Die Crux mit dem Bewertungsschema
Es ist uns klar, dass man etwas qualitativ Erlebtes nicht so recht mit einer quantitativen Maßeinheit, wie es eine lumpige Zahl nun mal ist, ausdrücken kann. Gerne machen wir das auch nicht. Und wir wollen uns dafür bei allen Künstlern entschuldigen. Die Zahl dient eigentlich nur zur Übersicht und vielleicht auch, dass man sich eine gewisse Abfolge besser merken kann, wenn man sich einen Tonträger zulegen möchte, oder bevor man einen Download erwirbt oder zu streamen beginnt. Wie bei den Hotels mit den Sternchen, gibt es auch hier maximal fünf davon. Die Unterschiede sind nun einmal da.
Natürlich ist das Erleben von Musik hochgradig subjektiver Natur, deshalb wird auch jeder eine andere Meinung haben. Die Partitur ist schon einmal ein Regulativ, an der sich die Meinung messen lassen muss. Zur Objektivität, die es ja gar nicht (und schon gar nicht in Reinheit) gibt, fehlt dann aber immer noch jede „Menge“. Dann gibt es noch Erfahrungen, die man mit dem Stück gemacht hat, welche Aufnahme hat man zuerst kennengelernt, mit der man dann vielleicht sozusagen „älter“ geworden ist und an sie man sich gewöhnt hat. Vielleicht mag man auch den einen Künstler mehr als den anderen (subjektive Sympathiewerte oder was auch immer) oder hat ihn schon einmal in einem tollen Konzert erlebt, bei dem er sich richtig beliebt gemacht hat? Und last but not least, wie ist man selbst „drauf“, wenn man gerade die Einspielung hört und mit anderen in Beziehung setzt? Das alles sollte keine oder nur eine möglichst untergeordnete Rolle spielen. Das ist nicht immer einfach, man sollte sich dessen aber immer bewusst sein, damit die Subjektivität zumindest einmal nicht überhandnimmt.
Wie viele Fakten kennt man von dem Stück? Je mehr man kennt, desto näher werden die Ergebnisse kommen zu denen auch andere Hörer gelangen werden. Letztlich bleibt es also doch beim im kritischen Diskurs mit sich selbst und anderen gebildeten Urteil, das mit vielen anderen Urteilen gemeinsam eine Meinung, einen "Geschmack" ergibt, über den man bekanntlich sehr gut streiten kann. An oberster Stelle sollte jedoch stets der Wille zur gerechten Bewertung stehen. Wir machen es uns damit jedenfalls nicht leicht und es ist immer ein gewisser Widerstand zu überwinden oder eine gewisse innere Auseinandersetzung auszufechten um eine Einspielung an einen bestimmten Platz in der Liste zu einzutragen. Lässt man die Zahl weg, was würdiger wäre, verliert die Liste viel von ihrem Gebrauchswert. Eine Durchnummerierung wie im Sport wäre jedoch völlig fehl am Platz. Es gibt auch keine objektiven „Sieger“, meist hat uns eine mal kleinere, mal größere Gruppe von Einspielungen am besten gefallen. Da wäre es völlig unnötig (und außerdem eine Qual) eine über die anderen zu erheben. Ganz selten gibt es jedoch eine Einspielung, die besonders heraussticht und unter bestimmten Kriterien ganz alleine oben stehen müsste (z.B. Georg Soltis Aufnahme von 1970 von Mahlers V.). Manchmal gibt es auch eine Einspielung „des Herzens“, die es nach halbwegs objektiven Kriterien gar nicht ganz nach oben schaffen darf. Aber machen wir es besser mal nicht noch komplizierter als es ist…
Bewertungen
von Stufe 5 (Spitzen-, Referenzaufnahme) bis Stufe 1 (völlig indiskutabel)
5
hier liegt eine außergewöhnliche Interpretation vor, die dem Werk in allen seinen Schattierungen gerecht wird. Neuerdings bei bestimmten (Lieblings)Werken noch mit einem Sternchen oder Plus für die allerbesten (Sternstunden) versehen; für die außergewöhnliche Vermittlung von Einsichten oder der Erweckung von besonderer Emotionalität. Die Einspielung muss daher nicht völlig frei von Mängeln sein.
4-5
auch diese Interpretation ist außergewöhnlich gut, weist aber minimale Mängel auf oder es fehlt ihr noch oder nur "das gewisse Etwas".
4
gute Aufnahme, guter Durchschnitt. Damit könnte man schon sehr zufrieden sein, wenn es die da oben drüber nicht gäbe.
3-4
Routine-Aufnahme mit Defiziten bei der Umsetzung des Notentextes, mangelnde Inspiration oder eine gewisse Gleichgültigkeit.
3
nicht übermäßig inspiriert, noch größere Defizite
2-3
Aufnahme mit erheblichen Mängeln, z.B. in Tempo, Agogik, Artikulation, Durchhörbarkeit, Inspiration, kann z.B. auch willkürliche Schnitte enthalten, die begründbar oder noch halbwegs erträglich sind.
2
kaum empfehlenswert, sehr viele Mängel. Kommt nur ganz selten vor.
1
völlig indiskutabel, eigentlich keiner Veröffentlichung wert. Kommt noch seltener vor.
Wichtig: Innerhalb der einzelnen Klassen könnten verschiedene Einspielungen durchaus auch eher nebeneinander als untereinander stehen. Manchmal sind sie auch einfach völlig ebenbürtig. Eine einfache Liste gibt das jedoch nicht her, lässt leider nur ein über- bzw. untereinander zu. Generell erscheinen die zuerst genannten aber etwas niveauvoller oder stimmiger als die danach Genannten. Die Bewertung ist stets eine Summe aus vielen einzelnen Kriterien. Inspiration, Brillanz, partnerschaftliches Miteinander oder Kontrastreichtum, ist die Aufnahme partiturgenau und werkdienlich, dann Perfektion, Rhythmusgefühl, Impetus, Versenkung aber auch die Qualität der Aufnahmequalität und dabei besonders Transparenz des Stimmengeflechts, Farbigkeit, Wärme, Dynamik, räumliche Staffelung etc. pp.
Je mehr Künstler mitwirken, desto mehr Mittelwerte müssen im Geiste gebildet werden. Ist ein Geiger oder Pianist herausragend wird aber nur von einem durchschnittlichen Orchester begleitet, wird er nicht vor einem Solisten gelistet werden können, der die gleiche Qualität mit einbringt aber das Glück hat, von einem hochgradig motivierten Perfektionsensemble begleitet zu werden. Auch die Aufnahmequalität muss bei einem Tonträger mit in die Bewertung mit einfließen, dient sie doch als Übermittler der Werksubstanz bis zur künstlerischen Leistung. Sie kann sie vortrefflich befördern aber auch verunklaren oder schlimmstenfalls fast „mundtot“ machen.