünglichen, ausdrücklich kammermusikalischen Charakter des Werkes-, maßgeblich verändert. Trotzdem fand das Requiem in dieser dritten Version seine weiteste Verbreitung, wovon die große Anzahl von Einspielungen dieser Fassung zeugt. Seit es die Originalfassung von 1893 jedoch gibt, fand sie schnell ihre Anhänger. Man kann sagen, dass sich alle Dirigenten, die sich mit der historisch informierten Aufführungspraxis auseinandersetzten, eher zu dieser Fassung greifen. Hier beginnt die Plattengeschichte bereits mit der CD. Die erste erschien, wie bereits erwähnt, dirigiert von John Rutter (1985), der mit seiner eigenen Version einer Originalausgabe allen anderen, auch Nectoux, zuvorkam. Die zweite dann mit Matthew Best und den Corydon Singers (Hyperion, 1987), dicht gefolgt mit der ersten Einspielung von Philipps Herrweghe, und von Stephan Cleobury, die ältesten unseres Vergleiches (beide 1988).

Gegenüber den möglichen Vorzügen der dritten – „symphonischen“ – Fassung gibt das Fehlen des Violin- und Holzbläserchores der zweiten Version dem Werk eine ganz andere Farbe. Auch ist Faurés Verwendung der zwei Hörner ganz verschieden von der Behandlung als Vierergruppe. Dient letztere in konventioneller Weise der harmonischen Ausfüllung, so wird dem Hörnerpaar eine exponiertere, eher melodietragende Rolle zugewiesen. In den neueren Aufnahmen erschallen auch in der „Originalfassung“ vier Hörner. Auch die Pauken haben noch wesentliches beizutragen, vor allem im stark gegenüber anderen Requien geschrumpften „Dies irae“-Teil des Libera me. In diesem reduzierten Kontext bieten sie unter Umständen, d.h., denn sie mit der nötigen Kraft genutzt werden, einen hinreichenden Ersatz für die weitgehend weggelassene „Dies irae“-Sequenz selbst. Schließlich führt Faurés Absicht, „etwas anderes zu machen“, ihn dazu, das Werk mit zwei Sätzen zu beenden, die nicht zur „Missa pro defunctis“, sondern zum Totenamt gehören.; das „In Paradisum“ spiegelt dabei Faurés Auffassung vom Tod wider, nämlich als einer „freudvollen Erlösung und Erwartung der Glückseligkeit jenseits des Grabes“.

Abschließend bliebe nun noch die besondere Textbehandlung festhalten: Faurés Requiem weicht also in mehrerlei Hinsicht von der traditionellen Totenmesse ab. Er hatte bei zu vielen Beerdigungen die Orgel gespielt, um nicht die katholische Totenliturgie genau zu kennen. Indessen verwendet er sie nur zum Teil und nimmt sich mit den Texten Freiheiten heraus, die den Abstand verdeutlichen, den er angesichts der traditionellen Worte über die letzten Dinge zu wahren beabsichtigt. Er möchte sich an alle Menschen wenden, nicht nur an die Gläubigen der katholischen Kirche.
Die erste Initiative, die uns auffällt, ist die Auslassung des Dies irae: Reaktion eines Komponisten, der Bedenken hegt gegen den romantischen Aufschrei, Wunsch eines wenig gläubigen Menschen, das Phänomen des Todes zu entdramatisieren. Die beiden Gefühle konvergieren. Die Trauer, die ihn bewegt, vermag sich in der konventionellen Sprache der großen Begräbnisse nicht zu artikulieren. In der Liturgie der Kirche forscht er instinktiv nach den Worten, die ihm angemessen erscheinen, um seinem eigenen Schmerz Ausdruck zu verleihen. Seine zärtliche Liebe spricht stärker zu uns, als die Stimme eines ihm fremden Dogmas. Nicht vom Jüngsten Gericht noch von Angst und Schrecken ist die Rede. Fauré verzichtet auf eine dramatisierende Darstellung des Dies irae und beschränkt sich auf die Vertonung von dessen letztem Vers, dem Pie Jesu. An die Stelle des Dies irae („Tag des Zornes“) tritt eine andere Verheißung, nämlich die des abschließenden In paradisum aus den Exequien, das traditionell bei der Überführung des Leichnams von der Kirche zum Friedhof erklingt. Aus der religiösen Welt, in der er beruflich zu Hause ist, hat Fauré die Vorstellung übernommen, dass das Paradies ein Ort der Erquickung, des Lichts und des Friedens ist. Es ist die einzige Zukunft, die er für jene, denen er in Liebe zugetan war, in Betracht ziehen möchte. Auf diese Weise gibt er dem Wort „Requiem“ seine Grundbedeutung zurück. Es handelt sich um eine ewige Ruhe, die der Komponist mit einer ihm eigenen gefühlsmäßigen Vorstellung ausstattet. 

So wird das Requiem musikalisch gekennzeichnet durch lange, ruhige Melodien und Basslinien, gelassen fortschreitende Rhythmen und weiträumige Strukturen, das sind erstaunliche Parallelen zum Stil Bachs. Aus dem Bereich der eher mediterranen Kultur (und natürlich seinem Unterricht an der Schule Niedermeyers), erklärt sich die Verwendung von Kirchentonarten, der betreffenden Harmonien und enharmonischen Übergänge. Die harmonische Originalität rührt jedoch weniger von den verwendeten Akkorden her, sondern in deren Verbindungen. Trotz einiger Passagen von großer Expressivität herrscht vorwiegend eine gewisse Zartheit des Ausdrucks vor, sodass man sich eher an die Elysischen Gefilde der Antike erinnert fühlt, wo die glücklichen Schatten weilten. Es ergibt sich jedenfalls eine Reinheit, eine Vorstellung des letzten Mysteriums, welche die irdische Realität transzendiert und es beinahe erreicht, das Unaussprechliche auszusprechen.

Fauré hat uns auch noch zwei spezifische Besetzungsempfehlungen mitgegeben, die über die Verwendung der Orgel und die Partiturangaben hinausgehen: Er bevorzugte zumindest für den Konzertgebrauch helle, kraftvolle Soprane, nicht „alte Ziegen, die niemals geliebt haben“ und für den Bariton-Solisten wünschte er sich „eine Art Vorsänger“ mit einem ruhig strömenden Bassbariton“, der „Ruhe und Würde der Partie“ entsprechend. An anderen Stellen kann man lesen, er solle wie ein „Kantor“ singen, mit kräftiger Stimme, wie er auch im liturgischen Rahmen anderer Religionen zu finden ist. Fauré wünschte sich für das Sopransolo eine unschuldige (Knaben-)Stimme. Diesem Wunsch wurde in vielen Einspielungen entsprochen. Man muss dann allerdings gestalterische Defizite mit in Kauf nehmen, die bei den kindlichen Sängern zwar allzu verständlich sind, die bei den weiblichen Sopranen aber so nicht vorkommen. Hier bestünde dann eher die Gefahr des stimmlichen Überzeichnens, des zu opernhaften Veräußerlichens oder einer erotisch-sinnlichen Wirkung von Stimme oder Gesang, die im liturgischen Rahmen eher deplatziert erscheinen könnte.

Fauré Musik ist eine schöne, aber auch gefährliche Musik – denn sie kann schnell „schön langweilig“ geraten.

Dirigenten müssen zu feinsten Differenzierungen fähig sein, um Faurés Requiem mit Ausdruck erfüllen zu können. Gleiches gilt für die beiden Gesangssolisten: Die Musik muss gestaltet werden, aber nichts darf gekünstelt oder übertrieben wirken.

 

Der Chor hat in Faurés Requiem die gewichtigste Aufgabe zu erfüllen. Mit seiner Qualität steht und fällt die ganze Aufführung des Werkes. Besonders in den alten Einspielungen aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren liegt es damit noch im Argen. Besonders in den französischen Aufnahmen war es offensichtlich nach dem Krieg erst einmal wichtig, das Werk überhaupt einzuspielen und für die Musikfreunde außerhalb von Aufführungen in Kirchen und Konzertsälen verfügbar zu machen. Die Anforderungen an die Qualität des Chores waren entsprechend niedrig, vielleicht gab es auch die Qualität der professionellen Chöre von heute auch noch gar nicht, zumal man bei den Aufnahmen um die Chöre der großen Opernhäuser einen Bogen machte. Es sind bei unserem Vergleich besonders die deutschen oder vielmehr europäischen Rundfunkchöre und einige Chöre von der Insel durch ihre besondere Exzellenz aufgefallen und in Erinnerung geblieben sind. Die beiden Solisten sind dem gegenüber eher wie die Rosinen im Kuchen. Schön, wenn sie ihren Auftritt innig, mit überlegener Phrasierung und guter Stimme gestalten, aber einen schlechten Chor können sie mit ihren kurzen Darbietungen nicht aufwiegen. Auch ein sorgfältig und inspiriert aufspielendes Kammerensemble (in der Fassung von 1893) bzw. groß besetztes Orchester (in der Fassung von 1900) kann dem Chor nur „Schützenhilfe“ leisten. Meistens war es aber so, dass sich zu einem exzellenten Chor auch ein exzellentes Orchester gesellte. Meistens war es auch so, dass eine Korrelation zwischen der Chorgröße und dem Tempo zu beobachten war. Je größer der Chor, desto langsamer und weihevoller das Grundmetrum. Ob da nur eine Korrelation vorliegt oder eine Kausalität, darüber ließe sich sicher trefflich diskutieren.

Es gibt bei beiden Fassungen hervorragende Einspielungen, die die Unterschiede und Vorzüge der Fassungen deutlich herausarbeiten. Für welche Fassung man sich auch entscheidet, man braucht also eigentlich keine Kompromisse einzugehen. Sehr interessant und unbedingt empfehlenswert ist es, beide Fassungen kennenzulernen.

 

Einen (eigentlich sind es mehrere) Tipp(s) für die Liebhaber besonders schöner Frauen(stimmen) können wir auch noch abgeben. Da die Geschmäcker sehr verschieden sind, jedoch ohne Gewähr. Es erscheint geboten, da die schönsten Beiträge des Solo-Soprans nicht immer in den besten Einspielungen auftreten, also überlesen werden könnten. Reihenfolge bedeutet hier nicht Rangfolge:

 

Pièrette Alarie

Kathleen Battle

Lisa Beckley

Barbara Bonney (in der Aufnahme mit Ozawa)

Catherine Bott

Angharad Gruffyd Jones

Sylvia McNair

Rose-Marie Mezac

Sandrine Piau

Lucia Popp (in der Aufnahme mit Andrew Davis)

und last but not least die Soprane des Flämischen Rundfunkchores.

 

 

 

(Für den Vergleich verwendete Partituren: Fassung 1888/1893, „Kirchenfassung“, „Kleine Fassung“, „Kammermusikalische Fassung“ auch „Originalfassung“ genannt, herausgegeben von Philip Legge, 2000, zu finden in der „Petrucci-Bibliothek“ und für die Fassung 1900, „Konzertfassung“, „Große Fassung“, „Sinfonische Fassung“, revidiert von Jean-Michel Nectoux und Reiner Zimmermann, Edition Peters, 1977)

 

Sachliche Wiederholungen beim Lesen des Textes bitten wir zu entschuldigen. Sie dienen dem besseren Einprägen der Fakten, auf dass ein jeder Leser zu einem Spezialisten in Sachen „Fauré-Requiem“ werde.

 

Nun noch für die ganz fleißigen Leser der Aufbau und den zu Faurés Requiem dazugehörigen, vollständigen Text (nach Judith Roßbach, Stiftschor Bonn, 2015):

  1. Introït et Kyrie

Das Introït et Kyrie beginnt mit dem sanften, auf einem Akkord gesungenen Requiem aeternam des Chores, das melodiös zunächst von den Tenören, dann von den Sopranen weitergeführt wird. Lautstark trägt danach der Chor die Bitte Exaudi orationem meam vor, kehrt dann aber wieder ins Pianissimo zurück und lässt den Satz sanft mit dem Kyrie eleison ausklingen. 

Requiem aeternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus, Deus, in Sion,
et tibi reddetur votum in Jerusalem.
Exaudi orationem meam,
ad te omnis caro veniet.
Kyrie eleison.
Christe eleison.
Kyrie eleison.

Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
Dir gebührt Lob, Herr, auf dem Zion,
Dir erfüllt man Gelübde in Jerusalem.
Erhöre mein Gebet;
zu Dir kommt alles Fleisch.
Herr, erbarme Dich.
Christus, erbarme Dich.
Herr, erbarme Dich.

  1. Offertoire (Bariton-Solo und Chor)

Das Offertoire leitet ein zweistimmiger Chor ein. Im Mittelteil trägt der Bariton die eigentlichen Fürbitten solistisch vor, worauf der Chor beschwörend seine Anfangsworte wiederholt, dann aber mit dem Amen wieder ins Pianissimo zurückkehrt. 

O Domine Jesu Christe, Rex gloriae,
libera animas defunctorum
de poenis inferni,

et de profundo lacu,
de ore leonis,
ne absorbeat tartarus,
ne cadant in obscurum.

Hostias et preces tibi Domine,

laudis offerimus;
tu suscipe pro animabus illis,
quarum hodie memoriam facimus:
Fac eas, Domine, de morte transire

ad vitam,
quam olim Abrahae promisisti

et semini eius.
O Domine Jesu Christe, Rex gloriae,
libera animas defunctorum
de poenis inferni,

et de profundo lacu,
ne cadant in obscurum.
Amen.

Herr Jesus Christus, König der Herrlichkeit,
bewahre die Seelen der Verstorbenen
vor den Qualen der Hölle,
vor den Tiefen der Unterwelt,
dem Rachen des Löwen,
dass die Hölle sie nicht verschlinge,
noch dass sie hinabstürzen in die Finsternis.


Opfergaben und Gebete bringen wir dir dar,

Herr, nimm sie an für jene Seelen,
derer wir heute gedenken.
Gib, Herr, dass sie vom Tode gelangen

 

zum Leben,
was einst Abraham versprochen wurde
und dessen Nachkommen.
Herr Jesus Christus, König der Herrlichkeit,
bewahre die Seelen der Verstorbenen
vor den Qualen der Hölle,

vor den Tiefen der Unterwelt,
dass sie nicht hinabstürzen in die Finsternis.
Amen.

  1. Sanctus

Der liebliche, einstimmige Chorgesang des Sanctus drückt unendliche Ruhe aus, die kurz vom markanten Hosanna in excelsis der von Bläsern unterstützten Männerstimmen unterbrochen wird, im sanften Ausklingen des Satzes aber wieder einkehrt. 

Sanctus, Sanctus, Sanctus
Dominus Deus Sabaoth.
Pleni sunt coeli et terra gloria tua.
Hosanna in excelsis.

Heilig, heilig, heilig
Herr, Gott der Heerscharen.
Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit.
Hosanna in der Höhe.

  1. Pie Jesu (Sopran-Solo)

Im Pie Jesu, dem wohl bekanntesten und beliebtesten Satz des Requiems, hat Fauré nur den letzten Vers des Dies irae (Milder Herr Jesus, schenke ihnen die ewige Ruhe) vertont. Die Schlichtheit der lieblichen Melodie gibt dieser Bitte einen ganz besonderen Nachdruck.

 

Pie Jesu,

Domine, dona eis requiem,

sempiternam requiem. 

Gütiger Jesus,

Herr, gib ihnen Ruhe,

die ewige Ruhe.

  1. Agnus Dei

Diese Stimmung bleibt im Agnus Dei, das die Tenöre einstimmig beginnen, zunächst erhalten, bis der Chor nach „ewiger Ruhe“ ruft und das Bitten beschwörender wird. 

Agnus Dei,

qui tollis peccata mundi,
dona eis requiem. (2x)
Agnus Dei,

qui tollis peccata mundi,
dona eis requiem,

sempiternam requiem. 

Lamm Gottes,

du nimmst hinweg die Sünde der Welt,
gib ihnen Ruhe.
Lamm Gottes,

du nimmst hinweg die Sünde der Welt,
gib ihnen Ruhe,

die ewige Ruhe.

  1. Libera Me (Bariton-Solo und Chor)

Im Libera Me erfährt das Werk noch einmal eine gewisse Dramatik. Der Bariton beginnt zunächst sehr ruhig mit der Bitte um Erlösung, die im eindringlichen Chorgesang fortgeführt wird, bis unvermittelt die Hörner einen wahren Aufschrei einleiten, mit dem der Chor im Fortissimo auf das Jüngste Gericht hinweist. Doch bevor sich ein Gefühl von Angst und Schrecken ausbreiten kann - nur siebzehn Takte umfasst dieser Aufschrei -, kehren Bariton und Chor wieder zum Eingangsthema zurück und lassen den Satz friedlich und zuversichtlich ausklingen; das Jüngste Gericht hat nicht stattgefunden. 

Libera me, Domine,

de morte aeterna,
in die illa tremenda,
quando coeli movendi sunt et terra,
dum veneris judicare saeculum per ignem.

Rette mich, Herr,

vor dem ewigen Tod
an jenem Tage des Schreckens,
wo Himmel und Erde wanken,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.

Tremens factus sum ego, et timeo,
dum discussio venerit,

atque ventura ira.
Dies illa, dies irae,
calamitatis et miseriae,
dies magna et amara valde.
Dum veneris judicare saeculum per ignem.
Requiem aeternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
Libera me, Domine, de morte aeterna,
in die illa tremenda,
quando coeli movendi sunt et terra,
dum veneris judicare saeculum per ignem.

Zittern befällt mich und Angst,
denn die Rechenschaft naht

und der drohende Zorn.
O jener Tag, Tag des Zorns,
des Unheils, des Elends,
o Tag, so groß und so bitter,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.
Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
Rette mich, Herr, vor dem ewigen Tod
an jenem Tage des Schreckens,
wo Himmel und Erde wanken,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.

  1. In Paradisum (Chor)

Direkt ins Paradies scheint der engelhafte Gesang mit Harfenbegleitung des letzten Satzes, In Paradisum, zu führen und unterstreicht Faurés Einstellung, wonach der Tod „nicht ein schmerzliches Erlebnis, sondern eine willkommene Befreiung, ein Streben nach dem Jenseits ist“

In paradisum deducant angeli;
in tuo adventu suscipiant te martyres,
et perducant te in civitatem

sanctam Ierusalem.
Chorus angelorum te suscipiat,
et cum Lazaro quondam paupere,
æternam habeas requiem.

Zum Paradies mögen Engel dich geleiten,
bei deiner Ankunft die Märtyrer dich empfangen
und dich führen in die

heilige Stadt Jerusalem.

Der Chor der Engel möge dich empfangen,
und mit Lazarus, dem einst armen,
mögest du ewige Ruhe haben.

 

Werkhintergrund fertiggestellt am 28.9.2022

 

 

 

 

Um 1900 verliebte sich Fauré in die 24-jährige Pianistin Marguerite Hasselmans. Dieses Verhältnis wurde nicht verheimlicht, aber auch nicht durch Eheschließung „legalisiert“; es währte bis zu Faurés Tod 1924. Das Foto zeigt den jungen Mann 1905. Da konnte er sich bereits seit fünf Jahren am Erfolg der Orchesterfassung seines Requiems erfreuen.

 

 

 

 

 

Übersicht über die im folgenden besprochenen Einspielungen:

 

 

                                                                                       

Einspielungen nach der Fassung von 1893

 

5

Peter Dijkstra

Sunhae Im

Konrad Jarnot

Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Kammerorchester

Sony

2010

5:43  7:40  2:46  3:21  5:19  4:06  2:47

31:42

 

5

Mathieu Romano

Roxane Chalard

Mathieu Dubroca

Ensemble Aedes,

Les Siècles

Aparté

2018

6:27  7:27  3:16  3:35  5:38  4:30  3:22

34:15

 

5

Laurence Equilbey

Sandrine Piau

Stéphane Degout

Maîtrise de Paris (Knabenchor), Accentus,

Mitglieder des Orchestre National de France

Naive

2008

7:00  8:11  3:06  3:40  5:34  4:43  3:02 

35:16

 

5

Sir John Eliot Gardiner

Catherine Bott

Gilles Cachemaille

Salisbury Cathetral Boy Choristers, Monteverdi Chorus, Orchestre Revolutionaire et Romantique

Philips

1992

6:28  8:22  3:24  3:43  5:38  4:38  3:11 

35:24

 

5

Stephan Cleobury

Tom Picard, Treble

Gerald Finley, Bariton

Choir of King´s College, Cambridge, Orchestra of the Age of Enlightenment

Eigenmarke des Chores

2014

5:21  2:45  3:03  3:00  5:15  4:44  3:07 

27:15

 

5

Philippe Herreweghe

Agnes Mellon

Peter Kooy

Les petites Chanteurs de Saint-Lois (Knabenchor), La Chapelle Royale (Chor), Ensemble Musique Oblique

Harmonia mundi

1988

7:12  7:54  3:20  4:19  6:32  4:34  3:57 

37:48

 

 

 

4-5

Hervé Niquet

Kein Solo-Sopran!

Andrew Foster Williams

Flemish Radio Choir,

Brussels Philharmonic Soloists

Evil Pinguin Records

2014

5:43  5:48  2:57  2:53  4:58  4:18  2:59 

29:36

 

4-5

Jeremy Summerly

Lisa Beckley

Nicolas Gedge

Schola Cantorum Oxford,

Oxford Camerata

Naxos

1993

6:31  8:49  3:20  3:24  5:51  4:30  3:14 

35:39

 

4-5

David Hill

Nancy Argenta

Simon Keenlyside

Winchester Cathedral Choir,

Bournemouth Sinfonietta

Virgin

1998

6:34  8:05  3:12  3:25  5:58  4:32  3:30 

35:16

 

 

 

4

Ross Pople

Angharad Gruffydd Jones

Jonathan Brown

English Voices,

London Festival Orchestra

Arte Nova

1995

6:01  9:56  2:28  3:53  5:24  4:24  2:44 

35:02

 

4

Douglas Bostock

Voitech Dyck, Treble

Furio Zanasi, Bariton

Pueri Gaudentes,

Chamber Philharmonic of Bohemia (Böhmische Kammerphilharmonie)

Scandinavian Classics, Olufsen Records, Classico

1998

6:06  6:56  2:59  2:59  5:23  4:17  3:08 

31:48

 

4

Winfried Toll

Isolde Siebert

Ulf Bästlein

Camerata Vocale Freiburg,

Camerata Freiburg

Ars Musici

1994

6:35  8:12  3:04  3:58  5:58  4:36  3:13 

35:36

 

 

 

3-4

Stephan Cleobury

Richard Eteson, Treble

Olaf Bär, Bariton

Choir of King´s College, Cambridge, English Chamber Orchestra

EMI

1988

6:00  7:57  3:10  3:08  5:41  4:40  3:22 

33:58

 

 

 

3

Pieter Leusink

Maya Roodveldt

Bas Ramselaar

Holland Boy Choir,

Ungarisches Kammerorchester

Musica di Angeli, Amsterdam Classics

1997

5:58  8:08  3:08  3:58  6:36  4:44  3:08 

34:40

 

 

Einspielungen, die der Fassung von 1900 folgen:

 

 

5

Paavo Järvi

Philippe Jaroussky, Countertenor

Matthias Goerne, Bariton

Choer de l´Orchestre de Paris,

Orchestre de Paris

Erato

2011

6:30  8:40  3:05  3:32  5:30  4:23  3:14 

35:14

 

5

Philippe Herreweghe

Johannette Zomer

Stephan Genz

La Chapelle Royale, Collegium Vocale Gent, Orchestre des Champs Élysées

Harmonia Mundi

2001

7:40  7:53  3:22  3:42  6:21  6:55  3:27 

39:20

 

5

Colin Davis

Lucia Popp

Simon Estes

Rundfunkchor Leipzig (heute: MDR-Chor), Staatskapelle Dresden

Eterna, Philips, Brilliant

1984

8:14  9:02  3:23  4:15  6:44  4:18  3:26 

37:22

 

5

Carlo Maria Giulini

Kathleen Battle

Andreas Schmidt

Philharmonia Chorus and Philharmonia Orchestra, London

DG

1986

7:44  9:39  3:33 3:29  7:00  5:43  3:34 

40:42

 

5

Seiji Ozawa

Barbara Bonney

Hakan Hagegard

Tanglewood Festival Chorus, Boston Symphony Orchestra

RCA

1996

6:26  7:48  3:05  4:33  5:52  5:03  3:13 

36:00

 

 

 

4-5

Andrew Davis

Lucia Popp

Siegmund Nimsgern

Ambrosian Singers,

Philharmonia Orchestra, London

CBS-Sony

1977

6:50  8:50  3:33  3:37  6:06  4:52  4:02 

37:50

 

4-5

Jean Fournet

Elly Ameling

Bernard Kruysen

Niederländischer Rundfunkchor, Rotterdamer Philharmoniker

Philips

1975

6:02  7:48  2:423  3:44  5:10  4:48  3:13 

33:27

 

4-5

Neville Marriner

Sylvia McNair

Thomas Allen

Chorus and Academy of St.-Martin-in-the-Fields

Philips

1993

6:40  8:00  3:10  4:14  5:34  4:27  3:04  34:29

 

4-5

Ivor Bolton

Katja Stuber

Benjamin Appl

Balthasar-Neumann-Chor, Sinfonieorchester Basel

Sony

2019

6:05  8:28  3:01  3:30  5:21  4:10  3:08 

33:43

 

4-5

David Hill

Aidan Oliver und Harry Ascott, Trebles

David Wilson-Johnson, Bariton

The Choir of Westminster Cathedral,

City of London Sinfonia

IMP Classics

1987

6:30  8:20  3:04  3:10  6:03  4:36  3:32 

35:35

 

4-5

Richard Hickox

Aled Jones, Treble

Stephan Roberts

London Symphony Chorus,

Royal Philharmonic Orchestra, London

1986

RPO Records, Griffin

6:16  8:13  3:09  3:09  5:31  5:00  3:37 

34:55

 

4-5

Charles Dutoit

Kiri te Kanawa

Sherill Milnes

Choers et Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1988

7:25  8:54  2:58  3:40  6:01  5:17  3:11 

37:26

 

4-5

Sergiu Celibidache

Margarethe Price

Alan Titus

Philharmonischer Chor München,

Münchner Philharmoniker

EMI

1994, Live

7:43  10:30  2.58  4:39  5:50  7:53  3:13 

42:46

 

4-5

Michel Legrand

Barbara Bonney

Thomas Hampson

Ambrosian Singers,

Philarmonia Orchestra London

Teldec

1993

7:30  8:25  4:22  4:35  5:58  4:30  3:37 

38:57

 

4-5

Louis Frémaux

Norma Burrowes

Brian Rayner Cook

City of Birmingham Chorus and Symphony Orchestra

EMI

1977

6:45  7:49  3:18  3:43  6:00  4:43  3:26 

35:44

 

4-5

Bernard Thomas

Rose-Marie Mezac

Michel Piquemal (auch Chorleiter)

Petits Chanteurs de Paris (Kinderchor), Choer „Vittoria“ d´Argenteuil, Orchestre Régional d´Ile de France

Forlane-Auvidis

1984

7:27  8:48  3:48  3:21  6:20  4:50  3:44 

37:58

 

 

 

4

Armin Jordan

Mathias Usbeck, Treble

Gilles Cachemaille, Bariton

Choer de Chambre Romand, Pro Arte Chor, Orchestre de la Suisse Romande

Erato

1991

6:28  8:02  3:30  2:45  5:33  5:05  3:27 

35:00

 

4

Daniel Barenboim

Sheila Armstrong

Dietrich Fischer-Dieskau

Edinburgh Festival Chorus,

Orchestre de Paris

EMI

1975

7:58  9:55  2:40  3:27  6:04  5:08  3:18 

38:30

 

4

Michel Plasson

Barbara Hendricks

José van Dam

Orfeón Donostiarra, Orchestre National du Capitol de Toulouse

EMI

1984

7:26  10:24  3:17  4:09  6:05  5:58  3:27 

40:42

 

4

André Cluytens

Victoria de los Angeles

Dietrich Fischer-Dieskau

Choers Elisabeth Brasseur, Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris

EMI

1962

8:03  9:07  3:12  3:13  6:43  5:17  3:44 

39:19

 

4

Georges Prêtre

Francoise Pollet

Francois le Roux

Südfunk-Chor, Mitglieder des Chores der Stuttgarter Staatsoper, RSO Stuttgart des SWR

CD vom damals noch SDR genannten SWR

1997, Live

8:04  9:08  3:52  3:34  6:42  5:15  3:30 

39:25

 

4

Ernest Ansermet

Suzanne Danco

Gérard Souzay

Union Chorale de Tour de Peilz, Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1955

6:56  9:04  3:10  3:05  5:10  5:16  3:58 

36:39

 

4

Michel Corboz

Magali Dami

Peter Harvey

Ensemble Vocal et Instrumental de Lausanne

Erato, Fnac

1992

7:10  6:41  3:46  3:15  5:44  3:09  3:53 

33:38

 

4

Jean Fournet

Pièrette Alarie

Camille Maurane

Choer Elisbeth Brasseur,

Orchestre Lamoureux, Paris

Philips

1954

6:53  8:42  2:56  3:46  5:38  5:14  3:27 

36:36

 

4

Louis Frémaux

Denis Tilliez, Treble

Bernard Kruysen, Bariton

Choral Philippe Caillard, Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Erato

1962

6:20  7:37  3:09  2:59  5:48  4:54  3:34 

34:21

 

4

Philip Ledger

Arléen Auger

Benjamin Luxon

Choir of King´s College, Cambridge, English Chamber Orchestra

EMI

1982

5:31  8:12  2:48  3:06  5:20  4:14  3:09 

32:20

 

4

Sir David Willcocks

Robin Chilcott, Treble

John Caroll Chase, Bariton

Choir of King´s College, Cambridge, New Philharmonia Orchestra, London

EMI

1967

6:10  8:06  3:23  4:00  5:25  4:21  3:40 

35:05

 

 

 

3-4

Nadia Boulanger

Reri Grist

Donald Gramm

The Choral Art Society, New York Philharmonic Orchestra

Les Indisponsables de Diapason

1962, Live

6:49  8:14  3:11  4:28  5:47  5:13  3:33 

34:04

 

3-4

George Guest

Jonathan Bond, Treble

Benjamin Luxon, Bariton

St. John´s College Choir, Cambridge, Academy of St.-Martin-in-the-Fields

Decca

1975

5:54  8:49  3:32  3:30  6:01  5:22  3:38 

36:46

 

3-4

Myung-Whun Chung

Cecilia Bartoli

Bryn Terfel

Coro e Orchestra dell´Academia di Santa Cecilia

DG

1997

8:13  8:41  3:00  3:42  6:09  4:49  3:20 

37:52

 

 

 

3

Nadia Boulanger

Gisèle Peyron

Doda Conrad

Ungenannte Chöre und ungenanntes Orchester

EMI

1948

6:39  7:56  2:57  4:03  5:20  4:48  3:15 

34:58

 

3

André Cluytens

Martha Angelici

Louis Noguera

Les Chanteurs et L´Orchestre de Saint-Eustache, Paris

Angel, EMI, Testament

1950

8:04  8:30  3:32  3:12  6:20  5:17  3:50 

38:45

 

3

Louis Martini

Jocelyne Chamonin

George Abdoum

Chorale des Jeunesses de France, Orchestre des Concerts Colonne, Paris

Turnabout

1963

7:10  9:42  3:03  3:04  5:49  4:53  3:35 

37:15

 

 

 

 

Vergleich:         

                                                                             

Einspielungen nach der Fassung von 1893, die Rezensionen im Detail:

 

5

Peter Dijkstra

Sunhae Im

Konrad Jarnot

Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Kammerorchester

Sony

2010

5:43  7:40  2:46  3:21  5:19  4:06  2:47 31:42

Das Pfund mit der diese Einspielung wuchern kann ist der Chor. Das gilt zwar für alle Einspielungen, die es in die „Summa cum laude“-Gruppe 5 geschafft haben, hier jedoch ganz besonders, denn der Chorgesang ist hervorragend geschmeidig, präzise, tragend und er verfügt über eine enorme dynamische Spannweite. Letzteres wird jedoch nicht kraftmeierisch über Gebühr ausgeizt, sondern verbleibt in einem Rahmen, der gewissermaßen die goldene Mitte umspannt. Beispielhaft ist seine Verzahnung mit der Orgel und dem Kammerorchester, mit dem er auch in Klang- und Ausdruck vortrefflich übereinstimmt. Die exponierte Orgel ist zudem mehr als nur ein Füllinstrument, denn sie reichert das Werk in dieser Einspielung farbig an, was auch für die in fast allen Aufnahmen gering geschätzten bis eklatant vernachlässigten Pauke gilt. Das Orchester spielt mit beispielhafter Sicherheit und Souveränität sehr plastisch. Sein Part kann sich in der Bedeutung mit der des Chores nicht messen, aber es trägt zum Gelingen der gesamten Einspielung natürlich enorm viel bei, wenn auch der Orchestersatz die ihm gebührende Aufmerksamkeit erfährt. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, es war im Vergleich jedoch zu beobachten, dass die mit der Orchesterführung betrauten „Chordirigenten“ eher den Chor im Fokus haben und das Orchester vernachlässigen und die genuinen „Orchesterdirigenten“ gerne mal beim Chor die Fünf gerade sein lassen. Das Münchner Kammerorchester erklingt jedenfalls besser durchstrukturiert und ausdrucksvoller als bei den „Chordirigenten“ in anderen Einspielungen üblich. Peter Dijkstra hat ohrenscheinlich an alles gedacht.

Im „Offertoire“ kommt zusätzlich auch die beispielhafte Höhensicherheit und die absolute Souveränität des Chores zu Gehör. Und der Bariton lässt im ersten der beiden von ihm mitgestaltetet Sätzen seine Stimme erschallen. Er tut dies mitunter lauter als es die Partitur steht und damit Fauré selbst wünscht, eine Eigenheit, die bei den meisten Sängern zu beobachten ist. Sie scheinen sich um ihre Wirkung zu sorgen, dabei merkt man es bei den wenigen, die die Vortragszeichen beherzigen, dass es besser gewesen wäre, Faurés Angaben zu folgen. Noch mehr gilt das übrigens für den Sopranpart, aber darauf kommen wir gleich zu sprechen. Konrad Jarnots Vortrag ist aber, von dieser kleinen Verfehlung abgesehen, sehr differenziert und er verfügt über das von Fauré gewünschte Timbre. Der Chorgesang wird spätestens in diesem Satz zu einem einzigartigen Genuss, vor allem sein Verschmelzungsgrad mit der Orgel und dem Orchester muss erneut hervorgehoben werden.

Beim „Sanctus“ dürfen wir das zügige Tempo hervorheben und die sehr hell klingende Solo-Violine. Es fehlt ihr aber dennoch nicht an der „Süße“ im Klang und ganz toll finden wir, dass sie auch pp spielen kann und alles für den Gesamtklang tut, indem sie sich gerade nicht in den Vordergrund spielen möchte. Auch die Harfe verschwindet nicht im Orchester oder hinter dem Chor, wie bereits geschrieben, es wurde an alles gedacht. Wie schön sie umspielen kann, wenn sie die Gelegenheit bekommt, zu Gehör zu kommen! Das selten einmal zu hörende ff von Trompeten und Hörnern empfinden wir als noch zurückhaltend und werkdienlich. Andere gehen da in die Vollen, als ob wir uns im „Ring“ befänden.

Der vierte Satz, „Pie Jesu“, bedarf natürlich auch noch der Erwähnung, denn hier hören wir das Sopran-Solo. Sunhae Im nimmt eine Art Mittelposition ein zwischen dem nahezu vibratolosen Ton der historisch informierten Sängerinnen und den Operndiven, die mit dem Vibrato nur so wuchern. Auch der Klang der Knabensoprane spielt bei ihr noch mit hinein, denn sie verfügt über eine helle, klare Stimme. Ihr Vortrag ist allerdings künstlerisch hochwertiger, d.h. sie weiß, was sie singt, anders als die singenden Kinder, zudem klingt sie dynamisch und belebt. Sie singt zwar weniger „tranquillo“ wie unsere Favoritinnen, aber das ebenfalls vorgegebene „Dolce“ gelingt ihr ganz wunderbar.

Nun wollen wir es kurz machen: Die Hörner im „Dies irae“ könnten, wie wir in anderen Einspielungen gehört haben, noch etwas mehr zupacken und noch etwas besser betont werden. Ihr ff fällt zu früh ab. Das bemerkt man aber ohne Partitur beim ersten Hören gar nicht, nur wenn man es bereits weiß, natürlich schon. Das „Libera me“ singt Konrad Jarnot mit großer Emphase, der Chor klingt einfach nur bestechend gut. Auch der letzte Satz „In Paradisum“ klingt zügig und unverzärtelt. Hier könnte leicht Kitsch aufkommen. In dieser Aufnahme hören wir stattdessen paradiesische Töne, als ob Engel sängen, sozusagen. Einfach tolle Sopranstimmen. So sollte es sein, da oben im Himmel. Allein wegen der Soprane sollte man versuchen, sich da hinzuschaffen, wenn es soweit ist.

Der Klang baut auf einem fülligen Bass auf. Er wirkt enorm transparent, voll, weich und sonor, präsent und trotzdem wunderbar räumlich. Der Chor hat keine Kammerchorbesetzung, er bewegt sich in seiner Größe unterhalb der großen Chören etwa aus London oder Edinburgh. Die Aufnahme klingt füllig und sehr sinnlich. Ein sehr gutes Beispiel, dass Sakralmusik Sinnenfreude nicht aussperren muss.

 

 

 

5

Mathieu Romano

Roxane Chalard

Mathieu Dubroca

Ensemble Aedes (Chor),

Les Siècles (Orchester)

Aparté

2018

6:27  7:27  3:16  3:35  5:38  4:30  3:22  34:15

Gleich im ersten Satz, dem „Introit et Kyrie“ bemerkt man die fast schon drastische Dynamik dieses Chores. Dennoch muss er nie forcieren. Er klingt voll, präzise und sinnlich. Ein ebenfalls ausgezeichnet klingender, fantastisch musikalischer Chor. Eigenschaften, die natürlich auch auf seinen Leiter zurückfallen. Die Orgel klingt vollmundig und bassstark. Offensichtlich war man von der Gardiner-Einspielung inspiriert, denn da verfährt man genauso. Insgesamt klingt diese Besetzung saftig und ungeheuer ausdrucksstark. Auffallend ist die reichhaltige Farbpalette des klein besetzten Orchesters, es werden Originalinstrumente benutzt, wie zuvor schon bei Herreweghe und eben Gardiner. Das Orchester wird als dem Chor gleichwertig aufgefasst, erfährt so den entsprechenden Scharfblick des Dirigenten und klingt entsprechend nuanciert und eloquent. Wir kennen es bereits aus dem Vergleich von Strawinskys „Le Sacre du Printenps“, allerdings in kaum vergleichbarer Besetzung. Im Auftritt von Mathieu Dubroca im „Offertoire“ klingt seine Stimme offen und frei, geradezu einschmeichelnd mit einem sehr ausgewogenen, weichen Timbre.

Die Hörner spielen in dieser Einspielung häufiger hörbar mit der Orgel mit, das wirkt sehr schön. Der Chor erweist sich von Satz zu Satz als einer der allerbesten, sehr ausgewogen, ungeheuer dynamisch, ohne aber je seine Homogenität zu verlieren und strahlkräftig, ohne aber je den warmen Grundton zu verlieren.

Im „Sanctus“ fällt das französisch ausgesprochene Latein auf. Manch ein ehemaliger Lateinschüler und die Latein-Lehrer zumal könnte das stören, aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Aussprache damals zu Faurés Zeiten und in seiner Kircher, der „Madeleine“ so üblich war. Somit darf es sogar als authentisch gelten. Dennoch finden wir die Aussprache sehr gewöhnungsbedürftig. Bei anderen klingt es noch französischer als bei Romano. Die Solo-Violine, die wir ja nur in diesem Satz hören, klingt sehr sinnlich und verführerisch. Sie vermag es, uns in höhere Sphären zu erheben. Eine Art Erhebung gelingt auch dem tollen Chor vereint mit dem Blech (Hörner und Trompeten) ab T. 43.

Im „Pie Jesu“ singt Roxane Chalard zwar ebenfalls eigentlich zu laut, aber voller Inbrunst und mit viel Kraft, strahlend und rein. Ihr Timbre ist nicht so persönlich-unverwechselbar wie bei den „Star-Sopranistinnen“, die wir noch hören werden (Piau, Bott, Bonney, Battle, Hendrickx, Bartoli und wie sie alle heißen), aber sie braucht sich nicht zu verstecken. Wir vermissen lediglich ein etwas ausgeprägteres Spiel mit der Dynamik. Man kann ermessen wie gut der Chor ist, wenn er über solche Sängerinnen verfügt. Insgesamt bereitet dieser Satz in dieser Einspielung eine verschwenderische Schönheit für die Hörer auf.

Das „Agnus Dei“ klingt flüssig, teils fast beschwingt und tänzerisch, aber ohne den lebendig-lieblichen Ausdruck zu vernachlässigen. Das „Dies irae“ wird hier zu einem grandiosen dynamischen Höhepunkt, verstärkt von den Pauken, wo eigentlich keine notiert sind. Ausdrucksextreme werden nicht gescheut. Das lässt übrigens einen frischen Wind durch das ganze Werk wehen. Zuletzt sei noch „In Paradisum“ erwähnt, dem besonders schön gelungenen Abschluss einer lebendigen Darstellung mit einem sehr gut aufgefächerten Instrumentarium, einer gefühlvollen und lebendig-noblen Phrasierung. Man meint geradezu den beteiligten Herrschaften die Freude am Singen an ihren imaginierten Gesichtern ablesen zu können.

Der Klang dieser noch neuen Einspielung ist sehr voll und bestens abgerundet, sehr dynamisch, prall und präsent. Sogar die Druckerzeugung für die Luft der Orgelpfeifen ist gut zu vernehmen. Der Gesamtklang ist sehr plastisch, großräumig und recht weit abgesteckt, dabei jedoch überhaupt nicht hallig. Nach einer Kirche hört sich der Aufnahmeraum nicht an. Die Soli kommen ebenfalls präsent und voll. Der Bass klingt tief und ebenfalls schön füllig. Unsere Ansicht kommt man dem Ideal gerade für die intimere Fassung von 1893 sehr nahe.

 

 

 

5

Laurence Equilbey

Sandrine Piau

Stéphane Degout

Maîtrise de Paris (Knabenchor), Accentus,

Mitglieder des Orchestre National de France

Naive

2008

7:00  8:11  3:06  3:40  5:34  4:43  3:02  35:16

Der Accentus-Chor klingt ebenfalls sehr sauber und er verfügt über einen subtanzreichen Klang und einen dynamischen Ambitus bis zum gewaltigen ff. So wirkt sein Ausdruckspotential besonders romantisch ausgreifend, einerseits expressiv aufgeladen, andererseits auch enorm lebendig, von pietistischer Blässe ist nichts zu spüren. Die Tonbildung wirkt, wie bei den beiden anderen Spitzenchören zuvor, perfekt abgerundet. Die Orgel fügt sich vortrefflich ins Klangbild ein, klingt aber nicht dominant. Die Textverständlichkeit des Chores ist übrigens ausgezeichnet.

Stéphane Degout klingt in seinem ersten Solo eher leicht und flexibel als voll, sonor und dunkel. Im „Offertoire“ dürfen wir erneut den perfekt ausgewogenen Chor und dieses Mal insbesondere auch die absolut höhensicheren Soprane bewundern.

Im dritten Satz „Sanctus“ sollte endlich auch einmal das sehr ausgewogen und farbig spielende kleine Orchester erwähnt werden. Das Violin-Solo erklingt mit fruchtiger Süße einfach wundervoll, während sie die nun bereits ätherisch klingenden Soprane umspielt. Das ff hat hier einen sagenhaften Biss. Wobei bei dieser Version von 1893 trotzdem keine Monumentalität aufkommt. Das wäre bei der Fassung von 1900 bei ähnlicher Herangehensweise schon anders.

Im „Pie Jesu“, das etwas schneller gespielt und gesungen wird, als die angegebenen 44 Schläge pro Viertel, klingt die Stimme von Sandrine Piau wunderbar dolce und cantabel. Ihr minimales Vibrato erweist sich als völlig ausreichend um bereits eine besonders sinnliche Ausstrahlung zu erhalten. Opernhaft oder gar outriert ist ihr Gesang überhaupt nicht. Sie darf ihr Solo auch sehr präsent gestalten wird also nicht von der Klangtechnik nach oben oder nach hinten entrückt. Glücklicher Weise versucht sie ihre Weiblichkeit nicht zu verstecken und versucht nicht den „reinen“ Knabengesang zu imitieren, obwohl sie sich ihm ein wenig annähert.

Im „Agnus Dei“ ist der Chor dann mal nicht ganz zusammen, aber nur minimal. Die vier Hörner machen nun nachdrücklich auf sich aufmerksam, der Bass wirkt wie eine dunkle Front. Dynamisch nähert man sich fast schon dem Verdi-Requiem an.

Im „Libera me“ klingt der Chor fast mit der Durchschlagskraft von 100 Kehlen, aber wir haben nachgeschaut, er singt in Kammerchorbesetzung.

Bei „In paradisum“ setzen die Soprane das „Dolce“ wunderbar um. Das Singen klingt leicht und locker, weich und üppig, stets mit einer jugendlich, frischen und besonders sinnlich-anziehenden Komponente. Insgesamt ist dies eine sehr ausdrucksvolle, zugleich mächtige und zart-sinnliche Aufnahme. Mal hell und lichtdurchflutet, mal dunkel-romantisch. Eine ausgezeichnete Mischung.

Der Klang ist sehr gut konturiert, vollkommen transparent, bassgesättigt, präsent und ausreichend weiträumig. Er vermeidet jede Halligkeit und verfügt über eine ausgezeichnete dynamische Spannweite. Der Gesamtklang ist voll, sonor, prall, zu gewaltiger Größe fähig, enorm farbig und sehr sinnlich.

 

 

 

5

Sir John Eliot Gardiner

Catherine Bott

Gilles Cachemaille

Salisbury Cathetral Boy Choristers, Monteverdi Chorus, Orchestre Revolutionaire et Romantique

Philips

1992

6:28  8:22  3:24  3:43  5:38  4:38  3:11  35:24

Die Qualität des Monteverdi-Chores ist bereits sprichwörtlich und es hieße Eulen nach Athen zu tagen, wenn wir uns darüber noch auslassen würden. Gardiner hat ihn trotzdem noch, wie bereits zuvor sein Antipode der Alten-Musik-Bewegung, Philippe Herreweghe, mit einem Knabenchor ergänzt. Das zusätzliche Risiko ging aber auf, denn selbst wenn die Soprane der Knaben mit ihrem Diskant gemeinsam mit den Damen des Monteverdi-Chores erklingen, ist die Intonationsreinheit einfach bestechend. Die Diktion ist spielerisch leicht. Im Klang ergibt sich dann ein androgynes Klanggemisch, das wahrscheinlich genauso gewünscht war. Bei Herreweghe klingt es noch etwas andogyner, falls ausnahmsweise einmal die Steigerung erlaubt sei. Das Orchester klingt besonders gut durchstrukturiert, akzentuiert und plastisch. Die Verzahnung mit dem Chor ist besonders eng. Auffallend am Gesamtklang ist die enorm tiefreichende und sehr markant zur Geltung kommend Orgel. Ihr Einsatz ist absolut stimmig und bereichert Chor und Orchester ungemein. Das gelingt in dieser Einspielung am besten. Man erweist so dem orgelspielenden Komponisten soetwas wie eine besondere Referenz. In den meisten Aufnahmen verschwindet sie bis zur Unkenntlichkeit, in anderen klotzt sie an wenigen Stellen wie ein Fremdkörper heraus. Nicht so bei Gardiner.

Bei Gardiner wirken die Hinweise auf die alte Vokalpolyphonie in den a capella-Passagen besonders deutlich. Gilles Cachemaille trifft den Anspruch des Komponisten an die kantorenhafte Stimmfülle sehr gut und klingt zudem balsamisch. Uns gefiel sein Beitrag bei Gardiner noch besser als in der Einspielung von Armin Jordan.

Im „Sanctus“ kommt die Harfe nur sehr leise zu Gehör, dabei ist sie mit der Solo-Violine doch die instrumentatorische Besonderheit dieses Satzes. Die Solovioline klingt mustergültig zurückhaltend, zugleich aber auch leuchtend. Klasse! Hier singt der Knabenchor auch einmal allein.

Im „Pie Jesu“ kann man die herausragende Stimmführung von Catherine Bott bewundern. Ihr gelingt das Solo mit besonders andächtiger, aber auch einschmeichelnder Ruhe. Besonders begeistern bei ihr das großartige p und die tollen Steigerungen, aber auch das zugleich zurückhaltende aber auch enorm sinnlich wirkende Vibrato. Und das beim gestrengen Sir Eliot! Was besonders an diesem Satz gefällt ist der warme Klang der Streichinstrumente mit den aufgezogenen Darmsaiten. Lange in Erinnerung bleibt aber die Gesangeskunst von Catherine Bott. Ganz Erstaunliches kann man so aus der „kleinen“, einfachen Melodie zaubern. Ein ganzes Bouquet an Emotionen.

Im „Agnus Die“ erfreut man sich am reichhaltigen, makellos intonierten Gesang und dem Spiel des kleinen Orchesters, die zusammen fast den großformatigen Klang eines Sinfonieorchesters erreichen. Immer wieder hilft dabei die Orgel mit ihrem satten, wohligen Bass, wo andere längst verschwunden sind. Die Darbietung macht zudem von A bis Z einen enorm differenzierten Eindruck.

Im „Libera me“ artikuliert der Bariton nochmals markant und mit ordentlich Schmackes.  Im letzten Satz treten besonders die Boy Choristers besser hervor, nun nicht weniger androgyn als bei Herreweghe, so als sollten sie den Engeln „höchstselbst“ Stimme verleihen.

Gardiner liefert uns ein plastisch-markantes Klangrelif, impulsiv akzentuiert wo erforderlich klangvoll und rein mit einer Catherine Bott als besonderem Höhepunkt.

Der Klang besticht, wie bereits erwähnt mit einem sehr tiefreichenden Bass, auf besondere Weise grundiert sie den gesamten Chor- und Orchesterapparat, erdet quasi das ganze Werk. Das tut ihm gut. Obwohl in einer Kirche aufgenommen, kommt die Einspielung ohne Nachhall aus. Der Klang wirkt farbenfroh und schwebend. Die Dynamik ist ausgesprochen markant. Einziger, allerdings gewichtiger Nachteil der Einspielung ist, dass sie schwer zu bekommen ist. Es gab nie eine Mid-Price oder Low-Budget-Ausgabe von ihr und auch die Erstausgabe war nur relativ kurze Zeit erhältlich. So bleibt nur das Antiquariat, der Download oder das Streaming.

 

 

 

5

Stephan Cleobury

Tom Picard, Treble

Gerald Finley, Bariton

Choir of King´s College, Cambridge, Orchestra of the Age of Enlightenment

Eigenmarke des Chores

2014

5:21  2:45  3:03  3:00  5:15  4:44  3:07  27:15

Von Stephan Cleobury liegen zwei Einspielungen des Werkes vor. In der ersten griff er noch auf die damals noch neu erstellte Version von 1893 zurück (allerdings erstellt von John Rutter, der Nectoux in der Veröffentlichung zuvorkam), während er 2014 die neue Edition von Marc Rigaudière wählte. Aufmerksame Leser werden die überaus kurze Spielzeit der Aufführung bereits bemerkt haben. Cleobury facht dabei jedoch kein tollkühnes Tempofeuerwerk an, sondern es fehlt ein großer Teil des „Offertoire“. Zur Entschädigung liefert er in seiner Aufnahme noch fünf Sätze der Rutter-Fassung als Appendix zusätzlich mit, die in Gänze auch der Einspielung von 1988 zugrunde lag.

Aufführungs- und aufnahmetechnisch wie auch chorisch, orchestral und einfach musikalisch ist seine neue Aufnahme der alten weit vorzuziehen. Wir meinen sogar, dass es die beste Einspielung mit einem rein männlichen Chor ist. Der King´s College Chor ist 2014 dem von 1988 und auch den anderen beiden Einspielungen, die er im Laufe der Zeit von der Version von 1900 machte, weit überlegen. Da steckt eine tolle Aufbauarbeit drin, die ja weitgehend von Cleobury selbst geleistet worden sein dürfte.

Sofort zu Beginn merkt man bereits, dass der Chor besser stimmt und viel besser mit dem Orchester harmoniert. Der Chor singt nun souverän und ist, wenn wir uns recht erinnern, der intonationsfesteste Knaben-Männerchor überhaupt. Auch Orgel und Orchester klingen prononcierter und nuancenreicher. Die Knabensoprane klingen nun nicht mehr so glockig, dynamisch viel lebendiger und viel besser in den Gesamtklang integriert. Das wenige Blech klingt viel frischer und ist nun richtig „auf Zack“. Das Hausbackene ist gänzlich verschwunden, Professionalität auf höchstem Niveau hat es ersetzt.

Im „Offertoire“ singt nun mit Gerald Finley ein ehemaliges Mitglied des Chores den Baritonpart. Er beginnt damit rund 30 Takte früher als in den anderen Fassungen. Seine Gestaltung gefällt uns ganz besonders. Sie wird getragen von einem langen Atem, großen Bögen und sie strahlt eine tiefe Ruhe aus. Tiefenentspannt sozusagen. Gestaltungsmerkmale die Olaf Bär 1988 etwas fehlen ließ. Von den Bläsern wird in dieser Fassung von Rigaudière, von der uns keine Partitur vorlag, offensichtlich reichlicher als üblich Gebrauch gemacht.

Im „Sanctus“ kann man sich die Boys genauer anhören, da singen sie länger alleine. Sie klingen nun intonationssicherer, die Höhe wirkt nicht mehr so hell und jeder Substanz beraubt wie die meisten anderen Knabensoprane und weicher. Die Chorstimmen finden nun besser zueinander und sind auch viel durchschlagskräftiger. Das Violinsolo ist nun besser eingebunden, kräftiger und ausdrucksvoller.

Das „Pie Jesu“ eröffnet nun fast eine andere Welt. Mit Tom Picard singt ein Knabe den Sopranpart und er kommt unserer Auffassung nach unter seinen Altersgenossen am besten damit klar und hat auch die passende glockenreine, fast schon entmaterialisierte Stimme dafür. Er singt nun auch an viel präsenterer Stelle wie sein Vorgänger anno 1988, den man deutlich zurücksetzte und etwas anhob. Es gibt aber Damen-Soprane die durchaus an diese Meister-Leistung herankommen. Leider singen sie manchmal in ansonsten weniger gelungenen Einspielungen. Wir wollen daher im Folgenden besonders auf sie aufmerksam machen. Und haben sie am Endes des Werkhintergrundes aufgelistet.

Im weiteren Verlauf zeigt das Orchester immer wieder seine Klasse, gerade auch gegenüber dem 1988 beteiligten English Chamber Orchestra. Übrigens einziger Nachteil der neuen Einspielung: Das „Lux“ im „Agnus Die“ wird nun mehr eingebunden und nicht mehr so leuchtend und innig herausgestellt wie 1988. Das war damals ein magischer Moment, den Klang selbst wie Licht leuchten zu lassen. Das konnte keine andere Einspielung mehr im gleichen Maß erreichen.

Beim „Libera me“ gefällt Gerald Finley erneut mit seinem sehr schönen Timbre, sonor und doch leicht, weich und flexibel mit einem angemessenen Vibrato und sehr ausdrucksvoll. Einer unseren Favoriten. Das „Dies irae“ wirkt nun klangmalerisch deutlich und eindringlich. Chor und Hörner sind nun einfach top.

„In Paradisum“ ist nun ein Hochgenuss, das Schrille und das Dünne der Stimmen ist nun einem Vorgeschmack auf das Paradies selbst gewichen. Kaum zu glauben wie der Chor sich entwickelt hat, obwohl die singenden Schüler ja alle paar Jahre naturgemäß (Stimmbruch) aus dem Chor (Sopran und Alt) weichen müssen.

Viel klarer, sonorer, feiner, bassgewaltiger, voller und runder, auch dynamischer, präsenter und farbiger als 1988 und nun fast audiophil zu nennen ist nun die Klangqualität der Aufnahme. Trotz der Kirchenakustik des Aufnahmeraums wirkt der Gesamtklang sinnlich, nur selten schwimmt er ganz leicht etwas auf.

 

 

 

5

Philippe Herreweghe

Agnes Mellon

Peter Kooy

Les petites Chanteurs de Saint-Lois (Knabenchor), La Chapelle Royale (Chor), Ensemble Musique Oblique

Harmonia mundi

1988

7:12  7:54  3:20  4:19  6:32  4:34  3:57  37:48

SACD  Philippe Herreweghe spielte zuerst die frisch auf den Markt gekommene Fassung von 1893 ein und ließ erst 2000 (quasi zum 100jährigen Jubiläum) die alteingesessene Version von 1900 folgen. Er dürfte unserer Kenntnis außer Michel Corboz (von dem wir aber nur eine Aufnahme kennen) und David Hill der einzige Dirigent sein, der beide Fassungen eingespielt hat. Verglichen mit Sir Eliots Einspielung wirken die Chöre aus Belgien weicher und fülliger, vielleicht jedoch nicht ganz so präzise. Das Tempo empfindet man bei Herreweghe durchweg als langsamer, die Wirkung ist weniger modern als bei Gardiner, sondern weihevoller und weniger farbig. Es klingt mehr nach Requiem. Die „Boys“ dominieren den Sopran stärker als bei Gardiner, trotz der Damen. Auch bei Herreweghe ist der Orchesterklang besonders gut mit dem Chor verwoben, Peter Kooy verfügt nicht ganz über die Sonorität eines Cachemaille oder Finley. Er gestaltet aber sehr ausdrucksvoll. Die Orgel ersetzt Herreweghe mancherorts durch Hörner, zumindest gegenüber unserer Partitur.

Die Violine im „Sanctus“ wird deutlicher hervorgehoben spielt mit großem Klang und süßem Schmelz, aber etwas weniger differenziert als bei Gardiner, Equilbey oder Dijkstra.

Agnes Mellon wirkt, vor allem wenn man die SACD mehrkanalig abspielt, dem Orchester enthoben, klingt zwar ein wenig soubrettenhaft, aber doch engelsgleich wie ein Wesen zwischen Frau und Knabe. Da entscheidet einfach der persönliche Geschmack. Es klingt jedenfalls toll. Aber schön, dass man unter so vielen hochwertigen Einspielungen des Sopranparts auswählen kann.

Im „Libera me“ wirkt Kooys Bariton sehr extrovertiert, das macht großen Eindruck. Er geht richtig aus sich heraus. Auch das Blech wird sehr gut präsentiert. „In Paradisum“ bekommt eine großorchestrale Anmutung. Die erste Einspielung Herreweghes wirkt weniger dramatisch als die Dijkstras oder Gardiners, sie ist aber ein fast episches großes Klang-Erlebnis, bestens zur eigenen Erhebung geeignet.

Die Einspielung hat als die einzige SACD im Vergleich dadurch ein Alleinstellungsmerkmal. Die Transparenz ist dadurch herausragend, die räumliche Anmutung fantastisch geräumig, ein fast atemberaubendes Mittendrin mit einer besonders starken aber natürlich wirkenden Tiefenstaffelung. Man ist also nicht nur dabei. Die Dynamik ist sagenhaft. Dabei könnte man annehmen, dass die noch recht frühe Digitalaufnahme noch gar nicht mehrkanalig aufgenommen wurde, denn die SACD kam ja erst um die Jahrtausendwende auf. Aber vielleicht dachte man bei Harmonia Mundi bereits zuvor mehrkanalig. Eine audiophile Empfehlung.

 

 

 

 

4-5

Hervé Niquet

Kein Solo-Sopran!

Andrew Foster Williams

Flemish Radio Choir,

Brussels Philharmonic Soloists

Evil Pinguin Records

2014

5:43  5:48  2:57  2:53  4:58  4:18  2:59  29:36

Auch der flämische Radiochor ist ein ausgezeichnet singendes Ensemble. Gleichwohl erreicht er nicht ganz das Volumen der Landsleute von der Chapelle Royale oder die Präzision des Chores des BR oder des Monteverdi-Chores. Das durchweg zügige Tempo vertreibt das übermäßige Auftreten von Gefühlen des Verlustes und der Trauer, wenngleich im Klangbild die dunklen Farben in dieser Einspielung klar dominieren. Aus dem zügigen Tempo heraus gelingt ein sehr bewegtes, vitales und frisches Singen mit einer sehr guten Linienführung und einem exquisiten Klang. Larmoyanz kommt bei Niquet zu keiner Phase des Stückes auf. Die Orgel erklingt fast völlig ohne Bass, sodass das kleine Orchester keine Unterstützung in diesem Bereich erhält. Der kammermusikalische Rahmen bleibt also bewusst gewahrt, wenn wir einmal davon ausgehen, dass die Orgel über die tiefen Töne überhaupt hätte verfügen können. Wir hatten den Eindruck, dass wir hier ein sehr kleines Modell hören, vielleicht ein portables?

Beim „Offertoire“ könnte man jedoch durchaus anderer Meinung sein, denn ein Adagio molto ist Niquets Tempo gewiss nicht. Der Bariton singt, wenn wir einmal unseren Geschmack zugrunde legen möchten, mit etwas zu viel Vibrato und weniger differenziert als Cachemaille bei Gardiner, Konrad Janot oder Gerard Finley.

Die Violine im „Sanctus“ kommt wunderbar fragil und zart zu Gehör, der Chor mit ausgezeichneter Dynamik und das Blech mit Nachdruck.

Staunen durften wir hingegen im „Pie Jesu“, denn statt des vorgegebenen Solo-Soprans wird diese Partie von allen Sopranen des Chores gemeinsam angestimmt. Vielleicht konnte sich Niquet nicht entscheiden, welcher der Sängerinnen er den Part anvertrauen soll und fällte ein Solomonisches Urteil? Wir wissen es nicht, jedoch darf man die Entscheidung dank der herausragenden Qualität der Sängerinnen als glücklich bezeichnen. Sehr homogen, absolut schlackenlos, einfach wunderschön klingt es nun. Wie eine Schar Engel, statt nur einem. Den Sängerinnen dürfte der Dirigent jedenfalls eine große Freude bereitet haben, denn so darf jede einzelne Sängerin zeigen, was sie kann und zugleich auch ihren Gemeinschaftssinn beweisen, denn keine will die andere übertreffen.

Im „Agnus Die“ hören wir etwas mehr vom kleinen aber präsenten Kammerensemble. Es wirkt weit weniger großorchestral wie bisher gehört und sehr schlank. Die Hörner gefallen.

Im „Libera me“ riskiert der Bariton mehr Ausdruck, Die Extrovertiertheit eines Pieter Kooy erreicht er nicht ganz.

Auch im letzten Satz „In Paradisum“ gefallen die Soprane besonders gut durch ihre weiche und homogene Strahlkraft.

Die Sopran-Solistin vermissten wir nicht. Insgesamt machte die Einspielung einen besonders modernen, fast beschwingten und weltzugewandten Eindruck. Sie packt den Hörer jedoch nicht ganz so an, nimmt sie nicht so mit, wie die Einspielungen der 5er-Gruppe. Die Soprane behalten wir durch ihre betörende Anmut jedoch ganz besonders im Gedächtnis.

Der Klang der Aufnahme wirkt sehr transparent, sehr präsent, offen und voll. Eine ausgeprägte Tiefenstaffelung, um eine gewisse Größe zu suggerieren, liegt nicht vor. Der kammermusikalische Gestus wird auch von der Klangtechnik gewahrt. Folgerichtig gibt es auch keinen verunklarenden Nachhall.

 

 

 

4-5

Jeremy Summerly

Lisa Beckley

Nicolas Gedge

Schola Cantorum Oxford,

Oxford Camerata

Naxos

1993

6:31  8:49  3:20  3:24  5:51  4:30  3:14  35:39

Wir wissen nicht, auf welche Quelle sich diese Einspielung beruft, sie ist jedenfalls die Einzige in unserem Vergleich, die völlig auf Bläser verzichtet. Als Ersatz greift sie dafür auf eine bassstarke, voluminöse und klangfarbenreiche Orgel zurück. Der beteiligte Kammerchor singt mit schlanker Diktion, präzise und mit wenig Vibrato, was genauso für das kleine Orchester gilt. Jede Stimme ist, bis auf die Solovioline nur mit zwei Solisten besetzt. Der Chor hat in etwas die Größe des Monteverdi-Chores bei Gardiner, dessen Aufnahme übrigens im gleichen Jahr entstanden ist. Wenn man nun annimmt, der Chor wäre gegenüber dem Orchesterchen übermächtig, sieht man sich angenehm überrascht. Das Zusammenspiel funktioniert ohne große Einbußen. Lediglich das Blech vermisst man an einigen Stellen, besonders beim „Dies irae“. Beim Chor erfreuen besonders die angenehmen, weichen, sehr homogen besetzten Frauenstimmen. Das Orchester ist der historisch informierten Aufführungspraxis verpflichtet.

Im „Offertoire“ bewährt sich der Chor auch bei den renaissancehaften A-capella-Einsätzen. Er klingt klar und genau, es ist eine Freude, ihm zuzuhören. Nicolas Gedge steht nicht an der Rampe. Auch deshalb wirkt er weniger stimmgewaltig. Er artikuliert sorgfältig und wirkt weitgehend zurückhaltend.

Lisa Beckley singt ohne Vibrato, knabenhaft schlank, aber anders als die Kinder intonationssicher und ausgewogen über die Register hinweg. Sehr zurückhaltend und partiturbezogen, einfach und schön. Sie macht keinerlei Aufhebens von sich, weshalb sie eine „unschuldige“, reine Aura hervorzaubert. Auch sie kommt unseres Erachtens bei diesem Solo dem Ideal ziemlich nah.

Puristen werden vielleicht genervt sein von der diesmal „extrem französischen“ Aussprche. „Luceat“ klingt „lüceat“. Entsprechend wird bei jedem „u“ verfahren. Beim „Libera me“ wird dann aus „coeli“ „söli“.

Das „Dies irae“ wirkt allerdings ohne die Hörner noch viel harmloser. Verdi muss aus dem Gedächtnis verbannt werden.

Völliges Glück dann wieder bei „In Paradisum“: Reiner Engelsgesang, geerdet vom wuchtigen Bass der Orgel.

Eine idiomatische Einspielung, die außer den fehlenden Bläsern kaum Wünsche offenlässt. Dass diese Einspielung von einem Budget-Anbieter stammt, merkt man ihr nur am äußeren Erscheinungsbild an (und an den fehlenden, eingesparten (?) Bläsern).

Die Aufnahme wirkt bassstark, was vor allem von der starken Orgel kommt. Der Chor wirkt etwas weiter hinten platziert, das Orchester deutlich davor. Naxos-typisch könnte das Gesamtklangbild einen Hauch brillanter sein.

 

 

 

4-5

David Hill

Nancy Argenta

Simon Keenlyside

Winchester Cathedral Choir,

Bournemouth Sinfonietta

Virgin

1998

6:34  8:05  3:12  3:25  5:58  4:32  3:30  35:16

David Hill legte bisher, wie Philipps Herreweghe zwei Einspielungen vor. Bei ihm folgte jedoch seine zweite Einspielung der Fassung von 1893 (allerdings in der Version von John Rutter) und die erste von 1987, die in der Liste weiter unten auftaucht, der Fassung von 1900. Insgesamt gefiel und die ältere Einspielung etwas besser, denn vor allem der Chor der Westminster Cathedral überzeugt mit mehr Emphase und Feuer im Vortrag und einem homogeneren Klang als der Chor der Kathedrale aus Winchester. Bei Orchester und den beiden Solisten könnte man insgesamt von einer Pattsituation berichten.

Der noch etwas harte frühe Digitalklang der Londoner Einspielung von 1987 wurde in der zweiten Einspielung mit dem Chor aus Winchester vermieden. Er ist auch weniger hallig, transparenter und „sauberer“. Der Chor wirkt viel näher positioniert, was aber auch eine kleinere Kirche suggeriert. Der Gesamtklang ist 1998 ausgewogener, wärmer und klangfarbenreicher.

Der Chor hat aber kleinere Präzisionsprobleme noch nicht gelöst. Zu Beginn hören wir auch einen abweichenden Text. Er wirkt auch kleiner besetzt und nicht so dynamisch wie der Londoner Chor. Der Sopran des Chores, obwohl recht intonationssicher klingt nicht so angenehm, aber in der Gesamtschau der Chöre mit Knabenbeteiligung immer noch gut.

Simon Keenlyside klingt balsamisch, zurückhaltend und äußerst differenziert. Kantorenhafter ist jedoch eindeutig David Wilson-Johnson mit seinem mächtigen, prophetenhaften Verkündigungsgestus in der Einspielung von 1987.

Im „Pie Jesu“ agiert Nancy Argenta leider mit Permanent-Vibrato. Trotz des weniger dicken Auftragens in Dynamik und Phrasierung empfanden wir ihren Vortrag als weniger gelungen. Im „Agnus Dei“ sind die Soprane über das notwendige Maß hinaus hörbar. Das „Dies irae“ wirkt deutlich domestizierter als in London.

 

 

 

 

 

4

Ross Pople

Angharad Gruffydd Jones

Jonathan Brown

English Voices,

London Festival Orchestra

Arte Nova

1995

6:01  9:56  2:28  3:53  5:24  4:24  2:44  35:02

Während der Chor in Ross Poples Einspielung im „Introit und Kyrie“ erheblich dynamischer, bewegter, geschmeidiger und ausgewogener als z.B. bei Douglas Bostock klingt, gerät der Ausdruck im „Offertoire“ ziemlich meditativ. Er nimmt das „Adagio molto“, wie einige Interpreten der Fassung von 1900 auch, wörtlich. Die Langsamkeit riskiert fast den Stillstand. Lange hört man in dieser Einspielung überhaupt keine Orgel. Nicht wenige Interpreten meinen, sie eben doch „ad libitum“ spielen lassen zu können. Erst im „Offertoire“ spielt sie ein wenig mit. Die von Frauen gesungenen Soprane fügen sich auch hier besser in den Gesamtklang ein, als bei den vielen Einspielungen mit den Knabensopranen.

Im „Sanctus“ klingt die Solo-Violine süßlich und sanft, die ff vom Blech, noch mehr aber vom Chor sind kräftig und impulsiv.

Der Höhepunkt der Einspielung erwartet uns jedoch im „Pie Jesu“. Wegen des in unseren Breiten nicht gerade häufig verwendeten Vornamens waren wir nicht sicher, ob uns im Sopran-Solo ein Knabensopran oder eine Frau erwartet. Auch beim Hören des Gesangs wurde das nicht sofort klar. Selten wird dieser Part so genau zwischen den beiden typischen Timbres getroffen, fast androgyn, so dass das Geschlecht des Sängers oder der Sängerin beinahe im Unklaren bleibt. Das alleine macht jedoch nicht das Erlebnis aus, das uns Angharad Gruffydd Jones bereitet. Getragen, zurückgenommen bis fast zur Lautlosigkeit und fast ohne jede Bewegung in der Stimme dargeboten, wirkt ihre Darbietung unerreicht ätherisch und engelsgleich. Alleine wegen dem Gesang der jungen Frau, sollte man die Einspielung gehört haben. Sie ist eine besonders treffende Besetzung für diesen Part.

Der Bariton von Jonathan Brown kommt im „Libera me“ hingegen kaum aus sich heraus gerade während der bewegteren Teile seines Vortrages. Anzumerken wäre noch, dass das Orchester nur mit wenig Eigengewicht ausgestattet wird, bisweilen läuft es gar ein wenig nebenher. Bei „In Paradisum“ zeigen die Soprane erneut mit ihren weichen, vollen, homogenen Stimmen, dass sie ein weiterer Aktivposten der Einspielung sind.

Im Gesamtklang wirkt der Chor nur leicht zurückgesetzt, das Orchester nur knapp davor. Insgesamt nicht sonderlich präsent. Der Gesamtklang wirkt wenig körperhaft und ziemlich flächig. Er wirkt aber auch nicht diffus und auch nicht hallig.

 

 

 

4

Douglas Bostock

Voitech Dyck, Treble

Furio Zanasi, Bariton

Pueri Gaudentes,

Chamber Philharmonic of Bohemia (Böhmische Kammerphilharmonie)

Scandinavian Classics, Olufsen Records, Classico

1998

6:06  6:56  2:59  2:59  5:23  4:17  3:08  31:48

Douglas Bostocks Darbietung präsentiert sich uns ganz und gar als schmucklose Kirchenfassung. Wirken die Knabensoprane noch recht zurückhaltend, wenn der gesamte Chor leise zu singen hat, so treten sie immer etwas über Gebühr hervor, wenn der Chor gefordert wird. Insgesamt sind die dynamischen Gegensätze des Chores jedoch recht gering, auch die Klangfülle und die bereits angesprochene Homogenität erreichen nicht das Niveau der zuvor erwähnten.

Im „Offertoire“ scheint er das f oder gar ff geradezu zu scheuen. Auch die Orgel klingt schmucklos, wie ein Harmonium und der klar intonierende Bariton bleibt sehr zurückhaltend, wird zudem etwas zurückgesetzt und somit eines Teils seines Stimmvolumens beraubt.

Das fast tänzerisch beschwingte „Sanctus“ wirkt bewegt, die Solo-Violine spielt hintergründig und untermalend. Die Gesamtwirkung erscheint sanft.

Im „Pie Jesu“ wirkt der Knabe mitunter ein wenig zu hoch, nicht ganz intonationsrein und ein wenig flackrig. Andererseits weiß er sehr wohl zu strahlen. Im Ganzen bleibt die Darbietung jedoch nicht unproblematisch.

Im „Libers me“ singt Furio Zanasi zwar sehr schön „dolce“, jedoch wenig fordernd und dynamisch entsprechend zahm. „In Paradisum“ ist für die Soprane der beste Satz.

Die karge Orgel (man denkt bisweilen, es könne auch ein Akkordeon sein) unterstützt die wenig sinnliche Gesamtwirkung der Einspielung. Insgesamt wirkt sie jedoch sanftmütig, im vokalen Bereich kommt sie nicht an die besten heran.

Klanglich wirkt sie recht transparent, sie verfügt jedoch über wenig Tiefenstaffelung und wenig Bass.

 

 

 

4

Winfried Toll

Isolde Siebert

Ulf Bästlein

Camerata Vocale Freiburg,

Camerata Freiburg

Ars Musici

1994

6:35  8:12  3:04  3:58  5:58  4:36  3:13  35:36

Der gute Chor aus Freiburg klingt teilweise weniger differenziert und weniger homogen und sinnlich als die besten. Der Trauerrand um das gesamte Werk wirkt deutlicher spürbar als z.B. bei den neueren französischen Einspielungen, deren Leichtigkeit sie nicht erreicht.  Der lateinische Text wird auch so ausgesprochen, was die Alt-Philologen beruhigen dürfte. Der Bariton Ulf Bästleins im „Offertoire“ erklingt mit einem recht hellen Timbre, weniger auf Linie gebracht als der in dieser Hinsicht vorbildliche Gerald Finley. Bästlein erfüllt seinen Part jedoch in dynamischer Hinsicht sehr gut. Der Orgel wird übrigens kein Eigenleben zugebilligt, sie bleibt meist unhörbar. Da sie Fauré sehr wichtig war, zumal in der Fassung seiner Partitur von 1893, dürfen wir von dieser Entscheidung Tolls nicht begeistert sein. Wir müssen nur zum Vergleich kurz in die Einspielung Gardiners „reinzappen“ und wir werden rückversichernd gewahr, welches Potential so brachliegt.

Die Solo-Violine im „Sanctus“ bleibt nur zu Beginn dem Chor gänzlich untergeordnet, dient nur der Untermalung. Die wird nach und nach intensiver, um schließlich den Gesamtklang zu dominieren. Ihr Part wirkt so aufgewertet, weil ihm eine Entwicklung zuteilwird. Allerdings kann man diese nicht unbedingt der Partitur entnehmen.

Isolde Siebert differenziert das Sopran-Solo sehr gut. Allerdings wirkt sie weniger natürlich als Angharad Gruffyd Jones und erheblich opernhafter, denn vom Vibrato macht sie recht viel Gebrauch. Allerdings muss sie auch das recht langsame Tempo erst einmal durchhalten. Ihre Stimme leuchtet schön.

Im „Agnus Die“ können wir die Präzision des Chores immer sehr gut überprüfen, besonders anhand der S-Laute. Ist es ein einziger, dann gelingt die Phrasierung superpräzise, ist es ein Cluster aus S-Lauten dann könnte sie durchaus präziser sein. Beim Freiburger Chor ergibt sich ein Mittelwert. Nicht superpräzise wie z.B. in München oder beim Monteverdi-Chor, aber auch nicht schwammig. Auch die dynamischen Werte werden nicht mit dem nötigen Kontrastreichtum eingehalten, aber verwässert sind sie auch nicht.

Beim „Libera me“ wird der Bariton ganz dicht mikrophoniert, Ulf Bästlein singt gut, aber nicht mit der Emphase von Kooy oder Jarnot.

Bei „In Paradisum“ wirken die Soprane nun weiter entfernt, evtl. um dem Engelsgesang eine gewisse Entrückung zu verleihen.

Die Aufnahme wirkt weniger luftig und weniger plastisch als bei den besten. Die Ortbarkeit der einzelnen Stimmlagen im Chor fällt schwieriger als bisher. Das Orchester wirkt kaum vom Chor abgesetzt, wenn man genau aufpasst, scheint es gar direkt im Chor zu spielen.

 

 

 

 

3-4

Stephan Cleobury

Richard Eteson, Treble

Olaf Bär, Bariton

Choir of King´s College, Cambridge, English Chamber Orchestra

EMI

1988

6:00  7:57  3:10  3:08  5:41  4:40  3:22  33:58

Cleoburys erste Aufnahme wird von seiner zweiten von 2014 deutlich übertroffen. Schon 1988 wählte er als einer der ersten die Fassung von 1893, nur in der Ausgabe von John Rutter. Diese Einspielung kommt den Hörern kaum nahe, zumindest ging es uns so. Ihr fehlt die Spannung, die Hörner haben schon zu Beginn kaum Eigenleben, die Dynamik wirkt eingeebnet und vor allem wirkt der Chor kaum je einmal sinnlich und das Orchester spielt ziemlich pauschal. Anders bei „Accentus“ oder anderen Aufnahmen vermisst man die fehlenden Violinen.  Die Orgel klingt zumeist so hintergründig, dass sie gar nicht hörbar wird. Wenn die Knabensoprane alleine singen wirkt es noch stimmig, nicht jedoch wenn die anderen Stimmen hinzutreten. Die Entwicklung des Chores bis zur Aufnahme von 2014 ging in die richtige Richtung. Die Solo-Violine spielt zurückhaltend. Überhaupt wirken alle Beiträge dienend. Es fehlt der rechte Aplomb.

Im „Pie Jesu“ wirkt der Knabensopran nicht immer intonationsrein, auch hat man kaum das Gefühl, dass er seinen Text vollkommen durchdrungen hat. Das wäre auch zu viel verlangt für ein Kind seines Alters. So bleibt es bei einer immer noch anerkennenswerten mehr phonetischen Aneignung. Es ist ihm zudem nur ein recht kleines Stimmchen zu Eigen.

Erst im „Agnus die“ kommt es zu einer etwas bewegteren Gestaltung, wobei sie dynamisch bereits wie sanft entschlummert wirkt. 1988 fehlt noch der „frische Wind“, der dann 2014 kräftig durchs Kirchschiff bläst.

Im „Libera me“ passt sich Olaf Bär der pietistisch-frommen, pastellfarbenen Lesart der Gesamtdarbietung an. Seine schöne Stimme darf als Aktivposten verbucht werden.  Dem Chor fehlt im „Dies irae“ die rechte Durchschlagskraft, der kleiner besetzte Kammerchor „Accentus“ bietet ungleich mehr Engagement.  Im Chor der Engel gefallen die losgelösten Knabensoprane noch am besten.

Insgesamt bleibt der Eindruck von dieser Einspielung ziemlich blass. Wenn es Stephan Cleobury und der Chor des King´s College sein soll, dann in jedem Fall die Einspielung von 2014.

Der Klang ist nicht sonderlich offen. Wir hören eine Kirchakustik mit langem Nachhall, noch transparent aber wenig präsent und klangfarblich eher fahl.

 

 

 

 

3

Pieter Leusink

Maya Roodveldt

Bas Ramselaar

Holland Boy Choir,

Ungarisches Kammerorchester

Musica di Angeli, Amsterdam Classics

1997

5:58  8:08  3:08  3:58  6:36  4:44  3:08  34:40

Der Chor begann seine Karriere als Stadsknapenkoor Elburg, also als städtischer Knabenchor Elburg. 2016 wurde er von Pieter Leusink zu einem gemischten Erwachsenenchor umgeformt oder überführt. Stilistisch an die Tradition der englischen Boy-Choristers angelehnt, kann der Chor kaum mit den besseren unseres Vergleiches mithalten. Verschiedentlich dominiert der knabenbesetzte Sopran die anderen Stimmen, teils hört man einzelne Stimmen z.B. beim Tenor heraus. Von einer runden Homogenität kann also keine Rede sein. Intonatorisch ist dieser Chor, wie tendenziell alle Knabenchöre, ziemlich problematisch. Hier ist auch der Alt betroffen.

Den Bariton hat man aufnahmetechnisch fast nach ganz links außen „strafversetzt“, er „knödelt“ auch etwas. Im A capella des „Offertoire“ nervt der Chor sogar den milde gestimmten Hörer mit seinen überpräsenten und penetranten Sopranen. Wir nehmen an, dass die aufnahmetechnische Disposition das Ihrige dazu beigetragen hat. Zumindest hat sie nicht hellhörig gegengesteuert.

Das „Sanctus“ stimmt nur etwas besser mit der leidlich geschmeidigen Solo-Violine und einer dankenswerter Weise einmal präsenten Harfe. Die hört man nämlich überhaupt nur selten.

Überrascht darf man registrieren, dass das „Pie Jesu“ nicht mit einem Knaben besetzt wurde, vielleicht hat sich keiner im Chor gefunden, dem die verantwortungsvolle Aufgabe zuzutrauen gewesen wäre? Maya Roodvelt wird ebenfalls schnöde nach links außen versetzt. Trotz ihrer wenig einschmeichelnden Stimme hat sie diese Behandlung nicht verdient.

Auch im „Agnus Die“ können wir dem weitgehend vibratolosen Spiel des Orchesters und dem Chor keinen Zauber abgewinnen.  Das „Dies irae“ im „Libera me“ überrascht mit ganz schwachen Hörnern und einer eigenwilligen Phrasierung, während im letzten Satz, bei dem uns Fauré ins Paradies entlässt die unbekümmert drauflos spielende Orgel, von der man bisher wenig Kenntnis genommen hat, überrascht. Diese Einspielung lässt das Werk in keinem guten Licht erscheinen, weshalb man getrost eine andere zum Kennenlernen als auch zur eigenen Erbauung wählen sollte.

 

 

Einspielungen, die der Fassung von 1900 folgen:

 

 

5

Paavo Järvi

Philippe Jaroussky, Countertenor

Matthias Goerne, Bariton

Choer de l´Orchestre de Paris,

Orchestre de Paris

Erato

2011

6:30  8:40  3:05  3:32  5:30  4:23  3:14  35:14

In dieser Einspielung erleben wir Faurés Requiem in großer Besetzung. Erheblich dramatischer und dynamischer als z.B. bei Armin Jordan. Das „Introit“ noch recht langsam, das „Kyrie“ jedoch schon zügiger. Den Orchestersatz hören wir mit viel Akribie und Herzblut ausformuliert (ähnlich liebevoll wie bei Giulini, jedoch zügiger) und ähnlich nuanciert wie bei Celibidache. Auch im „Offertoire“ fällt die große Ruhe auf, aus der heraus gestaltet wird, die Tempi bleiben jedoch im Fluss, Stillstand wird vermieden. Chor und Orchester atmen spürbar gemeinsam, die verschiedenen Ebenen sind sehr gut miteinander verzahnt. Matthias Goerne wird sehr dicht mikrophoniert, er scheint dem Hörer so fast schon zu nahe zu kommen und ziemlich weit vor dem Orchester zu stehen. Er singt, und das ist wichtiger als seine Position, mit einem wunderbar vollem und abgerundeten Ton, auf eine klare Linienführung bedacht, voluminös und besonders sensibel gestaltend. Sein Auftritt wirkt trotz der unmittelbaren Nähe aus der er zu hören ist, nicht auftrumpfend, sondern ganz im Gegenteil fast selbstverleugnend zurückhaltend. Die Orchesterarbeit ist exzellent.

Im „Sanctus“ wirkt der Chor nicht ganz so präzise wie der Chor des BR, der Leipziger Rundfunkchor oder die Chöre bei Gardiner oder Herreweghe, aber doch sehr klangschön und üppig und gerade gemeinsam mit dem Orchester klangmächtig.

Im „Pie Jesu“ klingt Philippe Jaroussky als Falsettist ganz anders als die anderen Soprane. Manche werden begeistert („berückend schön“) sein, andere werden ihn als Fehlbesetzung empfinden („na ja, geht so…“). Zum Zeitpunkt der Aufnahme war er jedenfalls ein Star und die Besetzung erfolgte wahrscheinlich aus merkantilen Erwägungen heraus und mit Sicherheit half sie, die Einspielung zu verkaufen. Nun „die Geister“ werden sich an ihm scheiden und ob seine Stimme zu Faurés Musik passt oder nicht, möge jeder für sich selbst entscheiden.

Auch das „Dies irae“ klingt herausragend. Dies ist eine detailreiche, farbstarke, ausdrucksvolle und bewegte Einspielung, die erfüllt wirkt. Und was ebenfalls dazu kommt: Sie verzichtet auf die auftrumpfende Geste.

Die Aufnahme klingt offen, plastisch und körperhaft. Die Transparenz von Chor und Orchester ist hervorragend, die Tiefenstaffelung sehr gut. Chor und Orchester erscheinen so besonders stark miteinander verflochten zu sein. Der Gesamtklang ist hervorragend luftig, voll, abgerundet, dreidimensional und einfach sehr schön.

 

 

 

5

Philippe Herreweghe

Johannette Zomer

Stephan Genz

La Chapelle Royale, Collegium Vocale Gent, Orchestre des Champs Élysées

Harmonia Mundi

2001

7:40  7:53  3:22  3:42  6:21  6:55  3:27  39:20

Wie in seiner ersten Einspielung des Werkes, die Fassung von 1893 betreffend, profitiert auch die zweite von den hervorragenden Chören (die Chapelle Royale ist auch ein Chor), die zuvor bereits über viele Jahre an „alter“ Musik geschult wurden. Einzigartig geblieben ist auch die Verwendung von alten Instrumenten für die Fassung von 1900, die dem Werk eine recht herbe Note verleiht. Die Transparenz des Orchestersatzes ist hervorragend. Die dynamischen Gegensätze werden jedoch kaum einmal ausgereizt. Dies begünstigt den mild-trauerumflorten, leicht bewegten und trotzdem licht-lieblichen Ansatz Herreweghes, der sehr gut zum Werk zu passen scheint. Die Tempi tendieren zum Langsamen und nähern sich den Extremwerten von Giulini oder gar Celibidache an. Bei „Introit und Kyrie“ sind sie sogar auf die Sekunde gleich mit Giulini.

Stephan Genz glänzt mit einem einfühlsamen, fast einschmeichelnden Vortrag, perfekt phrasiert, ohne Hinweisschilder, jeder Kraftmeierei abhold. Stimmlich scheint er gut zu Faurés Vorstellungen zu passen, tendenziell wirkt die Stimme vielleicht ein wenig leicht.

Im „Sanctus“ fällt wie bereits 1988 die französische Aussprache des lateinischen Textes auf (Sanctüs statt Sanctus). Für einen Vertreter der Alte-Musik-Szene ist das selbstverständlich.

Johanette Zomer singt ihren Part im „Pie Jesu“ glockenklar, mit einem leichten Vibrato nur an wenigen, dafür prädestinierten Stellen. Ihr Gesang wirkt knabenähnlich, aber ohne deren Schwächen. Unspektakulär, künstlerisch wertvoll und werkdienlich.

Im „Agnus Dei“ gibt es dann einen seltsamen Schnittfehler. Der Satz wird in zwei Teile geteilt zu 4:09 und 2:12 Minuten, wobei die 2:12 dem „Libera me“ zugeschlagen wurden. Da war die Produktionsleitung im Tiefschlaf. Die 2:12 sind im Booklet zudem überhaupt nicht berücksichtigt, auch nicht beim „Libera me“. An der exzellenten Darbietung ändert das natürlich gar nichts.

Tatsächlich im „Libera me“ angekommen, singt Herr Genz weich und geschmeidig wie kaum ein anderer. Auch hier vom Timbre etwas leicht, also weniger kantorenhaft wie vielleicht von Fauré erwünscht, geht sein Vortrag dennoch zu Herzen. Der Chor (und die Hörner) packen eigentlich nur beim „Dies irae“ richtig zu, aber selbst da klingt es noch geschmeidig und schön. „In Paradisum“ gönnt den Zuhörern ein sanftes Entschweben in höhere Sphären. In dieser Einspielung kann man die Vorteile der 1900er Fassung genießen, ohne die Nachteile gegenüber der Fassung von 1893 als solche zu empfinden.

Der Klang der Aufnahme wirkt sehr transparent, luftig und großräumig. Er ist bestens gestaffelt in Breite und Tiefe. Kritik kann man höchstens an der bisweilen akkordeonartig klingenden kleinen Orgel üben. Aber sie war von Fauré erwünscht, besonders wenn der Saal über keine Orgel verfügt.

 

 

 

5

Colin Davis

Lucia Popp

Simon Estes

Rundfunkchor Leipzig (heute: MDR-Chor), Staatskapelle Dresden

Eterna, Philips, Brilliant

1984

8:14  9:02  3:23  4:15  6:44  4:18  3:26  37:22

CD und LP  Hört man diese Einspielung, vielleicht zum ersten Mal, ist man höchstwahrscheinlich beeindruckt. Auf besondere Art passt alles bestens zusammen und fügt sich zu einem französisch-britisch-sächsischem Gesamtkunstwerk. Wie wir es schon oft von Colin Davis gehört haben, entsteht die Musik aus einer völlig gelassenen, entspannten Grundstimmung heraus. Er lässt sie fließen, sodass man das Gefühl hat, sie sei völlig unbeeinflusst und so und nicht anders muss es wohl sein. Die Kontraste werden dabei nicht vernachlässigt, sodass es dennoch dramatischer klingt als bei Herreweghe. Der Chor macht einen ausgezeichneten Eindruck, auch ein langsames Tempo behindert ihn nicht am ausdrucksvollen Singen. Sein Vortrag wirkt etwas spiritueller und körperhafter als der des Ambrosian Chorus bei Namenvetter Andrew. Die Staatskapelle kommt auch noch etwas besser ins Bild als das Philharmonia Orchestra bei der genannten Konkurrenzaufnahme. Colins Tempo wirkt im „Offertoire“ nur wenige Sekunden langsamer aber deutlich getragener. Simon Estes klingt ein wenig nach hinten versetzt. Sein volles Timbre könnte ideal sein, aber der Vortrag wirkt bei Siegmund Nimsgern bei Andrew Davis ausgewogener und passender.

Im „Sanctus“ könnte man nur die etwas zu leise ins Bild kommende Harfe bedauern, ansonsten kommt man dem Ideal musikalisch und klanglich sehr nahe.

Lucia Popp wird, wie Simon Estes auch, etwas nach hinten versetzt und mit etwas Hall versehen, der vielleicht an einen Heiligenschein erinnern soll(?). Die Stimme wirkt nicht mehr ganz so jugendlich wie bei Andrew, also etwas gereifter und auch der etwas üppigere Vibrato-Einsatz überzeugt uns in der Einspielung Colins etwas weniger. Aber das bewegt sich im Rahmen des persönlichen Geschmacks. Das sind vielleicht auch Auswirkungen durch das von Colin Davis viel langsamer angeschlagene Tempo. Lucia Popps Stimme wirkt immer noch innig und leuchtend.

Im „Agnus Dei“ klingen der Chor, so wie auch das Orchester noch nuancierter als bei Andrew. Auch die Orgel klingt farbig und ergänzt das Orchester bestens. Insgesamt erfreuen wir uns an einer zauberhaften Klangpracht.

Im „Libera me“ klingt der Bariton von Simon Estes sehr lebendig und aufbegehrend, dadurch aber auch opernhafter als Siegmund Nimsgern und ausdrucksvoller als etwa Bryn Terfel bei Chung. Das abschließende „In Paradisum“ kann man sich kaum schöner vorstellen. Wenn das Paradies tatsächlich so klingen sollte, erwarten wir es sehr gerne. Am Ende bleibt nur festzuhalten, dass Colin Davis ein gutes Gespür für diese Musik hat, ein geradezu magisches „Händchen“ sogar und nicht zu vergessen hat er bei Chor und Orchester die besten Erfüllungsgehilfen zur Verfügung.

Der Klang ist besonders voluminös und räumlich geweitet. Stimmen und Orchester klingen voll, der Gesamtklang ist leuchtend und wunderbar abgerundet. Die Orgel wird bestens integriert, die Basswirkung ist ebenfalls gut gelungen. Zur Eterna-CD lag uns auch noch eine Philips- und eine Eterna-LP zum Vergleich vor. Die Eterna-LP liegt von allen Tonträgern vorne. Sie klingt am weiträumigsten, vollmundigsten, plastischsten und dynamischsten. Anders als die Philips-LP klingt sie durch und durch analog, obwohl sie ein winziges Digital-Zeichen ziert. Die Philips-LP ist etwas laufruhiger und orientiert den Chor etwas mehr nach hinten. Die Eterna-LP klingt nicht so sauber gepresst aber voluminöser, körperhafter, praller, wärmer und unmittelbarer. Insgesamt zudem mit einem strahlenden Glanz. Wer hätte das gedacht?

 

 

 

5

Carlo Maria Giulini

Kathleen Battle

Andreas Schmidt

Philharmonia Chorus and Philharmonia Orchestra, London

DG

1986

7:44  9:39  3:33 3:29  7:00  5:43  3:34  40:42

Die pp-Passagen werden vom sehr groß besetzten Philharmonia Chorus fast nur noch gesäuselt. Aber anders als beim Chor der Accademia di Santa Cecilia aus Rom beim selben Label bleiben die Konturen noch gewahrt und der Text wenigstens halbwegs verständlich. Die dynamischen Gegensätze könnten zudem kaum grösser sein. Dennoch wirkt der Fortgang nicht so dramatisch, dazu ist der Fortgang einfach zu bedächtig. Der Gestus ist jedoch nur teilweise von der fast monumentalen Dynamik und auch nicht vordringlich vom langsamen Tempo bestimmt, sondern in erster Linie von einer liebevollen Sorgfalt, die wir bei keiner anderen Einspielung so erleben. Die liebevolle Behandlung der Musik schließt beim Chor einen extrem nuancierten Gesang mit ein, dem das Orchesterspiel nicht zurücksteht. Jeder einzelne Takt scheint auf seinen Gehalt (Gewicht und Klang) hin abgewogen zu sein. Das Musizieren wird so viel plastischer und eindringlicher als bei der bereits angesprochenen Einspielung Chungs aus Rom. Andreas Schmidt fügt sich mit seinem Solo bestens in diesen Kontext (mit dem langsamen Tempo) ein. Er singt auf Linie, bleibt immer sehr cantabel, klar in der Diktion und einfühlsam im Ausdruck. Er artikuliert nicht so „überspitzt“ wie Dietrich Fischer-Dieskau in seinen beiden Einspielungen. Auch wenn man mitunter bei Giulinis Vortrag ein wenig anschieben möchte, so wirkt er doch besonders innig. Im „Sanctus“ geradezu bezaubernd.

Das gilt auch für den Vortrag Kathleen Battles im „Pie Jesu“. Eigentlich bleibt kein Wusch offen, wenngleich ihr Vortrag nicht so natürlich anmutet wie bei Angharad Gryffyd Jones, so wirkt ihr Gesang doch voller Wärme, unangestrengt und besonders weich flutend. So auffallend ihr spezielles Timbre auch ist, versucht sie sich nicht über Gebühr zu produzieren. Für die Hörer, die Erbauung oder gar Erhebung suchen, ist dies sicher eine der besten Gelegenheiten. Sicher kann der auch hochgradig sinnlich wirkende Vortrag Battles auch ablenken, aber wie bei jedem künstlerischen Beitrag kommt es auch auf den „Empfänger“ der künstlerischen Botschaft an, wie sie verstanden wird.

Beim „Agnus Dei“, das in geringeren Einspielungen auch einmal etwas lang werden kann, lauschen wir wieder dem Chor der Extra-Klasse, weich, rund ohne jede Schärfe, sehr homogen, was jede einzelne Stimmlage anlangt als auch ihr gemeinsamer Gesang. Er könnte jedoch manchmal etwas transparenter klingen und kommt auch was die Präzision betrifft nicht ganz an den Chor des BR oder den Leipziger Rundfunkchor heran.

Im „Libera me“ erinnert Andreas Schmidt erneut an den Vortrag von Fischer-Dieskau, er klingt jedoch etwas weicher und dunkler. Eine einnehmende Gestaltung. Das „Dies irae“ erhält enormen Nachdruck (Hörner!).

Diese Einspielung steht zwar nicht ganz oben in der Liste der Version von 1900, ragt aber dennoch mit der enormen Gestaltungskraft, die Giulini investiert, heraus. Die Musik bewegt sich mitunter fast am Stillstand. Man muss sich darauf einlassen und vielleicht auch eine bestimmte Stimmung als Hörer oder Hörerin mitbringen (und die erforderliche Zeit). Dann ereignet sich ein gewisser Zauber. An Spiritualität oder geistige Ernsthaftigkeit dürfte sie kaum zu überbieten sein. Die Orchesterbehandlung wirkt bei Celibidache übrigens noch hellhöriger, jedoch können weder seine Solisten noch sein Münchner Chor mithalten.

Die Aufnahme wirkt großräumig, sauber und insgesamt transparent. Sie wirkt auf schwer zu erklärende Weise rein. Auf dieser Grundlage kann sich die Interpretation vortrefflich entfalten. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt.

 

 

 

5

Seiji Ozawa

Barbara Bonney

Hakan Hagegard

Tanglewood Festival Chorus, Boston Symphony Orchestra

RCA

1996

6:26  7:48  3:05  4:33  5:52  5:03  3:13  36:00

Auch der Tanglewood Festival Chorus muss sehr üppig besetzt sein. Er verfügt über ein enormes Volumen und kann enorme dynamische Spitzenwerte völlig mühelos erreichen. Er könnte der Chor mit der monumentalsten Wirkung sein. Man sieht ihn förmlich wie er bei der ersten Aufführung 1900 vor 5000 Zuschauern bei der Pariser Weltausstellung singt. Eine repräsentative Angelegenheit also. Auch das Orchester klingt groß besetzt einfach exzellent und spielt mit besonderem Espessivo. Es nimmt seine Rolle nicht auf die „leichte Schulter“ und bringt seine ganze Klasse mit ein. Nicht selten staunt man über die delikaten Klänge.

Der A-capella-Gesang im „Offertoire“ lässt den Chor intonationssicher und homogen erscheinen, jede Stimme für sich sowie der ganze Chor gemeinsam. Die S-Laute kommen meist jedoch nicht auf den Punkt genau, sondern klingen meist etwas verschliffen. Bei einem Chor dieser Größe mag die vollkommene Präzision eine besondere Herausforderung sein. Artikulatorisch sind keinerlei Beeinträchtigungen zu hören. Der Bariton Hakan Hagegard verfügt bei seinem sympathisch-verträumten Vortrag nicht ganz über den balsamischen Klang und die Innigkeit von Goerne bei Järvi oder Hampson bei Legrand. Die Begleitung des Orchesters ist jedoch nur selten so deutlich und klangschön wie in Boston. Hagegard wird wie auf den Wogen des herausragenden Orchesterklangs dahingetragen.

Das „Sanctus“ erklingt schön luftig und erheblich bewegter als z.B. bei Michel Legrand in seiner ähnlich groß besetzten Einspielung und bei aller Üppigkeit und Farbenfülle auch präziser.

Barbara Bonney singt den Sopran-Part auch in der Londoner Einspielung von Legrand. In Boston erreicht sie eine noch etwas leuchtendere Verklärtheit. In beiden Einspielungen hat sie das langsamste Tempo auszufüllen. Es macht ihr keinerlei Probleme. Fast hat es den Eindruck, dass die beiden Dirigenten gar nicht genug von ihrem Gesang bekommen könnten und das Tempo deshalb so verlangsamen. Ihre Stimme verleiht ihrem Solo einen zart-fragilen aber auch sinnlichen Ausdruck. Allerdings nutzt sie dazu ein teils verschwenderisches Vibrato, das vielleicht nicht jedermanns Sache sein dürfte.

Das „Agnus Dei“ wird trotz der enormen Dynamik und den vollen, großen Klang nicht monumental aufgebläht. Ozawa vermeidet jedes Auftrumpfen und kanalisiert die Kräfte zu einem expressiven, noch innig wirkenden Ganzen.

Auch im „Libera me“ macht Hagegard nicht viel Aufhebens von sich, er erfüllt seinen Auftrag gerade dadurch besonders stimmig. Das „Dies irae“ erklingt mit aller Macht, was zur romantischen Sichtweise Ozawas sehr gut passt. Bei „In Paradisum“ ertönt fast vollkommener Engelsgesang, Harfe und Orgel könnten jedoch etwas besser durchkommen. So findet sich ganz am Ende doch noch ein kleiner, nein winziger Mangel.

Der Klang der Aufnahme ist voll, weich, besonders großräumig und körperhaft. Die Tiefenstaffelung wirkt gut, das Orchester klingt sehr deutlich aus dem Gesamtklang heraus. Die Orgel kommt üppig, farbig und tief zur Geltung. Die Dynamik ist enorm. Saftig, füllig, lebendig. Fast ein weltumspannendes Klangfest in Cinemascope.

 

 

 

 

 

4-5

Andrew Davis

Lucia Popp

Siegmund Nimsgern

Ambrosian Singers,

Philharmonia Orchestra, London

CBS-Sony

1977

6:50  8:50  3:33  3:37  6:06  4:52  4:02  37:50

Ähnlich wie Namensvetter Colin Davis, Carlo Maria Giulini und Seiji Ozawa sieht auch bei Andrew Davis Faurés Requiem als ein großformatiges, zutiefst von der Romantik geprägtes Werk. Auch ihm steht ein (nahezu) rein klingender enorm groß besetzter, kultiviert singender und durchaus expressiv geführter Chor zur Verfügung. Jedes Crescendo wird bei ihm fast zu einem dramatischen Ereignis der Superlative, wobei er aber nie den typischen Klang des Verdi-Requiems versucht hervorzurufen wie Daniel Barenboim, bei dem das Werk des Franzosen fast wie die kleinere und jüngere Schwester des Werkes des Italieners klingt. Dennoch wirkt es mit gehörigem Brio wie aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Die Hauptrolle gebührt eindeutig dem fast makellosen und weich singendem Chor, während das ebenso weich, voll und rund spielende Orchester nicht ganz dasselbe plastische Profil erhält wie bei den zuvor genannten Einspielungen der Fassung von 1900. Die Kehrseite ist ein zwar kleiner, aber doch spürbarer Verlust an Innigkeit oder vielleicht auch an Spiritualität, wenn es erlaubt ist, diese höchst subjektive Erfahrung bei unserem Vergleich miteinfließen zu lassen. Auch die schwarze Trauerumrandung fällt in dieser Einspielung weniger ins Gewicht, denn ihre Aura, sicher geprägt auch vom durch die Klangtechnik vermittelten Gesamtklang ist eher eine helle und leichte, was sie mit den zuvor gelisteten Einspielungen gemeinsam hat.

Im „Offertoire“ hören wir den damals auf den großen Bühnen der Welt heimischen Saarländer Siegmund Nimsgern mit seinem sehr schönen, vollen Bariton, sehr cantabel und auf die musikalische Linie bedacht. Das Deklamatorische steht hingegen bei ihm etwas zurück. Er wird getragen von der wohlklingenden Klangfülle des PO. Hinzu gesellt sich ein beeindruckend substanzreicher p-Gesang der Ambrosian Singers, der sich förmlich ins Nichts zurückzuziehen vermag. Das gelingt seltsamer Weise den guten großen Chören noch besser als den guten Kammerchören. Vor allem die tadellos weich klingenden Soprane machen auch die heiklen A-capella-Passagen zu einem Hochgenuss. Der Chor steht in dieser Einspielung dem Philharmonia Chorus oder dem Chor des Orchestre de Paris in nichts nach.

Ein weiteres Highlight erwartet die Hörerschaft im „Pie Jesu“, das Lucia Popp in ihrer nur vier Jahre vor der zweiten Einspielung aus Dresden noch etwas weicher, klarer und jugendlicher zu Gehör bringt. Auch ihr geschmackvolles Vibrato überzeugt noch mehr als in Dresden. Das wie die Staatskapelle wunderbar weich grundierende und umspielende PO erhöht die sinnliche Komponente nochmals. Wenn die Bitte so vorgetragen wird, sollte eigentlich jeder Herrgott, der sich angesprochen fühlt, unweigerlich „schwach“ werden und die ewige Ruhe gerne spenden.

Im „Libera Me“ bekommt Siegmund Nimsgern den Spagat zwischen Deklamatorik und Cantabilität sehr geschmackvoll hin. Er klingt mehr bittend als fordernd.

Auch diese Einspielung findet ihren Abschluss mit einem wunderschönen, reichhaltigen Engelsgesang, für Puristen und Liebhaber der Fassung von 1893 vielleicht aber schon zu inbrünstig und schwelgerisch-dynamisch. So dient das Requiem fast schon als repräsentatives Hochamt.

Der Klang der Aufnahme ist besonders großräumig, bestechend klar und erfreulich wenig hallig, aber auch nicht trocken, sondern satt und voll. Bei Bedarf spendet die enorm klangmächtige Orgel auch eine enorme Tiefe.

 

 

 

4-5

Jean Fournet

Elly Ameling

Bernard Kruysen

Niederländischer Rundfunkchor, Rotterdamer Philharmoniker

Philips

1975

6:02  7:48  2:423  3:44  5:10  4:48  3:13  33:27

CD und LP  Dass ein großer Chor nicht immer mit einem langsamen Tempo korrelieren muss, zeigt Jean Fournet. Schlank und zügig musiziert er mit den beiden niederländischen Ensembles. Der, so ist zu vermuten, etwas weniger groß (als die beiden Londoner Chöre) besetzte niederländische Chor singt intonationssicher, weich, strahlend, homogen, ohne Schärfen und auch im f immer noch klangvoll und rhythmisch genau. Er gehört sicher zu den besten. Seine dynamische Spannweite ist weit, ein Forcieren oder gar gewalttätig anmutende Steigerungen werden jedoch vermieden.

Fournet hält auch im „Offertorium“ die Musik immer im Fluss. Im Gegensatz zu Chor und Orchester wurde der Bariton Bernard Kruysens etwas hallig und nach hinten versetzt aufgezeichnet. Seine recht hellklingende Stimme wird zurückhaltend und unforciert in Szene gesetzt, allerdings geht die große Linie durch das teils verunklarende breite Vibrato ein wenig verloren. Im „Libera Me“ kommt er etwas mehr aus sich heraus, die Emphase wird jedoch mit einem fast dem „Meckern“ ähnlichen Vibrato erkauft. An Siegmund Nimsgern kommt seine Darbietung nicht heran.

Im „Sanctus“ bestechen die weich und abgerundet singenden Soprane. Das Orchester klingt ebenfalls weich und geschliffen, mit einiger Leuchtkraft, sonor und präzise.  Die Orgel klingt genau wie sie soll und bereichert den Gesamtklang ungemein.

Im „Pie Jesu“ steht auch Elly Ameling nicht an der Rampe. Ihr Sopran klingt ruhevoll, weich und fraulich. Aber wie bei ihrem Partner Bernard Kruysen mit viel Vibrato. Für unseren Geschmack befindet sie sich damit schon an der Grenze zum opernhaften Übertreiben, denn es klingt mit einer sehr weiten Amplitude und fast permanent. Das „In Paradisum“ ist ein wunderschöner Abschluss des Werkes.

Bei Fournet klingt das Werk wie ein Meisterwerk. Alles hat Hand und Fuß. Er scheint ein gutes Gespür für die Eigenarten des Werkes zu haben und wird von den beiden sehr guten Ensembles hervorragend unterstützt. Die beiden Solisten halten nicht ganz dieses Niveau. Seine erste Einspielung von 1954 kann er auf Distanz halten.

Der Klang ist gut aufgefächert, sauber, weich und sonor. Der Chor wird ein wenig auf Distanz gehalten, das Orchester klingt klar positioniert davor. Der Gesamtklang ist gerade noch nicht hallig, könnte aber etwas transparenter klingen. Auch in dieser Einspielung klingt die LP noch ein wenig weicher, sanfter und dunkler abgetönt. Der Lauf der Philips-LP ist mustergültig ruhig.

 

 

 

4-5

Neville Marriner

Sylvia McNair

Thomas Allen

Chorus and Academy of St.-Martin-in-the-Fields

Philips

1993

6:40  8:00  3:10  4:14  5:34  4:27  3:04  34:29

In dieser Einspielung hören wir Chor und Orchester in einer etwas größeren Kammermusikbesetzung. Sie würde auch gut zur Fassung von 1893 passen. Der Vortrag von beiden Ensembles ist geradlinig und schlicht. Empahielosigkeit kann man ihnen nicht nachsagen, wohl aber eine schnörkellose Nüchternheit. Der rituelle Aspekt wirkt weitgehend ausgeblendet, der rein musikalische tritt dafür mehr in den Vordergrund. Es braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden, dass Chor und Orchester sowohl klanglich als auch stilistisch ausgezeichnet harmonieren.

Thomas Allen führt einen angenehm klingenden Bariton ins Feld, er phrasiert aber nicht sonderlich partiturgenau. Im „Libera Me“ klingt seine Stimme sogar etwas blass und belegt.

Im „Sanctus“ entwickelt die Einspielung mehr Einfühlungsvermögen, ohne dass man sich einer Gefühligkeit ergeben würde. So kennen wir Neville Marriners Dirigate auch von unzähligen anderen Einspielungen.

Im „Pie Jesu“ wirkt Sylvia McNair leider etwas eingehallt. Ihre Stimme hätte diesen „Kunstkniff“ aus der Tontechnikertrickkiste nicht nötig gehabt. Ihre Stimme klingt glockenrein, ihr Vibrato äußerst geschmackvoll. Ihr Timbre klingt ein wenig knabenhaft, was Fauré sicher gut gefallen hätte, ihre künstlerische Ausgestaltung ist jedoch den Soli der „Boys“ weit überlegen. Sie singt wundervoll abgerundet, selbstverständlich, wie entrückt. Auch sie macht nicht viel Aufhebens von ihrer Glanzleistung. Nach unserer Einschätzung dürfte auch ihre Darbietung dem Ideal weitgehend entsprechen, will sagen: Eine der allerbesten Darbietungen, wegen der alleine bereits der Kauf der CD lohnt. Zudem kommt auch noch, dass auch Sir Neville den Gefühlen freien Lauf lässt, oder vielmehr die Academy hervorragend ausbalanciert und farbig aufspielen lässt und den Vortrag der Solistin so noch weiter aufwertet. Auch die Hörner und vor allem auch die Orgel runden die ausgezeichnete Leistung von Chor und Orchester ab.

Ob man die Reduktion des Spirituellen oder Geistigen auf die musikalischen Werte eher als Vor- oder Nachteil sehen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Jedenfalls ist die Produktion wohltuend unprätentiös und handwerklich in jeder Hinsicht fast makellos. Einsames Highlight ist Sylvia McNair mit ihrem engelsgleichen Gesang.

Diese Einspielung klingt recht transparent und gut gestaffelt, dabei aber recht kompakt und räumlich wenig ausladend. Der Gesamtklang wirkt natürlich aber wenig brillant. Die Stimmen sind untereinander sehr gut ausbalanciert, der Chor gegenüber dem Orchester ebenfalls. Gut integriert wurde auch die voll klingende Orgel. Auch die Klangtechnik wollte nicht den Eindruck einer Kirche oder gar Kathedrale entstehen lassen. Eine säkularisierte Einspielung durch und durch (wenn man von Sylvia McNair einmal absieht).

 

 

 

4-5

Ivor Bolton

Katja Stuber

Benjamin Appl

Balthasar-Neumann-Chor, Sinfonieorchester Basel

Sony

2019

6:05  8:28  3:01  3:30  5:21  4:10  3:08  33:43

Die von Ivor Bolton verantwortete Einspielung folgt im Gestus am ehesten der von Neville Marriner. Nur folgt sie auch noch den Erkenntnissen der historisch informierten Aufführungspraxis, ohne jedoch auf besonders alte Instrumente zurückzugreifen. Die Artikulation wirkt leicht und nachdrücklich, Chor und auch das Orchester verzichten auf Vibrato. Das Orchester wirkt, als sei es immer „auf dem Sprung“, also auch sehr aufmerksam. Die Stimmenverläufe wirken besonders klar, aber es drängelt sich nie in den Vordergrund. Gegenüber der Barenboim-Einspielung könnte der Unterschied kaum größer sein. Bolton wirkt feingeistiger, erheblich sanftmütiger und genauer. Während Barenboim ein zu viel an Dynamik inszenierte, hören wir sie bei Bolton auf ein Minimum reduziert. Kultivierte Klarheit der Diktion bestimmen auch das tänzerische und rhythmisch prononcierte „Offertoire“. Ausdrucksvoll hier gerade auch das klein besetzte Orchester. Benjamin Appl fügt sich bruchlos in dieses Bild ein. Auch seine Phrasierung wirkt besonders klar und sanftmütig. Sein warm klingender Bariton weiß sehr zu gefallen, auch seine deutliche Artikulation und das sehr zurückhaltende Vibrato.

Katja Stuber kommt den Knabensopranen im Timbre wieder recht nahe (jedoch sicherer im Vortrag). Die Stimme klingt jedoch nicht ganz so leicht und strahlend wie bei den besten. Sie beherzigt aber die geforderte Zurückhaltung im Dynamischen und in der Artikulation wie wenige.

Auch im „Agnus Die“ klingt das Orchester ziemlich beschwingt und fast tänzerisch. „In Paradisum“ hören wir Engelsgesang mit zartester Orgeluntermalung. Dezent und geschmackvoll.

Diese Einspielung wirkt besonders introvertiert, subtil, dabei locker und völlig untheatralisch. Sie verbindet das Instrumentarium der Fassung von 1900 mit dem kammermusikalischen Gestus der Introvertiertheit der Fassung von 1893. Die Dynamik kommt dabei vielleicht etwas zu kurz.

Auch der Klang der Einspielung ist sehr klar und offen. Der Chor klingt etwas entfernt, jedoch sehr transparent. Die Tiefenstaffelung ist sehr gut. Die kleine Orgel ist sehr gut ortbar. Der Gesamtklang wirkt sehr viel mehr filigran als füllig oder gar klangsatt. Die Farbigkeit oder Leuchtkraft wirkt dezent.

 

 

 

4-5

David Hill

Aidan Oliver und Harry Ascott, Trebles

David Wilson-Johnson, Bariton

The Choir of Westminster Cathedral,

City of London Sinfonia

IMP Classics

1987

6:30  8:20  3:04  3:10  6:03  4:36  3:32  35:35

Die beiden elf Jahre auseinander liegenden Einspielungen hat David Hill mit den Chören, die er zu der betreffenden Zeit leitete, produziert. Danach leitete er unter anderen auch noch die BBC Singers. Der Westminster Chor scheint uns dem Winchester Chor überlegen zu sein. Er klingt sehr groß aber auch homogen, trotz der Besetzung der Sopranstimmen mit Knaben. Die dynamische Durchschlagskraft ist enorm und Hill nutzt sie weidlich aus. Der weite Abstand im großen Kirchschiff könnte übrigens durchaus begünstigend auf die Homogenität gewirkt haben. Der Bariton bringt in der Londoner Einspielung ein tiefes, kantorenhaftes Timbre mit, das Fauré sicher gefallen haben dürfte. Er verkörpert die prophetenhafte Verkündigungsgestalt wie kaum ein zweiter Bariton des Vergleiches. Zudem kommen eine gute Artikulation und wenig Vibrato. Eine sehr gute Mischung. Im „Libera Me“ wirkt er gar beschwörend, meidet aber das Changieren eines Sherill Milnes in der Einspielung von Charles Dutoit. Der Zugiff auf das „Dies irae“ erfolgt mit Macht und Gandezza, dass es einem den Rücken runter läuft.

Im „Sanctus“ musiziert der Chor aus voller Brust und mit vollem Herzen.  Im „Pie Jesu“ scheinen sich zwei „Boys“ bei ihrem Solo abzuwechseln. Sie verfügen beide über unschuldige Kinderstimmchen mit den üblichen Stärken und Schwächen. Gegen Ende scheinen die beiden sogar gemeinsam zu singen. In ihrem Timbre sind sie zu verwechseln. Man muss genau hinhören, um überhaupt zu bemerken, dass sie zu zweit sind.

Die Einspielung macht einen erstaunlich guten Knabenchor (das ist selten im Vergleich) und einen sanguinischen Zugriff im Budget-Segment verfügbar.

Klanglich hört sie sich so an: Die Kirchakustik bringt einen langen Nachhall mit sich. Der Chor steht weit hinten im Kirchenschiff, das Orchester deutlich und recht präsent davor. Es herrscht eine kühle Farbgebung vor. Die große Kirchenorgel steuert dem Gesamtklang einen profunden Bass bei. Die Transparenz ist angesichts der Umstände gut, der Klang schwebt. Es verbleibt ein kleiner digitaler rauer Rest im Gesamtklang.

 

 

 

4-5

Richard Hickox

Aled Jones, Treble

Stephan Roberts

London Symphony Chorus,

Royal Philharmonic Orchestra, London

1986

RPO Records, Griffin

6:16  8:13  3:09  3:09  5:31  5:00  3:37  34:55

CD und LP  Der Chor des LSO (das RPO verfügt über keinen eigenen Chor) wirkt ähnlich groß besetzt wie der Philharmonia Chorus bei Giulini oder die Ambrosian Singers bei Andrew Davis, aber etwas weniger präzise. Auch seine dynamischen Fähigkeiten sind ehrfurchtgebietend. Bei den ff-Vorschriften in der Partitur gibt es für den zum Aufnahmezeitpunkt noch recht jungen Chorleiter (38) bei seinem lebendigen Vortrag kein Halten mehr. Man kann festhalten: Ein p bei Hickox ist ähnlich laut wie ein f bei Herreweghe. So wird bei Hickox aus dem „Sanctus“ ein machtvoller Satz, dem Lobpreis Gottes gewidmet. Während das Bariton-Solo von Stephan Roberts ohne Besonderheiten solide und ohne erwähnenswerte Kritikpunkte abläuft, ist der Vortrag von Aled Jones im „Pie Jesu“ der besonderen Erwähnung wert. Unserer Meinung kommt er von allen Boys mit der einfachen, aber doch so schwierigen Melodie mit am besten zurecht. Er wirkt von der Gestaltung her reifer als die anderen und seine Stimme wirkt nicht ganz so unbedarft und „unschuldig“. Wenngleich nicht anzunehmen ist, dass der Stimmbruch schon nahe wäre oder gar bereits die eine oder andere Zigarette geraucht worden sein könnte, wirkt seine Stimme doch rauchig. Insgesamt gelingt dem Knaben eine bewundernswerte Darstellung. Nur warum kommt er bei der CD von Griffin ganz links aus der Ecke? Der Quercheck mit der LP (RPO Records) zeigt, dass die korrekte Positionierung beinahe genau die Mitte ist. Beim „Agnus Die“ klingen Blech und Orgel fast so mächtig als gelte es Verdi, die Umfirmierung geht jedoch nicht so weit wie bei der Einspielung Barenboims.

Im „Libera me“ interpretiert Roberts viel äußerlicher als etwas Stephan Genz, kommt aber stimmlich recht nah an einen imaginierten Kantor heran. Im „Dies irae“ geben Chor und Orchester wieder alles. Das wirkt auf seine Art schon mitreißend. Die Engel vom London Symphony Chorus sind im letzten Satz „In Paradisum“ ziemlich vital.

Dies ist eine Einspielung im Gefolge der Barenboim-Einspielung, die das Fauré-Requiem neben das von Verdi setzt. Dabei wirkt sie nicht so äußerlich wie das (vermutete) Vorbild, sondern sie scheint deutlicher einem inneren Bedürfnis zu entspringen.

Der Chor wird deutlich getrennt in hohe Stimme (Soprane und Tenöre, links) und tiefe Stimmen (Alt und Bässe, rechts) wiedergegeben. Zumeist überwiegen die hellen. Oft sind die Frauenstimmen gemeinsam links und die Männerstimmen gemeinsam rechts aufgestellt. Das Orchester kommt leider zumeist von links (besonders bei der CD), und zwar die Geigen, Violen und die Celli! Die LP klingt insgesamt weicher und sanfter und deutlich besser in die Mitte zentriert, das heißt, der komplette „Linksruck“ der Ensembles und Solisten ist eine CD spezifische Angelegenheit und fällt in die Verantwortung nicht des Aufnahmeteams, sondern des Remasterings.

 

 

 

4-5

Charles Dutoit

Kiri te Kanawa

Sherill Milnes

Choers et Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1988

7:25  8:54  2:58  3:40  6:01  5:17  3:11  37:26

Die Einspielung aus Montréal macht einen durchweg sauber gesungenen und gespielten Eindruck. Man hat große Sorgfalt walten lassen, die ausgetretenen Pfade werden zwar gut ausgefüllt aber nicht verlassen.

Chor und Orchester sind groß besetzt, verfügen über ein beachtliches Volumen, werden jedoch recht schlank geführt, die Dynamik wirkt beweglich und teils durchdringend. Vom Orchester und vom Dirigenten hätten wir allenfalls erwartet, dass die Partitur ein wenig farbiger und klanglich brillanter zum Klingen gebracht wird. Die Stimmen des Chores klingen angenehm, der Stimmenverlauf in den „gregorianisch angehauchten“ A-capella-Stimmenverläufen sind klar und deutlich, die Intonation ist gut. Sherill Milnes neigt zum Chargieren, d.h. er übertreibt bei Phrasierung und Dynamik, als wolle er Fischer-Dieskau diesbezüglich noch übertrumpfen. Das wirkt theatralisch und in dem geistlichen Rahmen wenig adäquat. Seine Stimme macht bereits einen ziemlich abgesungenen Eindruck. Die Orgel kommt unauffällig ins Bild.

Im „Sanctus“ überrascht Dutoit mit einem glorios herausgestellten „Hosianna in excelsis“, er lässt die Stelle sehr schön aus der sonst überwiegend sehr sanft anmutenden Interpretation herausstrahlen.

Im „Pie Jesu“ lässt Kiri te Kanawa ihren üppig und warm klingenden Sopran teils mit enormer Strahlkraft, teils sehr gezügelt erklingen. Ihre sehr weiblich klingende Stimme wäre von einem von Fauré bei dieser Stelle favorisierten Knaben natürlich nie und nimmer erreichbar. Deshalb von einer Fehlbesetzung zu schreiben wäre jedoch maßlos übertrieben. Heute mag die Stimme vielleicht etwas zu schwer für dieses Solo anmuten, ihre beneidenswert schöne Stimme bringt jedoch viel Farbe in die ansonsten etwas triste musikalische Umgebung.

Der Klang der Aufnahme wirkt sehr transparent, weich, rund und raumfüllend. Vor allem durch die Orgel erhält das Klangbild ein gutes Fundament. Der Glanz und die verschwenderische, fast schon opulente Fülle von Colin Davis erreicht die Einspielung nicht. Eine gewisse edle Blässe herrscht vor, wie man sie gewöhnlich mit dem Werk assoziiert. Das Orchester wirkt auch nicht so exzellent durchstrukturiert wie bei Celibidache.

 

 

 

4-5

Sergiu Celibidache

Margarethe Price

Alan Titus

Philharmonischer Chor München,

Münchner Philharmoniker

EMI

1994, Live

7:43  10:30  2.58  4:39  5:50  7:53  3:13  42:46

Sergiu Celibidache bringt eine ganz besondere Sorgfalt gegenüber dem Orchesterpart mit in seine Interpretation ein. So plastisch, differenziert und klangschön kann man ihn in keiner anderen Aufnahme (die Järvis vielleicht ausgenommen) hören. Problematisch könnten die teils sehr langsamen, jedoch gerade noch nicht schleppenden Tempi sein. Kräftige Akzente wirken immer wieder dagegen. Eine Überakzentuierung wird vermieden, wenngleich manche Notenwerte seltsam gegenüber der Partitur verkürzt werden um die Akzentuierung plastischer zu machen. Den Verlauf der Streicher-Bässe kann man besser verfolgen als in jeder anderen Einspielung. Die Violinen (die Besonderheit der Fassung von 1900) klingen besonders schön und werden ganz bewusst artikuliert. Das Orchester atmet mit dem Chor sehr gut mit und klingt sehr sinnlich. Der Chor hingegen ist gut und groß besetzt, aber nicht überragend. Der Sopran scheint am stärksten besetzt zu sein, das meint nicht die Qualität sondern nur das immer ein wenig zu Vorwitzige dieser Stimmgruppe, die den Chorklang ein wenig zu sehr dominiert. Die Orgel kommt gut durch, klingt aber gegenüber dem vollen Orchesterklang und dem reich besetzten Chor zumeist stark reduziert. Es fehlt ihr mitunter auch an der nötigen Präzision.

Im „Offertoire“ nimmt Celi keine Rücksicht auf Verluste und setzt das Adagio molto rigoros um. Die „gewonnene“ Zeit wird für genaueste Phrasierung genutzt, gestisch und ausdrucksvoll wie selten. Das Orchester singt mit. Der Chor singt, wo gefordert, wirklich „dolcissimo“, füllig und weich, wie Samt und Seide. Alan Titus steht an der Rampe. Mit einem sehr starken und weit ausschwingendem Vibrato gerät die Zurückhaltung ins Hintertreffen. Allerdings hat er auch eine große Philharmonie zu füllen. Ein Vortrag wie im Studio käme da vielleicht nicht so gut an.

Das „Sanctus“ erklingt hingegen flüssig und bewegt, mit kräftigem Blecheinsatz bei „Hosanna“.

Im „Pie Jesu“ steht Margareth Price ebenfalls an der Rampe. Ihr voller, strahlkräftiger Sopran operiert ebenfalls mit starkem, opernhaften Vibrato, wird aber dynamisch besser abschattiert als bei Titus. Das Tempo wirkt ziemlich gedehnt. Andere Sängerinnen wären bei diesem Adagissimo-Vortrag möglicherweise „verhungert“.

Im „Agnus Dei“ wirkt der Gestus etwas beschwingter, der Chor könnte hier etwas kontrastreicher agieren. Auch geht ihm die schlanke Beweglichkeit des BR-Chores weitgehend ab.

Das „Libera me“ kommt uns viel zu langsam vor. Titus singt über das p seines Vortrages weitgehend hinweg. Die Hörner beim „Dies irae“ spielen mit voller Kraft, halten die Spielweise im ff aber nicht die komplette Passage durch. Das halten übrigens die meisten Dirigenten so, notiert ist es nicht. Der lange Liegeton der Bratschen wird von Celi exzellent dargestellt und mit Ausdruck gefüllt, sonst geht dieses Detail zumeist ganz verloren. Ein Beispiel für die Nuancierungskunst dieses Dirigenten.

„In Paradisum“: Die Schar der Engel klingt zwar schön ätherisch, aber nicht ohne Gewicht. Die Engel machen gleichsam einen gut genährten Eindruck.

Die lange Spielzeit ergibt sich besonders durch die bei Celibidache ausgeprägt meditativ ausgeformten Sätze „Offertoire“ und „Libera me“. Letzteres sollte eigentlich nur Moderato gegeben werden und nicht Adagio. Mit dem Chor, der nicht an die Klasse des Orchesters heranreicht und den theatralisch orientierten Solisten gibt es also durchaus Minuspunkte in der Einspielung, die aber durch die orchestrale Aufwertung bis zu einem gewissen Maß wettgemacht werden können.

Der Klang wirkt füllig, rund, transparent und leuchtkräftig. Chor und Orchester stehen in einer guten Relation zueinander. Die Orgel wirkt dagegen weniger gut mit dem Gesamtklang verwoben.

 

 

 

4-5

Michel Legrand

Barbara Bonney

Thomas Hampson

Ambrosian Singers,

Philarmonia Orchestra London

Teldec

1993

7:30  8:25  4:22  4:35  5:58  4:30  3:37  38:57

Zu dieser Einspielung fanden sich 16 Jahre nach der Einspielung mit Andrew Davis erneut der mächtig besetzte Ambrosian Chorus mit dem Philharmonia Orchestra zusammen. Der Chor wirkt jedoch beim versierten Engländer erheblich homogener.  Der Gestus beim Landsmann Faurés hingegen etwas unruhiger, etwas dramatisiert und auch etwas romantisiert, aber ebenfalls sehr kontrastreich. Michel Legrand, u.a. Schüler von Nadja Boulanger am Conservatoire de Paris (also eine Art „Enkelschüler“ von Fauré) ist uns eher als Arrangeur (Barbra Streisand) und Komponist von Filmmusik bekannt geworden („Thomas Crown ist nicht zu fassen“, „Yentl“). Er scheint ein Frühentwickler gewesen zu sein, denn er schloss sein Studium bereits mit 17 Jahren ab.

Im „Offertoire“ scheint es, als wäre der Chor mit etwas sfumanto versehen worden, so wohlig klingt er. Die Orgel wird weitgehend und gegen den Wunsch Faurés als ad libitum betrachtet. Bis auf den letzten Akkord hört man von ihr in diesem Satz nämlich gar nichts. Sehr präsent und wohlklingend hingegen Thomas Hampson, der sehr zurückhaltend und geschmackvoll mit dem Vibrato umgeht, auch die Dynamik reizt er nicht aus. Seine Darstellung wirkt sehr deutlich artikuliert und behutsam-apart.

Weicher und auch langsamer geht es gerade für das „Sanctus“ kaum noch einmal im Vergleich zu. Die Artikulation wirkt legatissimo. An ein paar Stellen allerdings auch staccatissimo.

Barbara Bonney singt ihren Part im „Pie Jesu“ wie bereits drei Jahre vor ihrem Auftritt bei Ozawa linienbetont mit teils beherrschtem, teils aber auch heftigem Vibrato. Mit dem auch bei Legrand sehr langsamen Tempo hat sie keine Probleme. Trotz ihrer betörenden Stimme wirkt ihr Vortrag auch im liturgischen Rahmen stimmig. In diesem Satz darf die Orgel übrigens mitspielen.

Auch im „Agnus Die“ wirkt das Voranschreiten Legrands genießerisch. Das langsame Tempo ist dabei nicht immer ganz konstant. Die heftigen Dynamikspitzen des Chores mindert er hingegen nicht ab. Das Tempo erscheint uns im Vergleich selbst für ein „Molto largo“ grenzwertig langsam.

Im „Libera me“ haben wir das Bariton-Solo schon dramatischer und bewegter ausgeformt gehört, kaum jedoch stimmschöner und deutlicher artikuliert.

Bei „In Paradisum“ erklingt die Orgel seit langem einmal deutlich und präsent und leicht und locker wie ein Frühlingslüftchen, während sich zu Beginn die Soprane fast verstecken. Diesem Satz fehlt (trotz der duftigen Orgel) der gewünschte luftig-transparente Gesamcharakter.

Der Klang zeigt das Orchester deutlich transparenter als den Chor und gut von demselben abgegrenzt.  Insgesamt ist die Staffelung gut, der Gesamtklang zumeist wohlig, üppig, aber hellfarbig, sehr weich und vollmundig.

 

 

 

4-5

Louis Frémaux

Norma Burrowes

Brian Rayner Cook

City of Birmingham Chorus and Orchestra

EMI

1977

6:45  7:49  3:18  3:43  6:00  4:43  3:26  35:44

Von Louis Frémaux gibt es zwei Einspielungen. Gegenüber der ersten (uns bekannten) aus Monte-Carlo von 1962 stellt diese zweite eine deutliche Verbesserung dar. Vor allem der Chor klingt besser. Homogener, viel dynamischer und räumlich expansiv. Vor allem klingen die Soprane nicht mehr so süßlich und fast kitschig, wie in einem Disney-Trickfilm aus den fünfziger Jahren.

Allerdings sind die Einsätze des Chores bzw. innerhalb des Chores nicht immer ganz präzise zusammen., weshalb die Einspielung auch an der Schwelle zur Gruppe der 4 steht. Die Gestaltung von Brian Rayner Cook im „Offertoire“ gelingt dynamisch, deutlich aber mit etwas unruhiger Diktion. Ein für den heutigen Geschmack zu üppiges Vibrato stört die klare Linienführung.

Norma Burrowes nutzt mit ihrem vollen expressiven Sopran die ganze dynamische Spannweite der Komposition für ihr „Pie Jesu“ aus. Ihr Gestaltungswille schießt dabei etwas über das Ziel hinaus, auch das reichliche Vibrato trägt dazu bei. Ihre Stimme klingt am besten, wenn sie nicht so stark gefordert wird.

Der Bariton tritt im „Libera me“ erneut auf, wobei sein ausdrucksvoller Gesang hier sehr gut gefällt. Der Chor singt in diesem Satz stimmig und mit viel durchschlagender Wucht.

Die Aufnahme klingt großräumig und präzise. Gegenüber der 62er aus Monaco ist das Rauschen zwar reduziert, aber immer noch hörbar. Der Chor ist nun weiter hinten positioniert, das Orchester klar davor. Die Orgel wirkt beim ff deutlich weiter entfernt als bei leiseren Passagen. Bei Bedarf ist sie so bassgewaltig, dass die Wände wackeln. Sie öffnet auch spürbar den Raum. In der speziellen Räumlichkeit könnte man eine ehemalige Quadroaufnahme vermuten.

 

 

 

4-5

Bernard Thomas

Rose-Marie Mezac

Michel Piquemal (auch Chorleiter)

Petits Chanteurs de Paris (Kinderchor), Choer „Vittoria“ d´Argenteuil, Orchestre Régional d´Ile de France

Forlane-Auvidis

1984

7:27  8:48  3:48  3:21  6:20  4:50  3:44  37:58

Der Name des Chores deutet auf einen Amateurchor hin, er klingt aber homogen und intonationssicher wie ein Profichor. Er verfügt zudem über einen großen dynamischen Ambitus. Das Orchester fällt mit nur milden Akzenten im vorhandenen Umfeld nicht besonders auf. Auffallend ist hingegen, dass sich der Chorleiter als ein versierter Bariton erweist. Sein Vortrag im „Offertoire“ wirkt ganz besonders weich und nimmt sich fast träumerisch aus. Seine Stimme wirkt mit ihrem hellen Timbre sehr schön, sein Vibrato auffallend schnell und „kurzhubig“. Nur die Dynamik erweist sich als eher gleichförmig.

Das „Santus“ atmet meditative Ruhe.

Marie. Rose Mezac erweist sich als ein großes Plus der Einspielung. Ihr „Pie Jesu“ gelingt sehr schön. Leise, mit wenig Vibrato, linear gedacht und großbogig wirkt ihr Timbre fast knabenhaft, kristallklar und wunderbar natürlich. Fauré hätte es wahrscheinlich sehr gut gefallen.

Noch ein paar Worte zum Chor. Er singt völlig unforciert, aber nie langweilig, auch die erstaunlich gute Dynamik erklingt ohne Gewalt. Man spürt den Enthusiasmus, der hinter dem Singen steht.

Der Knabenchor und die Frauensoprane bilden bei „In Paradisum“ eine androgyne Mischung, die dem Engelsgesang noch näherkommen soll. Könnte stimmen.

Trotz des digitalen Aufnahmeverfahrens rauscht die Einspielung merklich. Der Chor wird im p etwas diffus abgebildet und ist da auch weniger gut sprachverständlich. Die Abbildung erfolgt weniger breit als tief hinein in das Kirchenschiff. Das Orchester nimmt deutlich davor Platz und klingt viel transparenter.

 

 

 

 

4

Armin Jordan

Mathias Usbeck, Treble

Gilles Cachemaille, Bariton

Choer de Chambre Romand, Pro Arte Chor, Orchestre de la Suisse Romande

Erato

1991

6:28  8:02  3:30  2:45  5:33  5:05  3:27  35:00

Die Chorgemeinschaft Jordans stellt gegenüber der Einspielung von Ansermet 36 Jahre zuvor eine große Verbesserung dar. Beim Orchester verhält es sich zwar nicht umgekehrt, aber Ansermet hat bereits viele Details sehr gut herausgearbeitet. Leider verliefen die Bemühungen beim Chor damals weniger glücklich. Davon später mehr.

Zu den besten Chören gehört die Chorgemeinschaft jedoch immer noch nicht, denn manche Einsätze gelingen nicht synchron. Er klingt aber homogen, was er dem Chor bei Ansermet anno 1955 voraus hat. Und die ehemaligen „Sorgenkinder“ vom Sopran klingen nun „butterweich“, genau wie der Violinenchor des Orchesters (zu hören u. a.im „Santus“). Das Solo des Baritons, den wir nun zwei Jahre vor der Einspielung mit Gardiners kennenlernen, gefällt erneut mit dem weichen, angenehmen Timbre und der lockeren, natürlich anmutenden Phrasierung ohne Übertreibungen. Das Vibrato wirkt erneut angemessen zurückhaltend. Wenn man ganz spitzfindig sein möchte, so wirkt die Darbietung bei Gardiner etwas ausdrucksvoller und wahrscheinlich aus klangtechnischen Gründen auch etwas farbiger. Nach dem Solo geht es bei Jordan übrigens für vier Takte a capella weiter. Das ist tatsächlich nur in dieser Einspielung so. Sonst sind das Orchester und meist auch die Orgel zugleich zur Stelle. Die Darbietung im „Libera me“ gelingt bei Cachemaille bereits sehr schön und einschmeichelnd.

Im „Sanctus“ hören wir erneut verschliffene Einsätze der Chöre (S-Laute), sodass man den Eindruck gewinnt, die beiden Chöre hätten noch etwas mehr gemeinsame Proben brauchen können.

Im „Pie Jesu“ wählt auch Jordan, wie die Dirigenten bei fast allen Knaben-Sopran-Soli betont schnelle Tempi, damit sie auch gut durchkommen. Trotzdem geht es auch im Falle Mathias Usbecks nicht ganz ohne zittrigen Ton und unausgewogene Registerwechsel ab. Wo soll er auch so schnell bei diesen jungen Stimmen herkommen?

Obwohl die Einspielung in der Victoria-Hall zu Genf gemacht wurde, klingt es nach Kirchenakustik. Mit reichlich Nachhall, aber doch nicht wabernd so doch wie mit dem Weichzeichner nachbearbeitet. Die Orgel macht übrigens kaum einmal auf sich aufmerksam.

 

 

 

4

Daniel Barenboim

Sheila Armstrong

Dietrich Fischer-Dieskau

Edinburgh Festival Chorus,

Orchestre de Paris

EMI

1975

7:58  9:55  2:40  3:27  6:04  5:08  3:18  38:30

Schon beim ersten Einsatz deutet sich an, was sich im weiteren Verlauf mal für mal bestätigt. Der reich besetzte Chor beginnt in schönen pp, dann setzt er zu einem sinnlichen und voluminösen Riesen-Crescendo an, um dann über das vorgeschriebene f hinauszuschießen und bei dem ff ganz am Ende der Dynamik-Skala zu landen. Für sich genommen wirkt das sehr respektabel und man wähnt sich bereits im Requiem, allerdings in dem von Verdi. Fast zur Bestätigung singt der britische Chor sein Latein mit italienischem Akzent. Das wirkt unbenommen großformatig und enorm kontrastreich. Aber die Dynamik wird so sehr bis zum erschütterndem ff gespreizt, dass man sich fast im falschen Werk wähnt.

Schlanke, kurzhubige Artikulation ist Barenboims Sache nicht, ebenso wenig eine straffe Akzentuierung. Der Chor klingt übrigens fulminant, da wurde gut geprobt und die Chöre vom Genfer See, insbesondere bei Ansermet werden geradezu klanglich deklassiert, auch wenn das ein oder andere pp zum Gesäusel wird. Dietrich Fischer-Dieskau singt das Bariton-Solo im „Offertoire“ mit seinem typischen Timbre, sicherlich kennt es fast jede(r), sehr exakt ausgeformt, aber wenig emotional und wenig sinnlich.

Im „Sanctus“ klingen auch bereits 1975 die Violinen des OdP mit der Sordine sanft und einschmeichelnd. Bei Järvi dann nochmals verfeinert. Die Soprane des Chores sind höhensicher.

Sheila Armstrong singt das „Pie Jesu“ mit großer Stimme, gezügeltem Vibrato, aber doch schon mit opernhaften Zügen. Sie „schmettert“ auch mal aus voller Kehle, wo die Partitur ein mf angibt. Was bei Fauré meint: maximal mf.

Im „Agnus Die“ hören wir immer wieder überfallähnliche ff-Attacken des Chores. Bei Barenboim schläft garantiert kein Zuhörer ein im ganzen weiten Kirchschiff.  Bei T. 447f liegt der Bass öfter mal blank und durchbricht so die Homogenität des Chores. Im „Libers me“ rufen die Chormassen zum jüngsten Gericht, dass sich die Kirchmauern biegen. Das langsame, getragene Tempo passt zur großen Besetzung. Das Requiem klingt bei Barenboim nur noch zu einem kleinen Teil sanftmütig und so gut wie nie intim. In dieser Einspielung werden die Nachteile der Fassung von 1900 ins Extreme gesteigert. Aus der Sicht Barenboims gelingt das ziemlich überzeugend und mit einem Hang ins Monumentale. Darauf sollte man sich einstellen. Für andere ist es eher ein Missverständnis.

Der Aufnahme ist ein auffallend starkes Rauschen eigen, wie man es vom Aufnahmejahr nicht mehr erwartet hätte. Der enorm großräumige Klang ist recht plastisch und sehr dynamisch, der Chor ziemlich weit entfernt.

 

 

 

4

Michel Plasson

Barbara Hendricks

José van Dam

Orfeón Donostiarra, Orchestre National du Capitol de Toulouse

EMI

1984

7:26  10:24  3:17  4:09  6:05  5:58  3:27  40:42

LP  Ähnlich dem Edinburgh Festival Chorus verfügt auch der baskische Chor aus San Sebastian über ein massives Aufgebot an Stimmen. Auch sein erstes ff lässt die Hörer aufschrecken. Das betulich, fast träge wirkende Tempo zu Beginn wird durch differenzierte Orchesterarbeit und heftige Akzente vom Blech halbwegs aufgefangen.  Auch beim „Offertoire“ wird das Tempo fast bis zum Stillstand gebracht (Adagio molto), nun wirken die Akzente schon merklich abgemildert.  José van Dam interpretiert sein p sehr laut (während das Orchester bei p schon beinahe verschwindet) und sein Vibrato schwingt recht weit. Er hat den erforderlichen langen Atem für das langsame Tempo. Die Orgel passt nicht genau zum Chor.

Im „Sanctus“ klingen die Soprane des Chores sehr hell, als wären es noch junge Mädchen.

Barbara Hendrickx betört im „Pie Jesu“ mit sinnlicher Stimme und schnellem Vibrato. Bei ihr gewinnt man den Eindruck, sie hätte ihren Part lieber zügiger gesungen. Den Orchesterpart haben wir in diesem kleinen Satz schon plastischer gehört.

Im „Agnus Dei“ wirken die ff des Chores wie Eruptionen, als wolle man die besonderen Eigenschaften der gerade neu auf dem Markt befindlichen Digitaltechnik einmal anhand eines Riesenchores demonstrieren. Auch im „Libera me“ intoniert van Dam wie ein Heldentenor, laut und leider auch relativ wenig differenziert. Plasson drosselt auch hier wieder das Tempo. In dieser Einspielung sind es weniger die Solisten, die aus der Masse herausragen, als vielmehr der Chor. Er wird durch die monumentale Dynamik fast zu einem Naturereignis.

Der Chor wird etwas zurückgesetzt, jedoch schön breit aufgefächert. Die sehr hallige Grunddisposition stellt zwar eine ausufernde Räumlichkeit her, verunklart aber auch die Strukturen. Kühle Farben dominieren.

 

 

 

4

André Cluytens

Victoria de los Angeles

Dietrich Fischer-Dieskau

Choers Elisabeth Brasseur, Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris

EMI

1962

8:03  9:07  3:12  3:13  6:43  5:17  3:44  39:19

Von André Cluytens existieren zwei Einspielungen. Dies ist die zweite, die der ersten von 1950 unbedingt vorzuziehen ist. Solisten, Chor und Orchester haben nun eine weit bessere Qualität, singen bzw. spielen erheblich präziser und intonationssicherer. Insgesamt klangvoller und viel differenzierter. An der tendenziell teilweise lastenden Temponahme und dem daraus folgenden weihevollen Charakter hat sich indes wenig geändert. Soprane und Tenöre stehen dieses Mal nicht wie so oft hinter- sondern nebeneinander, was das antiphonische prinzipiell merklich fördert. Dietrich Fischer-Dieskau gestaltet seinen Part schlank, stark differenziert und ausdrucksvoll. Es fehlt jedoch das stimmliche Gewicht des Kantors. Das langsame Tempo macht ihm keine Probleme. Der Orchesterpart gelingt lange nicht so ausdrucksvoll und differenziert wie bei Celibidache.

Das „Sanctus“, nun erheblich zügiger, runder, wärmer und sinnlicher wie 1950 stellt eine deutliche Aufwertung gegenüber 1950 dar. Die Harfe klingt nun deutlich und die Violinen schmeicheln wunderbar sanft.

Victoria de los Angeles macht ihrem Namen alle Ehre. Sie macht aus ihrem Solo keine große Show, sondern gestaltet innig und zurückhaltend. Vom Vibrato macht sie differenziert Gebrauch. Knabenhaft klingt sie nicht und auch nicht androgyn (was man den Engeln ja zubilligt bzw. andichtet), sondern sehr weiblich, garniert mit dem ganz leicht rauchigen Timbre, das allerdings auch einer „Carmen“ gut anstehen würde.

Im „Agnus Dei“ ist klanglich und chorisch gut gelungen, wird sogar mit besonderer Emphase gebracht, nur das Tempo gerät sehr breit. Sogar Celibidache war nicht so langsam.

Beim „Dies irae“ bleibt uns Cluytens ein echtes ff und ein gewisses Maß an Dramatik schuldig. Es wirkt bei ihm besonders sanft. Der Satz „In Paradisum“ mit einer präsenten, aber nicht herausfallenden Orgel, verschwindet am Ende sehr schön im Nichts. An dieser Einspielung stören eigentlich nur die mitunter allzu breiten Tempi. Der Klang wird nun viel besser aufgefächert und gestaffelt als 1950. Die weite Kirchenakustik bietet reichlich Nachhall, wird aber noch nicht schwammig. Die Kirchenorgel klingt bassmächtig.

 

 

 

4

Georges Prêtre

Francoise Pollet

Francois le Roux

Südfunk-Chor, Mitglieder des Chores der Stuttgarter Staatsoper, RSO Stuttgart des SWR

CD vom damals noch SDR genannten SWR

1997, Live

8:04  9:08  3:52  3:34  6:42  5:15  3:30  39:25

Die Aufnahme erfolgte anlässlich der Schwetzinger Festspiele, allerdings nicht in Schwetzingen, sondern im Dom zu Speyer. Georges Prêtre schlägt ähnlich langsame Tempi an wie André Cluytens. Die Chorvereinigung klingt sehr dynamisch, hat jedoch vor allem zu Beginn der Aufführung Präzisionsprobleme. Das groß besetzte Orchester klingt recht profiliert und differenziert. Die Akustik des Domes wird aber zum Problem, denn nur die teils lähmenden Tempi können die Aufführung von Überlagerungen durch Echos retten. Es ist zu vermuten, dass sich der Dirigent, der nicht gerade für schleppende Tempi bekannt ist (im Gegenteil) seine Tempi wegen dieser räumlichen Widrigkeiten so gewählt hat.

Das expressive Spiel der Streicher gefällt. Le Roux verfügt über einen eher leichten Bariton. Seine flehentliche, kontrastreiche Phrasierung wird leider durch ein Zuviel an Vibrato gestört. Im Chor klingen die Stimmgruppen recht ausgeglichen und mit viel Substanz; mit zunehmender Aufführungsdauer wird der Chor immer sicherer. Die Perfektion der Chöre aus München (BR) und Leipzig erreicht die Vereinigung der beiden Stuttgarter Chöre jedoch nicht. Es ist aber auch ein Live-Mitschnitt. Das Orchester klingt im „Sanctus“, noch bevor Roger Norrington Chef wurde, fantastisch weich und mit warmen Klangfarben.

Die Sopranistin Francoise Pollet wirkt opernhaft-outriert wie keine andere. Sie verfehlt die intime Wirkung ihres vornehmlich im p zu haltenden Vortrag komplett. Sie macht sogar aus dem pp ein ff und legt dazu noch ein fettes Permanent-Vibrato drauf. Es ist der einzige Vortrag, den wir als komplett unangemessen empfinden. Nicht zu Unrecht hat man die Sopranistin klanglich weiter nach hinten versetzt als Francois le Roux.

Im „Libers me“ hat sich der Chor schon so weit gesteigert, dass er mittlerweile schon fast so klingt wie die besten. Das „Dies irae“ klingt herrlich und mitreißend, allerdings kommt die Akustik hier mit dem langen Nachhall deutlich an ihre Grenzen. Auch im letzten Satz überzeugt der Chor vor allem mit der mitreißenden Dynamik.

Der Klang bewegt sich nah an der Überakustik. Nur durch das langsame Tempo gibt es keine Überlagerungen. Der Chor klingt sehr präsent und luftig. Der Gesamtklang ist transparent und mit leuchtendem Glanz versehen.

 

 

 

4

Ernest Ansermet

Suzanne Danco

Gérard Souzay

Union Chorale de Tour de Peilz, Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1955

6:56  9:04  3:10  3:05  5:10  5:16  3:58  36:39

CD und LP  Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Der Chor, es ist eine Vereinigung verschiedener Chöre vom Genfer See, ist der größte Nachteil dieser Produktion. Die liebevolle Detailarbeit, die Ansermet hörbar in die Orchesterarbeit investierte, fiel allem Anschein nach beim Chor auf keinen fruchtbaren Boden. Dabei wäre der Klang, es dürfte eine der ersten Aufnahmen mit Chor und Orchester in Stereo überhaupt sein, bereit für eine frühe Referenzaufnahme gewesen. Vielleicht klappte das sogar, denn die damals vorliegenden Einspielungen waren chorisch kaum besser. Heute sieht die Einschätzung jedoch anders aus, viele Chöre sind längst an diesem Niveau vorbeigezogen.

Doch fangen wir von vorne an. Da bemerkt man sogleich, dass der Chor nicht zwischen pp und ppp zu unterscheiden vermag. Das gleiche Spiel wiederholt sich bei f und ff. Soprane und Tenöre, die höheren Stimmlagen bestimmen das Gesamtniveau meist am deutlichsten, sind wenig homogen. Die Soprane haben eine unangenehme Patina, besonders in der Höhe. An dynamischen Fähigkeiten mangelt es hingegen nicht, denn der Chor ist reichlich besetzt. Allerdings legen sich die Damen mehr ins Zeug als die Herren, sodass man vielleicht auch annehmen darf, dass die Damen zahlenmäßig (weit) überlegen sind. Der tiefe Bass der Orgel wurde bereits 1955 von den Decca-Ingenieuren tief und kräftig aufgezeichnet. Ansermet hat auch ein besonders aufmerksames Gespür für sie und lässt sie prominent ins Hörbild kommen.

Das Orchester wirkt ungleich differenzierter, aufmerksamer und mit mehr Feinschliff versehen als der Chor.

Dem Bariton Gerard Souzay merkt man den Liedsänger an. Er intoniert seine Soli sehr gefühlvoll, enorm differenziert und zurückhaltend. Aber auch er nutzt für heutige Hörgewohnheiten relativ viel Vibrato. Wie sich die Geschmäcker ändern!

Auch im „Sanctus“ schießen die Soprane und Tenöre über das Ziel hinaus. Der dynamische Ambitus ist immer wieder beachtlich, es scheint, dass die Emphase mit der die Sänger zu Werke gehen, eine gemeinsame sorgsame Austarierung des Klangs eher torpediert als beflügelt. Die chorisch besetzten Violinen fallen übrigens nicht nur bei Ansermet viel weniger ins Gewicht als die Solovioline in der Fassung von 1893.

Im „Pie Jesu“ kommt Suzanne Danco an die Leistung von Gerard Souzay nicht heran. Sie singt vorne an der Rampe mit hoher Lautstärke, ihr Vibrato könnte man passagenweise schon fast als Tremolo bezeichnen. Das wirkt wenig lieblich und auch wenig innig und ziemlich opernhaft.

Im „Agnus Die“, das bei Ansermet zügig und dramatisch klingt, sind die Tenöre die schwächste Stimmgruppe.

Im „Libera me“ gefällt Souzay noch besser als zuvor, denn er kommt nun sehr groß und sozusagen klangmächtig ins Bild, anscheinend wurde seine Position vor den Decca-Mikros etwas verändert. Den Kantor nimmt man ihm jetzt sofort ab.

Bei „In Paradisum“ hätte man den Sopranen gerne eine Sordine verordnet, wenn es eine gäbe, sie tragen ihr p viel zu dick auf. Wie es richtig geht, das machen die Streicher des Orchesters mustergültig vor. Fauré wird bei Ansermet zu einer ziemlich heterogenen Klang-Kost. Er, Souzay und das Orchester hätten eine viel bessere Einordnung verdient. Der Chor kann dieses Niveau leider nicht halten und zieht die Gesamtwertung hinab.

Der Unterschied von LP zur CD ist bei dieser Decca-Produktion noch größer als bei der Eterna-Einspielung von Colin Davis. Die alte LP klingt viel plastischer und räumlicher als die CD (allerdings lag uns zum Vergleich nur eine Budget-CD vor, bei der auf ein Remastering verzichtet wurde). Der Chor ist in beiden Fällen präsent, das Orchester hervorragend (von der LP noch besser) aufgelichtet. Sogar die Tiefenstaffelung ist gut, die LP klingt völlig unverfärbt, sehr farbig, hell und freundlich und sogar schon voluminös. Es liegt hier eine hervorragende Leistung der Decca-Techniker aus der Steinzeit der Stereophonie vor. Sogar das Rauschen ist minimal.

 

 

 

4

Michel Corboz

Magali Dami

Peter Harvey

Ensemble Vocal et Instrumental de Lausanne

Erato, Fnac

1992

7:10  6:41  3:46  3:15  5:44  3:09  3:53  33:38

Mit Michel Corboz als Leiter gibt es (mindestens) drei Einspielungen des Requiems von Gabriel Fauré. Die erste entstand ebenfalls für Erato in den späten 70er Jahren mit dem Sinfonie-Orchester Bern, die zweite liegt hier vor und für die dritte wandte er sich der Fassung von 1893 zu. Sie entstand 2006 ebenfalls mit dem Chor aus Lausanne, jedoch mit der Sinfonia Varsovia als Orchester für das Label Mirare.

Der Chor kann ein substanzreiches echtes p singen ohne ins Säuseln zu geraten. Dabei scheint er noch nicht einmal so groß besetzt zu sein. Der Text wird auf Latein gesungen und lateinisch ausgesprochen. Er verbreitet keinerlei Lästigkeiten, alle Stimmgruppen sind recht homogen und intonationssicher. Chor und Orchester kommen sich nicht in die Quere, da der Chor weit genug nach hinten abgerückt ist. Die Tempi wirken langsamer als sie sind, die Dynamik wirkt sehr wenig ausgereizt. Das ganze Werk wirkt leise und sanft. Etwas mehr Saft und Kraft hätten bisweilen nicht geschadet. Die Verwendung der Orgel erscheint halbherzig, mal spielt sie mit, mal nicht.

Die chorischen „Violinsoli“ im „Sanctus“ werden ausgeführt, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Dadurch fehlt eine gewisse sinnliche Verführungskraft. Der Satz erscheint karger als nötig. Die Hörner könnten mehr Biss vertragen, f und ff sind nun mal kein mf. Bereits das Bariton-Solo erschien uns betont leisetreterisch. Dieser Gestus setzt sich auch in den anderen Sätzen fort.

Das „Pie Jesu“ erklingt bei Magali Dami glockenklar, aber auch mit wenig innerer Bewegung. Ihre Stimme wird instrumental geführt, das Vibrato sehr gut eingeschränkt. Allerdings wirkt der Vortrag weniger künstlerisch ausgeformt als etwa bei Sandrine Piau. Andächtig und brav kommt sie im Gestus einem Knabensopran recht nahe.

Im letzten Satz „In Paradisum“ gefallen die weichen, sanften Soprane mit großer Klangfülle.

Der Klang der Aufnahme versetzt den Chor weiter nach hinten als das bei Kammerchören üblich ist. Dennoch klingt er nicht „von ungefähr“. Das Orchester agiert deutlich davor. Der Gesamteindruck ist weich und transparent. Die technisch mögliche Dynamik bleibt weitgehend ungenutzt.

 

 

 

4

Jean Fournet

Pièrette Alarie

Camille Maurane

Choer Elisbeth Brasseur,

Orchestre Lamoureux, Paris

Philips

1954

6:53  8:42  2:56  3:46  5:38  5:14  3:27  36:36

LP  MONO  Der Pariser Chor hat in der ersten Einspielung Fournets seinen ersten Auftritt, er wird sechs Jahre später in André Cluytens zweiter Einspielung nochmals zu Schallplattenehren kommen. 1954 war er noch deutlich weniger homogen und auch noch nicht so präzise. Aber der Gesang ist geprägt vom Herzblut, das die Sänger unter Fournets Leitung investieren. Diese sagenhaften Crescendi hört man nur auf ganz wenigen Aufnahmen. Auch das Orchester klingt leidenschaftlich, aber auch differenziert. Leider klingen, wie so oft bei den Aufnahmen aus den 50igern, die Frauenstimmen sehr hell und besonders wenn sie alleine singen etwas unstet, gekünstelt und substanzarm. Bei Cluytens klingt es um ein erstaunliches Maß ausgewogenener und homogener.

Der Bariton Maurice Mauranes ist flexibel, tenoral gefärbt und klingt ein wenig metallisch. Er entgeht der Verführung aus seinem Part mehr machen zu wollen als in der einfachen Weise zu holen ist. Mit seiner zurückhaltenden Phrasierung und dem nur leichten Vibrato scheint er geradezu aus der Zukunft gefallen. Er vergisst nicht, dass er in einem Requiem singt und nicht in der Grand Opéra.

Das „Sanctus“ bringt nur wenig Klangzauber hervor.

Ähnlich kongenial wie Camille Maurane ist auch Pièrette Alarie besetzt. Ihr hier schlicht und einfach geführter und doch ausdrucksvoller Sopran wirkt mädchenhaft leicht, aber nicht soubrettenhaft, und dürfte mit ihrer glockenreinen, zurückhaltenden Art des Singens dem Ideal Faurés ziemlich dicht auf den Fersen sein. Für das „Pie Jesu“ dürfte sie die Idealbesetzung der 50er Jahre gewesen sein.

Im „Agnus Dei“ brechen freche, ja forsche ff-Aufschwünge jede langweilige Frömmelei auf. Vom Gestus her das Gegenteil der vorgenannten Einspielung mit Corboz.

Übrigens: Auch im „Libera me“ gefällt uns die eindrucksvoll-treffende, geschmackvolle Gestaltung Mauranes sehr gut. Verblüffend, dass wir seinen Namen zuvor noch nicht einmal kannten.

„In Paradisum“ erklingt leider mit einer piepsigen Orgel. Dennoch ist dies eine dramatisch geschärfte Darbietung mit hervorragenden Solisten, nur der Chor kann nicht restlos überzeugen.

Der Klang der LP ist präsent und durchaus noch transparent. Zudem sehr dynamisch, auch wenn ein echtes p oder gar pp auch technisch bedingt nicht zu vernehmen ist.

 

 

 

4

Louis Frémaux

Denis Tilliez, Treble

Bernard Kruysen, Bariton

Choral Philippe Caillard, Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Erato

1962

6:20  7:37  3:09  2:59  5:48  4:54  3:34  34:21

Ähnlich der vorgenannten Einspielung hängt sich vor allem der Chor mit aller Leidenschaft voll rein. Sehr dynamisch, dramatischer und viel zügiger als die Aufnahme von Cluytens aus demselben Jahr. Die Textverständlichkeit ist gut. Bernard Kruysen gefällt uns besser als 1975 in der Einspielung Fournets von 1975. Seine Stimme wirkt noch schlanker und leichter und was noch wichtiger ist er nutzt viel weniger Vibrato.

Im „Sanctus“ wirken die Soprane erneut 50iger Jahre gemäß extrem hell, irgendwie künstlich. Sie singen wie man es von „Püppchen“ erwarten würde. In seiner ersten Einspielung wählt Frémaux noch einen Knabensopran für das Solo im „Pie Jesu“, eine Entscheidung, die er 1977 in Birmingham zugunsten eines weiblichen Soprans traf. Wie man hört aus guten Gründen, denn der Junge ist den sängerischen Anforderungen (noch) nicht gewachsen. Mängel offenbaren vor allem Intonation, Höhenfestigkeit und das wackelnde p. Trotz des zügigen Tempos, das die Dirigenten immer schon vorbeugend wählen, wenn ein Knabe singt, zittert man mit, dass das zaghafte Stimmchen zu einem guten Ende kommt.

Auch im „Libera me“ gefällt Kruysen besser als 1975 bei Fournet, Sein warm klingender Bariton erhält jetzt zwar etwas mehr Vibrato als im „Offertoire“, aber er wird erfolgreich vor dem Tremolieren bewahrt.

Dies Einspielung rauscht ganz deutlich. Die Kirchenakustik klingt erstaunlich präsent und wenig hallig, ist aber deutlich schlechter gestaffelt als in Fournets 1975er Jahrgang, Der Gesamtklang ist angenehm weich, jedoch wenig brillant und nicht ganz frei. Nachteilig ist das scheinbare übereinander klingen von Chor und Orchester. Ein vorne und hinten, wie beim optischen Eindruck ist also keinesfalls selbstverständlich.

 

 

 

4

Philip Ledger

Arléen Auger

Benjamin Luxon

Choir of King´s College, Cambridge, English Chamber Orchestra

EMI

1982

5:31  8:12  2:48  3:06  5:20  4:14  3:09  32:20

Der Chor des King´s College hat fast ein Abonnement für regelmäßige Aufnahmen des Fauré-Requiems. Während er in unserem Vergleich auf vier Produktionen kommt, muss sich der Konkurrenz-Chor des St. John´s College (ebenfalls aus Cambridge) mit einer Einspielung begnügen. Aber nicht die Masse macht´s, sondern die Qualität, aber auch da sehen wir das King´s College vorne. Welche Stadt kann sich außer Cambridge rühmen so einen Wettbewerb austragen zu können?

Der Chor singt auch dieses Mal homogener als die Konkurrenz bei George Guest. Und auch zügiger. Die überaus engagierten Knaben-Soprane stechen jedoch immer mal wieder arg aus dem Gesamtklang heraus. Dass das nicht in der Natur der Sache liegen muss, macht die neueste Aufnahme mit dem Chor von Stephan Cleobury von 2014 deutlich.

Benjamin Luxon war auch bei George Guest mit von der Partie, er wiederholt seinen guten Vortrag. Inzwischen ist sein Vibrato jedoch etwas breiter geworden. Von der EMI-Technik wird er nicht mehr so weit an die Rampe gestellt wie 1975 von Decca. Im „Libera me“ wirkt er nun stimmlich nicht mehr ganz so frisch.

Arléen Auger haben wir einen wohltuend introvertierten weichen Vortrag mit vibratoreduzierter Stimme zu verdanken. Ein Unterschied bei „In Paradisum“: Bei Ledger spielt die Orgel wirklich keck nebenher, während sie bei Guest nur ein klein wenig durchschimmern durfte. Beides ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Klanglich tönt es bei der 82er EMI erheblich halliger als 1975 bei Decca und auch weniger transparent. Die Orgel ist extrem weit entfernt hörbar.

 

 

 

4

Sir David Willcocks

Robin Chilcott, Treble

John Caroll Chase, Bariton

Choir of King´s College, Cambridge, New Philharmonia Orchestra, London

EMI

1967

6:10  8:06  3:23  4:00  5:25  4:21  3:40  35:05

LP  Dies sollte die erste Einspielung des Werkes auf britischem Boden gewesen sein. Zahlreiche weitere sollten folgen. Die britischen Chöre sind eigentlich die Aktivposten für die Diskographie des Werkes. Das mag daran liegen, dass es auf den Inseln eine lange Tradition der Boy-Choirs gibt, die nun einmal die Originalbesetzung für das Fauré-Requiem sind. Frauen durften zur Zeit der Komposition im katholischen Kirchenchor noch nicht mitwirken.

Zur Ersteinspielung konnte man noch das größere New Philharmonia Orchestra aus London hinzuziehen, später mussten dann Kammerorchester ausreichen. Es spielte auch tatsächlich nicht in Kammerbesetzung, aber leider auch weniger akribisch in der Ausformung der Details. Den lebendig singenden Chor hält Sir David mit einiger Dynamik recht gut auf Linie. Der musikantische Zugriff ist bei ihm immer spürbar.

Der Bariton von John Carroll Chase klingt kernig und ausdrucksvoll. Die engagierte Phrasierung nutzt einen weiten dynamischen Ambitus. Auch der Chor singt mit Ausdruck, er ist wohl zu seiner Zeit die beste Alternative für eine Einspielung mit Knabenchor gewesen. Durch die große Besetzung klingt er etwas weicher, aber leider schießen die Jungs öfter mal Höhenraketen ab, die ein Leuchtfeuer nach sich ziehen. Das ist wirklich nicht jedermanns Sache.

Kommen wir nun zum Sopran-Solo im „Pie Jesu“. Der Knabe Robin Chilcott wirkt wie die fleischgewordene Unschuld, trifft seine Töne aber ganz gut, wie bei allen singenden Kindern muss man aber Abstriche im künstlerischen Ausdruck hinnehmen. Er singt aber unter seinesgleichen recht ausgewogen und ziemlich unangestrengt.

Im „Libera me“ steigert sich Chase noch etwas und bringt eine heldenhafte Färbung mit ein und diese Farbe steht dem Satz gar nicht einmal schlecht, denn opernhaft wirkt der Habitus nicht. Farbe bringen auch die guten Hörner ins Spiel, während der Chor mit lebendiger Diktion einigen Schwung mit einbringt.

Der Klang wird geprägt von einem raumfüllenden, körperhaften Chor, der 1982 schon an Volumen und Körperhaftigkeit eingebüßt hat. Die Staffelung überzeugt sowohl in der Breite, als auch in der Tiefe des Raumes. Insgesamt wirkt der Klang sehr plastisch.

 

 

 

 

3-4

Nadia Boulanger

Reri Grist

Donald Gramm

The Choral Art Society, New York Philharmonic Orchestra

Les Indisponsables de Diapason

1962, Live

6:49  8:14  3:11  4:28  5:47  5:13  3:33  34:04

MONO  In Nadia Boulangers zweiter uns bekannter Einspielung wurde ein Teil eines Konzertes live mitgeschnitten. Der technische Aufwand muss bescheiden gewesen sein, denn Störgeräusche und Rauschen sind enorm laut. Dennoch lässt sich erahnen wie transparent vor allem der Chor live geklungen haben muss. Seltsamer Weise steuert die Orgel einen satten, klaren Bass bei, während das Orchester nur ziemlich mulmig klingt.

Der Chor muss sehr üppig besetzt gewesen sein, denn sein Dynamikumfang nimmt sich, gerade auch gegenüber dem Orchester, mächtig aus. Die alte Vokalpolyphonie in den A-capella-Passagen wird plastisch und klar herausgearbeitet, was trotz der bescheidenen Mittel bestens herauszuhören ist. Von frömmelndem Weichzeichnen ist keine Spur zu finden. Donald Gramm nimmt man den Kantor gerne ab. Reri Grist (bekannt von Bernsteins New Yorker Einspielung von Mahlers 4.Sinfonie G-Dur) wirkt sehr nah mikrophoniert. Sie wirkt jugendlich, die Stimme leicht, aber etwas soubrettenhaft. Sie singt gut auf Linie, spart aber nicht an Vibrato.

Beim Chor sollte man die sich sehr angenehm (und dolce) anhörenden Tenöre besonders erwähnen. Das Blech der Philharmoniker wird sehr gut akzentuiert.

Im „Libera me“, Donald Gramms zweiten Auftritt zeigt ihn noch etwas stimmgewaltiger, seine Deklamation wirkt durchdringend, aber auch reichhaltig im Ton.  Er könnte sofort eine Kantorenstelle in der New Yorker Synagoge antreten. Sein Timbre wirkt beeindruckend.

Nadja Boulangers Aufnahme, es ist noch nicht einmal gesichert, dass sie autorisiert wurde, hat nichts pastellfarbenes oder klischeehaftes, sondern wirkt markant und weltzugewandt. Sanftmut kommt erst an untergeordneter Stelle. Klangtechnisch wird die Wirkung und der Hörergenuss leider stark eingeschränkt. Die ungefilterten Störgeräusche lassen an einen „Raubmitschnitt“ denken.

 

 

 

3-4

George Guest

Jonathan Bond, Treble

Benjamin Luxon, Bariton

St. John´s College Choir, Cambridge, Academy of St.-Martin-in-the-Fields

Decca

1975

5:54  8:49  3:32  3:30  6:01  5:22  3:38  36:46

Je kleiner der Chor besetzt ist, desto wichtiger wird die Qualität eines jeden einzelnen Mitwirkenden. Das könnte man jedenfalls nach Abhören dieser Einspielung meinen, denn der Chor des King´s College wirkt kleiner besetzt als z.B. bei David Willcocks. Der Chor besteht (selbstverständlich) erneut aus Knaben und jungen Männern. Die Stimmlagen für sich als auch der gesamte Chor wirken relativ inhomogen. Die Einsätze wirken wenig präzise. Die Academy scheint dieses Mal mehr einer Pflichtaufgabe nachzukommen, dennoch klingt sie in Relation besser, weil präziser, weich und recht körperhaft.

In diesem stimmlichen Umfeld erscheint der Bariton Benjamin Luxons wie ein Labsal. Dunkel, voll, weich strömend. Angesteckt von dieser Vorstellung gelingen auch dem Chor gegen Ende des „Offertoire“ wohlklingende, lichte Momente.

Im „Sanctus“, das eigentlich zügig und klangschön angestimmt wird, haben wir den Eindruck gewonnen, dass es ohne die Soprane besser klingen würde.

Der Knabensopran Jonathan Bonds wirkt schüchtern, fast verschämt. Wie Benjamin Luxon wird auch er dicht mikrophoniert, wodurch man auch seinen hauchigen Beiklang bemerkt und jede kleine Schwäche auf dem Silbertablett präsentiert bekommt. Mit einem etwas größeren, sozusagen respektvollerem Abstand wären sie besser zu kaschieren gewesen.

Auch im „Libera me“ wirkt Luxon wie Balsam für die Seele. Er gefällt besser wie in der Einspielung mit Philip Ledger sieben Jahre später. Auch der Chor wächst hier über sich hinaus. Bester Satz. Die Orgel bei „In Paradisum“ klingt sehr gut in den Gesamtklang integriert.

Der Decca-Klang wirkt präsent, der Chor transparent, das Orchester weich, recht filigran und plastisch.

 

 

 

3-4

Myung-Whun Chung

Cecilia Bartoli

Bryn Terfel

Coro e Orchestra dell´Academia di Santa Cecilia, Rom

DG

1997

8:13  8:41  3:00  3:42  6:09  4:49  3:20  37:52

Schon das völlig undifferenzierte und ziemlich unverständliche Gesäusel des Chores im pp lässt nichts Gutes vermuten. Das folgende ppp ist dann nur noch als Raunen zu vernehmen. Die dynamischen Vorschriften werden auf seltsame Weise beachtet bzw. missachtet, wie man es sehen will, wirken nämlich einerseits wie multipliziert (aus f wird fff) oder dividiert (aus p wird pp). Dies aber nicht unbedingt konsequent. Die Folge ist auch, dass der Spannungsverlauf, wenn man überhaupt davon schreiben darf, immer wieder abbricht. Wir fühlten uns an ein Kneipp-Aufguss-Verfahren erinnert: Kalt-warm, kalt-warm.

Auch der weitere Verlauf macht einen episodenhaften Eindruck. Das „Offertoire“ wird dynamisch auf extrem gebürstet. Der Text wäre ohne ihn mitzulesen weitgehend unverständlich. Man erhält den Eindruck, dass auch der Chorgesang wie Instrumentalmusik behandelt wird. Die Orgel findet kaum Beachtung. Bryn Terfel bringt stimmlich eigentlich alles mit, was sein kleiner Part erfordert, er bleibt aber erstaunlich blass.

Im „Sanctus“ wechseln sich wenig differenziertes Gesäusel mit fast brutalem Blech-Gewitter ab. Da freut man sich bereits auf das „Pie Jesu“ mit Cecilia Bartoli. Ihre Phrasierung kann man wohl nur als hochartifiziell bezeichnen, sie macht mehr als jede andere Sängerin aus dem kurzen Stück, überlastet damit aber auch die kleine unscheinbare Melodie. Ihre dynamische Bandbreite ist extrem, die Stimme selbst enorm farbig und auch strahlkräftig. Die Verwendung des Vibrato gelingt überaus flexibel. Ihr Vortrag wirkt wie ein tiefdunkler Rotwein mit reichlich Bouquet, einerseits faszinierend, andererseits wäre ein leichter Weißer sicher angebrachter in dieser Menu-Folge. Es sollte eigentlich einfacher klingen. Aber Mainstream ist das was sie macht nicht und es ist sehr interessant es einmal gehört zu haben, was ein Weltstar wie sie aus dem „Pie Jesu“ „machen“ kann. Es könnte gut sein, dass man das Requiem nur eingespielt hat, um Cecilia Bartoli einmal in einer anderen „Rolle“ zu produzieren. Sie war damals absolut „en vogue“.

Wie geht es weiter mit dieser Einspielung? Im „Agnus Dei“ findet das Säuseln kaum ein Ende, mit Ausnahme von zwei kräftigen Ausbrüchen. Dann geht es auch einmal stark espressivo zu, allein die Vermittlung dieser Extreme fehlt.

Im „Libera me“ scheint Bryn Terfel auch ohne Vermittlung zum Orchester dazustehen, isoliert, ohne Bindung, als ob er reingeschnitten worden wäre, was aber nur eine Vermutung ist. Beim „Dies irae“ ist Chung voll in seinem Element. Ein weiterer Hinweis, dass wir ihn viel lieber mit dem Verdi-Requiem gehört hätten. Im letzten Satz klingt ein ganz zarter Engelschor, der p-Gesang wurde ja das ganze Stück über sehr gut einstudiert. Hier entschwindet er fast schon in höhere Sphären. Ein Wolkenschleier trübt allerdings die freie Sicht. Womit wir schon zur Klangqualität kämen. Zunächst jedoch noch ein zusammenfassendes Wort: Zumal die Orgel (bis auf den letzten Satz) fast verschwunden ist, wirkt diese Interpretation fast durchgehend weltlich orientiert, seltsam uninspiriert und diesseitig. Der Eindruck von ziemlich gut gemachtem Kitsch drängt sich mitunter auf.

Klanglich wirkt der Chor zu weit im Hintergrund. Er wird auch wenig trennscharf abgebildet. Das Orchester wirkt teilweise wie heruntergedimmt. Ein Weichzeichner scheint sich drübergelegt zu haben. Insgesamt bleibt der Klang ziemlich blass. Manche ff klingen dann mächtig wie bei Bruckner. Insgesamt auch klangtechnisch eine seltsame Einspielung.

 

 

 

 

 

3

Nadia Boulanger

Gisèle Peyron

Doda Conrad

Ungenannte Chöre und ungenanntes Orchester

EMI

1948

6:39  7:56  2:57  4:03  5:20  4:48  3:15  34:58

MONO  Die Einspielung wurde für die CD von Schellackplatten übertragen. Der Chor macht zunächst einen recht homogenen und präzisen Eindruck. Wie bei Ihrer New Yorker Einspielung zügigen Schrittes und weder lastend noch schwermütig durchwandert Nadia Boulanger das „Kyrie“. Ihre Gangart wirkt musikalisch durchdacht, dynamisch und kontrastreich.

Der Chor lässt jedoch mit zunehmender Spieldauer in seiner Qualität nach, was schon alleine daran liegen könnte, dass nach jeder Plattenseite (maximal vier Minuten Dauer) eine Pause eingelegt werden musste, was sich auf die Konzentration nachteilig bemerkbar gemacht haben könnte. Beim ungenannten Chor fallen die etwas übereifrigen Tenöre aus dem Gesamtklang heraus. Doda Conrad ist in seinem Solo ein Musterbeispiel für eine sonore Bariton-Stimme, durchdringend wie nur wenige, steht bei ihm, vor allem in „Libera me“ das Deklamatorische im Vordergrund. Cantabilität ist ihm deutlich weniger wichtig. Ein Vortrag, den man so schnell nicht vergisst.

Leider kann man das auch von Gisèle Peyrons Sopran-Solo sagen, nun aber eher im negativen Sinne, denn sie legt los wie eine Walküre. Schon beim p wackeln die Wände und ihr Vibrato kennt kaum eine Grenze.  Nur ganz am Ende bleibt das notierte pp kein frommer Wunsch. Dem „Dies irae“ verleiht Boulanger ordentlich „Schmackes“. Im letzten Satz werden die Soprane zunehmend schriller, je höher sie singen müssen. So stellen wir uns einen Engelsgesang „In Paradisum“ eigentlich nicht vor. Die expressive Lesart der Schülerin Faurés ist für heutige Ohren nur noch von dokumentarischem Wert, darin allerdings unverzichtbar. Für „höhenempfindliche“ Ohren ist sie nicht mehr geeignet.

 

 

 

3

André Cluytens

Martha Angelici

Louis Noguera

Les Chanteurs et L´Orchestre de Saint-Eustache, Paris

Angel, EMI, Testament

1950

8:04  8:30  3:32  3:12  6:20  5:17  3:50  38:45

MONO  Bei André Cluytens erster Einspielung betätigt kein geringerer als Maurice Duruflé die Orgeltasten und Pedale. Obwohl der Chor einen sehr extrovertierten Eindruck macht und sehr dynamisch klingt wirkt das „Introit“ düster. Die Phrasierung wirkt etwas schwerfällig und wenig elegant. Feinarbeit unterbleibt weitgehend. Das „Kyrie“ wirkt gramgebeugt. Insgesamt stellen wir hier trotz der dynamischen Schwerstarbeit ein vorsichtiges, oder eher verzagtes Voranschreiten fest. Auch im „Offertoire“. Die Orgel kommt ziemlich selbstbewusst ins Bild, kann das schwere und lastend wirkende Erscheinungsbild aber nicht konterkarieren. Auch das „Sanctus“ bietet wenig Leichtigkeit, voller Erdenschwere intonieren besonders die Soprane inbrüstig aber in der Intonation problematisch. Martha Angelici kommt, obwohl auch sie raumfüllend abgebildet wird, besser weg als Gisèle Peyron in der Aufnahme mit Nadia Boulanger. Ihr Vibrato hält sich in Grenzen und trotz hoher Lautstärke ist ihr Gesang lyrisch ausgerichtet.

Im „Agnus Dei“ wirkt der Chor buchstabierend, wie immer sehr dynamisch, aber es fehlt sowohl die große Linie wie auch die detailreiche Ausgestaltung.

Louis Noguera hat reichlich „Metall“ in seiner Stimme, aber seine Gestaltung wirkt wenig flexibel. Der 50er Jahrgang ist von der Qualität her kaum mit Cluytens´ Remake von 1962 vergleichbar. Es fällt schwer, diese Aufnahme an einem Stück durchzuhören.

Die Einspielung wird nur durch ein leichtes Rauschen beeinträchtigt. Chor und Orchester wirken sehr nah und präsent. Ein echtes p gibt es nicht. Aus klanglicher Sicht ist diese Einspielung leichter zu goutieren als die von Boulanger.

 

 

 

3

Louis Martini

Jocelyne Chamonin

George Abdoum

Chorale des Jeunesses de France, Orchestre des Concerts Colonne, Paris

Turnabout

1963

7:10  9:42  3:03  3:04  5:49  4:53  3:35  37:15

LP  Der Vortrag von Chor und Orchester ist kaum kontrastreich zu nennen. Die Soprane wirken wenig homogen, die hellen Frauenstimmen überwiegen im Gesamtklang. Das Orchester ist kaum strukturiert wahrzunehmen. Sehr zurückhaltend, gleichförmig und letztlich langweilig. Der Beitrag des Baritons im „Offertoire“ passt sich einerseits an, ragt aber auch aus seiner vokalen Umgebung heraus. Er vermag aus der Zurückhaltung eine gewisse Innigkeit zu destillieren. Er ist jeder extrovertierten Regung abhold. Die Darbietung wäre insgesamt zu loben, wenn der begleitende Orchestersatz transparenter und deutlicher ausgefallen wäre.

Frau Chamonin klingt vom Hintergrund aus. Vielleicht singt sie, um dieses Manko zu kompensieren, sehr angestrengt und laut. Sie kann aber nichts daran ändern, dass ihre Stimme sehr klein abgebildet wird. Gegenüber einer Kathleen Battle und vielen anderen fehlt ihrer Stimme die Süße und Weichheit.

Im „Libera me“ buchstabiert Herr Abdoum seinen Part ein wenig durch. Er ist aber erneut als der Aktivposten dieser Einspielung zu bezeichnen. Leider ist er hier nur leise zu hören, wirkt fast wie weggewischt.

Insgesamt leidet diese Einspielung vor allem an technischen Mängeln (Aufnahmequalität, Pressung) Auch der Chor weiß wenig zu überzeugen. Alles in allem wirkt sie blass, lahm und sehr wenig anziehend.

Klanglich bringt der lange Nachhall wenig Räumlichkeit. Der Chor wirkt entfernt. Insgesamt ist die Transparenz mangelhaft. Der Klang ist linkslastig, stumpf und dünn. Von einem Stereopanorama kann keine Rede sein. Die schlechte Pressung generiert Verzerrungen und viele Störgeräusche.

 

 

 

28.9.2022 fertiggestellt

 

 

Wir danken Herrn Jörg Staub für die Digitalisierung und das Verfügbarmachen vieler LPs. Ohne diese Fleißarbeit wäre dieser Vergleich deutlich ärmer ausgefallen.