Samuel Barber
Violinkonzert op. 14
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Werkhintergrund:
Samuel Barber, 1910 im US-Bundesstaat Pennsylvania geboren, komponierte mit zehn Jahren seine erste Oper, begann im Alter von vierzehn sein Studium und ließ sich in den Fächern Klavier, Komposition, Dirigieren und Gesang ausbilden. Sein außergewöhnliches Talent entdeckte der Dirigent Arturo Toscanini und ermutigte ihn, aus dem langsamen Satz seines Streichquartetts ein Orchesterstück zu machen, das Toscanini höchstselbst mit dem NBC Symphony Orchestra in der Carnegie Hall zur Ur-Aufführung brachte. So landete Barber seinen ersten großen Erfolg: das berühmte "Adagio for Strings".
Sein Konzert für Violine und Orchester op. 14 entstand kurz darauf, der Komponist war gerade einmal 29 und hatte erst vor fünf Jahren sein Studium abgeschlossen, als Auftragswerk des Seifenfabrikanten Samuel Fels, der es für seinen Protegé und Adoptivsohn, den Geiger Iso Briselli, bestellte. 1.000 Dollar bot Fels – die Hälfte davon als Vorschuss. Samuel Barber vollendete sein Violinkonzert op. 14 im Jahr 1939. Es ist ein dreisätziges Werk mit einer Dauer von etwa 22-23 Minuten. Später nannte Barber das Konzert scherzhaft „Concerto del sapone" (Seifenkonzert).
Der Geiger Iso, damals noch Isaak Briselli wurde übrigens 1912 in Odessa geboren und begann dort bereits als Kind mit seiner Ausbildung. Diese setzte er in Berlin bei Carl Flesch (1873–1944), einem Violinisten mit ungarisch-jüdischem Hintergrund, fort. Carl Flesch konzertierte u. a. mit dem international renommierten „Schnabel-Trio“ (nach dem Pianisten Arthur Schnabel so genannt). Carl Flesch riet seinem Studenten Isaak Briselli, seinen Vornamen zu ändern – und seine jüdische Provenienz zu verbergen. 1924 überzeugte Flesch ihn, mit ihm an das neu gegründete Curtis Institute of Music in Philadelphia (USA) zu gehen. Flesch pendelte zeitweise für jeweils sechs Monate zwischen Curtis Institut und Berlin, wo er eine außerordentliche Professur an der Hochschule erhielt. Carl Flesch, 1930 noch mit einer deutschen und ungarischen Staatsbürgerschaft ausgestattet, wurde jedoch mehrfach von den Nationalsozialisten inhaftiert. Schließlich in den Niederlanden tätig, bemühte er sich nach Besetzung der Niederlande durch NS-Deutschland um ein Visum für die USA. Ein solches Visum blieb ihm jedoch verwehrt. Nachdem ihm die ungarische Staatsbürgerschaft zunächst entzogen, dann aufgrund von Fürsprache wieder erteilt wurde, überlebte er eine Weile dort, bevor sich durch Ernest Ansermet schließlich in Luzern (Schweiz) ein Platz zum Unterrichten – und Überleben – eröffnete.
Iso (ehemals Isaak) Briselli hatte im selben Jahr wie Barber, 1934, seinen Abschluss am Curtis Institute of Music gemacht. Man kannte sich also bereits. Die Barber-Biografien von Nathan Broder (1954) und Barbara B. Heyman (1992) besprechen das Entstehen des Konzerts während der Zeit von seiner Auftragsvergabe bis zum Jahr der Uraufführung. Heyman interviewte für ihre Veröffentlichung Briselli und andere mit der Geschichte vertraute Personen. Ende 2010 wurden bisher unveröffentlichte Briefe von Fels, Barber und Albert Meiff (Brisellis Geigenlehrer zu dieser Zeit) aus dem Archiv der Historical Society of Pennsylvania der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Danach nahm Barber Fels' Vorschuss über 500 Dollar an und begann im Sommer 1939 in der Schweiz mit der Arbeit an den ersten beiden Sätzen. Er hoffte, das Konzert im Frühherbst fertigzustellen, um die Frist am 1. Oktober einzuhalten, aber seine Pläne wurden durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Ende August ging er nach Paris und nahm dann ein Schiff in die USA, wo er Anfang September ankam. Nachdem er kurze Zeit mit seiner Familie in Westchester, PA, verbracht hatte, setzte er seine Arbeit an dem Konzert in den Pocono Mountains fort.
Barber berichtet weiter, er habe Briselli „die ersten beiden Sätze (etwa 15 Minuten Musik)“ Mitte Oktober gegeben, und „er schien enttäuscht, dass sie keinen virtuosen Charakter hatten – ein bisschen zu einfach.“ Barber sagt weiter, er habe Briselli gefragt, „welche Art brillanter Technik ihm am besten entspräche; er sagte mir, er habe keine Vorliebe.“ Barber fährt fort: „Zu dieser Zeit war er der Idee eines ‚Perpetuum mobile‘ für den letzten Satz anscheinend nicht abgeneigt.“ Briselli gab jedoch an, ihm gefielen die ersten beiden Sätze sehr gut, er schlug jedoch einen virtuoseren dritten Satz vor.
Mitte November zeigte Briselli die beiden fertigen Sätze seinem Geigenlehrer in New York, Albert Meiff, der das Werk aus geigerischer Sicht sofort kritisierte. Meiff schrieb daraufhin Fels einen Brief (13. November), in dem er erklärte, dass der Violinpart einer „chirurgischen Operation“ unterzogen werden müsse, mit der Begründung, dass „die technischen Verzierungen weit von den Anforderungen eines modernen Geigers entfernt sind“ und dass das Stück in seinem gegenwärtigen Zustand für eine Aufführung durch Briselli ungeeignet sei. Meiff sagte, er werde den Violinpart in den beiden fertigen Sätzen umschreiben, und schlug vor, den dritten Satz „mit Kenntnis des Instruments“ selbst zu schreiben.
Bevor er den dritten Satz seinerseits an Briselli schickte, prüfte Barber (der unterdessen am Curtis Institute lehrte) dessen Spielbarkeit, indem er einen Curtis-Student, Herbert Baumel, bat, das Finale ein paar Stunden lang zu studieren und sich dann mit Barber in das Studio des Pianisten Josef Hofmann, der uns bereits sehr gut von seiner fulminanten Aufnahme des f-Moll-Konzertes von Chopin bekannt ist und damals Direktor des Instituts war, zu begeben und (mit Hofman oder ohne ihn, das wissen wir nicht) den Satz vorzuspielen. Zugegen waren außer Hofman auch Gian-Carlo Menotti, langjähriger Lebensgefährte Barbers und ebenfalls Komponist, Mary Louise Curtis Bok, die wohlhabende und einflussreiche Gründerin des Instituts mit einem Freund. Diesem Publikum bewies der junge Baumel, ein guter Vom-Blatt-Spieler, ohne große Anstrengung, dass das Finale des Violinkonzertes von Samuel Barber durchaus spielbar ist.
In einem Brief an Fels vom 14. Dezember erklärte Barber, dieser Test diene seiner Ansicht nach als Bestätigung dafür, dass der Satz „praktisch und spielbar“ sei. Barber erklärte, er habe „sehr hart“ am letzten Satz gearbeitet und ihn „unter alles andere als idealen Umständen“ fertiggestellt, und schickte den Violinpart etwa zwei Monate vor der geplanten Premiere an Briselli. Briselli war jedoch enttäuscht, als er den dritten Satz von Barber erhielt; Barber zufolge waren seine Gründe: „1. konnte er ihn nicht sicher für Januar lernen; 2. war er nicht geigenmäßig; 3. passte er musikalisch nicht zu den beiden anderen Sätzen, er schien ihm eher belanglos.“ Er fragte Barber, ob er das Finale umschreiben würde, damit es bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt uraufgeführt werden könnte, und schlug Möglichkeiten zur Verbesserung des Satzes vor, beispielsweise eine Erweiterung zu einem Sonatenrondo. Barber lehnte diese Vorschläge ab und entschied sich, sein ursprüngliches Finale beizubehalten, da er der Meinung war, dass er „aus künstlerischer Aufrichtigkeit mir selbst gegenüber, einen Satz, dem ich vollkommen vertraue, nicht zerstören konnte“, was Briselli dazu veranlasste, seinen Anspruch auf das Konzert aufzugeben. Bei der geplanten Uraufführung ersetzte Briselli es durch Dvořáks Violinkonzert.
Am 26. Dezember antwortete Meiff auf eine handschriftliche Notiz von Fels mit einem langen zweiseitigen Brief, in dem er Fels „Punkt für Punkt“ die Probleme darlegte, die er mit dem Stück hatte, einschließlich der Tatsache, dass es „nicht genug Rückgrat hat – nicht stark, nicht majestätisch – nicht genügend dramatische Momente enthält, die alle eine erfolgreiche Aufführung ausmachen.“ Er kritisierte insbesondere das Finale und erklärte, dass es „von Anfang an ein gefährlicher Gedanke war, ein Perpetuum mobile zu schaffen … ohne einen Hauch von Ruhe und ohne melodische Teile … ein riskantes, ermüdendes Ende … es war eine falsche Idee, und Mr. Barber sollte dies zugeben.“
Anfang 1940 wurde das Stück von Baumel mit dem Curtis Institute Orchestra unter Fritz Reiner privat aufgeführt. Im Anschluss an diese Aufführung plante Eugene Ormandy, der von der Sache Wind bekommen hatte, die offizielle Premiere für zwei Aufführungen mit Albert Spalding und dem Philadelphia Orchestra in der Academy of Music im Februar 1941. Eine davon wurde aufgezeichnet und liegt bei YouTube vor. Diesen Aufführungen folgte am 11. Februar 1941 eine Wiederholung in der Carnegie Hall, und von da an wurde das Stück schnell zum Standardrepertoire für Violine und Orchester und wurde zu einem der am häufigsten aufgeführten Konzerten des 20. Jahrhunderts, vor allem in den USA.
Für Hilary Hahn, die ungefähr 60 Jahre Jahre nach Barber und Briselli am Curtis Institut in Philadelphia studierte, hat diese Meinungsverschiedenheit und Rechthaberei durchaus ihre komische Seite, besitzt aber auch die warme Vertrautheit einer Art Familienlegende, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Während der Jahre als Schülerin von Jascha Brodsky, der, wie Frau Hahn selbst im Beiheftchen zu ihrer Einspielung beschreibt, ein Studienkollege von Barber und Briselli war und anschließend wie Barber selbst am Curtis Institut unterrichtete, als sich die Ereignisse um das Barber-Konzert dort abspielten, lernte sie alle Legenden und Geschichten des Instituts kennen. Sie kann sich besonders lebhaft vorstellen, was damals in den ihr vertrauten Unterrichtsräumen des alten Gebäudes geschah. Als sie 1999 ihre Einspielung machte, war sie übrigens gerade einmal 19 Jahre jung.
Samuel Barber gehört kompositorisch zur „alten Schule“. Er lehnte den „Modernismus“ ab und schrieb bewusst Musik, die reich an Melodien, üppig im Klang und progressiv in der Harmonie war, ohne dabei hart zu sein. Aus diesem Grund ist er als der amerikanische Romantiker bekannt. Das Violinkonzert gehört (für uns, die wir nur einen sehr kleinen Ausschnitt aller Werke kennen) zu Barbers besten Werken, bei ihm gelingt die Großtat, alles unter einen Hut zu bringen, was ein nicht nur erfolgreiches, sondern auch qualitätvolles Solistenkonzert braucht: verschwenderischen Melodienreichtum, reichlich Futter für den Virtuosen, (relative) formale Ausgeglichenheit, geschmackvolle Instrumentation. Trotz aller Nähe zur Romantik spricht Barber hier seine eigene Sprache, und die ist, wie gesagt, so gar nicht allzu amerikanisch. Tatsächlich überrascht in Barbers Violinkonzert jedoch der Gegensatz zwischen der ruhigen Einfachheit der beiden ersten Sätze und den hohen technischen Anforderungen des lebhaften Finales. Stilistisch könnte man es am besten als neoromantisch-klassizistisch einordnen. Er verbindet darin Mendelssohn und Grieg mit „etwas Strawinsky“ und mit Erinnerungen an die amerikanische Popularmusik.
Gleich zu Beginn stellt die Solovioline ein gesanglich aufblühendes, sonniges Thema vor, das in der Lage ist, mit wenigen Kernmotiven einen großen hymnischen Gesang anzustimmen, in dessen Achtelbewegung eine wiegende Triolenfigur eingefügt ist. Oboe und Klarinette spielen das tänzerische Seitenthema im punktierten Rhythmus, das danach aber nur noch selten zu Wort kommt. Die melodische Erfindung als solches ist für Barber wichtiger als ihre Weiterverarbeitung. Er verlässt sich formal unbesehen auf die konventionelle Sonatenform mit Durchführung und kaum veränderter Reprise.
Auch im langsamen Mittelsatz, der mit Oboen-, Celli-, Klarinetten und Horn-Soli beginnt, wobei das Oboen-Solo am ausgedehntesten ist. Im Thema der Solovioline wechseln Zweischlag- und Dreischlag-Puls ab. Die Stimmung wirkt Notturno-artig und wird von dramatischen Anflügen durchzogen. Er erinnert durch das ausgedehnte Oboen-Solo nicht von ungefähr an das Violinkonzert von Brahms, zudem ist er wie bei Brahms von einprägsamer Melodik geprägt. Aber anders als bei Brahms, erhält die Violine ebenfalls die Gelegenheit das wunderschöne, elegische Thema der Oboe zu intonieren. Bei Brahms blieb der Violine das schönste Thema des ganzen Konzertes vorenthalten. Der Satz wirkt sehr emotional, die Erinnerungen an Herzschmerz und das Aufflackern neuer Leidenschaften, das Erwachen von frischer Energie und von fernen Erwartungen werden sehr anschaulich dargestellt. Mitunter kann man lesen, der Komponist hätte die Frustration seines Doppellebens hier mit ein komponiert. Homosexuelle Neigungen durften damals nicht ansatzweise ausgelebt werden. Ob man das jedoch so genau darin hören kann? In Chopins Mittelsatz des 2. Klavierkonzerts beispielsweise mangelt es ja auch nicht an Sehnsüchten und unerfüllten Leidenschaften, da waren die Neigungen jedoch heterosexueller Natur (siehe: https://www.klassik-kompass.de/chopin-klavierkonzert-nr-2-f-moll).
Dann aber stürzt sich eine Rührtrommel noch vor dem Soloinstrument ins feurige Rondo-Finale, ein atemlos taumelndes Perpetuum mobile („perpetual motion“ in ständiger Bewegung), in dessen 110 Takten es fast pausenlos gefordert ist. Nahezu ohne Verschnaufpause haspelt der Solist oder die Solistin die brillanten Triolen ab, während die gelegentlichen Einwürfe des Orchesters wie Lauf- oder Quietschgeräusche einer überdrehten Maschine hereinplatzen. Man könnte aber durchaus auch an eine Tarantella denken, bei der man schnell versucht vor der Tarantel wegzulaufen, die aber am Schluss doch noch kräftig zubeißt. Vielleicht gelingt es aber final auch, die Tarantel zu zerschlagen, das wollen wir mal offenlassen. Erst nach einer „militärisch“ anmutenden Attacke der Blechbläser und einer gewagten Violin-Stretta hat der Spuk ein Ende. Eine Verbindung zu den besonders, fast schon überschwänglich lyrisch geprägten Sätzen zuvor vermag man kaum zu entdecken, da kann man Herr Brisellis Urteil durchaus nachvollziehen. Plötzlich geht es prägnant, besonders lebhaft und fast ein wenig manisch zu. Nun hören wir hektisches „Großstadtleben“ in einem denkbar starken Kontrast zum sanftmütigen, aber auch tiefer gehenden „Landleben“ der beiden Sätze zuvor. Ebenso charakteristisch für das Finale ist ein gewisser Humor, dem durchaus ein gewisser bissiger Unterton eigen ist. „Nun lieber Briselli, üb mal schön…“, könnte sich Barber gedacht haben. Nun, die beiden Männer hegten im späteren Leben keinen Groll und begegneten sich wohl, wenn man die Quellen richtig deutet, zeitlebens freundschaftlich.
Samuel Barber fasste sich über sein Violinkonzert übrigens ziemlich kurz:
„Es hat einen lyrischen und eher intimen Charakter und ist mit einem mittelgroßen Orchester besetzt: acht Holzbläser, zwei Hörner, zwei Trompeten, Schlagzeug, Klavier und Streicher.
Der erste Satz – Allegro moderato – beginnt mit einem lyrischen ersten Thema, das sofort von der Solovioline angekündigt wird, ohne jegliche Orchestereinleitung. Dieser Satz hat in seiner Gesamtheit vielleicht eher den Charakter einer Sonate als den eines Konzerts.
Der zweite Satz – Andante – wird durch ein ausgedehntes Oboen-Solo eingeleitet. Die Violine setzt mit einem kontrastierenden und rhapsodischen Thema ein, woraufhin sie die Oboen-Melodie des Anfangs wiederholt.
Der letzte Satz, ein Perpetuum mobile, nutzt die brillanteren und virtuoseren Eigenschaften der Violine.“ Das war es auch schon.
Samuel Barber hielt sich übrigens auch ab 1933 immer wieder in Europa und insbesondere auch im deutschsprachigen Raum auf (vgl. hierzu Howard Pollack. Samuel Barber – His life and legacy. University of Illinois Press 2023). Einzelne Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen erwärmten ihn, der keineswegs vorbehaltlos Richard Wagners Musikdramen gegenüberstand, für einige Aspekte Wagnerscher Klangästhetik. Die Salzburger Festspiele – bis zum so genannten „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland immer wieder als kosmopolitisch-zeitgemäßes Gegenprogramm zu den „Führer-Festspielen“ wahrgenommen – spielten eine größere, biographisch längerfristig wirksame Rolle für ihn. Nachdem 1958 seine Oper „Vanessa“ an der New Yorker Metropolitan Opera ihre Uraufführung erlebt hatte, verhalf die Erstaufführung bei den Salzburger Festspielen im selben Jahr „Vanessa“ allerdings nicht zu einem nachhaltigen Erfolg im Nachkriegseuropa.1951 dirigierte Samuel Barber Aufführungen seines Violinkonzertes in Berlin und Frankfurt am Main.
Gil Shaham machte sich Gedanken darüber, wieso so viele Violinkonzerte in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden sind und im Jahrzehnt zuvor kein einziges bedeutendes: „Es ist ein auffälliger Zufall, dass es zwischen 1931 und 1940 einen solchen Zusammenfluss von Violinkonzerten großer Komponisten gab. In diesem einzigen Jahrzehnt haben wir Werke von Strawinsky, Prokofjew, Bartok, Alban Berg, Arnold Schönberg, Benjamin Britten, William Walton, Samuel Barber, Roger Sessions und Karol Szymanowski, Karl Amadeus Hartmann, Darius Milhaud, Paul Hindemith und Ernest Bloch, und ich habe wahrscheinlich viele andere ausgelassen. Alle großen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Wenn man sich bis 1940 erstreckt, kann man auch das Geigenkonzert Khachaturians einschließen. Die großen Meister, die vor den 1930er Jahren kamen, wie Debussy, Ravel und Gershwin, hatten irgendwie nie das Bedürfnis, ein Violinkonzert zu schreiben. Es gibt ein wunderbares Zitat von Maurice Ravel, der, als er gebeten wurde, ein Violinkonzert zu schreiben, antwortete: "Warum sollte ich ein Violinkonzert schreiben? Mendelssohn schrieb schon eins.“
Warum das plötzliche „Ausgießen“ von Violinkonzerten in den 1930er Jahren? Ich habe keine Antworten, meint Shaham weiter. Eine beredte Person sagte einmal, dass in den 30er Jahren die ganze Welt auf einem Vulkan tanzte und darauf wartete, dass er ausbrach. Irgendwie reagierten diese Komponisten auf die Ereignisse dieses Jahrzehnts in ihren Violinkonzerten. Der Dirigent Hugh Wolff sagte einmal, der letzte Satz des Barber Concerto klinge wie Big City America, mit dem Verkehrslärm, den Wolkenkratzern, dem Klang von Sirenen. Im Gegensatz dazu ist der langsame Satz wie die Notlage des ländlichen Amerikas, der Dust Bowl-Bauern und der Großen Depression. Ein Element der Nostalgie zieht sich durch viele dieser Stücke. Es gibt hier ein Gefühl der Sehnsucht nach der Vergangenheit und Angst vor dem, was kommen wird. Was ist mit dem alten Europa passiert? Wohin gehen wir jetzt?“ Wie aktuell!!!
Während der Geiger Iso Briselli, für den das Konzert entstand, an seiner kritischen Position zeitlebens festhielt, fühlten sich Kollegen wie Isaac Stern, Itzhak Perlman oder Gil Shaham gerade durch diese Verbindung von Einfachheit und Virtuosität angezogen. Das Konzert wurde bisher von zahlreichen Geigern aufgenommen und gespielt, darunter u.a. Augustin Hadelich, Louis Kaufman, Ruggiero Ricci, Elmar Oliveira, Leonid Kogan, Anne Akiko Meyers, Joshua Bell, Giora Schmidt. James Ehnes, Hilary Hahn und Johan Dalene. Es fehlen in der Diskographie allerdings viele ältere Geiger der allerersten Garde, so zum Beispiel David Oistrach, Szeryng, Grumiaux, Francescatti, Menuhin, Milstein oder überraschenderweise auch Jascha Heifetz, zu dessen Virtuosität und Musikalität das Konzert eigentlich wie das Violinkonzert Korngolds exzellent gepasst haben sollte.
zusammengestellt bis 28.3.25

Samuel Barber beim Komponieren und Rauchen.
Gehört wurden:
28 Stereo-Einspielungen
6 historische Mono-Einspielungen
11 Mitschnitte von Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Die Stereo-Einspielungen:
5*
Gil Shaham
André Previn
London Symphony Orchestra
DG
1993
10:08 8:47 3:46 22:41
Gil Shaham wird uns in der kleinen Liste vier Mal begegnen. Er liebt die Violinkonzerte aus den 30er Jahren anscheinend ganz besonders, weshalb er sie auch auf seinen Konzerten immer wieder gerne programmiert. Er hat das Konzert von Samuel Barber zwei Mal für eine Plattenfirma aufgenommen und wir konnten zwei Konzerte mit ihm im Rundfunk mitschneiden. Sicher wären im Netz noch weitere Aufnahmen zu finden, aber mit den vier wollen wir es mal bewenden lassen. Bei seiner ersten Aufnahme war er erst 22 Jahre jung, also ein wenig jünger als der Komponist bei der Komposition. Zwar ist auch seine New Yorker Einspielung von 2010 ganz ausgezeichnet gelungen, aber in diesem Fall „fängt der frühe Vogel den Wurm“. Zu den verschiedenen verwendeten Geigen der Solist/innen haben wir übrigens beim Korngold-Violinkonzert schon viel geschrieben, weshalb wir uns dieses Mal diesbezüglich zurückhalten wollen, zumal die beiden Konzerte von Barber und Korngold nicht selten miteinander auf einer CD erscheinen. Herr Shaham sollte damals schon die „Gräfin Polignac“ von Stradivari zur Verfügung gehabt haben.
In dieser Aufnahme ist der Gestus im ersten Satz besonders jugendlich und drängend, pulsierend und dynamisch geraten. Das Spiel ist geigerisch exzellent und klanglich schöpft der junge Mann aus dem Vollen. Seine Geige klingt fein und sonor zugleich und sein Spiel kraftvoll. Allerdings vielleicht nicht ganz so nuancenreich wie bei Hilary Hahn und der „Sound“ nicht so breit und dunkel wie die Guarneri von James Ehnes, aber immer noch auffallend üppig. Das Orchester spielt mit mehr Grandezza als beispielsweise das St. Paul Chamber Orchestra in der Einspielung von Hilary Hahn. Gil Shahams Spiel wirkt lyrischer als das von Isaac Stern, er dosiert das Vibrato feiner, ohne dem dramatischen Gehalt, der in vielen Einspielungen unterrepräsentiert erscheint, etwas schuldig zu bleiben. Er spielt hochkonzentriert und sehr lebendig. Die Höhepunkte werden von Shaham und Previn bzw. vom Orchester voll ausgespielt. Das Klavier, das hier als Orchesterinstrument Verwendung findet und solchermaßen als Besonderheit angesprochen werden kann, wird in dieser Einspielung im genau richtigen Maß bedacht.
Das Solo der Oboe gibt dem zweiten Satz gleich zu Beginn seine besondere, wenn man so will pastoral-melancholische Note. Wie beim Violinkonzert von Johannes Brahms, das Barber dabei als Vorbild gedient haben dürfte. Es liegt in der Tonhöhe besonders gut für die Oboe, sodass es in fast allen Einspielungen wunderschön klingt. Man darf davon ausgehen, dass die Oboisten oder Oboistinnen ihr besten Rohr aufgesetzt haben und sie ihr Bestes geben. Nichtsdestotrotz gibt es Unterschiede. Dieses Mal klingt es ausgesprochen empfindsam, es gibt keine Probleme mit einer Zwischenatmung und es wirkt einfach sehr schön. Die Celli, etwas stärker als das verlangte p, drücken da schon mehr auf die Tränendrüse, ohne dass man deshalb gleich an Filmmusik denken müsste. Das Geigenspiel allerdings empfinden wir als berückend schön, besonders frei und expressiv, auch vollkommen intonationssicher. Die Geige (oder vielmehr der Geiger) paart die ausgesprochen gefühlshaft-expressive Spielweise mit einem noch saftigeren Ton als bei Isaac Stern. Die Wiederholung des Oboen-Themas (das was der Geige im Brahms-Violinkonzert verwehrt wurde) 1 T. nach Zi. 5 spielt der junge Shaham ohne den Überdruck an Espressivo und ein zuviel an Vibrato. Er bettet es in den übrigen Vortrag ein, denn so schön (und einfach) wie die Melodie nun einmal ist, bedarf es dieser „Sonderbehandlung“ gar nicht. In vielen Einspielungen entsteht hier eine Übergewichtung, die dem Ausdruck eher schadet. Aber da kann man auch anderer Meinung sein. Das LSO und sein kundiger Dirigent wachsen bei den Höhepunkten schier über sich hinaus und geben ihnen so emotionale Hitze mit, wobei es die Hitze der Verzweiflung ist, die man da raushören kann. Der Orchesterpart wird dynamisch und in Sachen Farbenreichtum voll ausgereizt. Das Zusammenspiel wirkt nahtlos und hellhörig.
Den dritten Satz kann man mit seinen durchgängigen Triolen sowohl als „Perpetuum mobile“ als auch als eine Tarantella ansehen. Bei Shaham wirkt sie hoch virtuos und im Ausdruck gewinnt sie nach einer furiosen Steigerung am Ende eine gewisse Frénésie. Kein Wunder, wenn man von einer Tarantel gestochen wird soll man ja tatsächlich einer gewissen Raserei anheimfallen. In diesem Fall könnte man aber auch eine Verfolgungsjagd heraushören. Die Geige läuft vorm Orchester davon, damit sie erst gar nicht von der Tarantel gestochen wird (nicht im Metrum, nur bildlich) oder von der Polizei (oder den verfolgenden Mafiosi) geschnappt wird. Auf welcher Seite die Gangster sind, bleibt bei dem Szenario völlig offen. Eine Verfolgungsjagd eines Ganoven vor der Polizei (à la Hitchcock, nicht in schwarz/weiß, sondern in Technicolor) kommt einem allerdings besonders in den Sinn. Der Verlauf der Tarantella wirkt ungemein zugespitzt. Am Schluss scheint die Violine geschnappt und die Tarantel doch noch zuzubeißen. Oder tritt sie der Geiger höchstselbst k.o.?
Der Klang ist prall, dynamisch und sehr farbstark. Die Geige wirkt ein wenig unverhältnismäßig groß und einnehmend vor das Orchester gestellt. Das Orchester wirkt nicht übermäßig großräumig aufgebaut, sondern eher dicht dran am Solisten, klingt aber sehr transparent. Das Verhältnis zwischen den beiden ist so stark kammermusikalisch geprägt. Die Aufnahme macht sehr viel von der Partitur hörbar und lässt die mitreißende Darbietung wunderbar lebendig werden.
5*
Isaac Stern
Leonard Bernstein
New York Philharmonic
CBS-Sony
1964
10:11 8:25 3:53 22:29
In dieser Einspielung, bei der die beiden Haupt-Protagonisten 44 (Stern) bzw. 46 Lebensjahre (Bernstein) zählten, also im allerbesten Musikeralter waren, beginnt der Satz, als ob er schon länger andauern würde. Man springt sogleich voll ins Geschehen. Besonders hervorstechend an dieser Darbietung ist die Leidenschaft im Emotionalen und die Verve im Musikalischen. Sterns Einspielungen sind von eher wechselhafter Qualität, man sagte damals, er könnte noch viel besser sein, wenn er mehr üben würde. Dieses Mal liegt er jedoch in seiner Intonation meist goldrichtig. Er zeigt sich in der Blüte seiner Jahre von der besten Seite. Anscheinend lag ihm das Konzert besonders am Herzen, was man ohne jede Einschränkung von der Einstellung Bernsteins behaupten lässt, wenn man vom klanglichen Endergebnis ausgehen darf. Dies soll übrigens die erste Stereo-Einspielung des Violinkonzerts gewesen sein. Der Orchesterpart ist besonders sorgfältig erarbeitet worden, der Grad der Perfektion erreicht auch für heutige Verhältnisse das höchste Level. Die Soli wirken frisch, anschmiegsam, eloquent. Solist und Orchester spielen in seltener Einigkeit und voller Überzeugungskraft. Herr Stern scheint sich gar die Seele aus dem Leib zu spielen. Klanglich wird er nur selten rau, meist hören wir einen geschmeidigen, blühenden Ton, meisterhaft. Was man von ihm bei anderen Gelegenheiten nicht immer hört: Dieses Mal er nimmt sich auch ins p zurück, wenn es die Partitur verlangt. Wenn auch nicht immer im ausreichenden Maß. Die Höhepunkte werden mit höchster, fast ekstatischer Intensität angegangen und ausgelebt. Ähnliches gilt übrigens für alle drei Sätze. Diese Aufnahme vermittelt eine uneingeschränkte Begeisterung der Beteiligten am Werk.
Im zweiten Satz hat man keine Angst vor „hochromantischen Seelenergüssen“. Stern, Bernstein und die New Yorker gehen bis an die Grenzen des im Sinne der Partitur Darstellbaren. Es beginnt schon mit einem gerade vom New Yorker Oboisten so klangschön und entwaffnend unsentimental wie man es nicht unbedingt von ihm erwarten konnte. Da muss man aufpassen, dass man nicht zu Tränen gerührt wird. Man trifft auf eine ungemein gefühlvolle Stimmung. Mister Stern spielt hoch expressiv, singt ziemlich frei von der Seele und führt uns in die Abgründe der Empfindungswelt. Wenn er mit hohem Druck und sehr viel Vibrato bei der Wiederholung des Oboen-Themas alles aus seiner Geige herausholt klingt es, trotz gleicher Noten, viel aufgewühlter und trauriger als bei der Oboe selbst. Die acht Minuten vergehen wie im Flug, denn es passiert ungeheuer viel in diesem Satz. Grandios. Eine Warnung sei aber doch angedeutet: Das Vibrato Sterns nutzt man heute lange nicht mehr so ungezügelt und in dieser Heftigkeit und Häufigkeit, es dürfte also längst nicht mehr jedem uneingeschränkt zusagen.
Der dritte Satz wirkt präzise, keck und wild aufgeschäumt, erneut mit höchster Intensität. Kein Zweifel: Herr Stern hatte sehr gut geübt.
Isaac Stern spielt übrigens die Guarneri „Panette“ von 1737, die uns später noch einmal in den Händen von Renaud Capuçon wieder begegnen wird.
Der Klang der Aufnahme lässt die Geige sehr präsent hören. Stern spielt uns sozusagen direkt ins Ohr. Er, der Klang, verfügt über sehr gute Transparenz (Klavier!) und lässt das Orchester in einer ausgezeichneten Staffelung hören. Das Orchester wirkt sehr plastisch, körperhaft, frei und farbig. Die Dynamik ist sehr gut, die Grenzen der Technik werden voll ausgereizt, ein Übersteuern gerade noch so vermieden. Shahams DG-Aufnahme geht in Sachen Dynamik und Brillanz jedoch noch ein Stückchen weiter. Die CBS-Aufnahme wirkt aber großzügiger in der Räumlichkeit. Glänzende Arbeit also auch der Tontechnik.
5*
Hilary Hahn
Hugh Wolff
Saint Paul Chamber Orchestra
Sony
1999
10:29 9:02 3:21 22:52
Als Hilary Hahn diese Einspielung machte, war sie gerade einmal 19 Jahre jung. Als Absolventin des Curtis Instituts in Philadelphia, demselben Institut an dem auch Briselli und Barber studierten (Barber lehrte da auch noch), fühlte sie sich mit dem Werk und der Hintergrundgeschichte besonders eng verbunden. Sie spielt unter anderem auf zwei Violinen des französischen Geigenbauers Jean Baptiste Vuillaume, eine Kopie einer Guarneri-del-Gesù aus dem Jahr 1864, die sie seit ihrem 14. Lebensjahr spielt, und eine Stradivari-Kopie aus dem Jahr 1865. Welches bei der Aufnahme zum Einsatz kam können wir nicht mit Sicherheit sagen (unser Tipp gilt der Guarneri, dies jedoch ohne Gewähr), jedoch blüht ihr warmer Ton wunderbar auf und ihr Spiel erfreut durch innere Beteiligung und eine besonders reiche Nuancierungskunst. Der Klang ihrer Violine schwingt besonders schön aus. Im Verhältnis zum Spiel der beiden zuvor genannten Herren wirkt das Spiel der jungen Frau weniger kraftvoll. Sie spielt nicht so offensiv und expressiv, nicht so hochromantisch wie wir das bei Stern gehört haben, aber längst nicht reserviert. Ihre absolut reine Intonation und ihre mühelose Technik begeistern ganz im Gegenteil ganz besonders. Sie bewahrt einen kühlen Kopf und meistert alle Klippen mit größter Souveränität. Das Kammerorchester reicht in seiner Besetzungsstärke völlig aus. Die Partnerschaft wirkt absolut passgenau. Der Satz wirkt mit Hilary Hahn besonders reichhaltig, beweglich und bewegend, aber zugleich auch bestechend klar, sodass ihr Spiel manch einem Hörer vielleicht ein wenig distanziert erscheinen mag.
Auch in dieser Darbietung gibt die Oboe ihr Bestes und gerade die Oboen aus amerikanischen Orchestern fallen gegenüber den aus europäischen Spitzenorchestern auffallend wenig ab. Die Oboe aus St. Paul spielt in jedem Fall in der Spitzengruppe mit. Frau Hahn könnte einen unvorbereiteten Hörer im zweiten Satz durchaus zu Tränen rühren. Denjenigen, die meinen ihr Spiel wäre reserviert, können wir uns ganz und gar nicht anschließen. Sie spielt nur dermaßen rein in Sachen Strich, Intonation oder Rhythmus, dass sich dieser Eindruck vielleicht als erstes einstellt. Den expressiven Impetus der Einspielung von Stern und Bernstein erreicht sie jedoch nicht. Sie spielt jedoch genauer und mit einem viel schöneren Ton als „Altmeister“ Stern.
Der dritte Satz klingt in dieser Einspielung besonders mühelos hingezaubert und dazu noch in rekordverdächtiger Geschwindigkeit. Es gelingt Frau Hahn trotz der für manchen Top-Geiger (incl. Briselli) unüberwindlichen Schwierigkeiten noch eine Scherzando-Note mit einzubringen, was nur ganz Wenigen gelingt. Das Orchester hält das atemberaubende Tempo gut mit, was uns vor allem vor der Trompete den Hut ziehen lässt (Staccato!). In völliger Transparenz kann man jeden Einsatz (auch des Holzes) bestens heraushören. Der Satz wirkt noch nicht einmal gehetzt, selbst da, wo andere Virtuos/innen hörbar ums Überleben kämpfen, aber doch mit höchster Dringlichkeit. Frau Hahn kann da sogar noch viele Nuancen einbauen, die sonst gerne mal unters Podium fallen.
Der warme und sinnliche Klang der Aufnahme lässt die Violine deutlich im Vordergrund hören. Dennoch klingt das Orchester wunderbar deutlich und präsent. Die Dynamik ist sehr gut, die Transparenz ausgezeichnet.
5
James Ehnes
Bramwell Tovey
Vancouver Symphony Orchestra
Onyx
2006
10:22 9:15 3:39 23:16
James Ehnes spielt auf der Stradivari „ex-Marsick“ von 1715, also nicht die „ex-Oistrach“ von 1705, wie es verschiedentlich kolportiert wird, weil man sie ebenfalls „ex-Marsick“ nennt, der Mann namens Martin Pierre "Marsick" konnte eben damals zwei Violinen aus dem Hause Stradivari sein Eigen nennen. Man nennt die Zeit von 1700-1725 übrigens auch „die Goldene Periode“ bei diesem Geigenbauer, weil die in jenen Jahren gebauten Instrumente als seine besten gelten. Den Preis ihres Gewichts aufgewogen in Gold haben sie längst um ein Vielfaches hinter sich gelassen. Er baute ja bis ins hohe Alter, bis zum 90sten Lebensjahr sagt man, obwohl man vermutet, dass bei den späten Arbeiten bereits seine Söhne mitgewirkt hätten. Das nur ganz nebenbei. Die James Ehnes geliehene "ex-Marsick" wird derzeit auf einen Preis von 8 Mio USD geschätzt.
Diese Einspielung wirkt ausgesprochen atmosphärisch und stimmungsvoll. Das Spiel von Herrn Ehnes wirkt ganz besonders geschmeidig, flexibel, nuanciert, sprechend und nebenbei ganz besonders klangschön. Die Phrasierung ist herausragend ebenmäßig. Er könnte wohl ein endloses Legato spielen ohne dass man einen einzigen Bogenwechsel hören würde. Er spielt längst nicht mehr so expressiv wie die ältere Generation Geiger/innen, wie z. B. Isaac Stern. Das machen übrigens alle jüngeren Geier/innen nicht mehr in dieser Intensität, dafür aber noch tonschöner. Es ergibt sich alleine schon aus dem Klang der Violine und der Art des Spiels ein helleres, etwas freundlicheres, aber auch noch vielschichtiger anmutendes Bild des ersten Satzes. Das Orchester ist erneut (wie schon beim Korngold-Violinkonzert) mit einer sehr guten Leistung zu hören. Ganz so plastisch und packend wie beim LSO unter Previn oder den New Yorkern mit Bernstein klingt es nicht. Jedoch durchaus glanzvoll.
Im zweiten Satz lässt man sich die nötige Ruhe. Die Oboe klingt etwas heller im Ton, also nicht ganz so sonor, genauso, wie es anscheinend mittlerweile weltweit üblich wird. Anscheinend ist der Instrumenten- und Rohrbau inzwischen weitestgehend perfektioniert. Ihr Ton ist flexibel und differenziert. Von ihr und vom Orchester wird ein besonders zarter und verletzlicher, introvertierter Gestus vorgegeben. Und diese Stimmung wird von Herrn Ehnes ganz hervorragend aufgenommen und intensiviert. Er spielt völlig makellos. Seine Aufnahme des Oboen-Themas schwingt wunderbar und wird nicht vom druckvollen Espressivo geradezu erstickt. Ähnlich werden wir es bei den jüngeren Geiger/innen noch häufiger hören, z. B. auch bei Sonoko Miriam Welde.
Im dritten Satz lockert das Orchester sehr schön beschwingt die stetigen Triolen-Bewegungen der Geige auf. Ehnes spielt auch die Hürden dieses Satzes makellos, ganz und gar nicht etüdenhaft und mit Verve. Das Geigenspiel wirkt zauberhaft und das Orchester hält „spielend“ mit.
Die edle Violine klingt sehr präsent, während sich das sonore Orchester deutlich dahinter einfindet. Es klingt dennoch sehr transparent und räumlich. Das meist nur leise gespielte und in sehr vielen Einspielungen fast oder gänzlich unhörbare Klavier ist bestens durchhörbar. Sehr wohlklingend.
5
Gil Shaham
David Robertson
New York Philharminic
Canary Classics
2010, live
10:09 8:35 3:51 22:35
17 Jahre nach seiner ersten Einspielung spielt Gil Shaham das Violinkonzert mit frappierender Klarheit und Deutlichkeit erneut ein. Die Phrasierung ist nun supergenau, genau wie Rhythmik und Intonation. Der Ton wirkt nicht so warm oder gar flauschig weich wie bei den als „gutmütiger“ bekannten Guarneris, aber auch nicht hart. Man glaubt hier noch eine Violine zu hören, kein „Überinstrument“. Es ist bekannt, dass Herr Shaham gerne mal eine andere Geige als seine „Comtesse de Polignac“ verwendet. Seit 2020 bekam er zudem noch eine weitere Stradivari zur Verfügung gestellt, deren Namen uns nicht bekannt ist. Sie soll aus der „Goldenen Periode“ stammen (genauer von 1719). In dieser Aufnahme klingt sein Spiel schlank und fein aber auch auffallend offen und ein wenig „naturbelassen“ im Klang, was aber keinesfalls als grobfaserig verstanden werden sollte. Technisch ist sein Spiel über alle Zweifel erhaben und man meint, dass sein Zugang zum Werk jetzt mit 41 noch reifer, aber nicht mehr ganz so temperamentvoll sei. Das Orchester klingt ausgezeichnet und es begleitet außerordentlich aufmerksam. Die Herren Shaham und Robertson arbeiten sehr häufig miteinander. Auch hier verläuft die Zusammenarbeit völlig nahtlos. Die Beiträge der Holzbläser sind anschaulich und klangschön.
Das Oboen-Solo im zweiten Satz erklingt mit einem angenehm reduzierten, vielleicht gerade deshalb sehr ausdrucksvollen Vibrato und einem weich getönten Ton, wie man es in amerikanischen Orchestern zuvor nur ganz selten hören konnte. Die anderen Holzbläser und der Streicherchor stehen jedoch nicht zurück. Die Violine klingt nun im langsamen Satz herzerwärmend schön. Bei 4 T. nach Zi. 2 ist Herr Shaham einer der wenigen, die tatsächlich nicht beschleunigen. Die Anweisung senza affrettare hatte Barber schon vorsorglich hinzugeschrieben, weil er wohl vermutet hat, dass die Geiger an dieser Stelle gerne „davonlaufen“. Es hat nicht bei vielen genutzt. Der nun noch exquisiter und leuchtender als im ersten Satz wirkende Ton Shahams wirkt sehr expressiv und sein Vibrato zeigt nun ein sehr hohes Maß an Anteilnahme. Nun holt er alles aus der Geige heraus, was in ihr steckt.
Der dritte Satz besticht mit höchster Transparenz sowohl was das Spiel Shahams, als auch das des Orchesters anlangt. Er spielt extrem klangschön, federnd, weich und rund, aber trotzdem sehr beschwingt. Zwar nicht rekordverdächtig schnell, aber doch zwingend und mit bestechender Präzision im Zusammenspiel. Die Steigerungswelle wirkt stringent. Großer Jubel in New York. In dieser Einspielung meint man eine besondere Verbundenheit des Solisten mit dem Werk herauszuhören. Der Umgang wirkt besonders liebevoll und die Perfektion „springt“ ebenfalls ins Ohr. 1993 war allerdings noch mehr jugendliches Temperament mit im Spiel. Summa summarum eigentlich ein Gleichstand, man wird nur 1993 noch etwas stärker emotional involviert, aber das ist ja ganz subjektiv.
Der Klang der Einspielung ist klar und deutlich, besonders umrissscharf, körperhaft, weich und rund. Das sehr gut differenzierte Orchester weist eine gute Tiefenstaffelung auf und wirkt substanzreich und farbig. Die Balance von Violine und Orchester ist ausgewogen. Das Klavier klingt zwar recht hintergründig, es ist aber jederzeit gut hörbar. Dies ist eine sehr klangschöne Einspielung. Räumlicher als die 1993er DG-Einspielung aber nicht ganz so farbig und nicht ganz so dynamisch.
5
Joshua Bell
David Zinman
Baltimore Symphony Orchestra
Decca
1996
10:10 8:44 3:39 22:33
1996 spielte Joshua Bell noch auf seiner „Tom Taylor“ Stradivarius, die bei dem Film „The Red Violin“ der eigentliche Star war. Heute spielt er die „Gibson ex Huberman“, eine Stradivari, die 1713, wie bereits die Geige von James Ehnes während der sogenannten „Goldenen Ära“ von Stradivari hergestellt wurde. Näheres dazu könnte man bei Bells Aufnahmen von Lalos „Symphonie Espagnole“ nachlesen, wenn man dies möchte: (https://www.klassik-kompass.de/lalo-symphonie-espagnole).
Wir hören eine jugendlich frische Darbietung des ersten Satzes. Dass der Interpret bei der Einspielung ungefähr das gleiche Alter (32) hatte als der Komponist bei der Komposition (29), scheint zumindest einmal kein Nachteil zu sein. Bells Ton ist weicher, runder, lyrischer als der von Isaac Stern. Er bietet mehr Abschattierungen und spielt mit mehr cantabile, mit mehr p, dem er auch mal etwas geheimnisvolles abgewinnen kann. Sterns Espressivo bleibt jedoch unerreicht. Das Orchester zeigt sich rhapsodischer, also vielleicht auch nur „flockiger“ gegenüber der strafferen, leidenschaftlicheren Spielweise der New Yorker unter Bernstein, der mehr Impetus fordert (und bekommt). Die Soli der New Yorker wirken noch brillanter. Geigerisch scheint der junge Bell dem älteren Stern überlegen zu sein, wirkt sein Spiel doch einfach lockerer und (noch) schlackenloser. Die Darstellung mit Stern und Bernstein lässt den ersten Satz jedoch noch mehr unter einem Bogen erklingen, er wirkt als Ganzes zwingender.
Die Oboe aus Baltimore spielt ebenfalls mit feinem Ton, berührend zart und mit einem gefühlvollen Vibrato. Auch die Celli dosieren ihr Espressivo genau richtig. Beim ersten Einsatz der Violine 4 T. nach Zi. 2 bemerkt Barber senza affrettare, was so viel heißt wie ohne zu beschleunigen oder ohne sich zu beeilen. Bell beherzigt das genau, nicht viele halten das jedoch die ganze Phrase bis zum piu mosso durch. T. 1 nach Zi. 5 spielt er dann das Thema der Oboe im vollen Espressivo. Dabei fällt auf, dass das Thema von der Oboe gespielt viel mehr berührt als wenn es die Geige spielt, das ist allerdings längst nicht nur bei Joshua Bell so und außerdem eine subjektive Erfahrung. Im Orchester hören wir gleich zwei Höhepunkte denn auch bei Zi. 8. obwohl eigentlich nur bis f gesteigert werden sollte, geht es bis zum äußersten ff. Andere (außer Zinman) können da ebenfalls nicht widerstehen.
Bells Tarantella wirkt sehr schnell und unforciert, ungeheuer virtuos auch das Orchester mit seinem gewandten Holz und dem brillanten Blech. Die Rasanz erscheint jedoch unaufdringlich. Respekt!
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr weich, recht körperhaft, räumlich und transparent. Sie bietet zwar mehr Raumtiefe, wirkt jedoch nicht so gut konturiert als die Aufnahme mit Stern und Bernstein. Die Violine steht in einem natürlichen Verhältnis zum Orchester, nicht übermäßig präsent, und genauso wenig aufgebläht. An Präsenz war die 1964er CBS sowohl bei der Violine als auch beim Orchester überlegen.
5
Elena Urioste
Paul Daniel
BBC Philharmonic, Manchester
BBC Live
2014, live
10:56 8:28 3:43 23:07
Diese Einspielung entstand live in der Leeds Town Hall. Die Geigerin ist (ebenfalls) eine Absolventin des Curtis Institute of Philadelphia, an dem einst auch Samuel Barber und Iso Briselli studierten. Ihre Lehrer waren Joseph Silverstein, Pamela Frank und Ida Kavafian. Danach studierte sie auch noch bei Joel Smirnoff an der Juilliard. Sie spielt eine Violine von Allessandro Gagliano von ca. 1706. Es muss also nicht immer gleich eine Stradivari, Guarneri oder Amati sein. Auffallend an ihrer Website ist, dass ihr Yoga anscheinend mindestens genauso wichtig ist, wie das Spiel auf ihrer Violine. Jedenfalls wird es ähnlich leidenschaftlich kommuniziert.
Ihre Spielweise im ersten Satz des Barber-Konzertes ist eher lyrisch, verträumt und unaufgeregt. Man lässt sich genügend Zeit, die Gedanken des Komponisten auf anschauliche aber auch sinnliche Weise vor uns auszubreiten. Der Klang der Violine wirkt recht dunkel und tiefgründig, ihr Spiel nie auftrumpfend und versehen mit einer feinen Agogik und vorzüglicher Berücksichtigung der Lautstärkerelationen. Sie und der Dirigent sind sich einig in der Neigung, die Musik nicht oder nur wenig zu dramatisieren. Das bemerkt man auch an den von Herrn Daniel auffallend zurückhaltend gestalteten Höhepunkten. Unserer unmaßgeblichen Meinung nach trifft man mit dieser Musizierhaltung den Stimmungsgehalt der Musik haargenau. Einwenden könnte man jedoch, dass das vorzüglich spielende und klingende Orchester dermaßen zurückgehalten ein wenig unter seinen Möglichkeiten zu bleiben scheint. Ansonsten ist dies eine gerade in ihrer uneitlen Art besonders zu Herzen gehende Einspielung.
Das Solo der Oboe klingt auch in Leeds wunderbar, die Atempausen sind gut getimt und fallen nur auf, wenn man gesondert darauf achtet. Nur ein Mal hakt es mit der Ansprache eines Tons, das kann immer mal passieren, trotzdem wird es den oder die Solist/in mächtig geärgert haben. Dabei reißt die kleine Panne die Hörenden noch nicht einmal aus der gerade so eindrucksvoll aufgebauten Stimmungswelt. Frau Uriates Spiel wirkt im Folgenden frei von allen technischen Belangen und besonders erfühlt. Sie motzt trotz der f-Spielweise die Reprise des Oboen-Themas nicht auf und erreicht durch ihre zurückhaltende, aber gerade dadurch ungemein empathische Spielweise besondere Anteilnahme bei den Hörer/innen. Ähnlich Lahav Shani in München (zu finden bei den Rundfunk-Mitschnitten am Ende der Liste) ist auch für Paul Daniels der Höhepunkt des zweiten Satzes der eigentliche Höhepunkt des Werkes und zwar ganz deutlich. Er lässt daher das Orchester nur hier alle Register ziehen. Das wirkt sehr eindrucksvoll. Es ist, wie sollte es anders sein, auch in dieser Einspielung ein Höhepunkt der Verzweiflung, ein expressionistischer Aufschrei.
Der finale Satz zeigt klare, saubere Triolen, schnell, leise und immer noch exzellent nuanciert in Artikulation und besonders in der Dynamik. Ein Leggiero-Stil, der durch den locker-verspielten Gestus, den er hervorruft, besticht. Da spürt man keinerlei Anspannung. Auch das Orchester zeigt sich sehr gut vorbereitet, spielt transparent und gewandt. Durch den lockeren Gestus kommt es kaum zum Eindruck einer Hatz, vielmehr klingt es nach einem beschwingten Miteinander incl. humoriger Pointen. Nur am Ende gibt es eine Steigerung mit Biss.
Den Klang dieser Live-Aufnahme kann man nur als gelungen bezeichnen. Er wirkt warm timbriert, körperhaft, weich und mit einer großzügigen, aber nicht übertriebenen Räumlichkeit und hohen Transparenz. Zudem klingt er farbig, voll und ortungsscharf. Die Balance von Violine und Orchester kann man als ideal bezeichnen.
4-5
Izthak Perlman
Seiji Ozawa
Boston Symphony Orchestra
EMI
1994
10:14 8:07 3:39 22:00
Wenn man bedenkt, wie viele Besteller Herr Perlman produziert hat, dann hat diese Einspielung eher wenig Aufsehen erregt. Nichtsdestotrotz erklingt sie nicht ohne Delikatesse im solistischen wie auch im orchestralen Bereich. Perlmans Violine klingt voll, süffig, kantabel und warm mit einer bittersüßen Romantik, aber auch ein wenig schwelgerisch und ohne ein Zuviel an Schwermut. Das Orchester spielt exzellent, ihm fehlt im ersten Satz jedoch gewissermaßen ein räumliches Eigenleben, was soviel heißen soll, dass die Techniker es, wie in vielen anderen Aufnahmen von Perlman, hinter dem Star der Aufnahme fast versteckt haben.
In den beiden Folgesätzen wird das Orchester jedoch räumlicher präsentiert. Die Oboe spielt sehr schön, aber nicht besser als die aus Baltimore oder auch aus Saint Paul oder Saint Louis. Da kann man kaum noch erkennen, wer in den Big Five spielt und wer nicht. Sobald Herr Perlman einsetzt übernimmt er trotz der nun vorhandenen eigenen orchestralen Räumlichkeit unangefochten die Hauptrolle. Ähnlich Isaac Stern spielt er sehr expressiv und tiefschürfend, er schont dabei seine Geige nicht. Es klingt klagend, weinend, Lockerheit sollte man unter diesen Umständen nicht unbedingt erwarten. Offenherzigkeit schon. Das Orchester zieht gleichgesinnt mit und treibt die Dynamik bei den Höhepunkten in den Grenzbereich. Manch einem Hörer, einer Hörerin mag diese Spielweise in den ersten beiden Sätzen vielleicht etwas zu verbissen vorkommen.
Die abschließende Tarantella wirkt sehr klar, dynamisch differenziert, weder nervös noch gehetzt, sehr schnell und präzise. Sehr transparentes Orchester mit guten Solisten. Beeindruckend. Eine Hetzjagd kommt einem kaum in den Sinn, der Ausdruck bleibt rein musikalisch.
Der Aufsprechpegel der Aufnahme lässt die Darbietung sehr laut wirken. Sie erscheint auch sehr direkt. Perlman steht ganz nah vor uns und spielt uns sozusagen direkt ins Ohr. Das Orchester ebenfalls noch direkt sogleich dahinter. Die Aufnahme vermittelt wenig Raumtiefe, wirkt aber trotzdem noch transparent. Es ist eine typische Star-Produktion, die vor allem versucht den Geigenstar zu vermarkten. Besonders im ersten Satz. Die weiteren Sätze wirken „emanzipierter“.
4-5
Mikhail Simonyan
Kristijan Järvi
London Symphony Orchestra
DG
2010
10:24 8:34 3:41 22:49
Der bei der Einspielung des Konzertes 24jährige Mikhail Simonyan hat seine letzten Studien ebenfalls am Curtis Institut in Philadelphia erhalten. Er war dabei Schüler von Victor Danchenko, der seinerseits Schüler von David Oistrach war. Welche Violine Herr Simonyan bei der Aufnahme spielte, konnten wir leider nicht herausfinden, er spielt jedenfalls mit einem klaren Ton, einer exzellenten Dynamik, souverän bei den lyrischen Passagen und in den feurigen Rhythmen. Den Schmelz der besten Guarneris und Stradivaris hören wir jedoch noch nicht. „Seine“ Höhe kann man jedoch als bezaubernd bezeichnen, während es in der Mittellage ein wenig an sonorer Wärme fehlt.
Während es auch dem Orchester im ersten Satz noch an Klangfülle fehlt, ändert sich das Bild beim Orchester im zweiten. Der Klang der Violine ändert sich hingegen nicht. Das Orchester klingt nun deutlich weiträumiger, größer und wie gesagt fülliger. Das Oboen-Solo erklingt besonders gleichmäßig, mit sehr wenig dynamischer Nuancierung und ganz ohne Vibrato. Da fehlt dann doch was, obwohl ihr Klang als solcher eigentlich als „schön“ gelten kann. Das Geigenspiel begeistert besonders wenn es um die kraftvolle Spreizung der Dynamik geht, die vollumfänglich dem Ausdruck zugutekommt.
Der eigentliche Höhepunkt in dieser Darbietung ist der Finalsatz. Er wird sehr präzise und angetrieben gespielt, vom Solisten und vom Orchester. So exakt und trotzdem überhaupt nicht etüdenhaft hört man den Satz nur ganz selten. Das Zusammenspiel ist passgenau. Wir hören einen exzellenten Techniker und hervorragenden Musiker in einem, dem nur noch eine Super-Violine fehlt. Es ist verwunderlich, dass man von dem jungen Mann anscheinend keine weiteren Einspielungen gemacht hat, zumindest sind uns keine weiteren bekannt geworden.
Der Klang der Aufnahme bietet eine ausgewogene Balance, viel Raum und Detailreichtum. Das Orchester klingt besonders im zweiten und dritten Satz transparent, gut aufgefächert, farbig und plastisch. Die Höhepunkte haben Biss, fallen aber nicht aus dem Klangbild heraus. Nur die Transparenz lässt dann ein wenig nach. Das LSO klang 1993 in der Aufnahme mit Gil Shaham und André Previn jedoch noch weicher und runder, vielleicht sogar noch etwas transparenter und dynamisch noch zupackender.
4-5
Dylana Jenson
David Lockington
London Symphony Orchestra
mano a mano
2009
10:57 9:20 3:49 24:06
Dylana Jenson hatte in den 80er Jahren große Erfolge, die jedoch durch den Entzug der ihr geliehenen Guarneri abrupt beendet wurden. Ihr Gönner nahm sie ihr weg, weil sie heiraten wollte. Sie könne sich dann nicht mehr richtig auf ihre Geige konzentrieren war die Begründung. Wir vermuten eher einen beleidigten Gönner. In dieser Einspielung spielt sie ein Instrument des New Yorker Geigenbauers Sam Zygmuntowicz, das eigens für sie gebaut wurde. Er spezialisierte sich, wie Jean Baptiste Vuillaume im Paris des 19. Jahrhunderts, besonders auf Repliken berühmter Modelle. Zuvor hat er bereits Modelle für Isaac Stern, Joshua Bell, Maxim Vengerov, Cho-Lian Lin und das Emerson String Quartet angefertigt. Welches Instrument ihm in diesem Fall als Vorlage zur Verfügung stand, wissen wir leider nicht. Es klingt jedoch hervorragend und kann sich zumindest in unseren Ohren mit vielen Guarneris, Stradivaris oder Amatis dieser Welt messen. Ihr Klang ist recht breit, voll und recht warm. An die ganz besonders teuren Spitzenmodelle kommt sie unserer bescheidenen Einschätzung nach noch nicht ganz heran, da schimmern im Klang doch noch mehr Farben mit. Man müsste vielleicht einmal einen Blindvergleich machen und hören was dann als Ergebnis herauskäme. Isaac Stern und Pinchas Zukerman haben ja mal einen mittlerweile berühmten Blindvergleich angestellt, weitere folgten. Siehe: https://www.ja-gut-aber.de/stradivari-ein-mythos-wird-entzaubert/ Die substanziellen Unterschiede wollen eben auch bewertet werden. Frau Jenson hat das Geigenspiel seit den 80ern jedenfalls nicht verlernt. Ihr Klang wird zudem sehr genau fokussiert abgebildet, während das Orchester dahinter leider etwas schwammig wirkt. Das Holz klingt sehr gut, es mangelt jedoch an struktureller Klarheit. Der Dirigent ist übrigens ihr Ehemann. Ob er der Mann war, dessentwegen ihr die Guarneri entzogen wurde, wissen wir jedoch nicht. Herr Lockington hatte Chef-Positionen in New Mexiko, Long Island, Grand Rapids, Modesto und Pasadena inne.
Das Oboen-Solo könnte kaum vollmundiger, wärmer oder feiner phrasiert werden. Es gefällt noch besser als ein Jahr später in der Aufnahme mit Mikhail Simonyan. Frau Jenson spielt nun mit ähnlich intensiviertem Espressivo wie Isaac Stern, sehr kraftvoll, mit vollem Einsatz und starkem bis bebendem Vibrato und intonationsgenau. Das Orchester lässt den musikgewordenen Emotionen ebenfalls freien Lauf.
An der Musizierhaltung ändert sich im Finale wenig. Auch hier voller Einsatz, feurig-drängendes Spiel, saftiger Violinen-Klang. Das LSO klingt in diesem Satz plastischer, differenzierter und sehr dynamisch.
Der Klang der Aufnahme lässt die Violine wie direkt vor uns auf der heimischen Bühne stehen. Sie wirkt etwas weiter nach links verschoben, wie man es vom üblichen Konzerteindruck erwarten würde. Das Orchester klingt leider etwas schwammig und vor allem im Tutti undifferenziert. Im dritten Satz klingt es konturierter. Die Dynamik ist gut, der Gesamtklang kraftvoll und sehr füllig.
4-5
Vadim Gluzman
John Neschling
Sao Paulo Symphony Orchestra
BIS
2007
10:41 8:53 3:53 23:27
Vadim Gluzmans voller, warmer Ton vereinigt die Süße Bells mit der Größe des Tons eines Perlmans oder Sterns. Ganz individuell sind die verschwenderische Fülle und die reiche Klangfarbenpalette. Er sollte wie bereits beim Korngold-Konzert auf der 1690 ‘ex-Leopold Auer’ Stradivari gespielt haben. Auffallend erneut die völlig ansatzlose Phrasierung bei der die einzelnen Töne völlig bruchlos ineinanderfließen und die besonders geschmeidige Spielweise, die bei keinem Rhythmus nachlässt. Obwohl die Violine weit ins Orchester eingebettet wird, ist eine volltönendes Forte als solches zu vernehmen. Das Orchester hält nicht ganz die Qualität des Solisten. Herr Neschling lässt locker und bewegt musizieren, das Orchester spielt auch tonschön und wirkt aufmerksam, zugleich wirkt es jedoch trockener und schwerfälliger als die New Yorker unter Bernstein, um nur ein Beispiel zu nennen. Den beherzte Impetus Bernstein oder auch Previns hören wir hier nicht.
Das Oboen-Solo klingt auch in Sao Paulo schön, im Detail zwar nicht ganz makellos, aber das dürfte für die wenigsten Hörer der Rede wert sein. Sehr schön ist die samtige, wie analog aufgenommen Wärme des Klangs, die sich über den Satz legt.
Im dritten Satz wirken die leisen Einwürfe des Holzes oft unklar und nur schlecht hörbar. Der Klavierpart ist ebenfalls oft unhörbar. Trotz des objektiv eher moderateren Tempos wirkt der Satz noch sehr rasant. Der besondere Wert dieser Einspielung liegt in erster Linie im Spiel von Herr Gluzman und seiner betörend klingenden Violine.
Der Klang der Aufnahme lässt die Violine schön klar und deutlich abgebildet vor dem Orchester hören. Das Orchester ist transparent und deutlich aufgefächert zu hören. Die Balance wirkt ausgewogen, der Klang ist dunkel grundiert, könnte jedoch etwas brillanter sein. Die Tiefenstaffelung ist gut.
4-5
Ester Yoo
Vasily Petrenko
Royal Philharmonic Orchestra
DG
2023
10:15 9:05 3:48 23:08
Das als Orchesterinstrument genutzte Klavier klingt in dieser Einspielung zumindest im ersten Satz sehr leise und seltsam nach Hausmusik. Immerhin ist es bei jedem Einsatz zu hören. Ganz im Gegensatz dazu klingt die Violine ganz ausgezeichnet: sanft, warm, filigran, technisch brillant gespielt. Frau Yoo spielt die wunderbar sonor und dunkel timbrierte Stradivari „Fürst Obolensky“ von 1704. Die Mittellage klingt satt, die Höhe auch mal leuchtend silbrig. Frau Yoo spielt intensiv, ausdrucksstark und feurig. Ihr Vibrato wirkt zurückhaltend und flexibel, die Phrasierung nuancenreich und gefühlvoll. Die Dynamik zieht sie gerne partiturgerecht ins p und pp zurück, wenn es die Partitur verlangt. An die lyrische Vielschichtigkeit von Hilary Hahn kommt sie jedoch nicht ganz heran. Und ihr Krafteinsatz erlaubt nicht die Expressivität eines Shaham oder Stern. Die Soli im Orchester wirken zurückhaltender als z.B. beim LSO mit Previn oder bei den New Yorkern mit Bernstein oder Robertson, sie werden jedoch mit einer schönen Klanglichkeit dargeboten. Das Orchester wirkt jedoch durchweg im Ausdruck wie heruntergefahren, gerade, wenn man die mit vollem Herzen und dem entsprechenden Impetus dirigierenden Bernstein und Previn denkt.
Das Oboensolo im zweiten Satz klingt erneut sehr schön, allerdings nimmt sich der Spieler bzw. die Spielerin recht viel Zeit zum Zwischenatmen. Das was früher ein eher unbedeutendes Detail war, ist mittlerweile schon (negativ) auffallend. Heutzutage beherrscht jeder Oboist oder jede Oboistin, die etwas auf sich hält, die sog. „Permanentatmung“. Barber ist den Spieler/innen nicht mit notierten Pausen entgegengekommen, sodass sie sich selbst eine oder zwei nehmen müssen. In vielen neueren Aufnahmen hört man dann aber auch, dass Permanentatmung genutzt wird, dann hört man keine Atempause(n) mehr und wundert sich vielleicht, wie das gehen soll. Sie gehört seit den 80ern zur Ausbildung, aber vielleicht noch nicht überall. Das flexible Vibrato und die abgerundete Phrasierung gefallen. Das Orchester findet im zweiten Satz zu größerer Ausdrucksfülle als im ersten. Der erste Höhepunkt gelingt ihm famos, den zweiten, der eigentlich an den ersten nicht heranreichen sollte, wird partiturgemäß nicht als solcher aufgebauscht. Frau Yoo spielt sehr geschmackvoll und ohne bebendes Vibrato aber trotzdem ausdrucksvoll.
Klare, saubere Triolen sind für die Geigerin kein Problem. So wohlklingend, sauber und gekonnt, zudem lebendig und nicht etüdenhaft hört man den Satz selten. Das Orchester hat hier Gelegenheit seine Klasse zu zeigen, auch die stark im Staccato-Spiel geforderte Trompete.
Die Violine steht bei der klanglichen Realisierung deutlich im Fokus. Das Orchester klingt hinreichend präsent und sehr transparent, erklingt in guter Tiefenstaffelung. Das Klavier klingt im ersten Satz wieder zu zurückhaltend, es sollte mindestens als Erweiterung des orchestralen Farbspektrums zu hören sein.
4-5
Sonoko Miriam Welde
Joshua Weilerstein
Oslo Philharmonic Orchestra
Lawo
2021
10:30 8:23 3:53 22:46
Die junge Geigerin ist Schülerin von Kolja Blacher, Vilde Frang und Janine Jansen. Sie spielt die Stradivari „Spencer Dyke“ von 1736, die zuvor bereits von Chantal Juillet, Johan Dalene, Peter Winograd, Rafail Sobelevski und, wie der Name bereits sagt, Spencer Dyke gespielt wurde. Die Art des Spiels von Frau Welde wirkt auf uns zutiefst musikalisch, der Ton warm, zart und sehr flexibel. Man könnte ihn unumwunden als „wunderschön“ bezeichnen, was natürlich ein besonders subjektiv begründetes Attribut wäre. Grazioso und scherzando Spielanweisungen bringt sie sehr gut heraus. Ihr Spiel wirkt, wo es angebracht erscheint brillant, aber auch zutiefst melancholisch. Das Orchester assistiert luftig und transparent, manchmal wirkt es auch etwas diffus (Synkopen) und die Höhepunkte wirken ziemlich zurückhaltend (z.B. bei Zi. 11) und glanzlos. Pizzicati (z.B. bei den Celli) werden stark betont und manchmal hat man den Eindruck, beim Dirigenten ticke die Uhr mit.
Das Solo der Oboe hätte etwas präsenter sein können, es ist aber ganz erstaunlich, wie schön es allenthalben klingt, allerdings auch ziemlich ähnlich. Die Globalisierung hat den Oboen-Klang anscheinend vollends eingeholt. Frau Weldes Spiel wirkt geschmackvoll, ihr Bogendruck flexibel, das Espressivo nie übertrieben. Der Klang der Violine darf immer schön schwingen, im Gegensatz zu den Geiger/innen, die ein festes, starkes Espressivo bevorzugen, bei dem alles herausgeholt wird, was die Geige auch an Lautstärke zu bieten hat. Obwohl die Höhe strahlend wirkt, geht dem Klang der Violine nie die Wärme oder die Weichheit abhanden.
Auch im Finalsatz enttäuscht das lockere und brillante Spiel Frau Weldes nicht. Selbst jetzt klingt ihr Spiel nie hart. Das Orchester allerdings wirkt nie so richtig brillant. Vielleicht wäre eine weitere Probe von Vorteil gewesen.
Der Klang der Aufnahme wirkt dunkel und sonor, transparent und weich gerundet. Das Orchester wirkt für unseren Geschmack ein wenig zu entfernt, vor allem das Holz und noch mehr das Blech. Da wollte man ein Zuviel an Tiefenstaffelung.
4-5
Nadja Salerno-Sonnenberg
Maxim Schostakowitsch
London Symphony Orchestra
EMI
1992
11:19 10:08 3:45 25:12
Frau Salerno-Sonnenberg spielt eine Violine von Pietro Guarneri, auch sie hat einen Namen „Miss Beatrice Luitens, ex Comte de Sasseno“ von 1721. Sie stammt also nicht vom legendären Giuseppe Guarneri, dem man den Titel „del Gesù“ zum Namen hinzugegeben hat. Giuseppe soll, dem Vernehmen nach, alle anderen Familienmitglieder in der Geigenbaukunst übertroffen haben. Sogar die heutigen Preise scheinen dieses Urteil noch zu bestätigen.
Eigentlich könnte man die Darstellungen des ersten Satzes in zwei Gruppen aufteilen: intime Spielweise und entsprechende Wirkung einerseits oder opernhaft-theatralisch andererseits. Das wäre aber zu einfach bzw. zu grob, denn die beiden Gruppen werden meist ordentlich durchmischt und jede(r) hat was von beiden Gruppen. Frau Salerno-Sonnenberg gehört eher zur opernhaft-theatralischen Gruppe. Ihre Geige klingt etwas „rauchig“, also weniger weich und samtig (da ist etwas Tom Waits mit drin, natürlich in Sopranlage). Sie legt auch mal ein Portamento mit ein und ihr Vibrato ist schnell und eng. Das Espressivo wird nahezu maximal gesteigert, sodass die Intonation mitunter gefährdet erscheint. Es scheint, als ob der landläufig „schöne“ Geigenklang ein wenig erstickt würde unter dem leidenschaftlichen Spiel. Vor allem im zweiten Satz. Der Kopfsatz wirkt recht breit angelegt, der Beginn noch introvertiert. Schon im p wird relativ viel Vibrato aufgelegt. Ihr Lautstärkespektrum ist enorm. Der Gestus wird immer dramatischer dabei werden deutlichere Tempomodifikationen genutzt als üblich. Das Vibrato der Geigerin kann enorm erregt oder aufgeregt klingen. Das LSO spielt auch 1992 sehr aufmerksam, klangschön und flexibel. Die Höhepunkte werden groß angelegt und voll ausgespielt.
Auch ein Jahr vor der Einspielung mit Shaham und Previn wird das Oboen-Solo ganz exzellent geblasen. Der Oboist spielt sehr introvertiert, muss aber mit einer deutlich weiteren Entfernung zum Mikrophon (bzw. zum Hörer) zurechtkommen. Die Darstellung wirkt im zweiten Satz tieftraurig, teils verzweifelt. Voller Intensität. Auch das Orchester lotet tief, glüht aber nicht so farbstark auf wie bei Previn. Das LSO hängt sich auch dieses Mal voll rein, aber die Aufnahme lässt es deutlich distanzierter erscheinen.
Der dritte Satz, das „Perpetuum mobile“ mit der Tarantella wirkt schön überdreht und zugespitzt, klingt aber nicht so knackig wie bei Shaham/Previn.
Der Klang der Aufnahme lässt das LSO räumlich großzügiger im häuslichen Klangraum erklingen als bei Previn ein Jahr später. Er wird ´92 sehr gut in die Tiefe und Breite hinein gestaffelt. Die Kehrseite: er wirkt lange nicht so präsent und prall. Transparent sind diese Aufnahmen mit dem LSO beide. Die Violine erscheint gegenüber der 93er mit Shaham/Previn deutlich kleiner abgebildet.
4-5
Anne Akiko Meyers
Leonard Slatkin
London Symphony Orchestra
Evosound, eone, Membran
2013
10:16 8:53 3:56 23:05
Frau Meyers hat das Konzert bereits 1988 mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter Christopher Seaman für RPO bzw. Canyon eingespielt. Bei dieser Aufnahme, die uns leider nicht vorlag, war sie 18 Jahre jung, bei der uns vorliegenden Produktion 43. Frau Meyers besitzt zwei Stradivaris, ob beide in ihrem Eigentum sind, wissen wir nicht, das kann ein schicksalsträchtiger Unterschied sein, wenn einem das geliebte millionenschwere Instrument wieder „abgenommen“ wird. Da sind schon Karrieren zusammengebrochen. Es ist die „Royal Spanish“ von 1730 und die „ex Molitor“ von 1697, die nach einem französischen Grafen Gabriel Jean Molitor benannt wurde. Sie erregte damals Aufsehen, als sie für 3,6 Millionen Dollar, wie es heißt an Frau Meyers verkauft wurde. Heute wäre der Preis ein Vielfaches. Als Leihgabe spielt sie zudem die Guarneri „es Vieuxtemps“ von 1741, die sie anscheinend bevorzugt verwendet. Jedenfalls hat sie vorgesorgt falls sie ihre Leihgabe zurück- oder weitergeben muss. Kluge (und vermögende) Frau baut vor.
Die Aufnahme entstand in Saint Lukes in London. Eine Kirchenakustik hört man ihr jedoch nicht an, im Gegenteil, sie wirkt ziemlich trocken. Der Klang der Guarneri ist sehr weich und sehr üppig, geradezu „blühend“. Und Guarneri typisch wirkt der Klang eher dunkel als hell und die dynamische Spannweite erscheint groß. Nichtsdestotrotz kann ihr Frau Meyers auch zerbrechliche und in sich zurückgezogene Töne entlocken. Auf sanfte Art betont sie jedoch besonders schön die weiten, fließenden Melodien in den ersten beiden Sätzen. Das LSO scheint ein Abo für Aufnahmen des Barber-Konzertes zu haben, bis jetzt ist es die fünfte in unserer Liste. Es ist erneut voll auf der Höhe, spielt aber ziemlich dezent und erscheint ziemlich hintergründig. Sanft, zart und defensiv scheint es von Herrn Slatkin dazu angehalten worden zu sein, der Solistin stets die Vorfahrt zu lassen. Das Gegenteil von dem, was Bernstein oder Previn den Musikern entlockten. Den Aufschwüngen fehlt so der Nachdruck, idyllisch wirken die Holzbläsereinwürfe.
Der kurze Finalsatz wirkt erstaunlich anmutig, wenn man die technischen Schwierigkeiten nimmt. Er wirkt besonders einheitlich, vielleicht weil sowohl von der Solistin als auch vom Orchester unaufdringlich gespielt wird. Auch im dritten Satz bleibt das LSO lediglich wie „nur“ unterstützend im Hintergrund.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr weich und eigentlich üppig, was zuallererst an der groß dimensionierten Violine mit dem weichen, runden Ton liegt. Die Definition der Instrumente und Instrumentengruppen und die Räumlichkeit sind gut, obwohl es der Dreidimensionalität eindeutig an der Tiefe mangelt. Nicht zuletzt deshalb kann man der Aufnahme trotz ihrer weichen, runden, natürlich wirkenden Klanges das Attribut „audiophil“ nicht verleihen. Es ist mit der groß dimensionierten Geige, ähnlich wie bei Herrn Perlman, vielmehr eine typische „Starproduktion“.
4-5
Renaud Capuçon
Daniel Harding
Orchestre de la Suisse Romande
Erato
2024
10:17 8:56 3:49 23:02
Besonders interessant für alle Geigen-Melomanen könnte es sein, dass Monsieur Capuçon auf der gleichen Guarneri spielt, die zuvor Isaac Stern gehört hat, der „Panette“ von 1737. Der Klang der Violine ist dann auch wie erwartet recht ähnlich wie bei Herrn Stern, die Spielweise jedoch nicht. Der Franzose spielt mit viel weniger Espressivo, viel weniger Druck, also lockerer, aber genauso sauber, wenn nicht noch präziser. Das Orchester klingt sehr transparent und gerade die Holzbläser-Solisten (vor allem Oboe und Klarinette) klingen mittlerweile ganz hervorragend. Kein Vergleich mehr zu den Decca-Einspielungen der Ansermet-Zeit. Daniel Harding lässt das Orchester die Höhepunkte effekt- und temperamentvoll herausschleudern.
Das Oboen-Solo klingt wie fast immer sehr klangschön, dieses Mal sogar ohne jede Unterbrechung durch Aus- und Einatmen. Herr Capuçon klingt mit derselben Geige (wir wissen allerdings nicht, ob er auch denselben Bogen nutzt) stets klangschöner, voller und geschmeidiger als Herr Stern, der hingegen tiefer in die Gefühlswelt hinabtaucht und mehr emotionale Beteiligung spüren lässt.
Der dritte Satz huscht fast nur so vorbei. Ganz besonders transparent. Es fallen die leisen, jedoch ganz klaren, unverdeckten Einsätze von Holz und Klavier auf.
Auch dieses Mal tritt die Violine an zentraler, prominent hervorgehobener Stelle hervor. Das Orchester könnte voller, praller klingen, und steht ein wenig zu sehr hinter dem Solisten zurück. In Sachen Körperhaftigkeit (Plastizität) und Deutlichkeit steht sie trotz ihres Wohllauts hinter der 64er Stern/Bernstein-Produktion zurück.
4-5
Robert McDuffie
Yoel Levi
Atlante Symphony Orchestra
Telarc
1996
10:24 8:33 3:44 22:41
Robert McDuffie soll der letzte Geiger gewesen sein, der das Violinkonzert noch mit Samuel Barber persönlich einstudiert hat. Er ließ sich dabei, so ist es verbürgt, von Isaac Sterns Einspielung begeistern.
Sein Spiel wirkt nuanciert, flexibel, leicht, sein Klang ist gut, die Erzählweise spannend und im Ganzen erheblich lockerer als bei Stern, Perlman oder Shaham, besonders in seiner ersten Einspielung. Das Orchester klingt hervorragend (in einer ganz ausgezeichneten Aufnahmequalität), teils wirkt es wie schwerelos, hat aber längst nicht den Biss von Bernsteins New Yorkern oder Previns LSO. Es spielt dieses Mal aber auch nicht so läppisch wie in seiner Aufnahme von Mahlers Fünfter. Die Soli der Bläser klingen gut und werden besonders klar und deutlich präsentiert.
Der Mittelsatz wird von einem gefühlvoll, klar und leicht präsentierten Oboen-Solo begonnen. Ihm fehlt nur noch etwas Wärme um zu den allerbesten zu gehören, aber das ist Geschmack-Sache. Geigerisch steht Herr McDuffie hinter Hilary Hahn zurück, zumindest einmal wenn man die Mühelosigkeit des Spiels, die traumwandlerische Genauigkeit und die Süße des Tons als Kriterien heranzieht. Der Impetus Sterns bleibt ebenso unerreicht. Trotzdem weiß die Einspielung zu gefallen, zumal das Orchester nun mit viel Nachdruck agiert.
Im dritten Satz agieren der Solist sauber und virtuos und das Orchester brillant, ohne an die brisanten „Verfolgungsjagden“ der Besten ganz heranzukommen.
Die Violine klingt sehr präsent, nicht so dicht wie bei Stern, fast möchte man von einer idealen Balance von Violine und Orchester reden. Das Orchester wirkt weich gerundet, sehr gut aufgefächert, klar und tiefengestaffelt. Die Einspielung klingt als Ganzes voluminös, aber trotzdem dynamisch und brillant, bei bester Abbildungsgenauigkeit. Auch die Präzision des Basses gefällt. Eine ausgezeichnte Klangqualität, die man getrost zu den besten zählen darf.
4-5
Johan Dalene
Daniel Blendulf
Norrköping Symphony Orchestra
BIS
2019
10:58 8:34 3:48 23:20
Der bei der Aufnahme des Konzertes gerade einmal 19jährige Geiger, der übrigens in Norrköping geboren wurde, spielt trotz eines „honigsüßen“ Tons nicht ganz mit dem geschlossenen, vollen und warmen Ton eines Vadim Gluzman, James Ehnes oder auch einer Sonoko Miriam Welde. Die Darbietung ist jedoch spannend und in keiner Weise effektorientiert. Die Intonation und die Phrasierung des jungen Mannes wirken bereits meisterhaft. Die Phrasierung nicht immer ganz ansatzlos. Das Interagieren zwischen Solisten und Orchester wirkt nahtlos.
Die Oboen-Soli wären fast unter den verschiedenen neueren Einspielungen austauschbar, alle sind irgendwie schön auf eine Weise, die auch uns gut gefällt. Nie ist uns die Vereinheitlichung des Klangs so aufgefallen. Dieses Mal wird allerdings mit vergleichsweise viel Vibrato gespielt. A propos: Das Vibrato von Herrn Dalene erscheint schnell und recht intensiv. Überzeugend werden die Erinnerungen an Herzschmerz und das Aufflackern neuer Leidenschaften, das Erwachen von frischer Energie und von fernen Erwartungen dargestellt.
Der Finalsatz wird lebendig akzentuiert, vor allem vom Orchester. Die Piccolo kommt hier einmal gut durch (ab T. 1 nach Zi. 6), was dem Satz eine durchaus keckere Note verleiht als sonst.
Der Klang der Aufnahme lässt das Orchester weniger präsent hören. Wie so oft trifft es das Holz besonders. Nur wenn der Solist nicht spielt hört man das Orchester gut gestaffelt auch was die Tiefendimension anlangt.
4-5
Kyoko Takezawa
Leonard Slatkin
Saint Louis Symphony Orchestra
RCA
1994
10:40 9:02 3:43 23:25
Acht Jahre nach der Einspielung mit Elmar Oliveira waren das Orchester aus Missouri und sein Dirigent erneut gefordert, das Barber-Konzert einzuspielen. Dieses Mal mit der damals 28jährigen Kyoko Takezawa, die das Violinspiel mit der Suzuki-Methode erlernt hat. Abschließende Studien erhielt sie bei Dorothy DeLay an der Juilliard School. Sie spielte auf einer geliehenen Stradivari bis diese 2006 für 3,5 Millionen Dollar versteigert wurde. Die „Hammer“ wurde der Geigerin Kyoko Takezawa als Leihgabe überlassen, die damit zwölf Jahre lang auftrat. Am 16. Mai 2006 machte „The Hammer“ Schlagzeilen, als es bei einer Christie’s-Auktion für 3,54 Millionen US-Dollar an einen anonymen Bieter verkauft wurde, wobei der Schätzwert vor der Auktion nur zwischen 1,5 und 2,5 Millionen US-Dollar lag. Welches Instrument sie heute spielt, ist uns nicht bekannt. Bevor das Barber-Konzert aufgenommen wurde, hat sie bereits fast alle namhaften Violinkonzerte für RCA eingespielt, was heute nicht mehr so geläufig sein dürfte.
Ihr Spiel wirkt recht leidenschaftlich, mit einem schönen, klaren, flexiblen und singenden Ton. Ihr Espressivo ist spürbar, doch zurückhaltender, der Gestus nachdenklicher als bei Stern, Shaham oder Hilary Hahn wodurch ihr Spiel weniger emotional wirkt. Die dynamische Spannweite erscheint ein wenig eingeschränkt. Musikalisch und violin-technisch bleibt sie nahezu makellos und besonders fein-ausbalanciert. Solistin und Orchester spielen nuancenreich, wodurch die Darbietung sehr gefühlvoll, wirkt.
Herr Slatkin zieht wie bereits in seiner Einspielung mit Elmar Oliveira ein etwas langsameres Tempo als üblich vor. Die Oboe klingt fast genauso wie 1986. Frau Takezawa übertreibt es nicht mit dem Espressivo, weshalb ihr Ton meist angenehm schwingt. Ihr Vibrato erscheint im Verlauf bisweilen ziemlich stark. Ihr Spiel wirkt jedoch beherzt mit einem kraftvollen Ausdrucksvermögen.
Im Finalsatz stecken viel Bravour und leichter Nervenkitzel.
Das Orchester klingt dabei viel transparenter als in der 86er EMI-Einspielung mit Elmar Oliveira. Die Violine steht sehr deutlich und transparent vor dem Orchester. Das Orchester wirkt ebenfalls präsent. So erscheint das Orchester viel besser geordnet und zudem weicher, klarer und einfach „schöner“. Auch das Klavier ist besser durchhörbar.
4-5
Alexander Gilman
Perry So
Cape Town Symphony Orchestra
Oehms
2010
11:18 9:15 3:45 24:18
Alexander Gilman, spielt wie bereits beim Violinkonzert von Korngold gefühlvoll, schwebend und mit „süßem“ Ton. Der erste Satz wirkt etwas entspannter, pastoraler als üblich und man breitet ihn offen und mit einer schönen Weite vor uns aus. Die Phrasierung wirkt intensiv, ohne dass es je zu Forcierungen käme. Kantabel, berührend und empfindsam.
Die Oboe im langsamen Satz klingt, es bedarf kaum noch der Erwähnung klangschön, aber ohne die gewohnten und von Barber notierten Abschattierungen in der Dynamik fällt man ich diesem Umfeld schon gleich ab.
Der Finalsatz wirkt flott, erklingt jedoch im Orchester nicht immer mit der gewünschten Klarheit. Herr Gilman findet zu einem überzeugenden Zugang zum Werk.
Der Klang der Aufnahme erscheint transparent, räumlich, weit, warm timbriert, mit guter Tiefenschärfe und weiter dynamischer Spannweite. Die Violine klingt präsent, das Orchester sonor und satt. Insgesamt wirken die Relationen natürlich.
4
Leonid Kogan
Pavel Kogan
Ukrainian Symphony Orchestra
Revelation, Melodija, Pipeline Music
1981, live
10:00 8:15 3:38 21:53
Leonid Kogan scheint der einzige Repräsentant der berühmten, russischen Violinschule (Elman, Heifetz, Oistrach, Milstein) die eigentlich ukrainische Violinschule heißen müsste, der sich des Violinkonzerts des Amerikaners Barber an- bzw. es aufgenommen hat. Die Aufnahme entstand ein Jahr vor seinem allzu frühen Tod durch einen Herzinfarkt bei einer gemeinsamen Zugfahrt mit seinem Sohn Pawel, die die beiden zu einem gemeinsamen Konzert bringen sollte. Herr Kogan spielt gewöhnlich mit einer kaum zu überbietenden Klarheit, rhythmischer und agogischer Genauigkeit, Schönheit der Artikulation und Transparenz der musikalischen Figuren. In diesem Konzert, bei dem er 56 Jahre alt war, wirkt er manchmal minimal unsicher, ganz entgegen seiner sonstigen Darbietungen (siehe unseren Vergleich Lalo, Symphonie Espagnole: https://www.klassik-kompass.de/lalo-symphonie-espagnole). Wir hören allerdings auch eine der ganz wenigen Live-Aufnahmen auf CD. Klanglich weicht er nur ganz selten vom Pfad des Schönklangs ab. Meist klingt es jedoch sehr differenziert in der Artikulation, besonders aber bei der Dynamik und beim Vibrato.
Im zweiten Satz hören wir jetzt ausnahmsweise einmal eine Oboe mit Intonationsproblemen, tonlich dünn und im Klang unausgewogen. Ihr merkt man die Probleme an, einen durchgehenden Bogen zu spielen (Atmung). Die Violine wirkt hingegen jetzt gesanglich und ausdrucksvoll. Sie bringt die melancholische, die depressive Seite des Satzes voll heraus. Besonders die Spitzentöne wirken mit bohrender Intensität. Die Violinen-Stimme für sich betrachtet beeindruckt, das Orchester hingegen verlässt nur an den lautesten Höhepunkten sein sonstiges akustisches Mauerblümchen-Dasein. Man merkt, dass das Werk dem Orchester nicht richtig geläufig von der Hand geht.
Im Tarantella-Perpetuum-Mobile wirken die Triolen der Violine mitunter kratzig und uneben und die nicht vorhandene aufnahmetechnische Dynamik stört in diesem Satz am meisten. Das Orchester zeigt hier einmal was es kann, klingt aber leider wie aus dem Kofferradio.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr trocken, die Geige wirkt unmittelbar dicht mikrofoniert sehr präsent. Das Orchester klingt bis zur Unscheinbarkeit hin leise, das Klavier findet fast nicht statt. Nur die Soli von Holz und Blech sind gut hörbar. Die Dynamik beim Orchester ist sehr gering. Insgesamt klingt es nach einer Amateur-Aufnahme und nach einer Guckkastenbühne. Das Klangbild ist klein, schmal und flach. Es handelt sich aber immerhin um eine Stereo-Aufnahme.
4
Ittai Shapira
Thomas Sanderling
Russian Philharmonic Orchestra
Champs Hill, ASV
2002
10:49 8:33 4:12 23:34
Der im deutschsprachigen Raum wenig bekannt gewordene Ittai Shapira studierte u.a. bei Dorothy Delay und Robert Mann an der Juilliard School of Music, an der er auch seinen Abschluss gemacht hat. Er spielt eine Guadagnini von 1745.
Er geht mit dem Orchester zusammen den ersten Satz mit zupackendem und kraftvollem Spiel an. Nicht so nuanciert wie die vielen Damen, die sich des Konzertes mittlerweile gerne angenommen haben. Bei Herrn Shapira beeindruckt der weite dynamische Ambitus und der kräftige Ton, der nur in der Höhe gelegentlich etwas kalt wirkt. Dass er keine Guarneri im Wert von zig Millionen spielt hört man, es sollte aber nicht stören. Die Höhepunkte haben Biss.
Die russische Oboe (wahrscheinlich ist es mittlerweile ebenfalls ein Instrument aus französischer Fertigung) klingt etwas heller und ein klein wenig härter als in unserem Vergleich üblich. Sie wird nuancenreich und mit guter Dynamik geblasen. Im zweiten Satz fällt die etwas harte und betont durchdringende Höhe Shapiras mehr auf. Sein Vibrato ist wohldosiert. Überhaupt scheint das Dauervibrato vergangener Tage mittlerweile der Vergangenheit anzugehören, wie der Vergleich zeigen konnte. Auch bei der Wiederholung des Oboen-Themas wird es nicht überstrapaziert. Die Höhepunkte werden ganz hervorragend gesteigert, das kultiviert klingende, russische Orchester scheint dabei alles in die Waagschale zu werfen. Ob es das von Mikhail Pletnev gegründete ist? Da muss man vorsichtig sein, so viele, wie es da mittlerweile gibt. Das nannte sich eigentlich Russian National Orchestra.
Im Vergleich zu den meisten anderen Einspielungen des „Vergleichsfeldes“ wirkt das Tempo im Finalsatz gedrosselt. Dennoch scheint der Geiger technisch an seine Grenzen zu kommen. Man hat den Satz schon lockerer, aber auch dringlicher oder/und feuriger gehört. Auch mit einer gewinnenden, spannungsvollen Atemlosigkeit. Er scheint uns auch etwas gegenüber den beiden vorherigen Sätzen abzufallen. Man spürt etwas davon, dass die Schwierigkeiten und die Ansprüche an den Solisten oder die Solistin doch immens sein müssen, was bei vielen Einspielungen völlig in Vergessenheit gerät. Dem Orchester merkt man kaum an, dass es kein amerikanisches ist. Die letztmögliche Geschmeidigkeit erreicht es nicht ganz.
Es wird räumlich in klaren Verhältnissen, sehr transparent und mit guter Tiefenstaffelung abgebildet. Die Violine steht groß, klar und sehr deutlich mit vollem Ton vor dem Orchester, sodass man von einer ausgewogenen, werkdienlichen Balance reden kann. Die Dynamik ist sehr gut.
4
Martin Valek
Vladimir Valek
Prager Radio-Sinfonieorchester
Arco Diva
2005
10:35 8:16 3:48 22:39
Dieser Einspielung liegt eine Aufnahme des Tschechischen Rundfunks (Cesky Rozhlas) zugrunde.
Der Vortrag wirkt eher nachdenklich-musikantisch und nicht aus einer Stimmung des übervollen Herzens heraus. Der Violine ist ein ganz leichter metallischer Unterton eigen und sie klingt nicht mit der Fülle und dem nuancenreichen Farbenreichtum der besten Guarneris oder Stradivaris, mit deren Klang man heute verwöhnt wird. Zudem bemerkt man mitunter leichte Unsauberkeiten. Valek Vater steuert eine aufmerksame Orchesterbegleitung bei, ist mit Schwung bei der Sache und die Höhepunkte können sich hören lassen.
Die Oboe im zweiten Satz wird nun einmal etwas distanziert und verhangen abgebildet, man spielt sie mit viel Vibrato und bei den höheren Tönen klingt es doch etwas dünn. Das Geigenspiel gefällt im zweiten Satz besser und verfehlt seine Wirkung nicht.
Der Finalsatz zeigt zunächst keine „Verfolgungsjagd“, später nimmt er jedoch an Fahrt auf und an Ausdruck zu und lässt schließlich an die ersten schwarz/weiß Cartoons mit ihrer schnellen Schnittfolge denken. Das Klavier ist gut hörbar, das Orchester sehr pointiert.
Die Aufnahme ist räumlich und transparent, das Klavier wurde in keinem Satz vergessen. Die Balance von Geige und Orchester ist gut. Die Aufnahme gibt sich nicht als Live-Aufnahme zu erkennen, es gibt weder Störgeräusche noch Applaus.
4
Thomas Bowes
Joseph Swensen
Orchester der Oper Malmö
Navona Records, Signum Classics
2010
9:37 8:22 3:34 21:33
Thomas Bowes ist sowohl Geiger als auch Orchesterleiter. Viele werden ihn schon gehört haben, ohne es zu wissen, denn er ist für viele Violin-Soli in britischen Filmen und Serien der Mann. Er spielt auf einer prächtigen Amati von 1659.
Im ersten Satz hören wir Herr Bowes mit einer guten, aber nicht aus dem bereits gehörten Feld herausragenden Technik. Sein Ton wirkt klein, so, als wäre er auf Kammermusik im kleinen Rahmen aus. Er spielt mehr in sich hinein, als für die Welt da draußen. Entsprechend wirkt die Darbietung emotional gezügelt, zumal das Orchester ebenfalls nicht so recht aus sich herauskommt. Es wirkt kein besetzt, was zum kammermusikalischen Gestus der Violine gut passt, aber auch nicht gerade glanzvoll. In der kurzen Kadenz, aber nur da, trumpft Herr Bowes mal etwas auf um danach gleich wieder in den intimen Gestus, den er sicherlich als angemessen erachtet, zurückzukommen.
Auch die Oboe im schwedischen Malmö spielt ihr Solo sehr gut, sie verschwendet sich nicht gerade, bleibt also dem intimen, fast möchte man meinen, Understatement der bisherigen Darbietung treu. Bowes spielt auch im zweiten Satz so zurückgezogen und in sich gekehrt wie niemand anderes. Seinem Ton, aber auch seinem Spiel fehlt jeder Glamour.
Beste Transparenz wird im Finalsatz geboten. Das Tempo wirkt angetrieben, die Triolen der Tarantella hat man jedoch schon sauberer gehört, man spürt jedoch den angetriebenen Gestus, der dahintersteckt. Dass da jemand auf der Flucht ist (Geige) und von einer Meute verfolgt wird, wird anschaulich. Ob es nun Polizeiwagen, eine Tarantel oder die Mafia ist, das kann man sich selbst aussuchen. Es klingt jedenfalls nie nach einer Etüde. Dies ist eine Einspielung mit eigenem Charakter, sehr introvertiert, nachdenklich und persönlich. Sie klingt mehr nach Kammermusik als nach einem (post)romantischen Konzert.
Der Klang der Aufnahme zeigt uns die Violine sehr deutlich, aber ziemlich leise und noch nicht einmal nahe. Das Orchester erfreut an sich mit recht guter Präsenz, klingt sehr transparent und die Aufnahme macht eine punktgenaue Ortbarkeit der einzelnen Schallereignisse möglich. Der Klang bietet wenig Dynamik und wirkt insgesamt trocken.
4
James Buswell
Marin Alsop
Royal Scottish National Orchestra
Naxos
2001
10:15 8:35 3:54 22:44
James Buswell ist ein Landsmann Barbers, seine Einspielung des Konzertes bekam immerhin eine Nominierung für den Grammy. Sein Ton ist dem Isaacs Sterns näher als dem Joshua Bells und dessen p-Spielkultur. Er hat aber schön ausschwingende Spitzentöne parat. Sein Vortrag wirkt gegenüber den besten ein wenig nüchtern. Das Orchester agiert durchaus eloquent aber nicht mit der Klarheit und hellwachen Präsenz der New Yorker unter Bernstein. Die Darbietung wirkt bisweilen ein wenig „raubeinig“.
Auch die Oboe aus Schottland klingt wunderbar klar und weich. Wenn Buswell das Thema der Oboe nachspielt (ab 1.T nach Zi. 5) fehlt einfach die Herzlichkeit der Oboe und sein f kann sich kaum gegen das p der übrigen Streicher durchsetzen. Bei ihm lässt sich gerade die gespielte Lautstärke häufiger nicht so recht mit dem Notenbild in Einklang bringen.
Der Finalsatz wirkt recht angetrieben und virtuos. Das Tempo ist nicht das schnellste, es fehlt ihm aber an nichts. Bei anderen (z.B. Bell, Stern, Hahn, Shaham) ist jedoch der Rest an Vorsicht, den Buswells Spiel ausstrahlt, nicht zu spüren.
Der Klang der Violine ist in dieser Aufnahme sehr präsent und gegenüber dem Orchester ein wenig zu dominant. Das Klavier im Orchester ist meist nur schlecht hörbar.
4
Hu Kun
William Boughton
English String Orchestra
Nimbus
1992
10:31 8:35 3:56 23:02
Der aus China stammende Geiger ist in seinem Geburtsland eine Größe, bei uns jedoch weniger bekannt geworden, obwohl er Preise beim Sibelius-Violinwettbewerb und beim Königin-Elisabeth-Violinwettbewerb 1985 Preise und den Francescatti-Violinwettbewerb sogar gewonnen hat. Er ist unterdessen zudem Dirigent und Professor an der Royal Academy of Music. Beim Orchester steht English String Orchestra auf dem CD-Begleitheftchen, richtig wäre wahrscheinlich English Symphony Orchestra gewesen, das bereits im Jahr zuvor von William Boughton als Erweiterung des Streichorchesters gegründet wurde.
Er spielt sicher, mit guter Intonation und verfügt über einen sehr schönen Ton, der allerdings allzu weit entfernt erscheint. Der Gesamtzusammenhang wirkt in dieser Darbietung etwas rhapsodischer als sonst, wie eine lose Aneinanderreihung von einzelnen Abschnitten. Das Klavier (eine Besonderheit in Barbers Instrumentierung) ist leise aber gut durchhörbar.
Besonders weit entfernt wirkt das Oboen-Solo, als würde ein einzelner Hirte alleine in der weiten Prärie spielen. Die Violine ist im Verlauf des Satzes manchmal nur sehr leise zu hören. Der zweite Satz wirkt sehr viel transparenter als der erste, das räumlich Weite passt nun eigentlich sehr gut zur Musik. Den Höhepunkten fehlt jedoch das Prickende, denn sie wirken bedauerlicherweise flach.
Der dritte Satz wirkt weniger scharf geschnitten, eher rundlich. Die Virtuosität hat sozusagen einen kleinen Bauch. Der Klang wirkt eigentlich transparent, bei näherer Sicht im Detail jedoch undeutlich. Die Violine wirkt sehr vorsichtig, sie geht lieber kein Risiko ein, trotzdem quietscht es ein paar Mal. Man wundert sich, dass das Tempo am Ende doch noch so hoch war, dass man unter der bei diesem Satz magischen „Schallmauer“ von vier Minuten geblieben ist.
Der Klang der Aufnahme wirkt sehr räumlich, besonders das Orchester erscheint jedoch sehr weit vom Hörer entfernt. Die Violine steht (meist) klar davor. Die räumliche Tiefe erscheint so übertrieben, denn sie geht mit einem Verlust an Deutlichkeit einher. Im ff wirkt das gesamte Klangbild ziemlich undeutlich, fast verwaschen und mulmig. Wir hören eine „Kirchakustik“ mit viel Hall. Die Dynamik bekommt so was Schwammiges.
4
Elmar Oliveira
Leonard Slatkin
Saint Louis Symphony Orchestra
EMI
1986
10:53 9:21 3:42 23:56
Elmar Oliveira gewann 1978 (gemeinsam mit Ilya Grubert) den Tschaikowsky-Violinwettbewerb in Moskau. Er spielte bereits auf vielen Violinen. Nach 1994 die sogenannte „Stretton“, die um 1729/30 von Giuseppe Guarneri del Gesù gebaut wurde, zuvor auf mehreren anderen Geigen bedeutender zeitgenössischer Geigenbauer, darunter Michael Koeberling und John Young. Bevor er 1994 die „Stretton“ erwarb, besaß und spielte Oliveira auf der „Molitor“ Stradivarius von 1697, die er 1989 erworben hatte, die dann ab 2010 in den Besitz von Anne Akiko Meyers überging (für 3,6 Millionen Dollar, was damals Weltrekord war für den Preis einer Violine war. Er hatte nicht lange Bestand. Nur bis 2011 als die „Lady Blunt“ verkauft wurde. Der langen Rede kurzer Sinn, die Geige die Herr Oliveira 1986 nutzte können wir nicht benennen. Immerhin wurde auch Herr Oliveiras Einspielung des Barber-Violinkonzerts für einen Grammy nominiert. Nichtsdestotrotz wirkt seine Geige nicht so weich gerundet und füllig, man hört immer noch die Fasern mit, die da mitschwingen, was zu einer gewissen Spröde, also geringen Geschmeidigkeit führt. Der frühe Digitalklang der EMI mag da auch noch mit hineingespielt haben. Der Gestus wirkt zunächst mit wenig Impetus leicht resignativ (bereits im ersten Satz). Den Klavierpart hört man deutlicher als üblich. Solist und Dirigent wirken durchaus mit der Musik vertraut.
Im Ton der Oboe erkennt man noch den typischen Ton der damals in amerikanischen Orchestern vorherrschte. Der langsame Satz (diesmal im Tempo deutlicher als üblich vom ersten abgesetzt) wirkt zunächst langsam und idyllisch. Herr Oliveira lädt seinen eigentlich schlanken Ton mit viel Vibrato auf, sodass er dem hochromantischen Espressivo von Isaac Stern doch recht nahekommt. Sein Kopf wirkt jedoch bildlich gesprochen noch etwas gramgebeugter, die Grundstimmung durchweg traurig eingefärbt.
Im letzten Satz macht sich die mangelnde Transparenz der Aufnahme am gravierendsten bemerkbar. Der eigentlich hellwache, aufgekratzte, leicht hyperaktive Charakter läuft dadurch in Gefahr stumpf zu erscheinen. Am Spiel gibt es nicht viel zu bemängeln, außer dass das Orchester zum dicklich-kompakten tendiert und des Solisten Brillanz kaum adäquat zur Geltung kommt. Oliveira lässt sich nicht nervös machen, er zieht souverän durch.
Die Violine klingt in dieser frühen Digitalaufnahme glasig und etwas härter als sie vermeintlich in Natura geklungen haben mag. Das Orchester wirkt nicht gerade transparent. Es gibt kaum räumliche Tiefe und das ganze Orchester sitzt eng beisammen, es fehlt also an „Luftigkeit“. Technisch klingt diese Aufnahme deutlich überholter als die immer noch frische und knackige CBS-Aufnahme von 1964 mit Stern und Bernstein. Das Klangbild wirkt zudem linkslastig und wenig brillant.
3
Ruggero Ricci
Keith Clark
Pacific Symphony Orchestra
Reference Recordings
1983
11:50 9:39 4:08 25:31
Bei dieser Produktion besteht eine gewisse Verwechslungsgefahr, denn (angeblich) 1984 entstand in genau derselben Besetzung und mit demselben Programm (Violinkonzerte von Barber und Menotti) eine Produktion für Varèse-Sarabande. Leider konnten wir selbige nicht hören und die Spielzeiten konnten wir nicht mit der RR-Produktion vergleichen. Wir vermuten jedoch, dass es sich um die identischen Darbietungen handelt, da jedoch zwei verschiedene Tonmeister genannt werden, vielleicht um zwei verschiedene Aufnahmen.
Reden wir jedoch vorsichtshalber nur über die gehörte Produktion von RR, die anscheinend unter keinem guten Stern gestanden hat.
Das langsamste Tempo aller Einspielungen macht den ersten Satz fast zum zweiten langsamen Satz. Die Violine spielt so leise (d.h. wir hören sie so leise), dass sie vom Orchester zeitweise komplett verdeckt wird. Kein gutes Zeichen für das aufnehmende Technik-Team. Dabei spielt der zur Zeit der Aufnahme 65jährige Ruggero Ricci keineswegs so schlecht, dass man ihn hätte verstecken müssen. Im Zusammenspiel mit dem Orchester hakt es allerdings bisweilen an den Nahtstellen, sodass die Präzision zu wünschen übriglässt. Die Virtuosität des Geigers kann nicht mehr mit den jüngeren Kolleg/innen mithalten, obgleich man ihn in früheren Einspielungen schon kratziger gehört hat. Das Orchester klingt von so weit her, dass ihm eine Art von dramatischem Zugriff völlig zu fehlen scheint. Es fehlt ihm zudem die Fähigkeit völlig befreit aufzuspielen. Von einer Referenz-Produktion wie es der Firmenname suggeriert kann jedenfalls keine Rede sein.
Im zweiten Satz hören wir die Doppelgriffe des Geigers nicht immer sauber. Dabei kaschiert auch die Distanzierung durch die Klangtechnik nicht viel, genauso wenig wie das ausgreifende Vibrato. Eine ziemlich verfahrene Sache diese Einspielung.
Im Finalsatz spielt das Orchester deutlicher und etwas präsenter, sodass die Geige Riccis nur noch die zweite Geige spielt. Der Satz wirkt unter diesen umgekehrten Voraussetzungen schemenhaft. Die ganze Darbietung erscheint uns misslungen. Von daher würde ein baldiges Remake 1984 ja schon wieder plausibel erscheinen. Bei Varèse-Sarabande erscheint der Dirigent tatsächlich auch als Produzent.
Die späterhin für ihre Produktionen mit Referenzklang bekannt gewordene Firma bietet in dieser Produktion ihrer ganz frühen Produktionszeit nur eine Guckkastenbühne. Die Violine spielt geradezu unscheinbar leise, wie von der Bühne ganz weit nach hinten verbannt. Das Orchester wirkt ebenfalls sehr wenig präsent und hat überhaupt keine Substanz. Wir hören das Konzert wie von der letzten Reihe eines leeren Konzerthauses mit einer eher schlechten Akustik.
Die historischen Aufnahmen in Mono-Technik:
4-5
Ruth Posselt
Serge Koussevitzky
Boston Symphony Orchestra
Altair
1949, live
10:28 9:39 3:49 23:56
Diese Veröffentlichung macht keinen vollends serösen Eindruck, wird doch das 2. Violinkonzert von Samuel Barber angekündigt, obwohl er nur eins geschrieben hat. Ruth Posselt war mit dem stellvertretenden Dirigenten und Konzertmeister des BSO, Richard Burgin verheiratet, mit dem es ebenfalls eine Aufnahme des Barber-Konzertes gemeinsam mit ihr geben soll. Sie trat regelmäßig mit den Bostonern auf. Ab 1958 spielte Frau Posselt auf einer Guarneri del Gesù von 1732, die später sogar nach ihr benannt wurde die „Posselt, Phillip“. Welches Instrument sie 1949 bei der Aufnahme spielte ist uns leider nicht bekannt.
In diesem Mitschnitt hören wir das Orchester immer deutlich, sogar das Klavier ist erstaunlich prominent im Klangbild vertreten. Die Solistin fällt dem Orchester gegenüber mitunter etwas in der Deutlichkeit ab. In dieser historischen Live-Aufnahme darf bzgl. des Klangs nicht mit den höchsten Maßstäben gemessen werden, denn es wird kolportiert, dass die offizielle Radio-Übertragung abgesagt worden wäre und nur mit einem heimlich hinter einem Lüftungsgitter positioniertem Mikrophon rechts von der Bühne aufgenommen worden wäre. Das würde zwar die manchmal zu beobachtende Übermacht des Orchesters gegenüber der Solo-Violine erklären, aber insgesamt wirkt die Aufnahme doch zu professionell und dann doch zu ausgewogen angesichts dieser Umstände. Frau Posselt führte das damals noch neue Konzert übrigens bereits im Jahr der Uraufführung in Boston auf, damals noch mit ihrem Ehemann am Dirigentenpult und sie war auch die Solistin, die die überarbeitete Version des Konzertes das erste Mal aufführte. Das war ebenfalls 1949. Es ist also denkbar, dass wir hier bei diesem Ereignis dabei sind, verbürgt ist es allerdings nicht. Alle Einspielungen folgen übrigens der überarbeiteten Version, nur der Mitschnitt der Uraufführung (YouTube) zeigt das Werk in der ursprünglichen Gestalt.
Der erste Satz wirkt zügig und stimmungsvoll. Frau Posselt fehlte damals noch ihre Guarneri, das merkt man ihrem noch ein wenig dünnen Geigenton an. Technisch zeigt sie sich sicher. Bei ihr bekommt der erste Satz durch die lyrische Art der Handhabung fast den Charakter eines langsamen Satzes, jedenfalls wirken die Kontraste zwischen beiden deutlich eingeebnet, was uns durchaus als legitim erscheint. Weinerlich geht es im ersten Satz deshalb nicht zu.
Die Bostoner Oboe klingt 1949 noch lange nicht so klangschön wie später in der Einspielung mit Perlman und Ozawa, da schwingt noch viel Härte im Ton mit und die Phrasierung wirkt ein wenig gestelzt und wenig geschmeidig. Frau Posselt spielt hingegen differenziert und sehr ausdrucksvoll. Die Wiederholung des Oboen-Themas bebt bei ihr vor Espressivo (ab T. 1 nach Zi. 5 ff). Im zweiten Satz scheint die Violine noch ein wenig leiser zu klingen als im ersten, wohlgemerkt nur in Relation zum Orchester, was der kolportierten Geschichte vom versteckten Mikro dann doch Nahrung gibt.
Die beständigen Triolen klingen bei Frau Posselt widerborstiger und sogar kratzbürstiger als von den neueren Studioproduktionen gewohnt. Das gehört bei ihr zum Konzept, so scheint es, denn ihr Spielvermögen hätte durchaus eine geschmeidigere Tongebung erlaubt. Das Orchester spielt stark akzentuiert und zeigt seine hohen Qualitäten, das Tempo erscheint nicht nur schnell, sondern auch druckvoll. Keck und ausgelassen wirkt hier der Gestus, man spürt nichts von dem möglichen Charakter einer Etüde. Die Faktur des Satzes wird erstaunlich deutlich in dieser alten Einspielung, deutlicher als in den meisten Neuen. Alle Achtung!
Wenn man die 1983er Einspielung von Herrn Ricci noch im Ohr hat, kann man sich über die Präsenz dieser alten Aufnahme, die möglicherweise noch unter denkbar widrigen Bedingungen entstand, nur wundern. Sie wirkt aber auch dicht und trocken. Während das Rauschen beständig hörbar bleibt, hört man seltsamerweise keine Kratzer einer alten Schellackplatte. Ob der Rundfunk seine Bandmaschine dagelassen hat? Für ihr Alter klingt die Aufnahme insgesamt frisch und lebendig.
4-5
Louis Kaufman
Walter Goehr
Lucerne Festival Orchestra
Music and Arts
1951
11:39 9:08 4:09 24:56
Mit klarem, intensivem und geschmeidigem Ton und sehr starkem und schnellen Vibrato spielt Louis Kaufman das Barber-Violinkonzert. Zunächst agiert das Orchester nur im Hintergrund, das wird jedoch im Verlauf des Satzes besser. Der erste Satz ist einer der langsamsten des ganzen Vergleiches, er wird dennoch entflammt gespielt. Der elegische Unterton durchzieht den ganzen Satz. Auch in dieser Einspielung erscheinen die Satzcharaktere der beiden ersten Sätze durch die Verlangsamung des ersten einander angenähert. Auch dieses Mal erscheint dieses Unterfangen, so es denn Absicht war, zumindest dem stimmigen Ausdrucksgehalt nach, plausibel. Angesichts der Tempobezeichnung ließen sich Bedenken anmelden.
Im zweiten Satz spielt die Oboe wie zuvor in Boston hart und wenig flexibel. Auffallend ist, dass die Klarinette noch mit Vibrato spielt. Obwohl Herr Kaufman in diesem Satz generell viel Vibrato aufträgt, vibriert er die Wiederholung des Oboen-themas nicht „kaputt“. Den ganzen Satz hüllt er (ähnlich wie Isaac Stern) in flammendes Espressivo. Wie wir gehört haben, entspricht diese Spielweise nicht mehr den jüngeren Solisten-Generationen.
Während das Orchester in der nachfolgenden Aufnahme mit Hans Rosbaud erheblich prägnanter zu hören ist, erscheint der Violinpart geigerisch bei Kaufmann virtuoser, ausdrucksvoller und mit größerer Selbstverständlichkeit dargeboten als bei Herrn Bus.
Bei dieser Aufnahme steht die Violine sehr präsent und prägnant im Vordergrund, das Orchester meist ziemlich undeutlich dahinter, das Klavier ist so gut wie unhörbar. Die Dynamik wirkt komprimiert aber trotzdem noch eine Klasse besser als in der Hänssler-Produktion mit Louis Kaufman, auf die wir am Ende der kleinen Liste mit Mono-Aufnahmen noch kurz zurückkommen möchten.
4
Ludwig Bus
Hans Rosbaud
Sinfonieorchester des SWF, Baden-Baden
SWR Music
1958
10:23 8:25 4:02 22:30
Der Geiger Ludwig Bus ist heute wohl vor allem noch als Herausgeber von Orchesterstudien für Violine oder von Händel-Sonaten bekannt. Er war auch Primarius des Bus-Quartetts. Ob er Konzertmeister des Baden-Badener-Orchesters war? Vielleicht weiß es heute noch jemand? Seine geigerischen Fähigkeiten sind jedenfalls sehr beachtlich, obwohl er im Umfeld unserer Liste nicht unbedingt als Super-Virtuose auffällt. Sein Spiel wirkt ganz lyrisch geprägt mit einem weichen, milden Ton und einer lebendigen, klaren und intensiven Diktion. Das Orchester spielt sicher mit beredten Holzbläser-Soli. Die Darbietung im ersten Satz wirkt introvertiert und gefühlvoll, garniert mit reichlich Vibrato, wie man es in den 50er Jahren gerne gemacht hat, aber auch klar und linienorientiert. Hans Rosbaud lässt die Höhepunkte expressiv ausspielen.
Im zweiten Satz wirkt die Oboe sehr weit entfernt und sie kann mit ihrem dünnen, substanzlosen Ton nicht so recht überzeugen. Bus gefällt da sehr viel besser mit seinem schnellen, erregt wirkenden Vibrato und einem angemessenen Espressivo. Manche Passagen wirken bei ihm stark resignativ. Die Wiederholung des Oboen-Themas spielt er mit bebendem Vibrato. Insgesamt imponiert er mit Intensität.
Während das Orchesterspiel sehr genau erscheint, bleibt uns Herr Bus, den feinen und geschmeidigen Schliff, an den man sich durch die vielen neueren Einspielungen gewöhnt hat, schuldig. Die Dynamik wirkt hingegen erstaunlich differenziert. Etüden-Spiel wird erfolgreich vermieden.
Wir hören einen klaren Mono-Ton, bei dem die Violine stark im Vordergrund steht. Das Orchester erscheint dennoch recht präsent und noch gut durchhörbar. Das Holz wirkt für unserem Geschmack ein wenig zu weit entfernt. Dem Klang fehlt es jedoch vor allem an Volumen, durch das farbige Spiel und die farbige Komposition wirkt die Aufnahme aber etwas weniger fahl als viele andere Mono-Produktionen aus den Archiven der bundesrepublikanischen Sendeanstalten der 50er und 60er Jahre. Dem Klavier hat man trotz aller Sorgfalt, die man der Produktion anmerkt, wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
4
Albert Spalding
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
Via YouTube
1941, live
10:15 7:56 4:06 22:17
Dies ist der Mitschnitt der offiziellen Uraufführung von 1941 und zugleich die einzige Möglichkeit das Konzert einmal in der Erstfassung zu hören. Alle anderen Einspielungen oder Mitschnitte sind 1949 oder später entstanden und folgen bereits der überarbeiteten, stringenter wirkenden Fassung. Wenn man sich an sie einmal gewöhnt hat, klingt die Erstfassung durchaus verbesserungswürdig. Um den Mitschnitt kennenzulernen mussten wir auf YouTube zurückgreifen, wo das Konzert als Tondokument hochgeladen wurde. Der Klang ist wirklich schlecht, das Orchester klingt sehr undeutlich, die Gleichlaufschwankungen lassen die Musik bisweilen ins Jaulen kommen. Erstaunlicherweise hält sich das Rauschen in Grenzen. Während der leiseren Passagen sind Rillengeräusche hörbar, was auf eine Schellackplatte als Quelle schließen lässt.
Herr Spalding ist ein sehr guter Geiger mit einem schlanken Ton und viel Temperament. Manchmal baut er Seufzer ein, wo später keine mehr zu hören sind, aber eher aus eigenem Antrieb, als dass es in der Partitur stehen würde. Wobei die Urfassung für uns manch eine Überraschung breithalten könnte, denn wir kennen sie ja nicht. Auffallend ist, dass das Klavier viel stärker zur Geltung gebracht wird, als in den späteren Darbietungen. Die Partitur wurde später hörbar in vielen Details abgewandelt. Ormandy und das Orchester sind sehr aufmerksame, gut vorbereitende Begleiter. Der Darbietung muss man als Mitschnitt der Uraufführung ein sehr hoher dokumentarischer Wert und jedem, der einmal die „Urfassung“ kennenlernen möchte, muss man sie empfehlen. Da der Klang allerdings miserabel ist und die Aufnahme nicht den letzten Willen des Komponisten festhält, empfiehlt es sich als flankierende Maßnahme in jedem Fall noch eine modernere Aufnahme anzuhören, wenn man das Werk kennenlernen möchte.
3-4
Wolfgang Stavonhagen
William Strickland
Imperial Philharmonic Symphony Orchestra (of Tokyo)
Composers Recording Inc., Anthology of Recorded Music
AD ?
10:50 7:39 4:05 22:34
Beim Namen des Orchesters tippen wir eher auf ein Pseudonym für ein bereits andernorts unter Vertrag befindlichen Orchester oder vielleicht ist es auch der Name eines Adhoc-Orchesters. Tokyo befindet sich übrigens nur bei einer Ausgabe auf dem Cover der alten Platten, meistens fehlt die Angabe der Stadt.
Der uns bis dahin unbekannte Geiger kann in Sachen Virtuosität und technischer Beherrschung des Instruments und Klangschönheit nicht mehr ganz mit den jüngeren Solist/innen mithalten. Sein Spiel wirkt mitunter bemüht und wie durchbuchstabiert. Es ist zudem nicht immer intonationsrein. Andere Passagen gelingen eindrücklicher. Insgesamt bietet sich ein nur heterogenes Bild des Gelingens.
Die Oboe spielt ihr Solo im zweiten Satz ebenfalls nicht ganz intonationssicher und klanglich dünn. Die Phrasierung und Tonbildung von Herrn Stavonhagen wirken mitunter etwas wackelig.
Auch der finale Satz kommt über eine gewisse Gediegenheit nicht hinaus. Er wirkt wenig frei, sodass man unwillkürlich an die Ausführung einer Etüde denken muss. Das Orchester macht in allen Sätzen einen souveräneren Eindruck und im letzten spielt es auch schön rhythmisch, es ist aber doch noch ein Stückchen weit davon entfernt, dass es die Musik vollends der technischen Schwierigkeiten enthoben erklingen lassen würde.
Der Klang zeigt die Geige groß abgebildet im Vordergrund. Das Orchester wirkt recht transparent. Insgesamt klingt es wenig füllig, wenig geschmeidig und der Grundcharakter der Einspielung wirkt hart.
3-4
Louis Kaufman
Walter Goehr
Musical Masterpiece Symphony Orchestra, auch Concert Hall Symphony Orchestra genannt
Concert Hall, Hänssler
AD ?
11:25 8:54 4:04 24:23
Diese Aufnahme sollte die Ersteinspielung auf Tonträger gewesen sein, allerdings ohne die Radiomitschnitte mitzuzählen. Trotzdem haben wir kein verlässliches Aufnahmedatum ermitteln können.
Herr Kaufman spielt gegenüber der oben aufgeführten Einspielung im Vibrato etwas zurückhaltender, aber immer noch emotionsgesättigt. Wir würden sein Spiel höher einschätzen als das von Herrn Stavonhagen, aber diese Aufnahme klingt eigentlich noch schlechter und wenn man mal von den recht deutlichen Holzbläser-Soli absieht, bietet der Klang der Einspielung überhaupt keinen Grund zur Freude.
Auch das Oboen-Solo lädt nicht zum Hören dieser Einspielung ein. Es ist ungleichmäßig im Ton ausgeführt und das Instrument scheint auch keinen ausgewogenen Klangcharakter zu haben. Heute würde man es allenfalls noch als Schülerinstrument nehmen für die ersten Schritte auf dem Instrument. Wenn Herr Kaufman das Thema der Oboe spielt wählt er ein besonders breites Vibrato, seine Höhen wirken aber durchdringend und schön singend. Die Höhepunkte werden von der Technik leider völlig verzerrt.
Im dritten Satz kann der Geiger den Etüden-Charakter nicht abschütteln und das Orchester klingt mulmig. Herrn Kaufmans Luzerner Einspielung wäre dieser unbedingt vorzuziehen, wenn man sich den Geiger mal anhören möchte.
Der Klang wirkt stark dynamikkomprimiert, die Geige klingt bisweilen verzerrt, das Orchester im ff ebenfalls. Im Tutti klingt es völlig undifferenziert. Vom Klavier haben wir kein Tönchen bewusst wahrgenommen. Die Geige (und der komplette Klang) wirkt viel härter als der Luzerner von Music and Arts. Wer möchte kann der Einspielung einen gewissen dokumentarischen Wert als die erste Aufnahme für eine Schallplatte überhaupt zubilligen, wenn es denn überhaupt stimmt (wie haben kein AD ermitteln können). Hör-Spaß wird man bei ihr - wie bei zuvor genannten - kaum haben.
Mitschnitte von im Rundfunk übertragenen Konzerten:
5
Jozef Spaček
Petre Popelka
SWR-Sinfonieorchester
SWR, unveröffentlicht
2023, live
10:04 7:55 3:36 21:35
Jozef Spacek studierte bei Itzhak Perlman an der Juilliard School in New York, Ida Kavafian und Jaime Laredo am Curtis Institute of Music in Philadelphia (wie Samuel Barber und Iso Briselli) und bei Jaroslav Foltýn am Prager Konservatorium. Er war Laureat des Internationalen Königin-Elisabeth Wettbewerbes in Brüssel und gewann Spitzenpreise beim Internationalen Michael Hill-Violinwettbewerb in Neuseeland, beim Internationalen Carl-Nielsen Violinwettbewerb in Dänemark und bei den Young Concert Artists International Auditions in New York.
Josef Spaček begann seine Karriere als Konzertmeister der Tschechischen Philharmonie. Anschließend hat das Orchester ihn in 2016 zum “Associate Artist” ernannt. Ende der Saison 2019/20 gab er seine Position als Konzertmeister auf, um sich völlig auf seine Solokarriere zu konzentrieren. Josef Spaček spielt auf der Violine “ ex LeBrun; Bouthillard” von Guarneri del Gesù (etwa 1732), die ihm großzügiger Weise von Ingles & Hayday bereitgestellt wurde, eine Violine, die man auch schon mit David Garrett in Verbindung gebracht hat. Spaček sagt, bei ihr wäre es „Liebe auf den ersten Ton“ gewesen.
Das Konzert in Stuttgart wurde zwei Mal live gegeben und zwei Mal live gesendet, einmal im Mittagskonzert mit einem verkürzten Programm, ein weiteres Mal als Abendkonzert. Wir haben die beiden Darbietungen nicht miteinander verglichen, aber kurz in die beiden Mitschnitte reingehört. Abends klang die Übertragung im gleichen, allerdings voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle (mittags ohrenscheinlich nicht voll besetzt) deutlich besser, sodass wir uns das Abendkonzert angehört haben. Wir haben es nicht bereut.
Die Tongebung ist geschmeidig, nur zu Beginn hört man, wenn man die akustische Lupe aufsetzt, ein paar minimal klemmende Lagenwechsel und der Ton selbst wirkt noch ganz leicht spröde. Schon kurze Zeit später sind sein Instrument und er anscheinend richtig warm geworden. Dann klingt es ungemein stimmig, leidenschaftlich, frisch, nuancenreich, spontan und ganz besonders unverbraucht. Mit flexiblem Vibrato, bei Bedarf sehr kraftvoll und ohne penetranten Hochdruck, gut der musikalischen Entwicklung folgend. Das Zusammenspiel mit dem Orchester und seinem dirigierenden Landsmann wirkt nahtlos.
Die Oboe klingt klangschön und nuanciert, fast wieder mit der Klasse der älteren SWR-Aufnahme mit Hadelich und Marriner. Herr Spacek spart nicht am stärksten Vibrato, aber er schnürt dem Ton nicht zugleich auch noch durch hohen Bogendruck die „Luft“ ab, er schwingt gut aus und klingt zugleich betörend schön und voller Erregung. Das Orchester setzt jeden musikalischen „Fingerzeig“ des Solisten ins eigene Spiel um, den Eindruck gewinnt man jedenfalls. Man scheint sich bestens zu verstehen. Das spricht für gute Probenarbeit. Der Satz wirkt ungemein geschlossen, trotz intensiver, fast rhapsodischer Intensität. Exzellent.
Voller Elan und Leidenschaft klingt der finale Satz. Geige und Orchester scheinen sich gegenseitig anzuspornen. Eine zunächst noch friedvolle, vielleicht spaßige Hatz, die sich dann dramatisch zuspitzt und schließlich wird die Geige (das schwächere Glied) vom Orchester erbarmungslos gejagt. Eine Tarantella wie aus dem „Bilderbuch“. Mit abschließendem Biss oder mit abschließendem Zertreten der Tarantel. Je nachdem wer in unserer Fantasie „überleben“ soll. Wenn man sich Häuserschluchten einer amerikanischen Großstadt vorstellen will, dann passt wie erwähnt auch eine Verbrecherjagd. Grandios umgesetzt ist es in allen denkbaren Fällen. Vielleicht nicht ganz so perfekt wie Shaham in New York oder in München, da war er ebenfalls live zu hören, aber noch musikantischer und mitreißender.
Der Klang erfreut mit schöner, dreidimensional wirkender Räumlichkeit. Die Geige erscheint sehr schön ins Orchester eingebettet
5
Gil Shaham
Lahav Shani
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR, unveröffentlicht
2023
10:21 9:04 3:55 22:20
Dieses Konzert fand im Münchner Herkulessaal statt. Dem Barber-Konzert ist Herr Shaham immer noch treu. Sein Spiel hat auch mit 52 an Schönheit und Akkuratesse nichts eingebüßt, er spielt erneut technisch makellos und sehr ausdrucksvoll. Aber auch das Orchester wirkt sehr eloquent, transparent und besonders klangschön. Das Klavier ist sehr gut in den Gesamtklang integriert. Die Tempi passen nach unserer unmaßgeblichen Ansicht besser zum Werk als in der Zusammenarbeit Shahams mit Marek Janowski in Berlin. Unter der Leitung des jungen israelischen Dirigenten kommt vor allem der pastorale Charakter des ersten Satzes voll zum Zuge. Den Höhepunkten versagt er nämlich die letzte Wucht.
Das Oboensolo allerdings im zweiten Satz wirkt herzzerreißend, so traurig und so schön. Und so gut geblasen. Shaham spielt mit seinem flexiblen Vibrato klanglich immer noch exquisit und in jeder Hinsicht mit staunenswerter Perfektion. Er trägt tendenziell mehr Espressivo auf als in Berlin oder New York, befolgt aber zugleich immer minutiös die Lautstärkeangaben des Komponisten, und übertreibt es nicht mit dem Bogendruck, sodass sein Ton immer wunderbar schwingt und Wärme und Anteilnahme verströmt. Jetzt wird es auch deutlich, warum Herr Shani das Orchester in den Höhepunkten im ersten Satz zurückgehalten hat. Der eigentliche Höhepunkt erklingt bei ihm erst im zweiten. Es ist ein Höhepunkt der Verzweiflung (5 T. nach Zi. 8) und deutlich intensiver (und lauter) als die beiden Kulminationspunkte im ersten.
Das Tarantella-Finale bringt erneut größtmögliche Transparenz mit. Auffallend lässt der Solist auch mal dem Orchester den Vortritt, echtes „Concertare“ hat dem Etüden-Charakter längst den Rang abgelaufen. Wir hören einen mitreißenden Steigerungsverlauf. Das funktioniert nur, wenn man das Orchester ungeschmälert durchhören kann.
Der Mitschnitt klingt klarer als der vom RBB mit Janowski, Staffelung und Räumlichkeit sind sehr gut, die Balance von Violine und Orchester könnte nicht besser sein. Violine und Orchester sind gleichermaßen präsenter zu hören als in Berlin.
5
Nemanja Radulovic
Julian Kuerti
Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern
SR, unveröffentlicht
2018
11:19 9:42 3:33 24:34
Nemanja Radulovic, beim Konzert 33, ist seit er einen Vertrag mit der DG hat(te?) ein Geigenstar. Er kehrte in diesem Konzert an seinen Studienort nach Saarbrücken zurück, wo er bei Joshua Epstein studierte. Weitere Studien erfolgten bei Patrice Fontanarosa in Paris genau wie diverse Preise bei Wettbewerben. Der Dirigent (42) ist seit 2018 Chefdirigent des Kalamazoo Symphony Orchestra in Michigan. Sein Vater, der Pianist Anton Kürti, ist in Österreich und Deutschland (zumindest bisher) bekannter geworden als der Sohn. Dieser Mitschnitt kommt aus der Fruchthalle Kaiserslautern.
Herr Radulovic moduliert recht viel mit seinem Ton, der generell eher schlank als füllig erscheint. Die Anlage des ersten Satzes wirkt ziemlich rhapsodisch-wechselhaft, aber auch atmosphärisch und violintechnisch ausgezeichnet umgesetzt. Das schließt die langsamen, idyllisch-ländlich wirkenden Passagen genauso ein, wie die schnellen, die vortreibender dargestellt werden als üblich. Die in der Partitur angelegten Tempomodifikationen werden verschärft. Das geschmeidig und lebendig agierende Orchester passt ins Bild. Das Romantisch-Gefühlshafte des Konzertes wird voll ausgelotet. Ungemein nuanciertes Spiel vom Solisten und Orchester. Auf welcher Geige Herr Radulovic spielt, haben wir nicht herausbekommen, weder auf der Homepage des Geigers, noch auf Wikipedia oder Tarisio. Sie soll anscheinend anonym bleiben. Man erfährt lediglich, dass sie aus dem 19. Jahrhundert stammen soll.
Auch die sensibel geblasene Solo-Oboe der DRP enttäuscht nicht. Es gibt auch am Klang der Violine keinerlei Abstriche hinzunehmen. Sie klingt hervorragend und das Spiel in Verbindung mit ihrem Klang besonders emotionsgesättigt. Dazu steht Radulovic das ganze Arsenal der Nuancierungskunst zur Verfügung.
Und wie man im Finalsatz hört auch ein Höchstmaß an Virtuosität. Sehr differenziert auch beim aberwitzigen Tempo. Bei Intensität und Lautstärke ist das Spiel des Solisten denkbar weit weg von der Anmutung einer Etüde. Das Orchester hält in Sachen Virtuosität ganz erstaunlich gut mit. Klanglich ist der junge Mann allerdings nicht auf maximale Sauberkeit aus, dafür spielt er denkbar stark akzentuiert und molto vivace.
5
Geneva Lewis
Gemma New
BBC Scottish Symphony Orchestra
BBC, gesendet von WDR und Deutschlandfunk
2024, live
11:13 9:38 3:47 24:38
Diese Aufnahme wurde in den City Halls zu Glasgow gemacht und gleich von zwei Sendern in Deutschland als EBU-Austauschkonzert übernommen und gesendet. Vom WDR und vom Deutschlandfunk. Den Vergleich haben wir uns allerdings erspart. Beide Protagonistinnen kommen aus Neuseeland, wobei die Geigerin (26) nach ihrem aufwendigen Studium und einer bereits weit fortgeschrittenen Karriere noch einmal an der Kronberg Academy im Taunus, wo man sich auf die Ausbildung von Solist/innen spezialisiert hat, als Studentin eingeschrieben hat. Wie übrigens auch Maria Ioudenitch, die mit ihrer Einspielung gleich folgt. Die Dirigentin ist seit 2022 Chefdirigentin des New Zealand Symphony Orchestra. Frau Lewis spielt sozusagen bereits als „Studentin“ auf einer Guadagnini von 1766. Eloquent, ausdrucksstark, recht hell und sehr ausdrucksvoll. Ihr Ton ist nicht so voll, sonor und reichhaltig wie man ihn von den ultrateuren Guarneris oder Stradivaris kennt. Mit denen kann es auch gern mal ein wenig schwelgerisch werden. Aber den Unterschied von Melodram zur Schmonzette ist schmal, aber die junge Frau erkennt ihn, , denn sie ist stilistisch sattelfest. Sie schreckt auch vor relativ starker Agogik nicht zurück, was die relativ langsam gewählten Tempi sehr gefühlvoll erscheinen lässt. Ihr Spiel wirkt detailreich, abwechslungsreich und besonders farbig. Die Temposchraube wird nicht ausschließlich zur gefühlvollen Schilderung von nostalgischen Erinnerungen genutzt, sondern auch zur Dramatisierung. Da bleibt sie allerdings noch in einem respektvollen Abstand zu Stern oder Shaham (1993).
Dass das Orchester von ausgezeichneter Qualität ist, das fällt auch am ausgezeichnet geblasenen Oboensolo im langsamen Satz auf. Man bläst es mit gefühlvollem Vibrato und geschmeidiger Phrasierung. Das ist gerade bei einem so entwaffnend einfach gestrickten Thema von besonderer Bedeutung. Lewis hat die Ruhe weg, ganz die Erzählerin (also wie an der Sprache orientiert spielt sie). Sie lässt sich zu keinem „Überesressivo“ hinreißen, sondern spielt die Reprise des Oboen-Themas enorm gefühlvoll und wie in aller Bescheidenheit und nicht aufgemotzt-bebend. Hier erscheint alles bestens durchdacht und sehr gut aufeinander abgestimmt.
Im Finale quietschen die schnellen Triolen manchmal schon, aber was soll´s, wenn uns Frau Lewis trotz des Tempos und der aufgebrachten Virtuosität noch mit überraschend wirkenden Phrasierungsdetails hellhörig werden lässt. Das Orchester wirkt klar, deutlich und hoch motiviert. Auch das Klavier ist wunderbar deutlich, was selten genug vorkommt.
Beim Klang herrscht eine gewisse „Konzertsaalakustik“ vor. D.h. die Violine wird nicht übermäßig hervorgehoben, sie ist aber jederzeit gut hörbar. Das Orchester klingt recht sonor, transparent und weit in die Tiefe des Raumes hinein gestaffelt (besonders die Trompeten sind „weit weg“).
5
Maria Ioudenitch
Marta Gardolinska
HR-Sinfonieorchester
HR, unveröffentlicht
2024, live
9:44 8:50 3:44 22:18
Beide Musikerinnen gaben bei diesem Konzert ihr Debut beim HR-Sinfonieorchester. Obwohl die Geigerin bereits Studien am Curtis Institut in Philadelphia (bei Pamela Frank und Shmuel Ashkenasi) wo bereits Briselli und Barber weilten und am New England Conservatory abgeschlossen hatte (Bachelor und Master), schrieb sie sich noch für zwei Jahre bei Christian Tetzlaff an der Kronberg Academy im Taunus ein. Erstaunlich, wie beliebt und erfolgreich diese Solist/innen-Schmiede mittlerweile geworden ist.
Frau Gardolinska wurde im Januar 2021 für drei Jahre zur musikalischen Leiterin des Orchesters der Opéra national de Lorraine in Nancy ernannt, zudem ist sie Erste Gastdirigentin des Orquestra Simfònica de Barcelona. Das könnte sich jedoch beides unterdessen schon wieder geändert haben.
Im Pausencafé nach dem Barber-Konzert befragt, meinte Frau Ioudenitch, vor allem das Finale sei extrem aufregend, am Ende würde man sozusagen in Flammen stehen. Man müsse 150 % geben, zugleich aber einen kühlen Kopf bewahren, um die feurige Energie zu kontrollieren. Die vielen Taktwechsel wären vor allem zu Beginn des Lernprozesses schwierig.
In dieser Einspielung kann man endlich einmal das Klavier bei jedem seiner Einsätze genau hören. Am deutlichsten von allen Einspielungen überhaupt, also die Platten- bzw. CD-Produktionen eingeschlossen. Nun erhält es die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt. Das übrige Orchester ist ebenfalls hellhörig eingefangen worden. Die Technik hat jedenfalls ganze Arbeit geleistet, die Musiker ebenfalls? Ja, allerdings. Das Orchester spielt mit ziemlich viel Rubato, dem Satz bekommt das sehr gut. Die Geigerin klingt bereits sehr schön, wir haben leider nicht herausbekommen, um welches Geigen-Modell es sich handelt. Dass es noch keine der sündhaft teuren sein sollte, dürfte klar sein, denn Mäzene werden erst nach einigem Erfolg auf junge Künstler aufmerksam. Einige unschöne Dinge zu den Verhältnissen Mäzene/junge Geigerinnen sind unterdessen bereits ans „Tageslicht“ gekommen. Das soll hier jedoch kein Thema sein. Frau Ioudenitch spielt ein stets angemessenes, also wohl dosiertes Vibrato und sie versucht nicht mehr Espressivo herauszuholen als die Geige hergibt. An der Sonorität (vor allem bei den Läufen) könnte noch gearbeitet werden, wahrscheinlich steht aber eine andere Geige bereits auf dem Wunschzettel.
Wie erwartet, denn das HRSO ist oft bei unseren Vergleichen dabei, spielt auch diese Oboe ihr Solo wunderschön, abgerundet, mit delikaten Details beim Vibrato und die große Linie herausarbeitend. Auch im zweiten Satz bemerkt man wieder, dass der Geigerin der „große Ton“ noch fehlt, er wirkt aber warm und schlank. Das Vibrato hält sich erneut in Grenzen, wirkt angemessen und geschmackvoll. Auch im zweiten Satz hört man jeden Akkord des Klaviers mit, wie reizvoll Barber seine Stimme komponiert hat und wie oft wurde sie sträflich unterbelichtet bis missachtet. Der Orchesterpart ist bei Frau Gardolinska und dem HRSO in den besten Händen.
Dies ist die einzige Einspielung, die die Sätze 2 und 3 attaca ineinander übergehen lässt. Eine gewisse Konzentrationsphase auf die technischen Schwierigkeiten dieser Tarantella entfällt. Ist das kein zusätzliches Risiko oder ist es besser jetzt keine überflüssigen Gedanken an die Fallstricke des Satzes zu verschwenden? Nun, Frau Ioudenitch hat die Triolen besonders gut drauf und Angst vor der Tarantel scheint sie nicht zu kennen. Die Dirigentin achtet darauf, dass es auch im Orchester hoch hergeht und dennoch jederzeit klar und deutlich bleibt. Stark zugespitzter Verlauf.
4-5
Agustin Hadelich
Krzysztof Urbanski
WDR Sinfonieorchester Köln
WDR, in der Mediathek von ARD und WDR
2020, live
11:13 8:54 3:48 23:55
Herr Hadelich ist in der Aufnahmegeschichte mit zwei Live-Mitschnitten des Rundfunks vertreten. Ein Tonträger im herkömmlichen Sinn fehlt noch. Sie stammen von 2013 (SWR) und 2020 (WDR), wobei der letztere ein Mitschnitt eines Konzertes unter Corona-Auflagen war. Es gab kein Publikum in der Kölner Philharmonie, aber immerhin mussten die Musiker keine Masken tragen, nur einen gewissen erhöhten Mindestabstand einhalten. Man nannte das damals „Geisterkonzert“. Dem Klang hat es offenkundig nicht geschadet. Beide Konzerte sind in den Mediatheken verfügbar, das SWR-Konzert als Audio, das WDR-Konzert als Video obendrein auf YouTube.
Herr Hadelich spielt nun gegenüber 2013 etwas langsamer, noch nicht einmal melancholischer, aber doch entspannter. Er (und seine Geige) zeigen sich verbessert. Vor allem durch einen noch feiner aufgelösten Ton, bei dem die in Stuttgart noch zu hörende „feine Faserung“ völlig verschwunden ist zugunsten eines noch volleren, runderen und homogeneren Klangs. Ob da inzwischen eine „neue“ Violine ins Spiel kam? Man hört nun wie bei Ehnes, Shaham oder Gluzman kaum noch Nebengeräusche der Klangerzeugung, nur noch Musik. Und das kann man dann auch mal „makellos“ nennen. Das Orchester präsentiert sich sehr ausgewogen, die Gruppen oder die Soli kommen sehr gut zur Geltung, Hörner und Pauke besonders gut, was gerade bei der Pauke erfreut, denn sie muss in diesem Konzert allzu oft im Hintergrund agieren. Der Qualität des Orchesters konnte Corona offensichtlich (noch) nichts anhaben, dem Klang auch nicht, ganz im Gegenteil es klingt ganz besonders transparent.
Im zweiten Satz zeigt sich der Geiger gegenüber 2013 gereift, er strebt sehr danach die Ausdrucksmöglichkeiten voll auszuschöpfen, allerdings nutzt er dafür immer noch sehr viel Vibrato als Gestaltungselement. Sein Spiel ist meist intensiv und sehr tonschön.
Im Finalsatz spielt Herr Hadelich noch sauberer und sein voller Ton erfährt durch die schnelle Tonabfolge keinerlei Einschränkung mehr in Fülle und Weichheit. Trotz der schnellen Hatz bleibt ihm noch Zeit für feine Nuancierungen. Orchester und Geige sind sehr gut abgebildet und sehr transparent zu hören. Dynamischer als 2013.
4-5
Kristóf Baráti
Eiji Oue
NDR Radiophilharmonie Hannover
NDR
2012, live
10:58 9:01 3:50 23:49
Der Mitschnitt entstand im Großen Sendesaal des NDR in Hannover. Herr Baráti spielt wie bereits in der Besprechung seiner Einspielungen des Violinkonzertes von Erich Wolfgang Korngold geschrieben auf der Stradivari „Lady Harmsworth“ von 1703. Damit ist er bestens ausgestattet. Der erste Satz bekommt bei ihm einen entspannteren Charakter, ziemlich weit weg vom Drama eines z.B. Isaac Sterns oder auch wie gerade zuvor bei Augustin Hadelich. Baráti legt ihn lyrisch, fast verträumt an mit dem schönen, runden Ton seiner Stradivari, sehr wohl mit Espressivo, aber schlank mit wenig Vibrato und wenig Bogendruck. Seine ungemein sichere Technik spielt nur so mit dem Stück, ohne dass man Schwierigkeiten bemerken würde. Das Orchester illustriert und vertieft die Eindrücke, es gehen aber nur wenige Impulse von ihm aus. Leise, meist sehr leise, wie es die Partitur wünscht. Die Hörner ließen sich anscheinend ein wenig von der Atmosphäre entrücken oder einlullen, da kiekst es auch mal. Ansonsten erscheint das Orchester aufmerksam.
Auch in Hannover weiß man Oboe zu spielen, sehr klangschön wird das Solo auf Linie gebracht, aber leider beherzigt man die Variationen der Lautstärke nicht. Damit fällt man in diesem mittlerweile erlauchten Feld von erstklassigen Oboist/innen, die wir an dieser Stelle in den moderneren Aufnahmen zu hören bekamen, schon ab. Der zweite Satz wirkt als langsamer Satz fast schon zügiger als der erste, er bringt zwar auch etwas agitato ins Spiel, aber der verträumte Charakter wird so weit intensiviert, dass man schon fast an eine Depression glauben muss. Erst bei der Wiederholung des Oboen-Themas durch die Violine scheint wieder etwas Licht in die gramgebeugte Gefühlswelt einzufallen. Dabei fasziniert das Spiel des Solisten ungemein. Er versetzt sich so weit in die Welt des Komponisten, als ob er sich selbst seinen Kummer von der Seele reden, d.h. spielen würde. Selten klang der zweite Satz so „schwarz“ und wenig tröstend.
Spätestens der dritte Satz beweist es, dass der Ungar ein Techniker von höchsten Graden ist. Er spielt locker und leicht, ohne jedes exerzieren. Zuerst meint man kaum, dass sich aus dem Satz noch eine Jagdszene entwickeln könnte. Das spitzt sich jedoch noch zu, ohne dass man das Gefühl bekommt, dass Herr Baráti technisch herausgefordert wäre. Er meistert seinen Part spielend. Das Orchester taut jetzt auch richtig auf und verliert die norddeutsche Zurückhaltung der ersten beiden Sätze.
Der Klang des NDR wirkt groß und weiträumig, recht plastisch und gut gestaffelt. Das Klavier wird allerdings stiefmütterlich behandelt. Nach den Eingangstakten verliert man es schnell aus den Ohren. Die Dynamik wirkt leicht eingeebnet.
4-5
Gil Shaham
Marek Janowski
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB)
RBB
2011, live
9:18 7:39 3:50 20:47
In seiner in unserem kleinen Überblick dritten Einspielung, nach 1993 (London) und 2010 (New York) und noch vor 2024 (München), sind die Tempi, der aufmerksame Leser wird es sofort bemerkt haben, deutlich schneller als in den anderen drei. Wenn man mit dem Personalstil von Herrn Janowski ein wenig vertraut ist, kommt man sofort auf die Idee, dass sich der Dirigent bei der Festlegung der Tempi dieses Mal durchgesetzt haben könnte. Das erscheint gegenüber den anderen drei Einspielungen als ein gewisser Nachteil, denn nach unserem Ermessen winkt Herr Janowski das Konzert ein wenig zu sehr einfach durch.
Beim Mitschnitt aus dem Konzerthaus Berlin klingt die Violine dennoch „süß“, weich und die Phrasierung und Tonbildung Shahams stets wohlgeformt. Auch die schnellen Tempi Janowskis bringen ihn nicht an technische Grenzen, das Spiel bleibt makellos. Allerdings konnte man im zeitlich benachbarten Mitschnitt aus New York mehr Nuancierungen entdecken als im Berliner. Zudem ging die Klangtechnik dort mehr auf den Solisten ein, bildete ihn (bzw. eher doch den Klang seiner Violine) größer ab. In Berlin geht es diesbezüglich pauschaler zu. Man legt mehr Augenmerk auf das Orchester. Leider lässt es Herr Janowski gerader durchspielen und schneller als Mister Robertson, der erheblich mehr Interesse an einer liebevollen Ausleuchtung des Details zu haben scheint.
Im zweiten Satz klingt das Orchester zu Beginn wunderbar weich und sanft, da scheint der Dirigent doch noch seine gefühlvolle Ader entdeckt zu haben. Die Oboe, die die Phrasen besonders schön abrundet, aber in der Mitte des Solos eine allzu deutliche Atempause einlegt, von der in der Partitur nichts zu entdecken ist, steht da kaum nach. Shaham verblüfft erneut mit besonders geglückten Passagen, die den Verdacht veranlassen, dass er eine ganz besondere Beziehung zu dem Stück zu haben scheint. Ihm entgehen keine noch so unbedeutende Partitur-Anweisungen und er setzt sie ungemein ausdrucksvoll um, ohne den Klang seiner Violine je forcieren zu müssen. Der Mann scheint das Stück komplett verinnerlicht zu haben.
Im dritten Satz wirkt das RSB ebenso klar durchgezeichnet wie die New Yorker. Seltsam ist es allerdings, dass das Klavier im dritten Satz am besten zu hören ist. Heftiger Beifall und viel Jubel auch in Berlin.
Die Akustik des Konzerthauses wirkt großräumig. Die Violine wird nicht so sehr in den Vordergrund gerückt wie in New York. Die Balance von Violine und Orchester erscheint in Berlin dem „durchschnittlichen“ Konzertsaaleindruck des Publikums angenähert. Das Klavier geht wieder einmal weitgehend unter.
4-5
Augustin Hadelich
Neville Marriner
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (heute: SWR Sinfonieorchester)
SWR
2013, live
10:44 8:53 3:52 23:29
Bei dieser Aufnahme war der Geiger 29 Jahre jung, der Dirigent, der 1983-89 Chefdirigent des Orchesters war bereits 89.
Die Aura des ersten Satzes wirkt pastoral. Herr Hadelich agiert mit schlankem Ton, noch etwas „faseriger“ als bei den klangschönsten unserer Liste, aber auch als er selbst sieben Jahre später in Köln. Es ist eine nuancenreiche Darstellung mit einem lockeren, flexiblem Vibrato, nicht überexpressiv, generell sanftmütig und sensibel. Die kleine Kadenz erklingt ausdrucksvoll.
Das Oboen-Solo des langsamen Satzes grenzt fast an Zauberei. Es klingt mit ohrenscheinlich wenig äußerem Aufwand (sehr wenig Vibrato) besonders gleichmäßig und doch feinst nuanciert. Herr Hadelich hat sich diese Gestaltung nicht zum Vorbild genommen (sieben Jahre später in Köln schon eher), denn er spielt das Oboen-Thema mit dem maximal möglichen, bebenden Espressivo. Und schneller als die Oboe selbst.
Im dritten Satze hören wir ein bis Zi. 6 sehr schönes harmonisches Zusammenspiel, keine Anzeichen von Flucht oder Jagd, erst dann wird das „Orchesterbiest“ freigelassen. Es verfolgt die „arme“ Geige aggressiv bis zum bitteren Ende.
Das Orchester klingt in dieser Aufnahme warm und weich, jedoch leicht distanziert. Die Violine steht nicht gerade superpräsent vor dem Orchester (und vor uns), aber noch gut ausbalanciert. Das Ganze wirkt räumlich, wobei das Blech ziemlich weit entfernt scheint aber das Orchesterklavier gut abgebildet wird. Der Gesamtklang wirkt nicht sonderlich dynamisch.
4
Isabel van Keulen
Dirk Kaftan
Bremer Philharmoniker
Radio Bremen
2018, live
10:49 9:03 3:44 23:36
Dieser Mitschnitt stammt aus der Bremer „Glocke“. Frau van Keulen soll von 2005-2006 die „Baillot, Briselli“ Stradivari von 1732 gespielt haben, also die Geige, die einst Iso Briselli gehörte. Welche Violine ihr 2018 zur Verfügung stand konnten wir leider nicht ermitteln. Man muss der klanglichen Bewertung der gehörten Violine, wie der ganzen Aufnahme vorausschicken, dass Radio Bremen die niedrigste Datenrate aller Sender des öffentlichen Rechts bei seinen Konzertübertragungen nutzt. Angesichts dieser Tatsache macht man wirklich noch das Beste daraus, aber ohne klangliche Einbußen geht es nicht ab. Der Klang der Geiger wird besonders davon in Mitleidenschaft gezogen (beim Orchester sind es ebenfalls immer die Violinen, die zuerst an einer mangelnden Datenrate leiden). Sie klingt hier vergleichsweise hart und brüchig. Rein technisch und in der Agogik spielt Frau van Keulen jedoch geschmeidig, sicher, sehr nuancenreich, ausdrucksvoll und sehr dynamisch. Das Orchester macht einen sehr motivierten Eindruck und geht weitgehend auf die Solistin ein. Es übertönt sie jedoch andererseits häufiger als wir das in allen anderen Live-Mitschnitten gehört haben. Das mag an der Aufnahmedisposition liegen.
Auch in Bremen klingt die Oboe gut. Sie nimmt sich aber Zeit für drei kleine, fast unmerkliche Atempausen. Die Lautstärkedifferenzierungen gelingen nicht ganz so deutlich und gekonnt, aber ihr Ton ist voll und weich. Frau van Keulen macht ihr Ringen um Ausdruck zum Programm, sie spielt im Mittelsatz sehr expressiv, hadert, zaudert und lässt unseren imaginären Helden kräftig mit seinem Schicksal ringen. Das Tempo wirkt langsam (langsamer als es tatsächlich ist), die Bürde lastet schwer.
Ein ganz anderes Bild erwartet uns im letzten Satz. Da fällt die Geige mitunter wenig auf, sie erscheint so, als wäre sie ins Orchester „hineingefallen“. Sie ringt nicht um ihre Vormachtstellung und auch bei den Steigerungen bleibt sie eher blass. Am Ende scheint sie sich mehr oder weniger „bereitwillig“ vom Orchester schnappen zu lassen. Sie erkennt das Spiel von Anfang an als aussichtslos, warum sich also wehren, wenn man sowieso keine Chance hat? Das könnte ihre Devise gewesen sein.
4
Kurt Guntner
Jan Koetsier
Münchner Rundfunkorchester
BR
1975
10:09 8:24 3:56 22:29
Kurt Guntner erhielt von 1946 bis 1960 bei Ludwig Ackermann und von 1960 bis 1962 bei Max Rostal eine private Ausbildung im Fach Violine. Daneben betrieb er von 1953 bis 1957 musiktheoretische Studien an der Städtischen Orchestervorschule in München.
Mit 18 Jahren debütierte er im Kongresssaal des Deutschen Museums in München mit dem Beethoven-Konzert und den Münchner Philharmonikern. 1957 trat er als Erster Violinist in das Orchester der Bayrischen Staatsoper ein. 1962 wurde er dort Erster Konzertmeister. Er gehörte diesem Orchester bis 1966 an. Seit 1967 wirkte Karl Guntner als Erster Konzertmeister und Sonderkonzertmeister mit Solistenvertrag bei den Münchner Philharmonikern. Konzertreisen führten Guntner als Solisten ab 1957 durch das gesamte Europa und durch Japan. 1972 gründeten die Cellistin Angelica May, der Pianist Leonard Hokanson und Kurt Guntner das Odeon-Trio, mit dem Guntner 25 Jahre lang weltweit reiste und konzertierte. 1976 wurde Kurt Guntner auf einen ordentlichen Lehrstuhl für Violine an die Hochschule für Musik und Theater in München berufen, wo er 28 Jahre lang Studenten aus aller Welt unterrichtete. Dieser Artikel aus Wikipedia sei zitiert, weil Herr Guntner das erste Mal in unseren diskographischen Vergleichen erscheint. Der Dirigent war beim BR an sehr vielen Produktionen und Mitschnitten beteiligt, die allerdings derzeit nur noch selten über den Äther geschickt werden.
Bei der Aufnahme handelt es sich anscheinend um eine Studioproduktion, denn es war keine einzige Lautäußerung eines Publikums zu vernehmen.
Für den ersten Satz wählt man einen bewegten, sogar relativ unruhigen Gestus mit einem recht flott wirkenden Tempo. Guntner überzeugt mit vollem Klang, hat aber anscheinend nicht ganz die technischen Fähigkeiten der besten, denn nicht alles gerät im gleich gut und gleich „schön“. Das betrifft sowohl die Tonbildung als auch die Phrasierung. Man bemerkt einen leicht eingeschränkten dynamischen Spielraum sowie bisweilen ganz leicht unebene Skalen. Das Orchester bietet noch nicht ganz die solistische Eloquenz (z.B. hohl klingende Klarinette) von heute, spielt aber sehr gut zusammen. Im Großen und Ganzen liegt die Darstellung Herrn Guntners auf der Linie Isaac Stern: Sehr expressiv.
Auch im zweiten Satz gibt es ein relativ flottes Tempo, sodass man dann doch wieder eine Annäherung der Tempi der beiden ersten Sätze bemerkt. Nur dieses Mal im Sinne eines recht zügigen Duktus. Die Oboe hat ebenfalls noch nicht ganz die Klasse von heute. Sie spielt nicht so ausgeglichen im gezeigten Tonumfang und noch nicht so wohlgerundet bei der Phrasierung. Der Standard in den vergangenen Jahrzehnten hat sich über die Orchester hinweg betrachtet deutlich erhöht. Wenn man Aufnahmen bis zum Jahr 1975 betrachten würde, wäre am Solo der Oboe im Vergleich wahrscheinlich nichts auszusetzen gewesen, allerdings damals mangels „Masse“ an Einspielungen gar kein Vergleich möglich gewesen. Das Holz spielt durchweg ein wenig zu laut. Herr Gurtner mit einer überzeugend eindringlichen Darbietung, erneut sehr expressiv und an der Produktion von Isaac Stern orientiert. Herr Koetsier scheint sich Bernsteins Spuren angeschlossen zu haben, denn er lässt das Münchner Orchester sehr expressiv spielen: Weltschmerz.
Mit dem virtuosen letzten Satz, der Tarantella hat Kurt Guntner keine Probleme. Er spielt aber ein wenig angestrengter als es im Vergleich zu hören war. Die unaufhörlichen Triolen schnurren etwas gleichförmiger und etüdenhafter ab, etwas weniger nuanciert. Das Orchester kniet sich voll in seinen Part hinein, das imponiert. Es wird ihm im Vergleich jedoch der Aha-Effekt wieder genommen, denn es klingt nur wenig transparent und ziemlich massiv, eher wenig spielerisch. Das kann an kleineren rhythmischen Ungenauigkeiten liegen oder am Stand der Technik des BR Mitte der 70er Jahre. Wahrscheinlich an beidem. Das Klavier ist überhaupt nur im dritten Satz hörbar. Den Eindruck einer Verfolgungsjagd stellt sich in dieser Einspielung nicht ein.
Der Klang der Aufnahme ist weniger offen und weniger räumlich als bei den neueren Rundfunkproduktionen. Das Orchester wirkt wie zusammengerückt und flächig, d.h. von einer Tiefenstaffelung lässt sich nicht reden. Nur die Violine wird mit einem leichten Nachhall versehen, wirkt aber präsent und direkt vor die Hörer positioniert. Wenig Dynamik.
29.3.2025