Édouard Lalo

Symphonie Espagnole d-Moll op. 21

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Einführung in das Werk:

 

Édouard Lalo, als Sohn einer im 16. Jahrhundert aus Spanien nach Frankreich eingewanderten Offiziersfamilie am 27. Januar 1823 (übrigens am gleichen Tag wie Mozart) geboren, zeigte schon früh Interesse an der Musik, so dass er 1833 in das Konservatorium seiner Heimatstadt Lille eintrat, um dort Violin-, Violoncello- und Kompositionsunterricht zu erhalten. 1839 zog er nach Paris, wo er bis 1847 am Konservatorium bei François-Antoine Habeneck Violine studierte. Außerdem nahm er Privatstunden in Komposition, bezeichnete sich allerdings später als kompositorischen Autodidakten.

In Paris zählte er den Maler Eugène Delacroix zu seinen Freunden und er spielte in Orchestern auch unter Hector Berlioz´ Leitung. Zu seinen frühesten Kompositionen gehören zwei Symphonien, die er offenbar beide wieder vernichtete. Vielleicht spürte er bereits, dass sein Hang zu Kammermusik führte, wie sie zuletzt Schubert, Mendelssohn und Schumann in Österreich und Deutschland hervorgebracht hatten. 1855 wurde er Gründungsmitglied des Armingaud-Quartetts und spielte zunächst Bratsche, später zweite Geige. Das Ensemble wurde eigens gegründet, um die Meisterwerke der deutschen Kammermusik in Frankreich bekannter zu machen, und erwies sich als einflussreich bei der Wiederherstellung des Ansehens der Kammermusik in den Pariser Kreisen. Während er sich unermüdlich für die Musik anderer einsetzt, war Lalo zunehmend frustriert über die Ablehnung seiner eigenen Werke. 1859 gründete er sein eigenes Quartett und gab ungefähr zur gleichen Zeit das Komponieren für fünf Jahre vollständig auf. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass es sich um eine vorübergehende Unterbrechung handelte, denn in seinen späteren Jahren produzierte er die meisten Stücke, die seinen Namen am Leben erhalten haben.

1865 heiratete er in zweiter Ehe die Altistin Julie Bernier de Maligny, was ihm weitere gesellschaftliche Kreise eröffnete. Etwa ab 1870 hatte Lalo als Komponist größeren Erfolg. Herausragen sein zweites Violinkonzert (von insgesamt vier), das er „Symphonie Espagnole“ nannte, und das 1877 komponierte Cellokonzert, das zu den bekanntesten und meistgespielten seiner Art zählt.

Lalo trat in die Société nationale de musique ein und knüpfte Kontakte zu bedeutenden Musikern wie Pablo de Sarasate. In den folgenden Jahren mehrte sich seine Anerkennung zunehmend, er wurde auch international stärker beachtet. Sein letzter und zugleich größter Erfolg (so meinen es mehrere Quellen) war die Uraufführung seiner Oper „Le roi d’Ys“ im Jahre 1888. Trotzdem wurde seine große Bedeutung teilweise erst Jahre nach seinem Tod deutlich. Populär wurde er jedoch auch in seinem Heimatland nicht.

Heute ist er fast ein One-Hit-Wonder-Komponist. Die „Symphonie Espagnole“ steht beim Publikum ganz weit oben in der Gunst, ein ganz ähnlicher Fall wie bei dem Violinkonzert Nr. 1 g-Moll von Max Bruch. Und gäbe es das bereits angesprochene Cellokonzert nicht und vielleicht die immerhin Raritätenstatus beanspruchenden Orchestersuite „Namouna“ und die Ouvertüre zur Oper „Le roi d´Ys“ nicht, so wären die Werke des Monsieur Lalo ein Fall ausschließlich für die musikwissenschaftlichen Spurensucher und Schatzgräber.

Lalo selbst sah seine musikalischen Wurzeln vorwiegend im deutschsprachigen Raum, vor allem bei Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Robert Schumann. Besonders in seinem traditionellen Formempfinden tritt diese Orientierung deutlich zutage. Doch lassen sich auch andere Einflüsse in seinem Schaffen feststellen. Etwa ab 1870 setzte er sich vermehrt mit der Volksmusik verschiedener Länder (Frankreich, Spanien, Skandinavien, Russland) auseinander, was seine Tonsprache besonders in harmonischer Hinsicht prägen sollte, einerseits durch die Verwendung von Kirchentonarten, andererseits durch die Aufnahme von vergleichsweise kühnen Wendungen. Allerdings dominiert das folkloristische Element nicht, sondern wird maßvoll eingesetzt. Weitere Charakteristika von Lalos Musiksprache sind die packende Dramatik vieler Werke, eine erstaunlich differenzierte Rhythmik, die häufig triolisch aufgebaut ist, sowie ein bemerkenswert vielschichtiges Gespür für unterschiedliche Klangfarben.

Lalos Musik stieß zu seinen Lebzeiten auf viel Unverständnis. In seiner Heimat wurde er als vermeintlicher Wagnerianer gemieden. Er wurde jedoch zu einem wichtigen Wegbereiter des Impressionismus und wurde etwa von Claude Debussy wegen der Farbigkeit seiner Werke und seiner progressiven Harmonik sehr geschätzt.

 

„Der 52-jährige Edouard Lalo ist aufgeregt. Heute Abend wird bei der "Société National" - einer Fördergesellschaft für neue französische Musik - seine "Symphonie Espagnole" uraufgeführt. Wird das Werk sein langersehnter Erfolg? Trotz seiner 52 Jahre und einer beachtlichen Anzahl von Kompositionen ist Edouard Lalo kein bekannter Komponist in Frankreich. Oft grübelt er, ob sein Vater vielleicht doch Recht hatte, als er seiner Berufswahl ablehnend gegenüberstand. Offizier sollte der junge Edouard werden, wie alle Männer in seiner Familie. Als der Sohn sich jedoch der Musik zuwandte und nach Paris zog, um am dortigen Konservatorium Geige und Komposition zu studieren, strich der Vater jegliche Unterstützung. Fortan musste sich Lalo seinen Lebensunterhalt als Geiger und Geigenlehrer verdienen. Mit seinen frühen Kompositionen, hauptsächlich Kammermusikwerken, hatte er wenig Erfolg. Erst in den 1870er Jahren gelang es ihm, als Komponist auf sich aufmerksam zu machen. Eine große Rolle spielte dabei die Bekanntschaft und jahrelange Freundschaft mit dem spanischen Geigenvirtuosen Pablo de Sarasate, für den Größen wie Max Bruch („Schottische Fantasie“) oder Camille Saint-Saëns Werke schrieben.“ Sarasate selbst legte übrigens das „de“, das dem deutschen „von“ entspricht und einen gewissen Adel in diesem Fall wohl nur suggeriert, ab. Nur zur groben Orientierung: Wir befinden uns zeitgeschichtlich bereits seit Jahrzehnten im Frankreich der Post-Revolution, da war der Adel für weite Teile der Bevölkerung längst suspekt oder obsolet. „1875 wurde Edouard Lalos Erstes Violinkonzert von Sarasate aufgeführt – Lalos erster nennenswerter Erfolg. Zwei Dinge wusste Lalo sofort: Das nächste Konzert würde er Sarasate widmen, seinem Glücksbringer. Und es würde "Symphonie Espagnole" heißen!“ (Zitate, nur wenig verändert, aus „Das Starke Stück“, Bayerischer Rundfunk)

Die Wahl der spanischen Thematik war bei Lalo keinesfalls zufällig. Erstens sollte das Stück von Sarasate gespielt werden, einem „echten“ Vollblut-Spanier. Sarasate hatte ihn auch zu den meisten Hispanismen in der Partitur inspiriert. Zweitens floss auch in Lalos Adern spanisches Blut. Seine Mutter, eine geborene Vacquez, konnte ihren Stammbaum über mehrere Generationen spanischer Offiziere zurückverfolgen. Auch äußerlich ähnelte Lalo einem stolzen kastilischen Edelmann: recht dunkle Haut, schwarze Augen und feine Gesichtszüge. Und drittens war Spanien in Frankreich damals "in". Frankreich befand sich im Spanien-Fieber. (Damals noch ganz ohne die Spanische Grippe, die zwar auch Fieber, aber eines das dem Temperament eher abträglich ist, verursachte.) Fast gleichzeitig mit der „Symphonie Espagnole“ wurde in Paris Bizets "Carmen" uraufgeführt.

Julia Smilga stellt das Werk zusammen mit dem Violinisten Vadim Repin in der beliebten und hörenswerten Sendereihe des Bayerischen Rundfunks „Das starke Stück“ vor, in dem der weltbekannte Geiger auch selbst zu Wort kommt (wir zitierten bereits daraus): „Der Titel "Symphonie Espagnole für Violine und Orchester" sagt alles über den Charakter des Werks und seine Form: Es ist eine höchst originelle Mischung aus Symphonie, Solokonzert und iberisch-folkloristischer Stimmung. Das Charakterstück ist, den außergewöhnlichen geigerischen Fähigkeiten des Widmungsträgers entsprechend, in höchstem Maß effektvoll und virtuos, wie Vadim Repin betont: "Es ist ein ungewöhnliches Konzert, weil es eigentlich eine Symphonie ist. Und diese besteht aus fünf Sätzen. Zwei davon heißen 'Intermezzo', das bedeutet Erholungspause. Der vierte Teil ist eine sehr emotionale Passacaglia. Es klingt wie ein Trauerzug, eine unglaublich tragische Musik und doch mit Elementen von Hoffnung. Gerade diese Stimmungsmischung berührt mich sehr."

Anmerkung von uns: Wir finden nur ein „Intermezzo“ in der „Symphonie Espagnole“. Herr Repin spielt in seiner uns vorliegenden grandiosen Einspielung auch nur eines. Verschiedentlich wird das „Scherzando“ aber auch in der Literatur als „Intermezzo“ bezeichnet, wahrscheinlich weil es ebenfalls völlig untypisch für ein Solokonzert in jener Zeit war. Die Satzfolge lautet nämlich:

  1. Allegro non troppo
  2. Scherzando: Allegro molto
  3. Intermezzo: Allegretto non troppo
  4. Andante
  5. Rondo: Allegro

Im Übrigen trifft der musikalische Gattungsbegriff „Suite“ vielleicht noch am besten darauf zu, was das symphonische Konzert oder die konzertante Symphonie auch noch sein könnte. Eine Suite mit einer stark dominierenden Solo-Violine allerdings und einem meistens begleitenden symphonischen Orchester.

Die Uraufführung der "Symphonie Espagnole" im Jahr 1875 war ein grandioser Erfolg. Die verwöhnten Pariser Zuhörer liebten sofort die frischen funkelnden Melodien. Dieses Werk wurde das erste prominente Beispiel für die Spanien-Begeisterung in Frankreich, deren Tradition sich fortsetzen sollte über Chabriers populäre Orchesterrhapsodie "España" bis zu Debussys "Iberia" und Ravels "Rhapsodie Espagnole".

In dem Programmheftchen der Deutschen Radio-Philharmonie zu einem Konzert im November 2022, bei dem auch die „Symphonie Espagnole“ (mit Leticia Moreno, unsere „Besprechnung“ ist im Vergleich nachzulesen) aufgeführt wurde, schreibt David Treffinger dazu: „Kritik rief allenfalls der Titel hervor. Lalo schrieb dazu an den Korrepetitor und Assistenten Sarasates Otto Goldschmidt: „Ich habe den Titel „Symphonie Espagnole“ mit Händen und Füßen verteidigt, zuerst, weil er meine Idee wiedergibt – d. h., eine Violine, die über der strengen Form der alten Symphonie steht – dann, weil der Titel nicht so banal war wie jene, die man mir vorgeschlagen hatte.“ Wie die meisten Werke der französischen Spanienbegeisterung verfügt auch Lalos „Symphonie Espagnole“ kaum über authentische spanische Elemente. Den pseudo-iberischen Duktus erreicht Lalo in erster Linie durch rhythmische Strukturen, die zwar für die spanische Volksmusik typisch, aber nicht zwingend auf diese beschränkt sind. Das eröffnende Allegro non troppo beginnt mit einem markanten Motiv aus Duolen und Triolen, aus dem heraus sich der gesamte Satz formt, immer wieder unterbrochen von einer innig-glutvollen Kantilene. Das Scherzando des zweiten Satzes wird von einem Seguidilla-Rhythmus dominiert, wobei Harfe und Pizzikato-Streicher die kraftvolle Violinmelodie gitarrenähnlich begleiten. Am spanischsten geriert sich das zentrale Intermezzo im Habanera-Rhythmus. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es bei Aufführungen zumeist gestrichen, unter der fälschlichen Annahme, Lalo hätte es erst nach der Uraufführung komponiert. (Ergänzung: Dabei war es bereits in der zuvor fertiggestellten Fassung mit Klavier enthalten!) Für französische Komponisten wie Fauré, Debussy und Dukas galt die hochemotionale, urwüchsig-kraftvolle und zugleich düster-theatrale Melodie des vierten Satzes als der Höhepunkt von Lalos kompositorischem Schaffen. Heiterer schließt sich daran das Rondo-Allegro des Finales mit seinen einleitenden Glockenklängen an. Auch hier erinnert die Musik an die rauschenden Volksfeste des Südens: ob in Spanien oder sonst wo.“

Und James M. Keller schreibt zu einem Programm des San Francisco Symphony Orchestra, das 2017 mit Joshua Bell (auch von ihm liegen uns zwei Darbietungen vor) stattgefunden hat: „Die Symphonie Espagnole ist nicht so strukturiert, wie man es von einem Konzert des 19. Jahrhunderts erwarten würde. Anstelle der üblichen drei oder vielleicht vier Sätze (was bereits die große Ausnahme in Brahms zweitem Klavierkonzert darstellt, Anm.) haben wir fünf, von denen jeder innerhalb einer Rufdistanz von sieben Minuten Länge liegt, mit Ausnahme des Scherzando, das etwas kürzer ist. Der erste Satz kündigt in seiner Orchestereinleitung grandiose Anmaßungen an und setzt diese abweisende Ader auch nach dem Einsatz der Geige fort, ungeachtet einer Passage luftiger, iberischer Romantik, die kurz durchgeht.

Nachdem Lalo sich im ersten Satz als „ernsthafter“ Komponist bewährt hat, scheint er sich damit zufrieden zu geben, für den Rest des Stücks auf einer leichteren Ebene zu arbeiten. Die restlichen Sätze (mit Ausnahme des Andantes, Anm.) sind einschmeichelnd und erinnern an den Stil der Violinkonzerte von Wieniawski oder Vieuxtemps. (Anmerkung: Generell liegt das Lalo-Konzert viel näher bei den Werken dieser Komponisten als an Brahms tatsächlich symphonisch durchdrungenen, kurze Zeit später entstandenen Violinkonzert) Rhythmen und melodische Wendungen, die wir in dem Stück mit Sicherheit als spanische „Gewürze“ wiedererkennen. Der zweite Satz ist eine Seguidilla (denken wir doch an die berühmte aus Bizets Carmen, die nur einen Monat nach der Symphonie Espagnole uraufgeführt wurde). Pizzicato-Streicher und Harfe verbringen einen Großteil ihrer Bewegung damit, eine Gitarre zu imitieren.

Das Intermezzo hat einen strengeren Ausdruck, obwohl die Melodie darin im Flamenco-Stil schwül und verführerisch ist. Wieder wandern die Gedanken zu Carmen, in diesem Fall zu ihrer berühmten Habanera.“

An sinnlicher Wirkung mangelt es dem Konzert tatsächlich nicht. Wir erwähnten bereits Lalos Leidenschaft für die Kammermusik von Mendelssohn und Schumann, neben anderen Komponisten. Das Andante weckt Erinnerungen weniger an ihre Kammermusik als an ihre symphonischen Werke – etwa die Einleitung von Mendelssohns Schottischer Symphonie oder an den langsamen Satz seines Violinkonzerts oder die düsteren Einleitungen von Schumanns Symphonie Nr. 4 oder seiner Symphonie Nr. 2.

Tschaikowskys Schüler Josef Kotek spielte Tschaikowsky das Stück im März 1878 in Clarens vor. Dies inspirierte Tschaikowsky nicht unwesentlich zu seinem Violinkonzert in D-Dur. (Robert Riggs: „The Violin“)

So ist es auch leicht zu hören, dass das Andante von Tschaikowskys Violinkonzert ein Nachkomme dieses Andante ist. Tschaikowsky schrieb über seine Begeisterung für die „Symphonie Espagnole“: „Sie hat viel Frische, Leichtigkeit durch pikante Rhythmen und von schönen und hervorragend harmonierten Melodien. . . Er [Lalo] strebt, ebenso wie Léo Delibes und Bizet, nicht nach Tiefgründigkeit, aber er vermeidet sorgfältig Routine, sucht nach neuen Formen und denkt mehr an musikalische Schönheit als an das Befolgen etablierter Traditionen, wie es die Deutschen tun.“ Danach füllt Lalos sehr berühmtes Finale den Geist von Iberia ein in ein entzückendes, schnelles Rondo voller bravouröser Figuration und mit einer druckvollen Synkopierung, die in sein Thema eingebaut ist.

1924 veröffentlichte der amerikanische, frankophile Komponist und Harvard-Professor Edward Burlingame Hill (zu dessen Schülern in Harvard Elliott Carter, Virgil Thomson, Randall Thompson und Leonard Bernstein gehörten) ein Buch mit dem Titel „Modern French Music“. Er äußerte sich unmissverständlich über seine Wertschätzung für Lalo: „Lalo brachte ein feuriges Temperament in die französische Musik. . . große rhythmische Vitalität, gepaart mit Präzision und Finesse, die Geschmeidigkeit und Klarheit des Ausdrucks, die zu den wesentlichen französischen Charakterzügen gehören, ein unüberwindbarer Hang zum Exotischen und eine starke Ader poetischer Phantasie.“

Die Diskographie des Werkes beginnt schon früh. Die erste Aufnahme datiert von 1919. Jascha Heifetz, selbst noch ein Teenager, nahm allerdings nur den 4. Satz auf. Mit einem gewissen Boris Pasternak am Dirigentenpult, der ein heute unbekanntes wahrscheinlich eigens für die Aufnahmesitzung zusammengestelltes Orchester leitete. Immerhin kann man daran schon die Wertschätzung des Stückes erkennen, die es damals erfuhr. Eine Menge anderer Stücke wären denkbar gewesen, um den äußerst knapp bemessenen Platz auf dem damaligen Speichermedium (eine Wachsrolle) auszufüllen. Einen wertvollen Hinweis, wie sich der Komponist selbst sein Werk klanggeworden vorgestellt haben mag, erhalten die interessierten Hörer:innen aber durch die Aufnahmen, die es vom Widmungsträger Pablo Sarasate selbst gibt. Ja tatsächlich, die gibt es. Er nahm allerdings bedauerlicherweise 1903 kein Stück aus der „Symphonie Espagnole“ auf, sondern kürzere Stücke von Bach und sich selbst, denn er war ja auch Komponist. Man vernimmt ein, wie Michael Stegemann in der Sendung „Interpretationen“ des Deutschlandradio Kultur meint, „unglaubliches Geigenspiel“ mit schlankem, manchmal gar leicht scharfem Ton und einem feinen Vibrato. Diese, wenn man so will „französisch-spanische Geigenschule“ hatte Lalo im Kopf. Dazu kontrastiert Heifetz allerdings nicht wenig.

Die erste Gesamtaufnahme stammt 1932 von Henry Merckel, der auch im Orchester des damaligen Plattenorchesters „Orchestre du Gramophone“ unter dem Plattendirigenten Piero Coppola mitwirkte. In diesem Fall begleitet ihn jedoch das Orchestre des Concerts Pasedeloup. Auch hier herrscht der leichte französische Ton mit einem schnellen Vibrato vor. Es folgt schon ein Jahr später die erste Aufnahme von Yehudi Menuhin, der gerade einmal 16 Jahre alt, das Werk mit seinem Lehrer Georges Enescu und dem Orchestre Symphonique de Paris einspielte. Geigerisch bereits damals ein anderes Kaliber als Merckel mit einem gemesseneren Vibrato.  Die russische Geigenschule (müsste sie nicht eigentlich wie die russische Klavierschule in ukrainische Geigenschule umbenannt werden?) bekommt mit Bronislav Huberman 1934 ihren ersten diskographischen Auftritt gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern unter George Szell. Ein weiterer Exponent der französischen Schule, Jacques Thibaut, nahm das Werk in dieser Zeit zwei Mal auf, keine der Einspielungen ist uns jedoch erhalten geblieben. Unter widrigen Umständen gibt es immerhin von 1941 eine Einspielung mit ihm aus dem neutralen Genf, wohin der unter Beobachtung der Besatzer und Aufnahmeverbot stehende Musiker heimlich „entkam“, um das Werk mit dem Orchestre de la Suisse Romande und Ernest Ansermet zu spielen. Ein Aufnahmegerät lief mit. Immerhin folgten in Friedenszeiten noch weitere Aufnahmen mit ihm (mit Zillig 1951 in Frankfurt im Studio oder mit Stokowski, Live), jedoch vielleicht bereits zu spät, um des französischen Meisters bestes Geigenspiel festzuhalten.

Nach dem Krieg und vor allem in den Fünfzigern nahm die Aufnahmetätigkeit rasant an Fahrt auf und die „Symphonie Espagnole“ war ein äußerst begehrtes Objekt der Begierde auch bei den Produzenten. Francescatti, Oistrach, Kogan, Milstein, Heifetz nun mit seiner ersten Gesamtaufnahme, Campoli, Szeryng, Stern und Grumiaux, Bronislav Gimpel, Misha Elman oder der rastlose Menuhin (1945, nun mit Monteux) bereits mit seiner zweiten drängten in die erste Reihe um ihre Musikalität und vor allem ihre Virtuosität zu zeigen. Kein Geiger von Welt wollte damals auf Lalos Werk verzichten. Manche nahmen es auch innerhalb kürzester Zeit für verschiedene Labels zweifach auf. Heifetz 1950 mit Süsskind für EMI und 1951 mit Steinberg für RCA, Francescatti 1946 mit Cluytens (Columbia) und 1955 mit Mitropoulos (CBS) oder Oistrach 1954 mit Martinon (EMI) und 1962 (so der Aufdruck), wahrscheinlich aber eher bereits 1947 mit Kondraschin, wobei dies dann natürlich seine erste gewesen wäre. In den folgenden Jahrzehnten beruhigte sich der Output an Aufnahmen zu einer mehr oder weniger normalen Frequenz. Nun nehmen die Geiger und Geigerinnen das Werk zumeist aber nicht immer am Beginn ihrer Aufnahmetätigkeit auf: Itzhak Perlman, Salvatore Accardo, Pinchas Zukerman, Anne-Sophie Mutter, Sarah Chang, Kyung Wha Chung, Shlomo Mintz, Maxim Vengerov, Vadim Repin oder Joshua Bell heißen nun die großen Namen der Zunft, um nur einige zu nennen. Und dann sind da noch die „Newcomer“ der letzten Jahre, wir sind nun bereits im 21. Jahrhundert, wie Lorenzo Gatto, Renaud Capucon oder Tianwa Yang. Der Hype ist jedoch vergangen, das Interesse am Werk ist nun vielleicht etwas tiefergehend geworden, verspricht es doch nicht mehr die ganz große Reputation oder die immensen Umsatzzahlen wie noch Jahrzehnte zuvor. Ob sich die Interpretationen dadurch verändert haben oder ob die großen Namen der Vergangenheit immer noch den besten Weg zum Werk weisen, wie so oft, auch das soll unser Vergleich zeigen.

Es sind insgesamt 66 Einspielungen in unserem Vergleich zu hören gewesen. Dass die Aufnahmequalität vor fast 100 Jahren nicht mit der heutigen mithalten kann, sollte niemanden überraschen. Dennoch gab es schon damals gute und weniger gut gelungene Aufnahmen. Wir kamen jedoch, da uns die „Geigentöne“ immer verschieden zu Ohren kamen, auch wenn wir ein und denselben Geiger hörten, nicht umhin uns auch einmal um das Spielgerät der Virtuos:innen zu kümmern. Jeder Spieler spielt zwar dieselben Noten aber immer etwas anders als der andere, aber auch jede Geige klingt etwas anders. Und schon befinden wir uns in der Welt der alten Violinen. Es scheint, als strebe jeder gute Geiger oder jede gute Geigerin nach einem Instrument von Stradivari oder Guarneri. Da gibt es zwar noch andere Top-Adressen: Bergonzi oder Guadagnini etwa, aber letztlich hört man fast immer, die Strads oder die Guarneris wären die besten. (Nebenbei: Blindvergleiche belehrten uns unterdessen, dass dies faktisch gar nicht so ist, Joshua Bell in der Fußgängerzone wurde weitgehend ignoriert, trotz seiner Millionen-Dollar-Stradivari. Und Geigen-Könige wie Zukerman oder Isaac Stern konnten die einzelnen Provenienzen im Blindtest gar nicht zweifelsfrei erkennen und folglich nicht unterscheiden, was aber faktisch gar nichts an der Wertschätzung geändert hat, auch am Preisschild der Geigen nicht).

Es gibt vielleicht noch ca. 600 Geigen von Stradivari, davon werden offiziell vielleicht noch 300 gelistet, immerhin 180 davon bei Wikipedia. Mithin ist jedes Instrument ein rares Gut, denn man darf davon ausgehen, dass es erheblich mehr Virtuos:innen gibt als Instrumente, zumal auch Sammler, die teils erheblich besser situiert sind als junge Instrumentalisten, diese Instrumente begehren und dann auch noch zahlreiche Museen und Banken hinzukommen, die sie als Ausstellungsobjekte für die Vitrine und oder vor allem als gute Wertanlage betrachten. Das treibt die Preise teilweise in schwindelerregende Höhen. Die teuerste, und das ist der Stand von 2018, soll bei einer Auktion 16 oder 18 Millionen Dollar oder Euro gekostet haben. Wer kann sich solche Zahlen schon merken? Da ist es gut, dass einige Instrumente von den besitzenden Institutionen an die besten Spieler/innen verliehen werden. So hat auch der hörende Enthusiast etwas davon, in Konzerten oder durch die Einspielungen. Schockiert waren wir von den immer wieder gelisteten Bemerkungen, dass diese ihre teure „Leihware“ mitunter in Taxis und Zügen vergessen oder, noch schockierender, aus Einstimm- oder Umkleidezimmern geklaut werden. Mitunter sogar mehrmals. Teuer versichert sind sie zwar, aber der Verlust macht nicht nur traurig, das kann man sich lebhaft vorstellen. Auch der Wert des Spiels steht und fällt mit dem Instrument. Manche werden nach Jahren wiedergefunden, mache bleiben in einer geheimen Schatulle verschwunden und nutzen nur noch dem Dieb, dem Hehler oder dem verruchten Käufer, der sich dann vielleicht wie Paganini höchstselbst vorkommen mag.

Es ist interessant den Weg so mancher Geige über die Jahrzehnte hinweg zu verfolgen. Oft haben die Instrumente Namen bekommen, meist nach einem früheren Besitzer und/oder einem berühmten Geiger, der sie einmal gespielt hat. Pikanterweise werden sie auch manchmal umbenannt. Dann wird es schwierig, den Weg von einem Geiger zum anderen zu verfolgen. Wir haben uns zwar Mühe gemacht, ein wenig Licht ins Geheimnis der Tonerzeugung auf höchstem Niveau zu bringen, aber oft bleibt das Ergebnis doch nur rudimentär. Viel mehr Zeit wäre erforderlich gewesen, einschlägige Quellen zu suchen und zu befragen. Immerhin ist ein Anfang gemacht. Jeder, der „Lunte gerochen“ hat, kann die Erkenntnisse gerne vertiefen. Fest steht, dass ein herausragendes Instrument nur so gut klingt wie sein Spieler oder seine Spielerin es vermag zum Klingen zu bringen, aber auch umgekehrt ein(e) gute(r) Geiger:in von seinem bzw. ihrem Instrument irgendwo begrenzt wird, wenn es nicht zu ihm oder ihr optimal passt. Im besonderen Fall scheint eine gewisse Zuneigung zum Instrument das Spiel über das klangliche hinaus noch weiter zu befeuern oder zu beseelen (nach Aussagen der Betroffenen). Das geht natürlich noch weiter als bei den Pianist:innen, die Schwierigkeiten haben, ihren Flügel überall hin mitzunehmen. Manche machen aber genau das. Das muss dann schon echte Liebe sein…

 

zusammengestellt bis 30.4.2023

 

 

 

Edouard Lalo

 

 

 

Übersicht über die am Vergleich beteiligten Einspielungen:

 

 

Viersätzige Mono-Einspielungen. Es fehlt jeweils das „Intermezzo“.

 

5

Jascha Heifetz

William Steinberg

RCA Victor Symphony Orchestra

RCA, Documents, Naxos

1951

7:02  4:10  5:29  6:21  23:02

 

5

Zino Francescatti

Dmitri Mitropoulos

Philharmonic Symphony Orchestra of New York (heute: New York Philharmonic)

CBS-Sony, Biddulph

1954, Live

7:33  4:07  6:27  8:05  26:12

 

 

 

 

 

 

 

4-5

Arthur Grumiaux

Jean Fournet

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

Philips

1956

7:25  4:12  6:16  8:10  26:03

 

4-5

Nathan Milstein

Vladimir Golschmann

Saint Louis Symphony Orchestra

Capitol, EMI, Testament, BnF

1955

7:24  3:59  6:24  6:40  24:27

 

4-5

Zino Francescatti

André Cluytens

Le Grand Orchestre Columbia, Paris

Columbia, Lys, Music + Arts

1946

7:34  4:16  6:42  8:05  26:37

 

 

4

Nathan Milstein

André Cluytens

Orchestre National de l´ORTF, Paris

Claves

1955, Live

7:34  3:58  6:27  6:43  24:42

 

4

Ricardo Odnoposoff

Hans Müller-Kray

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

SWR-Music

1953

7:41  4:03  6:52  6:54  25:30

 

4

Misha Elman

Vladimir Golschmann

Orchester der Wiener Staatsoper in der Wiener Volksoper

Vanguard, Amadeo, Fontana, Hispavox

1959

8:00  4:35  7:25  7:25  27:25

 

4

Ricardo Odnoposoff

Walter Goehr

Utrechts Symphonie Orkest (wurde in den 80ern mit zwei weiteren Orchestern zum Nederlands Philharmonic Orchestra wegfusioniert)

Doremi, Intense Media, Milestones, BnF

1955

7:42  4:21  6:43  7:06  25:52

 

4

Bronislaw Huberman

George Szell

Wiener Philharmoniker

Warner

1934

7:09  3:40  5:55  7:37  24:21

 

4

Jacques Thibaut

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Mangora Classical Documents

1941, Live

7:46  4:33  7:20  8:09  27:48

 

 

2-3

Gerhard Taschner

Fritz Lehmann

Bamberger Symphoniker

Archipel

AD: ?

7:36 inkl. Radio-Ansage  4:10  6:19  1:44

 

 

Fünfsätzige Mono-Einspielungen:

 

 

5

Leonid Kogan

Charles Bruck

Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)

EMI

1955

7:36  4:06  6:04  6:46  8:03  32:35

 

5

Salvatore Accardo

Herbert Albert

Orchestre de l´Associacion des Concerts Pasdeloup, Paris

ARC, Saga, Vega, BnF

1962

7:27  4:30  6:16  6:37  8:16  33:06

 

 

4-5

David Oistrach

Jean Martinon

Philharmonia Orchestra London

EMI, Angel, Capitol

1954

8:24  4:38  6:04  7:31  8:38  35:35

 

4-5

David Oistrach

Kyrill Kondraschin

National Philharmonic Orchestra oder Sinfonieorchester der UdSSR

Period, Everest, Pickwick,

Melodija, BnF

1958 oder 1947

8:13  4:30  5:53  7:18  8:27  34:21

 

4-5

Yehudi Menuhin

Georges Enescu

Orchestre Symphonique de Paris

Naxos, Biddulph

1933

7:38  4:05  6:07  7:10  7:44  32:34

 

4-5

Alfredo Campoli

Eduard van Beinum

London Philharmonic Orchestra

Decca

1953

7:46  4:30  5:13  7:02  7:58  32:29

 

4-5

Bronislav Gimpel

Fritz Rieger

Münchner Philharmoniker

DG, Heliodor

1956

7:26  4:20  5:40  6:02  8:11  31:39

 

4-5

Henry Merckel

Piero Coppola

Orchestre des Concerts Pasdeloup, Paris

Disque Gramophone, EMI, Music+Arts, Opus Cura

1932

7:27  4:22  4:33  6:47  8:04  31:13

 

3-4

Yehudi Menuhin

Pierre Monteux

San Francisco Symphony Orchestra

RCA

1945

7:22  3:57  5:47  6:15  7:58  31:19

 

Stereo-Einspielungen, ausnahmslos fünfsätzig:

 

5*

Tianwa Yang

Darrell Ang

Orquesta Sinfonica de Barcelona i National de Catalunya

Naxos

2015

7:33  3:57  5:47  6:55  7:45  31:57

 

5*

Tianwa Yang

Manuel Lopez-Gomez

HR-Sinfonieorchester Frankfurt

HR-Live und Direkt-Übertragung, unveröffentlicht

2018

8:08  4:14  5:58  7:05  7:54  33:19

 

5*

Leonid Kogan

Kyrill Kondraschin

Philharmonia Orchestra London

EMI, Intense-Media, Documents

1959

7:16  3:59  5:40  6:10  7:34  30:39

 

5

Vadim Repin

Kent Nagano

London Symphony Orchestra

Erato

1998

7:38  4:00  5:48  7:07  7:49  32:22

 

5

Shlomo Mintz

Zubin Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

DG

1988

7:43  4:10  6:01  6:30  6:55  31:19

 

5

Letitia Moreno

Yi Chen Lin

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken - Kaiserslautern

SR-Live und Direkt-Übertragung, unveröffentlicht

2022

7:49  4:09  6:07  6:18  8:12  32:35

 

5

Pinchas Zukerman

Zubin Mehta

Los Angeles Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1977

7:43  4:35  6:10  6:43  6:56  31:47

 

5

Jean-Jacques Kantorow

Kees Bakels

Orquesta Ciudad de Granada

BIS

2007

7:10  3:57  6:14  5:55  7:44  31:00

 

5

Itzhak Perlman

Daniel Barenboim

Orchestre de Paris

DG

1980

7:50  4:05  6:11  7:00  8:00  33:06

 

5

Thomas Christian

Stefan Blunier

WDR Rundfunkorchester Köln (heute: WDR Funkhausorchester)

Sony

2002

7:28  4:08  6:12  6:13  8:05  32:06

 

5

Igor Oistrach

David Oistrach

Großes Sinfonieorchester des Rundfunks und Fernsehens der UdSSR, Moskau

Melodija

ca. 1963

7:36  4:08  5:55  6:24  8:11  32:14

 

5

Joshua Bell

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montreal

Decca

1988

7:32  4:23  6:16  6:42  7:58  32:51

 

5

Sarah Chang

Charles Dutoit

Concertgebouw Orchestra Amsterdam

EMI

1994, Live

7:47  4:01  5:57  6:05  7:47  31:37

 

5

Mark Kaplan

Lawrence Foster

Orquesta Sinfonica de Barcelona i National de Catalunya

Koch

2001

7:40  4:14  6:18  7:07  8:02  33:21

 

5

Ellinor D´Melon

Jamie Martin

RTE National Symphony Orchestra, Dublin

Rubicon

2023

8:27  4:19  6:32  6:13  8:28  33:59

 

5

Arthur Grumiaux

Manuel Rosenthal

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

Philips, Mangora Classical

1963

7:38  4:15  6:23  6:30  8:15  32:41

 

5

Maxim Vengerov

Antonio Pappano

Philharmonia Orchestra London

EMI

2003

7:56  4:12  6:02  7:36  8:18  34:04

 

 

4-5

Tianwa Yang

Ruben Gimeno

Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Koblenz

SWR, Live und direkt, unveröffentlicht

2017

7:51  4:06  5:56  6:41  7:56  32:30

 

4-5

Lorenzo Gatto

Jean-Jacques Kantorow

Orchestre Philharmonique Royal de Liège

Alpha Classics

2015

8:06  4:10  6:20  6:47 8:01 33:24

 

4-5

Alexandre de la Costa

Carlos Kalmar

Orquesta Sinfonica de la Radio Television Espanola, Madrid

Warner

2012

8:28  4:25  6:44  6:05  8:50  34:32

 

4-5

Aaron Rosand

Tibor Sköke

Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden

Vox

1957 oder 59

7:37  4:18  6:01  6:39  8:00  32:35

 

4-5

Henryk Szeryng

Walter Hendl

Chicago Symphony Orchestra

RCA

1959

7:42  4:10  6:14  7:30  8:22  33:58

 

4-5

Augustin Dumay

Michel Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1988

7:39  4:26  6:15  6:45  8:43  33:48

 

4-5

Christian Tetzlaff

Libor Pesek

Tschechische Philharmonie, Prag

Virgin

1994

7:30  4:07  5:55  6:24  7:45  31:41

 

4-5

Marat Bisengaliev

Johannes Wildner

Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks, Kattowitz

Naxos

1992

7:27  4:13  6:27  6:35  8:28  33:10

 

4-5

Joshua Bell

Charles Dutoit

Royal Philharmonic Orchestra London

Live-Aufnahme der BBC, gesendet vom ORF, unveröffentlicht

2017

7:52  4:33  6:46  7:00  8:05  34:16

 

4-5

Roland Dugareil

Alain Lombard

Orchestre National de Bordeaux-Aquitaine

1992

Forlane

7:44  4:16  6:38  6:54  8:03  33:35 

 

4-5

Kyung-Wha Chung

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

1981

Decca

7:36  4:20  6:10  7:08  8:09  33:23

 

4-5

Augustin Hadelich

Omer Meir Wellber

London Philharmonic Orchestra

LPO Live

2015

7:30  4:09  5:49  6:10  8:05  31:43

 

4-5

Renaud Capucon

Paavo Järvi

Orchestre de Paris

Erato

2014

7:40  4:13  6:30  6:09  7:53  32:25

 

4-5

Henryk Szeryng

Eduard van Remoortel

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Philips

1969

7:39  4:10  6:05  6:20  8:23  32:37

 

 

4

Itzhak Perlman

André Previn

London Symphony Orchestra

RCA

1966

7:34  4:07  5:58  6:43  7:53  32:15

 

4

Isaac Stern

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS-Praga

1956

7:52  4:21  6:27  6:40  7:12  32:32

 

4

Isaac Stern

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS-Sony

1967

7:55  4:21  6:27  6:42  7:12  32:37

 

4

Anne-Sophie Mutter

Seiji Ozawa

Orchestre National de France

EMI

1984

7:37  4:06  6:13  6:44 7:43  31:43

 

4

Ida Haendel

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie, Prag

Supraphon

1964

7:44  4:20  6:32  6:34  7:16  32:26

 

4

Yehudi Menuhin

Sir Eugene Goossens

Philharmonia Orchestra London

EMI

1959

7:40  4:05  6:08  6:52  8:10  32:55

 

4

Henryk Szeryng

Rolf Reinhard

Sinfonieorchester des SWF Baden Baden

SWR Klassik

1963

7:47  4:17  6:07  6:36  8:21  33:08

 

4

Anne Akiko Meyers

Jesus Lopez-Cobos

Royal Philharmonic Orchestra London

RCA

1992

7:42  4:10  6:15  6:50  6:55  31:52

 

4

Gérard Poulet

Vladimir Valek

Radio-Sinfonieorchester Prag

Praga

1994

8:01  4:14  6:10  6:45  8:20  33:30

 

4

Reanud Capucon

Alain Altinoglu

Wiener Symphoniker

ORF, Live, unveröffentlicht

2018

8:05  4:29  6:53  6:30  8:07  34:04

 

4

Mikhail Simonyan

Kristijan Järvi

MDR-Sinfonieorchester

MDR, Live, unveröffentlicht

2012

7:56  4:17  6:16  6:26  6:56  31:51

 

4

Ruggero Ricci

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1960

7:44  4:24  6:04  6:13  8:16  32:41

 

 

3-4

Yan Pascal Tortelier

Louis Frémaux

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

P 1976

7:43  4:17  6:16  6:50  8:33  33:39

 

3-4

Pierre Amoyal

Paul Paray

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Erato

1973

8:05  4:37  6:43  7:34  8:53  35:22

 

 

Vergleichende Rezensionen der gehörten Aufnahmen:

 

 

Viersätzige Mono-Einspielungen. Es fehlt jeweils das „Intermezzo“.

 

 

5

Jascha Heifetz

William Steinberg

RCA Victor Symphony Orchestra

RCA, Documents, Naxos

1951

7:02  4:10  5:29  6:21  23:02

Jascha Heifetz hatte das Stück bereits ein Jahr zuvor für EMI eigespielt, mit dem Philharmonia Orchestra und Walter Susskind als Dirigenten. Sie ist heute weit seltener anzutreffen, vielleicht auch, weil die RCA-Aufnahme als musikalischer, „näher dran an Spanien“ (Michael Stegemann im Deutschlandradio), differenzierter und fokussierter gilt. Heifetz besaß drei Violinen: Eine Carlo Tononi, eine von Antonio Stradivari und eine Guarneri del Gesù, die sein bevorzugtes Konzertinstrument war. Unter Geigern gilt diese Einspielung bis heute noch als die Referenz, wobei man jedoch bedenken sollte, dass auch Geiger nicht unbedingt alle verfügbaren Einspielungen kennen, denn das kostet sehr viel Zeit, die so manch ein Geiger oder eine Geigerin wahrscheinlich lieber zum Üben verwendet. Auch ein Itzhak Perlman sagte zu seinen Schülern: „Hör Dir das an!“ und meinte diese Aufnahme von Herrn Heifetz.

Ein Nachteil der Einspielung ist natürlich, dass das Intermezzo nicht gespielt wird. Zudem kommt auch der letzte Satz nicht ohne Kürzungen aus. Die 23 Minuten stellen auf diese Weise auch unter den viersätzigen Versionen den Rekordwert dar. Aber auch so ist Geschwindigkeit für den Geiger keine Hexerei.

Das Tempo im ersten Satz wird von Steinberg mit einem mächtigen, drängenden Drive versehen. Der Ton von Heifetz´ Violine ist voll und von weicher Geschmeidigkeit, das Vibrato intensiv aber nirgends aufdringlich, die Artikulation könnte nicht klarer sein. Trotz der Geschmeidigkeit kommt einem nie in den Sinn, dass auch nur eine Phrase geglättet wäre. Uns erschien die Darstellung ungemein ausdrucksvoll, wobei man sich im Klaren sein soll, dass „Heifetz immer Heifetz spielt, genau wie Oistrach immer Oistrach spielt“ (erneut ein Zitat von Herrn Stegemann in Deutschlandradio Kultur). Das meint, dass diese beiden Herren immer sofort erkennbar sind, egal welches Konzert sie gerade spielen. Ihr eigener Charaker ist sozusagen so übermächtig, dass er sich über den individuellen Charakter des Werkes legt. In diesem Fall scheinen sich die beiden Charaktere sehr gut zu entsprechen. Das Orchester hat ganz schön Biss, aber Hand aufs Herz, es spielt hinter Mister Heifetz sozusagen nur die zweite Geige. Ein ebenbürtiges Musizieren gelingen Mitropoulos und Francescatti in der nächsten Einspielung schon besser. Heifetz setzt hingegen den musikimmanenten stolzen Charakter Spaniens oder der Spanier, um einmal im Klischee zu verbleiben, im ersten so gut um, wie kaum ein anderer. Er unterscheidet sein dolce deutlich von seinem espressivo und überhaupt hört sich seine Technik nicht mehr nach Technik an, vielleicht darf man sie als transzendente Technik bezeichnen, obwohl das auch schon wieder ein Klischee streift, das man immer wieder hört oder liest, wenn es um diesen Geiger geht. So ist es nun mal.

Der zweite Satz klingt sehr lebendig und pointiert. Mit seiner hervorragenden Intonation kitzelt der Meistergeiger allerlei Nuancen aus seinem Part, die man sonst nicht so serviert bekommt. Der dritte Satz ist leider eine Fehlanzeige, der vierte fällt schon allein durch das ungemein straffe Tempo auf, keine Sentimentalitäten, keine düstere Tragik. Es kommt einem so vor, als sei dieser Interpret ein unerschütterlicher Optimist gewesen. Ganz anders als bei Menuhin, der diesen Satz wie ein Gebet erscheinen lässt, wirkt der Mittelteil bei Heifetz so, als würden die Sonnenstrahlen des Frühlings bereits mächtig und unaufhaltsam durch das leichte Gewölk des vorderen Teils des Satzes scheinen. Wie „Vogelgezwitscher nach einem langen Winter“, wie Antonia Morin in ihrer Besprechung der Aufnahme im BR dazu so treffend meinte. Heifetz bringt die Musik zum Abheben, sie wirkt wie spontan erfunden. Dazu passt es so gut, dass sein Ton so klingt wie die Reinheit der frischen Waldluft im frischen Grün des knospenden April. Dazu gesellt sich jedoch eine sagenhafte Bandbreite von Nuancen, klanglich, dynamisch, besonders auch im Vibrato. Insgesamt sehr intensiv, ja erregend.

Und schon sind wie beim letzten Satz, der sehr beschwingt, ja zumeist fröhlich auch als Kehraus dienen könnte. Es begeistert die Leichtigkeit der Tongebung, selbst bei den hanebüchensten Schwierigkeiten. Wenn man sich jedoch den Klang von Sarasates Geige in Erinnerung ruft, so meint man doch, es könnte noch etwas lockerer, frischer klingen. Und diese Geige hatte Lalo bei der Komposition ja im Sinn. Zu erwähnen bleibt noch, dass Herr Heifetz den Satz statt in den in der Partitur manifestierten 120 Beats pro Minute in schnittigen 108 absolviert. So als wolle er seinen „Mitbewerbern“ zeigen, wem die Krone gebührt oder wo der Hammer hängt. Bis 1951ist der Fall ziemlich klar, auch wenn es wie fast immer ein paar davon gibt. Kronen und Hämmer.

Der Klang der Aufnahme ist klar und deutlich. Die Violine steht im Rampenlicht, dem guten Orchester bleibt ein ehrenwerter zweiter Platz.

 

5

Zino Francescatti

Dmitri Mitropoulos

Philharmonic Symphony Orchestra of New York (heute: New York Philharmonic)

CBS-Sony, Biddulph

1954, Live

7:33  4:07  6:27  8:05  26:12

Monsieur Francescatti, er war nämlich Franzose, kein Italiener, wie sein Name vielleicht vermuten ließe, hatte die Symphonie Espagnole bereits 1946 mit André Cluytens eingespielt, eine für damalige Verhältnisse sehr gute Einspielung mit Referenzcharakter, der die spätere von 1954 jedoch die noch bessere Orchesterleistung mit mehr Biss und ein feurigeres Concertare voraushat. Zudem vermag Mitropoulos mehr Farben und einen drängenderen Gestus aus dem Orchester zu zaubern, das zudem plastischer klingt. Francescatti selbst klingt immer noch besonders leicht und beweglich, vielleicht sogar noch ausdrucksvoller und geschmeidiger als 1946, obwohl er den schwierigen Part jetzt live zu bändigen hatte. Sehr ausdrucksvoll mit einem warmen, menschlichen Unterton, ohne Übertreibungen und tonlich vielleicht noch eleganter als Heifetz gebührt vielleicht doch ihm die Krone? Wir wagen das nicht zu entscheiden. Für alle Fälle haben wir immer ein paar davon in unserer imaginären Vitrine bereitstehen.

Der zweite Satz wirkt capriziös und besonders tänzerisch, der vierte betört mit enorm ausdrucksstarkem Spiel, während das Orchester quasi zum verlängerten dramatisch zugespitzten Arm des Solisten wird. Im letzten zeigt sich der Geiger in Höchstform, wie „frisch geölt“ zeigt sich sein Spiel sehr virtuos, stilsicher und auch bei seiner Technik muss man aufpassen, dass einem der Mund nicht offen stehen bleibt vor Staunen. Dem von Sarasate vorgegebenen Ideal kommt er vielleicht am nächsten. Hinzu kommt die spannungsreiche „Korrespondenz“ zwischen dem Solisten und dem Orchester und der von Mitropoulos ausgereizte Orchesterpart, klanglich und vor allem auch rhythmisch.

Klanglich zeigt sich der 54er Jahrgang gegenüber dem bereits für seine Zeit erstaunlich gelungenen 46er deutlich verbessert. Weicher, plastischer und es sind auch keine Abspielgeräusche und kein Rauschen mehr zu hören, was auch für ein gelungenes Remastering spricht. Es ist nun auch mehr Klangfülle im Spiel.

Es ist bekannt, dass Francescatti seine Aufnahmen mit der berühmten „Hart“ von Stradivari einspielte. Das wird wohl auch in diesem Fall live so gewesen sein. Seitdem die Geige einen neuen Besitzer hat heißt sie übrigens: „Francescatti, Leslie, Hart“, drei ehemaliger Besitzer sind nun also die Namensgeber.

 

 

 

4-5

Arthur Grumiaux

Jean Fournet

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

Philips

1956

7:25  4:12  6:16  8:10  26:03

Auch von Arthur Grumiaux sind uns zwei Einspielungen bekannt. Es spielt zwei Mal das gleiche Orchester für das gleiche Label, lediglich der Dirigent wechselt, 1963 tritt Manuel Rosenthal an die Stelle von Jean Fournet. Wichtiger ist jedoch, dass sich der Geiger 1963 zur fünfsätzigen Fassung bekennt und diese auch einspielt, die viersätzige wäre in den 60ern auch nicht mehr konkurrenzfähig, die fünfsätzige ist zum Standard geworden. Zur zweiten Einspielung später mehr.

Übrigens war Monsieur Grumiaux Belgier und ebenso wie Yehudi Menuhin eine Zeit lang Schüler von Georges Enescu, der uns ja auch als Komponist bekannt ist. Aus dieser Zeit stammt auch die Freundschaft mit Menuhin. Mit David Oistrach verstand sich Grumiaux übrigens ebenfalls sehr gut. Er war Besitzer von einigen heute bekannten Violinen. Zumeist spielte er wohl auf der „Général Dupont“ von Stradivari. Das ist die Geige, mit der er Bachs Sonaten und Partiten eingespielt hat. Diese Aufnahme erlangte besondere Berühmtheit, da sie mit der Sonde „Voyager“ mit ins All geschickt wurde, in der Hoffnung, dass sich irgendwann einmal Außerirdische Bach zu Gemüte führen können. Sie hat mittlerweile unser Sonnensystem längst verlassen. Eine Antwort, ob Grumiauxs Bach gefallen hat, blieb bislang jedoch aus.

Die „Général Dupont“ wurde, bei dieser Gelegenheit kam sie wieder in die Tagespresse, Frank-Peter Zimmermann leihweise an die Hand gegeben, damit er den Verlust seiner geliebten „Lady Inchiquin“ verkraften konnte, die ihm abgenommen wurde, als die West LB Konkurs ging. Mittlerweile hat er seine große Liebe, die „irische Lady“ aus Verona jedoch wieder zurück, das Land Nordrhein-Westphalen hat sie wieder vom „Konkursverwalter“ zurückgekauft und an den Sohn des Landes zurückgegeben. Zimmermann beschrieb die „Général“ als appolinischer, eleganter und heller im Klang als die „Lady“, für die sein Herz dennoch höherschlägt. Doch nun zurück zu Arthur Grumiaux. Der besaß auch noch die kaum weniger berühmte Guarneri del Gesù „Rose“, die mittlerweile „Rose-Ex Grumiaux“ heißt.

Welches Instrument er auch verwendet hat, sein Ton wirkt geschmeidig und ausdrucksvoll, sein Spiel gemäßigt was Bogendruck und Vibrato anlangt. Er erreicht eine sehr schöne Balance zwischen spanisch oder „pseudospanisch“ hochfahrender Attitüde und dem klassizistisch makellosen Violinspiel, wie wir es von seinen berühmten Mozart-Konzert-Aufnahmen mit Colin Davis kennen.  Er spielt mit viel Empathie und zurückhaltender Musikalität, vollendeter Phrasierung, leicht und präzise. Tonlich passt sein Spiel unserer bescheidenen Meinung nach bestens zu dem Stück. Wenn schon nicht nach Francescatti, könnte es nach Grumiaux geklungen haben, wenn Sarasate das Werk aufgenommen hätte. Das Orchester kommt leider in keiner Weise an die New Yorker oder später an das LSO und auch nicht an das Kölner Rundfunkorchester unter Stefan Blunier heran, sodass der Einspielung die glatte 5 versagt bleibt. Im zweiten Satz erfreut das einnehmende gestisch-geistreiche Vibrato genauso wie das leichte und lockere, unforcierte Spiel allgemein.

Im vierten Satz wird sehr ausdrucksvoll musiziert, tonlich dem Ideal wohl sehr nahekommend. Die dolce-Passage klingt mit einer schönen Aufhellung wunderbar heraus. Der letzte Satz zeigt einen beschwingten Verlauf, während dem Orchester einige kleine Präzisionsprobleme eigen sind, die nun noch etwas stärker ins Gewicht fallen.

Trotz des Mono-Klangs kommt das Werk gut zur Geltung. Die Violine wird bestens hervorgehoben, was bei den meisten Mono-Aufnahmen ebenso auffällt. Das Orchester klingt leicht topfig und dumpf. Den Orchesterklang würde man, wenn die leuchtende und klare Violine nicht wäre, eher in die 40er Jahre „verorten“. Insgesamt erscheint uns das Remake aus den frühen Sechzigern noch gelungener, nicht nur weil da alle fünf Sätze gegeben werden.

 

4-5

Nathan Milstein

Vladimir Golschmann

Saint Louis Symphony Orchestra

Capitol, EMI, Testament, BnF

1955

7:24  3:59  6:24  6:40  24:27

Mister Milstein spielte das Stück bereits 1944/45 mit Eugene Ormandy und dem Philadelphia Orchestra ein. Er verfügte über vier berühmte Instrumente. Drei Stradivaris und eine Guarneri del Gesù. Letztere heißt denn auch 1727 „Milstein“. Auch eine seiner Stradivaris hat seinen Namen übernommen. Aus der ehemaligen „Goldman“ (wir erinnern uns an das Bankhaus „Goldman-Sachs“, der sammelte also nicht nur Geld, Immobilien und allerlei andere Werte, sondern auch Violinen) wurde „Milstein (Maria Theresia), Goldman“. Maria Theresia heißt sie, weil Milstein selbst ihr diesen Namen gab, nach seiner Frau bzw. dann auch nach seiner Tochter. Die „Reiffenberg“ hat sich übrigens später Dmitri Sitkovetsky gekauft. Es ist ziemlich selten, dass sich ein(e) Geiger(in), selbst eine der großen, die bestens im Geschäft sind, eine so teure Violine ersten Ranges selbst kaufen kann, was ja auch Frank-Peter Zimmermann so bedauerte. Den Verbleib der dritten Stradivari konnten wir nicht aufklären.

Als erstes fiel uns bei dieser Einspielung das Orchester auf. Es spielt außerordentlich rhythmisch, prononciert fast bis zur Schärfe hin und gemahnt an die New Yorker Philharmoniker mit Mitropoulos. Herr Milstein selbst, der übrigens gemeinsam mit seinem Landsmann und Freund Vladimir Horowitz aus der Ukraine in die USA emigriert ist, hat ein besonderes „Dolce“ in seiner „Violinstimme“. Die Phrasierung wirkt sehr elegant und geschmeidig. Sein Ton erklingt mit makelloser Schlackenlosigkeit. Die Linien sind gespannt und besonders gesanglich, das Legato besticht. Man kann fast sagen, er klingt wie Heifetz, ist aber nicht ganz so wie Heifetz. Das Stoische, an dem sich manch ein Musikfreund bei Heifetz stören könnte, geht Milsteins Spiel ab.

Der zweite Satz besticht mit der typischen, noblen Tongebung, wirkt aber trotzdem auch verspielt, ohne zirzensisch zu sein. Der Scherzo-Charakter wird hervorragend herausgearbeitet.

Der vierte Satz erklingt enorm ausdrucksvoll. Die Fülle des Klangs liegt in etwa zwischen dem dunklen und kräftigen Ton von Heifetz und Oistrach einerseits und dem schlankeren, etwas grazileren Francescattis. Die Intonation wirkt traumwandlerisch sicher. Schöner geht es wohl kaum noch. Auch hier erreicht das Orchester fast das Niveau der New Yorker.

Im fünften fällt es dann allerdings etwas ab, klingt etwas zurückhaltender und weniger brillant, dient dem Solisten jedoch mit reichlich Temperament und „Schmackes“, wo dies angebracht erscheint. Wir hören Herrn Milstein in diesem halsbrecherischen Satz ohne dabei ein einziges raues Tönchen zu vernehmen. Brillanz pur.

Aufnahmetechnisch ist die Violine fast wie bei den Mono-Einspielungen üblich, stark im Vordergrund. Nicht immer kann man das so genießen wie bei Nathan Milstein.  Wir hörten die Überspielung einer LP aus den Beständen der Bibliothèque National de France, auf der kaum Laufgeräusche zu hören sind. Sie ist weitgehend unverzerrt. Ab und an knackt es einmal. Ein Mastering vom Mutterband würde die Leistung Milsteins und des Orchesters jedoch bestimmt noch besser ins rechte Licht rücken.

 

4-5

Zino Francescatti

André Cluytens

Le Grand Orchestre Columbia, Paris

Columbia, Lys, Music + Arts

1946

7:34  4:16  6:42  8:05  26:37

Angesichts des Aufnahmedatums darf man fast von einem Wunder reden. Die Violine von Monsieur Francescatti klingt absolut unhistorisch und frisch. Sie wirkt schlank und recht hell, aber nie dünn und wirkt leicht und höchst virtuos geführt. Der Orchesterpart wirkt hier (chronoloisch gesehen) erstmals gleichberechtigt zur Solostimme, gut durchgearbeitet und mit Verve dargeboten. Das Orchester, es dürfte das Orchestre des Concerts du Conservatoire gewesen sein, denn in manch einer Ausgabe wird es so genannt, nicht aber auf der Erstausgabe fällt gegenüber den New Yorkers ab. Francescattis Geige passt auch hier bereits besser zu dem Stück als beispielsweise Oistrachs tiefschwarzer Ton, der kaum einmal die Sonne durchscheinen lässt. Bei Sibelius mag es vielleicht genau umgekehrt sein. Das ist aber unsere Meinung und da ist auch viel „Geschmackssache“ dabei. Francescatti gilt als einer der prominentesten Vertreter der französischen Geigenschule und somit als Nachfolger von Sarasate oder vielleicht auch Lalo selbst, von dem uns allerdings keine Aufnahmen bekannt sind. Das darf man zumindest annehmen.

Im zweiten Satz erfreut der schöne leuchtende Ton nicht nur in der Höhe (fast) mit der Selbstverständlichkleit und Mühelosigkeit eines Heifetz. Zino wirkt noch ein wenig „leichtfüßiger“. Der vierte Satz klingt ebenfalls sehr expressiv. Im Finale überspielt der Geiger das eine und andere p und auch die dynamischen Gegensätze hat er in New York weiter ausgereizt. Wir hören dieses Mal auch ein paar gequetschte Töne. Ansonsten blühen die Klanglandschaften üppig. Das Geigenspiel erfreut immer noch sehr, dominiert aber 1946 das Gesamtbild in diesem Satz deutlich mehr als 1954.

Die Aufnahme rauscht zeitgemäß, auch Rillengeräusche sind unüberhörbar. Das Orchester wird ziemlich transparent genau (und damit genauso zentral) hinter dem Solisten positioniert.

 

 

 

4

Nathan Milstein

André Cluytens

Orchestre National de l´ORTF, Paris

Claves

1955, Live

7:34  3:58  6:27  6:43  24:42

Dieser Konzert-Mitschnitt entstand in Montreux (Schweiz) und wurde von Radio Suisse Romande aufgezeichnet.  Die Aufnahme bringt die exquisite Tonqualität des Geigers, der übrigen wie Jascha Heifetz und Mischa Elman bei Leopold Auer in St. Petersburg studierte, nicht in voller Qualität zur Geltung. Mitunter klingt es verzerrt. Auffallend ist aber auch, dass sich Milstein selbst eher noch mehr ins Zeug legt als im Studio ein Jahr später. Das Violinspiel wirkt frei und ohne technische Grenzen. Musikalisch steht sie der amerikanischen nicht nach. Milstein lässt mitunter die Saiten seiner Geige richtig beben.

Klanglich wirkt das Orchester mulmiger, der Solist nicht so hervorgehoben wie in Saint Louis. Es sind keine Publikumsgeräusche zu hören. Ohne jede Expansion wirkt der Klang wie in einem Punkt konzentriert. Insgesamt wirkte sie auf uns wenig sinnlich, weswegen wir entschieden die Aufnahme aus Saint Louis vorziehen.

 

4

Ricardo Odnoposoff

Hans Müller-Kray

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

SWR-Music

1953

7:41  4:03  6:52  6:54  25:30

Von Ricardo Odnoposoff, dem aus Argentinien stammenden Geiger, liegen zwei Aufnahmen vor. Die zweite von 1955 ist heute noch in mehreren Editionen greifbar. Sie entstand mit Walter Goehr in den Niederlanden. Auch die Stuttgarter Einspielung ist eine Studio-Produktion, wurde bisher jedoch nur zu Sendezwecken genutzt. Erst vor kurzem wurde sie innerhalb einer kleinen Kiste aus Hartpappe vom SWR veröffentlicht. Odnoposoff war wie viele weltweit bekannte Geiger Schüler von Carl Flesch. Zu nennen wären etwa die im Vergleich vertretenen Henryk Szeryng, Ida Haendel und Bronislav Gimpel aber auch Ivry Gitlis, Aida Stucki, Szymon Goldberg, Max Rostal, Robert Brainin (Amadeus Quartett) oder Ginette Neveu. Am Ende seines Studiums stand er mit 17 gemeinsam mit den Philharmonikern in Berlin auf der Bühne. Erich Kleiber dirigierte. Oistrach sagte einmal über sein Geigenspiel: „Er spielt wunderbar.“ Odnoposoff spielte da gerade das Tschaikowsky-Konzert. Odnoposoff spielte zuerst als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, wurde dort aber, da ohne Arier-Nachweis, entlassen und musste nach Argentinien auswandern. Nach dem Krieg kam er zurück nach Wien. Er spielte auf einer Guarneri „Ex Ladenburger“ auf der zuvor bereits Paganini und nach Odnoposoff  Robert McDuffie spielten, derzeit ist sie in irgendeiner Sammlung verschwunden. Dazwischen befand sie sich 1942–1949 in der Göbbels-Stiftung, die eigentlich nur bis 1945 bestand. Die Stiftung nannte sich in der dunklen Zeit: „Künstlerdank“. Eine Violine, die wohl einiges zu erzählen hätte.

Das Orchester des damaligen Süddeutschen Rundfunks agiert rhythmisch weniger zugespitzt als musikalisch abgerundet und eher (nur) auf die große Linie bedacht. Es assistiert dem Solisten gefällig, setzt aber keine überwältigenden eigene Akzente. Der Solist verfügt über einen sonoren, runden Ton, der jedoch lange nicht so bratschenähnlich tief klingt wie bei David Oistrach oder Leonid Kogan. Das Geigenspiel ist sauber, rhythmisch deutlich akzentuierter als das Orchesterspiel und wird mit leuchtenden Spitzentönen versehen. Das Vibrato wirkt sehr schnell, aber geschmackvoll gezügelt.

Im zweiten Satz haben wir Teil am freudvollen Geigenspiel mit großer Leidenschaft und ohrenscheinlich viel Spaß an den herrlichen Höhepunkten der jeweiligen Phrasen. Odnoposoff spielt den Satz locker, fast schon zirzensisch, wenngleich er die Bodenhaftung nicht verliert. Immer das Südfunkorchester im Schlepptau.

Im vierten Satz nimmt das Orchester einen herben Zug an, während die Violine versucht zu beschwichtigen, teils umschmeichelnd, teils mit emphatischem Widerstand. Eine ziemlich resolute Gestaltung, stets präzise vorgetragen. Die Dolce-Episode wird mit viel Wärme vorgetragen, wird aber nicht wie bei Menuhin zur Traumsequenz. Ein einnehmendes, blühendes Geigenspiel mit recht viel Glanz.

Das Finale, ein freudiger Kehraus, zeigt keinen einzigen Fehlgriff des Geigers. Und das Orchester kommt endlich einmal ein bisschen aus der Reserve heraus. Odnoposoff dominiert jedoch zumeist das Geschehen, da hätte es vielleicht einen entschiedener eingreifenden Dirigenten als Widerpart gebraucht.

Die Aufnahme rauscht zeitbedingt ein wenig, wirkt bis auf die viel farbiger eingefangene Violine ziemlich grau aber schon recht transparent und sauber. Die dynamischen Abstufungen kommen gut heraus. Es ist keine Live-Aufnahme und wirkt auch ein wenig steril oder clean. Es gibt sie derzeit nur als Download oder im Streaming.

 

4

Misha Elman

Vladimir Golschmann

Orchester der Wiener Staatsoper in der Wiener Volksoper

Vanguard, Amadeo, Fontana, Hispavox

1959

8:00  4:35  7:25  7:25  27:25

Misha Elman kommt ursprünglich wie Jascha Heifetz oder Nathan Milstein aus der Ukraine. Auch er war Schüler von Leopold Auer (der übrigens auch Lehrer von Carl Flesch war). Joseph Joachim, der ihn bei seinem Berliner Debut hörte, erklärte damals, er sei sprachlos gewesen. Nun seitdem und dem Tag der Aufnahme ist viel Zeit vergangen, sodass der Geiger bereits, da Jahrgang 1891, 68 Jahre gewesen sein muss.

Er gibt dem ersten Satz jedenfalls etwas Rhapsodisches mit und was die Temponahme anlangt wirkt er ein wenig ruhiger und im Temperament gebändigter. Er übt auch weniger Druck auf die Saiten aus wie seine Landsleute (Oistrach, Milstein, Kogan oder Heifetz). Diese wirken durchaus jugendlicher. Es ergibt sich auch ein Kontrast zum Dirigenten, den wir bereits aus der Einspielung mit Milstein kennen. Golschmann geht auch hier temperamentvoll und ohne viel „Federlesens“ vor. Zur Gangart Milsteins passte das besser. Hier wäre etwas Anpassungsfähigkeit gefragt gewesen.

Im zweiten Satz gelingt Elmans Vortrag sehr lebendig und spielerisch, wenngleich er deutlicher und dadurch auffallender gliedert und so mach eine große Linie immer wieder durchbricht. Der Tonfall wirkt so jedoch der Sprache angenähert. Wo immer ein Vorteil, ist auch ein Verlust könnte man sagen.

Der Ton der Geige wirkt immer noch zumeist saftig, nur die schnellen Melismen (die der spanischen Musik eigenen Verzierungen arabischer Provenienz) wirken mitunter etwas dünner. Anders als bei den anderen Vertretern der „russischen“ Schule wirkt Elmans Spiel eher schlank.

Der vierte Satz wird so zu einer eindringlichen Klangrede, im Vorgriff auf die Historisten. Das Legato wirkt hierbei noch so verführerisch und sicher wie bei Grumiaux, Kogan oder Francescatti.

Auch den fünften Satz phrasiert Herr Elman sehr deutlich, lange nicht mit der hexenartigen Geschwindigkeit von Heifetz, aber immer noch sehr virtuos. Hier steuert das Orchester ein paar besondere Einfälle bei.

Klanglich ist auch hier die Geige erheblich präsenter als das Orchester aufgenommen, auch das Orchester der Wiener Volksoper wird nicht in die Ferne gerückt. Ab und zu knackt es, was auf eine Überspielung von einer alten Mono-Platte hindeutet. Eigentlich sollte es angesichts des AD auch eine Quelle im Stereo-Format von der Einspielung geben.

 

4

Ricardo Odnoposoff

Walter Goehr

Utrechts Symphonie Orkest (wurde in den 80ern mit zwei weiteren Orchestern zum Nederlands Philharmonic Orchestra wegfusioniert)

Doremi, Intense Media, Milestones, BnF

1955

7:42  4:21  6:43  7:06  25:52

Auch der deutsche Dirigent musste in der dunklen Zeit (wie der Geiger) emigrieren und seine Stellung beim Berliner Rundfunk aufgeben. Er ging nach London. Gegenüber der Stuttgarter Aufnahme wirkt das Orchester und damit auch das Dirigat bei Walter Goehr etwas drängender und etwas lebendiger als bei Müller-Kray. Beim Geigenspiel konnten wir keine wesentlichen Unterschiede entdecken. Der Klang der Geige gefällt in Stuttgart etwas besser, die Geige kommt dort etwas besser zur Geltung und auch das Orchester klingt in Stuttgart ein wenig feiner und etwas leichter. Insgesamt dominiert aber auch in Utrecht die Violine das Geschehen. Sie klingt fast genauso strahlend wie in Stuttgart. Die gehörte Milestones-Übertragung scheint jedoch teilweise von einer alten Platte übernommen worden zu sein. An nicht wenigen Stellen bruzzelt es nämlich. Es gibt jedoch auch Passagen die offensichtlich von einem Band stammen. So mussten wohl zwei verschiedene Quellen genutzt werden um eine vollständige Aufnahme präsentieren zu können. Kleine Lautstärkeschwankungen inklusive. Not macht eben erfinderisch, aber empfindliche Ohren könnten sich dadurch gestört fühlen. Alleine schon aus diesem Grund wäre die Stuttgarter Aufnahme vorzuziehen zumal die Violine dort viel plastischer klingt.

 

4

Bronislaw Huberman

George Szell

Wiener Philharmoniker

Warner

1934

7:09  3:40  5:55  7:37  24:21

Auch Bronislav Hubermann war, wie fast alle Solisten in dieser Liste, ein musikalisches Wunderkind. Er studierte u.a. bei Joseph Joachim, wie der soeben erwähnte Leopold Auer auch. Joachim war einer der einflussreichsten Musiker seiner Zeit, man denke nur an seine Zusammenarbeit mit Brahms, Bruch oder auch Raff. Für Hubermann war das Geigenspiel stets auch ein Kampf für eine bessere Welt. Ihm hat die Musikwelt die Gründung des Palestine Orchestra, des heutigen Israel Philharmonic Orchestra 1935 zu verdanken. Der Anlass war hingegen leider tragisch.

Beim Orchester kann man gleich zu Beginn bereits Tugenden erkennen, die man später als typisch Szell apostrophieren wird. Es spielt durchaus bereits eruptiv aber auch gewichtig und zugleich rhythmisch geschärft. Im weiteren Verlauf scheint er fast alles aus dem Orchesterpart herauszuholen, was Lalo reingepackt hat, nur: Man hört nicht eben viel davon. Bei Huberman hört man ein gemessenes Vibrato, das man eher der „russischen“ Schule zuordnen würde, deutliche Kontrastgebung im dynamischen Bereich und ein besonderes Augenmerk auf die Spitzentöne, die sauber klingen und zusätzlich noch mit viel Vibrato zum Leuchten gebracht werden. Insgesamt wirkt das Spiel sehr intensiv und feurig, zumindest im ersten Satz.

Beim zweiten Satz haben die beiden Protagonisten jedoch anscheinend die Devise ausgegeben: je schneller desto besser. Es ist trotzdem alles da, auch in voller Klarheit, wenn man sich die technisch bedingten Unzulänglichkeiten wegdenkt. Es klingt wohl etwas rhapsodischer und freier als üblich, die Wogen des „Scherzando“ schlagen ziemlich hoch. Wie im ersten Satz wird eine gewisse (pseudo)spanische Attitüde des Stücks durchaus betont.

Im vierten Satz, der ja der langsame, leise Satz des Stückes ist, wird das Rauschen in der Relation zur Musik noch lauter als zuvor. Mit der Erhebung in eine Welt des Frühlings aus dem kalten Winter heraus im Dolce-Mittelteil wird das hier nichts. Das durchweg flotte Tempo wirkt zudem ein wenig oberflächlich.

Der Finalsatz mag den Herren besser liegen, wenn man bereit ist, die teils drastisch ausgespielten „Folklore“-Elemente zu goutieren. Herr Huberman trägt da für manch einen Geschmack vielleicht etwas dick auf, lässt es schmachten und schluchzen. Wir hatten jedoch einigen Spaß an der rhapsodischen Gesamtgestaltung mit den geschärften Tempogegensätzen.

Das historische Klangbild reduziert sich sozusagen auf einen exakt umrissenen kleinen Punkt mitten zwischen den beiden Lautsprechern. Der Raumeindruck, den manch eine gute Mono-Aufnahme bisweilen andeuten kann, ist sozusagen gleich Null. Das Rauschen ist stark und beständig. Erfreulich ist jedoch, dass man keine Laufgeräusche von einer alten Platte hört, da wurde also sehr sorgfältig restauriert. Der Frequenzbereich ist hingegen nach wie vor stark eingeschränkt und es klingt alles staubtrocken. Die Wiener Philharmoniker würde man trotz ihres unverwechselbaren Klangs nicht erkennen, wenn man es nicht wüsste.

 

4

Jacques Thibaut

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Mangora Classical Documents

1941, Live

7:46  4:33  7:20  8:09  27:48

Der Doyen unter den französischen Geigern hatte das Konzert, Entschuldigung die Sinfonie, bereits als erster 1929 und 1930 eingespielt. Jedoch scheinen beide Aufnahmen nicht erschienen zu sein oder komplett verloren gegangen zu sein. 1941 kam es dann unter äußerst widrigen Bedingungen nach einer geheimen Reise aus dem besetzten Paris bei Nacht und Nebel zu dieser vom Schweizer Rundfunk mitgeschnittenen Darbietung. Die Besatzer hatten den Geiger mit einem Aufführungsverbot belegt. Monsieur Thibaut war damals bereits 61 Jahre alt. Heute würde man meinen, dass das ist doch kein Alter wäre, aber vielleicht wären die ersten Einspielungen doch noch besser geworden. Danach spielte der Solist das Werk noch mindestens 2x in Anwesenheit von Aufnahmegeräten, mit Herrn Zillig beim Hessischen Rundfunk im Studio und mit Stokowski live. Eigentlich hätte der Geiger, wie wir von älteren Aufnahmen wissen, den idealen Ton für dieses Werk mitgebracht.

Der erste Satz wird von Ansermet und dem Orchester auch spannend dargeboten, jedenfalls erheblich ausdrucksvoller und kontrastreicher als das Pasdeloup-Orchester in der Erstaufnahme mit Henry Merckel. Thibaut lässt denn auch den leichten, silbrig hellen Ton der französischen Geigenschule hören. Virtuos und dem Rubato nicht abgeneigt.

Im zweiten Satz geht es jedoch nicht ganz ohne raue Lagenwechsel, während der vierte von Ansermet mit der vollen Tragik intoniert wird, die der Satz hergibt. Im Dolce-Mittelteil kann man kaum eine Aufhellung nachvollziehen. Es war ja auch nicht die Zeit dafür und alle Umstände standen dagegen. Auch in der Schweiz. So ist Musik auch Spiegel der Zeit, in der sie aufgeführt wird.

Der fünfte Satz klingt hingegen trotz alledem sehr temperamentvoll, mitunter so geschärft, dass der Geiger um raue Töne nicht herumkommt. Enorm impulsiv und lebendig und nicht ohne eine gewisse geigerische Akrobatik. Völlig zurecht gab es tosenden Beifall in Genf.

Die Aufnahme rauscht weniger als die Erstaufnahme mit Merckel, auch die Dynamik und die Durchhörbarkeit ist etwas besser. Wenn die Aufnahme nicht trügen würde, wäre die Akustik in der Genfer Victoria-Hall staubtrocken, was sie beileibe nicht ist.

 

 

 

2-3

Gerhard Taschner

Fritz Lehmann

Bamberger Symphoniker

Archipel

AD: ?

7:36 inkl. Radio-Ansage  4:10  6:19  1:44

Gerhard Taschner wurde 1941 mit 19 Jahren von Wilhelm Furtwängler als Konzertmeister zu den Berliner Philharmonikern geholt. Er widmete sich nach dem Krieg nur noch seiner Solokarriere und bildete mit Walter Gieseking und Ludwig Hoelscher ein Klaviertrio. Er musste Anfang der 60er Jahre aufgrund eines Rückenleidens seine Virtuosen-Karriere beenden. Um seine Qualitäten auf diesem Gebiet zu dokumentieren, wäre es nicht nötig gewesen auf diesen unvollständigen, von einem laienhaften Brummen durchsetzten, wahrscheinlich privaten Konzertmitschnitt einer Rundfunkübertragung zuzugreifen. Rundfunkübertragung deshalb, weil die Ansage des Sprechers ebenfalls mitgeschnitten wurde.

Im ersten Satz überrascht Herr Taschner mit einigen (absichtlichen) Glissandi, die ihm jedenfalls ein Alleinstellungsmerkmal zukommen lassen, denn in keiner anderen Aufnahme sind sie zu hören (in der Partitur haben wir auch keine entdeckt). Sollen sie die Nähe des Stückes zur Caféhausmusik unterstreichen? Sein Geigenton ist weich, rund und von sicherer Intonation. Sein Legato hervorragend. Im vierten Satz klingt das Orchester total verzerrt, für von technischer Perfektion verwöhnte heutige Ohren eine Zumutung. Vom Finalsatz hören wird noch nicht einmal zwei Minuten, wahrscheinlich reichte dann das Aufnahme-Band des Mitschneidenden nicht mehr aus. Das waren noch Zeiten, als man noch keine schier grenzenlosen Festplatten zur Verfügung hatte…

Zudem gibt es von den Herausgebern auch noch eine falsche Satzbezeichnung bei den Tracks. Das Intermezzo wird angegeben, ist aber gar nicht vorhanden.  Der Gipfel an Schlamperei ist das deftige Brummen, wir kommen nicht umhin, es noch einmal zu erwähnen. Das Rauschen hält sich demgegenüber in Grenzen, dynamische Verzerrungen kommen jedoch noch hinzu, anscheinend hat unser Hobby-Aufnahmeleiter seine Aufnahme auch noch schlecht eingepegelt. Durch all diese Missgeschicke wird der Hörgenuss so stark geschmälert, dass man die Einspielung nur dem Taschner-Hardcore-Enthusiasten hinter vorgehaltener Hand erwähnen sollte.

 

 

 

 

Fünfsätzige Mono-Einspielungen:

 

 

5

Leonid Kogan

Charles Bruck

Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire de Paris (heute: Orchestre de Paris)

EMI

1955

7:36  4:06  6:04  6:46  8:03  32:35

Lenonid Kogan ist ein weiterer Repräsentant der großen russischen Violinschule (eigentlich ukrainischen, denn Herr Kogan kommt aus Dnipro). Er stand aus uns unbekannten Gründen immer im Schatten von David Oistrach. Vielleicht war es auch nichts so verlässlich staatstreu wie Oistrach, denn dieser hatte mit Auslandsreisen in der damaligen Sowjetunion keine Probleme. Von Herrn Kogan ist überliefert, dass er ein ruhiger, eher introvertierter Zeitgenosse gewesen sei. Äußerliche Gründe würden auch nicht für ein Schattendasein sprechen, war Leonid Kogan doch mit feinen Zügen gesegnet, während David Oistrach doch eher die Statur eines Preisboxers hatte. Geigerische oder musikalische Gründe können es auch nicht gewesen sein, denn zumindest im vorliegenden Stück gefällt und Kogans Darbietung noch besser als die beiden von David Oistrach.

Sein Vibrato ist einfach toll, hilft dabei das Spiel höchst erregt (und erregend) wirken zu lassen. Der Ton klingt üppig, sehr klar, bestens fokussiert und wirklich extrem ausdrucksstark. Die Phrasierung empfinden wir als erheblich flexibler als bei David Oistrach. Auch sein Klang hat wie der von David Oistrach etwas bratschenähnliches, klingt dunkel und sehr sinnlich. Wer ließe sich da nicht gerne in ein Land voller feuriger Rhythmen, getanzt von dunkelhaarigen Schönheiten mitnehmen? Darüber hinaus spielt Herr Kogan mit mehr Feuer als Vater David Oistrach, den Sohn Igor werden wir noch bei den Stereo-Einspielungen kennenlernen.

Auch im zweiten Satz lässt die Intensität kaum nach, kaum vorstellbar, dass man auf die Idee kommen könnte, auch den zweiten Satz als „Intermezzo“ zu bezeichnen. Sehr bewegt und temporeich geht das Geigenspiel des Leonid Kogan durch Mark und Bein. Traumhaft sicher und beredt sind da willkommene Begleitattribute.

Das „Intermezzo“, eigentlich eine Habanera, wird gerade bei Kogan zu einem besonders sinnlichen „Pseudotango“ (Michael Stegemann), feurig, ja man kann es kaum treffender beschreiben, erotisch aufgeladen und prickelnd gestaltet. Eine einfach tolle Darstellung, die man wie Kogans ganze Einspielung unbedingt gehört haben sollte, auch wenn sie nicht genau den Idealen des Spiels von Sarasate zu folgen scheint, wenngleich wir ja keine „Symphonie Espagnole“ mit ihm kennen.

Auch der vierte Satz wirkt auf uns ebenfalls ausdrucksvoll und sehr sinnlich, eine dennoch oder gerade deshalb begeisternde Darstellung, die viel mehr Herzblut zu investieren scheint als dies bei Heifetz oder David Oistrach zu hören ist. Allerdings wirkt sie auch fast bedingungslos extrovertiert, was den eigentliche Satzcharakter vielleicht ein wenig unterwandert. Jedenfalls bereichert diese Darstellung die Palette des Angebots ungemein.

Ungeachtet des gar nicht einmal so schnellen Tempos gelingt auch das abschließende „Rondo. Allegro“ sagenhaft temperamentvoll und extrem virtuos. Das überschäumende Temperament kann sich darauf verlassen, dass es keine technischen Grenzen zu geben scheint. Mehr Zug, mehr Feuer und mehr Klangfarben als beim „Rivalen“ Oistrach. Ein geigerisches Feuerwerk wird hier abgebrannt. Noch ein Wort zum Orchester, das hätten wir fast ganz vergessen. Leider klingt es nicht mit der rhythmischen Präsenz und Prägnanz, nicht mit der Klarheit wie es den New Yorkern bei Mitropulos oder dem LPO bei Beinum gelingt. Aber es spielt recht feurig und temperamentvoll, schon alleine, um mit dem hervorragenden Gast-Solisten mithalten zu können, gibt man alles. Gerne hätten wir Herrn Kogan an die Seite von Mitropoulos oder Herrn Beinum gestellt, aber was daraus geworden wäre, muss man sich vorstellen.

Als wir das geschrieben haben, wussten wir noch nicht, dass EMI möglicherweise den Sachverhalt ähnlich gesehen hat, denn beim Remake in Stereo wurde Herr Kogan lieber nach London als nach Paris gebeten und mit dem Philharmonia Orchestera eines der Spitzenorchester der damaligen Zeit zur Einspielung verpflichtet. Und mit Kyrill Kondraschin zudem einen Dirigenten durch den eisernen Vorhang holte, der nicht nur mit Worten sondern auch musikalisch die gleiche Sprache wie der Solist sprach. Bei dieser Einspielung bleibt dann kein Wusch mehr offen, davon dann mehr bei den Stereo-Einspielungen.

Das Orchester klingt in Paris auch gegenüber dem Solisten wenig brillant, aber schon recht üppig und ganz gut durchgezeichnet. Gegenüber Mitropoulos´ oder van Beinums Dirigaten wirkt das Ergebnis jedoch recht diffus. Die Geige klingt bereits sehr plastisch. Die Dynamik der Aufnahme kann sich hören lassen, die Klangfarben leuchten bereits schön, besonders bei der Geige. Beim Gesamtklang vermisst man eigentlich nur die räumliche Perspektive. Kogan verwendete zwei Guarneri del Gesù-Geigen: die „Ex Colin“ von 1726 und die „Ex-Burmester“ von 1733. Er benutzte französische Bögen von Dominique Peccatte. Kogan hat diese Instrumente nie wirklich besessen, sie wurden von der Sowjetregierung als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Heute sind sie schätzungsweise mehr als 4 Millionen US-Dollar wert, richtige „Schnäppchen“ also.

 

5

Salvatore Accardo

Herbert Albert

Orchestre de l´Associacion des Concerts Pasdeloup, Paris

ARC, Saga, Vega, BnF

1962

7:27  4:30  6:16  6:37  8:16  33:06

Diese Einspielung hatten wir gar nicht auf dem Plan und dass sie so gut im Rennen sein könnte hätten wir auch nicht vermutet. Den Dirigenten werden nur noch die wenigsten kennen. Aber er war sogar kurze Zeit Gewandhauskapellmeister (zwischen Abendrot und Konwitschny), danach in Graz und Mannheim tätig. Salvatore Accardo besitzt (zumindest, wenn sich unsere Quellen nicht irren) mindestens zwei Stradivaris., wovon eine zuvor von Zino Francescatti gespielt wurde (die „Hart ex Francescatti), die andere nennt sich „Feuervogel ex Saint-Exupéry“. Die zweitgenannte gilt in anderen Quellen als verschollen.

Wie dem auch sei, diese Aufnahme des italienischen Geigers gehört zu den ersten beiden Veröffentlichungen, die seinen Ruf als Virtuosen begründeten. Und das völlig zurecht. Der sinnliche Ton der Violine verfügt über eine sehr große dynamische Bandbreite, seine Spielweise erleben wir als absolut virtuos und eindringlich. Der damals junge Meistergeiger brauchte sich nicht hinter den damaligen großen Namen zu verstecken. Das Portrait des stolzen Charakterzuges von Spanien oder der Spanier gelingt auf herausfordernde Weise. Das französische Orchester der Uraufführung unter seinem deutschen Dirigenten spielt feurig und temperamentvoll, klingt aber etwas nebulös. Es passt sich ganz den Bedürfnissen des großartigen Solisten an. Es ist schade, dass es später zu keiner Neueinspielung mehr kam, anscheinend hatten seine beiden späteren Labels kein Interesse an einer weiteren Einspielung des Werkes von Lalo, was man bei Philips verstehen kann (man hatte bereits Aufnahmen von Grumiaux und Szeryng im Katalog) aber die Deutsche Grammophon hatte vor Perlmans Einspielung 1980 nichts vorzuweisen, was uns bekannt geworden wäre.

Die erregende, emotional stark aufgeladene Spielweise des Solisten begleiten uns auch die weiteren Sätze, während das Orchester trefflich sekundiert.  So bietet auch das sogenannte „Intermezzo“ bei Accardo kaum Entspannung zwischen emotionaleren Sätzen an. Sogar der Mittelteil wird höchst emotional aufgeladen. Vielleicht ist das nicht im Sinne des „Erfinders“, uns hat es dennoch beeindruckt.

Im langsamen Satz gefällt das wohltuend schlanke Spiel Accardos, die Dolce-Episode wird nicht sonderlich hervorgehoben, im Gestus geht es hier einfach durch. Der wundervoll sinnliche und gesangliche Ton entschädigt dafür, dass der junge Solist (Signor Accardo war gerade einmal 21 Jahre jung) in diesem Satz vielleicht noch nicht alle Facetten der Komposition zu Tage fördert.

Die waghalsigen Kaskaden des finalen Rondos werden makellos gemeistert. Da kratzt nichts und nie wird es auch nur andeutungsweise drahtig oder nervig. Das klingt brillant und prall. Man kann in dieser Einspielung fast die ganze Bandbreite des Spanischen Lebensgefühls miterleben, zumindest wie es Monsieur Lalo sah. Besonders die schnellen Tempi überzeugen restlos.

Wir kamen leider nur in den Genuss des Klangs einer digitalisierten Mono-Schallplatte (Bibliothèque nationale de France), obwohl es sich um eine Stereo-Aufnahme handeln müsste. Die Violine steht an der Rampe, groß und deutlich. Das Orchester wird in den Hintergrund „verbannt“. Die Geige klingt vielleicht auch deshalb besonders plastisch. Wir hören permanentes leichtes Knistern, mitunter auch ein paar Schleifgeräusche. Eine Stereo-Neuüberspielung des Masterbandes wäre eine tolle Sache.

 

 

 

4-5

David Oistrach

Jean Martinon

Philharmonia Orchestra London

EMI, Angel, Capitol

1954

8:24  4:38  6:04  7:31  8:38  35:35

Auch David Oistrach, selbst auf die Gefahr hin zu wiederholen, wurde in Odessa geboren (wie Emil Gilels), ist also eigentlich ein Ukrainer, nach heutiger Nomenklatur wenigstens. Von ihm sind uns zwei Einspielungen aufgefallen, neben dieser hier gibt es noch eine spätere oder frühere von seltsam unklarer Herkunft, auf die wir dann gleich unterhalb eingehen wollen.

Das Orchester begegnet uns hier mit eigenem Gewicht, Martinon lässt es selbst gegenüber dem geigerischen Schwergewicht David Oistrach gut aussehen, sozusagen bekommt es ein eignes Gesicht und dient nicht nur zur Untermalung der Stimme des Solisten. Es kommt so zu einer hervorragenden Balance bei dem Solisten und dem nun bereits gut profiliertem Orchesterklang. Bei Oistrach braucht man eigentlich kein Wort des Lobes zu verlieren, seine geigerische Autorität ist unumstritten. Auffallend sind selbst in diesem elitären Umfeld sein tiefgründiger, einerseits vollsaftiger, andererseits blühender Ton und seine wunderbar geschmeidige Tongebung, die sich von keiner Schwierigkeit stressen lässt. Wie ein Fels in der Brandung steht dieser Geiger auch die virtuosesten Passagen durch. Seine Artikulation nutzt sozusagen jede Millisekunde aus um einen vollen blühenden Ton entstehen zu lassen. Es kommt einem so vor, als genieße Herr Oistrach jeden einzelnen Strich über die Saiten. Darin Herrn Heifetz gar nicht einmal so unähnlich, bleiben die beiden doch unverwechselbar.

Gespenstisch gut klingen die verschiedenen Stricharten, die Lagenwechsel und das ganze technische Zeug, eigentlich sind sie gar nicht mehr als Technik hörbar. Es scheint, als könne er sein Legato bis zur Unendlichkeit weiterführen ohne auch nur einmal absetzen zu müssen. Im „Intermezzo“ hingegen trumpft Oistrach im Ausdruck nicht auf, hält sich zurück. Er überstrapaziert das „giocoso“ nicht, kommt zu einer eher ernsten Auffassung dieses Satzes. Immer wieder besticht auch die Reinheit des Tons.

Der langsame Satz klingt souverän in jeder Hinsicht, auch rhythmisch. Tief versunken spielt Oistrach den wahrscheinlich besten Satz des Werkes. Der Mittelteil bringt bei ihm kaum Erleichterung, nur am Ende gewährt er uns Erlösung.

Das Finale klingt dann doch etwas zu „gesetzt“. Alles wirkt besonders ausgewogen, er fehlt jedoch einfach das überschäumende Temperament, die Fröhlichkeit, die diesen letzten Satz auszeichnet. In der zweiten (oder ersten) Einspielung gelingt dies besser.

Die Aufnahme selbst ist die wohl beste bis zu diesem Aufnahmedatum, vor allem die andere Einspielung David Oistrachs wird in der Technik deutlich übertroffen.

David Oistrach spielte von ca. 1935 bis Anfang der 1950er Jahre die „Jussupow“-Stradivari (1736), anschließend ab 1947 auf der „Havemann“-Stradivari von 1719. Dann spielte er ab 1955 die von ihm erworbene „Berou“-Stradivari. 1959 erwarb er die „Conte de Fontana“ (besser bekannt unter dem Namen „Peterlongo“) von 1702, die er sieben Jahre später (1966) gegen die „Marsick“-Stradivari von 1705 eintauschte. Diese Violine spielte er bis zu seinem Tod. Ein Stradivari-Mann also durch und durch. Als Bratsche bevorzugte es allerdings eine Guarneri. Er bevorzugte deutsche Bogen und spielte ab 1929 auf einem Nürnberger, schätzte allerdings auch die Markneukirchner Bogenbauer Dölling und Hermann. Also keinen französischen Bogen.

 

4-5

David Oistrach

Kyrill Kondraschin

National Philharmonic Orchestra oder Sinfonieorchester der UdSSR

Period, Everest, Pickwick,

Melodija, BnF

1958 oder 1947

8:13  4:30  5:53  7:18  8:27  34:21

Bei dieser Einspielung konkurrieren zwei Herkünfte und zwei AD miteinander. Wir konnten sie direkt miteinander vergleichen, jedoch haben die Moskauer und das National Philharmonic, was sich dahinter auch immer verbergen mag, exakt die gleichen Spielzeiten über vier der fünf Sätze hinweg. Wir vermuten, dass es sich um dieselbe Einspielung handelt, dass man für die West-Veröffentlichung vielleicht die Herkunft aus der Sowjetunion verschleiern wollte (es war die Zeit des eiskalten Krieges) oder eine inoffizielle Raubkopie (oder sonst was Geschmuggeltes) verwendet hat. Der miserable Klang würde für diese Theorie sprechen. Für einen jüngeren Oistrach (also für ein AD: 1947) würden auch musikalische Gründe sprechen, denn er spielt hier noch kontrastreicher, kommt mehr aus sich heraus, spielt noch mit mehr Vibrato. Die Folge ist: Mehr Drama, mehr Leidenschaft, aber immer noch ein berückendes Dolce. Dass auch das Orchester weniger auf Balance (es klingt mitunter fast ruppig) aus ist als das Philharmonia Orchestra aus London und auch bewegter klingt, lässt uns eher ein russisches Orchester vermuten, als ein westliches „Muckenensemble“ namens National Philharmonic. Was die Sache erschwert ist der wirklich miserable Klang in beiden Fällen. Ein Rest von Zweifel bleibt also, aber die Vermutung, dass es eine identische Einspielung sein könnte, nähert sich einem sehr hohen Prozentsatz.

Noch ein paar Details: Das Intermezzo wirkt etwas leichter, beschwingter als in London, der Vortrag etwas freier. 4. Satz: lichter Mittelteil, immer noch elegisch: Oistrach scheint sein Herz „auszuschütten“.  Finalsatz: impulsiver, mit etwas mehr Tempo und Leidenschaft.

Der Klang: Der harte Trompetenklang lässt ebenfalls ein russisches Orchester vermuten, genau wie der immense entwickelte Schalldruck des Blechs. Das Orchester klingt schriller als das PO mit Martinon. Der Klang der Violine Oistrachs klingt härter und weniger abgerundet mit einem leichten Hang ins Metallische. Beide Herkünfte (amerikanisch und sowjetisch) haben wir von schlecht digitalisierten LP´s gehört, die bereits als Original-LP miserabel gewesen sein mussten. Eigentlich zum Digitalisieren völlig ungeeignet. Musikalisch wäre diese Einspielung, wenn es einen ordentlichen Klang dazu gäbe, der englischen EMI vorzuziehen.

 

4-5

Yehudi Menuhin

Georges Enescu

Orchestre Symphonique de Paris

Naxos, Biddulph

1933

7:38  4:05  6:07  7:10  7:44  32:34

Von Yehudi Menuhin lagen für den Vergleich drei Einspielungen von, es gibt jedoch noch weitere von ihm, auf die wir leider keinen Zugriff hatten. Neben dieser ersten, die er bereits mit 16 Jahren machte, lagen uns noch die von Pierre Monteux dirigierte von 1945 und die einzige in Stereo von 1959 mit Eugene Goossens am Dirigentenpult vor. Am besten gefiel uns tatsächlich sein „Jugendwerk“, das den Ausdrucksgehalt des Werkes spielerisch aber zielsicher trifft, bereits ein erstaunliches Maß an selbstverständlicher Souveränität und Autorität ausstrahlt, die den beiden späteren Einspielungen nicht mehr in gleichen Maß zukommen. Wie bereits erwähnt, wir bewegen uns bei diesem Vergleich innerhalb einer unglaublichen Ansammlung von Wunderkindern, nur in verschiedenen Stadien ihres Lebens.

Da wir Herrn Menuhin innerhalb unseres Vergleiches das erste Mal begegnen, wollen wir uns zunächst einmal anschauen, welche Instrumente ihm während seiner Karriere zur Verfügung standen. In seinem Fall ist das besonders gut dokumentiert, erlangte er doch eine fast schon sagenhafte Popularität für einen Instrumentalisten, sodass insgesamt sehr viel von ihm und über ihn publiziert wurde.

Menuhin erhielt seine erste Violine von einigem Wert im Alter von acht Jahren, als zwei Gönner ihn 1924 mit einer 7/8-Geige aus Mailand im Wert von 800 Dollar ausstatteten. Man ging damals davon aus, dass es eine Geige von Giovanni Battista Grancino war. Mit diesem Instrument bestritt Menuhin sein Debüt in New York im Januar 1926. Für seine ersten beiden Auftritte in Paris im Februar 1927 suchte er sich zusammen mit seiner Familie eine „ganze“ Geige bei dem Pariser Händler Henri Tournier aus, eine Grancino (ca. 1695) im Wert von 3000 Dollar. Sein Mäzen Sidney Ehrman bezahlte den Kaufpreis. Auf dieser Geige spielte Menuhin in Oakland auch seine ersten Aufnahmen ein. Danach spielte er auf verschiedenen Violinen, mit denen er jedoch Schwierigkeiten hatte, darunter eine Guadagnini, wieder von Ehrman zur Verfügung gestellt, und eine Guarneri del Gesù, eine Leihgabe von Lyon & Healy in Chicago. 1928 durfte Menuhin an seinem 12. Geburtstag die Stradivari „Khevenhüller“ (1733) ausprobieren. Dieses wertvolle Instrument konnte aber damals noch nicht finanziert werden. Erst der Bankier, Kunstsammler und Philanthrop Henry Goldman aus der Familie Goldman-Sachs verhalf Menuhin zu der „Khevenhüller“. Der blinde Goldman hatte im November 1927 in der Carnegie Hall Menuhin das Violinkonzert von Beethoven spielen gehört und war davon tief beeindruckt. Bei einem weiteren Menuhin-Konzert in der Carnegie Hall beschloss er, dem jungen Künstler die beste verfügbare Violine zu schenken. Wohl dem, der solche Gönner hat. Bei dem New Yorker Händler Emil Herrmann durfte Menuhin drei Stradivaris ausprobieren, darunter die „Betts“ (1704) und die „Maximilian“ (1709). Menuhin entschied sich für die „Khevenhüller“, Goldman bezahlte den Preis von 60.000 Dollar. Im Januar 1929 stellte Menuhin die „Khevenhüller“ bei einem Pressetermin in New York als sein neues Instrument vor. Auf dieser Stradivari spielte er bei seinem Berliner Debüt im April 1929. Er behielt sie bis zu seinem Tod. 1932 spielte Menuhin kurzzeitig jene Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1740, die zuletzt das Hauptinstrument des im Vorjahr verstorbenen Eugène Ysaÿe gewesen war, und verwendete sie auch für Plattenaufnahmen. Der mit Menuhin befreundete Geigenbauer und Händler Emile Français lieh ihm dieses Instrument aus. Dieses Instrument könnte bei dieser Aufnahme von 1933 verwendet worden sein oder aber die „Khevenhüller“. Derselbe Emile Français baute 1935 für Menuhin eine Kopie der „Khevenhüller“ und präsentierte sie ihm im Januar 1936. Die Kopie erwies sich als klanglich gleichwertig mit dem Original. Menuhin verwendete die Français gelegentlich, zum Beispiel wenn das Mitführen der wertvollen Stradivari bei einer Konzertreise riskant erschien, z.B. bei den Konzerten für die Soldaten im 2. Weltkrieg.

Menuhins erste Frau Nola schenkte ihm im September 1939 anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes, der Tochter Zamira, eine Violine von Giuseppe Giovanni Guarneri (genannt „Filius Andreae“). Menuhins anfängliche Begeisterung ließ nach einigen Jahren nach. Er spielte die Guarneri nur noch selten und lieh sie später seinem Lieblingsschüler Alberto Lysy, der jahrzehntelang auf ihr spielte. Bei seinen zahlreichen Auftritten vor Soldaten und Verwundeten im Zweiten Weltkrieg verwendete Menuhin sicherlich nicht seine Stradivari, sondern zumeist die Kopie von Français; oder beispielsweise bei einem Auftritt in England in 1944 eine Guarneri als Leihgabe von W. E. Hill & Sons in London. Für ein Konzert im befreiten Paris lieh er sich Jacques Thibauds Stradivari aus und gab sie am Ende des Konzerts derart unverzüglich zurück, dass er sich für die Zugabe das Instrument des Konzertmeisters ausleihen musste. Das war wohl keine Liebe auf den ersten Blick.1950 erwarb er eine zweite Stradivari, die „Soil“ (1714), von Emil Herrmann. Ihr Ton war kräftiger als der feinere Klang der „Khevenhüller“ und ermöglichte es ihm, auch bei vollem Orchesterklang gut hörbar zu bleiben. Er setzte sie deshalb meist beim Spiel mit Orchester und auch bei zahlreichen Plattenaufnahmen ein. Im Jahr 1986 verkaufte er die „Soil“ jedoch an Itzhak Perlman, um sein neues Haus finanzieren zu können. 1966 blätterte Menuhin interessiert in einem Hill-Katalog wertvoller Guarneri-Geigen und wurde auf die „d’Egville“ (1735) aufmerksam, die gerade bei einem Händler in Braunschweig verfügbar war. Er flog so schnell wie möglich dorthin, lieh sich das Instrument und spielte es eineinhalb Jahre lang mit Begeisterung, bevor er es an den Händler zurückgab. 1972 kaufte er eine andere Guarneri, die „Ebersholt“ (1739), und behielt sie sechs Jahre lang. Er verkaufte sie 1978 bei Sotheby’s und erwarb dafür bei Jacques Français wiederum eine Guarneri, die „Lord Wilton“ (1742), die er bis zu seinem Tod behielt. Diese Geige befindet sich nun im Besitz eines Sammlers. Dies nur noch der Vollständigkeit halber: Menuhin besaß darüber hinaus weitere alte Geigen: eine von Sanctus Seraphin aus Venedig (1739), die ihm George Enescu 1954 vor seinem Tod anvertraut hatte, sowie Instrumente von Giovanni Bussetto aus Cremona (1680) und Nicolò Marchioni, genannt „Don Nicolò Amati“, aus Bologna (1730). Außerdem ließ er sich mehrmals eine Violine neu bauen, zum Beispiel 1961 von Marino Capicchioni in Rimini. Ein echter Sammler war Lord Menuhin also auch. Im Hintergrund mag jedoch auch die Geldanlage eine Rolle gespielt haben. Warum auch nicht, wenn man derart sachverständig ist. Das war jetzt recht ausführlich, weshalb wir bei den beiden anderen Einspielungen lieber nicht mehr auf das Instrument eingehen wollen.

Mister (später sollten wir ihn mit „Sir“ dann sogar mit „Lord“ anreden) Menuhin spielt mit 16 sauberer und geschmeidiger als 12 Jahre später (also mit 28) im Jahr 1945 mit Pierre Monteux. Wir haben es bereits erwähnt: Er trifft den Gehalt des Stückes mit seiner hohen musikalischen Intuition spielerisch sicher. Seine Spielweise wirkt leicht und locker, trotzdem wirkt sein Spiel bestimmt, um nicht zu sagen bestimmend. Er bringt bereits genügend Autorität mit, wobei man davon ausgehen kann, dass jedes Detail mit seinem dirigierenden Lehrer abgesprochen worden sein dürfte. Die schnellen (arabisch inspirierten) Melismen (Verzierungen) spielt er auch im zweiten Satz traumhaft sicher und sagenhaft flink. Er differenziert sein Spiel sehr gut und versucht nicht, wie viele nach ihm, mit einem permanenten Espressivo zu überrumpeln, was dann sowieso oft nach hinten losgeht, wenn das Vibrato dabei allzu „hohe Wellen“ schlägt und keinerlei Nuancen erkennen lässt. Das Orchester überrascht, trotz des Alters der Aufnahme, mit großen Dynamik-Gegensätzen. Einig ist es sich mit Menuhin in einem sehr lebendigen Vortrag. Der jugendliche Mann haut selbst die schwierigsten Passagen mit intensiver Energie heraus, ist bereits eines bezaubernd sanftmütigen Dolce ebenso mächtig wie der großen Geste. Er zeigt die ganze Bandbreite der Emotionen und wenn einmal was daneben geht, stimmt der gewünschte Effekt trotzdem. Genialisch genial und ganz schön frühreif, wenn man das sagen darf. Den langsamen vierten Satz nehmen die Protagonisten unserer Einspielung als schreitender Trauermarsch, getragen und leidenschaftlich wie ein inständiges Gebet. Passend lässt Enescu auch im Orchester dunkle Wolken aufziehen. Uns kam das Spiel trotz der gebotenen Intensität pathosfrei vor. Eine große Leistung, besonders des jungen Menuhin. Auch das Satzende gelingt ihm noch ganz rein, wie ein wundervolles Entschweben. Im Rondo lässt Menuhin die Triller geradezu jubilieren. Appassionato, espressivo und dolce vermag er deutlich voneinander zu unterscheiden. Wir empfanden seine erste Einspielung, wie bereits erwähnt, als gelungener als die beiden anderen uns bekannten von 1945 und 1959.

Klanglich herrscht erwartungsgemäß wenig Farbe und viel Schwarz/Weiß vor. Wie eine Abziehfolie eines Konzerteindrucks. Platt aber weitgehend störungsfrei. Die Abbildung erscheint besonders klein und die Dynamik wirkt insgesamt recht eingeebnet. Trotzdem muss man konstatieren, dass das Klangbild, so sauber wie es insgesamt klingt, gut restauriert erscheint. Das macht die Einspielung auch heute noch sehr hörenswert.

 

4-5

Alfredo Campoli

Eduard van Beinum

London Philharmonic Orchestra

Decca

1953

7:46  4:30  5:13  7:02  7:58  32:29

Signor Campoli machte sein Amerika-Debut im gleichen Jahr, also 1953, mit der Symphonie Espagnole in New York. George Szell dirigierte. Eine Aufnahme davon entstand wohl, leider stand sie uns für den Vergleich nicht zur Verfügung. Gerne hätten wir Herrn Szells Dirigat nach der Einspielung mit Huberman 1934 in Wien in einem moderneren klanglichen Umfeld wiedergehört, jedoch entschädigt uns Eduard von Beinum mit ähnlichen Qualitäten. Selten klingt der Orchesterpart so prägnant, so wuchtig und mit rhythmischer Verve, stringent und trotzdem mit Akkuratesse dargeboten wie hier. Auch der Geigenton gefällt, er ist jedoch nicht mit der vibrierenden Verführungskraft und zirzensischer Brillanz wie wir es bereits von den Herren Heifetz, Kogan, Oistrach und natürlich Francescatti gehört haben.

Im zweiten Satz gefallen die sehr schön gelungenen dynamischen Akzentuierungen besonders im Orchester. Überhaupt erschien das Werk hier besonders partiturgetreue Sachverwalter zu haben. Allerdings wirken des Geigers Ausführungen mitunter ein wenig bedächtig, gerade diese Maßnahme scheint der Exaktheit des Spiels hörbar zugute zu kommen.

Im dritten Satz, dem Intermezzo, wird sich keinesfalls ausgeruht, ganz im Gegenteil: Das Violinspiel wirkt raffinierter und besonders der neckische und verführerische Mittelteil weiß zu überzeugen. Feuriges Orchesterspiel.

Das Orchester packt auch im langsamen Satz gehörig zu. Ganz weit weg von gängiger Folklore erscheint der Zugang zur Musik gleichwohl sehr distinguiert und ernsthaft. Im Rondo begegnet uns sozusagen eine musterhafte, jedoch ein wenig brave Ausführung, denn dem Geiger fehlt das aufflammende Feuer. Von Sparflamme insgesamt kann indes keine Rede sein, denn das Orchester bietet das Brio in reichem Maß, das dem Geiger ein wenig zu fehlen scheint.

Campoli besaß zwei Stradivari- Geigen, die „Baillot-Pommerau“ von 1694 (auf der auch Fritz Kreisler spielte) und die „Dragonetti“ von 1700. Allerdings war es seine Rocca von 1843, die er hauptsächlich benutzte, da die „Dragonetti“ und ihre Stradivari-Schwester aus Sicherheitsgründen in der Bank untergebracht war. Es ist jedoch anzunehmen, dass zumindest eine davon für die Aufnahme mobilisiert wurde.

Wenn einem der Name „Dragonetti“ ziemlich häufig begegnet, so muss man differenzieren: Da gibt es die „Dragonetti“ (Dragonetti, der Erstbesitzer selbst hatte anscheinend ebenfalls bereits einige Stradivaris im Besitz) von 1700 (Campoli) die „Dragonetti“ 1706, auf der derzeit Veronika Eberle reüssiert und noch mindestens eine weitere, die „Dragonetti Milanollo“ auf der bereits Paganini spielte und später Christian Ferras und Pierre Amoyal. Da wird es dann schon kompliziert.

Kleiner Exkurs: Instrumentenbauer Rocca war eigentlich von Beruf Bäcker, machte aber später eine Lehre im Instrumentenbau und ahmte bei seiner Arbeit, als er denn selbständig war, besonders zwei Modelle nach oder besser: er kopierte sie: Die „Messias“-Stadivari und die „Alard“-Guarneri, die er beim Händler Tarisio fand. Geschmack bewies dieser Instrumentenbauer in jedem Fall, pickte er sich doch „Rosinen“ höchster, offenbar zeitlos gültiger Qualität als Modelle heraus. Bei diesem „Händler“ gibt es auch heute noch Modelle der beiden Hersteller zu kaufen und natürlich viele mehr. Rocca baute später bei der Qualität etwas ab, da er oft weniger qualitätsvolles Holz genutzt haben soll. Vielleicht ist er deshalb nicht so berühmt geworden wie die Erbauer seiner beiden Modelle.

Der Ton der Violine klingt denn auch in dieser Aufnahme sehr schön aber auch das Orchester wirkt bereits sehr klar, hell, geradezu aufgelichtet. Sie erscheint auch heute noch hörenswert, insgesamt wirkt sie mehr zierlich als prall und auch ein wenig trocken.

 

4-5

Bronislav Gimpel

Fritz Rieger

Münchner Philharmoniker

DG, Heliodor

1956

7:26  4:20  5:40  6:02  8:11  31:39

Ein ereignisreiches, wechselhaftes Leben hatte auch Bronislav Gimpel, der heute fast vergessen zu sein scheint. Er debütierte erst mit 14, was wenn man mit sehr vielen anderen hier vertretenen Kollegen und Kolleginnen seiner Zunft vergleicht, einem schon fast alt vorkommen muss. Bei vielen ist das zwischen 5 und 10 bereits passiert. Allerdings ist mit „Debut“ auch nicht in jedem Fall der erste Auftritt in einem großen oder gar berühmten Konzertsaal gemeint. Und Gimpel spielte dann mit 14 bereits das Violinkonzert von Goldmark, ein ganz schöner Brocken also. Neben seiner Solokarriere spielte Herr Gimpel immer wieder als Konzertmeister in verschiedenen Orchestern, so in Königsberg, Göteborg, Los Angeles (unter Klemperer) und New York. Er war auch passionierter Kammermusiker und gehörte etlichen verschiedenen Formationen an. Berühmt wurde das Warschauer Klavierquintett, dem auch Władysław Szpilman angehörte. „Er spielte auf einer Guarneri-Geige, die einst Paganini gehörte und empfand seine Niederlage beim Warschauer Wettbewerb als einzige Enttäuschung seines Künstlerlebens. „Sein Ruhm entsprach nie seiner künstlerischen Meisterschaft.“ (Kommentar zu Gimpel auf den Seiten des Wieniawski-Violinwettbewerbs, an dem er einmal teilnahm und nur den achten Platz belegte.) Die Aufnahme der Symphonie Espagnole machte er mit 45.

Dass die Münchner Philharmoniker nicht erst seit Celibidache über einen fülligen Klang verfügen, kann man in dieser Aufnahme gut hören. An warmen und vollen Farben mangelt es nicht in ihrem Spiel. Sie verbreiten mit ihren stets abgerundeten und entspannten Rhythmen einen gelassenen Gestus, dem es allerdings merklich an südländischer Spritzigkeit mangelt. Wo andere auf der vordersten Stuhlkante saßen, um ihrem Solisten ebenbürtig zu sein, sucht man in München voller Überzeugung die komplette Sitzfläche der Bestuhlung auf. Auch Bronislav Gimpel verfügt über einen vollen, abgerundeten und eingedunkelten Klang, scheint der sog. „russischen“ Schule verpflichtet. So scheint er mit dem Orchester zumindest tonal sozusagen an einem Strang zu ziehen. An seinem Ton nervt nichts.

Auch im zweiten Satz zeigt er sich als technisch sattelfest und sehr behände, sein besonders einschmeichelnder Ton wirkt enorm geschmeidig. Mit seinem mittelschnellen Vibrato erreicht er einen spielerischen Gestus. Das Orchester könnte ein wenig funkensprühender agieren.

Es meidet auch im „Intermezzo“ die dynamischen Extreme, klingt immer weich und rund, bringt die aufreizenden Rhythmen nicht mit der möglichen Schärfe. Das klingt gerade gegenüber dem sehr kapriziös spielenden Solisten schon ein wenig gemütlich.

Im langsamen Satz gefällt der sanftmütige Ton Gimpels besonders gut. Leider klingt das Orchester in diesem tiefgründigen Satz vergleichsweise diffus, gerade gegenüber den anderen Sätzen ist das besonders bedauerlich. Hier hätte es Boden gut machen können.

Der Solist klingt im finalen Rondo nur in der heiklen Oktavenpassage (ab 8 Takte vor G) etwas bemüht, sonst erneut sehr sicher und souverän. Vom Tempo her wirkt der Satz ein wenig brav, aber keineswegs uninspiriert. Auffallend ist auch in diesem hochvirtuosen Satz der besonders sonore Klang der Violine, der sicher aus der Spielweise des Solisten herrührt aber auch von einem exzellenten Instrument herrühren müsste. Ob es tatsächlich das ehemalige Instrument Paganinis ist, das wir da hören ist zweifelhaft. Gimpel hat sie einmal gespielt, das scheint sicher, aber der Zeitraum ist nicht zu ermitteln gewesen. Seit der Einrichtung des internationalen Violinwettbewerbs „Premio Paganini“ im Jahr 1954 haben die Gewinner des Wettbewerbs das Privileg, mit der „Cannone“, so wird die Violine Paganinis genannt, bei einem Konzert in Genua aufzutreten. Das ist auch bei Gimpel erwiesen. Auch darüber hinaus haben hervorragende Geiger Konzerte mit der „Cannone“ in Italien und im Ausland gegeben oder sie für Einspielungen nutzen können, darunter so berühmte Künstler wie Bronisław Huberman, Isaac Stern, Leonid Kogan und Shlomo Mintz oder in jüngerer Zeit zum Beispiel Vadim Repin, Joshua Bell und Julia Fischer. Ab den späten 1970er Jahren bis zu den frühen 2000er Jahren wurde die „Cannone“ vergleichsweise häufig gespielt. Seit der letzten Restaurierung im Jahr 2004 steht wieder das Anliegen im Vordergrund, das Instrument möglichst zu schonen, um es in seinem hervorragenden Zustand dauerhaft zu erhalten, wie Paganini es sich gewünscht hatte.

Die gehörte Einspielung war eine digitalisierte LP. Das Orchester klingt darauf, wie bereits angedeutet, recht füllig und ausgewogen, aber auch etwas dumpf. Sie machte den Eindruck, als wäre sie nachträglich stereophonisiert worden. Die Violine scheint zeitweilig nicht zwischen den Lautsprechern aus der Mitte zu kommen, sondern zugleich aus beiden Lautsprechern gleichermaßen. Kurioser Weise wechselt das hin und her. Die Sterophonisierung kann also nicht als gelungen bezeichnet werden. Die Violine wirkt auch erstaunlich klein abgemischt und gerade im Vergleich mit zeitgenössischen Konkurrenzaufnahmen wenig präsent. Das Orchester erscheint ohne richtige Staffelung und mit sehr geringer Transparenz. Auf Dauer wirkt der nicht gerade höhengesättigte, sanfte, entrauschte und wenig brillante Klang jedoch weniger ermüdend als manch ein spritzigerer aber auch spitzer Mono-Klang jener Zeit.

 

4-5

Henry Merckel

Piero Coppola

Orchestre des Concerts Pasdeloup, Paris

Disque Gramophone, EMI, Music+Arts, Opus Cura

1932

7:27  4:22  4:33  6:47  8:04  31:13

Der Geiger Henry Merckel hatte das Pech zumeist im Schatten des damals als überragend geltenden Jacques Thibaut zu stehen. So wurde er auch in seinem Heimatland lange nicht so populär. Und im Ausland schon gar nicht. Zu Unrecht, wie diese Aufnahme uns lehrt. Dabei wurde er, ähnlich wie der Dirigent Piero Coppola zu vielen Erstaufnahmen gemeinsam mit dem damals „Orchestre du Grammophone“ genannten und  nur zum Zweck der Aufnahme zusammengestellten Schallplattenorchester herangezogen. Sein Ton ist deutlich der französischen Schule zuzuordnen, denn er klingt schlank, recht hell und besonders klar. Mit einem schnellen Vibrato versehen spielt Monsieur Merckel mit einer ebenmäßigen Phrasierung und rhythmisch exakt. Allerdings wirkt der Gestus der Musik bei ihm weniger offensiv und in der Musizierhaltung weniger draufgängerisch angegangen. So als würde das Spanische in der Musik noch ein wenig exotisch wirken und gerade erst entdeckt werden. Sein Spiel wirkt im besten Sinne nobel.

Im zweiten Satz haben wir den jungen Menuhin in der nur ein Jahr jüngeren Einspielung als ein geigerisch bereits anderes Kaliber in Erinnerung.  Allerdings gefällt gerade die schlanke Tongebung Henry Merckels gerade im scherzohaften zweiten Satz ebenfalls sehr gut. Er gibt dem Satz eine klare Seriosität.

Das „Intermezzo“ auf das in der Ersteinspielung nicht verzichtet werden sollte klingt hingegen, vielleicht wegen des betont flüssigen Vortragsstils etwas „vernuschelt“. Hier erscheint die spanische Attitüde ein wenig unterspielt.

Auch der langsame vierte Satz klingt bei Menuhin ausdrucksvoller, besonders in der 33er Aufnahme. Gegenüber der 45er Einspielung mit Monteux wirkt Merckel jedoch deutlich sauberer. Merckel differenziert sein Dolce kaum von der übrigen Spielweise, gerade wenn man Heifetz oder Oistrach dagegen hört.

Im Rondo gelingt der Oktavlauf (8 T. von G), der wohl ein ganz besonderer Prüfstein für die Virtuosität darstellt, nicht ganz sauber. Insgesamt wirkt diese Einspielung klassizistisch-apollinisch und elegant-geschmackvoll. Es ist schade, dass dieser Geiger so vergessen wurde.

Der Klang der Einspielung ist etwas klarer als bei Menuhin (33), evtl. mag ein besseres Remastering daran seinen Anteil haben. Damit, dass sie kaum eine nennenswerte echte Dynamik aufweist, sollte der erfahrenere Hörer, die erfahrenere Hörerin, bereits gerechnet haben. Man hört ein leichtes Knistern und ein mittelstarkes Rauschen des Originaltonträgers. Insgesamt hören wir jedoch eine Aufnahmequalität, die positiv überrascht.

 

 

 

3-4

Yehudi Menuhin

Pierre Monteux

San Francisco Symphony Orchestra

RCA

1945

7:22  3:57  5:47  6:15  7:58  31:19

1935 absolvierte der jugendliche Menuhin eine Welttournee in Australien, Neuseeland, Südafrika und Europa mit 110 Konzerten in 72 Städten. Das scheint zu viel für den jungen Mann gewesen zu sein. Danach nahm er eine Auszeit von 1½ Jahren in Los Gatos, Kalifornien. Das Wunderkind-Phänomen war in sich zusammengebrochen, Menuhin konnte nicht mehr so spielen wie zuvor und musste einen neuen Zugang zu seinem Instrument finden. Im Mai 1938 heiratete der 22-jährige Menuhin die 19-jährige Australierin Nola Nicholas in London, die er neun Wochen zuvor kennengelernt hatte. 1939 unternahm er seine erste Konzertreise nach Südamerika. Mit seiner Schwester Hephzibah gab er 1940 in Australien Konzerte und machte Aufnahmen mit ihr.1941 traten die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg ein. Bis zum Kriegsende gab Menuhin, der Amerikaner war, mehr als 500 Konzerte vor alliierten Soldaten. Diese Konzertreisen führten ihn bis nach Alaska, auf die Aleuten und nach Hawaii. Bei seiner zweiten Weltkriegs-Tournee nach Großbritannien begegnete er im September 1944 der Tänzerin und Schauspielerin Diana Gould, die drei Jahre später seine zweite Ehefrau werden sollte. Dem notleidenden Béla Bartók erteilte er den Auftrag für eine Solo-Violinsonate, die er im November 1944 in der New Yorker Carnegie Hall uraufführte. Für überlebende Insassen einiger befreiter Konzentrationslager, darunter des KZ Bergen-Belsen, spielte er im Juli 1945, am Klavier begleitet von Benjamin Britten.

Ein wirklich turbulentes, hektisches, anstrengendes Leben, das der junge Menuhin führte. Da nimmt es kaum Wunder, dass sich seine Aufnahme von 1945 weniger intonationsrein und etwas schmaler im Ton anhört. Menuhin agiert gegenüber 1933 schwerfälliger in der Artikulation, die hohen Töne sind schärfer geworden. Nach wie vor ist sein Vibrato recht ruhig, was dazu beiträgt, dass sein Espressivo weniger aufgeladen erscheint. Insgesamt wirkt sein Spiel nicht mehr so souverän und ausgewogen. Das Orchester aus San Francisco bringt einigen Schwung mit, klingt eleganter als das RCA SO bei Steinberg in der Aufnahme mit Heifetz, jedoch weit weniger perkussiv, was kein unwesentlicher Nachteil ist. Es ist gut möglich, dass dieser Verlust auch klangtechnische Gründe haben könnte und nicht unbedingt auf Monteuxs Dirigat zurückgeht. Das Grundtempo im zweiten Satz, dem Scherzando, wirkt forsch, fast ein wenig zu schnell für die artikulatorischen Möglichkeiten, was einen hastig wirkenden Gestus zeitigt, der vor allem von Menuhin verursacht wird. Der Unterschied zwischen f und p ist gering, vor allem ein echtes pp vermisst man. Das Orchester wirkt auch im „Intermezzo“, das Menuhin in keiner seiner Einspielungen weggelassen hat, im Vergleich dynamisch breiter aufgestellt. Menuhin lässt seine Violine bisweilen ein wenig sentimental schluchzen. Der immer noch beachtlichen Virtuosität geht die Souveränität und Grandezza eines Heifetz aber auch seiner eigenen Aufnahme von 1933 in dieser Einspielung ab. Auch der langsame Satz, das „Andante“, wird von Intonationsproblemen geplagt. Der Gestus ist immer noch klagend, die Atmosphäre des Gebets wird mitunter von flackernden Spitzentönen gestört. Das Rondo klingt fröhlich, aber teils lärmend und auch forciert. Tonlich teils gefährdet, teils aber auch immer noch verführerisch. Die ehemalige Leichtigkeit ist weitgehend verloren gegangen.

Der Klang der Aufnahme (beim gleichen Label wie die Heifetz-Aufnahme, wahrscheinlich wegen Monteux, der damals bei RCA unter Vertrag stand) ist lange nicht so ausgewogen wie bei Heifetz 1954. Geige und Orchester klingen mitunter schrill. Lästiges Rauschen wurde weitgehend eliminiert. Während die Violine keineswegs dumpf klingt, lässt sich dies für das Orchester durchaus behaupten. Die Violine ist stark in den Vordergrund gerückt. Man hört leider ein permanentes Knacken und Knistern der analogen Vorlage, insgesamt klingt es noch nicht frei und auf ein Raumgefühl muss man verzichten.

 

 

 

Stereo-Einspielungen, ausnahmslos fünfsätzig:

 

 

5*

Tianwa Yang

Darrell Ang

Orquesta Sinfonica de Barcelona i National de Catalunya

Naxos

2015

7:33  3:57  5:47  6:55  7:45  31:57

Geboren und aufgewachsen in Peking, erhielt Tianwa Yang im Alter von vier Jahren ihren ersten Geigenunterricht und gewann anschließend zahlreiche Wettbewerbe. Als Zehnjährige wurde sie von Lin Yaoji ins Musikkonservatorium ihrer Heimatstadt Peking aufgenommen, mit 13 Jahren spielte sie als bisher jüngste Interpretin die 24 Capricen von Niccolò Paganini auf CD ein. 2003 kam sie über ein Stipendium zum Kammermusikstudium nach Deutschland und legte damit den Grundstein für ihre Karriere in Europa. Tianwa Yang dankt Lin Yaoji, Jörg-Wolfgang Jahn und Anner Bylsma, die ihre künstlerische Entwicklung begleitet und wesentlich geprägt haben. Neben ihrer Konzerttätigkeit unterrichtet Tianwa Yang seit 2015 an der Hochschule der Künste Bern. 2018 wurde sie auf eine Professur an die Hochschule für Musik Würzburg berufen. Dies war ein kleiner Ausschnitt ihrer Website, auf der Frau Yang ihren ehemaligen Lehrern dankt. Das ist irgendwie bezeichnend für die junge Frau, die die Bodenhaftung trotz ihres außergewöhnlichen Könnens offensichtlich nicht verloren hat. Nicht zu vergessen woher man kommt, ist heutzutage zu einer besonderen Tugend geworden.

Von ihr liegen uns insgesamt drei Aufnahmen vor, die innerhalb von drei Jahren entstanden sind. Ihre CD-Einspielung von 2015 wird so quasi durch die beiden Live-Mitschnitte des SWR (2017) und HR (2018) in ihrer herausragenden Qualität bestätigt und dabei kommt man, gerade weil es Direktübertragungen waren, aus dem Staunen kaum heraus. Besonders vor dem Frankfurter Mitschnitt muss man den Hut ziehen, während der aus Koblenz schon alleine aufnahme- bzw. sendetechnisch zurückfällt, ohne jedoch die musikalische Seite zu arg in Mitleidenschaft zu ziehen. Im Vorfeld zur CD-Einspielung hat die Geigerin bereits zahlreiche Werke (wenn nicht alle) von Pablo Sarasate eingespielt und damit bei uns bereits mächtig Eindruck gemacht. Das schien für „unser“ Stück von Lalo eine prächtige Vorbereitung gewesen zu sein, denn ihr Elan wirkt hinreißend, ihre hörbare, aber keineswegs zur Schau gestellte Energie elektrisierend. Sie hat völlige gestalterische Freiheit erlangt von der andere, wir gehen natürlich nur vom hörbaren Ergebnis aus, nur träumen können und die besondere Kunst dabei: sie kann sie dank ihres sprachlos machenden technischen Könnens auch in eine unmittelbar anspringende Musikalität umsetzen. Übermächtige, drängende romantische Wehmut werden mühelos mit (besonders im letzten Satz) staunenswert aufblühender Virtuosität gepaart, die auch in glänzenden Läufen, die wie Sylvester-Raketen ihre Bahn ziehen, spürbar wird. Als weitere treffende Attribute zur Beschreibung ihres Spiels können herhalten: Verführerische Sinnlichkeit, technische Brillanz, musikalisch stark inspirierte, ideenreiche Bravour.

Sie spielt übrigens eine prachtvolle Guarneri del Gesù, deren Namen wir leider nicht herausbekommen haben. Die Quellenlage war bei Lord Menuhin eindeutig reichhaltiger, das Auffinden von Infos viel einfacher. Zweifellos müsste man ihre Guarneri, falls sie sich irgendwann von ihr trennen sollte „Ex Tianwa“ oder „Ex Yang“ nennen. Nun wollen wir aber das Orchester bei unserer Betrachtung nicht vergessen. Zwar bietet ihm die Komposition viel weniger Spielraum zur individuellen (d.h. kollektiven) Entfaltung, wie zum Beispiel im Brahms-Konzert, aber das Mögliche versucht es mit seinem chinesischen Dirigenten durchaus. Es vereinigt Biss und Notentreue auf sehr hohem Niveau. Es hat sich wohl auch genötigt gesehen, angesichts der Solisten der Extraklasse, sein Bestes zu geben, denn das extrem nuancenreiche, wie bereits erwähnt außerordentlich sinnliche Spiel mit der wie selbstverständlich wirkenden Phrasierung musste ihm auffallen, selbst wenn es selbst gerade sehr beschäftigt war. Dolce, pianissimi und andere Spielanweisungen mehr bei denen man sonst aufpassen muss, ob sie nicht unterschlagen werden, werden von Tianwa Yang zu neuen Maßstäben geführt. Den supergeschmeidigen Klang von Oistrach, Heifetz oder Kogan, die auch noch eine besonders tiefdunkle Klangfarbe mit ins Spiel bringen (besonders Oistrach) erreicht sie noch nicht (will sie vielleicht auch gar nicht). Der Anteil des Instruments dürfte beim Hören von Klangfarben ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Wobei sie wahrscheinlich jeder ein wenig anders beschreiben würde. Frau Yangs Spiel wirkt dabei nie glatt oder gar poliert, sondern immer sehr lebendig und spannungsreich wie selten einmal.

Im zweiten Satz gefällt auch das pointierte, federnde Orchesterspiel wieder sehr gut. Der Scherzo-Charakter wird ausgezeichnet herausgestellt. In Bezug auf den Nuancenreichtum hören wir fast ein Geigenspiel von einem anderen Stern: tatsächlich differenzierter als alle anderen, zudem absolut intonationssicher, man traut den eigenen Ohren kaum. Das „Intermezzo“ wirkt sagenhaft tänzerisch, die Habanera entpuppt sich oder hört sich fast an wie ein höchst leidenschaftlicher, erhitzter Tango mit all der ihm innewohnenden Sinnlichkeit. Das Tempo ist entsprechend spritzig. Auch der vierte Satz erhält eine vor Intensität vibrierende Darstellung, die die tieftraurigen Passagen voll zur Geltung bringt, genau wie die Aufhellung des Mittelteils. Das Musizieren mündet beim Rondo in einem spannenden Zusammenspiel mit dem aufgeweckten, dynamisch und straff zupackenden Orchester. Man spricht spürbar dieselbe Sprache. Frau Yang hat ihren Part offensichtlich vollends verinnerlicht. Sie lässt eine überbordende Virtuosität hören, die keine Details vernachlässigt und so leicht klingt. Lalo und Sarasate, diese Überzeugung ist leicht zu vertreten, hätten ihren Spaß mit dieser Einspielung gehabt.

Diese Einspielung hörten wie als High-Res-Download, der sehr präsent, transparent und sehr dynamisch wirkte. Man hört eine fast ideale Balance innerhalb des Orchesters und eine tatsächlich ideale Balance von Violine und Orchester. Dank der hohen Auflösung der Aufnahme waren Körperhaftigheit und Tiefenstafflung ebenfalls eindrücklich zu erleben. Das Label hat mit der vertraglichen Verpflichtung von Tianwa Yang, wenn wir nur einmal vom Gehörten ausgehen dürfen, einen ganz besonderen Glückstreffer gelandet.

 

5*

Tianwa Yang

Manuel Lopez-Gomez

HR-Sinfonieorchester Frankfurt

HR, Live und Direkt-Übertragung, unveröffentlicht

2018

8:08  4:14  5:58  7:05  7:54  33:19

Diese Einspielung stammt aus dem Sendesaal des HR, also einmal nicht aus der Alten Oper. Man dachte wohl, da es sich sowohl bei der Solistin als auch beim venezolanischen Dirigenten um Debut-Auftritte beim HR handelte, dass der kleinere Raum erst einmal ausreichend wäre. Schade für die vielen Frankfurter Zuhörer, die deshalb nicht bei dieser Sternstunde vor Ort dabei sein konnten.

Es wird gegenüber der CD in allen Sätzen ein wenig langsamer gespielt, ansonsten bietet sich in Barcelona und Frankfurt und eigentlich auch in Koblenz das gleiche Bild. Und um es gleich vorwegzunehmen, der Klang der HR-Sendung wirkt hochwertiger, vor allem präsenter als der aus Koblenz und das Frankfurter Orchester spielt mit mehr Feinschliff und bringt das Symphonische des Stückes besser zur Geltung. Hier klingt die Guarneri fantastisch rund und das fast einzigartige Nuancierungsvermögen der Geigerin lässt live gegenüber der Studio-Einspielung nicht nach, das Spiel lässt live sogar noch etwas mehr Rubato zu als im Studio und wirkt hier fast noch spontaner und spannender.

Auch im Konzert ist die Intonationsreinheit ganz erstaunlich, von Aufregung, falls die Geigerin so etwas überhaupt verspüren sollte, ist nicht das Geringste zu bemerken. Im zweiten Satz lässt Tianwa Yang ein paar neue Einfärbungen hören, die wir von der CD noch nicht kannten. Im Mittelteil scheint sie noch mehr Spaß an den kleinen Verzögerungen und Tempoverschärfungen zu haben, die aber musikalisch immer im Fluss bleiben und nicht aufgesetzt wirken. Auch sie legen Zeugnis ab von der absoluten Beherrschung ihrer Metiers im Allgemeinen und im Hinblick gerade auf dieses Werk ganz besonders.

Im „Intermezzo“ scheint die Solistin die Saiten noch mehr zum Vibrieren zu bringen, reizt die Fähigkeiten ihres Instruments zum Espressivo noch mehr aus als zuvor, vielleicht hat sie gemerkt, dass dieser Abend unter einem guten Stern steht, das Orchester und der Dirigent gut vorbereitet mitmachen und alles gut zu klappen scheint, sodass sie noch mehr aus sich herauskommt, vielleicht auch noch mehr Risiko „gehen“ kann. Der schöne Klang wird jedoch nicht wie bei einigen männlichen Kollegen gefährdet oder aufs Spiel gesetzt. Enorm ausdrucksvoll wirkt das Spiel auf uns und die absolute Treffsicherheit mit der auch die weitesten Intervalle und dann auch noch teilweise in einem halsbrecherischen Tempo genommen werden, ist mehr als respektgebietend, ist frappierend. Auch das Engagement der Solistin und die Empathie mit dem Stück erreicht allerhöchstes Niveau. Das überträgt sich natürlich auch auf das Publikum. Das Orchester müht sich hörbar ganz besonders, auch seine solistischen Darbietungen wirken glänzend, sind vom höchsten Engagement geprägt (z.B. die Oboe, die in diesem Konzert sagenhaft schön spielt), aber wer der Star dieser Aufführung ist, ist jederzeit klar.

Gerade im langsamen Satz lässt man sich im Konzert mehr Zeit, lässt so den Gefühlsgehalt noch besser erblühen. In unserer Mitschrift steht: „Besser geht es eigentlich nicht mehr“. Dem kann man kaum noch was hinzufügen. Ach ja das hinreißende Spiel wird mit einer enormen Spannungskurve versehen. Schade, dass man von dem Dirigenten in der Folge des Konzertes hierzulande gar nichts mehr gehört hat.

Im Rondo herrscht (ohne die Stimmungseintrübungen zu vernachlässigen, im Gegenteil) die pure Spiellust, oder wenn man so will: Lebenslust. Und den geigerischen Höhenflügen könnte man, da der Musik sowieso schon eine gewisser Perpetuum-Mobile-Charakter eigen ist, ewig weiter zuhören. Unsere Mitschrift: „So hört sich Vollendung an, und das auch noch live!“ Allerdings fehlte bei der zweiten Pizzicati-Stelle fast ein Tönchen. Das wäre nicht wert erwähnt zu werden, zeigt aber eigentlich nur, mit welch einer Akkuratesse, Reinheit und Schönheit das Konzert erlebt werden konnte, da es die einzige Stelle war, die uns aufgefallen ist.

Gegenüber den Aufnahmen aus der Alten Oper ist der Bassbereich bei der Übertragung aus dem Sendesaal geradezu domestiziert. Und gegenüber der Aufnahme des SWR aus Koblenz erscheinen die Solistin und das Orchester besser differenziert und erheblich klarer, praller und sonorer. Der Sendesaal ist ja auch ein aufwendig eingerichtetes Studio mit allen technischen „Schikanen“, was der Koblenzer Mehrzweckhalle nicht vergönnt ist.

 

5*

Leonid Kogan

Kyrill Kondraschin

Philharmonia Orchestra London

EMI, Intense-Media, Documents

1959

7:16  3:59  5:40  6:10  7:34  30:39

Nach nur vier Jahren legte man bei EMI ein Remake der Pariser Einspielung der „Symphonie Espagnole“ mit Leonid Kogan nach, höchstwahrscheinlich um der Hörerschaft die Meisterschaft dieses Geigers auch in der neuen Stereo-Technik offerieren zu können. Während wir bei dem Solisten erwartungsgemäß keine neue Deutung des Konzertes erleben, bringt das Londoner Philharmonia nun genau das mit in die Darbietung ein, was in Paris noch ein wenig gefehlt hat. Die Stringenz und Leidenschaft des von Kondraschin angefachten und tatsächlich feuerfangenden Orchesters ist begeisternd. Leonid Kogan hat uns ja bereits 1955 in Mono sehr gut gefallen. Vor allem seine sogar gegenüber seinen ukrainischen Landmännern Heifetz und Oistrach gesteigerte Nuancierungskunst bei ganz ähnlicher Ausgewogenheit und substanzreicher Klasse des Tons, begeistert nun aufs Neue. Wir vernehmen den teils auch feinsinnig zurückgenommenen lebendigen, teils mit vollem Espressivo aufgeladenen Klang vielleicht sogar noch feuriger als 1955. Vielleicht klappte die Zusammenarbeit mit Kondraschin auch noch reibungsloser, stimulierender als mit dem Franzosen Charles Bruck. Technisch spielt Kogan nach wie vor über jeden Zweifel erhaben und grandios. Und gegenüber dem Übervirtuosen unserer Zeit Vadim Repin weniger glatt. Sein Spiel scheint tiefer zu loten. An die Differenzierungskunst von Tianwa Yang kommt aber auch der ein wenig herber und wenn man so will „männlicher“ spielende Kogan nicht ganz heran. Für alle begeisterungsfähig Hörenden dürfte Kogans Zweiteinspielung ein Ohrenschmaus sein.

Auch wenn wir uns den zweiten Satz anhören, pointiert, höchst präzise, dabei sehr temperamentvoll festigt sich der Eindruck, dass die Einspielung mit Vadim Repin dagegen ein wenig äußerlich anmutet. Hier wird mit geatmet und mit gefiebert. Kogan scheint das Werk vollkommen zu beherrschen, scheint sich aber auch voll dazu zu bekennen, sonst hätte sein Spiel wohl kaum diese Überzeugungskraft.

Im „Intermezzo“ macht das Orchester einen sehr konzentrierten, ja enthusiasmierten Eindruck. Die Spieler sitzen auf der vordersten Stuhlkante, wo man auch das Philharmonia beileibe nicht immer findet. Nicht jeder Solist und auch nicht jeder Dirigent konnte die distinguierten Briten so mitreißen, wie man es hier zu hören bekommt.

Beim vierten Satz sind wir völlig kritiklos. Die Musik geht durch Mark und Bein, was bei diesem Stück auch nicht alle Tage passiert. Höchstens könnte man einwenden, dass das Dolce ein wenig zu sehr vom dramatischen Erzählfluss, der expressiver kaum gestaltet werden könnte mitgerissen wird. Es klingt auch etwas zu laut. Das haben andere subtiler hinbekommen, aber da fiebert man dann auch nicht so mit.

Im Rondo herrscht völlige Begeisterung unsererseits. Sogar dieser Satz wird zu einer Art Psychogramm. Als Einspielung ein Dokument des Gelingens, sowohl geigerisch als auch vom Orchester her gibt es die volle Bandbreite an Emotionen, gespielt auf höchstem Niveau.

Wir hörten diese Aufnahme innerhalb der 10 CDs umfassenden unglaublich preiswert zu erwerbenden Box von Intense Media, die Kyrill Kondraschin gewidmet ist. Bei diesen Boxen haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Einspielungen zumeist weniger körperhaft und weit weniger opulent klingen als die Originale. Hier wäre es eine EMI nach der man Ausschau halten sollte, zumindest wenn die Höhe des Investments keine Rolle spielt. Eine dicke Empfehlung aber auch für die CD innerhalb der 10er Box, die für das Alter der Aufnahme immer noch tonal ausgewogen, transparent und dynamisch klingt. Violine und Orchester klingen sehr präsent. Da auch die Techniker anscheinend ihr Bestes zum Gelingen der Einspielung beigetragen haben, heißt es hier: Unbedingt zugreifen.

 

5

Vadim Repin

Kent Nagano

London Symphony Orchestra

Erato

1998

7:38  4:00  5:48  7:07  7:49  32:22

Vadim Repin, wie Maxim Vengerov ein Schüler Zakhar Brons, nutzte und nutzt während seiner Laufbahn bereits einige Stradivaris und Guarneris, die ihm jeweils leihweise (meist für fünf Jahre) überlassen wurden. Zur Zeit der Aufnahme scheint die Stradivari „Rubin“ das Instrument der Wahl gewesen zu sein. Seitdem kamen weitere Violinen zum Einsatz. Während es beispielsweise Frank-Peter Zimmermann sehr wichtig ist, immer dieselbe Stradivari spielen zu können (eine echte „Geliebte“ mithin), scheint es für Vadim Repin das Wichtigste zu sein, dass er ein Instrument höchster Güte zur Verfügung hat.

Die „Symphonie Espagnole“ beginnt ja, bevor die Violine einsetzt, mit einem kurzen Orchestervorspiel. Dabei zeigt das LSO bereits seine Klasse und lässt aufhorchen. Da passt alles bestens ineinander. Exzellentes Zusammenspiel genauso wie tolle Dynamik und furioser Biss. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass Dirigent Kent Nagano nicht ganz verhindern kann, dass die Oberflächenreize ein wenig dominieren (was nicht für jedermann ein Nachteil sein muss), was ein direkter Vergleich mit der zuvor gelisteten von Kyrill Kondraschin geleiteten Einspielung oder auch mit der unter Dmitri Mitropoulos´ Leitung. Das LSO und Mister Nagano passen jedoch in ihrer Musizierhaltung bestens zum Solisten. Vadim Repins Violine hat ein kräftiges Volumen, einen Ton mit sattem Schmelz und ein herrlich warmes, sinnliches Timbre. Sie wird zudem ausgesprochen temperamentvoll gespielt und die Dynamik sehr weit ausgereizt. Der Vortrag gelingt im ersten Satz zur Gänze mitreißend. Das Werk wird mit herausragender Leichtigkeit und Können dargeboten. Das ist auch gefährlich, birgt diese Leichtigkeit auch die Gefahr, dem Werk ein wenig die Substanz zu nehmen. Darüber ließe sich trefflich philosophieren, wir empfanden Vadim Repins ersten Satz jedenfalls als grandios.

Das Tempo im Scherzando wirkt sehr beschwingt und äußerst belebt. Ein echtes Scherzo mit vielen Facetten und einem technischen Feinschliff der wohl nicht zu übertreffen ist. Trotz reicher Nuancierung verliert er die große Linie nicht aus den Augen. Stringenz ist ebenso Trumpf.

Im „Intermezzo“ spielt das Orchester grandios auf; ein impulsives LSO präsentiert sich in Bestform. Herr Repin steht ihm nicht nach. Seine herausragende Virtuosität steckt voller Tatendrang.  Eng verzahntes Miteinander. Das alles führt zu einem besonderen Musikgenuss für den Hörer und für die Hörerin mit viel Glanz und Gloria.

Auch im vierten Satz überzeugt das Spiel. Mit 27 Jahren wirkt auch der tiefgehende Satz bei Vadim Repin keinesfalls zu jugendlich-unbekümmert. Das Geigenspiel ist auch hier geprägt von einer fast schon blendenden Sicherheit. Im Rondo lässt es dann alle Schwierigkeiten sich in Luft auflösen. Hier lässt er es unbekümmert frisch voranstürmen im besten Einvernehmen mit dem LSO. Jeder Satz ist zwar auch bei Repin ein Charakterstück, genauso aber auch ein Virtuosenstück par excellence. Wenn es um Lalos Meisterwerk geht, gehört Repin Einspielung ohne Zweifel in jede Sammlung, zumindest sollte man sie einmal gehört haben. Sicher wird sie aber nicht jedermanns Favorit sein, dazu gibt es zu viele hervorragende Alternativen. Die Auswahl ist ziemlich groß. An geigerischer Brillanz kommt jedoch niemand an Vadim Repin vorbei. Eine Empfehlung gibt es noch: Yehudi Menuhin sagte über Vadim Repin: „Er ist einfach der beste und perfekteste Violinist, den ich jemals hören durfte.“ Ergänzen müsste man: Menuhin hat Tianwa Yang nicht mehr hören können.

Klangtechnisch hat die Violine einen „Halo“ (ein Glanzkränzchen) um den eigentlichen Ton spendiert bekommen (mutmaßlich). Das Orchester klingt offen, transparent, warm und mit einer guten Staffelung in den hinteren Raum hinein. Die Balance zwischen dem Solisten und dem Orchester ist hervorragend. Die Dynamik ist sehr gut, sodass sich ein lebendiger, farbiger Gesamtklang ergibt. Ganz dicke Empfehlung.

 

5

Shlomo Mintz

Zubin Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

DG

1988

7:43  4:10  6:01  6:30  6:55  31:19

Shlomo Mintz machte seine Einspielung des Stückes mit 31. Wie man lesen kann, bekam er seinen letzten Schliff bei Dorothy Delay in New York. Er wechselte (und wechselt?) sein Instrument recht oft, sodass sich für uns keine klare Quellenlage ergibt, welches bei der Einspielung benutzt wurde. Die Einspielung beginnt natürlich auch dieses Mal mit dem Orchester und das ist dieses Mal mit auffallendem Engagement und voller Verve dabei. Der Orchesterpart wirkt sogar noch besser durchgearbeitet als zuvor beim LSO, aber vielleicht etwas weniger genialisch-locker. Wir bewegen uns jedenfalls beide Male auf einem sehr hohen Niveau. Shlomo Mintz präsentiert uns einen eher schlanken, sehr biegsamen Ton, nicht so voll und rund wie zuvor bei Vadim Repin. Die Artikulation wirkt zugleich maßvoller und ruhiger als bei dem diesbezüglich an die Grenzen des Machbaren gehenden und die Grenze zum Ruppigen nicht scheuenden Maxim Vengerov. Herr Mintz findet zu einer hervorragenden Balance von apollinischer Klassizität und feurigem spanischen Temperament, das daher auch nicht übertrieben wird. Seine tadellose Technik führt zu einer wunderbar abgerundeten Artikulation. „Leichtfüßig“ lässt er die Schwierigkeiten des Stückes ebenso vergessen, wie die drei zuvor gelisteten Virtuos:innen. Er bildet mit dem Orchester mit dem ausgesprochen aufmerksamen Zubin Mehta eine gleichberechtigte Partnerschaft, was bei diesem Werk gar nicht so einfach zu sein scheint. Der erhabene, oder wenn man es anders formulieren will auch hochnäsige oder unnahbare Stolz im ersten Satz erscheint bei Mintz abgemindert ins Allgemeinmenschliche oder, wenn man so will wird „vermenschlicht“. Von Anfang bis zum Ende des ersten Satzes ist es eine angenehme Freude dieser Einspielung zuzuhören. Sie ist ausdrucksvoll, meidet aber den Überdruck, der uns noch bei Maxim Vengerov und anderen begegnen wird. Bei Tianwa, Kogan oder Repin fiebert man allerdings viel mehr mit.

Das „Scherzando“ klingt tänzerisch und charmant, wird mit Witz und Pointierungskunst ausgestaltet. Immer schlank und enorm tonschön. Im „Intermezzo“ überwiegt dann kompositionsgemäß die sinnliche Brillanz, während im vierten Satz ein Vortrag in bester Belcanto-Manier auf uns wartet. Kantabler geht es wohl kaum. Der mit flexiblem Vibrato aufblühende Geigenton geht zu Herzen. Wir konstatieren höchstes geigerisches Niveau.

Noch ein wenig schneller als bei Repin oder Vengerov bleibt Mintz jederzeit absolut souverän. Wie bereits bei seiner Einspielung mit Pinchas Zukerman, die uns auch beeindruckt hat und ein wenig weiter unter vorgestellt wird, greift Mehta zu einer gekürzten Version des finalen Rondos. Das Orchester spielt geschmackvoll und nie lärmig. In den betreffenden Passagen zugespitzt. Ein auch stilistisch sehr gelungener Auftritt. Wenn man die beiden Orchester Mehtas vergleichen will, so klingt das IPO deutlich leichter und weniger pompös (ist eigentlich schon zu viel gesagt) als das LAPO. Das IPO agiert nicht ganz mit dem virtuosen Aplomb des LSO, wirkt aber auch weniger oberflächenglänzend. Eine Einspielung mit sehr viel Esprit.

Zu Beginn wirkt die Einspielung aus Tel Aviv noch ein wenig hallig, das bessert sich jedoch schnell. Die Transparenz ist dann sehr gut. Die Geige scheint zunächst auch deutlich im Vordergrund zu stehen, da wäre das Stück deutlich mehr Konzert als Symphonie. Das bessert sich jedoch auch sehr bald zu einer am Symphonischen ausgerichteten Balance.  Die Aufnahme klingt ausgewogener und lange nicht so supertransparent wie die präsentere Einspielung Mehtas aus LA von 1977 mit Pinchas Zukerman.

 

5

Letitia Moreno

Yi Chen Lin

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken - Kaiserslautern

SR, Live und Direkt-Übertragung, unveröffentlicht

2022

7:49  4:09  6:07  6:18  8:12  32:35

Das Konzert stand bereits lange vor dem eigentlichen Musizieren unter spannenden Vorzeichen, denn relativ kurzfristig musste die junge taiwanesische Dirigentin, die bereits mit sieben nach Wien kam und derzeit Kapellmeisterin an der Deutschen Oper Berlin ist, für den erkrankten Josep Pons einspringen. Das sollte jedoch nicht die einzige dringlich erforderliche Improvisation bei diesem Konzert bleiben. Doch eins nach dem anderen. Die junge spanische Geigerin verbrachte bereits einen Teil ihrer Ausbildung in Saarbrücken, als Maxim Vengerov noch hier unterrichtete. Weitere Lehrer waren Zakhar Bron, ein Name der ziemlich häufig in unserer Liste auftaucht und gar nicht so unmittelbar einleuchtend, Mstislaw Rostropowitsch. Das Orchester spielt dieses Mal nicht in seiner üblichen Spielstätte, sondern in der Alten Schmelz zu Sankt Ingbert, was durchaus für veränderte akustische Gegebenheiten sorgt, auch am anderen Ende der Leitungen, nämlich im heimischen Zimmer. Das Timbre des Orchesters wirkt dunkler und der Klang voller und runder als sonst. Also durchaus eine Verbesserung gegenüber der akustisch trockenen, unvorteilhaften Kongresshalle. Frau Moreno spielt wohl nicht mit einer Guarneri (die sie seit 2005 laut Wikipedia leihweise verwenden soll) und möglicherweise auch nicht mit der Nicola Gagliardo von 1762, die sie laut ihrer Agentur spielt, sondern wahrscheinlich mit einer 2021 neu gebauten Violine von Marc Paquin. So genau wissen wir es nicht. Ihr Klang ist jedenfalls herrlich voll und gut fokussiert, ihre Spielweise präzise und vor allem sehr lebendig und ausgesprochen brillant. Ihr Spiel verfügt indes nicht ganz über die so traumhaft sichere Artikulation von Tianwa Yang oder Vadim Repin. Das Zusammenspiel mit dem Orchester klappt sehr gut, es ist nicht zu vergessen, dass wir hier live und direkt dabei sind. Die dynamischen Vortragszeichen werden indes besonders genau beachtet. Der Vortrag, besonders der Geigerin wirkt spannender und dramatischer als üblich. Senora Moreno geht in jeder Hinsicht in die Vollen, Perfektion scheint für sie nur eine Nebensache, sie scheut kein Risiko. Das führt zu manch einem Anschleifgeräusch, das man vielleicht im Studio retuschiert hätte. Wenn man Maxim Vengerovs Einspielung kennt, meint man durchaus Ähnlichkeiten zu vernehmen. Letitia Moreno geht ähnlich an die Grenzen dessen, was aus ihrer Geige herauszuholen ist wie ihr ehemaliger Lehrer. Für den aufmerksamen Hörer ist ihr Spiel atemberaubend.

Im „Scherzando“ geht es mit der fast schon kämpferisch orientierten zum Bersten gespannten Darbietung weiter, die schweren Atemgeräusch der Solistin, von den Mikros recht deutlich eingefangen, unterstreichen die intensive Spielweise noch zusätzlich. Der scherzhafte und leichte Zug, den andere Darbietungen zeigen, kommt weniger zum Zuge. Bärbeißig oder im Stile des mittleren Beethoven hört es sich jedoch noch nicht an, wohl aber höchst expressiv. Auch das Orchester zeigt sich von seiner virtuosen Seite, sodass nicht nur die Saiten von Senora Moreno mitunter ganz schön krachen.

Leidenschaft dominiert auch die orchestrale Einleitung zum „Intermezzo“. Von der Solistin ist entgegen den Erwartungen, die die Satzbezeichnung erwarten ließe, keine Entspannung zu erwarten. Sie scheint sich mit Haut und Haaren der Musik verschrieben zu haben, nur der Mittelteil wirkt spielerischer, wenngleich die Spannung auch hier sehr hochgehalten wird. Eine durch und durch rassige, vollblütige Darstellung des 3. Satzes.

Das Blech der DRP ist beim ersten mächtigen Einsatz zum Andante nicht ganz zusammen, im Studio hieße das: „Nochmal von vorne. bitte“. Das Gegeneinander mit den weichen und besonders zart intonierten Streichern gelingt dann sehr kontrastreich. Auch hier erfreut zudem die präzise Einhaltung des Komponistenwillens: f ist hier nicht ff. manch ein Dirigent lässt sich hier verleiten. Dann passiert die Geigerkatastrophe schlechthin. Senora Morenos Geige reißt eine Saite. Wen wundert es angesichts der Saitenbelastung in den vorherigen Sätzen? Blitzschnell setzt das eine Tauschaktion größeren Ausmaßes in Gang. Die Konzertmeisterin übergibt ihre Violine an die Solistin, die zweite Konzertmeisterin ihre an die erste und so weiter. Bereits die nächste Figur, es war, da wir die Tauschaktion nur am Radio verfolgten, kaum zu glauben wie schnell das ging, war schon wieder da, nur ein wenig schneller als im Tempo des Orchesters, da wurden die fehlenden, sagen wir geschätzt 5 Sekunden wieder reingeholt. Ob da heimlich geprobt wurde, wie die Stabübergabe in einer 4x 100 m Staffel bei den Läuferinnen? Wie geistesgegenwärtig kann man sein? Wen wundert es da noch, dass die letzten hohen Spitzentöne etwas mehr wackeln als bei der formidablen Tianwa Yang oder den anderen Spitzenvirtuosen, die in aller Ruhe weiterspielen konnten? Nach diesem Malheur und dann auch noch mit einer fremden Geige!

Das Rondo hören wir dann wieder mit der ursprünglich bespielten Geige der Solistin, der anscheinend mit Lichtgeschwindigkeit eine neue Saite aufgezogen wurde, und dann auch noch fertig eingestimmt! Nun meint man, dass die Solistin ein wenig unruhiger spielt als die Sätze zuvor. Immer noch hören wir ein Spiel mit vollem Körpereinsatz, appassionato bis zum Anschlag eben. Ein Drahtseilakt, an Spannung kaum zu überbieten. Immer noch gespielt mit vollem Risiko. Eine ganz besondere Darbietung, reich an Farbe, Leidenschaft, auch elegant und klangschön, vor allem aber reich an Überraschungen. Eine einfach bewunderungswürdige Solistin und was für ein kollegiales, reaktionsschnelles Orchester!

Der Klang der Aufnahme ist halliger und großräumiger als gewohnt, jedoch sehr transparent und differenziert. Der Gesamtklang wirkt gut aufgelöst und fein, voll und plastisch. Die Geige wird hautnah (inklusive der Atemgeräusche der Solistin) jedoch etwas zu weit links gegenüber der gewohnten Perspektive abgebildet, dennoch passt die Balance zwischen Solistin und Orchester sehr gut.

 

5

Pinchas Zukerman

Zubin Mehta

Los Angeles Philharmonic Orchestra

CBS-Sony

1977

7:43  4:35  6:10  6:43  6:56  31:47

Pinchas Zukerman spielt heute die Guarneri de Gesù „Dushkin“. Zum Zeitpunkt der Aufnahme stand sie ihm jedoch noch nicht zur Verfügung. Ob er die zuvor gespielte „Stauffer“ ebenfalls von Guarneri bei der Aufnahme in LA dabei hatte, entzieht sich trotz Nachforschung unserer Kenntnis. Die Texte zu den LPs früherer Tage waren zumeist so kurzgehalten, dass man schon froh sein konnte, wenn der Chronist ein wahrheitsgemäßes Aufnahmedatum serviert bekam. Es ist aber letztlich auch nicht wichtig, welches Instrument zum Einsatz kam. Wichtig ist für uns Hörer, dass Zukermans Klang von herausragender Fülle und durchdringender Sonorität ist. Die farbige Leuchtkraft findet man sonst nicht eben oft. Sie hört sich übrigens auch bei Zukerman nicht bei jeder Aufnahme gleich an. Dieses Mal geht auch Mister Zukerman an die Grenzen dessen, was die Geige hergibt. Sehr sinnlich, dunkel timbriert und vor allem in der Höhe von irisierender Schönheit. Das Orchester, vom flexiblen Zubin Mehta zu prächtigem, aber nicht undifferenziertem Klang und kraftvollem Schwung angehalten, versucht es dem Solisten gleichzutun. Zukerman übertrifft in dieser Einspielung seinen Mentor Isaac Stern in allen Belangen. „Großartig“ trifft den zu hörenden Gestus der Musik vielleicht noch am besten.

Das „Scherzando“ klingt flott, elegant, geistreich, sehr pointiert, hell und strahlend, jedoch nicht positivistisch, denn den melancholischen Seiten wird genügend Raum eingeräumt.

Im „Intermezzo“, bei dem das Orchester mit feuriger Verve bereits bei der Einleitung in Erscheinung tritt, wird keine Reserviertheit spürbar. Das klingt im Verlauf teils sehr schön luzide und federnd, teils lässt Mehta aber auch ganz schön die orchestralen Muskeln spielen. Die klangliche Flexibilität und die Intonationssicherheit Zukermans sind hervorragend. Caféhaus-Musik ist somit weitmöglich entfernt.

Im „Andante“ lässt Pinchas Zukerman seine Violine sozusagen aus voller Brust und ungehemmt singen. Mitunter wurde uns der Bogendruck und damit die Expressivität des Spiels schon zu viel des Guten. Zum Bersten aufgeladen und extrem leidenschaftlich klingt das schon. Die fruchtige Süße des Zukermanschen Klangs erscheint hier ein wenig zurückgedrängt. Seine Gestaltung wird vom Orchester voll mitgetragen und man befeuert sich sozusagen gegenseitig.

Im (um die Buchstaben der Partitur J und K gekürzten) Rondo gehen Zukerman und Mehta deutlich forscher zur Sache als Perlman und Barenboim, aber auch als Shlomo Mintz. Supervirtuos und entschieden zupackend, farbig und mitreißend. Ein extrem lebendiges und kontrastreiches Musizieren, bei dem Zukerman jedoch appassionato und dolce nur in der Lautstärke unterscheidet. Beim dolcissimo wird hingegen dem Ton Fülle genommen und das Vibrato ein wenig intensiviert. Das ist schon sehr gut, denn nur die wenigsten investieren hier so viel Liebe zum Detail.

Der Klang ist sehr überzeugend, setzt er doch das Werk ins rechte Licht. Auf eine etwas amerikanische Art vielleicht. Er wirkt zunächst großformatig und wuchtig, aber auch plastisch und offen und besonders in der Breits sehr gut gestaffelt. Präsenz und Farbigkeit erfreuen ungemein. Während der Solist in Nahaufnahme kommt wird das Orchester eben nicht zurückgesetzt. Das Ganze wirkt sehr transparent, voll und sehr, sehr dynamisch und brillant. Würde es sich nicht um klassische Musik handeln, würde man sagen: „Macht echt an.“

 

5

Jean-Jacques Kantorow

Kees Bakels

Orquesta Ciudad de Granada

BIS

2007

7:10  3:57  6:14  5:55  7:44  31:00

Das spanische Orchester macht einen sehr guten Eindruck, wir kennen und schätzen es ja bereits von Vergleich von de Fallas „Nächte in Spanischen Gärten“. Es spielt schon zu Beginn mit spanischem Temperament und ordentlich Schmiss. Dynamisch ausgezeichnet differenziert. Die wiederholten kurzen fffff Steigerungen werden exzellent umgesetzt, davor drücken sich die allermeisten. Monsieur Kantorow war bei der Aufnahme 62 Jahre alt und ist damit einer der erfahrensten Vertreter seiner Zunft. Zudem kennt er wie David Oistrach, wie wir etwas später noch sehen werden, bei diesem Werk auch die Seite des Dirigenten sehr gut. Obwohl er zum Zeitpunkt der Aufnahme schon seit langem auch als Dirigent unterwegs ist, hat er das Violinspiel beileibe nicht verlernt. Im Gegenteil: Er spielt äußerst differenziert im Dynamischen und überhaupt in seiner Artikulation und hält nach wie vor höchstes Niveau. Sein Ton ist weich und ohne Schärfe, nur ganz vereinzelt hören wir einmal ein paar unschönere kleine Störgeräusche. Bei seinem „echten“ pp kommt es nicht gleich zum Schmachten und sein schlankes Vibrato wirkt stets an der richtigen Stelle angebracht. Er verliert nie den Blick auf das Ganze.

Im „Scherzando“ erleben wir ein bestens aufeinander abgestimmtes gemeinsames Musizieren, geschmeidig und tänzerisch, teils besonders leise und filigran und bestechend differenziert. Mendelssohns „Sommernachtstraum“ lässt grüßen.

Im „Intermezzo“ lassen sich Dirigent und Orchester nie zu plumpen Kraftakten verleiten, stets bleibt ihr Spiel geschmeidig und gesanglich. Die Geigenstimme bewegt sich artikulatorisch freier als üblich, bringt noch mehr erotische Spannung mit in die „Tango-Verzögerungen“ der eigentlichen Habanera ein. Dieser gebotene Nuancierungsreichtum ist den Super-Virtuosen der Vergangenheit ziemlich fremd geblieben.

Das „Andante“ wirkt wahrlich traurig und wird als echte Deklamation gespielt. Die Dolce-Passage wird sehr gut abgesetzt. Kantorow verzichtet dabei auf das sonst übliche Legato, sondern reißt quasi jede Note einzeln an. Ein Blick in die Partitur gibt ihm allerdings Recht. Die Passage wirkt nun unruhiger. Vielleicht hat man sich jedoch einfach nur an die übliche falsche Artikulation gewöhnt. Dies Einspielung bringt einige Stimmen zu Gehör, die sonst unter das Podium fallen.

Vollends begeisternd ist die Partiturgenauigkeit im Rondo. Nirgends hört man die Unterschiede zwischen appassionato, dolce, espressivo und dolcissimo auf dem engen Raum der paar Partiturseiten so plastisch herausgearbeitet wie bei Jean-Jacques. Als ob das nicht schon genug wäre, erfreut auch noch das mitreißende Musizieren.

Zudem muss man der Interpretation auch eine sehr weit getriebene Aufwertung des Orchesterparts zuschreiben. Hier klingt das Werk tatsächlich wie eine Symphonie mit obligater Solo-Violine. Sie wirkt zudem ausgesprochen kurzweilig. Man könnte sie gut begründet durchaus noch höher einstufen, aber die zuvor genannten Einspielungen sind auf ihre Weise eben herausragend.

Das Klangbild ist sehr klar und offen. Das Orchester wird hervorragend aufgefächert und gegenüber den alten Aufnahmen ist endlich einmal eine Basslinie richtig zu verfolgen.  Die Violine ist hingegen nicht mehr so deutlich exponiert wie bei den älteren Einspielungen, weil die Geige nun „Primus inter pares“ ist.  Das Klangbild nähert sich dem Konzerteindruck sehr weit an. Wie bereits erwähnt ergibt sich eine hervorragende Darstellung des symphonischen Anspruchs.

 

5

Itzhak Perlman

Daniel Barenboim

Orchestre de Paris

DG

1980

7:50  4:05  6:11  7:00  8:00  33:06

Mir Itzhak Perlman liegen uns zwei Einspielungen von Lalos Meisterwerk vor, die sich ziemlich deutlich unterscheiden. Während Perlmans Ton 1966 noch recht rau klingt, wirkt er 1980 bereits verführerisch süß. Der Unterschied ist so gravierend, dass man von einem Wechsel des Instruments ausgehen muss. Die Quellen verraten aus der Zeit vor 1984 leider nicht viel. Danach hatte der Geiger gleich drei Violinen zur Hand. Es sind bzw. waren dies: Die „Soil“ von Stradivari, die zuvor Yehudi Menuhin gehörte und die „Sauret“ von Guarneri del Gesù. Von 1984 bis 1987 besaß er auch noch die Carlo Bergonzi „ex Kreisler“. Die „Soil“ ist vor allem im Winter seine Hauptgeige, während er bis 2014 die „Sauret“ als seine bevorzugte Geige Sommer-Geige verwendete, wenn wir das richtig verstanden haben. 1980 könnte die Stradivari „General Kyd“ zum Einsatz gekommen sein, die laut Tarisio von 1980 bis 1990 in Perlmans Besitz war und später von Uto Ughi gespielt wurde.

Wie dem auch sei, wenn man die Aufnahme von 1980 kennt, mag man die 1966er eigentlich gar nicht mehr hören, so groß ist der Unterschied. Es sei denn man legt besonderen Wert auf den Orchesterpart, da verhält es sich nämlich umgekehrt. Dem Orchestre de Paris geht nämlich die jugendlich-frische Note des LSO unter André Previn weitgehend ab, ohne dass es nun gleich plump oder träge agieren würde. Doch nun erstmal zurück zur Hauptsache und das ist natürlich der Geiger.

Mister Perlman spielt nun viel weicher und runder, einschmeichelnder, geschmeidiger und vor allem erheblich sinnlicher. Die Tonschönheit wirkt also erheblich gesteigert. Zudem wirkt das Spiel reifer und ausdrucksvoller. Insgesamt ein ausgesprochen einnehmendes Violinspiel, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Bei ähnlicher Impulsivität wirkt der Nuancen- und Farbenreichtum nochmals gesteigert. Das Orchester hört sich im Vergleich zum schlankeren und sehnigeren LSO ein wenig aufgedonnert und pompös an. Dennoch liegt hier sicher eine der besten Leistungen Barenboims als Begleiter mit einem Orchester vor.

Im „Scherzando“ geht es kaum weniger schwärmerisch als 1966 zu, jedoch differenzierter und viel anheimelnder im Klang. Was für ein Gewinn, bei dem die Technik der DG sicher auch ihren Teil beiträgt.

Auch im „Intermezzo“ spielt Itzhak Perlman mit mehr Raffinesse. Die virtuosesten Passagen klingen nun unforciert und samtig. Das Orchester wirkt hier jederzeit feinfühlig und geht aufmerksam auf die Belange des Solisten und natürlich der Partitur ein. Da wurde vor der Einspielung sicher mal gut gearbeitet. So hört es sich jedenfalls an.

Beim „Andante“ gelingt Barenboim das „sostenuto“ zu Beginn sehr gut. Das Dolce Perlmans klingt nun wirklich besonders süß, gar kein Vergleich zur 66er Einspielung. Klanglich und technisch ein wirklich makelloser Genuss.

Im Rondo klingt das Pariser Vorzeigeorchester nun wieder bisweilen etwas pompös und undurchsichtig, was aber den Gesamteindruck, der vor allem von Perlmans Exzellenz geprägt wird, kaum schmälert. Dem herrlich sonoren, sauberen und makellos schönen Violinspiel kann man sich kaum entziehen und nur allzu gerne das Attribut „meisterlich“ verleihen.

Die Aufnahme könnte die erste Digitalaufnahme eines Instrumentalkonzertes der DG gewesen sein. Dafür kann sich das Ergebnis wirklich hören lassen. Allerdings war unsere Quelle bereits als spätere Wiederauflage digital überarbeitet worden. Sie klingt durchweg runder und weicher als die RCA von 1966. Das Orchester wirkt großräumig, repräsentativ, luftig und weitgehend gut konturiert, bisweilen leider auch ein kleines bisschen hallig und schwammig. Die Violine wird ihrer Bedeutung in dieser Aufnahme gemäß auch tontechnisch bevorzugt, lässt aber das Orchester noch recht detailreich durchklingen. Die Violine hat sich nun vom Orchester klanglich völlig losgelöst und klebt nicht mehr so dicht an ihm dran wie 1966 in London.

 

5

Thomas Christian

Stefan Blunier

WDR Rundfunkorchester Köln (heute: WDR Funkhausorchester)

Sony

2002

7:28  4:08  6:12  6:13  8:05  32:06

Thomas Christian kommt weder aus der „russischen“ noch aus der französisch-belgischen noch aus der amerikanischen Schule. Er ist somit eigentlich ein Solitär. Er hat zwar seinen letzten Schliff wie Pierre Amoyal  bei Jascha Heifetz in Los Angeles erhalten, kommt aber aus der Wiener Geigentradition oder besser Geigertradition. Er spielt auf eine Geige von Pietro Guaneri, einem schließlich in Venedig ansässigen Sohn des Cremoneser Giuseppe Guaneri, dessen Geigen die Höchstsummen möglich machen.

Natürlich beginnt auch diese Einspielung, die übrigens Teil einer Gesamtaufnahme aller Konzerte von Lalo ist, wie die Einspielungen von Kantorow und Gatto auch, mit der durch ein kurzes Solo des Solisten unterbrochenen Orchestereinleitung. Da traut man seinen Ohren kaum, wie gekonnt und hoch engagiert sich das Kölner Orchester (es handelt sich nicht um das WDR Sinfonieorchester!) unter dem hellhörigen und ungemein animierenden Stefan Blunier in Szene setzt. Viele sonst zumeist verschluderte Details werden hier hörbar gemacht und zugleich doch auch mit akzentuierten Rhythmen und einer fast stürmischen Verve musiziert. Es stellt sich nicht hinter dem Solisten an, sondern fordert mit sozusagen spanischem Stolz den vollen symphonischen Anspruch, den der Komponist ihm zugebilligt hat. Der Geiger überrascht kaum weniger, präsentiert er doch einen ungemein farbigen und saftigen Geigenton. Eher breit und sehr voll von Statur gehört der „Wiener Ton“ ganz gewiss nicht zu den Anhängern des eher fein ziselierten, filigranen französischen Geigentons. Im Vergleich zu den Supertechnikern (z.B. Repin oder Tianwa Yang) ist Christians Spiel vielleicht nicht hyperperfekt, aber er hängt sich voll rein und bringt ein erstaunliches Brio mit enormer Dynamik und einer natürlich wirkenden Musikalität mit ein, wobei er Details nicht vernachlässigt.

Auch im „Scherzando“ begeistert das Spiel des Orchesters, das im Sender sonst eher für die leichtere Muse zuständig ist. Den Scherzo-Charakter trifft man ganz hervorragend, was nicht minder für den ebenfalls mit bewundernswertem Einsatz spielenden Solisten gilt. Im besten Sinn dürfen wir uns doch ein kleines bisschen ins Wiener Caféhaus versetzt fühlen. Allerdings mit pulsierenden Rhythmen.

Aus einer anderen Aufnahme-Session scheint das „Intermezzo“ zu stammen, denn das Orchester hören wir nun nicht mehr mit der fabelhaften Präsenz der beiden ersten Sätze. Es ist jedoch immer noch sehr detailliert und transparent durchzuhören. Hier fühlen wir uns nicht unbedingt in eine Tango-Bar versetzt, die Habanera bleibt sozusagen eine Habanera. Schön fließend zeigt sie sich weniger verführerisch als volksnah und musikantisch-deftig. Spanien ist eben nicht Argentinien, wenn man so will. Es ist nicht anzunehmen, dass Lalo an einen Tango gedacht hat, zumal dessen Ursprünge erst auf ca. 1910 datiert werden. Die waren jedoch tatsächlich in Frankreich und nicht in Argentinien, wie man vielleicht annehmen könnte. Auch wenn bei Christian einmal ein Tönchen nicht ganz präzise sitzt, stört das angesichts der verbreiteten Spielfreude überhaupt nicht. Dies ist eine Einspielung zum mitfiebern, gerade auch dank Bluniers heißblütigem Dirigat ist das eine besondere Freude.

Das „Andante“ wirkt, obwohl es der Satz ist, der am tiefsten lotet, außerordentlich lebendig. Thomas Christian hebt die Dolce-Passage kaum hervor, was wenig wundert, denn seinem Ton ist sowieso ein gewisses „Dolce“ immanent. Nicht zuletzt durch das sehr aufmerksame und reaktionsschnelle Orchester erklingt der langsame Satz so kurzweilig wie man ihn selten hört. Die vier Spitzentöne der Violine, die den Satz beschließen klingen zwar nicht ganz p, aber sauber und glanzvoll.

Im Rondo klingen die offensiven Passagen aufgekratzt wie selten, die defensiven dagegen sozusagen mit einer Träne im Knopfloch. Stefan Blunier führt das Orchester mit Bravour, wobei man den Eindruck gewinnt, dass sich der Geiger ein wenig als Bremser vom Dienst betätigt. Wenn man sich das Orchester einmal gesondert im Vergleich mit dem Orchestre de Paris der zuvor gelisteten Einspielung anhört, könnte man vermuten, dass Köln erheblich näher an Spanien liegt als Paris. Diese Einspielung legt ganz sicher nicht die Messlatte für zirzenisches Violinspiel neu auf und es gibt einfach geigerisch deutlich vollkommenere, aber wenn es darum ginge, die charmanteste Einspielung zu küren, wäre diese der heißeste Kandidat auf den Spitzenplatz. Auch bringt sie gerade im Finale sehr viel Lebensfreude mit, die sich auf die Hörer:innen leicht übertragen dürfte. Ein sprudelnder Quell guter Laune sozusagen, besonders an tristen Tagen sehr zu empfehlen. Vielen Dank Thomas Christian, vielen Dank Stefan Blunier und vielen dank ans Kölner Funkhausorchester, das hier einmal aus dem Schatten des Sinfonieorchesters heraustritt.

Der Klang der Aufnahme lässt Solist und Orchester gleichermaßen sehr präsent zur Geltung kommen.  Er gibt sich offen und ausgesprochen transparent. Die Dynamik und der volle Klang werden selbst hartgesottene WDR-Hörer überraschen. Dies ist ein audiophiler Überraschungs-Tipp.

 

5

Igor Oistrach

David Oistrach

Großes Sinfonieorchester des Rundfunks und Fernsehens der UdSSR, Moskau

Melodija

ca. 1963

7:36  4:08  5:55  6:24  8:11  32:14

David Oistrachs Sohn Igor stand in der Gunst von Publikum und Kritiker nie so hoch wie er selbst. In dieser Einspielung gefällt uns sein Spiel jedoch ganz ausgezeichnet, auch wenn sein Violin-Ton deutlich heller wirkt als der „rabenschwarze“ Ton von Vater David. Vielleicht liegt es nicht zuletzt einfach daran, dass der hellere Ton zu Lalos Werk einfach sehr gut zu passen scheint. Vielleicht würde sich der Unterschied im Klang relativieren, wenn Igor einmal die Geige des Vaters hätte nutzen dürfen. Es hört sich nicht so an, als ob dies der Fall gewesen wäre. Gleichwohl kann man annehmen, dass auch Igor ein adäquates Spielgerät aus dem Staatsfundus in die Hand bekam. Die Violine klingt in dieser Einspielung etwas heiser, das Vibrato wirkt schnell und von erregender Intensität. Die haben Töne haben eine immense Strahlkraft. Vater David war natürlich mit beiden Parts bestens vertraut und das merkt man seinem Dirigat auch an. Das Orchester spielt feurig und wuchtig, ja besonders temperamentvoll und spritzig. Das hätte man nach Kenntnis einiger anderer Dirigate nicht unbedingt erwartet.

Das Allegro molto wird im Scherzando gut umgesetzt. Mitunter wirken die schnellen Passagen sogar ein wenig gehetzt. Das Orchester klingt erstaunlich farbig und sehr rhythmisch. Das Zusammenspiel wirkt perfekt.

Im „Intermezzo“, das bereits im Orchester sehr kontrastreich beginnt, brennt Igor ein virtuoses Feuerwerk ab. Mitunter konnten wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass er seinem Vater zeigen wollte, wie gut er das Stück draufhat. Dann lassen es beide gemeinsam richtig krachen. Igor gelingt das dolce sehr gut, Der Satz wird zu einem ganz besonderen Erlebnis. Der russische eingefärbte Klang des Orchesters störte uns nicht im Geringsten.

Das Orchestervorspiel zum „Andante“ klingt durch die tiefen Bläser bei Oistrach besonders finster. Die Streicher lässt er ganz besonders weich kontrastieren. In diesem Satz kam uns Igors Ton flexibler und schattierungsreicher vor als Davids. Die Kantabilität gefällt sehr. Die Dolce-Passage überspielt Igor ziemlich nonchalant. Insgesamt wirkt der Satz äußerst expressiv, geradezu aufgebracht. Die vier Spitzentöne am Satzende sind bis zuletzt glasklar.

Im Rondo könnte man bisweilen stärker zwischen p und f unterscheiden. Insgesamt wird jedoch sehr partiturgenau und differenziert musiziert. Igors Artikulation ist glasklar und sauber, sie neigt zum Extrovertierten, was aber bitte nicht als negativ bewertet verstanden werden sollte. Gerade der letzte Satz erfährt eine frische, expressive Darbietung geprägt von mitreißendem Elan.

Klanglich wirkt die Aufnahme taufrisch, da gekonnt und anscheinend mit feinem Equipment restauriert wurde. Vor einem transparenten Orchester steht prominent und glasklar die Violine. Wir hören ein frisches, lebendiges, offenes, präsentes, farbiges und besonders strahlendes Klangbild. Das muss betont werden, denn aus den frühen 60er Jahren ist erfahrungsgemäß klanglich meist nichts Gutes aus der UdSSR zu erwarten gewesen. Eine Entdeckung.

 

5

Joshua Bell

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montreal

Decca

1988

7:32  4:23  6:16  6:42  7:58  32:51

Als das beste französisch sprechende Orchester oder das beste Orchester der französisch sprechenden Welt hat man das OSM einmal betitelt. In den 80er und 90er Jahren nahm es (außer Bruckner vielleicht) wirklich alles auf, was greifbar war. Werke französischer Komponisten standen allerdings besonders im Fokus. So wundert es nicht, dass es nach der Einspielung mit Kyung-Wha Chung 1981 nach nur sieben Jahren erneut mit der „Symphonie Espagnole“ beschäftigt wurde, dieses Mal mit Herrn Bell an der Violine. Und immer mit dabei: Charles Dutoit. In diesem Fall hat sich das Remake jedenfalls gelohnt, denn wir werden gleich zu Beginn schon mit einem erheblich animierteren, temperamentvolleren Orchesterspiel begrüßt. Joshua Bell und Charles Dutoit werden uns später noch in einem Live-Mitschnitt von 2017 aus London wiederbegegnen (Charles Dutoit auch noch mit Sarah Chang in Amsterdam). 1988, Herr Bell war damals gerade 21 Jahre jung, spielte er in Montreal mit flinkerem Vibrato, kontrastreicher, frischer und offensiver als später in London. 2017 klingt er jedoch klanglich weicher, samtiger. Man denkt dabei sofort an eine andere Violine. Bells Instrument ist heutzutage die „Gibson ex Huberman“, eine Stradivari, die 1713 während der sogenannten „Goldenen Ära“ von Stradivari hergestellt wurde. Die Geige wurde ihrem Vorbesitzer Bronisław Huberman zweimal gestohlen; das letzte Mal gestand der Dieb die Tat auf seinem Sterbebett. Als Bell die Geige einmal spielen konnte, sagte ihm sein damaliger Besitzer, der Geiger Norbert Brainin, scherzhaft, dass sie ihm für 4 Millionen Dollar gehören könnte. Am 3. August 2001 war Bell in London, um bei „The Proms“ aufzutreten. Dort wurde er von J & A Beare vor dem Konzert angesprochen. Er erfuhr, dass die Geige in London war und an einen deutschen Industriellen verkauft werden sollte, um Teil einer Sammlung zu werden. Bell spielte am selben Abend bei diesem Proms-Konzert diese Geige. Später verkaufte er seine frühere Geige, die „Tom Taylor“ Stradivarius, für etwas mehr als 2 Millionen Dollar und kaufte die Gibson ex Huberman für etwas unter dem geforderten Preis von 4 Millionen Dollar. Der Dokumentarfilm „The Return of the Violin“ aus dem Jahr 2013 erzählt die Geschichte des Diebstahls, der Rückgabe und des anschließenden Erwerbs des Instruments durch Bell. Bells erste Aufnahme mit der „Gibson ex Huberman“ war Romance of the Violin im Jahr 2003. Unsere vorliegende Decca Aufnahme von 1988 sollte er also mit der „Tom Taylor“ gespielt haben, die von 1987 bis 2002 in seinem Besitz war. Um die „Tom Taylor“ ging es übrigens auch in dem Film „The Red Violin“, in dem Bell Ton Taylor spielte.

Doch nun schnell wieder zurück zu Lalo. Das Zusammenspiel von Bell und dem Montrealer Orchester wirkt präzise. Im zweiten Satz agiert Herr Bell fein, akkurat und ausdrucksvoll. Stets ein wenig spritziger als 2017 live in London. Allerdings muss man bedenken, dass der Dirigent in London, es war ebenfalls Charles Dutoit, bereits auf 80 Jahre zurückblicken konnte und die Tempi alle ein wenig gegenüber 1988 nachließen. Die Spitztöne Bells in Montreal erfreuen mit absoluter Makellosigkeit.

Erheblich energischer klingt auch die Habanera des „Intermezzos“. Kraftvoller und heißblütiger bereits im Orchester wirkt auch Bells Violinspiel brillant, substanzreich, hochvirtuos und spritzig. Auch an Nuancen lässt er es nicht fehlen.

Das „Andante“ wird 1988 von Dutoit weit weniger monumental und klangmächtig inszeniert als 2017 und atmet die nötige Ruhe. Bell hat, obwohl 1988 noch mit der „Ton Taylor“ unterwegs, bereits einen herrlich kantablen Ton, absolut sicher auch in der Intonation. Sein Vibrato darf man wohl als ideal bezeichnen. Eine eindringliche Gestaltung mit hervorragend klaren und besonders leisen (also partiturnahen) Spitzentönen am Schluss.

Spielerisch leicht und beschwingt, besonders ausgewogen, brillant virtuos aber auch nobel gelingt Bell das Finale. Es darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Tianwa Yang jedoch noch ein wenig temperamentvoller und facettenreicher im „Rondo“ zu Werke ging. Es sind eben lauter bewunderungswürdige Virtuosen in dieser 5er Gruppe anzutreffen.

Klanglich hat die Decca-Studio-Aufnahme natürlich weit die Nase vorn. Sie klingt erheblich klarer, präsenter, präziser offener und dynamischer als der Mitschnitt aus London. Jedoch auch etwas härter. Insgesamt deutlich vorzuziehen, wobei man die Wahl wohl gar nicht haben kann, denn bisher wurde der Mitschnitt nicht veröffentlicht. Er schlummert im Archiv der BBC. Die Decca klingt übrigens auch deutlich brillanter als die EMI-Aufnahme aus Amsterdam mit Sarah Chang von 1994, bei der ebenfalls Charles Dutoit am Dirigentenpult stand.

 

5

Sarah Chang

Charles Dutoit

Concertgebouw Orchestra Amsterdam

EMI

1994, Live

7:47  4:01  5:57  6:05  7:47  31:37

War Yehudi Menuhin 1933 mit seinen 16 Jahren bisher der „Yougster“ unseres kleinen Vergleiches, so übernimmt die junge Sarah Chang diesen Titel nun von ihm. Sie war gerade einmal 13 oder 14 als sie in Amsterdam das Werk aufnehmen ließ.  Auch sie war ein „anerkanntes“ Wunderkind und spielte bereits mit 9 ihre erste CD ein. Das 1. Violinkonzert von Paganini gehörte zum Programm der CD, die sie in New York mit Zubin Mehta einspielte. Auch sie war Schülerin u.a. von Dorothy DeLay. Sarah Chang besitzt mehrere Geigen, ihre Hauptgeige ist eine Guarneri del Gesu von 1717 des Cremoneser Instrumentenbauers Giuseppe Guarneri del Gesù , die sie von ihrem Mentor Isaac Stern erworben hat. Zuvor hatten die Beiden in der von Stern eigens reservierten Carnegie Hall zehn Stradivaris und acht Guarneris zudem Geigen anderer Provenienz ausprobiert. Chang verwendet eine Vielzahl von Bögen: Sie hat gesagt, dass sie einen Pajeot für Mozart und Bach bevorzugt; einen Sartory für die Konzerte von Tschaikowsky und Sibelius; und zwei Dominique Peccattes für andere Musik. Ihrer Darbietung kann man beste Partiturtreue attestieren. Ihr Ton wirkt in jedem Fall erwachsen, geschmeidig und voll. Er wirkt erheblich dunkler eingefärbt als der von Kyung-Wha Chung. Verblüffend ist die Energie, mit der sie an die Musik herangeht und ihre perfekte Intonation. Ihre dynamische Bandbreite kann man schon als fantastisch bezeichnen, vor allem wenn man sich vorstellt, dass sie noch ein halbes Kind gewesen sein muss. Das meint die volles Lautstärke, die sie hervorbringen kann, aber noch mehr das erstaunliche pp, an das manche Kolleg:innen einfach nicht herankommen. Charles Dutoit, nun bei seiner dritten von vier Aufnahmen, wirkt souverän und begleitet gekonnt, eng verzahnt mit der jugendlichen Solistin. Deren Souveränität ist kaum zu glauben, besonders wenn man bedenkt, dass auch noch live aufgezeichnet wurde. Obwohl das nicht mit einer Direktübertragung im Rundfunk zu vergleichen ist. Auf CD wird meist aus mehreren Konzerten zusammengeschnitten und wenn nötig noch eine Nachbereitung zur Korrektur anberaumt und man nennt das Ganze dann immer noch „live“. Wie dem auch sei, der zweite Satz wirkt schön locker musiziert, die durchaus delikate Phrasierung jedoch ein wenig blasser als bei Tianwa Yang. Sarah Chang zaubert jedoch ein makelloses Spiel aus ihrem Instrument, sodass ihr Mentor sicher seine helle Freude daran gehabt hätte. Im „Intermezzo“ wiederum fällt besonders gut auf, wie warm und weich ihre Tongebung wirkt, trotz der höchsten Virtuosität, die sie sich abverlangt. Dies wirkt indes auch noch mühelos. Sollte es ein Makel sein, dass sie das tenuto nicht deutlich hält? Und dass sie auch einmal ein Legato über die Noten legt, wo die Noten nicht gebunden werden sollten? Im „Andante“ spielt sie äußerst expressiv aber auch immer rund und weich, sodass der ganze Satz von bezaubernder Wirkung ist. Da steckt bei anderen vielleicht doch noch ein bisschen mehr drin. Im Rondo geht der Jung-Teenager auf geigerische Höhenflüge und zeigt wo der geigerische „Hammer“ hängt. Das ist einfach technisch und musikalisch vorzüglich gespielt, nuanciert, finessenreich und höchst virtuos. Fast schon zu sonor und gespenstisch perfekt. Klasse! Die Aufnahme wirkt, da das Concertgebouw voll besetzt war, stark bedämpft und warm, jedoch immer noch einen Tick heller als bei den einschlägigen Philips-Aufnahmen des Orchesters. Die Violine spielt ganz klar die Hauptrolle. Der Gesamtklang ist deutlich gedeckter und weniger brillant als bei den beiden Decca-Aufnahmen des Dirigenten aus Montreal.

 

5

Mark Kaplan

Lawrence Foster

Orquesta Sinfonica de Barcelona i National de Catalunya

Koch

2001

7:40  4:14  6:18  7:07  8:02  33:21

Auch Mark Kaplan nahm seine abschließenden Studien bei Dorothy Delay auf. Falls man heutzutage – angesichts einer weitgehenden Globalisierung - überhaupt noch von „Schulen“ reden kann, wäre er ein Vertreter der amerikanischen Schule. Ausschließlich für diese Einspielung öffnete ein Sammler seine Schatztruhe und Mister Kaplan konnte die CD mit der „Alard, Baron Knoop“ von 1715 aufnehmen. Diese Stradivari gehört zu den allerfeinsten Modellen der „Goldenen Periode“ des Geigenbaumeisters, so meinen es zumindest die einschlägigen Seiten. Ein Beweis dafür ist in jedem Fall, dass bereits der französische Geigenbauer Jean-Baptiste Vuillaume im 19. Jahrhundert eine genaue Kopie dieser Stradivari anfertigte (er wusste, was gut ist), auf der heute Hilary Hahn spielt. Das Original verschwand nach der Aufnahme wieder im Tresor oder der Vitrine. Man kann sich den bemitleidenswerten Mister Kaplan gut vorstellen, wie er gezwungen wurde, das Instrument nach „Genuss“ desselben wieder zurückgeben zu müssen. Angesichts der Tatsache, wie oft diese wertvollen Violinen bereits geklaut wurden, mögen auch Herrn Kaplan möglicherweise Zweifel gekommen sein. Das wäre verständlich, denn der Klang der „Baron Knoop“ kam sogar in diesem Vergleich, in dem ja eine gewisse Anzahl an erlesenen Violinen zu hören waren, als absolut außergewöhnlich vor.

Man kann den Klang (in Verbindung mit Herrn Kaplans Spiel) als voll und edel bezeichnen, sonor, weich, besonders frei und besonders farbig. Ein uns andere Mal scheint der Geiger der Verführungskraft des Instruments zu erliegen, seinem Zauber anheimzufallen, wenn er einem Ton einmal einen Bruchteil einer Sekunde zu lange nach hört. Er kann es sich erlauben, denn sein Spiel ist sehr virtuos und die Geige geht los wie ein „geölter Blitz“.

Man muss sich wundern, dass diese Einspielung, da sie nun bereits 22 Jahre auf dem Markt ist, nicht schon viel populärer geworden ist. Es mag am reichen Angebot an guten Aufnahmen liegen, die es von dem Werk mittlerweile gibt. Die Violine ist jedenfalls Balsam und Doping für die Ohren gleichermaßen. Man hört einfach nur gebannt zu und schaut schon längst nicht mehr in die Partitur. Mark Kaplan ist zudem ein Virtuose von hohen Graden. Er spinnt lange Phrasen, hat immer den symphonischen Kontext im Auge und übertreibt den folkloristischen Aspekt des Werkes nie. Im „Intermezzo“, da sind wir kurz aus unserem Geigentraum erwacht, hat bei ihm das Lyrische deutlich die Oberhand über dem dramatischen Aspekt. Im „Andante“ geht es nun wirklich nicht mehr schöner. Es fällt nun das wunderbar flexible Vibrato und das linienbetonte Spiel besonders ins Ohr. Irgendwie wirkt die Musik ein wenig nobler als bei den anderen Interpret:innen. Beim Rondo hat die Mitschrift dann nur noch zu: „bin begeistert“ gereicht. Den Nachteil gegenüber den Einspielungen, die zuvor gelistet werden (und auch gegenüber einigen, die noch danach kommen) darf nicht verschwiegen werden, es betrifft allerdings eher die klangliche Disposition der Aufnahme.

Der Aufnahme fehlt es (und das ist deutlich spürbar) an Höhenbrillanz. Das betrifft vor allem den Orchesterklang, der dadurch auf uns etwas schwülstig wirkt und sich plumper anhört als er im Aufnahmeraum tatsächlich gewesen sein mag. An Sonorität bei Geige und Orchester mangelt es nicht. Der Bass scheint betont, die Höhen, gerade wenn man zuvor etwa die Einspielung von Augustin Dumay gehört hat, einige würden sagen wie abgeschneitten, andere würden meinen: wohltuend reduziert. Tatsächlich fehlt es aber bei den Höhen, um einen natürlichen Glanz des Orchesters zu gewährleisten (Flöten, Triangel usw.) Staffelung und Balance von Geige und Orchester erfüllen hingegen hohe Ansprüche.

 

5

Ellinor D´Melon

Jamie Martin

RTE National Symphony Orchestra, Dublin

Rubicon

2023

8:27  4:19  6:32  6:13  8:28  33:59

Gerade erst veröffentlicht handelt es sich hier um das Debutalbum der gerade einmal 20jährigen venezolanischen Geigerin kubanischer Eltern. Als Schülerin von Zakhar Bron (schon wieder) und Gewinnerin zahlreicher Wettbewerbe, schmiedet sie derzeit an einer großen Karriere. Das meint jedenfalls ihre Website. Da erfährt man auch, dass sie eine „Meistergeige“ von Guadagnini spielt.

Zuerst nehmen wir jedoch Kontakt mit dem irischen nationalen Rundfunk-Sinfonieorchester auf, dem sein Dirigent spanischen Stolz und eine gebührend großspurige Attitüde eingeimpft hat. Das klingt im Verlauf aber auch mit Biss und sehr lebendig. Da wird schon klar: Um die orchestrale Seite muss man sich keine Sorgen machen. Die junge Geigerin spielt ausdrucksvoll, mit einem vollen, runden, saftig-sinnlichen Ton, der keine Schärfe kennt und mit Kraft und hohem Überzeugungs- oder besser Verführungspotential. Auffallend gut das Zusammenspiel mit dem Orchester, das sich quasi als verlängerter Arm und „Verstärker“ der Solistin sieht. Eine runde Sache, an der es zumindest im ersten Satz für uns nichts herumzumäkeln gibt.

Im „Intermezzo“ meint man dann doch die südamerikanische Herkunft der Solistin zu spüren (wenn wir ihren Namen in Irland verortet hätten, wäre es nicht anders gewesen). So spannend und raffiniert-tänzerisch hört man diesen Satz selten. Das tänzerische Potential („Pseudotango“) wird voll ausgelotet. Die Solistin schont ihr Instrument nicht. Und Mister Martin lässt das Orchester charaktervoll und pointiert aufspielen. Nur ein „Zwischenspiel“ kann man diese Darbietung nicht mehr nennen. Eher eine voll integrierte Hauptsache, wie die anderen vier Sätze auch.

Das „Andante“ wird zu einer tollen dramatischen Szene, die Spitzentöne am Ende sitzen tadellos und flackern kein bisschen.  Das Rondo ist ein funkelndes Feuerwerk an guter Laune und Virtuosität. Der makellose, expressive Klang der Geige begeistert, auch wenn wir diese Aufnahme als vorletzte unseres Vergleiches gehört haben.

Der Klang wirkt klar, großräumig, ganz leicht hallig und opulent bis füllig und körperhaft. Dem Klang der zuvor gelisteten Einspielung ist er deutlich vorzuziehen. Die Balance ist sehr gut. Die dynamischen Eigenschaften (im groben wie im feinen) sind reichhaltig und ausgeprägt. Eine Aufnahme auf den neuesten Stand der Technik.

 

5

Arthur Grumiaux

Manuel Rosenthal

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

Philips, Mangora Classical

1963

7:38  4:15  6:23  6:30  8:15  32:41

Arthur Grumiauxs Lesart des Stückes haben wir im Wesentlichen bereits in seiner 56er Mono-Aufnahme kennengelernt, bei der sogar dasselbe Orchester mitgewirkt hat. Nur Jean Fournet wurde durch den Ravel-Schüler Manuel Rosenthal ersetzt. Wie sieht es mit den Grumiauxschen Geigen aus? Er hatte mehr als nur sein Lieblings- und sein Ersatzinstrument. Das macht es für uns schwieriger zu bestimmen, welche bei der Aufnahme gespielt wurde. Er besaß von 1971 bis 1986 die „Rose“, hergestellt von Giuseppe Guarneri im Jahr 1744 und spielte eine Stradivarius, die „General Dupont“, hergestellt im Jahr 1727, die er jedoch nicht besaß. Er besaß jedoch auch die "Il Museo ex Grumiaux" von Giuseppe Guarneri aus dem Jahr 1739 die er von 1963 bis 1971 besaß und die "Campoli" von Giovanni Guadagnini aus dem Jahr 1773.  Anderen Quellen zufolge soll er auch die Stradivari „Titian“ besessen haben. Am liebsten spielte er jedoch eine Guarneri und in unserem Fall sollte es dann vielleicht die „Il Museo“ gewesen sein.

Das Orchester entwickelt eine beträchtliche Dynamik und das Spiel wirkt durchaus detailreich. Die Effekte bei den Posaunen, die kurz aber wiederholt von ff zu fff zu steigern haben, kommen ungeschmälert. Wie bereits erwähnt lassen viele Dirigenten, diesen Effekt ungenutzt, obwohl er etwas ganz Besonderes darstellt, da ähnliches kaum sonst zu finden ist. Grumiaux selbst, unterdessen 42 geworden, unterstreicht eher noch seine Qualitäten als dass sie nachgelassen hätten. Plastisch modelliert, fein gezeichnet, temperamentvoll, detailreich, völlig frei von Schärfen und nie auf seine Virtuosität eigennützig aufmerksam machend. Das Besondere an seiner Einspielung ist die Wahrung der Balance, die geschmackvolle Stilsicherheit und die brillante, zarte Tonschönheit. Die Kantabilität steht im Vordergrund und auch die leisen Töne werden mit Brillanz, aber eben leise intoniert. Das Orchester kann man zumeist als Gute-Laune-Orchester bezeichnen scheut hingegen auch einmal vor einem deftigen Einstieg oder kurzem Auftrumpfen nicht zurück. Immer sucht es jedoch den stimmigen Kontrast und verfügt genauso über zarte Töne. Sonst würde es kaum zu dem Solisten passen, dessen bezaubernde Virtuosität klanglich ohne jede Rauigkeit oder Schärfe auskommt, selbst beim appassionato. Im „Andante“, das schreitet wie ein Trauerkondukt lässt Grumiaux die Violine für die dolce-Passage eigens eindunkeln. Diese Meisterschaft im Farbenspiel hörten wir ähnlich bei Jascha Heifetz. Sehr sauber und klar hören wir fantastische f-Triller und die „Höhenluft“, die uns Monsieur Grumiaux atmen lässt, ist rein und klar. Technisch und musikalisch nahezu vollkommen, falls es das überhaupt geben kann. Im Rondo gefällt das Orchester erneut sehr, denn es begleitet sehr aufmerksam und gibt ordentlich Feuer, wenn es im Fokus steht. Für unsere Ohren kommt das Schlagwerk jedoch etwas überprononciert zu Ohren. Das passt nicht so recht zur im Übrigen so geschmeidig-eleganten und inspirierten Spielweise vor allem des Solisten. Der Eindruck des Profanen wäre leicht zu mildern gewesen, vielleicht war er aber auch als Kontrast gerade so erwünscht.

Ein weiterer großer Vorteil neben der nun berücksichtigten Fünfsätzigkeit ist natürlich das merklich geweitete Stereo-Klangbild, das auch offener, plastischer, transparenter und dynamischer klingt als 1956, ohne die Feinheiten zu unterschlagen. Auch ihm ist, darin dem Solisten entsprechend, jede Schärfe fremd.

 

5

Maxim Vengerov

Antonio Pappano

Philharmonia Orchestra London

EMI

2003

7:56  4:12  6:02  7:36  8:18  34:04

Wie Vadim Repin und einige andere Teilnehmer unseres Vergleiches studierte auch Maxim Vengerov bei Zakhar Bron. Auch er folgte seinem Lehrer, als dieser von Russland an die Musikhochschule Lübeck wechselte. Seit 1998 spielt Maxim Venegerov die „Ex Kreutzer“ Stradivaris, die er sogar erwerben konnte. Sie sollte bei der Aufnahme verwendet worden sein. Bei der Aufnahme war Herr Vengerov 29 Jahre und diese Tatsache hört man seiner Einspielung auch an. Ein größerer Gegensatz zur Aufnahme von Arthur Grumiaux lässt sich kaum denken. Vengerov lässt die Saiten und den Bogen krachen, zeigt ein überbordendes, leidenschaftliches Temperament und eine heißblütige Gestaltung. Das ist Brillant, nuancenreich und technisch auf höchstem Niveau. Bei Vengorovs Spiel fiebert man mehr mit als bei dem hypersicheren Vadim Repin, allerdings wird dabei auch schon einmal der gewohnte Pfad des schönen Spiels verlassen und manches erscheint als ein Drahtseilakt. Puh, gerade noch mal gut gegangen… Das wird auf Dauer sogar anstrengend für den Hörer:in. Das Orchester wirkt weniger virtuos als das LSO mit Nagano, klingt aber fülliger und etwas körperhafter. Das spanische Temperament wirkt beim Philharmonia viel ungestümer, dunkler und farbenreicher und viel weniger elegant als beim hell und klar aufspielenden, supervirtuosen LSO. Ist vielleicht auch kein Wunder, denn um Maxim Vengerov nahtlos zu begleiten ist allein schon die höchste Aufmerksamkeit gefordert, da bleibt weniger für die eigene Virtuosität übrig.

Im „Scherzando“ gibt Vengerov der Dynamik erneut ordentlich Zunder, er zeigt phantasiereiches Spiel bei dem man nie so genau weiß, wie es denn nun genau weitergeht. Dieser rhapsodische Ansatz macht es Dirigent und Orchester nicht leicht präzise zu folgen. Das heißt jedoch umgekehrt, immer auf dem Sprung zu bleiben, was den Gestus noch spannungsreicher werden lässt. Für einen Live und Direkt-Mitschnitt wäre diese Rhaphsodik zumindest einmal gefährdend. Aber es sind ja echte Könner am Werk und zur Not kann einfach ein neuer Take gemacht werden, wenn einmal was schief geht. Die dunkle Seite des Stückes wird bei Vengerov jedoch ganz besonders herausgestellt. Bis hierhin eine durch und durch eigenständige Interpretation des Werkes.

Streiten könnet man jedoch über die Herangehensweise Vengerovs trefflich. Mit dem „Intermezzo“ könnte er wohl kaum einen Schönheitspreis ergattern. Sein Espessivo wirkt bis zum Zerreißen gespannt. Repin Spiel wirkt viel schöner, weicher gerundeter, Vengerovs im Vergleich jedoch herausfordernder für den Hörer interessanter, noch leidenschaftlicher, vielfältiger aber auch brüchiger.

Das „Andante“ führt uns in ein nebliges Land. Das Sonnendurchflutete ist gänzlich verschwunden. Das passt, denn das Philharmonia kann durchaus als Spezialität für sich verbuchen, besonders dunkle Klänge entstehen lassen. Vengerov unterscheidet mit reichlich Vibrato (jedoch differenziert eingebracht) deutlich zwischen appassionato und dolce. Er reizt den Notentext voll aus, wie wir finden nun ohne Übertreibungen. Das Orchester folgt über jeden Stock und Stein. Wir hören ganz hervorragend gleichmäßige Spitztöne am Ende des Satzes.

Phantasievoll und einfallsreich geht es im „Rondo“ weiter, langweilig wird das Zuhören mit Vengerov ganz bestimmt nicht, allenfalls braucht man am Ende wirklich einmal eine Erholungspause. Er sprüht vor Temperament und nimmt dafür auch einmal ein kleines Missgeschick in Kauf (aber nur ein winzig kleines). Herausragend ist das Ausschöpfen der möglichen dynamischen Bandbreite.

Violine und Orchester werden auch von der Aufnahmetechnik als gleichberechtigt betrachtet, groß und mächtig klingt das Orchester immer mal wieder zwischendurch, die Violine wird nicht über Gebühr vorgeführt, sondern im Sinne Lalos symphonisch integriert. Man erreicht eine gute Balance von Präsenz und natürlich wirkendem Raumgefühl. Das Klangbild wirkt zudem farbenreich, dynamisch und transparent.

 

 

 

4-5

Tianwa Yang

Ruben Gimeno

Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Koblenz

SWR, Live und Direkt, unveröffentlicht

2017

7:51  4:06  5:56  6:41  7:56  32:30

Feuer, Drive und atemberaubende Technik gibt es auch in der dritten Aufnahme mit Tianwa Yang zu hören. Während Frau Yang mit derselben Präzision, Detailverliebtheit und Geschmeidigkeit wie in Barcelona und in Frankfurt vorangeht, wird sie in Koblenz vom SWR aufnahmetechnisch weniger günstig präsentiert wie zuvor. Wir nehmen in der Rhein-Mosel-Halle (virtuell) weit hinten Platz und nehmen somit am musikalischen Geschehen weit weniger hautnah teil. Zudem bringt das Orchester den Orchesterpart zwar durchaus mit Feuer und Schmiss zu Gehör, aber es fehlt ihm im Vergleich zu den beiden anderen an Präzision. Bereits im ersten Satz auffallend: Das herausragende Dolce der Geigerin, das seinesgleichen sucht und der flehentlich, bittende Gestus, der den Vortrag durchzieht. Im „Scherzando“ werden wir besonders an Mendelssohns Scherzi erinnert (der „Sommernachtstraum“ lässt grüßen), leise, geschwind und auch ein wenig geheimnisvoll. So leise wie Tianwa Yang spielt sonst niemand das p und pp. Im „Intermezzo“ neigen wir erneut unser Haupt vor der schwindelerregenden Virtuosität, die immer noch genug Raum lässt für die extreme Nuancierungskunst.  Auch das „Andante“, wie ein Trauermarsch, wirkt in den leisen Regionen unschlagbar differenziert, aber durch das ebenfalls lebendige Spiel auch enorm expressiv, dabei wirkt der ganze Vortrag auf eine fast schon irritierende Weise sauber und rein intoniert. Im Rondo werden erneut die aberwitzigsten Läufe und Figurationen völlig unforciert und in den schönsten Tönen hingezaubert. Nirgendwo sonst sind die Unterschiede zwischen appassionato, espressivo, dolce und dolcissimo so gut nachvollziehbar wie bei Tianwa Yang.

Der Klang ist erheblich weicher konturiert und weniger präsent als in Barcelona und Frankfurt. Die Solistin wird sehr weit links abgebildet, das Orchester breit, aber kaum tief. Die Solistin wird gegenüber dem Orchester zudem ziemlich klein abgebildet. Während die Natürlichkeit und die Räumlichkeit noch ganz gut mithalten kann, vermisst man gegenüber Barcelona und Frankfurt eine ordentliche Dynamik am meisten.

 

4-5

Lorenzo Gatto

Jean-Jacques Kantorow

Orchestre Philharmonique Royal de Liège

Alpha Classics

2015

8:06  4:10  6:20  6:47 8:01 33:24

Der Belgier Lorenzo Gatto, der das Werk mit 28 einspielte, kommt aus der belgisch-französischen Schule und kann somit als ein Nachfolger von Eugène Ysaye und Arthur Grumiaux gelten. Er spielt die „Joachim“ Stradivari von 1698. Gegenüber Grumiaux wirkt sein Ton mit dieser Stradivari zwar immer noch schlank, aber doch ein wenig fülliger, sehr sämig und weich, vielleicht sogar ein wenig dunkler, fast bratschenähnlich und frei von jeder Schärfe und Lästigkeit. Der nunmehr 70jährige Jean-Jacques Kantorow, der in dieser Einspielung den Dirigentenpart übernommen hat, hat sowohl den Solopart als auch den Orchesterpart verinnerlicht. Entsprechend gut verzahnt hört sich das Zusammenspiel auch an. Man könnte bemängeln, dass es nun in allen Sätzen ein wenig langsamer, ja kommoder zugeht, als in Granada 2007.

Im zweiten Satz spielt Lorenzo Gatto erheblich weniger differenziert als es Jean-Jacques Kantorow als Geiger gelang. Gattos Spiel wirkt demgegenüber etwas süffiger als Kantorow. Auch das Orchester klingt weich und samtig, sodass von dieser klanglichen Wirkung auch etwas auf den Aufnahmeort zurückfällt. Im „Intermezzo“ fallen erstmalig laute Atemgeräusche des Geigers auf, während er im „Andante“ mit viel Vibrato aufwartet. Das Tempo wirkt erheblich langsamer als in Granada und verführt so ebenfalls zu starkem Vibrato. Der kontrastreichen Dynamik und dem hervorragend einschmeichelnden, vollen, runden und satten Ton des Geigers schadet es nichts. Auch im Rondo lässt sich niemand aus der Ruhe bringen. Der Eindruck höchster Virtuosität stellt sich nicht unbedingt ein, denn zum gelassenen Tempo gesellt sich der ungemein satte Klang der Violine. Wir machen sozusagen Urlaub im wallonisch sprechenden Spanien. Wenig zirzensisch, nicht überrumpelnd, trotzdem gelungen.

Das Orchester hören wir aus einem weit aufgespannten, transparenten Halbrund, füllig und mit Tiefe (räumlich und klanglich). Die Violine ist nun wieder deutlicher in den Fokus gerückt als in Granada, sie klingt wieder dominanter, weniger symphonisch. Dynamisch ausgestattet mit einem weiten Ambitus gefällt das Klangbild mit satten Farben und angenehmer Brillant. Sehr angenehm zu hören. Ein Fest für die Klangkulinariker. 

 

4-5

Alexandre de la Costa

Carlos Kalmar

Orquesta Sinfonica de la Radio Television Espanola, Madrid

Warner

2012

8:28  4:25  6:44  6:05  8:50  34:32

Der kanadische Geiger und Dirigent Alexandre de la Costa spielte zum Zeitpunkt der Aufnahme die Stradivari „Eugenio di Barbaro“. Mit maßvollen Tempi bringt zu Beginn das majestätische Orchester den spanischen Stolz gut rüber. Die Madrider müssten es ja eigentlich wissen, ob es dabei um ihren Nationalstolz geht oder nicht. Da Costa nimmt sich recht viel Zeit für seine Ausführungen, die vom exquisiten Klang seiner Stradivari geprägt sind.  Warm und weich klingend spielt er technisch absolut sattelfest. Das pesante bringt er mit viel Druck und Vibrato gut zur Geltung. Mit ruhigem Gestus erzählt er lebendig und brillant, sein dolce hat wirklich eine süße Note. Durch den weitgehenden Verzicht auf das dramatische „Hochdruckgeigen“ ist der erste Satz entspannend zu hören, lange nicht so aufregend wie bei Zino Francescatti, Igor Oistrach oder Maxim Vengerov.

Das Allegro molto des „Scherzando“ könnte etwas lebendiger wirken, wobei es jedoch an geigerischer Virtuosität nicht fehlt. Das Orchester begleitet aufmerksam aber dezent und zurückhaltend. Der Satz erhält so eine nachdenkliche Note.

Im „Intermezzo“ erlaubt das gemächliche Tempo da Costas interessante Phrasierungsdetails. Etwas rhapsodischer als üblich ist dies eine eigenständige Auslegung, die auf uns durchaus schlüssig wirkte.

Während das „Andante“ zu einem sinnlichen Genuss wird, könnten da Costa und das Orchester im „Rondo“ durchaus ein wenig mehr aus sich herauskommen. Man lässt es warm leuchten und nur das appassionato wirkt eine wenig forciert aber immerhin ganz deutlich abgesetzt. Immer wieder fällt das süße dolce auf, das kaum jemand so kontrastreich und einleuchtend einstreut.

Wenn man eine weniger hoch erhitzte Darbietung des Werkes kennenlernen will, die durch eine unmittelbar eingängige Phrasierung, ein klares Konzept und einen schönen Klang überzeugt, für denjenigen ist diese Einspielung eine dicke Empfehlung. Sie lädt zum Träumen und Schwelgen ein. Für Genussmenschen und solche, die auf den zu hohen Blutdruck aufpassen müssen ganz besonders.

Der Klang ist glasklar und transparent, weniger trocken als bei Hadelich und natürlicher wirkend. Die Balance zeigt die Geige als Primus inter pares. Der Gesamtklang ist auf eine unaufdringliche Art brillant und neigt ein wenig zum Schwelgerischen. Wie gesagt: Zum Genuss ohne Reue vortrefflich geeignet.

 

4-5

Aaron Rosand

Tibor Sköke

Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden

Vox

1957 oder 59

7:37  4:18  6:01  6:39  8:00  32:35

Zur Zeit der Aufnahme war der amerikanische Geiger Aaron Rosand 30 oder 32 Jahre alt. Es ist schwierig Quellen zu finden, die etwas über seine verwendeten Instrumente wissen. Auf der amerikanischen Wikipedia-Seite fanden wir: Im Oktober 2009 verkaufte Rosand seine Guarneri del Gesù - Geige aus dem Jahr 1741 (zuvor im Besitz von Paul Kochanski), die er 1957 von der Witwe Kochanskis gekauft hatte, für rund 10 Millionen US-Dollar an einen russischen Geschäftsmann. Es wurde angenommen, dass dies der höchste Preis war, der jemals für eine Geige gezahlt wurde, und Rosand spendete 1,5 Millionen US-Dollar an das Curtis Institute of Music. Später gelangte sie in den Besitz von Pierre Amoyal, danach war sie über Jahre als gestohlen gemeldet.

Das Orchester unter dem ungarischen Dirigenten beginnt stürmisch und bringt fast die rhythmische Schärfe mit ins Spiel, die wir auch von den Chicagoern unter Walter Hendl gehört haben. Rosands Geigenton klingt saftig und voll. Ohne jede Schärfe gefiel uns sein Spiel besser als das von Henryk Szeryng. Das Dolce scheint Rosand jedoch weniger zu interessieren, obwohl seine Differenzierung der Dynamik sehr aufmerksam erscheint. Temperamentvoll geht er in die Vollen.

Rhythmisch beschwingt und leicht aber auch eindrücklich wirkt sein Ton auch im „Scherzando“. Auch hier sticht seine lebendige Dynamik heraus, die das Orchester mitzureißen scheint, denn diesbezüglich braucht es sich vom Chicago Symphony Orchestra nicht zu verstecken.

Erst im dritten Satz hören wir auch ein schön abgesetztes Dolce. Rosand findet traumwandlerisch sicher den richtigen Ton für das „Intermezzo“: Voller Impetus und trotzdem capriziös. Alleine schon dieser Satz lässt den Geiger zu den größten seiner Zunft gehören.

Das Andante wird zu einem Trauermarsch mit klagender Solostimme. Hier könnte sich Rosands Dynamik dem pp mehr öffnen. Sein ff wirkt allerdings herzerweichend. Bei E hingegen spielt er nicht f, wie es die Partitur wünscht, sondern p, was die Wirkung tatsächlich verbessert. Er macht aus dem Satz jedenfalls eine dramatische Szene, bei der ihm die vier letzten Spitzentöne nicht ganz makellos gelingen wollen. Im Rondo hören wie bei H wenig Unterschiede in der Spielweise von appassionato, espressivo und dolce. Die Virtuosität hingegen klingt wie mit frisch geölten Fingern: Unforciert, flott und sehr beschwingt. Insgesamt ist diese Einspielung eine wohl vergessene Perle der Diskographie des Werkes.

Von der Klangtechnik wird die Violine hautnah in den Vordergrund gestellt. Das Orchester ist bereits ganz gut aufgelichetet und bildet bereits ein ordentliches Panorama. Es klingt sehr dynamisch und man registriert bereits einen sehr großen Fortschritt gegenüber den Mono-Einspielungen. Wir vermuten, dass das Aufnahme-Equipment und die Techniker nicht vom SWF gestellt wurden, denn sonst hätten wir wahrscheinlich zu jener Zeit nur eine blasse Mono-Aufnahme serviert bekommen.

 

4-5

Henryk Szeryng

Walter Hendl

Chicago Symphony Orchestra

RCA

1959

7:42  4:10  6:14  7:30  8:22  33:58

Mit Henryk Szeryng lagen uns drei Einspielungen vor. Die beiden jüngeren aus Baden Baden (1963) und Monte-Carlo (1969) müssen in unserer Gunst hinter der Chicagoer von 1959 anstehen. Das liegt vor allem am prachtvollen Chicagoer Orchester und der direkten und lebendigen Klangqualität aus der Living-Stereo-Ära der RCA, also weniger an Szeryng selbst.

An der geforderten hochfahrenden spanischen Attitüde mangelt es dem Spiel Szeryngs und vor allem dem Orchester nicht. Im Vergleich etwas zu Leonid Kogan wirkt Szeryngs Ton schlanker und rauer, er läuft nicht so wie „geölt“, also frei von den ganz leise kratzenden, minimalen Störgeräuschen, die der Bogen nun eben einmal verursacht, wenn er über die Saiten gezogen oder geschoben wird. Manchen Spieler:innen ist es (ob es Magie ist oder nicht) gelungen, diese Geräusche für das Ohr des Hörers völlig zu eliminieren. Henryk Szeryng gehört nicht dazu. Leonid Kogan und andere hingegen schon. Das soll nun beileibe nicht heißen, dass das Spiel Szeryngs technisch nicht einwandfrei wäre und sein Ton nicht schön. Nichtsdestotrotz empfanden wir andere Geigen verführerischer und auch angenehmer zu hören. Die Attraktion im ersten Satz ist sowieso das Orchester, das gehörig auftrumpft und seine damals vorhandenen herausragenden Qualitäten selbstbewusst zu Schau stellt.

Im „Scherzando“ wirkt das Vibrato bei Szeryngs espressivo ziemlich unruhig, ja nervös, sein „Sound“ im Verhältnis zum bisher Gelisteten etwas monochromer.

Im „Intermezzo“ wird vom teils weit schwingenden Vibrato für heutige Ohren zu reichlich Gebrauch gemacht. Dynamisch ereignet sich zwischen pp und ff zu wenig, was dem Satz von seinem Kontrastreichtum nimmt.

Der vierte Satz liegt Szeryng sehr viel besser. Hier singt seine Geige sehr schön und das Vibrato schwingt nicht mehr so weit und nervös wie bisher. Die ruhigere Gestaltung ist dem Satz sehr angemessen. Die dolce-Partie im Mittelteil wird nicht als Traumszenerie gebracht, so wie es bei Heifetz unnachahmlich gelingt. Dem Orchester gelingt es - wie in den anderen Sätzen – die Dynamik voll auszuspielen, ohne dass der Gehalt veräußerlicht werden würde. Die Rhythmen wirken indes mitunter krachend. Die letzten Spitztöne des Satzes erklingen in meisterlicher Makellosigkeit.

Dem „Rondo“ geht die kontrastreiche Gestaltung in der Violine ein wenig ab, auch werden pp und p immer wieder überspielt. Prachtvoll wird allerdings das appassionato bei H herausgestellt. Insgesamt empfanden wir den ´59er Jahrgang Szeryngs als den eindrucksvollsten, obwohl er geigerisch ´69 eher noch zulegt.

Der Klang aus Chicago ist offen, sehr dynamisch und sehr transparent. Die Präsenz ist unmittelbar. Die Geige wird sehr schön (aber auch dicht) vom Orchester umgeben, um nicht untermalt zu sagen. Klanglich stellte die Aufnahme in der Chronologie gegenüber dem bis dato vorhandenen einen Quantensprung dar, wenngleich die Einspielung von Rosand und Sköke auch klanglich gar nicht so weit davon weg ist.

 

A propos Violinen von Henryk Szeryng: Hierzu schreibt ein gewisser Herr Roth: ‘Two Stradivari, one Andrea Guarneri, a fine Gofriller, two Vuillaumes (one of which is a copy of the “Messiah” Strad) and, of course, the magnificent 1743 “Le Duc” Guarnerius del Gesù. … During his final period, in addition to the “Le Duc”, he played on two French violins, one by Pierre Hel made in 1922 and the other by Jean Bauer, a contemporary maker.’ Den ganzen Artikel gibt es bei Tarisio nachzulesen.  Witzig, dass die Frau von Gary Graffman einmal hinter der Bühne auf die Ersatz-Violine aufpassen musste, die Szeryng gerade nicht spielte.

 

4-5

Augustin Dumay

Michel Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1988

7:39  4:26  6:15  6:45  8:43  33:48

Monsieur Dumay müsste man der französischen Schule zuordnen, wenngleich er sich den letzten Schliff während einer fünfjährigen Ausbildung bei Arthur Grumiaux holte. Derzeit spielt er eine Guarneri del Gesù von 1743, die sich einst im Besitz von Leonid Kogan befand. Ob diese ihm bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme zur Verfügung stand, darf bezweifelt werden, denn der Klang der Violine in dieser Aufnahme erscheint uns noch kaum koganähnlich.

Der Beginn des Stückes gehört dem Orchester und das klingt seltsam streicherdominiert. Vor allem das Blech könnte viel markiger herauskommen. Dumay meidet auffallend die Schwere, die der erste Satz oft mitbekommt. Marcato, pesante und sostenuto trägt der Geiger kaum auf (was er im weiteren Satzverlauf nicht beibehält), bleibt immer schlank, ja grazil im Ton. Der Ton seiner damaligen Violine wirkt schlanker und heller, weniger sonor als bei seinem Landsmann Roland Dugareil oder bei Marat Bisengaliev. Die Diktion ist über weite Strecken federleicht. Zudem wird das Spiel durch leichte „Rückungen“ weiter aufgelichtet, sodass der Vortrag insgesamt sehr lebendig wirkt. Schade ist es, dass die Aufnahmetechnik den Klang der Violine leicht gepresst weitergibt.

Daher fehlt dem Klang der Geige auch in den Sätzen zwei bis fünf eine gewisse Sonorität. Die leichte, lockere und inspiriert-einfallsreiche Artikulation gefällt hingegen hervorragend und weist den Geiger als Meister seines Fachs aus.

Überaus nuancenreich und darin das üblicherweise Gebotene übersteigend klingt das Spiel auch im „Intermezzo“. Das klingt alles ausdrucksvoll, teils geheimnisvoll und es wird mit sehr viel Verve gespielt.

Im „Andante“ übertrifft Dumay seinen Landsmann Dugareil deutlich im Ausdruck, während Dugareil sonorer klingt. Mit makelloser Präzision erreicht Dumay fast die aufgewühlten Ausdrucksregionen Vengerovs, klanglich allerdings erheblich leichter, flexibler aber auch dünner im Ton.. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Monsieur Dumay die Seele aus dem Leib spielt. Er nimmt das Werk seines Landsmanns Lalo in seiner ganzen Vielfalt wahr.

Das episch genommene finale „Rondo“ holt etwas weit aus. Allerdings wird es von Dumay überzeugend gespielt. Auch das Orchester gefällt mittlerweile besser.

Von der Technik wird die Violine von einem kleinen „Heiligenschein“ umgeben. Das Orchester klingt ebenfalls ein wenig hallig und gepresst, leicht verwaschen und undeutlich, nicht zuletzt weil es gegenüber dem Solisten deutlich zurückgesetzt wurde. Das Klangbild wirkt insgesamt wenig voll und sonor, sondern ein wenig dünn und flach. Eine typische EMI-Digitalproduktion der frühen Jahre.

 

4-5

Christian Tetzlaff

Libor Pesek

Tschechische Philharmonie, Prag

Virgin

1994

7:30  4:07  5:55  6:24  7:45  31:41

Christian Tetzlaff sticht aus der Menge der hier versammelten Größen des Metiers heraus, denn laut Wikipedia ist er einer der ganz wenigen, wenn nicht sogar der Einzige (nein, Herr Simonyan spielt ebenfalls keine Antiquität), der kein 300jähriges Instrument aus dem Norden Italiens des 17. Oder 18. Jahrhunderts (oder eine Kopie davon) für seine geigerischen Höhenflüge verwendet. Demgemäß würde er eine Geige des deutschen Geigenbauers Stefan-Peter Greiner spielen. Er meint, das Stück von Lalo sei für die Geige „wie Schokolade“, also aus dem „Geist“ des Instruments heraus erfunden. Da denken wir sofort an das Violinkonzert von Brahms, von dem die Ansicht einiger Geiger kolportiert wird, es sein ein „Konzert gegen die Geige“. Dabei hat sich Johannes Brahms von Joseph Joachim, einem der Top-Geiger der Zeit, helfen lassen, genau wie Lalo Unterstützung von Pablo Sarasate erhalten hat. Auch andere Geiger meinen, dass Lalos Werk zwar hochvirtuos geschrieben und entsprechend anspruchsvoll sei, aber es liege doch alles einfach günstig und man käme leichter damit zurecht. Aber Schokolade trifft es wirklich gut, so oft wie man darin „dolce“ spielen darf und es „dolce“ klingen soll…Gehaltvoller (sprich mehr Kalorien) ist aber doch das Konzert von Brahms.

Das Orchester unterminiert leider den Eindruck von Schokolade zu Beginn, denn leider wirkt es durch die recht üppig vergebene Hall-Soße ein wenig zu monumental. Ein Eindruck, der von Herrn Tetzlaffs Geigenspiel jedoch sofort gemildert wird. Bei ihm gewinnt man den Eindruck, dass er weniger linienbetont agiert, dass er sich bei seiner Artikulation, soweit es die Komposition erlaubt, mehr am Fluss der Sprache orientiert. Seine Geige erschien uns im Diskant nicht ganz so glanzvoll, etwas weniger leuchtend und brillant und in der Mitte nicht ganz so reichhaltig und blühend wie die besten Stradivaris und Guarneris, die wir schon in unserem Vergleich hören durften. Selten trumpft Christian Tetzlaff einmal herrisch auf, Grenzbereiche, die der Geige schon fast weh tun müssten (wie man sie z.B. von Vengerov oder Ricci hören können) werden ausgespart. Seine Darstellung wirkte auf uns wohltuend bodenständig. Das heißt nun nicht, dass sein dolce, espressivo oder appassionato nicht belebt klingen würde. Auffallend gut ist die gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Solisten und Orchester. Störend die lange Hallfahne nach dem den Satz abschließenden ff. Da hätte man besser mit Publikum aufgenommen.

Nach dem eher sachlichen Spiel im ersten Satz kommt das gefühlvolle Vibrato im „Scherzando“ viel besser zur Geltung. Es wirkt modern, also angenehm schlank, flexibel und biegsam. Sozusagen durch die historisch informierte Spielpraxis hindurchgegangen und dabei wichtige Elemente aufgenommen. Das Resultat wirkt ungemein differenziert und sprechend. Im „Intermezzo“ wirkt das Spiel leidenschaftlicher, die Technik nach wie vor makellos für unsere Ohren.

Im „Andante“ hatten wir hingegen den Eindruck, dass die Dynamik noch ein wenig feinfühliger abgestuft sein könnte. Wohltuend bleibt gerade auch in diesem Satz die klare Diktion, die auf jeden Schwulst verzichtet. Hohe Partiturtreue.

Das finale Rondo wirkt leichtfüßig, unprätentiös jedoch beschwingt und lebendig erzählt. Jeder Ton sitzt, jede Nuance passt, wirkt fast schon ein wenig zu durchdacht. Auch das Orchester wirkt inzwischen leichter. Wäre die Aufnahme ein wenig trockener und brillanter ausgefallen und hätte der Dirigent dem Orchester ein wenig mehr Temperament verordnet, wäre diese Einspielung noch höher einzustufen gewesen.

Die Aufnahme wirkt, wie bereits mehrfach angedeutet ein wenig zu hallig, das Orchester wirkt so mächtig und teils aufgeplustert, im ff verunklart. Das Klangbild erscheint ein wenig eingedunkelt und ein Schuss Brillanz mehr wäre willkommen gewesen. Zumeist ideales (symphonisches) Verhältnis von Solisten und Orchester.

 

4-5

Marat Bisengaliev

Johannes Wildner

Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks, Kattowitz

Naxos

1992

7:27  4:13  6:27  6:35  8:28  33:10

Auch dieses Orchester neigt ein wenig zum monumentalen, pompösen Auftritt, auch hier befördert durch einen großen Saal, der relativ ungedämpft wirkt. Der Klang der Geige wirkt hingegen wunderbar weich, voll und sonor. Leider konnten wir nicht ermitteln, um welches Instrument es sich bei der Aufnahme handelt, es scheint jedenfalls ein hervorragendes gewesen zu sein. Vom Ton her erinnert Marat Bisengaliev an den Perlamn der 80er Jahre, mühelos und ohne jede Schärfe.

Im „Scherzando“ wird das kantable Spiel unter einen weiten Bogen gespannt, sodass man als aufmerksamer, „mitspielender“ Zuhörer kaum zum Luftschnappen kommt. Obwohl bei höchster Konzentration (aufpassen muss man, denn klar und deutlich wird der Orchesterpart nicht gerade präsentiert) unsererseits alles vom Orchester gebracht wird, wirkt es durch die Distanzierung unter Wert verkauft. Das Spiel der Violine klingt einfach herrlich, man muss es klanglich tatsächlich zu den besten zählen.

Im „Intermezzo“ kommt das Orchester rhythmisch nur wenig geschärft zur Geltung. Weich und rund zu spielen ist nun anscheinend auch im Orchester die erste Musikerpflicht. Leider wurde der dritte Satz nicht mit den gleichen Gegebenheiten aufgezeichnet, denn die Violine erscheint plötzlich halliger. Die Artikulation erscheint sehr sorgfältig, die Vortragszeichen werden ernst genommen, was dazu führt, dass die Darbietung trotz des ein wenig lahmen Gestus noch recht lebendig und abwechslungsreich bleibt, besonders beim Solo. Hervorzuheben sind die reichen Nuancen und das Vibrato, das uns ideal vorkommt und nie aufdringlich oder gar lästig wirkt. Beim Orchester ist der warme Holzbläserklang positiv hervorzuheben.

Das sowieso schon recht dunkel timbrierten Orchester macht aus dem „Andante“ fast schon eine kleine „Pathétique“. Gut, dass Bisengaliev zwar ausdrucksvoll aber auch schlackenlos ein wenig dagegenhält, damit es nicht ganz so traurig wirkt.

Im Rondo bleibt der beschwingte, tänzerische Gestus nur mäßig ausgeprägt. Der Geiger singt all seine Kantilenen mit dem ihm eigenen vollen und satten Ton genüsslich aus und bringt sich bei den virtuosen Passagen nicht in Stress. So klingt die Musik weniger nach einem Rausschmeißer als beinahe schon nach einem Wiegenlied. Insgesamt ist dies eine musikalisch runde, klanglich füllig bis süffige Darstellung auf geigerisch ausgesprochen hohem Niveau. Ziemlich Kalorienreich, also gewiss keine Magerkost.

Das Orchester klingt hallig und etwas entfernt, dadurch weniger differenziert. Das Klangbild neigt so zu verschwommenen Konturen, Die Transparenz könnt insgesamt besser sein. Wie häufig bei den frühen Naxos-Aufnahmen bleiben sie etwas blass und dynamisch wenig aufregend. Eher gut ausgepolstert als brillant.

 

4-5

Joshua Bell

Charles Dutoit

Royal Philharmonic Orchestra London

Live-Aufnahme der BBC, gesendet vom ORF, unveröffentlicht

2017

7:52  4:33  6:46  7:00  8:05  34:16

Dieser Mitschnitt wurde bei den Proms in der Royal Albert Hall aufgenommen. Joshua Bell, mittlerweile 50, spielt dabei auf seiner „Gibson ex Huberman“ für deren Erwerb er seine „Tom Taylor“, der Star des Films „The Red Violin“, wieder verkaufen musste. Er brilliert mit einem verführerischen Legato und einer insgesamt geschmackvoll-reifer, schlackenlos leichter Darbietung. Der schlanke Ton ist farbenreich und sehr weich. Unserer Ansicht ist der Unterschied im Klang gegenüber der „Tom Taylor“, wenn man die völlig verschiedenen Aufnahmebedingungen 1988 einmal außeracht lässt, reine Geschmackssache. Als wenn man einen Gipfel mit einem anderen Gipfel vergleichen würde. Das pesante 3 T. nach H ist gut abgesetzt, ebenso sein dolce. Das Zusammenspiel der beiden Protagonisten ist von hoher Präzision geprägt, besonders das Geigenspiel wirkt dabei brillant.

Der Dirigent, mittlerweile 81, nimmt das „Scherzando“ ziemlich schwer. Das Staccato ist zwar noch kein portato, aber federleicht ist es auch nicht gerade. In diesem Satz nimmt man dann doch einen größeren Unterschied im Spiel Bells (wegen der „neuen“ Geige?) wahr. So schön klang es 1988 noch nicht, vor allem Schmelz und Reichhaltigkeit des Klangs sollten noch ein wenig zugenommen haben. In der Aufnahme Hubermans klang diese Geige noch anders, die stammt aber auch von 1934, das sagt bereits alles. Die dynamische Differenzierung wird hingegen bei allem Schönspiel nun gegenüber 1988 eher nonchalant gehandhabt und nicht ausgereizt.

Auch im „Intermezzo“ spielt das königliche Orchester kultiviert aber nicht gerade vor temperamentvoller Spielfreude überschäumend, es macht einen eher routinierten Eindruck. Mitunter hört man (es ist wohl davon auszugehen, dass es vom Dirigenten kommt) Versuche des Anfeuerns. Nichtsdestotrotz hat man die Habanera schon knisternder gehört. Dabei macht Joshua Bell es vor, wie es zu klingen hätte. Immerhin lassen sich die königlichen zu einem wahrlich gepfefferten Schussakkord hinreißen.

Im „Andante“ befördert das recht gemächliche Tempo einen Hang ins Monumentale. Bell weiß auch mit diesem Tempo umzugehen und gestaltet es sehr ausdrucksvoll und lebendig aus, wenngleich er mit seiner Geige schonender umgeht als Tianwa Yang, Letitia Moreno, Igor Oistrach oder gar Maxim Vengerov, die keine Rücksicht auf Haltbarkeit oder Verschleiß des kostbaren Instruments zu nehmen scheinen. Der süße, nie auch nur ansatzweise scharfe Ton von Bells Violine wirkt verführerisch und bezaubernd. Er wird es schon gewusst haben, warum er die beiden Stradivaris gegen einen üppigen Mehrpreis „getauscht“ hat. Charles Dutoit legt sich richtig ins Zeug, um sein Orchester in diesem Satz besonders zu motivieren (man ist akustisch Zeuge von seinen Bemühungen).

Im Rondo gelingt ihm das weniger, denn es wirkt nun wieder ein wenig träge, während Mister Bell virtuos und brillant, zudem hochmotiviert sein Bestes gibt. Stürmischer Beifall in der Royal Albert Hall.

Von den Technikern der BBC wird die Violine nur leicht herausgestellt, ab dem dritten Satz etwas deutlicher. Der Gesamtklang wirkt natürlich und insgesamt gut ausbalanciert aber wenig brillant, was auch an der geringen Datenrate liegen mag, mit der der ORF sendet. Die Aufnahme könnte dynamischer klingen. Eine Neuaufnahme mit der „neuen“ Violine Bells wäre sicher ein besonderer Genuss für alle Fans von edlen  Stradivaris und Co..

 

4-5

Roland Dugareil

Alain Lombard

Orchestre National de Bordeaux-Aquitaine

1992

Forlane

7:44  4:16  6:38  6:54  8:03  33:35 

Roland Dugareil kommt aus der Tradition französischer Geiger und hat unserer Recherche nach, sein Heimatland nie zum Zweck der eigenen Ausbildung verlassen. Er spielt mit einem vollen, recht farbigen Ton und technisch einwandfrei. Die blendende Virtuosität eines Repin findet man bei ihm genauso wenig wie den unbedingten Ausdruckswillen eines Vengerov. Sein Vortrag gefällt mit dem gewissen Etwas, einer gelungenen Mischung aus Eleganz und Leichtigkeit. Ein geigerisches „Savoir-vivre“, wenn man es mal so zusammenfassen will.

Auch im „Scherzando“ reißt man dynamisch keine Bäume aus, aber die angenehme, partiturgenaue Zurückhaltung weiß zu gefallen. Der klanglich leichte, aber nie spröde Ton von Dugareils Violine passt einfach sehr gut zu diesem „Scherzo“. Es wirkt so fast wie ein schattenhaft vorbeihuschendes Scherzo von Mendelssohn, der ja eines der Vorbilder von Lalo war.

Die zarten Streicher und Holzbläser stehen im „Intermezzo“ in bestem Kontrast zum kräftigen Blech. Überhaupt gefällt das Orchester mit seiner temperamentvollen Spritzigkeit sehr gut. Dugareil agiert mit pointiertem, tänzerischem Spiel, holt aber im ff nicht alles aus seinem Instrument heraus. Er klingt daher aber auch nicht so anstrengt wie z.B. Itzhak Perlman in seiner Aufnahme von 1966.

Im „Andante“, hier wieder wie ein Trauerkondukt mit kantabler Sopranstimme, setzt Monsieur Dugareil sein dolce sehr gut ab, er betritt geleichermaßen keine andere Welt wie Heifetz, aber die Passage wird doch als Hinwendung zu Erinnerung oder zur Hoffnung gut erkennbar.

Im „Rondo“ wird das „giojoso“ gut umgesetzt, die Darbietung klingt sauber, allenfalls fehlt der letzte Rest Brillanz und das Spiel wirkt ein wenig sicherheitsorientiert.  Die hierzulande eher weniger bekannten Namen brauchen sich nicht hinter den weltweit bekannten Stars zu verstecken. Diese Einspielung ist eine „runde Sache“.

Natürlich, recht offen und mit guter Abbildung in einem natürlich wirkenden Raum, so klingt diese Aufnahme. Die Balance wirkt unauffällig und werkdienlich. Der Gesamtklang ist recht brillant und unaufdringlich. Das Orchester wirkt plastischer, transparenter und heller als bei Bisengalievs Einspielung. Auch die Dynamik ist in Ordnung.

 

4-5

Kyung-Wha Chung

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

1981

Decca

7:36  4:20  6:10  7:08  8:09  33:23

Kyung Wha Chung spielt die Geige „Rode“ von Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1734. Die „Kubelik, Ferni“ del Gesù, die sie früher spielte, war von 1735, und sie findet, dass die Rode einen „wärmeren Klang“ hat, den sie gegenüber dem „fokussierteren“ Klang der „Kubelik“ bevorzugt. Sie sagte jedoch einmal; „Ich würde gerne eine Strad spielen, wenn ich eine kleine finden könnte. Ich habe eigentlich nach kleinen Strads gesucht, als ich unbegleiteten Bach aufgenommen habe – Strad ist einfacher.“ Zu ergänzen wäre, dass sie keine zu ihrer Physiognomie passende gefunden hat. Zu ihren Bögen befragt meinte sie: „Für Bach verwende ich eine Tourte; es ist leichter, einen fokussierten Klang zu erzielen“, sagt sie und fügt hinzu, dass sie in verschiedenen Situationen ihren Adam-Bogen verwendet. „Ich verwende, was ich für die jeweilige Akustik für geeignet halte.“

In dieser Aufnahme sollte Frau Chung noch die „Kubelik, Ferni“, die mittlerweile „Kubelik, Rabin“ genannt wird. Zuvor spielte auf ihr bereits Jan Kubelik, der Vater von Rafael Kubelik und Michael Rabin. Frau Chung spielt mit viel Engagement und einer geschmeidigen Technik. Der hohe Bogendruck lässt den ohnehin schon recht hellen Ton hörbar rauer werden. Ihre Gestaltung wirkt kontrastreich und durchaus auch mit Gefühl, bisweilen etwas nervös. Monsieur Dutoit hat von den drei Einspielungen an denen er beteiligt war in dieser das rassigste Tempo drauf. Spritziger als 1988 mit Bell in Montréal und sehr viel spritziger als 2017 erneut mit Joshua Bell in London.

Das „Scherzando“ präsentieren Chung und Dutoit pointiert. Mitunter kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass für Frau Chung einfach zu viele Triolen in den Satz gepackt worden sind. Ganz anders das „Intermezzo“: Hier schwebt die Geige wunderbar, ein Eindruck, der sich im vierten Satz noch verstärkt. Hier wird mit der nötigen Ruhe und Eindringlichkeit mit nuancenreicher Artikulation gestaltet. Frau Chungs Ton ist zwar stets hell aber bei aller Expressivität nicht hart und schön klar.

Im Rondo passt Frau Chungs heller Ton vielleicht am besten zum Stück, er begünstigt, so hat es den Anschein, ein geschmeidiges, energetisches Musizieren.

Der Klang der Aufnahme wirkt erheblich halliger als 1988 und gibt den Aufnahmeraum deutlicher als Kirchenschiff zu erkennen. Die Geige wird klar und deutlich vor dem Orchester positioniert. 1988 geht es präsenter zu. Die Klangfarben wirken 1981 noch deutlich kühler. Von „Digitalitis“ kann man jedoch nicht reden. Für 1981 klingt die Aufnahme sehr gut. Dennoch wirkt der Klang ein wenig „grobfaseriger“ als 1988. Die Violine wird von einem „Halo“-Glanz umgeben von dem das Orchester nichts abbekommen hat.

 

4-5

Augustin Hadelich

Omer Meir Wellber

London Philharmonic Orchestra

LPO Live

2015

7:30  4:09  5:49  6:10  8:05  31:43

Diese Einspielung sollte noch mit der „Kiesewetter“ Stradivari entstanden sein, die von der Stradivari-Society an Augustin Hadelich vermittelt wurde. Auf ihr spielte auch Maxim Vengerov eine Zeitlang. Seit 2020, das nur der Vollständigkeit halber, wurde ihm die „Leduc“ Guarneri del Gesù zur Verfügung gestellt auf der Henryk Szeryng von 1970 bis zu seinem Tod 1988 spielte. Der erste Einsatz Hadelichs verläuft seltsam, denn er lässt den zweiten Takt seines ersten Solos weg. Das Orchester wirkt ebenfalls seltsam und zwar seltsam gleichförmig (bei allem Tempo wirkt es statuarisch) und der erste Satz wird tatsächlich in einer Lautstärke durchgezogen. Hadelichs Spiel ist jedoch viel flexibler, zudem sicher, ausdrucksvoll und bodenständig. Sein Ton wirkt voll und recht weich, er lässt keinerlei Lästigkeit aufkommen.

Wellber scheint nicht viel vom Aspekt lebendiger Volksmusik in Lalos „Symphonie“ zu halten, sei sie auch frei erfunden. Das „Scherzando“ wirkt nun pointierter, aber immer noch klingt das Spiel des hochklassigen Orchesters nicht sonderlich beschwingt, sondern routiniert und statisch. Hadelich schätzt die klassizistischen Elemente besonders, denn der scherzohafte Satz wird von ihm in ausgewogener Distinguiertheit dargeboten.

Erst im „Intermezzo“ taut das Orchester richtig auf, klingt nur finessenreicher. Hadelich bleibt bei aller sehr virtuosen Brillanz immer kontrolliert und geschmackvoll. Bei ihm wirkt das Spiel nicht ansatzweise zirzensisch, der Satz hat aber auch nichts Geheimnisvolles.

Das „Andante“ gelingt besonders gut, die uneitle Spielweise verbindet sich mit hohem Ausdrucksgehalt. Die „Begleitung“ durch das LPO wird immer besser, d.h. hellhöriger und meidet alles Protzige.

Im „Rondo“ klingt es dann sogar aufgelichteter und schlanker. Die Spielweise wirkt jedoch immer noch wie gedrungen und kurz angebunden. Durchaus pointiert und nuanciert aber selten einmal herzhaft. Die ungestüme, überschäumende Lebensfreude will nicht so recht aufkommen.

Der Klang der Aufnahme wirkt recht trocken und hat für das noch ziemlich aktuelle AD wenig Tiefe und wenig natürliches Raumempfinden zu bieten. Die Körperhaftigkeit wirkt besser ausgeprägt und die Präsenz stimmt. Die Violine erscheint mehr als Primus inter pares als aufgedonnert und dominant, wird aber recht nah mikrofoniert, sodass man bei der Atmung des Solisten teilhaben kann. Man hört übrigens keinerlei Publikumsgeräusche, unheimlich für eine Live-Aufnahme.

 

4-5

Renaud Capucon

Paavo Järvi

Orchestre de Paris

Erato

2014

7:40  4:13  6:30  6:09  7:53  32:25

Renaud Capucon war Schüler von Gérard Poulet und Isaac Stern, die ja ebenfalls in unserem Vergleich vertreten sind. Mit 21 wurde Herr Capucon für drei Jahre Konzertmeister des Gustav-Mahler-Jugendorchesters bevor er seine Laufbahn ausschließlich als Solist fortsetzte. Er spielt auf der Guarneri del Gesù „Panette“, die auch schon im Besitz des französischen Geigenbauers Vuillaume war, der im 19. Jahrhundert einige italienische Modelle kopierte und deren Besitzer Isaac Stern von 1945-1994 selbst war. Danach spielte auch schon Vadim Repin auf ihr bis sie ihren Weg zu Monsieur Capucon fand. Nach Meinung des derzeitigen Spielers klingt sie: „Nicht laut, nicht stark, sondern einfach groß.“

Das Werk Lalos spielt Renaud Capucon mit seiner schlank, recht hell und „süß“ klingenden Violine relativ rubatoreich, nicht unbedingt mit der höchsten Ausdruckskraft sondern eher locker und mit einem gewissen Sanftmut. Technisch ist alles da.  Das Orchester spielt mit seinem damaligen Chef anschmiegsam und jederzeit souverän auf. Järvi hat das komplette Orchester im Auge, auch die Bässe, die man sonst nie so genau hört. Die Moskauer mit den beiden Oistrachs, die Chicagoer, oder auch die Musiker aus dem Kölner Funkhaus mit Stefan Blunier wirken jedoch flinker, vom LSO mit Repin und Nagano wollen wir gar nicht reden. Der erste Satz muss in dieser Einspielung auf das höchstmögliche Brio verzichten. Er klingt auf einem hohen Niveau eher schwärmerisch und relaxt.

Auch aus dem „Scherzando“ wurde wohl schon ein temperamentvollerer Funkenflug geschlagen. Statt den Rhythmus zu betonen und eine kontrastreiche Dynamik zu bedienen wird hier mehr Wert auf Raffinesse des Vibratos und sauberstes Spiel gelegt.

Auch das „Intermezzo“ klingt rhythmisch eher weich als herzhaft, wirkte beispielsweise bei beiden Oistrachs oder Francescatti (mit Mitropoulos) viel feuriger. Auch Capucon selbst scheint uns in diesem Satz ein wenig schwerfälliger und weniger locker als noch zuvor zu wirken. Im Verlauf des Satzes nimmt der Biss jedoch wieder deutlich zu und die Flammen des Temperaments lodern wieder höher.

Das „Andante“ darf als der gelungenste Satz in dieser Einspielung gelten. Es entsteht ein besonders schöner Wechsel von schlanker und luzider Schönheit und warmer Sinnlichkeit. Es wird nichts aufgeplustert und trotzdem gelingt es, den Satz mit dem Ernst einer Komposition von Brahms darzustellen. Am Satzende (und nicht nur da) extrem gut gelungene, schöne Spitzentöne.

Das „Rondo“ erklingt wiederum, ähnlich wie bereits die ersten drei Sätze ohne den letzten Biss und wildes spanisches Brio. Nicht zu abgeklärt bewundert man doch Capucons extrem sichere Technik und seinen besonders schönen Ton und das klangschöne transparente Orchester.

Klanglich wirkt die Aufnahme, wie so oft aus der französischen Hauptstadt, großräumig und repräsentativ. Leicht hallig wirkt das Orchester doch dreidimensional und die Violine präsent. Die Balance ist gut, der Bassbereich sehr differenziert, der Gesamtklang weich und vollmundig. Insgesamt liegt ein Klang für den Genießer oder die Genießerin vor. Manch einem Hörer würde es indes ein wenig trockener und präsenter, auch knackiger bevorzugen.

 

4-5

Henryk Szeryng

Eduard van Remoortel

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Philips

1969

7:39  4:10  6:05  6:20  8:23  32:37

Gegenüber den beiden älteren Einspielungen aus Chicago und Baden Baden ist der Geigenton Szeryngs noch weicher, geschmeidiger und ausgewogener geworden. Das Orchester wartet nicht mit der Dichte und Wucht des CSO aus der zehn Jahre älteren Einspielung bei RCA auf. Es klingt leichter, duftiger, man möchte schreiben französischer aber bisweilen durchaus auch zupackend. An die Präzision der Amerikaner kommt es nicht heran.

Diese Eigenschaften begegnen uns ähnlich auch im „Intermezzo“. Lockere Franzosen stehen kontrastreicher, ja im Dynamischen fast berserkerhaft agierenden Chicagoern gegenüber. Auch Szeryng selbst könnte die dynamischen Kontraste deutlicher ausspielen, dabei geraten nicht etwa die lauten Passagen nicht laut genug, sondern vor allem die pp-Passagen gehen verloren.

Das „Andante“ wird nun deutlich zügiger genommen, das Orchester schwächelt nun ebenfalls beim richtig-leise-spielen. Das kann das CSO einfach besser, es spielt auch mit mehr Autorität und wirkt um eine Tiefendimension (Bässe) reicher. Szeryng hingegen lässt sich dynamisch in diesem langsamen Satz nicht bitten, fährt seinen ganzen dynamischen Reichtum auf. Die dolce-Passage muss ohne die besondere, erleichternde Duftigkeit von Heifetz oder Kogan auskommen.

Im „Rondo“ spielt Szeryng nun feiner und differenzierter als ´59, aber auch weniger impulsiv. Trotzdem wirkt der Satz sehr gelungen, denn auch das Orchester ist temperamentvoll und charmant bei der Sache, wenngleich ein Qualitätsunterschied (Präzision) zum CSO einfach nicht zu überhören ist. Aber der Charme dieser Darbietung wiegt in diesem gelungensten Satz der Einspielung die fehlende orchestrale Perfektion durchaus auf.

Das Orchester ist bei der 69er Philips nicht so dicht am Solisten dran. In Monte-Carlo hält man respektvoll Abstand. Immer noch wirkt die Einspielung erfreulich präsent, sehr transparent und gut gestaffelt. Auch die Balance gefällt.

 

 

 

4

Itzhak Perlman

André Previn

London Symphony Orchestra

RCA

1966

7:34  4:07  5:58  6:43  7:53  32:15

Dass Itzhak Perlman 1966 noch eine andere Geige spielte als 1980 in der Einspielung in Paris, kann als sicher gelten. Leider konnten wir nicht ermitteln, welches Instrument ihm in der Frühzeit seiner Plattenkarriere zur Verfügung stand. Die Geige tönte im Gegensatz zum späteren reichen, tiefen und blumigen Klang noch sehr offen, wenig füllig und besonders bei hohen Lautstärken auffallend rau. Dass Perlman das noch nicht als das Ende der Fahnenstange ansehen würde, war bei seinem ausgeprägten Perfektionismus zu erwarten. Die mittleren und leiseren Passagen klingen zwar auch 1966 schon einschmeichelnder, die spätere samtene Farbigkeit bleibt jedoch noch aus. Technisch ist auch der junge Perlman schon über jeden Zweifel erhaben und bei seinem jugendlich-schwärmerischen Gestus hat man das Gefühl, dass er weder sich noch das Instrument schont. Er geht in die Vollen. Previn seinerseits überzeugt mit direktem Zugriff, frischem Impetus und deftiger Dynamik.  Das LSO spielt engagiert, an Feinschliff und Perfektion der 32 Jahre jüngeren Einspielung mit Repin und Nagano kommt es nicht heran.

Auch im „Scherzando“ merkt man schnell, dass der Schmelz in der Geigenstimme noch kein Spitzenniveau erreicht hat, die vielen Triolen bringen Perlman nicht aus der Fassung. Hier herrscht die totale Perfektion und intonatorisch ist Mister Perlman den beiden Stern-Einspielungen deutlich überlegen, wobei man die zweite als direktes Konkurrenz-Produkt von CBS an die nur ein Jahr zuvor produzierte RCA verstehen muss. Den schwärmerischen Gestus nimmt Perlman auch mit ins „Scherzando“, während das Orchester ein wenig motorisch wirkt.

Das Orchester wirkt im „Intermezzo“ stark gefordert. Es hört sich so an, dass André Previn das Werk sehr ernst nimmt. Perlman spielt virtuos, seine Geige hört sich im Vergleich jedoch hart und flach an. Auch im „Andante“, in dem er vielleicht ein wenig zu dick aufträgt, spielt er ausdrucksvoll und entgeht jeder Glätte. Die Rauigkeit des Klangs kann auch im langsamen Satz nicht begeistern.

Im „Rondo“, in dem Perlman ausgezeichnet akzentuiert und forsch herangeht, kann man sich mit dem Ton seiner Geige eher anfreunden. Die hervorragende Intonation lässt die aneinandergereihten Töne wie Perlen in einer Kette erscheinen, extra ausgesucht und die die passendsten verwendet. Das Orchester wirkt sehr aufmerksam und „schmissig“. Oh, fast vergessen: Appassionato und dolce werden nur durch die Lautstärke unterschieden. Immerhin.

Der Klang der RCA-Aufnahme verfügt nicht mehr über die Transparenz und Unmittelbarkeit der „Living Stereos“. Die Tiefenstaffelung ist schwach ausgeprägt. Auch eine plastische Körperhaftigkeit vermisst man. Der Gesamtklang wirkt trocken mit einem Hang zum Harten. Nur wenn die Geige nicht spielt, erscheint das Orchester etwas luftiger.

 

4

Isaac Stern

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS-Praga

1956

7:52  4:21  6:27  6:40  7:12  32:32

Isaac Stern, der ursprünglich wie so viele Geiger der Weltklasse, ebenfalls aus der Ukraine kommt, erhielt seine entscheidende Ausbildung bereits in den USA. Während seiner besten Jahre war er wohl der meistbeschäftigte Geiger seiner Zeit und gab bis zu 200 Konzerte pro Jahr. Bei seiner ersten Einspielung der „Symphonie Espagnole“ war er 36 Jahre alt. Es sollte noch zu einem Remake elf Jahre später kommen, welches das Original jedoch nicht übertreffen konnte. Bereits 1956 wurde schon in Stereo produziert.

Er besaß einige bekannte, ja berühmte Violinen z.B. die Guarneri del Gesù „Le Vicompte de Panette“ von 1947 -1994, die danach u.a. von Vadim Repin gespielt wurde und heute Renaud Capucon als musikalisches Sprachrohr dient. Die Guarneri del Gesù „Ysaye“ konnte bei dieser Einspielung noch nicht beteiligt gewesen sein, denn sie wurde erste 1965 erworben und 1998 wieder verkauft. Sie kam wahrscheinlich bei der zweiten Einspielung von Lalos Hauptwerk zum Einsatz. Zuvor wurde die „Ysaye“ bereits vom namensgebenden belgischen Geiger und Komponisten Eugène Ysaye gespielt, aber auch von Yehudi Menuhin und Ivry Gitlis. Bis 1958 gehörte diese Violine noch dem Dirigenten Charles Munch. Ferner besaß Mister Stern noch eine Guadagnini, eine Bergonzi und die „Kreutzer“ Stradivari.

Doch nun wieder zurück zu Lalo. Isaac Stern spielt engagiert, mit breitem Strich und einem recht großen Ton. An die fein-nuancierte Gestaltung von Zino Francescatti kommt Herr Stern nicht heran. Auch dem Orchester fehlt in dieser Einspielung der rhythmische Biss von Mitropoulos´ New Yorkern aus demselben Aufnahmejahr. Leider nahm CBS da noch mono auf.

Im „Scherzando“ wirkt das Tänzerische etwas schwerfälliger als beim Franzosen und die Intonation erscheint mitunter als problematisch. Zudem wirkt der Vortrag wenig locker, wenig spielerisch und ein wenig distanziert.

Im „Intermezzo“ erscheint Sterns Spiel engagierter und etwas finessenreicher als bisher. Dieser Satz scheint Herrn Stern besser zu liegen, denn er spielt losgelöster und virtuoser. Etwas einsilbig im Sinne von monochrom wirkt der Vortrag immer noch, denn auch dem Orchester fehlt ein wenig die Leichtfüßigkeit.

Ormandy und die Seinen scheinen das Werk ein wenig auf die leichte Schulter genommen zu haben, denn zu Beginn des „Andante“ sind sie nicht gut zusammen. Im Verlauf legt Stern mit einem dicken Ton ein ziemlich schweres Pathos über die Noten. Um eine Differenzierung von appassionato, espressivo, dolce und dolcissimo kümmert er sich recht wenig.

Das „Rondo“ gelingt über weite Strecken (aber nicht immer) souverän, der Gestus nun unbeschwerter. Trotz des flotten Tempos haben wir den letzten Satz schon viel überschwänglicher gehört.

Der Unterschied zur späteren Einspielung dieses damaligen Dream-Teams kann man als marginal bezeichnen. Die ältere gefällt vom Ton der Violine besser, die neuere vom Spiel des (gleichen) Orchesters. Musikalisch bringt die Neue keinerlei neue Erkenntnisse oder spieltechnische Errungenschaften mit sich. Durch das Remastering von Praga klingt die ältere sogar ein wenig wärmer und weicher.

Der 56er Jahrgang klingt bei recht guter Dynamik bereits (in der Praga-Version) ziemlich plastisch, farbig und transparent. Der Gesamtklang wirkt ganz schön, warm, erstaunlich voll und gut ausbalanciert bei guter Basswiedergabe.

 

4

Isaac Stern

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS-Sony

1967

7:55  4:21  6:27  6:42  7:12  32:37

Die Spielzeiten könnten in ihrer fast identischen Länge den Verdacht nahelegen, dass es sich um dieselbe Aufnahme handeln könnte. Dem ist jedoch nicht der Fall und auch das Remastering in Prag könnte nicht alle Unterschiede erklären. So wirkt das Orchesterspiel nun geschmeidiger und hat einen großen Teil seines leichten Hangs ins Klobige verloren. Stern spielt zwar immer noch mit viel Vibrato, sein Ton erscheint jedoch nun spröder und flächiger mit weniger Tiefe und Farbe. Unsere Notizen zu den jeweiligen Sätzen bestätigen die bereits beim ersten Satz gemachten Beobachtungen. „Andante“: Wenig nuanciert in den dynamischen Abstufungen. „Intermezzo“: Die Geige von Herrn Stern hat gegenüber 1956 an Sonorität eingebüßt. Wahrscheinlich präsentiert er uns hier eine neue Violine, warum sonst die gleiche Einspielung elf Jahre später nochmal machen? An Engagement fehlt es jedenfalls nicht. „Andante“: Stern nun schlanker im Ton, will wohl wie Francescatti klingen, erinnert aber mehr an Menuhin. Satz gefällt nun etwas besser, das Orchester aufgehellter. Stern lässt einige Akzente unbeachtet links liegen.

Im „Rondo“ noch stärkere Erinnerung an Menuhins Ton von dessen 59er Einspielung. Lautstärkedifferenzierung könnte besser sein, vor allem die p-Passagen „auf gerader Strecke“ interessieren Herrn Stern nicht besonders. Da wird unbekümmert drauflos gefiedelt. Die Passage mit den schnellen Oktavierungen klingt bei ihm unsauber (20 Takte nach F). Da haben die anderen anscheinend mehr daran geübt. Es gibt gar keinen Unterschied von espressivo und dolce bei I.

Gegenüber 1956 klingt die Aufnahme nun halliger, aber etwas transparenter und mit mehr Raumtiefe versehen. Die Violine erscheint nun in Relation mit dem Orchester besser abgemischt. Insgesamt wirkt die neuere höhenbetonter, was auch am Remastering der alten Aufnahme in Prag liegen könnte.

 

4

Anne-Sophie Mutter

Seiji Ozawa

Orchestre National de France

EMI

1984

7:37  4:06  6:13  6:44 7:43  31:43

Darüber, dass Frau Mutter über zwei Stradivaris verfügt, ist bereits viel geschrieben worden. Da ist einerseits die „Emiliani“ mit der sie ihre frühen Aufnahmen mit Herbert von Karajan machte (angeblich 1979 gekauft) und die ihr heute noch als Ersatzvioline dient, wenn ihre Hauptvioline, die „Lord Dunn-Raven“ nicht rechtszeitig repariert werden kann. Ihre zweite Violine soll sich seit 1984 in ihrem Besitz befinden. Anne-Sophie Mutter hat das Werk im Alter von 21 Jahren eingespielt, bisher ist es bei einer Einspielung geblieben, was auffällt, hat sie doch fast alle anderen Standard-Konzerte zwei Mal aufgenommen. Vielleicht mag sie das Stück nicht so wie die anderen oder die Konzertveranstalter buchen lieber anderes. Meist lohnt sich eine Einspielung heute erst richtig, wenn sie mit möglichst vielen Konzertauftritten flankiert werden kann. Obwohl es wahrscheinlich egal ist, was Frau Mutter spielt, gebucht wird sie sowieso immer.

Ihr Spiel macht einen außerordentlich engagierten Eindruck, der hohe Bogendruck bewirkt bisweilen einen bebenden, zumal wenn zudem noch viel Vibrato hinzukommt aber auch recht rauen Klang. Die Süße des Geigenklangs, den wir von der 80er Perlman-Einspielung kennen, bleibt uns bei ihr verwehrt, aber ganz so rau wie bei der 66er Perlman klingt es bei weitem nicht. Dynamisch lotet Frau Mutter das gesamte Spektrum aus, das ihr die Violine zur Verfügung stellen kann. Sie setzt bei ihrer Phrasierung weniger auf die weit gespannte Linie, sondern phrasiert kleinteiliger aber dafür besonders nuancenreich. Vom berserkerhaften appassionato bis zum gesäuselten dolce steht ihr die komplette Bandbreite zur Verfügung und sie nutzt sie weidlich aus. Das Ergebnis kann auch mal ein wenig zackig klingen und in den tollen Läufen wird auch schon einmal ein Tönchen „verschluckt“.

Im „Intermezzo“ hält Seiji Ozawa das französische Rundfunkorchester zu rhythmischem Spiel an. Frau Mutter schummelt ein bisschen bei der Undezimole (vielleicht auch 11-tole zu nennen(?); 2 Takte vor C), denn elf Töne sind es bei ihr gewiss nicht. Stets erscheint Frau Mutter bestrebt, so gut wie jedem Ton ein eigenes Gesicht zu verleihen. Das wirkt dann im Ergebnis kleinteiliger als üblich und eine weitere Folge ist, dass man nicht so recht mit ihr mit atmen kann. Das wird im 4. Satz noch deutlicher.

Hier beginnt das Orchester wenig dramatisch, das zu Beginn zu spielende mf klingt säuselnd, eher wie ein pp. Frau Mutter legt großen Wert auf enorme dynamische Kontraste und einen großen, tragenden Ton. Ihr Vortrag wirkt über weite Teile gesanglich, ihr dolce fast schon entrückt. Die Spitzentöne am Ende des Satzes klingen für ein p zu laut und nicht so vollkommen strahlend wie z.B. bei Tianwa Yang. Da liegen allerdings über 30 Jahre dazwischen. Insgesamt nahmen wie das „Andante“ in dieser Einspielung als uneinheitlich wahr.

Das angeschlagene Tempo im „Rondo“ wirkt flott und könnte gut passen. Das Spiel wirkt jedoch weniger locker und beschwingt, sodass man sich weniger gepackt fühlt als in mach einer anderen Einspielung.

Der Klang der Aufnahme wirkt recht offen und klar, großräumig und leicht hallig. Nicht ganz ohne frühdigitale Artefakte, aber immer noch gut anhörbar. Das Orchester wirkt wohlgeordnet, transparent und recht gut gestaffelt. Dass Anne-Sophie Mutter der Star der Aufnahme ist, hört man an der Aufnahmetechnik selbst weniger als befürchtet. Die Balance stimmt.

 

4

Ida Haendel

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie, Prag

Supraphon

1964

7:44  4:20  6:32  6:34  7:16  32:26

Ida Haendel studierte ab 1935 bei Carl Flesch, der seine Lehrtätigkeit wegen der braunen Umtriebe von Berlin nach London verlegen musste und bei George Enescu in Paris (bei dem auch Yehudi Menuhin studierte), was Carl Flesch gar nicht guthieß. Sie selbst unterrichtete übrigens auch gerne, einer ihrer Schüler war David Garrett. Eine nette kleine Anekdote fiel uns noch auf: Obwohl sie für EMI oder wie hier für Supraphon aufnahm, nannte sie ihre Hündchen „Decca“ und zwar alle. Vielleicht weil ihr erster Plattenvertrag bei Decca geschlossen wurde?

Sie hatte ebenfalls zwei Violinen zur Verfügung, auf denen sie angeblich geleichermaßen spielte, eine Strad von 1699 und eine Guarneri del Gesù. Ida Haendel spielte den größten Teil ihrer Karriere auf der Stradivari von 1699, die sie in den 1950er Jahren erworben hatte. Insbesondere fand sie, dass das Instrument für ihre unterdurchschnittlich kleinen Hände eine hervorragende Größe hatte. Diese Violine wurde gerade an Alexandra Tirsu verliehen, eine Schülerin von Janine Jansen.

Ida Haendels Geige scheint uns jedoch ein nur wenig einschmeichelndes Timbre zu besitzen, zumindest wenn sie so gespielt wird, wie es Ida Haendel tut. Sie klingt zwar ohne Härte, aber die klare Linie, bar jeder Zutat, ist ihr anscheinend wichtiger als ein weich abgerundetes, weich klingendes Legato. Ihr Ton ist weniger füllig als silbrig hell. Heller noch als bei Szeryng oder Menuhin und auch weniger sonor. Es scheint als liege der Geigerin das Espressivo viel mehr am Herzen als ein süßes Dolce. P-Bereiche werden in der dynamischen Bandbreite fast gänzlich gemieden. Das Spiel macht einen motorisch geprägten Eindruck, nicht abweisend aber doch ein wenig hart, aber sehr klar. Nicht unbedingt prädestiniert für das genießerische Hören. Das Orchester beginnt übrigens mit Ernst und Wucht. Später spielt es akzentreich und sehr straff.

Stand der Solistin Spiel im ersten Satz noch unter Hochspannung, nimmt sie sich im „Scherzando“ etwas zurück. Leider kommt es nun zu einem schnellen Dauervibrato, das nicht zu mehr Fülle im Klang beiträgt, sondern auf uns eher aufdringlich wirkt.

Viel Freude macht gerade im „Intermezzo“ das Spiel des Orchesters, das viel kontrastreiche Gesten mit einbringt und die bei ihm teils explodierenden Effekte voll ausspielt. Die Solistin wirkt sehr intonationssicher.

Im „Andante“ hören wir nun auch ein erfolgreicheres p-Spiel zur leichten und sauberen Artikulation. Haendels heller Ton wirkt nun durchdringend, für unsere Ohren wird Lästigkeit gerade noch vermieden. Die Lesart wirkt betont straff, wobei die Solistin und der Dirigent gleichgesinnte Partner sind. Man dringt zum Kern vor und verzichtet auf jedes schmückende Beiwerk in Form von wärmendem oder wie man es wohl landläufig bezeichnet „schönem“ Klang. Gerade wenn man es mit neueren, aber auch schon mit den besten alten Einspielungen vergleicht, erscheint diese Einspielung als Solitär, in jedem Fall alles andere als en vogue. Insgesamt wirkt die Einspielung sehr ernst, mit einem kühl wirkenden Espressivo und auch das Feuerwerk des letzten Satzes brennt irgendwie kalt ab. In ihrer Konsequenz irgendwie imponierend, aber nicht jedermanns Sache.

Klanglich wirkt die Violine deutlich exponiert. Das Orchester klingt jedoch ebenfalls präsent und weist wenig räumliche Tiefe auf. Das Klangbild wirkt zweidimensional und vermittelt wenig „Luft“ zwischen den einzelnen Instrumenten und Instrumentengruppen, dabei  ist die Transparenz gar nicht einmal schlecht. Es scheint in den Mitten wenig Substanz zu vermitteln. Der Gesamtklang wirkt straff, dynamisch, recht farbig und etwas hart. Piano- oder gar Pianissimo-Klänge muss man mit der Lupe suchen.

 

4

Yehudi Menuhin

Sir Eugene Goossens

Philharmonia Orchestra London

EMI

1959

7:40  4:05  6:08  6:52  8:10  32:55

Diese letzte uns bekannte Einspielung des Werkes, die Menuhin aufnahm, liegt im geigerischen Gelingen etwa zwischen dem jugendlichen Geniestreich von 1933 und der sich leicht geplagt anhörenden von 1945. Nun in Stereo aufgenommen klingt sie zweifellos am besten von den dreien. Die schwierigen Figuren kommen nicht mehr mit der leichten Selbstverständlichkeit von 1933 jedoch geschmeidiger und nicht so „zerzaust“ wie 1945 mit Monteux. Menuhins Spiel strahlt nun wieder mehr Ruhe und Souveränität aus. Das Philharmonia spielt den ersten Satz mit einem Hang zu monumentaler Größe, aber nicht ohne Esprit. Auch das „Scherzando“ überzeugt nun wieder mehr, denn es wirkt durchaus beschwingt und recht leichtgängig. Im „Intermezzo“ wirken die Läufe nicht mehr ganz so energetisch wie 1933, die Intonation sitzt jedoch wieder besser als 1945. Das Vibrato wirkt nun etwas „moderner“ als zuvor, weil reduziert und differenzierter eingesetzt. Insgesamt gefällt der zupackende Zugriff gut, der spröde Klang der Violine weniger. Ausdrucksvoll gelingt das „Andante“, die Schlussfermate dann wieder etwas wackelig.

Auch im „Rondo“ hören wir den leichten, zarten, etwas fragil wirkenden Geigenton, deutlich dünner als 1933. Es ist kaum anzunehmen, dass dies an der Aufnahmetechnik liegen könnte.

Der Klang der Aufnahme ist nämlich deutlich luftiger und plastischer als bei den beiden Monos. Das Orchester wirkt sogar ziemlich weit in die Tiefe des Raumes gestaffelt (weniger in die Breite), supertransparent wirkt es jedoch nicht. Gegenüber den beiden Monos wirkt die Violine lange nicht mehr so exponiert (auch gegenüber dem Orchester), man erreicht schon einen plausiblen gut ausbalancierten Konzerteindruck. Immer noch ist ein kleiner Rest von Schärfe im Klang, was aber auch an der Datenrate des Streamingdienstes liegen mag.

 

4

Henryk Szeryng

Rolf Reinhard

Sinfonieorchester des SWF Baden Baden

SWR Klassik

1963

7:47  4:17  6:07  6:36  8:21  33:08

Henryk Szeryng war übrigens, falls wir es noch nicht erwähnt haben sollten, ebenfalls Schüler von Carl Flesch, später auch noch in Paris bei Jacques Thibaud. Im höheren Alter begann er, wohl in der Gewissheit sie nicht mit ins Grab nehmen zu können, seine wertvollen Instrumente zu verschenken z.B. die Stradivari „Hercules“ oder die „Villaume“. Eine schenkte er dem Konzertmeister des Orchesters in Monte-Carlo, an wen weitere gingen ist ggf. nachzulesen. Er spielte auch die berühmte Guarneri del Geu „Leduc“, von der bereits die Rede war. Welche 1963 in Baden Baden zum Einsatz kam, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls haben wir eine munter gespielte Interpretation Szeryngs vor uns bei der seine Violine leicht hauchig klingt. So, als würde zum eigentlich angestrichenen Ton auf der Saite immer noch ein Luftstrom erzeugt werden, der es nicht geschafft hat zum eigentlichen Geigenton zu weden. Fast so wie die „Nebenluft“ bei den Flöten. Bestechend hingegen ist die Perfektion der melodischen Linie, die mitunter auch einmal etwas fragil gezeichnet wird. Nicht gerade mit dem Bleistift, aber auch nicht mit dem dicken Pinsel. Vom Vibrato macht der Geiger reichlich Gebrauch, es wird jedoch nicht aufdringlich und erscheint noch nuanciert. Bei aller Noblesse mangelt es nicht an Temperament und Lebendigkeit. Das Orchester gefällt uns in der vermeintlich etwas älteren Aufnahme für Vox besser, anscheinend weiß es der Ungar Tibor Sköke noch etwas mehr zu beflügeln als Rolf Reinhard. Auch die Aufnahmetechnik wirkt bei Vox farbiger.

Im „Scherzando“ wirkt der Gestus trotz teils pointiert eigesetzter Pauke ein wenig brav, während Szeryng durchaus lebendig spielt.  Im „Intermezzo“ gar rassig, ohne jedoch ausdrucksmäßig an Grenzen zu gehen. Man brauche nur einmal eine Appassionato-Passage Szeryngs mit derselben von Letitia Moreno gespielt zu vergleichen, dann hört man den Unterschied.

Sehr gut gefällt hingegen die Darstellung Szeryngs im „Andante“, introvertiert und innig. Bei glasklaren Spitzentönen und einer nobel zurückhaltenden Spielweise gewinnt Satz durchaus. Man muss das Innerste nicht unbedingt nach Außen kehren.

Gegenüber den beiden Einspielungen aus Monte-Carlo und Chicago gibt es im „Rondo“ nicht viel Neues. Szeryng kehrt den Virtuosen, der er zweifelsfrei ist, nicht heraus. Die beiden anderen Orchester klingen einfach farbiger und erleichtern das sich Hineinversetzten in den warmen Süden gegenüber den dieses Mal ein wenig farblosen SWF-Symphonikern.

Die Techniker des SWF scheinen noch die ersten Gehversuche in der für Sie neuen Stereotechnik zu unternehmen, denn gelungen kann man den Gesamtklang nicht bezeichnen. Das fängt mit einer starken Linkslastigkeit an und hört bei Bässen auf, die man nur erahnen kann. Dynamisch wirkt sie eingeebnet, die Klangfarben blass. Tonal klingt sie aber bereits brillanter als die viel jüngere Aufnahme mit Anne Akiko Meyers. Dennoch reicht es klanglich nur zu einem guten letzten Platz innerhalb der drei Einspielungen mit Henryk Szeryng.

 

4

Anne Akiko Meyers

Jesus Lopez-Cobos

Royal Philharmonic Orchestra London

RCA

1992

7:42  4:10  6:15  6:50  6:55  31:52

Seit einigen Jahren spielt Frau Meyers die Guarneri del Gesù „Vieuxtemps“, die wie ihr Name bereits kundtut, einst dem Komponisten und Geiger Henri Vieuxtemps gehörte, der von seiner Geige sagte, sie sei eine „einzigartige Perle“. Bis 2018 zumindest war sie mit 18 Mio. Dollar die teuerste Geige der Welt. Auch Frau Meyers bemerkte „ihren kolossalen“ Tonumfang, womit sie sicher ihren kolossal reichen Klang meinte (wurde sicher ungeschickt übersetzt). Sie stellte ferner fest, dass sie für das ganze Repertoire nur noch diese eine Geige braucht, dass ihr Pianissimo bis in die letzte Reihe jedes Konzertsaals reiche und dass sich in ihren Fingern nun Farben befänden, die sie von ihrem Instrument, aus dem sie heraussprudeln, erhalten hätten. Das hätten wir gerne gehört, es würde dazu jedoch einer Neuaufnahme erfordern, denn zur Zeit der Aufnahme hatte sie entweder noch die Stradivari „Molitor“ oder die „Royal Spanish“ aus demselben Haus.

Leider wird die Violine bei dieser Einspielung nicht besonders hervorgehoben, sondern bleibt auf der Ebene des Orchesters, das ihre Stimme gerade noch nicht bedrängt. Man huldigt gerade in dieser Aufnahme dem symphonischen Gedanken auf Kosten der Solo-Konzert-Gedankens. So hat es die Geigerin sehr schwer richtig aufzutrumpfen und zu brillieren, obwohl auch die damalige Violine schon ein sehr farbenreiches Spiel erlaubte. So ist dieser Einspielung ein sozusagen erzwungenes Understatement eigen. Allerdings wirkt sowohl das Spiel der Solistin als auch das des Orchesters nicht gerade übermäßig temperamentvoll. Die lyrischen Partien kommen bei ihr nachdrücklicher zu Geltung, während die stolzen, hochfliegenden oder feurigeren Aspekte der Komposition vor allem von der großen Entfernung des Hörers zu den Musikern nahezu eliminiert werden.

Das Allegro molto im „Scherzando“ wirkt gezügelt. Frau Meyers pflegt einen feinen und präzisen Bogenstrich, überschäumende Spielfreude vermisst man ebenso wie tänzerische Scherzhaftigkeit.  Ein leicht reserviert wirkende Gelassenheit scheint sie zumindest aus der uns zugewiesenen Hörperspektive nicht zu verlassen.

Auch im „Intermezzo“ herrscht ein balsamischer, völlig harmloser Gesamteindruck vor. Statt mit zu fiebern, schunkelt man beinahe mit. Dabei ist alles da, man spielt farbig, schön und präzise, aber irgendwie verlässt man die Komfortzone nicht. Das gilt für alle Beteiligte.

Das Klangbild passt zum vierten Satz noch am besten. Bei Anne Akiko wird denn auch einmal ein mf zu einem p umfunktioniert. Das kannten wir von anderen bisher nur umgekehrt. Ansonsten überzeugendes Leisespielen. Das Orchester ergänzt samtig aber ohne Brillanz.

Das „Rondo“ mag vom Tempo her zwar recht flott erscheinen (Achtung: Kürzungen!) insgesamt erscheint die Darbietung gerade des temperamentvollen letzten Satzes aber eher mild und ausgewogen. Lalo auf halber Flamme.

Zum Klang der Einspielung: Wie bereits erwähnt ist das Orchester recht weit entfernt und auch die Solistin wird kein Platz an der Rampe gewährt. Der Lebendigkeit ist diese Disposition nicht gerade zuträglich. Wenn man die Lautstärke nicht gegenüber der gewohnten Pegeleinstellung erhöht, kann man von einer Guckkastenbühne sprechen. Die Klangcharakteristik ist betont weich und stark abgerundet, gerade noch nicht mulmig aber gesoftet. Zudem liegt nur eine geringe Dynamik vor und die Klangfarben wirken stark eingedunkelt. Ob so das Spanien aus Lalos Träumen geklungen haben mag?

 

4

Gérard Poulet

Vladimir Valek

Radio-Sinfonieorchester Prag

Praga

1994

8:01  4:14  6:10  6:45  8:20  33:30

Gérard Poulet lernte bei Menuhin, Milstein und Szeryng, wobei er letzteren als „seinen Vater in der Musik“ bezeichnete. Er selbst unterrichtete auch gern, einer seiner Schüler war Renaud Capucon. Monsieur Poulet spielt sonor, weich, rund und mit einer gewissen gezähmten Leidenschaft, durchaus in Spielart und Ton gut mit Henryk Szeryng vergleichbar. Es fehlt ein wenig die Leidenschaft. Auch das Orchester könnte rhythmisch bissiger vorgehen und dynamisch lustvoller. So klingt auch das „Scherzando“ mit einem lebendigen Vibrato aber relativ kontrastarm. Im „Intermezzo“ fällt erneut das ein wenig schwerfällig Orchester auf, das kaum das Feuer des Südens vor Augen haben kann. Poulet spielt durchaus expressiv aber letztlich doch ein wenig einförmig, das Dolce liegt im besser als espressivo oder appassionato. Auch im „Andante“ wirkt die Darstellung genau, wobei man die rechte Leidenschaft vermisst. Das „Rondo“, es wundert nun nur noch wenig, wird vom Orchester routiniert-zurückhaltend gegeben. Erst ab G wird es etwas lebendiger. Es ist nicht anzunehmen, dass man ein liebevolles Verhältnis zu Lalos Stück aufgebaut hat. Poulet müht sich nach Kräften, aber die Funken wollen auch bei ihm nicht so recht sprühen und glänzen. Er spielt etwas sauberer als Szeryng aber letztlich zu wenig differenziert, um die Hörlust der das ganze Stück über aufrecht zu halten. Der Gesamteindruck wirkt ein ganz klein wenig fade.

Klanglich wirkt die Aufnahme etwas dumpf, dabei hätte ihr etwas Brillanz sehr gutgetan. Der Solist wirkt nicht überbetont, das Orchester recht differenziert und wohlklingend, plastisch, ziemlich weich und rund. Dynamisch eher gebremst wirkend, fehlt es ein wenig an Präsenz und Glanz- Die dunklen Klangfarben dominieren auch bei dieser Einspielung.

 

4

Reanud Capucon

Alain Altinoglu

Wiener Symphoniker

ORF, Live, unveröffentlicht

2018

8:05  4:29  6:53  6:30  8:07  34:04

Während die Wiener Symphoniker etwas weniger differenziert erklingen als das Orchestre de Paris in der Erato-Einspielung Renaud Capucons, ohne jedoch ins Klotzige zu verfallen, trumpfen sie mitunter ganz schön keck auf. An Herrn Capucons Spiel verblüfft auch live die absolute Sicherheit und Akkuratesse. Vor allem im „Scherzando“ gefällt sein leichter, süßer Ton mit dem er mit einem recht breiten Strich die Cantilenen zum Blühen bringt. Im „Intermezzo“, dessen Tempo bis auf den animiert wirkenden Mittelteil etwas langstielig wirkt, spielt auch das Orchester gut differenzierend, kontrastreich und gut animiert. Den Erfordernissen des „Andante“ (espressivo) begegnet Herr Capucon mit reichlich Vibrato. Er könnte insbesondere den pp mehr Bedeutung schenken, zumindest für die Mikros des ORF. Für ihn waren sicher die Zuhörer im Saal wichtiger, auch die wollen sein Spiel, auch wenn sie in der letzten Reihe sitzen, noch gut hören. Es ist anzunehmen, dass er deshalb die extrem leisen Töne meidet. Auch die letzten Spitzentöne sind (wie in Paris) sehr sauber (da flackert nichts), jedoch ebenfalls nicht leise genug (ppp wäre richtig gewesen).

Im „Rondo“ geht der Solist noch mehr aus sich heraus, was allerdings zu Lasten der Differenzierung geht. Zwischen appassionato, espressivo, dolce und dolcissimo findet keine Unterscheidung mehr statt. Live in einem anspruchsvollen Rahmen und bei höchster Virtuosität und dann auch noch in kürzester Zeit hintereinander, ist das eine schwierige Prüfung. Was sich Sarasate und Lalo wohl dabei gedacht haben? Sarasate mag damit wahrscheinlich keine Probleme gehabt haben und wollte sich von seinen Mitbewerbern absetzen. Begeisterte Bravo-Rufe für den Solisten in Wien. Insgesamt geht der unfaire Vergleich Paris-Wien klar zugunsten von Paris aus.

2018 sendete der ORF über Satellit noch im 5.1. Sound. Dieser Service wurde vor ein paar Jahren eingestellt. Das funktioniert mittlerweile nur noch über das Internet. Für die prachtvollen Wiener Orchester, die davon klanglich profitieren konnten, vor allem dort, wo man sie nicht jederzeit in Natura hören kann (vor allem im Ausland), ist das ein großer Rückschritt in der Reputation. Für eine breite Aufstellung, üppiges Klangvolumen, gute Transparenz und ordentliche Dynamik war so immer gesorgt. Das ist nun leider vorbei.

 

4

Mikhail Simonyan

Kristijan Järvi

MDR – Sinfonieorchester

MDR, Live, unveröffentlicht

2012

7:56  4:17  6:16  6:26  6:56  31:51

In Bezug auf sein wichtigstes Arbeitsgerät, die Geige, vertraut Mikhail eher dem eigenen Urteil, anstatt den kostspieligen Moden des internationalen Musiker-Jetsets hinterherzulaufen. 85 % aller Stradivarius-Geigen klingen schlecht, meint Simonyan. “Sie sind zu alt und abgenutzt. Nur äußerst selten findet man ein herausragendes Modell. Und dann hängt ein 11 Millionen-Dollar-Preisschild daran.” Sein derzeitig bevorzugtes Modell, eine Kopie der 1730er Stradivarius “Wilmount” hat ein Freund für ihn gefertigt, der französische Geigenbauer Christophe Landon. Diese Geige war zur Zeit des Konzertes im Leipziger Gewandhauses gerade einmal zwei Jahre alt. Mikhail Simonyan ist überzeugt, dass seine Geige den volleren Ton produziere, widerstandsfähiger sei, sich schneller spielen ließe und einen kräftigeren Ansatz habe als die ihm bekannten historischen Modelle. Die Aufnahme seines Konzerts in Leipzig daraufhin überprüft, wirkt der Ton seiner Violine aber doch etwas weniger reichhaltig und ein wenig heller (um nicht zu sagen: blasser) als bei einigen seiner Altersgenossen, z.B. Tianwa Yang, Letitia Moreno, Ellinor D´Mellon, den Herren Gatto oder da Costa oder bei einem etwas älteren Kollegen, Joshua Bell. Am ähnlichsten klang es noch bei Christian Tetzlaff, der ebenfalls ein neues Modell nutzt. Das con fuoco bei F im ersten Satz wird nicht hörbar gemacht, dynamisch wird zumeist gut differenziert, aber nicht immer. An die Intonationssicherheit von Frau Yang kommt der junge Mann auch nicht ganz heran. An flinker Geläufigkeit mangelt es Herrn Simonyan hingegen ganz gewiss nicht. Gegenüber der Ausdruckspalette von Letitia Moreno, um einmal bei einem anderen Live-Mitschnitt zu bleiben, bleibt Simonyan fast ein wenig flüchtig. Die schnellen Passagen gelingen ihm besser, immer wenn es jedoch auf Klangfarben und Nuancierungen ankommt scheinen ihm die soeben genannten Damen etwas voraus zu sein, oder mag es doch am Instrument liegen?  Die Geige (mitsamt dem Bogen natürlich) wird schlank und rhythmisch exakt geführt. Besonders duftig wirkt das „Scherzo“ aber nicht.

Die Orchestereinleitung zum „Intermezzo“ hat man schon nuancierter, präziser und farbiger gehört (z.B. in Saarbrücken oder Frankfurt, um einmal bei den Mitschnitten zu bleiben). Simonyan selbst spielt mit sehr gut kontrastierender Dynamik, mitunter bringt er ein Frage-Antwortspiel ein, das bisher noch gar nicht als solches erkannt wurde. Die Partitur gibt ihm recht, auch wenn es außer ihm bisher niemand so explizit betont haben mag. Gutes Espressivo-Spiel.

Zu Beginn des „Andante“ sind die Bläser des MDR SO nicht ganz zusammen. Das mf wird so leise und schmachtend gespielt wie sonst das pp. Herr Simonyan trägt in diesem Satz sein Vibrato dicker auf als bisher. Er reizt in diesem Satz im Übrigen die ganze Palette aus, die seine Geige zu bieten hat. Nur die Dolce-Partie wirkt wenig auffallend. Die Sordinen der Streicher des Orchesters bringen da mehr Süße mit ein. Der Kehraus des „Rondo“ haben wir schon funkensprühender gehört, auch präziser. Begeisterter Applaus im Gewandhaus.

Die Aufnahme (ebenfalls in 5.1) wirkt natürlich und präsent. Auch die Staffelung des Orchesters wirkt überzeigend. Die Atemgeräusche des Solisten sind aufgrund der präsenzverursachenden Nähe der ihn aufnehmenden Mikros ebenfalls recht laut hörbar. Insgesamt wirkt die Aufnahme einen Tick weniger farbig als die (allerdings neueren) Aufnahmen von HR und SR.

 

4

Ruggero Ricci

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1960

7:44  4:24  6:04  6:13  8:16  32:41

Ruggereo Ricci, wie fast alle in unserm Vergleich vertretenen Geiger:innen ein Wunderkind, erhielt im zarten Alter von fünf Jahren Unterricht bei Louis Persinger und gab mit zehn Jahren sein erstes Konzert, mit elf bereits in der Carnegie Hall. Später nahm er Unterricht bei Georg Kulenkampf, von dem er die Deutsche Spielweise in der Tradition von Adolf Busch erlernte. In seinen späten Jahren äußerste er sich mit Bitterkeit über seine frühen Wunderkind-Auftritte. „Man sollte alle Wunderkinder mitsamt ihren Eltern an die Wand stellen und erschießen, dann wäre endlich Schluss damit.“ (Wikipedia) Einen bestimmten Kontext zum besseren Einordnen dieser rabiaten Äußerung, die sicher nicht explizit so gemeint wie gesprochen wurde, vermittelt die Quelle leider nicht.

Ruggero Ricci besaß viele wertvolle Instrumente, darunter die Guarneri del Gesù „Ex Huberman“. Der Name Huberman tritt in diesem Zusammenhang recht häufig auf, so gibt es auch eine Stradivari „Ex Huberman“, von der ebenfalls bereits die Rede war (auf der spielt seit 2000 Midori). Für die Plattenfreude wurde Ruggero vor allem als Paganini-Spieler bekannt, so dürfte er der einzige Geiger sein, der die 24 Capricen mindestens fünf Mal aufgenommen hat.

Herrn Riccis Geigen-Ton in dieser Lalo-Einspielung (es sollte noch eine spätere mit Matthias Kuntzsch und den Bochumer Symphonikern folgen) wirkt ziemlich rau, ähnlich wie in Perlmans erster Einspielung 1966, jedoch versehen mit einem ausladenden teils zittrig wirkenden Vibrato. Mit dem Alter des Geigers sollte dies nichts zu tun haben, denn Ricci sollte sich 1960 mit 42 Jahren in seinen besten Geiger-Jahren befunden haben. Er spielt nahezu den ganzen Satz wie unter einem Bogen, was in diesem Fall nicht den Spannungsbogen meint, sondern dass er so gut wie nie einmal zu einer sinnstiftenden Phrasierung absetzt. Ein Legato nach dem Vorbild Karajans? Eher nicht, denn der raue Ton hätte Karajan sicher missfallen. Auch bei Ricci wirkt das Spiel in Folge seiner seltsamen Phrasierung wenig kontrastreich. Die Belastbarkeit von Bogen und Geige scheint er jedoch auf den Prüfstand stellen zu wollen. Gerade mit zunehmender Spieldauer arbeitet er mit sehr viel Bogendruck, sodass sein Ton zum Leidwesen der bemitleidenswerten Geige, einen sägenden Unterton erhält. Wie gesagt, als wolle er die Grenzen der Belastung ausloten. Ähnliches hörten wir bisher nur bei Maxim Venegerov und ansatzweise bei Letitia Moreno. Ansermet und sein Genfer Orchester spielen recht rhythmisch neigen aber, entgegen dem aus unzähligen anderen Einspielungen bekannten eher schlank-filigranen Spiel, zum pompösen Auftrumpfen. Das Zusammenspiel erscheint mitunter auf der Kippe. Ricci gibt sich mit dieser Einspielung das Image eines machohaften Raubeins.

Im „Scherzando“ überrascht uns Ansermet mit einem ungewöhnlich wenig eleganten Spiel seines Orchesters, das dafür jedoch auf prägnante Weise packend. Ricci spielt in diesem Satz mit Permanent-Vibrato, das mit weiter Zitter-Amplitude heute old fashioned wirkt.

Dolce, appassionato und espressivo sind bei Ricci im „Intermezzo“ absolut gleich. Der Gestus geht sozusagen in einem durch: Ab durch die Mitte mit der Hochdruckgeige. Da sind auch ein paar spannende Drahtseilakte dabei, sodass das Ganze etwas unkultiviert-wildes und ursprüngliches erhält. Im Gegenzug klingt es jedoch gänzlich unelegant. Der Schlussakkord des Solisten und des Orchesters wirkt schwach. Die Intonation des Orchesters erscheint mitunter „gewöhnungsbedürftig“. Der teils ruppige, bräsige Unterton ergänzt das Spiel Riccis sogar ganz gut.

Im „Andante“ ist Ricci mehr um Differenzierung bemüht und holt klanglich und dynamisch das Letzte aus der Geige heraus. Im „Rondo“ hätte es ein schönes Feuerwerk geben können, es fehlt jedoch an Präzision. Dennoch ist dies der beste Satz. Insgesamt eine burschikose und herbe Interpretation des Stückes, urwüchsig und ein wenig hemdsärmelig.

Der Klang der Aufnahme ist für eine Decca aus den frühen 60er Jahren wenig körperhaft, wenig räumlich und tendenziell dünn geraten. Sie rauscht vernehmlich und wirkt ein wenig nasal verfärbt. Die Balance hingegen ist gelungen, die Dynamik erfreulich, weil frisch und kraftvoll.

 

 

 

3-4

Yan Pascal Tortelier

Louis Frémaux

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

P 1976

7:43  4:17  6:16  6:50  8:33  33:39

Der Sohn des Cellisten Paul Tortelier begann seine musikalische Laufbahn als Geiger, so war er auch Konzertmeister des Orchestre du Capitole de Toulouse. Danach wandte er sich ab ca. 1980 ausschließlich dem Dirigieren zu.

Seine Violine klingt zu Beginn etwas rau, nach und nach wirkt der Geigenklang voller und schöner. Er spielt weniger linienorientiert und große Bögen vermisst man ebenfalls in seiner Gestaltung. Obwohl alle Töne da sind, fehlt der virtuose Aplomb. Das selbstvergessene, schwerelose, quasi absichtslose Gelingen, das nur den Besten gegeben ist. Der Zusammenhang wirkt ein wenig unorganisch, vielleicht weil sich besser gelungene Momente mit hölzern klingenden abwechseln. Das Orchester gefällt da besser, es gibt im ersten Satz eine recht spritzige, vielleicht doch eher schmissige Darbietung.

Dem „Scherzando“ geht die Leichtigkeit ein wenig ab; das „Intermezzo“ wirkt durch die Intonation etwas eingetrübt, die Läufe wie beiläufig. Besonders im Finale des Satzes. Rein klanglich gesehen, vielmehr gehört, ist das Spiel durchaus „schön“, sodass eine hochwertige Violine aus „gutem Hause“ vermutet werden kann. Aber der Klang ist nun mal nicht alles.

Das „Andante“ mag man als den besten Satz bezeichnen, er klingt ausdrucksvoll, allerdings wird er mit ein paar „sauren“ Tönen ausgestattet.

Behäbig und breit tritt das „Rondo“ auf der Stelle. Trotzdem gibt es unsaubere Töne beim Solisten, während das Orchester mit breiter Dynamik und klanglicher Opulenz dem gewünschten schlanken Erscheinungsbild dieses Tanzsatzes nicht ganz entsprechen will. Dies wäre, wenn der vierte der Beste war, der schlechteste Satz in dieser Einspielung, an der man vielleicht erkennen kann, warum der Geiger seinem Berufsbild eine Korrektur gegeben haben könnte.

Der Klang der ehemals als Quadro-LP veröffentlichten Einspielung ist voll, fast schon opulent, griffig, sehr räumlich, sehr breitbandig und recht plastisch. Besonders der üppige (tiefe und volle) Bass fällt auf. Die Dynamik ist ausladend. Von der Klangtechnik her, wäre den Musikern der rote Teppich ausgerollt gewesen.

 

3-4

Pierre Amoyal

Paul Paray

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Erato

1973

8:05  4:37  6:43  7:34  8:53  35:22

Pierre Amoyal hatte eigentlich mit 12 Jahren am Pariser Konservatorium bereits fertig studiert. Anschließend gelang es ihm jedoch noch fünf Jahre bei Jascha Heifetz in LA „dranzuhängen“. Später wurde er selbst dann jüngster Professor am Pariser Konservatorium. Er spielt die „Kochanski“ Stradivari, die wie viele andere auch schon einmal als gestohlen galt (von 1987-1991) bis sie dann wieder aufgefunden wurde. In dieser Zeit bekam Monsieur Amoyal von Salvatore Accardo die „Saint-Exupéry“ geliehen. Ganz nebenbei: Es gibt auch noch eine „Kochanski“ von Guarneri del Gesù, die von 1958-2009 Aaron Rosand gehörte.

Amoyals Spiel glänzt mit einem elektrisierend schnellen Vibrato, teils kräftig, teils aber auch mal dick aufgetragen, einem schlanken, eher hellem Ton, samtweich und anschmiegsam und einem großen Ausdrucksbereich. Permanent-Vibrato ist ihm fremd, zumindest einmal im ersten Satz. Ihm gegenüber steht ein enorm dumpf und hintergründig eingefangenes Orchester, dem man kaum entnehmen kann, wo die einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen zu finden sind. Im Tutti klingt es wie ein dröhnender Klumpen Musik. Amoyals Spiel hätte eine angemessener aufgenommene orchestrale Umgebung mehr als verdient gehabt. Der symphonische Gedanke der Komposition wird so ad absurdum geführt.

Bei Amoyals Spiel staunt man immer wieder, wie süß ein Dolce klingen kann und über das für ihn so typische, reichhaltige Vibrato, mit dem er auch die so sinnlich strahlenden Spitzentöne erzielt. Die Dolce-Episode im vierten Satz klingt bei ihm auch fast so schön wie bei Heifetz selbst, allerdings stören im „Andante“, das sowieso schon zu vibratoreichem Spiel animiert, der zu üppige Gebrauch von demselben schon etwas. Ansonsten spielt er differenziert und betörend schön.

Das „Rondo“ wirkt sehr bedächtig, sodass man immerhin mehr Zeit hat, sich auf den üppig-süffigen Klang von Amoyals Violine zu konzentrieren. Der Gestus wirkt indes gehemmt. Der Satz hat so seinen Charakter als Rausschmeißer verloren. Das gelang anderen überzeugender.

Bei dieser Einspielung verhält es sich genau umgekehrt wie zur vorgenannten mit Herrn Tortelier. Pierre Amoyal ist ein ausgezeichneter Geiger, aber die Aufnahmetechnik seiner Einspielung lässt ihn quasi alleine dastehen. Die mangelnde Transparenz im Orchester ist im Jahr 1973 nicht mehr zeitgemäß, viel zu dumpf und topfig. Hört man nur einmal das Holz des Orchesters alleine, scheint es meilenweit entfernt. Amoyals Geige klingt daraus hervor wie ein strahlendes Wunder. Das Orchester klingt zu alledem auch noch linkslastig. Eine Aufnahmequalität insgesamt gesehen nahe am Fiasko. Da hat man wohl im Casino aufgenommen und sich dabei gründlich verzockt.

 

 

 30.4.2023