Erich Wolfgang Korngold

Violinkonzert D-Dur op. 35

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Werkhintergrund:

 

„Im Jahr 1909 veröffentlicht der Wiener Rechtsanwalt und Musikkritiker Julius Korngold drei Kompositionen seines damals 12jährigen Sohnes in einem Privatdruck in kleiner Auflage mit folgendem Vorwort: „Sie werden mit der Bestimmung, nicht in die Öffentlichkeit zu geraten, sondern nur privat in nummerierten Exemplaren an Musiker und Musikkenner mitgeteilt zu werden, ausschließlich zum Zweck einer Feststellung in Druck gelegt. Sie sind von einem Knaben zum Teil mit elf, zum Teil mit zwölf Jahren komponiert.“ Es handelte sich um die Ballett-Pantomime in zwei Bildern „Der Schneemann“, 1908 komponiert, sechs Charakterstücke zu „Don Quichotte“ (ebenfalls 1908) und eine Klaviersonate in d-Moll.

Tatsächlich schickte der Vater die Noten ausschließlich an „Experten“ außerhalb Wiens, weil er nicht seine Stellung als bekannter Musikkritiker in dieser Stadt für die eigene Familie ausnutzen wollte. Die Reaktionen auf die Versendung bestätigten Julius Korngolds Einschätzung seines Sohnes: Der bekannte Musikwissenschaftler Hermann Kretschmar antwortete ihm: „Selbst in den außerordentlichsten Fällen musikalischer Frühreife bleibt die ihres Sohnes noch phänomenal. Was Modernität und Männlichkeit betrifft, weiß ich nur die Analogie des jungen Händel.“ Richard Strauss empfand gar beim Notenstudium „Schrecken und Furcht“ und drückte seine Hoffnung aus, dass dem kindlichen Genie doch eine normale Entwicklung vergönnt sein möge, angesichts der schon vorhandenen Sicherheit im Stil und der Beherrschung der Form. Der Dirigent Arthur Nikisch wiederum war begeistert über die Phantasie in diesen Stücken eines Knaben. Engelbert Humperdinck schließlich nannte Erich „ein Wunderkind aus dem Feenreich“, äußert aber Zweifel über eine „bedenkliche Modernität“ in den Stücken dieses ungewöhnlichen Knaben, der bei zwei führenden Kompositionslehrern der Stadt, Robert Fuchs und Alexander von Zemlinsky Unterricht nahm.

Die weitere Karriere Erich Wolfgang Korngolds bestätigten die großen Hoffnungen. „Der Schneemann“ wurde 1910 an der Wiener Staatsoper erfolgreich aufgeführt; im selben Jahr erschien als Opus 1 sein Klaviertrio in D-Dur, ein ebenso formvollendetes wie für seine Zeit modernes Werk. Bald folgten erste Orchesterwerke und 1916, mitten im ersten Weltkrieg, die umjubelte Aufführung zweier Operneinakter, „Der Ring des Polykrates“ und „Violantha“, in München. Das vielversprechende Wunderkind war ein junger Mann geworden und hatte die Hoffnungen der Experten nicht enttäuscht. Immer noch wurde er als einer der Modernen gefeiert. Einen, wenn nicht den größten, Höhepunkt seiner Karriere stellte die Doppeluraufführung seiner Oper „Die tote Stadt“ gleichzeitig in Hamburg und Köln dar, der anschließend zahlreiche Inszenierungen an vielen deutschsprachigen Opernhäusern folgten. Korngold war jetzt einer der führenden Opernkomponisten der Nachkriegszeit. Auch die nächste Oper, „Das Wunder der Heliane“ fand in die Theater, wenn auch nicht mit dem gleichen Sensationserfolg wie „Die tote Stadt“. Korngold wurde Professor der Opernklasse an der Wiener Staatsakademie, der auch als Komponist für die Konzertbühne einer der erfolgreichsten der Zeit war.

Doch nicht nur das politische Europa der Jahre nach 1918 war in einem starken Wandel begriffen. Während um sie herum die musikalische Moderne immer neue stilistische Wendungen und Revolutionen vollzog (Impressionismus, Atonalität, Expressionismus und Neoklassizismus lösten einander ab) blieb Korngold im Wesentlichen dem Stil der Jahrhundertwende treu, ähnlich wie sein Kollege Richard Strauss. So war Korngold gewissermaßen unzeitgemäß wie zu Beginn seiner Karriere, nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Seine Bekanntheit brachte ihm auch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhardt, als dieser eine Neuinszenierung von Johann Strauß‘ „Fledermaus“ plante. Als Reinhardt in den USA eine Verfilmung des shakespeareschen „Sommernachtstraums“ leitete, reiste Korngold 1934 das erste Mal in die Vereinigten Staaten, um die Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy zu einer passenden Filmmusik zu arrangieren. Das war Korngolds erste Berührung mit Hollywood, aus welcher gleich ein weiterer Auftrag erwuchs. Er sollte die Filmmusik für den Mantel und Degen-Film „Captain Blood“ (deutscher Titel „Unter Piratenflagge“) mit Errol Flynn in der Hauptrolle unter Leitung des Regisseurs Michael Curtiz für die Warner Brothers komponieren. Daraus entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die für Korngold persönlich die  Hauptbeschäftigung der nächsten Jahre wurde und den amerikanischen Film bis heute prägt, denn ein erheblicher Teil der Spielfilmmusiken setzt immer noch die Tradition der österreichischen, von Korngold nach Hollywood gebrachten sinfonischen Tradition fort. (Aus einem Programmheft der Stuttgarter Philharmoniker anlässlich eines Konzertes am 16.12.2016 von Albrecht Dürr.)

 

Man könnte also durchaus behaupten, dass Korngold den Hollywood-Sound begründete und nicht umgekehrt, wie es manche Kritiker noch heute meinen, dass Korngold nach Hollywood klänge. Auch für absolute Könner der Branche wie John Williams war Korngold Vorbild und Inspiration, wie er es selbst bestätigte.

 

Filmmusik auf Filmmusik entstand und Korngolds Fähigkeit, seine Musik auf die Sekunde genau passend zu den Filmszenen zu komponieren, kam ihm dabei zu Hilfe. Als 1938 der Anschluss Österreichs ans nationalsozialistisch regierte Deutsche Reich erfolgte, blieb die jüdische Familie Korngold in den USA. Obwohl der Film zur Haupteinnahmequelle des Komponisten wurde, beschäftigte sich Korngold weiterhin mit anderen Kompositionen, ohne etwas zu veröffentlichen. Solange die Nazis wüteten und die Welt knechteten, wollte er keine Formen der klassischen europäischen Musik mehr bedienen. Erst nach dem D-Day, als sich die Niederlage Nazi-Deutschlands abzeichnete, kehrte er wieder zur klassischen Form zurück.

An seinem Violinkonzert in D-Dur op. 35 arbeitete er über einen recht langen Zeitraum. Erste Skizzen entstanden bereits in den Jahren 1937 bis 1939. Fertig wurde es allerdings erst 1945.

Die Entstehungsgeschichte der Komposition wurde von Korngolds Ehefrau in dem kleinen Buch „Erich Wolfgang Korngold. Ein Lebensbild von Luzi Korngold“ (Wien, 1967) beschrieben:

 

„Es muss im Frühjahr 1945 gewesen sein, als Bronislaw Hubermann, der große Musiker unter den Violinvirtuosen, ein Konzert in Los Angeles gab. Als guter alter Bekannter kam er zum Abendessen in unser Haus. […] Seit dreißig Jahren, sooft er Erich begegnete, war es Hubermanns stehende Phrase: ‚Was ist’s mit meinem Violinkonzert?’ Auch an jenem Abend, nach dem Essen, stellte er wieder die altgewohnte, halb scherzhafte Frage: ‚Erich, was ist’s mit meinem Violinkonzert?’ Erich stand sofort auf, ging zum Klavier und spielte ein Thema, das später das des ersten Satzes seines Violinkonzertes wurde. Hubermann horchte auf: ‚Das ist – das wird mein Konzert’, sagte er lebhaft. ‚Versprechen Sie mir, dass Sie es schreiben werden.’ Erich sagte zu.“

 

Nach einigen weiteren Verwicklungen, die zu schildern an dieser Stelle zu weit ginge, brachte schließlich aber nicht Hubermann, sondern der ebenso legendäre Jascha Heifetz das Konzert 1947 in St. Louis zur Uraufführung. Überliefert ist, dass Huberman das Konzert zuerst sehen wollte, bevor er es spielen wollte, was Korngold gekränkt hätte. Von ihm nähme jeder alles unbesehen! Ob das aber bereits gereicht hat?

Wie in fast allen Konzertwerken, die Erich Wolfgang Korngold in diesen Jahren komponierte, finden sich auch im Violinkonzert Themen aus seinen Filmmusiken. Jeder Komponist zitiert sich selbst (und andere Komponisten natürlich auch), denken wir nur einmal an Igor Strawinsky (z.B. in „Pulcinella“). Das ist nichts Verwerfliches. Und man muss wissen, die Filmmusiken Korngold waren durchkomponiert und kompositorisch hochwertig.

So stammt das erste Thema des ersten Satzes aus dem Film „Another Dawn“ (1936), eine Romanze mit Eroll Flynn und Kay Francis, in Österreich: „Flammende Nächte“ betitelt, das Seitenthema aus „Juarez“ (1939), ein Historienfilm mit Bette Davis, Paul Muni und Claude Rains. Für den langsamen Satz wurde Korngold in seiner Musik zum Film „Anthony Adverse“ („Ein rastloses Leben“,1936), ein wildes Drama mit Fredric March und Olivia de Havilland, fündig. Das Variationsthema des Finalsatzes stammt aus „The Prince and the Pauper“ (1937) zu Deutsch: „Der Prinz und der Bettelknabe“ mit Eroll Flynn und Claude Rains.

 

Dennoch ist das Violinkonzert, so wieder Albrecht Dürr, mit seinen drei Sätzen an der klassischen Form orientiert und mit großer stilistischer Eleganz verwirklicht. In der Harmonik ist sich Korngold in seinem Stück treugeblieben. Es ist die gleiche Tonalität, die ihn fast vierzig Jahre zuvor als Vertreter der Moderne ausgewiesen hatte, jetzt aber, am Ende des zweiten Weltkriegs, auf viele Zeitgenossen als Anachronismus wirken musste – ein Grund dafür, weshalb der Komponist in Mitteleuropa zumindest zu Lebzeiten kaum mehr wahrgenommen wurde.

 

Viel zu weit hatte sich die junge Komponistengeneration vom noblen Stil der Wiener Jahrhundertwende entfremdet. Europa lag in Schutt und Asche, der Tenor war, dass man unmöglich so weitermachen konnte wie vor der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Zudem musste der aus dem Exil nach Wien zurückgekehrte Jude jedem vorkommen wie eine wandelnde Schuldzuweisung. Korngold wurde nicht nur in Wien als ein Fremdkörper wahrgenommen.

 

Korngolds Frau Luzi beschrieb Korngolds Auffassung in der erwähnten Biographie so: „Es war seine Überzeugung, dass das tonale System nicht erschöpft sei, niemals erschöpft werden könne; dass noch unendliche melodische und harmonische Klangkombinationen im Weltall auf ihren ,Erlöser‘ warteten. Er verglich oft den künstlerischen Schöpfungsprozess mit dem der sich ewig erneuernden Natur.“

Erich Wolfgang Korngold über sein Werk: „Mein Violinkonzert ist ein Versuch für das Überleben des melodischen Typs der sinfonischen Musik zu kämpfen. Ich will eine Bestätigung, eine Antwort auf eine Frage, die von entscheidender Bedeutung für mich ist: Gibt es noch einen Platz und eine Chance für Musik mit Ausdruck und Gefühl, mit langen melodischen Themen, geformt und entwickelt nach den Prinzipen der klassischen Meister, Musik, die im Herzen erdacht und nicht auf dem Papier konstruiert? Diese Frage brennt seit langer Zeit in mir. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich war nie ein Reaktionär oder ein altmodischer Komponist und bin es auch heute nicht. Andererseits: Aufgewachsen mit dem Klang von Richard Strauss’ „Elektra“ und den Sinfonien von Gustav Mahler (die, nebenbei gesagt, heute noch – nach vierzig, fünfzig Jahren – fortschrittlicher, gewagter und neuer sind als die meisten gewisser Sinfonien der letzten zehn Jahre!) war ich einer der ersten glühenden Bewunderer von Strawinsky. Ich erinnere mich gut an die Zeit, als ich als musikalisches Wunderkind mit elf, zwölf Jahren die musikalischen Autoritäten mit meinen harmonisch ultra-modernen Kompositionen verblüffte und in Schrecken versetzte. Aber seitdem ich als Siebzehnjähriger begann, für die Opernbühne zu schreiben […] blieb ich immer meinem festen Glauben treu, dass Musik melodisch sein sollte und, wie ein alter Wiener Meister zu predigen und mich zu lehren pflegte, ‚wohllautend’.“ […]

(Das englische Original schrieb Korngold anlässlich der Uraufführung des Violinkonzerts mit Jascha Heifetz und dem Saint Louis Symphony Orchestra unter Leitung von Vladimir Golschmann 1947 in St. Louis.)

 

Sogar sein eigener Verlag (Schott) sah das alles anders und musterte Korngold schließlich sogar aus, so Michael Struck-Schloen im Deutschlandfunk Kultur anlässlich einer Besprechung des Violinkonzertes mit Carolin Widmann.

 

Zwei Beobachtungen noch: Zu Anfang des Violinkonzerts bringt die Solovioline die Töne a-d-a-d-gis und anschließend fis-e-d-c-b. Für die Tonart D-Dur ist das eine Menge „leiterfremder“ Töne, dafür lässt sich ab gis eine absteigende Ganztonleiter hören. Andererseits geht dadurch die Bindung an die Tonart D-Dur nicht verloren, weil die Begleitharmonien sich auf die Tonika D-Dur beziehen lassen. Dennoch sind Ganztonleiter und die lydische Quart nicht nur in diesem Hauptthema, sondern im ganzen Violinkonzert immer wieder zu hören. Es wäre eine dankbare Aufgabe, die Rolle des Tons gis in den beiden Ecksätzen zu untersuchen. Wie oft kommt das gis vor? Was geschieht, wenn man es durch ein einfaches g ersetzt? (erneut Albrecht Dürr anlässlich eines Konzertes der Stuttgarter Philharmoniker am 16.12.2016 in der Stuttgarter Liederhalle)

 

Aufnahmen der im Violinkonzert zitierten Filmmusiken sind übrigens leicht im Internet zu finden und nachzuhören.

 

 

Am 18.05.2021 sprach Andreas Grabner mit Anne-Sophie Mutter in der Reihe des BR „Das starke Stück“ über das Violinkonzert, wobei er zuerst noch einmal für die Hörer zusammenfasst, was den Komponisten und das Werk ausmacht. Trotz einiger Wiederholungen geben wir den Wortlaut wieder, da immer wieder weitere Aspekte beleuchtet werden, mitunter nur durch eine andere Wortwahl.

Als Erich Wolfgang Korngold mit nur 60 Jahren starb, durfte er sich als ein aus der Mode gekommener Komponist vorgekommen sein. Sein Violinkonzert in D-Dur, op. 35 hat jedoch nicht nur dem Vergessen am hartnäckigsten Widerstand geleistet, sondern ist (nach langer, langer Zeit endlich) ins Standard-Repertoire eingezogen.

Wer über Erich Wolfgang Korngold reden will, kann tun, was er will, drei Worte werden ihm über die Lippen kommen müssen: "Wunderkind", "Oper" - verbunden mit dem Werk "Die tote Stadt", das zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Musiktheater-Stücken der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen gehört. Das dritte könnte der Name eines Ortes in den Hügeln über Los Angeles sein, der Name: Hollywood.

Bei allem Glanz, den diese drei Worte zu verbreiten scheinen, stehen sie auch für ein Künstlerleben, das von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zerrissen wurde, und das am Ende nie wieder so recht in den Tritt kam, in dem es einst triumphal losmarschiert war. Mittlerweile widerfährt dem österreichisch-jüdisch-amerikanischen Komponisten-Genie Korngold endlich die Ehre, die ihm gebührt, und seine Werke werden wieder mehr gespielt. Sieben Jahre hat Erich Wolfgang Korngold in Amerika im Exil verbracht. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, da hat er die Filmmusiken zu 18 großen Hollywood-Filmen komponiert. Für zwei von ihnen, "Anthony Adverse" und "Die Abenteuer von Robin Hood" bekam er sogar den Oscar.

Viele der grandios ausschwingenden Themen borgt sich der Komponist zu großen Teilen aus seinen Filmmusik-Partituren. Das sehnsüchtige zweite Thema des Kopfsatzes etwa aus dem Film "Juarez", und im Finale schickt Korngold die quirlige Titelmelodie des Films "The Prince and the Pauper" von 1937 ins Rennen. Erzählt wird dort eine turbulente Verwechslungskomödie nach Mark Twain, in der ein Bettelknabe beinahe zum englischen König gekrönt wird. Noch in dem Konzert scheinen sich Geige und Orchester kaum einzukriegen vor lauter Gelächter über die Verwicklungen und die Absurdität des Weltgeschehens und des menschlichen Lebens. Bei aller Süffigkeit, bei aller weit ausschwingenden Kantilene ist dieses Konzert gespickt mit den aberwitzigsten technischen Schwierigkeiten: Doppelgriffe, Spiccati, Springbogen, Collegno-Spiel, Flageoletts in stratosphärischen Höhen – alles allerdings kein Problem für den Geiger, für den das Werk gedacht war: für Jascha Heifetz. Doch anscheinend war sowohl in Europa als auch in Amerika 1945 kaum jemand davon begeistert.

Nach seiner New Yorker Premiere wurde das Violinkonzert in der New York Times als "Hollywood Concerto" abgetan. Korngolds Musik schien, spätromantisch-tonal wie sie nun mal war, schon einer "Welt von Gestern" anzugehören. 1945 war wohl noch niemand so recht nach dem übermütigen Gelächter, das der dritte Satz verbreitet zumute. Heute allerdings gilt das Werk als eines der ganz großen Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts, ganz anders als die Meisterwerke von Berg, Strawinsky oder Bartók, und doch mit seinen süchtig machenden Melodien, seiner tiefen Originalität und seinem mitreißenden Schwung würdig, an ihrer Seite zu stehen. Das sieht Anne-Sophie Mutter, die das Opus gemeinsam mit André Previn einspielte, genauso: "Wer eine Ader für romantische Musik hat, kommt bei Korngold voll auf seine Kosten. Es ist Musik, die sehr wienerisch inspiriert ist. Und auf den Vorwurf, Korngold klinge wie Filmmusik, lässt sich nur antworten: Nein, irgendwann klang die Filmmusik in Hollywood nach Korngold. Wien war in seiner Musik immer um die Ecke, und insofern ist Korngold einfach seinem Stil treu geblieben und gehört für mich zu den großen, in Deutschland leider völlig unterschätzten Komponisten."

 

Doch bei allem Erfolg in der Neuen Welt sehnt sich Korngold zurück nach Europa und der abendländischen Musiktradition. Auf diese Sehnsucht folgt die bewusste Hinwendung zu den traditionellen Gattungen. Sein Violinkonzert D-Dur op. 35 (übrigens, Anmerkung von uns, dieselbe Tonart und dieselbe Opus-Zahl wie Tschaikowskys Violinkonzert! Das kann doch wohl kein Zufall sein?) von 1945 ist das erste große Werk dieser Neuausrichtung; mit ihm hofft Korngold in Europa Gehör zu finden und an die alten Erfolge anknüpfen zu können. Doch gehen über zehn Jahre als Filmmusik-Komponist nicht spurlos an einem vorüber. Korngold hüllt sein Konzert in einen schwelgerischen Sound, der einem großen Hollywood-Schinken in Breitwandformat und glühendsten Technicolor-Farben alle Ehre gemacht hätte. "Was ich spektakulär finde an dem Korngold-Konzert, ist das Konzept", sagt Anne-Sophie Mutter über das Werk. "Korngold hat einfach ganz lässig in seine Schublade gegriffen, existierende Filmthemen miteinander verwoben und daraus ein opulentes, irrsinnig schönes, vor Romantik triefendes und Virtuosität spritzendes Violinkonzert gestrickt, das zum einen irrsinnig schwierig ist, zum anderen aber, ich muss es gestehen, leichter als Mozart. Denn ich muss es gestehen: Es ist nämlich eine Virtuosität, die man beherrschen kann. Wie ein sicherer Tripelsalto vorwärts und bei Mozart ist es immer so: Man springt und weiß nie wo man landet. Ist das Seil jetzt noch da oder fliege ich zu den Krokodilen runter. Im Korngold-Konzert und das war ein Grund, weshalb ich es nie aufgenommen habe, war er (Heifetz), der absolute König und ich war lange Jahre der festen Überzeugung, es gibt niemanden und nichts, was das übertreffen kann. Sein Klang im zweiten Satz ist sowas von verlockend, dieser Anfang, das zieht dir absolut die Strümpfe aus." Soweit Anne-Sophie Mutter, originalgetreu von der Radiosendung in die Schriftsprache übertragen.

Dazu meint übrigens eine andere große Geigerin der Gegenwart, Carolin Widmann, dass Heifetz´ Wiedergabe so faszinierend und kongenial wäre, weil er der glühenden Musik (z.B. in der Kadenz des ersten Satzes) mit kühlem Kopf begegnete. Sein schnelles Vibrato, seine reine Intonation, seine herausragende Geläufigkeit und seine „unfassbare“ linke Hand in Kombination mit seiner warm und rund klingenden Geige, wären die Grundlage zum zugleich so sinnlich wie verhalten wirkenden Ton, so meinte es Carlin Widmann in der schon einmal angesprochenen Sendung des Deutschlandradio Kultur „Interpretationen“. Wir halten es durchaus für vorstellbar, dass man als Geiger:in, gerade das Stück einübend angesichts der Heifetzschen stoischen "Coolness" geradewegs am liebsten kapitulieren möchte. Da wird es besonders interessant zu hören, wie sich die beiden Befragten aber auch die anderen Geiger(innen) der Gegenwart gegenüber Heifetz positionieren können. Bis zur zweiten Einspielung im Jahr 1974 von Ulf Hoelscher war die Aufnahme mit Heifetz nämlich 21 Jahre lang der Solitär in der Diskographie des Werkes. Heute ziert das Konzert dagegen das Repertoire fast jeden Geigers und fast jeder Geigerin, die etwas auf sich halten. Darunter scheinen besonders die jüngeren und jungen keinerlei Vorbehalte dem Werk gegenüber mehr zu haben. Auch das Publikum, wie wir den Live-Mitschnitten entnehmen konnten, ist mittlerweile hellauf begeistert von ihm und spendet besonders dem oder der Solist/in gerne wahre Ovationen.

 

 

Zusammengestellt bis 8.9.2024

 

 

 

 

Der junge Herr Korngold lange vor der Komposition des Violinkonzerts.

 

 

 

Erich Wolfgang im Jahr 1927. Da dauert es noch zehn Jahre bis zu den ersten Skizzen und noch 18 Jahre bis zur Uraufführung des Violinkonzerts. (Foto von Georg Fayer aus der Österreichischen Nationalbibliothek.)

 

 

 

Die verschiedenen Einspielungen charakterisiert und eingeordnet:

 

5

Vadim Gluzman

Neeme Järvi

Residentie Orkest, Den Haag

BIS

2010

9:06  8:41  6:58  24:45

Eine Aufnahme aus dem Philipssaal in Den Haag. Vadim Gluzman spielt dabei die Stradivari „Ex Leopold Auer“, also die Geige, die dem Lehrer von Jascha Heifetz, Misha Elman, Nathan Milstein und anderen, Leopold Auer einmal gehörte. Auer war zudem der Widmungsträger des Violinkonzerts von Tschaikowsky. Da hält man nicht nur ein erlesenes Instrument in den Händen, sondern auch eine langes an Höhepunkten nicht armes Stück Musikgeschichte. Ob sich Herr Gluzman auch den speziellen Sankt Petersburger Bogengriff, den Leopold Auer propagierte und der ein Teil der faszinierenden Technik Jascha Heifetz´ ausgemacht haben soll, angeeignet hat, wissen wir nicht. Dazu wäre eine Bildaufnahme hilfreich gewesen.

Wie dem auch sei, technisch, klanglich und musikalisch hat uns diese Einspielung mit wenigen anderen am meisten fasziniert. Es klingt alles absolut makellos, so wie es nur die wenigsten Geiger und Geigerinnen in unserem Vergleich hinbekommen. Der übelste Stolperstein (oder besser: die „hahnebüchenste“ Stolperstrecke) befindet sich im ersten Satz bei der sich das Notenbild noch nicht einmal so übel ausnimmt, von weitem, bei näherem Hinsehen aber schon. Wie immer liegt die Tücke im Detail. Außer Jascha Heifetz kommen nur ziemlich wenige unbeschadet da durch. Es handelt sich um die Passage von Zi. 6 bis Zi. 10 einschließlich. Ab Zi. 11 darf der Solist ein wenig durchatmen, denn das Orchester übernimmt dann mal alleine, was sehr selten vorkommt. Herr Gluzman geht darüber hinweg, als sei es für ihn das kleine Einmaleins des Violinspiels. Dabei braucht er das Tempo noch nicht einmal zu drosseln. So wieselflink wie Heifetz ist aber auch er nicht, das muss auch gar nicht sein. Gluzmans Tempo wirkt sogar ziemlich angetrieben (angetriebener z.B. als bei Gilman oder bei der langsamen Arabella Steinbacher), was der musikalischen Dramatik guttut. Sein Klang, den er aus dem edlen Instrument mit der langen Geschichte herausholt, ist bemerkenswert schön, reichhaltig, hat Körper, viel Substanz und Strahlkraft ohne auch nur einen Anflug der kleinsten Nervosität auszustrahlen. Das spricht ebenso für die absolute Beherrschung nicht nur der Technik, sondern auch der musikalischen Anforderungen, denn die sind gar nicht so unerheblich, wie man sich das vielleicht vorstellen mag, wenn man an ihren Ursprung "Filmmusik" denkt. Auch wenn die Themen Filmmusik entnommen sind. Der Klang wirkt geradezu lukullisch, weich und enorm geschmeidig. Nichts lenkt aber von der Musik ab, kein „Gequitsche“, kein Zerren, kein Reißen. So steht die „süße“ Melancholie ungestört im Mittelpunkt. Auch die Kadenz gelingt sagenhaft geschmeidig, klangvoll und behände, denn auch sie stellt diesem Virtuosen keinerlei spürbaren Widerstand entgegen. Gluzman spielt mit ihr, die Kadenz treibt nicht ihr „böses“ Spiel mit ihm, wenn man so sagen darf. Dabei klingt es sehr expressiv und ausdrucksvoll, aber so schön und leuchtkräftig, dass man der festen Meinung ist, dass ein Mehr unmöglich ist. Zumindest ohne dabei in unschönes Forcieren zu geraten. Das Orchester assistiert aufmerksam und profitiert von einer ausgezeichneten Klangtechnik, die es (fast) zu einem ebenbürtigen Partner macht.

Spätestens nach diesem ersten Satz sollte man von dem Konzert begeistert sein, falls man zuvor überhaupt noch Vorbehalte gehabt haben sollte.

Im zweiten Satz klingt die Violine schon fast magisch, in jedem Fall aber wie schwerelos. Man muss es wiederholen, schöner kann eine Violine, egal welcher Herkunft, einfach nicht klingen und wenn zirzensisch kein so zweifelhaft besetzter Begriff wäre, man würde ihn hier anbringen. Aber was noch entscheidender ist, Spiel und Klang gehen unmittelbar zu Herzen. Gefühlvoller geht es nicht. Leicht, voll, saftig, alles wirkt erfühlt und ähnlich differenziert (oder nuanciert) wie in der Live-Aufnahme mit Maria Dueñas, die es leider nicht auf dem Markt gibt. Klanglich jedoch klingt es bei Gluzman voluminöser und noch ein wenig makelloser. Allerdings ist Gluzmans Aufnahme nicht live entstanden.

Im dritten Satz nimmt das temperamentvolle Tempo ungemein für sich ein und dazu wieder in uneingeschränkt bewunderungswürdiger musikalischer Virtuosität und in fast schon transzendenter Makellosigkeit. Grandios. Seine Kompetenz und Klasse bestätigt der Geiger in einem Berliner Live-Mitschnitt von 2013, der in der anschließenden kleinen Extra-Liste zu finden ist.

Die Aufnahmequalität bringt die musikalischen Qualitäten erst zur vollen Entfaltung. Transparenz und Räumlichkeit sind ausgezeichnet, sodass man den ungemein schmückenden Orchestersatz in der einfallsreichen Instrumentation in vollen Zügen genießen kann. Das ist auch der Hauptvorteil gegenüber der geigerisch ebenfalls herausragenden Version mit Heifetz. In dieser, wie in vielen anderen Aufnahmen auch, wirkt das Orchester unterbelichtet und unter Wert verkauft. Die Violine steht prominent vor dem Orchester, aber man weiß, was außerdem noch beherzigt werden muss und bringt es zu Gehör. Der Klang ist sehr brillant, warm grundiert und von schillernder Farbigkeit.

 

 

5

Vilde Frang

James Gaffigan

HR-Sinfonieorchester

Warner

2015

9:16  8:49  7:20  25:25

Laut „Tarisio“ spielt Frau Frang auf einer Vuillaume aus Paris, die der französische Meister bereits 1866 von der „Messias“ Stradivari kopierte. Auch damals wusste man schon, was wert war, kopiert zu werden. Und offensichtlich gelangte man bei ähnlich versierter Handwerkskunst und Materialauswahl zu ähnlich überragenden Ergebnissen.

Im Unterschied zum verführerisch-warmen und brillant-körperhaften Klang der Geige bei Vadim Gluzman klingt es bei Frau Frang ein wenig kühler, wenn man es mit Farben ausdrücken müsste, ein wenig mehr ins Blaue gehend, während bei Gluzman braune oder rötliche Töne vorherrschen. Auch bei ihr wirkt der Klang nahezu schwerelos und schwebend. Es fehlt ihr nicht an Kraft, aber das hervorstechendste Merkmal ist der nuancenreich-sprechende Vortragsstil. Die technische Makellosigkeit von Heifetz und Gluzman erreicht sie fast. Das Orchester spielt ebenfalls ausdrucksvoll, ist jedoch weniger brillant eingefangen als die Wiener Philharmoniker bei Nikolai Znaider oder das LSO bei Gil Shaham oder Anne Sophie Mutter. Auch die besonders üppige Brillanz der Den Haager Einspielung zuvor wird nicht ganz erreicht. Dies wird jedoch durch ein lebendiges Spiel wieder ein wenig ausgeglichen und besonders hevorzuheben ist das gemeinsame Atmen mit der Solistin, das nur in wenigen Einspielungen richtig gut gelingt. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass man das Orchester mit allen Details zu hören bekommt und es nicht teilweise hinter einem überprominenten Solisten versteckt bleibt. Das ist in hohem Maß gewährleistet. Der Satz wirkt enorm klar und stringent durchgezogen, aber auch sagenhaft nuanciert und sprechend, auch vom Orchester her betrachtet. Man hält von oberflächlichem Glamour nicht viel. Man hört viel klassisches Violinkonzert und eher wenig „Hollywood“. Man enthebt das Werk völlig von jedem Kitschverdacht. Schon jetzt sollte das eine empfehlenswerte Einspielung für die Puristen sein. Manchmal tut ein wenig Understatement ganz gut.

Dieses erfreuliche Bild setzt sich im zweiten Satz fast noch deutlicher fort, denn der wäre noch kitschgefährdeter. Die klare Kontur besticht, das Spiel aller Beteiligter wirkt hochgradig differenziert (darin Maria Dueñas ähnlich) und quellfrisch. Man hört genauso gebannt zu wie bei den Herren Gluzman und Heifetz, von denen sich Frau Frang jedoch klanglich und musikalisch absetzt. Auch bei Frau Frang klingt der Satz traumhaft und schön.

Der dritte setzt sich besonders deutlich ab, wirkt pointiert und besonders abwechslungsreich, erzählerisch, jugendlich-frisch und sehr inspiriert. Das Tempo ist dabei gar nicht mal so ungestüm (an Heifetz kommt da niemand heran), es fehlt aber nicht an Verve. Das ist die hohe Vortragskunst des Violinspiels.

Der Klang ist präsent bei Solistin und Orchester, die Balance wirkt stimmig, das Klangbild dreidimensional. Wir hörten hier die beste Transparenz unseres ganzen Vergleiches (Mutter/Previn und Znaider/Gergiev kamen dem am nächsten). Allerdings fehlen in Frankfurt eine vergleichbare Üppigkeit und der vergleichbar strahlende Glanz, obwohl es der Aufnahme keinesfalls an Wohllaut mangelt, wirkt sie im direkten Vergleich ein wenig matter. Auf eine „Technicolor-Farborgie“ in Hollywood-Manier wird also verzichtet.

 

 

5

Jascha Heifetz

Alfred Wallenstein

Los Angeles Philharmonic Orchestra

RCA, Documents, Regis, Naxos

1953

7:46  7:07  6:28  21:21

„Um in New York eine Aufführung zu bekommen, muss die Musik hässlich, programmatisch und ernst sein“, sagte Korngold im Oktober 1947, kurz vor der Premiere seines Violinkonzerts, zu Ross Parmenter von der New York Times. Er gab zu, dass das Konzert überhaupt nicht modern sei, aber fließende Melodien habe. „Eine lange Melodie von 32 Takten ist immer noch ein Geschenk des Himmels.“ Nach der Premiere schrieb er: „Trotz der Virtuositätsanforderungen im Finale war das Werk mit seinen vielen lyrischen und melodischen Episoden eher für einen Caruso als für einen Paganini gedacht. Es ist unnötig zu sagen, wie erfreut ich bin, dass mein Konzert von Caruso und Paganini in einer Person aufgeführt wird: Jascha Heifetz.“

"Da Heifetz viel Zeit in Hollywood verbracht hatte (er wohnte dort, Anm. von uns), kannte er Korngold gut und spielte bei Konzerten Sätze aus dessen Suite „Viel Lärm um Nichts“. Die Aufnahme des Konzerts, die Heifetz am 10. Januar 1953 in Hollywood machte, unter der Leitung von Alfred Wallenstein und mit dem Los Angeles Philharmonic, ist bemerkenswert für ihr improvisatorisches Flair, insbesondere im Andante und Teilen des Finales, wo Heifetz' Staccato beispielhaft ist. Während des gesamten Werks bewahrt sein aristokratisches Spiel die Musik vor jedem Vorwurf der kitschigen Pseudoromantik." Soweit Tully Porter bei „Tarisio“, der Handelsplattform der „größten“ und weniger großer Streichinstrumente.

Es ist wahrscheinlich, dass Heifetz sowohl für die Uraufführung als auch für die Aufnahme die „Heifetz, David“ Guarneri „del Gesù“ von ca. 1740 verwendete, sein Lieblingsinstrument, seit er es 1922 erworben hatte. Wir erinnern noch einmal daran, dass die Instrumente den Namen ihrer bekanntesten Besitzer übernehmen. Damals konnte sich ein finanziell gutgestellter Musiker noch selbst das Instrument finanzieren auf dem er spielen wollte, in gewissen Relationen zumindest. Seit den 80er, 90er Jahren ist das kaum mehr möglich, da die Instrumente zu stets steigenden Liebhaberpreisen gehandelt werden und zu Zwecken der Geldanlage und -vermehrung von den Reichsten der Welt und diverser Institutionen gekauft werden. Allerdings werden sie relativ oft an die fähigsten Spieler(innen) der Zeit verliehen. Nur selten liegen sie in einem Museum oder in einem privaten Tresor mehr oder weniger nutzlos rum. Wenn man annimmt, dass mit dem zweiten Namen der Geige Ferdinand David gemeint ist, dann hätte auch der Uraufführungsgeiger des berühmten Violinkonzertes e-Moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy bereits auf ihr gespielt. Was für ein geschichtsträchtiges Instrument! Unserer Recherche nach ist der jetzige Besitzer das Fine Arts Museum in San Francisco. Ob sie derzeit einen Geiger oder Geigerin beim Spiel beglückt, konnten wir dagegen nicht ermitteln.

Die Guarneri teilte sich jedoch einen Doppelkoffer mit der „Heifetz, Piel“ Stradivari von 1731, seinem ersten wirklich großen Instrument – obwohl er sie tatsächlich erst 1925 kaufte, nachdem er sie seit kurz nach seinem amerikanischen Debüt als Leihgabe hatte – und natürlich benutzte er die Stradivari von Zeit zu Zeit. Kurioserweise waren die Etiketten auf beiden Instrumenten von Heifetz manipuliert worden: Auf dem Etikett der Guarneri war das Jahr 1742 angegeben, und das Etikett der Stradivari war auf 1711 geändert worden, sodass sie nun zur goldenen Periode des Herstellers zu zählen wäre. Warum er dies tat entzieht sich unserer Kenntnis.

Es ist aber eigentlich letztlich egal, welches Instrument er tatsächlich für die Aufnahme wählte, es klingt und er spielt es auf bis heute unerreichte Weise. Es klingt warm und rund, voll und „fruchtig“ und klingt sehr nach der Guarneri, sein Vibrato ist schnell und seine linke Hand wäre, wie Carolin Widmann meint „unfassbar“. Wobei seine Art der Bogenführung ebenfalls eine gewisse Rolle gespielt haben dürfte. Es klingt so zugleich ungemein sinnlich aber auch verhalten, wie es Frau Widmann in der Sendung „Interpretationen“ bemerkte. „Übermenschlich“ und zurückhaltend-kühl gleichzeitig. Da wird man ja fast verrückt. Auffallend im Vergleich sind seine traumhafte manuelle als auch seine musikalisch-geistige Sicherheit auch bei den komplexesten Passagen und die hypergeschmeidige Bogenführung, bei der man meint der Bogen wäre unendlich lang. Störgeräusche beim Strich des Bogens über die Saiten gibt es nicht, es kommt nur Klang bzw. Musik dabei heraus. Bezüglich der Gestaltung der Tempi in allen drei Sätzen legt er den Maßstab für die schnelle Geschwindigkeit. Nach unserem Empfinden müsste die Musik nicht unbedingt so schnell gespielt werden. Es schadet ihr jedoch nicht, wenn es so gemacht wird. Vielleicht wollte Herr Heifetz damit auch seine geigende Konkurrenz düpieren? Schließlich hat sich nach Heifetz 21 Jahre niemand mehr an eine Aufnahme auf Schallplatte rangetraut, bis es 1974 Ulf Hoelscher gewagt hat. Sicher, das Konzert wurde eigentlich für Bronislaw Huberman geschrieben, aber besser hätte er es höchstwahrscheinlich auch nicht machen können.

Im zweiten Satz geht Heifetz´ Spiel trotz dieser seltsamen emotionalen Zurückhaltung richtig unter die Haut. Es trägt, obwohl die Crème de la Crème des Geigenspiels in unserem Vergleich mit ihren Aufnahmen anwesend war, schon leicht übermenschliche Züge.

Im dritten Satz hören wir ein wild entfachtes geigerisches Feuerwerk, unglaublich kraftvoll. Das Orchester wird einmal mehr etwas zu sehr in den Hintergrund gedrängt, was der Einspielung den Platz ganz oben gekostet hat. Das Tempo erscheint im Vergleich als aberwitzig. Einzig Gluzman und Ehnes lassen sich halbwegs darauf ein. Das passt aber unserer bescheidenen Meinung nach so gut zu dem Satz, dass man es eigentlich gar nicht mehr anders hören will. Aber wer könnte es? Denn es sollte dann auch ebenso völlig schlackenlos, mit dieser sagenhaften Präsenz und „rednerischer“ Klasse präsentiert werden. Auch hier beschleicht uns (ganz besonders) der Verdacht, dass Heifetz seine Konkurrenz schocken wollte. Und dass Herr Heifetz auch das Orchester beherrschte, dieser Verdacht wäre ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Aber bei diesem Eindruck ist die Aufnahmedisposition der Mono-Aufnahme wohl noch entscheidender.

Die Einspielung (wir hörten die besonders preiswerte Documents-Version) klingt ziemlich offen, weich, voll und dafür, dass sie noch monaural aufgenommen wurde erstaunlich transparent. Man vernimmt kaum Rauschen. Die Geige genießt gegenüber dem Orchester ein die Aufnahme prägendes Vorfahrtsrecht, man möchte meinen: völlig zurecht. Dennoch kann das Orchester so nicht ganz zeigen, was in der Komposition, besonders der aufwändigen und sehr gekonnten Orchestrierung drinsteckt. Dafür gibt es dann neuere Einspielungen, die das besser aufzeigen. Das Orchester spielt aufmerksam und ist eigentlich immer zur Stelle, der Solist stiehlt ihm aber sozusagen „die Show“. Die Übertragung auf Documents darf man dennoch als gelungen und empfehlenswert bezeichnen. Die neueste Überspielung aber hat Naxos gemacht. Ihr sagt man nach, dass sie die bislang beste sei. Wir konnten es allerdings nicht überprüfen. Auch so klingt die Aufnahme schon angenehm und erstaunlich weit. Standesgemäß fand die Aufnahme auf einer Soundstage eines Filmstudios statt, natürlich in Hollywood.

 

 

5

James Ehnes

Bramwell Tovey

Vancouver Symphony Orchestra

Onyx und CBC

2006

8:53  8:53  6:59  24:45

Dies ist eine Aufnahme des kanadischen Rundfunks CBC aus dem Orpheum Theatre in Vancouver. In USA und Kanada wird sie von CBC vermarktet, in Europa von Onyx, die Cover sind dabei bis auf das Firmenlogo identisch. James Ehnes spielt auf der Stadivarius „Ex Marsick“ von 1715, also aus der Goldenen Periode des Geigenbauers. Sie sollte nicht mit dem Instrument verwechselt werden, das David Oistrach einst spielte, das hieß zwar ebenfalls „Marsick“, weil Herr Marsick auch dieses Instrument einst besaß, aber dieses stammte bereits von 1705. Das Datum ist also zum Namen ebenfalls wichtig, wenn man den „echten“ Überblick behalten will.

Wie bei Vilde Frang und besonders bei Vadim Gluzman hören wir auch in dieser Einspielung ein Geigenspiel, das in der technischen Makellosigkeit an Jascha Heifetz denken lässt. Der Ton von Herrn Ehnes´ Geige ist voll, rund, warm und geschmeidig, ohne „Fehlfarbe“ oder wenn er eine Flöte spielen würde, ohne „Nebenluft“. Seinem Spiel merkt man keine Schwierigkeit an, auch die kniffeligste Hürde bleibt auf besonders leichte und lockere Art virtuos. So auch die „Stolperstrecke" während der Ziffern 6 bis 10. Das Orchester wirkt klar, bestens vorbereitet, ausdrucksvoll und nuanciert. Es klingt voll und einfach schön. Es fehlt allenfalls noch ein Quäntchen Autorität, wie wir sie beim LSO unter Previn (in den Aufnahmen mit Shaham und Mutter) oder bei den Wiener Philharmonikern unter Gergiev hören können. Ehnes spielt etwas gefühlvoller als der große Jascha Heifetz, er wirkt den Dingen nicht so enthoben.

Der zweite Satz wird traumhaft schön gespielt, sehr gesanglich, innig, klar und eingängig. Sehr romantisch, wenn man so will, ohne dabei je süßlich zu wirken. Und völlig schlackenlos, wie dies außer bei Heifetz insgesamt nur noch bei Vadim Gluzman (auch live), Vilde Frang, Baiba Skride und Nikolai Znaider gelang.

Im dritten Satz braucht sich der Geiger in Sachen vorantreibender Virtuosität vor niemandem zu verstecken. Bestechend immer wieder der warme und runde Klang seiner Geige, seine Treffsicherheit und musikalische Eloquenz. Das Werk wirkt in dieser Einspielung ganz besonders klar, hell und eingängig, wie es nur durch völlige Beherrschung des materiellen und des immateriellen Werkgehaltes möglich ist. Ein großer Wurf. James Ehnes beweist seine Klasse erneut uneingeschränkt in einem mitgeschnittenen Live-Konzert aus Berlin. Mehr darüber in unserer Liste mit den Rundfunkmitschnitten im Anschluss an die Liste mit käuflichen Tonträgern.

Die Aufnahme bringt einen hohen Aufsprechpegel mit, klingt sehr räumlich, voll und plastisch, farbig, warm und lebendig. Lediglich der Orchesterklang wirkte beim LSO und den Wiener Philharmonikern noch etwas üppiger.

 

 

5

Baiba Skride

Santtu Matias Rouvali

Göteborger Symphoniker

Orfeo

2017

9:48  9:12  7:28  26:28

Frau Skride spielt laut Wikipedia die Stradivari „Yfrah Neaman“ über die wenig bekannt ist. Außer dem mehr als Lehrer bekannten Yfrah Neaman, mit dem uns bisher keine Aufnahmen bekannt geworden sind, scheint sie bisher noch bei keinem allseits bekannten Virtuosen gelandet zu sein. Da war es aber mal an der Zeit, denn ihr Klang ist trotz ihrer geringen Präsenz auf den Podien großartig. Die Aufnahme fand in Göteborgs Konserthuis statt.

Das Spiel der Geigerin offeriert uns weit ausgreifende Kantilenen in denen ihr warmer ausgesprochen üppiger und wohlgeformter, einfach exzellent zu nennender Geigenklang jederzeit wunderschön ausschwingt. Die „Sehnsucht“ im ersten Satz wirkt bei ihr besonders stark ausgeprägt. Das Vibrato wird nicht übertrieben, bleibt jederzeit geschmackvoll und es wird kein übermäßiger Bogendruck angewendet. Geigerisch ist dies eine der allerbesten Aufnahmen überhaupt. Die Kadenz gefällt besonders durch ihre Deklamatorik. Wir haben den objektiv recht langsamen Grundduktus nie als tatsächlich langsam oder als zu langsam oder gar als schleppend empfunden, anders als bei den Aufnahmen mit Arabella Steinbacher. Denn es mangelt weder an Kontrastreichtum noch an vollendeten Klangschönheiten an jeder Abbiegung oder Kreuzung, sodass man von einem sinnlichen Höhepunkt zum nächsten gelangt. Wir hören eine „echte“ Zaubergeige, die offensichtlich von einer Zauberin gespielt wird.

Beim zweiten Satz fällt ein ums andere Mal der üppige, satte Klangteppich auf, den das Göteborger Orchester „unter“ der Solistin ausbreitet. Auf ihm kann sich der volle, runde Violinenklang besonders leicht erheben und wie schwerelos (trotz seines keinesfalls leichten Tons) dahinschweben. Die flexible, bestechende Artikulation, der hohe dynamische Ambitus und die wundervoll treffenden Rubati begeistern im zweiten Satz besonders. Trotz üppiger Spielzeit fliegt der Satz vor dem Hörer nur so dahin. Der Satz hätte mit Frau Skride ebenfalls den Zusatz „nobile“, wie der erste Satz, durchaus verdient, denn er klingt nobel und die Gefühlswelt in die er uns entführt, hat etwas Erhabenes.

Beim dritten Satz spielt die klangliche Disposition der Aufnahme stark in die musikalische hinein. Solistin und Orchester wirken extrem dicht beieinander und beide sitzen uns fast schon auf dem Schoß, so präsent ist diese Einspielung geraten. Von Räumlichkeit fehlt fast jede Spur. So wirkt das Spiel enorm kammermusikalisch und dialogisch. Man wird quasi mit der Nase auf die Korrespondenzen der Protagonistin mit dem Orchester gestoßen. Da fehlt nur noch ein etwas lebhafteres Tempo, damit die Eulenspiegeleien und die Scherzo-Elemente noch schelmischer wirken würden. Gegenüber der so in unmittelbarer Nähe vor uns ausgebreiteten Klangfülle wirken besonders die klaren HR-Sinfoniker oder auch die Orchester aus Den Haag oder Vancouver fast schon wieder anämisch. Ab und an gestattet sich Frau Skride mal einen ein wenig raueren Ton, wodurch der Slapstick-Charakter noch ein wenig unterstützt wird. Die üppig-schwelgerische, lukullische, dem Hollywood-Charakter zugewandte Seite des Konzertes sehen wir in dieser Einspielung hervorgehoben. In diese Richtung geht auch das extrem sinnliche Geigenspiel. Man kann so fast von einer Gegenposition zum kühleren, klaren Korngold-Bild Vilde Frangs sprechen. Faszinierend sind sie beide.

Der Klang ist besonders voll und bestens abgerundet, üppig, farbig und eher dunkel timbriert. Er ist überaus präsent, hat eine hohe Leuchtkraft und einen auffallend ausgeprägten Bassbereich zu bieten. Geige und Orchester zeigen keinen großen Abstand zueinander. Der selten üppige Klang wirkt allerdings im orchestralen nicht sonderlich transparent. Die Tiefenstaffelung wirkt ausgesprochen schwach ausgeprägt. Man nimmt hier einmal nicht die Konzertsaal-Perspektive ein, sondern wird mit auf die Bühne gesetzt. Ziemlich aufregend.

 

 

5

Daniel Hope

Alexander Shelley

Royal Stockholm Philharmonic Orchestra

DG

2013

8:53  7:52  7:07  23:52

Zehn Jahre nach der Produktion mit Anne-Sophie Mutter produzierte die DG ihre zweite Einspielung des Korngold-Konzerts. Nun in innerhalb eines unterdessen so beliebt gewordenen Konzept-Albums. Laut Tarisio sollte Hope übrigens die Guarneri del Gesu „Ex Lipinski“ dazu genutzt haben, die zuvor bereits von Young-Uck Kim gespielt wurde. Zu dieser Info gibt es die folgende kleine Geschichte: "Eines Tages erhielt ich aus heiterem Himmel einen Anruf und eine Dame sagte, sie wolle eine Investition tätigen", erzählt Hope der Deutschen Welle. Er sollte sich ein Instrument aussuchen, die Dame wollte es als Wertanlage kaufen, er sollte darauf spielen. "Für Künstler ist es kaum mehr möglich, sich diese Instrumente zu leisten, weil die Preisexplosion wahnsinnig ist", sagt Hope. Er entschied sich für die "Ex-Lipinski"-Geige von Giuseppe Guarneri del Gesù von 1742, benannt nach dem im 19. Jahrhundert bekannten Virtuosen Karol Lipinski, dem polnischen Konkurrenten Niccolo Paganinis.

Die Aufnahme entstand im Konzerthuset zu Stockholm.

Gibt es einen spürbaren Konflikt zwischen der Geige und dem Orchester? Falls ja, so ist er in dieser Aufnahme am ehesten zu hören. Jedenfalls scheint es besonders auf der Hut zu sein, wenn Hope sein Feuerwerk abbrennt. Seine Violine klingt offen und warm und es gelingen ihm ausgesprochen ausdrucksvolle Passagen. Allerdings wechseln sie sich mit technisch nicht ganz vollkommen gelungenen ab, gerade wenn man Heifetz, Ehnes, Gluzman, Lee, Frang, Skride oder auch Znaider noch im Ohr hat. Hopes Gangart ist jedoch im Ganzen dramatischer. Er zeigt vollen Einsatz auch da, wo es holprig für die allermeisten Solisten wird. Er drückt aber nicht so fest drauf wie Frau Mutter, deren „Überespessivo“ uns des Guten zu viel ist. Und er spielt lange nicht so locker wie z.B. Frau Ferschtman.

Im zweiten Satz entlockt Mister Hope seiner edlen Violine einen leuchtenden Klang, er spielt den Satz besonders spannend und schwelgerischer als die meisten. Trotz des recht zügigen Tempos. Die p-Werte hält er dagegen nicht immer genau ein, was aber auch an der Klangregie liegen könnte, denn die Geige wird im Klangbild stark bevorzugt und sie wird dicht vor unseren Ohren gespielt.

Im dritten Satz trifft Daniel Hope genau ins Schwarze. Er wirkt sehr fidel, enorm vital und besonders virtuos. Er investiert alles, was ihm zu Gebot steht. Dabei steht das „schöne Spiel“ als solches nur an zweiter Stelle, denn er lässt ganz schön die Fetzen fliegen. Der Perpetuum-Mobile-Charakter, den der Satz auch hat, wird bei ihm durch viele Akzente und eine kleinteilige Phrasierung durchbrochen. Kleinteiliger, aber auch prononcierter. Der letzte Satz ist klar der beste seiner Darbietung, damit spielt es sich sicher in viele Herzen hinein. Auch seine Begleitung durch das Stockholmer Orchester kann da gut mithalten, lediglich die Staccato-Partie ab T. 408 ist eine Winzigkeit verwischt, was übrigens bei nicht wenigen Einspielungen passiert. Da ist auch Previns LSO, das zwei besonders hellhörige „Begleitungen“ bereitstellt, nicht ganz gefeit.

Die Aufnahme ist sehr breit und tief gestaffelt. Obwohl die Geige groß im Vordergrund abgebildet wird, wirkt das Orchester nicht dahinter versteckt, klingt dynamisch und sehr farbig. Standesgemäß in Technicolor sozusagen.

 

 

5

Laurent Korcia

Jean-Jacques Kantorow

Orchestre Philharmonique de Liège (Lüttich)

Naive

2010

8:19  8:16  7:29  24:04

Laurent Korcia spielt auf der „Zahn“ von Stradivari, die ihm von der Investorengruppe Moët-Hennessy und Louis Vuitton zur Verfügung gestellt wurde. Auf ihr spielte früher einmal Salvatore Accardo.

Wir glauben zwar kaum, dass Monsieur Kocia von seinen edlen Instrumenten-Verleihern die Auflage erhalten hat, das Korngold-Konzert mit der sprudelnden Frische von Champagner zu spielen, aber man denkt unwillkürlich daran. Selten war der Ton einer Geige in unserem Vergleich so „kratzig“, aber gekonnt kratzig als eine Form des Ausdrucks würden wir meinen. Bei manchen kratzt es, weil es eben nicht anders geht. Das Kratzige geht bei Monsieur Korcia einher mit wenig Vibrato und schlicht gehaltener Phrasierung. Weiches Legato gibt es auch bei Korcia noch genug. Einige unebene Stellen bleiben stehen. Er spielt die schnellen Passagen extra schnell, um nicht zu sagen „hitzig“. Dabei wird sein Tempo teils extrem angetrieben. Andererseits ist er dem spannungsförderndem Rubato nicht abgeneigt. Er sucht andere Ausdrucksdimensionen auf, das reine Schönspiel gilt ihm nicht viel.  Es wird nichts einfach nur flott und glatt runtergespielt. Man höre sich nur einmal die expressiv „aufgebrochene“ Kadenz an. Bei Monsieur Korcia wird das Violinkonzert Korngold zur Schwester des Berg-Konzerts. Mit Jean-Jacques Kantorow und dem belgischen Orchester stehen ihm gleichgestimmte Partner zur Seite.

Der zweite Satz bietet Klangrede par excellence, die p-Anweisungen werden berücksichtigt. Die Phrasierung wirkt einer freien Improvisation angenähert. Hinzu kommen dann noch saftige Portamenti. Insgesamt wird eine besonders große Empfindungspalette durchlebt. Eine herzzerreißende Darstellung, teils zuckersüß, teils herb. Der Geiger wird von seinem Landsmann, selbst ein ausgezeichneter Geiger, auch in diesem Satz kongenial begleitet.

Der dritte Satz ist bei Laurent Korcia in den besten Händen. Das wirkt besonders unternehmungslustig, sogar abenteuerlustig. Clownesk-humorig mit allerlei Eulenspiegeleien. Da ächzt und stöhnt auch mal eine Saite. Die Tempokontraste sind groß. Das wirkt sehr spannend, rhythmisch, teils auch überdreht und ausgelassen. Da wäre die Satire, die Groteske nicht mehr weit. Da gibt es keine Sekunde Langeweile.

Die Aufnahme ist präsent und zeigt die Geige erneut in Großaufnahme, die mitunter wenig Orchesteranteil am Klangbild zulässt, wenn die Geige spielt. Insgesamt wirkt sie dennoch räumlich und sehr gut durchgezeichnet, zumindest wenn die Violine schweigt. Es könnte ein wenig brillanter klingen.

 

 

 

 

4-5

Hyeyoon Park

Lawrence Renes

Sinfonieorchester des BR

BR Klassik

2009

8:43  7:41  7:08  23:32

Bei dieser Einspielung handelt es sich um einen Teil des Preisträgerkonzertes des ARD-Musikwettbewerbs 2009. Hyeyoon Park war damals mit 17 Jahren die jüngste Finalistin in der Geschichte des Wettbewerbs. Sie spielt eine Violine des deutschen Geigenbauers Stefan Peter Greiner. Nach dem Gewinn schloss die junge Geigerin weitere Studien bei Christian Tetzlaff an.

Dabei ist an ihrer Darbietung eigentlich nichts auszusetzen. Sie erscheint, wenn sie eine Sportlerin wäre, super „austrainiert“ und auf dem Punkt fit. Sie kommt sehr gut über die technischen Klippen (Zi. 6 bis Zi. 10 einschließlich) hinweg, da kratzt nichts und die Rhythmen bleiben perfekt ausgespielt, nichts wird überhastet, weil man nachspringen muss, was man bei einigen, die des Studentenalters längst entwachsen sind, durchaus noch zu hören bekommt. Zudem behält sie immer den großen Bogen im Auge, die Tempi wirken absolut stimmig und so gewählt, dass sie damit keine Schwierigkeit zu entschärfen wäre. Sie ist keineswegs risikoscheu und riskiert auch mal was, wenn es dem Ausdruck dient. Ihr Ton hat eine hohe sinnliche Ausdruckskraft, auch wenn sie noch keine millionenteure Top-Geige italienischer Herkunft in Händen hält. Da fehlt wirklich nicht mehr viel. Sie spielt auch die Kadenz einfach toll. Es mag ihr die letzte Ruhe fehlen, aber angesichts des mehrtägigen Stresses durch den Wettbewerb mag das nur allzu verständlich sein. Zudem gewinnt sie durchaus Spannung aus der Situation. Sie hat alles erfolgreich hinter sich gebracht, sodass sie in der Lage ist, das musikalische Erleben an die erste Stelle zu setzen. Auch das Orchester scheint keine lästige Verpflichtung zu erfüllen, sondern spielt seinen Part meisterhaft.

Dem lässt sich im zweiten Satz nur wenig hinzufügen, das Spiel ist brillant und sehr ausdrucksvoll, das Vibrato angemessen.  Der dritte Satz gefällt fast noch besser. Hier scheint auch noch die letzte Last von der Solistin abgefallen, denn ihr Spiel wirkt nun quirlig und unbekümmert. Der Scherzo-Charakter wird sehr deutlich und die fetzigen Pizzicati sprechen ebenfalls von toller Spielfreude. Der Enthusiasmus tut dem Satz ausgesprochen gut. Da mag das Orchester nicht zurückstehen und es macht tatsächlich einen ausgesprochen aufgeweckten Eindruck und spielt lebendiger als man es auf fast allen anderen Einspielungen hören kann. Völlig zurecht gab es begeisterten Jubel vom Publikum im Herkulessaal der Münchner Residenz.

Das Klangbild klingt offen und zeigt eine exzellente Transparenz. Die Staffelung des Orchesters in die Tiefe ist hingegen weniger ausgeprägt, aber gut. Auch die Dynamik kann überzeugen. Dass es sich bei der Einspielung um einen Live-Mitschnitt handelt, bekommt man während des Spiels gar nicht mit, man könnte eine Stecknadel fallen hören, so leise verhält sich das Publikum.

 

 

4-5

Nikolai Znaider

Valeri Gergiev

Wiener Philharmoniker

RCA

2006

9:11  8:44  7:21  25:1

 

Dies ist eine Produktion unter Studiobedingungen aus dem Wiener Musikvereinssaal. Herr Znaider spielt auf der „Hart, Kreisler“ von Guarneri del Gesù, die ihm von der Velux-Foundation geliehen wurde. Jeder, der sich Dachfenster von dieser Firma gekauft hat ist somit ein (allerdings sehr) kleiner Sponsor dieser Einspielung. Auf dieser Geige spielte, wie es ihr Name schon sagt, einst der berühmte Fritz Kreisler.

Herr Znaider verfügt mit ihr über eine sehr weiche, flexibel-kantable Tongebung mit der er den dynamischen Bereich nach unten vorbildlich ausschöpfen kann. Er spielt zudem mit detailreicher und fast schon filigraner Artikulation, intonatorisch und überhaupt spieltechnisch sehr sauber. Er verfügt über eine ausgezeichnete Balance von warmer und extrem klarer Tongebung, die sogar in den schnellen Partien sagenhaft tonschön und kantabel wirkt. Nikolai Znaiders Spiel erschien uns als absolut souverän. Er ließ den Satz nicht in einzelne Teile zerfallen, was in minderen Interpretationen leicht passieren kann. Die Wiener wirken ungemein aufmerksam, farbig und detailreich.

Im zweiten Satz trifft man auf anrührende Weise den richtigen Ton. Das Spiel wirkt makellos und erneut extrem nuancenreich, das Orchester gibt sich alle Mühe gegenüber dem Solisten nicht abzufallen, was in diesem Fall eine große Kunst ist. Der Gestus wirkt extrem introvertiert, innig und besonders „romantisch“.

Beim dritten Satz treffen leise Vorbehalte ein. Er könnte etwas temperamentvoller klingen. Er wirkt etwas zu edel (ja, das kann auch einmal ein Nachteil sein) und zu luxuriös und distinguiert. Der Gestus befördert den fröhlichen Charakter nicht gerade. Man hat nie das Gefühl, dass Herr Znaider einmal was riskieren würde. Alle, die in unsere Liste zuvor bereits genannt wurden, spielen mit mehr Feuer. Man darf annehmen, dass bei den überaus exzellenten Fähigkeiten (nicht zuletzt die Virtuosität betreffend) durchaus ein flotteres Tempo drin gewesen wäre. So ist auch der dritte Satz vor allem berückend schön, aber er haut uns nicht um, wie er das in den zuvor genannten Einspielungen viel eher machen konnte. Die Philharmoniker agieren mit viel klanglicher Brillanz, wenn sie mal auf sich aufmerksam machen dürfen. Die Staccato-Takte vor Zi. 115, bei denen die Londoner (und einige andere mehr) ein wenig ins Straucheln gekommen sind, legen sie sauber und mit einer gewissen Grandezza hin.

Die Aufnahme wirkt sehr transparent, warm und farbig. Das Orchester erklingt sehr gut gestaffelt und übersichtlich aufgefächert. Sie wirkt räumlich großzügig und sehr „sauber“. Sie ist eine der klangtechnisch ausgewogensten des Vergleiches. Gegenüber der zweiten Aufnahme mit den Wienern, Herrn Schmid an der Geige und Herr Ozawa am Dirigentenpult (aus Salzburg) wirkt sie ein wenig distanzierter.

 

 

4-5

Ilya Gringolds

Julien Salemkour

Copenhagen Phil (vormals: Kopenhagener Philharmoniker)

Orchid

2015

8:25  8:04  6:50  23:19

Diese Einspielung entstand im Konzertsaal der Königlich Dänischen Musikakademie. Herr Gringolds spielt heute die „ex Prové“ von Stradivari, eine Leihgabe eines nicht bekannten privaten Gönners. Wir konnten leider nicht ermitteln, wer zuvor bereits auf diesem Instrument Aufnahmen gemacht haben könnte. Anderen Quellen behaupten, er hätte zur Zeit der Einspielung noch eine „Guarneri del Gesù“ gespielt. Dem Klang nach zu urteilen könnte das sehr gut möglich sein. Wenn dem so war, dann hat er dieses sagenhaft klingende Instrument sicher nicht gerne zurückgegeben.

Der Klang dieser Geige, zumindest wenn sie von Herrn Gringolds gespielt wird, gehört jedenfalls zum Besten unseres Vergleiches. Er ist ganz besonders ausgewogen, sonor, samtig, warm-schimmernd, reichhaltig und wirkt einfach „edel“ und passt ganz hervorragend zum „nobile“ des ersten Satzes (die Satzbezeichnung des ersten Satz heißt, dies zur Erinnerung, „Moderato nobile“). Herr Gringolds spielt seine Geige aber auch sehr geschmack- und gefühlvoll. Technisch kommt er kaum je in Bedrängnis, nur die blöd liegenden Stellen bei der bereits vielfach genannten „Folterstrecke“ von Zi. 6 bis Zi. 10 (einschl.), bei der fast alle Geiger/innen mehr oder weniger kleine Probleme haben, gelingen ihm nicht ganz makellos. Die Kadenz wirkt wie aus Samt und Seide.

Den zweite Satz können wir uns nicht schöner gespielt und mit einem schöneren Klang vorstellen. Bisweilen hat diese Violine fast schon ein bratschenähnliches Timbre und Volumen. Nun legt der Geiger ein blühendes, vibratoreiches Cantabile auf, sehr geschmackvoll, ausdrucks- und ruhevoll. Am Rande zum Schwelgerischen trifft er dennoch den tief sehnsüchtigen Gestus mit großer Ernsthaftigkeit. Das Orchester begleitet ihn in großer Transparenz und recht vollem Klang.

Im dritten Satz schließlich zeigt Herr Gringolds endgültig, dass er auch ein begnadeter Virtuose ist. Bei aller Rasanz des Tempos (auch hier bleibt Heifetz unerreicht) klingt seine Violine immer noch stets üppig und klangsatt. Das Orchester agiert nicht ganz mit der rhythmischen Präzision der allerbesten, es wurde jedoch durchaus sehr gute Arbeit in Kopenhagen geleistet.

Der Klang erscheint ebenso voll, satt und üppig wie der Klang der Geige. Transparenz und Staffelung des Orchesters ist gut, sein Klang farbig, warm timbriert und brillant.

 

 

4-5

Yiyoon Lee

Kristiina Poska

Odense Symphony Orchestra

Orchid

2017

9:33  9:21  7:35  26:29

Diese Einspielung fand in der Carl Nielsen Halle in Odense/Dänemark statt. 2017 war für die Solistin ein wichtiges Jahr, denn zu ihrem Plattenvertrag durfte sie auch noch über die Anstellung als 1. Konzertmeisterin bei der Staatskapelle Berlin freuen. Sie hat unter anderen auch bei Kolja Blacher in Berlin studiert und spielt heute eine Violine von Carlo Ferdinando Landolfi. Bei der Aufnahme, so haben die Ermittlungen ergeben, soll sie noch eine Geige von Petrus Guarnericus gespielt haben. Das wäre dann der Signore Guarneri aus Mantua gewesen, während Giuseppe Guarneri aus Verona die heutzutage ganz teuren Geigen gebaut hat. Er trägt den Namenszusatz „del Gesù“. In neueren Aufnahmen hört man das Werk eher mehr aus der Richtung Hollywood kommend als in der Erstaufnahme mit Jascha Heifetz. Diese Tendenz sieht man in dieser dänischen Einspielung nicht fortgesetzt.

Wahrlich „nobile“, ohne dickes, schwelgerisches Vibrato, sensibel und hoch differenziert spielt die junge Koreanerin ihren schwierigen Part. Unaufdringlich, stimmig und dabei technisch unanfechtbar. Im Charakter hebt sie die lyrische Seite hervor, die auch in diesem Vergleich hervorragende Virtuosität wird nie nur ausgestellt. Ihre Geige klingt in ihren Händen sehr schön, wie bereits bei Hyeyoon Park (oder Vilde Frang) registrieren wir, dass man nicht immer eine Stradivari oder eine Guarneri „del Gesù“ braucht um auch klanglich voll zu überzeugen. Ihrer Artikulation geht alles Raue ab. Auffallend ist das aufmerksam-geschmeidige Orchesterspiel aus der dänischen Provinz, das dem Orchester aus der Hauptstadt in nichts nachsteht. Im Gegenteil, man nimmt es als besonders aufmerksam und geschmeidig wahr. Man hört sehr gut auf die Solistin und genauso untereinander im Orchester, sehr gut verzahnt sind die Stimmen besonders gut aufeinander abgestimmt. Dieses Verdienst geht zu großen Teilen auch auf die junge Dirigentin zurück. Und natürlich auf die vorbildlich arbeitende Klangtechnik, die gegenüber der Kopenhagener Arbeit noch mehr Transparenz im Stimmenverlauf erreichen konnte und sozusagen die perfekte Balance gefunden zu haben scheint.

Recht langsam und ruhig wird das Seelenleben im zweiten Satz ausgebreitet. Das wirkt nun bei Frau Lee nicht ganz so hoch nuanciert wie bei Maria Dueñas oder Vilde Frang, aber völlig unforciert und ebenso „sprachbegabt“. Mit der Dirigentin ist sie sich absolut einig. Auf uns wirkte der Satz jedoch ein wenig zu langsam, aber bei der 31. Version kannten wir ihn auch schon ziemlich gut, beim ersten Hören saugt man all die gebotenen Nuancen sicher noch erheblich staunender auf. Obwohl das Orchester ein wenig heller klingt als das Kopenhagener, wie auch die Geige von Frau Lee heller als die von Herrn Gringolds, so klingt der Satz vielleicht aufgrund des Tempos emotional doch ziemlich düster. Die gekonnte Instrumentierung Korngolds kommt uneingeschränkt zur Geltung.

Während die lockere Konversation von Solistin und Orchester im Finale kein Verlust an Pointen zu Folge hat und die Poesie erhalten bleibt, bemerkt man nun doch, dass es dem Orchester gerade in leiseren Passagen an der Leuchtkraft der großen Namen (LSO, Wiener) fehlt. Der Satz hat gerade noch genug Feuer.

Die Aufnahme klingt sehr transparent und geradezu luzide. Man hat eine ausgezeichnete Balance von wohliger, balsamischer Anschmiegsamkeit und Quellwasserklarheit gefunden. Der Klang wirkt ziemlich kraftvoll und lebendig.

 

 

4-5

Renaud Capucon

Yannick Nézet-Seguin

Rotterdam Philharmonic Orchestra

Virgin

2009

9:32  9:05  7:17  25:54

Die Einspielung entstand in einem Sendesaal des Niederländischen Rundfunks in Hilversum. Monsieur Capucon spielt dabei die Guarneri „del Gesù“ „Panette“, die zuvor bereits Isaac Stern spielte. Damit sind wir wieder zurück in den Preislagen von 16 Millionen € an aufwärts.

Geigerisch geht bei Renaud Capucon alles locker von der Hand, Probleme gibt es bei ihm keine. Sein Vortrag wirkt sanft, zumeist auch brillant und er entlockt seiner Geige mit seinem geschmackvollen Vibrato einen fantastisch schön-schmelzenden Klang. Wenn Huberman, dessen beharrlichen Nachfragen beim Komponisten wir die Entstehung des Konzertes zu großen Teilen zu verdanken haben, tatsächlich einmal das Konzert gespielt hätte, wäre es wohl herber ausgefallen als bei Capucon. Bei diesem wirkt nicht nur die Kadenz ein wenig einförmig und glatt. Der erste Satz wirkt auch episodischer als bei Heifetz, der in seiner Einspielung von 1953 einen grandiosen Bogen über den ganzen Satz zu spannen in der Lage ist. Das Hauptproblem dieser Einspielung ist leider die Balance von Geige und Orchester. Allzu deutlich wird die Violine bevorzugt was genauso bedeutet, dass das Orchester benachteiligt wird. Wenn es mal von der Geige „befreit“ ist, trumpft es jedoch selbstbewusst auf und seine Klangfarben schimmern sehr schön auf.

Im zweiten Satz wirkt Monsieur Capucons Ton sehr sinnlich und gesanglich, der Klang mit dem Orchester wirkt nun räumlicher, auch wenn die Violine immer noch dominiert. Technisch ist dieser Geiger sehr sicher und er spielt den Satz wie in sich versunken.

Im dritten Satz kommt man aus dem Kichern kaum noch heraus. Der Geiger spielt locker und leger. Nézet-Seguin gibt mit seinem Orchester nun tüchtig „Gas“ und lässt es nun vom „Background“ wie ins Licht treten. Da kann es sich ein paar Mal straff und dynamisch für sein von der Klangregie verordneten „Schattendasein“ rehabilitieren.

Das Klangbild wirkt offen, voll, satt und üppig, genauso hat Korngold seine Partitur ausgearbeitet. Ob er sich seine hervorragende Orchestrierung aber so von der Sologeige versteckt sehen wollte, wagen wir zu bezweifeln. Warum sonst die ganze Mühe? Die Geige dominiert deutlich, das Orchester ist über weite Teile sein unscheinbarer Assistent. Wenn es einmal „freie Bahn“ hat, trumpft es mächtig auf. Das kann jedoch seine Verdeckung in den vielen anderen Passagen nicht wieder gutmachen. Schade, schade. Da wäre mehr „drin“ gewesen als wir zu hören bekommen.

 

 

4-5

Liza Ferschtman

Jiri Malat

Prager Symphoniker

Challenge

2017, live

9:55  8:40  7:18  25:53

Dies Einspielung wurde live im BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen aufgenommen. Frau Ferschtman spielt die Guarneri „del Gesù“ „Benno Rabinof“.

Ihr Ton wirkt etwas schmaler als bei Renaud Capucon, wobei man die Einflüsse von Mikrophonen oder Aufnahmeräumen bei diesen Eindrücken via Tonkonserve nicht unterschätzen sollte. Er mag vielleicht „schmaler“ wirken, bleibt aber gleichwertig. Ihre Tongebung wirkt fein, die Phrasierung liebevoll und sorgfältig mit akribischen Details. Dabei bewahrt sie sich (oder vielmehr uns) ein rhapsodisch freies Gefühl. Das Orchester hingegen kommt uns ein wenig zu vorsichtig vor. Von Sorgfalt zur Vorsicht ist es nicht weit und dann klingt es auch schnell ein wenig bieder. Es mag ihm auch gegenüber den zuvor gehörten Rotterdamer Philharmonikern ein wenig an Schmelz fehlen. Dafür spielen sie transparenter und erscheinen besser durchhörbar. Die Balance Violine/Orchester wirkt ebenfalls geglückter. In der Kadenz spielt Frau Ferschtman das Glissando voll und ziemlich auffällig aus, das wird nicht von jedem Solisten, jeder Solistin so praktiziert. Warum eigentlich nicht? Einige glätten es bzw. versuchen es ganz zu eliminieren, auch Heifetz, Ehnes oder Sporcl um nur einige beispielhaft zu nennen. Liza Ferschtmans Ton ist von bestechender Klarheit, man hat jedoch den Eindruck, dass der letzte Einsatz fehlt, wenn man Heifetz, Hope oder Korcia zu Rate zieht. Im Gegenzugs gibt bei ihr kein Quietschen und Ächzen.

Im zweiten Satz hören wir ein sehr schönes, unforciertes Espressivo. Zudem kann Frau Ferschtman auf ihrer Geige auch vortrefflich flüstern, während wir bei Monsieur Capucon den Eindruck hatten, dass er ein echtes pp meidet. Mit der Sordine ist der Klang der Geige bei Liza Ferschtman fast überirdisch schön.

Der dritte Satz wird zu einem fröhlichen Kehraus. Jedes Crescendo oder Decrescendo wird hörbar gemacht, wohlbemerkt dies ist eine Live-Aufnahme. Diese Geigerin kann sich sehr gut zurücknehmen, wenn es die Partitur erfordert, nicht zuletzt deshalb macht ihr Spiel auf uns einen sympathischen Eindruck. Sie lässt auch mal dem Orchester den Vortritt, was wir bei Herrn Capucon kaum einmal hörten.

Der Klang dieser auch mehrkanalig abspielbaren SACD ist weich, voll und luftig, transparent und ausgewogen. Die Balance von Violine und Orchester wird gut austariert. Gegenüber der Rotterdamer Aufnahme zuvor wirkt sie jedoch nicht ganz so brillant.

 

 

4-5

Benjamin Schmid

Seiji Ozawa

Wiener Philharmoniker

Oehms

2004, live

9:14  8:35  7:12  25:01

Bei dieser Live-Aufnahme aus dem Großen Festspielhaus Salzburg spielten die Wiener Philharmoniker das Stück tatsächlich zum ersten Mal, die „Abneigung“ dem Komponisten gegenüber aus der Nachkriegszeit scheint noch lange angehalten zu haben. Benjamin Schmid hatte schon einige berühmte Violinen „unterm Kinn“, da sind wir etwas unsicher, welche es bei diesem Konzert gewesen sein mag. Es kommen gleich zwei Stradivaris infrage, laut Wikipedia die „ex Viotti“, wobei es mit diesem Namen wieder mehrere Exemplare unterschiedlichen Herstellungsdatums gibt oder auch die „Guyot“ (laut „Tarisio“).

In dieser Einspielung fordert die Live-Situation einen höheren Tribut als bei Liza Ferschtman. Zu Anfang (bei der „Holper- oder auch Folterstrecke“ zwischen den Ziffern 6-10) sitzen die Töne nicht gerade perfekt. Herrn Schmids Geige erscheint mit einem zarten, filigranen Ton vor uns, nichtsdestotrotz ist sein Spiel mit großer Dynamik und großem Ausdrucksreichtum gesegnet, eigentlich ideal geeignet für das Korngold-Konzert. Der spontane Applaus nach dem ersten Satz zeugt sowohl von der Meisterschaft des Solisten und dem Glanz des Orchesters als auch davon, dass viele Besucher in Salzburg das Konzert wahrscheinlich zum ersten Mal gehört haben.

Gegenüber Nikolai Znaider in der zeitlich gesehen zweiten (und soweit erkennbar) auch bisher letzten Einspielung mit den Wienern hebt Benjamin Schmid die Filmmusikelemente etwas stärker hervor. Znaider erscheint dagegen als der „klassischere“ Musiker, während Schmid freier, ja fast rhapsodisch spielt. Er wirkt ausdrucksvoller, geht dafür jedoch mit erheblich mehr Vibrato zu Werke, sodass das Spiel zuweilen zu beben scheint und einen flehentlichen Charakter erhält. Darin wird Schmid nur noch von Anne Sophie Mutter übertroffen. Das Orchester schafft dazu einen wundervollen Klangteppich.

Im dritten Satz zieht Schmid eine breite Palette an Klangfarben, während Ozawa das Orchester zu einer gewissen Dringlichkeit, sogar Biss anhält.

Klanglich ist diese Einspielung durchaus ebenfalls transparent und gut gestaffelt und wirkt sogar etwas präsenter als die zwei Jahre später entstandene Aufnahme im Wiener Musikverein. Die Wiener wirken im Musikverein jedoch erheblich brillanter, plastischer, noch klarer und breitbandiger. Für eine vom Rundfunk aufgenommene Live-Aufnahme wirkt der festgehaltene Klang durchaus reichhaltig und dreidimensional, aber leider auch ein wenig diffus.

 

 

4-5

Gil Shaham

Andre Previn

London Symphony Orchestra

DG

1994

8:55  8:40  7:15  24:50

Das LSO und Andre Previn spielten hier zum ersten Mal gemeinsam das Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold ein. Zehn Jahre später sollte (ebenfalls für die DG) eine zweite, dieses Mal mit Anne Sophie Mutter als Solistin erfolgen. Andre Previn erscheint als besonders geeigneter Dirigent für dieses Konzert, denn er hat u. a. selbst Filmmusik geschrieben und weiß, wie man sich fühlt, wenn man als ein Vertreter der U-Musik im Lager der E-Musik akzeptiert werden und erfolgreich sein möchte.

Seit seinem 18. Lebensjahr spielt Gil Shaham die „Gräfin Polignac“ Stradivari von 1699, die er auch bei dieser Aufnahme benutzt haben dürfte; unterdessen bekam er vor ein paar Jahren auch eine „wunderschöne“, wie er verlauten ließ, Stradivari von 1719 geliehen, die ihm viel Spaß mache und er spielt zudem mit viel Freude auf einem modernen (damit meint man die in unserer Zeit gebauten) Instrument. Mit Gil Shaham, der das Korngold-Konzert immer wieder gerne spielt, liegen noch drei Live-Mitschnitte vor, die von verschiedenen Sendern übertragen wurden, die wir kurz in einer kleinen Liste im Anschluss an die kommerziellen Einspielungen vorstellen wollen. Insgesamt und nicht zuletzt wegen der besseren Klangqualität gefiel uns die Studioaufnahme aus London, die zugleich die älteste der vier Aufnahmen ist, als der Geiger gerade einmal 23 Jahre zählte, am besten.

Sein Klang wirkt (auch in jungen Jahren schon) golden und trotz aller Jugend bereits aristokratisch, während Heifetz zwar atemberaubend, aber doch in gewisser Weise dagegen unnahbar und unnachgiebig erscheint. Gegenüber der unter ganz ähnlichen Voraussetzungen entstandenen Einspielung mit Anne Sophie Mutter (gleicher Dirigent, gleiches Orchester, gleiche Firma nur zehn Jahre später) wirkt sein Ton verträumter, ätherischer, schwebender und nicht so „aufgemotzt“. Auch ein bisschen wärmer und wenn man so will herzlicher. Herr Shaham nutzt ebenso viel Vibrato, es wirkt aber nicht so aufgeregt, oder besser: nicht so erregt, nicht so hyper-ausdrucksvoll wie bei der deutschen Vorzeige-Geigerin. Die Melodien können besser ausschwingen. Er „überhitzt“ die Musik nicht, sentimental oder süßlich klingt es, wie bei den Darbietungen zuvor bei Shaham ebenfalls nicht. Das Orchester spielt souverän, es scheint bei André Previn in den besten Händen zu sein. Von allen Aufnahmen mit Gil Shaham konnten wir bei dieser, seiner ersten die beste Verzahnung seines Spiels mit dem jeweiligen Orchester feststellen.

Der zweite Satz klingt viel entspannter als bei Heifetz, vor allem jedoch als bei Anne-Sophie Mutter. Es klingt ebenso klar wie schattierungsreich und filigran, allerdings nicht ganz so sonor und etwas silbriger als bei Heifetz oder Mutter. Die „Comtesse de Polignac“ ermöglicht jedoch ebenfalls den „crèmigen“ Klang, die man besonders mit den besten „alten“ Instrumenten italienischer Provenienz in Verbindung bringt.

Im dritten Satz wirkt das Spiel etwas „lässiger“, lockerer und mit viel weniger Bodendruck als in der Aufnahme mit Mutter 2003. Das Tempo allerdings ist um Entscheidendes abgebremst, sodass der Überschwang und der Spielwitz (merkbar vor allem im direkten Vergleich) ein wenig auf der Strecke bleibt.

Das Orchester klingt 1993 zumindest im ersten Satz besser durch als 2003 bei Mutter, so hat man den Eindruck. Ob da der zartere Geigenton die Ursache ist oder eher die aufnahmetechnische Disposition kann uns als Hörer(in) letztlich egal sein. Das Orchester selbst ist fast ebenso gut eingefangen wie 2003, wobei uns letztere Aufnahme als SACD vorlag. Der Klang wirkt 1993 sehr lebendig, leider verfügt die Gran Cassa 1993 noch nicht über den „Wumms“ der 2003er Aufnahme.

 

 

4-5

Kristóf Baráti

Otto Tausk

Philharmonie Zuidnederland

Brilliant Classics

2014, live

8:25  8:25  6:45  23:35

Diese Einspielung entstand live im Muziekgebouw Eindhoven. Mit dem Geiger liegen uns noch zwei weitere Live-Aufnahmen vor, die es nicht auf Tonträger geschafft haben. In den anderen Aufnahmen von SWR und NDR sind als Orchester die Deutsche Radiophilharmonie und die NDR-Radiophilharmonie unter Tarmo Peltokoski. Von den drei Orchestern zeigt die Deutsche Radiophilharmonie die beste musikalische Präsenz (Leitung: Jaime Philips), während der Geiger in Eindhoven am saubersten spielt.

Der Solist scheibt über seine Geige in einem Artikel für „Tarisio“: „Ich spiele die „Lady Harmsworth“ seit mehr als 12 Jahren. Ich habe sie bekommen, nachdem ich zwei Jahre lang kein eigenes Instrument hatte. Diese Jahre waren ziemlich hart. Man probiert ein Instrument einen Monat lang aus, spielt damit, und wenn man keinen Sponsor findet, muss man weiterziehen und ein anderes ausprobieren. Dieses Instrument ist jetzt Teil der Stradivari Society, und es so lange zu besitzen ist ein Privileg.

Man muss sich mit seiner Geige anfreunden. Und wie in einer menschlichen Beziehung ist nichts statisch. Es ändert sich ständig – je nach Wetterbedingungen oder Spielweise beginnt es anders zu schwingen. Und eine Stradivari ist nie ein einfaches Instrument. Sie bietet keinen billigen Nervenkitzel, es ist wie das Handling eines Sportwagens. Man muss alles kontrollieren, um die Leistung, die einem zur Verfügung steht, optimal zu nutzen. Eine „del Gesù“ ist in der Regel sehr nachsichtig, normalerweise mit einem sehr großen und schönen Klang, aber sie sind etwas weniger geheimnisvoll, man verliebt sich leichter in sie. Stradivaris haben Qualitäten, die nicht sofort offensichtlich sind. Die Klangfarben können zunächst geheimnisvoll sein, aber es lohnt sich, sie zu kontrollieren und zu beherrschen.

Die „Lady Harmsworth“ hat einen sehr gleichmäßigen Ton über alle Register hinweg. Das habe ich bei anderen Instrumenten nur sehr selten erlebt. Manche haben eine fantastische G-Saite und sind perfekt für das Violinkonzert von Sibelius. Andere sind weicher und schöner in den höheren Registern, was sie besser für Mozart macht. Was mir an diesem Instrument wirklich gefällt, ist, dass es keine Schwachstellen gibt, und ich nehme an, das Stradivari-Modell der goldenen Periode basiert auf der Suche und dem Finden dieser perfekten Balance.

Klanglich gesehen hat diese Geige eine dunklere Farbe als üblich, die die Projektionskraft jedoch nicht beeinträchtigt. Sie kann einen sehr kraftvollen, direkten Klang oder einen schönen Ton haben, aber beides kommt nicht oft zusammen. Vielleicht müssen sich die Hersteller irgendwann entscheiden, ob sie eine Kammermusikgeige oder ein kraftvolles Instrument wollen, bei dem sie letztendlich einige Nuancen der Klangqualität opfern. Aber in diesem Fall besteht eine perfekte Balance zwischen diesen Faktoren. Ich kenne einige kraftvollere Instrumente, aber ich kann mit der „Lady Harmsworth“ immer noch das Brahms-Konzert spielen. Und ich habe damit viele Alben für Brilliant Classics aufgenommen, von der unbegleiteten Musik von Bach und Ysaÿe über Beethovens Sonaten bis hin zum Korngold-Konzert.“

Er spielt in Kaiserslautern mit der Deutschen Radiophilharmonie im gleichen Jahr draufgängerischer, geht zur Intensivierung des Ausdrucks höhere Risiken ein. Im Gegenzug klingt der Ton seiner Geige in Eindhoven, da wusste er, dass eine CD mit der Aufnahme produziert wird, ein wenig zurückhaltender, weniger rau und im Ganzen „lieblicher“.

Beim zweiten Satz differenziert er sorgfältiger als in Kaiserslautern. Die Tempovorstellungen haben sich in der kurzen Zeit zwischen den beiden Konzerten nicht geändert.

Der dritte Satz erklingt locker und temporeich. Otto Tausk treibt sein Orchester ganz schön an und er sorgt (mit der Klangtechnik) dafür, dass das Orchester ein ungewöhnlich starkes Gegengewicht zur sonst meistens „übergewichtigen“ Geige ergibt.

Der Klang der Aufnahme wirkt klarer als in Kaiserslautern, die jedoch insgesamt besonders präsent ist, aber auch etwas dicht wirkt.  In Eindhoven ergibt sich ein etwas distanzierteres Klangbild wie in Hannover. Dynamisch wirkt die CD-Produktion deutlich „erwachsener“ als die beiden Radio-Mitschnitte, was, der Komposition geschuldet, nur bei den Finali der Sätze eins und drei richtig zum Tragen kommt.

 

 

4-5

Pavel Sporcl

Jiri Kout

Prager Symphoniker

Supraphon

2008, live

9:28  8:29  7:19  25:16

Bei diesem Mitschnitt kommt das Prager Orchester zum ersten Mal beim Korngold-Konzert zum Zuge. Ebenfalls live spielte man das Violinkonzert mit Pavel Sporcl neun Jahre vor dem Mitschnitt mit Liza Ferschtman ein. Allerdings zuhause im Prager Smetana-Saal. Der Geiger, der in jungen Jahren, ähnlich Nigel Kennedy, gerne gegen Tradition, Konventionen und Regeln allgemein rebellierte und wahrscheinlich deshalb, aber auch um die Jugend ins klassische Konzert zu locken mit einem Piratenkopftuch auftrat, spielt auch heute noch mit einer blauen Violine des tschechischen Geigenbauers Otakar Spidlen, der allerlei Weiterentwicklungen in den „Neubau“ mit einfließen ließ. So verwendet er unter anderem Titanschrauben und Kohlefaser für den Bassbalken.

Er präsentiert das Konzert mit einem langsamen, nachdenklichen Beginn und mit einem zurückhaltenden, erzählenden Gestus. Der Ton seiner Geige hat nicht ganz den erwärmenden Glanz der Geige der Herren Gringolds oder Gluzman. Wenn man aber nicht die Goldwaage anwendet, ist der Unterschied kaum der Rede wert, schon gar keine Millionen. Aber wie wir wissen, gehen da die Meinungen mitunter deutlich auseinander. Jedenfalls klingt es auch bei Herrn Sporcl wunderbar leuchtkräftig und eigentlich ist es ein Wunder, wie man aus einer Geige diese Töne zaubern kann, wie es alle hier vertretenen Geiger und Geigerinnen tun. Ähnliches gilt übrigens auch für die Perfektion des Spiels. Sporcl spielt ein hervorragendes Legato und sein Piano-Spiel trägt immer noch ausgezeichnet.

Im zweiten Satz bevorzugt Herr Sporcl ein lyrisches Aussingen, wie bei Herrn Gringolds, wobei ihn sein crèmiger Klang vortrefflich unterstützt. Wie bei Heifetz und einigen anderen kann man sich auch bei ihm keinen Bogen mehr vorstellen, der über Saiten streicht.  Auch bei ihm verschwindet die eigentlich Klangerzeugung völlig hinter dem Klang. Allerdings könnte das Orchester mitunter durchaus profilierter klingen.

Der dritte Satz wirkt gut gelaunt und humorig. Das Orchester kommt irgendwie nicht so richtig mit. Nicht im Rhythmus aber ansonsten es wirkt insgesamt gegenüber dem Solisten ein wenig zu defensiv.

Der Klang der Aufnahme ist sehr warm und angenehm weich. Das Orchester könnte brillanter klingen und die ganze Aufnahme ein wenig transparenter und dynamischer.

 

 

4-5

Caroline Goulding

Kevin John Edusei

Berner Sinfonieorchester

Claves

2017

9:00  8:45  7:17  25:02

Caroline Goulding spielt die Stradivari „General Kyd“, man muss allerdings richtigerweise schreiben „eine“ „General Kyd“, der General hatte nämlich einige Stradivaris besessen. Da gibt es auch die „General Kyd, Perlman“ von 1714, die wie der Name schon sagt, einmal Itzhak Perlman gehörte und mit der er seine meisten Einspielungen von 1980-1990 gemacht hat. Sie ging später an Uto Ughi und Nadja Salerno-Sonnenberg. Gouldings „General Kyd“ ist von 1720.

Auch diese Geigerin weiß ausdrucksvoll mit ihrem Instrument umzugehen und spielt es nahezu makellos in Intonation und Phrasierung. Fein, „süß“ und durchaus mit Rubato. Nur in den schwierigsten Passagen (das ist immer dieselbe zwischen Zi. 6 und einschl. Zi. 10 des ersten Satzes) gelingt ihr die Tongebung nicht ganz nebengeräuschfrei.

Besonders schön treten die Geige und das Orchester im zweiten Satz in Konversation, wobei das Orchester genauso plastisch und mitteilsam wirkt wie die Solistin. Das wirkt ausgesprochen nuanciert und gefühlvoll und konnte uns ganz besonders überzeugen.

Der dritte Satz wird zum glanzvollen Rausschmeißer, der mit viel Musikalität gespielt wird. Auch hier überzeugt das absolut „passgenaue“ gemeinsame Musizieren.

Auch in dem Klangbild der Schweizer Aufnahme hat die Violine einen prominenten Platz ergattert. Der Klang ist bestens ausbalanciert (besser als in den meisten Konzertsälen). Er ist brillant und körperhaft, nicht nur die Violine, auch das Orchester und zudem sehr ausgewogen. Der gut konturierte Bass sollte noch besonders erwähnt werden. Eine sehr gelungene Einspielung, musikalisch und klangtechnisch!

 

 

4-5

Alexander Gilman

Perry So

Cape Town Philharmonic Orchestra

Oehms

2017

9:40  8:53  7:42  26:15

Derzeit spielt der in Bamberg geborene Solist (laut seiner Website) eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini, ob das 2017 ebenso war, können wir nicht mit Sicherheit behaupten. Die Quellen geizen immer gerne mit exakter Angabe von Daten. Laut „Camerata München“ spielte er noch eine Violine von Ferdinando Gagliano aus dem Jahre 1775.  Sie lässt, wie auch immer es sei, einen großen, enorm tragfähigen Ton hören, der zarteste Abstufungen erlaubt, zumindest in dieser Einspielung aus Südafrika. Im Konzertsaal mag manches anders klingen, aber das gilt bekanntermaßen für alle Aufnahmen. Herr Gilman braucht für seinen großen Ton jedenfalls kein erdrückendes Vibrato und keinen allzu schweren Bogendruck. Er lässt sich Zeit für das Korngold-Konzert, sein makelloser Klang dankt es ihm. Dabei verliert er den großen Bogen keinesfalls aus den Augen. Die Risoluto-Staccato-Passage gelingt absolut makellos, ohne dass er forcieren müsste. Er will nicht mehr aus dem Konzert machen, als es ist. Überhaupt hat man nicht das Gefühl, dass die jungen Geiger und Geigerinnen unserer Zeit das Konzert noch als rehabilitierungsbedürftig ansehen würden. Es gehört offensichtlich mittlerweile mit zu ihrem Standardrepertoire. Das hierzulade völlig unbekannte Orchester aus Kapstadt ist ihm ein gleichberechtigter Partner.

Im zweiten Satz geht der Solist ebenfalls anscheinend völlig unaufwändig und „natürlich“ vor. Auf diese Weise sollte sein Spiel den Weg in die Herzen der Zuhörer/innen finden. Artikulation, Phrasierung und Tonbildung: schnörkellos, einfach, geradlinig, aber sicher und makellos. Der Klang mit der Sordine kann man in jedem Fall als verführerisch bezeichnen. Auch die rhythmischen Vertracktheiten werden extrem locker und klar gemeistert.

Außer dem „gemütlichen“ Tempo gibt es auch im dritten Satz keine Schwachpunkte auszumachen. Im schnellen Satz (Allegro assai vivace, 6/8, in punktierten Vierteln zu dirigieren) nimmt es jedoch viel vom Perpetuum Mobile-Charakter weg und das humorige, scherzhafte, „veräppelnde“ der Vorlage (der Film „Der Prinz und der Bettelknabe“) kommt ein wenig zu kurz. Da hätte es eines „gepfefferten“ Tempos bedurft. Das Orchester und der Dirigent leisten wirklich gute Arbeit und bilden mit dem Solisten ein prima Team. Kapstadt war uns bisher kaum als „Klassik-Hochburg“ ein Begriff. Bisher sind uns keine weiteren Einspielungen mit diesem Orchester zu Ohren gekommen. Diese Aufnahme ist nahezu unbemerkt erschienen und nahezu unbemerkt wieder aus dem Angebot verschwunden. Das hat sie nicht verdient, denn in einigen Aspekten gefiel sie uns sogar besser als die Aufnahme aus Salzburg mit Benjamin Schmid, den Wienern und Seiji Ozawa, die ebenfalls von Oehms (13 Jahre zuvor) veröffentlicht wurde. Große Namen verkaufen sich einfach besser.

Der Klang der Aufnahme ist großräumig mit einer ordentlichen Abbildung auch in die Tiefe. Sie macht den „Klangzauber“ des Konzertes besonders leicht zugänglich. Die Violine ist bestens ins Orchester eingebettet. Da gibt es keine Verlierer. Diese Einspielung war die Überraschung unseres Vergleiches. Schade, dass die Mitwirkenden schon wieder ein bisschen aus dem Fokus der Musik-Industrie verschwunden sind.

 

 

4-5

Anne-Sophie Mutter

Andre Previn

London Symphony Orchestra

DG

2003

8:34  7:53  6:57  23:24

Die Einspielung entstand in der Henry-Wood-Hall in London. Frau Mutter ist stolze Besitzerin von zwei Stradivaris. Ihre erste war die „Emiliani“ mit der sie in den Aufnahmen mit Herbert von Karajan zu hören ist. Später kam die „Lord Dunn-Raven“ hinzu, die zu ihrer „ersten“, ihrer bevorzugten Geige wurde. In einem Interview erwähnte sie, dass sie die „Emiliani“ immer dann bräuchte, wenn die „Lord Dunn-Raven“ kaputt ginge. Auch ein Jascha Heifetz reiste mit einem Doppelkoffer, sicher ist sicher. Schließlich handelt es sich um wahrlich zerbrechliche „Antiquitäten“, ohne die es zu keinem Auftritt kommt. Und welche(r) Solist(in) möchte ihren Auftritt schon mit dem fremden Instrument eines Orchestermusikers spielen.

Anne-Sophie Mutter zeigt eine imponierende geigerische Leistung, die man getrost zu ihren besten zählen darf. Bei uns erweckte sie allerdings eher großen Respekt als dass sie zu unserer Lieblingseinspielung geworden wäre.

Der erste Satz klingt nun weniger verträumt oder nostalgisch als schmachtend. Der Ton der Violine wirkt zwar voll, rund, leuchtend und tiefgründig, aber leider spielt Frau Mutter mit sehr viel Vibrato und sehr viel Bogendruck. Sie gibt vollen Einsatz und wirkt viel aufgeregter als der jederzeit coole Heifetz. Ihr Geigenklang bebt geradezu vor Espressivo. Auf Dauer wirkt dieses Espressivo bei jeder sich bietenden Gelegenheit jedoch ermüdend, es nutzt sich ab. Die schon vielfach angesprochene Passage von Zi. 6 bis Zi. 10 (einschl.) gelingt auch Anne-Sophie Mutter nicht ganz schlackenlos. Sie spielt in der Kadenz kein Glissando, wirkt es zu unfein? In der Partitur ist es keineswegs ad libitum gekennzeichnet.  Das Risoluto spielt sie mit viel Herz und noch mehr Seele. Engagierter kann man diesen Satz nicht spielen und das Orchester wirkt sorgfältig und präzise.

Sie baut übrigens ähnliche Blue Notes ein wie Heifetz, allerdings wirken sie bei Frau Mutter ein bisschen gewollt und aufgesetzt. Im zweiten Satz gibt es Klangzauber pur (zumal als SACD). Das Orchester wirkt nun weniger überdeckt, da die Solistin auch mal leiser spielt. Man erkennt die gute Zusammenarbeit von Solistin und Dirigent, die damals noch miteinander verheiratet waren. Sie wirkt in diesem Satz freier, trägt aber immer noch stark auf (das dürfte erneut nicht jedermanns Sache sein), spielt jedoch nichtsdestotrotz farben- und facettenreich. Ein intensives Erlebnis.

Der dritte Satz gefällt am besten. Sehr virtuos und zugespitzt, mit Verve gelingt er sehr gut. Er wirkt fast schon „athletisch“, so kraftvoll wird gespielt. Die lyrischen Passagen klingen mit Wärme, Leidenschaft und viel Schmelz (kein Schmalz). Da ist auch viel „Pfeffer“ im Spiel, der uns bei Herr Gilman noch gefehlt hat. Previn ist mehr als ein Sachverwalter Korngolds und mehr als ein dienernder Begleiter. Mit dem vortrefflichen Orchester wird er sowohl der europäischen als auch der amerikanischen Seite des Konzertes sehr gut gerecht. Mutter spielt das Konzert besonders emotional, viel emotionaler als Ferschtman, Gilman, Znaider oder Capucon. Und auch als Heifetz, dessen Aufnahme, wenn man wieder zu ihm zurückkommt, immer wieder düpierend auf die anderen Einspielungen wirkt. In gewisser Hinsicht bleibt sie unerreicht, selbst wenn sie sicher nicht allen Aspekten des Werkes vollends gerecht wird.

Die Violine ist auch in dieser Aufnahme großformatig vor das Orchester gesetzt. Diese Tendenz ist umso größer, desto mehr „Star“ in der Einspielung drinsteckt. Das war bei Heifetz so und bei Perlman, dessen Einspielung erst später noch ln unseren Vergleich erscheinemd wird. Das Orchester klingt dem zum Trotz differenzierter, farbiger und plastischer als bei den anderen Star-Vehikeln. Besonders als bei der Perlman-Aufnahme, die pikanterweise ebenfalls von Andre Previn dirigiert wird. Bei Heifetz mag es auch an dem Mono-Klangbild liegen. Die Aufnahme vermittelt eine große Dynamik aber doch eher wenig Raumgefühl. Vor allem im ersten Satz wird die Violine groß und mächtig wie sie nun einmal abgebildet wird, recht dicht vom Orchester umrahmt. Später wird das besser. Wenn das LSO auftrumpfen darf, zumal wenn die Gran Cassa dabei ist, wird die Einspielung zu einem Klangfest.

 

 

4-5

Philippe Quint

Carlos Miguel Prieto

Orquesta Sinfonica de Minería

Naxos

2007

8:45  7:47  6:58  23:30

Dieses Mal scheinen doch einmal ein paar Worte zum Orchester angebracht. Es wurde als Amateurorchester gegründet und setzte sich ursprünglich aus Studenten der Bergbau-Wissenschaften zusammen (das deutsche Wort „Mine“ lässt sich sogar in seinem Namen „Minerá“ noch erkennen), heute ist es eines unter vielen Profi-Orchestern in der dem statistischen Bundesamt nach derzeit sechstgrößten Stadt der Welt, Mexico-City. Die Aufnahme entstand im Sala Nezahuaicóyotl in ebendieser Stadt. Ein Glück müssen wir diesen Saal nicht aussprechen.

Philippe Quint spielt die Stradivari „Ruby“, die zuvor schon von Dylana Jensen, Joseph Swensen, Leila Josefowicz oder Vadim Repin gespielt wurde. In Anbetracht dieser „Ahnengalerie“ überrascht der eher kleine Ton und die eher schlichte Tongebung mit der Herr Quint diese Aufnahme bestreitet. Er versucht dennoch nichts zu forcieren, sodass man fast annehmen kann, dass der eher dünne Ton aufnahmetechnische Gründe hat. Es fehlt im keineswegs an Leichtigkeit, jedoch an Grazie und an „Süße“. Wenn man das Konzert einmal ganz ohne „süßen“ Geigenklang hören möchte, wäre man mit dieser Einspielung vortrefflich bedient. Die Spieltechnik ist ausgezeichnet, wenngleich nicht dem Materiellen enthoben, wie es bei den allerbesten Vertretern in diesem Tableau den Eindruck macht. Das Orchester unterstützt den schlichten Charakter im Solistischen nach Kräften und man macht aus dem Hollywood-Glanz der Instrumentierung entsprechend einen schmucklosen Independent-Klang. So befreit von Glamour und Schwulst hört man das Konzert sonst nie. Es fehlt ihm allerdings die rechte Tiefe (Bass) und auch an der nicht gerade unwichtigen üppigen Reichhaltigkeit der einkomponierten Klangvaleurs.

Die sinnliche Komponente, die dem Stück in hohem Maß eigen ist, bleibt so auch im zweiten Satz unterbelichtet. Er wirkt nun sachlich und es ist durchaus vorstellbar, dass sich manch ein Musikfreund genauso eine Einspielung gewünscht hat. Vom äußeren Gewand her zu schließen, käme man kaum noch auf die Idee, dass dieses Konzert irgendetwas mit Hollywood zu tun haben könnte (es sei denn man kennt die Themen bereits aus den diversen Filmen). Ganz ohne Gefühlswärme und Stradivari-Süße geht es jedoch im zweiten Satz auch bei Philippe Quint nicht. Seine Geige bringt viele Valeurs ein und sein Spiel wirkt von A-Z höchstklassig. Vielleicht noch besser als im ersten Satz.

Der dritte Satz gefällt aber vielleicht doch noch besser. Nicht zuletzt das flotte Tempo lässt ihn vorantreibend wirken und humorig, gar schelmisch. Herr Quint spielt nun wunderbar virtuos und wirkt dabei noch nicht einmal angestrengt (im Gegensatz zum ersten Satz, der noch Spuren der Mühe erahnen ließ). Das engagiert spielende Orchester bringt sich nun nachdrücklich in Erinnerung. Dies ist eine markant anders klingende Darbietung des mittlerweile oft eingespielten Konzertes. Klar, ohne romantischen Überschwang oder Übertreibungen (je nach Standpunkt) oder gar Schwulst klingt es nun doch mehr nach 20. denn nach 19. Jahrhundert. Auch das ist Korngold.

 

 

 

 

4

Ulf Hoelscher

Willy Mattes

Radio-Orchester Stuttgart

EMI

1974

8:37  8:35  7:11  24:23

Ulf Hoelscher hat es nach 21 Jahren absoluter Abstinenz als erster gewagt, das Korngold-Konzert nach der ersten Einspielung durch Jascha Heifetz zum zweiten Mal einzuspielen. Keinesfalls um seinen Rang zu mindern wollen wir den Blick zunächst aber auf den Dirigenten und das Orchester der Einspielung richten. Willy Mattes, gebürtiger Wiener war nach Absolvierung der Matura 1935 und der Dirigentenklasse von Felix Weingartner an der Musikakademie 1937 in Wien bis 1939 Theaterkapellmeister in Oldenburg und Leipzig. Anschließend arbeitete er als Arrangeur und Komponist bei den Filmgesellschaften UFA und Tobis, für die er neben seinen Aufgaben als Assistent für Lothar Brühne seine ersten eigenständigen Filmmusiken schrieb. Außerdem dirigierte und arrangierte er Aufnahmen für Schallplattenfirmen und war für das Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester in Prag tätig. Mattes stand 1944 in der Gottbegnadeten-Liste des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Von 1944 bis 1951 war Mattes als Dirigent bei Sveriges Radio in Stockholm angestellt, anschließend beim Bayerischen Rundfunk in München und von 1964 bis 1974 beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart. 1960/1961 arbeitete er mit Walter Felsenstein zusammen an der Neufassung der Millöcker-Operette „Der arme Jonathan“. Sein berühmtestes eigenes Werk ist das Konzertstück für Klavier und Orchester „Swedish Rhapsody“, das von allen bedeutenden Orchestern in den USA gespielt wurde, dort mehrere Aufnahmen erfuhr und 1966 in dem MGM-Film „Madame X“ zu hören ist. In den Kredits verbirgt er sich hinter dem Pseudonym Charles Wildman, das er gelegentlich bei internationalen Filmarbeiten benutzte. Von 1975 bis 1980 bekleidete er den Abteilungsleiterposten für U-Musik beim RIAS in Berlin. Ab 1981 war er Gastdirigent beim Norddeutschen Rundfunk in Hannover. Dabei geht es uns um Folgendes, das belegen soll, wie man trotz des Pioniergeistes von Ulf Hoelscher noch immer wirklich von Erich Wolfgang Korngold dachte. Man beauftragte nicht die allererste EMI-Dirigentengarde mit dem Job, die wollte entweder nicht oder sie war vielleicht auch zu teuer. Es sollte besser einer sein, der sich mit Unterhaltung und Film auskennt. Dabei wollen wir keineswegs Willy Mattes zu nahekommen, er und das Orchester machen das genauso gut wie Wallenstein und die Philharmoniker aus Los Angeles.

Genauso beim Orchester. Dieses hieß Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, ein Radio-Orchester gab es zu dieser Zeit, wenn wir uns recht erinnern nur noch in München und in Köln (heute übrigens immer noch). Es sollte kein Verdacht erregt werden, die Musik könnte etwas mit „Sinfonie“ zu tun haben. In Korngold sah man damals anscheinend immer noch in erster Linie oder sogar ausschließlich einen Komponisten von Filmmusik.

Damals wusste noch nicht jedermann, welches Instrument der betreffende Geiger oder die betreffende Geigerin gerade spielte, und an Recherchemöglichkeiten gab es auch noch nicht viele.  Die Preise für die Instrumente waren zwar bereits hoch, aber noch nicht wie heute jenseits von Gut und Böse. Geiger/innen von internationalem Renommée konnten sich noch eine aus eigenem Einkommen leisten. Ulf Hoelscher sollte auf der Stradivari „Lady Tennant, Lafont“ gespielt haben, die heute übrigens von Yossif Ivanov gespielt wird. Sein leuchtender Klang braucht sich vor nichts und niemandem zu verstecken, an technischer Makellosigkeit könnte er mit den besten Virtuos/innen von heute nicht mehr ganz mithalten, zumindest wenn man von seiner Einspielung des Korngold-Konzertes ausgeht. Sein Spiel wirkt zwar nicht unsicher, die Artikulation und die Phrasierung erscheinen mitunter jedoch etwas unruhig. Das Orchester klingt nicht wesentlich transparenter als das LAPO in der Mono-Einspielung von 1953 mit Heifetz und Wallenstein. Die Vorlieben der Techniker sind eindeutig zugunsten des Solisten verteilt.

Im zweiten Satz bei dem die Violine erneut stark im Vordergrund steht, wirkt die hohe Expressivität ebenfalls etwas nervös, nicht aufgesetzt, aber doch hin und wieder ein wenig unsauber. Besonders gut gefällt der Klang mit der Sordine.

Gut gelaunt und recht flott stürzt man sich ins Finale. Das Orchester nutzt die Zeit, in der der Solist einmal schweigt nach Kräften zur eigenen Profilierung.

Der Klang der Aufnahme bildet wie bereits erwähnt die Violine sehr groß an der Rampe ab. Das Orchester befindet sich in respektvollem Abstand dahinter. Es könnte präsenter und transparenter klingen und klingt mitunter etwas zu mulmig und ein wenig zu hallig. Der Orchesterpart wird noch nicht in seiner ganzen Brillanz wiedergegeben.

 

 

4

Itzhak Perlman

André Previn

Pittsburgh Symphony Orchestra

EMI

1980

8:23  8:11  7:05  23:39

Es dauerte dann noch sechs weitere Jahre bis zur dritten Einspielung des Konzertes, dieses Mal setzte man bei EMI (nun nicht mehr vom deutschen Ableger sondern vom Stammhaus produziert) auf internationale Stars. Auch hier durfte sich ein filmmusikerfahrener Dirigent um den Orchesterpart kümmern.

Wie Anne-Sophie Mutter ist Itzhak Perlman einer der wenigen Geiger(innen), die die Instrumente auf denen sie spielten auch noch selbst besessen haben bzw. noch immer besitzen. Was natürlich auch zu einem gewissen Teil an ihren Einkommensverhältnissen gelegen haben dürfte. Die Finanzwelt hatte die Instrumente aber noch nicht so sehr als Anlageobjekt entdeckt, was die Preise schließlich komplett verdarb. Zur Zeit von Heifetz, Menuhin oder Isaac Stern war der Besitz noch Usus. Im Fall Perlmans lässt sich die Abfolge seiner Geigen gut nachvollziehen. 1959 kaufte Perlman seine erste namhafte Geige, eine von Pietro Guarneri, die heute „ex Perlman, Klausner“ heißt. Sie ist schon lange nicht mehr in seinem Besitz. Ab Mitte der 60er Jahre spielte er auf der Stradivari „General Kyd“, die anschließend von Uto Ughi gespielt wurde (bis 1992). In den 80er Jahre spielte Perlman auf der Carlo Bergonzi „Kreisler, Perlman“, sie ging 1987 an den Konzertmeister des Chicago Symphony Orchestra Ruben Gonzalez. Die Konzertmeisterstellen werden in den Vereinigten Staaten meist von wohlsituierten Sponsoren getragen, dies nur zur Erklärung. Dann kaufte er von Yehudi Menuhin, der ein bekannter Sammler speziell von Geigen war, die Stradivari „Soil“. Zeitweise nutzte er eine Geige speziell für den Sommer, eine andere für den Winter. Danach war er im Besitz der Guarneri „del Gesù“ „Sauret“, die er bis 2014 behielt.

Die Passage mit den vielen Fallstricken (von Zi.6 bis einschl. Zi. 10) wird auch von Itzhak Perlman nicht perfekt gemeistert, da quietscht es schon einmal hörbar dazwischen. Bei der Kadenz gestattet er sich Freiheiten und zieht sie durch wie ein Wirbelwind. Seine Darstellung wirkt hoch expressiv vom Anfang bis zum Ende.

Im zweiten Satz fehlte uns die rechte Verbindung des Solisten mit dem Orchester. Das sollte weitgehend aufnahmetechnische Gründe haben, denn das Orchester wird ähnlich wie in Los Angeles (1953), Stuttgart (1974) auch in Pittsburgh zu einem weitgehend säuselnden Stimmungslieferanten im Hintergrund. Perlman hingegen ist der souveräne Techniker und große Gestalter der ganz im Zentrum steht.

Auch in der aufnahmegeschichtlich dritten Aufnahme des Konzertes wird die Geige groß an die Rampe geholt, bei Perlmans Aufnahmen mit Orchester sowieso eine häufig beobachtete Praxis. Neben ihm verblasst das Orchester geradezu, auch weil die Aufnahmetechnik nicht hinreichend gegensteuert. Die drei ersten Aufnahmen werden der Klasse des Orchesterparts noch nicht vollauf gerecht. Dies ist die erste Digitalaufnahme, die zudem auch noch etwas hart, trocken, eng und flach wirkt. Nur bei wenigen Gelegenheiten bekommt das Klangbild eine gewisse Tiefendimension. Sie entstand zu der Zeit als die Techniker bei EMI die von oben herab verordnete Digitaltechnik (völlig zurecht) noch ablehnten. Man wollte von Produzentenseite nicht als rückständig dastehen.

 

 

4

Nicola Benedetti

Kirill Karabits

Bournemouth Symphony Orchestra

Decca

2012

9:39  8:22  7:20  25:21

Die Einspielung entstand in der Guildhall in Southampton. Natürlich kennen alle Geigerinnen und Geiger, die das Korngold-Konzert aufführen oder gar einspielen wollen, die Einspielung von Jascha Heifetz. Dass sich auch die Aufnahmeteams diese Aufnahme zum Vorbild nehmen, ist eigentlich keine Notwendigkeit, denn der Titan Heifetz dominiert das Geschehen aufnahmetechnisch gesehen eigentlich über Gebühr. Trotzdem hat man den Eindruck. Auch in diesem Fall ist die Violine der Solistin sehr nah am Hörer bzw. an der Hörerin dran. Zu nah. Das klingt schon wieder nach einer typischen Star-Aufnahme, bei der sich alles um den Exklusiv-Künstler dreht, in diesem Fall Nicola Benedetti. Frau Benedetti spielt ebenfalls eine Stradivari, die „Gavriel, Stark“, die einmal von Jaime Laredo gespielt wurde. Sie verfügt über eine bemerkenswerte Bandbreite des Ausdrucks und macht medienwirksam das Konzert für alle appetitlich. Ihr Spiel wirkt mitteilsam und ihr Ton wirkt saftig. Aber sie trägt fast das ganze Konzert, das Orchester unterstützt zwar, dringt aber nicht so recht durch. Da gingen Vilde Frang und James Gaffigan, um lediglich ein Beispiel zu nennen, deutlich tiefer in der Verzahnung der beiden Parts und das Konzert gewinnt eine Dimension hinzu. Das Orchester für sich betrachtet spielt auch an der britischen Südküste gut, besonders die Leichtigkeit des Holzes ist bemerkenswert. Der Klang führt jedoch die Solistin und das Orchester nicht recht zusammen. Man kommt nicht ins gemeinsame „Schwingen“, das die Einspielung von Vilde Frang und James Gaffigan so auszeichnet. Die britische Geigerin mit dem italienischen Namen bietet auch, wo wir gerade schon bei der Aufnahme von Vilde Frang sind, lange nicht die Differenzierungskunst der Norwegerin. Kirill Karabits dirigiert ebenfalls eine Aufnahme mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit Carlin Widmann nur ein Jahr zuvor, da war noch mehr Tempo und ein intensiveres Concertare zu hören. Auf die Aufnahme des Konzertes mit Carlin Widmann kommen wir in der separaten Liste mit den Radio-Aufnahmen noch kurz zurück.

Beim Klang der Aufnahme dominiert erneut die Violine, wir kamen bereits darauf zu sprechen, im Gegensatz zur Mono-Einspielung mit Heifetz und Wallenstein wirkt die Präsenz des Orchesters noch gerade so passabel, aber es liegen ja auch fast 60 Jahre zwischen den beiden Aufnahmen. Die gebotene Transparenz hat jedoch gegen die besten Aufnahmen aus „heutiger“ Zeit einen schweren Stand.

 

 

4

Chantal Juillet

John Mauceri

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

Decca

1995

10:01  8:52  7:51  26:44

Diese Einspielung entstammt der Decca-Reihe „Entartete Musik“ und wurde im Funkhaus Nalepastraße in Berlin-Köpenick aufgenommen. Dass es sich bei der Geige von Madame Juillet ebenfalls um eine Stradivari handelt, die „Spencer Dyke“, hätte man nicht unbedingt vermutet. Ihr Violinen-Klang wirkt eher hell, schmal und fast ein wenig dünn. Man geht den ersten Satz ziemlich langsam und bedächtig an. Die Problem-Passage von Zi.6 bis Zi. 10 klingt auch bei ihr nicht ganz sauber. Frau Juillet kann die spieltechnischen Tücken das ganze Stück über nicht ganz vergessen machen. Der Gestus des Satzes erscheint in dieser Einspielung besonders sehnsuchtsvoll, bedauernd oder sogar trauernd, weniger leidenschaftlich. Eine gewisse Grundspannung ist dem Satz trotz des ausladenden Tempos nicht abzusprechen. Noch langsamer im ersten Satz ist übrigens nur noch Arabella Steinbacher bei ihrer live im Radio gesendeten Aufnahme im Wiener Musikverein mit Santtu-Matias Rouvali. Der schlanke Orchesterklang konterkariert das Hollywood-Flair der Orchestrierung erheblich und bringt nochmals Seriosität mit ins Spiel, nimmt ihm aber auch einen Teil seiner Sinnlichkeit, zumal nicht gerade überschwänglich gespielt wird. Da war die Veröffentlichungsreihe mit ihrem Namen wohl bereits eine schwere Bürde. Darin ist diese Einspielung der Gegenentwurf zur Einspielung von Baiba Skride, die vor sinnlichem Klang ja schon fast platzt.

Im zweiten Satz wirkt das Vibrato der Solistin ein wenig flackernd und unstet, fragil und ein bisschen anämisch bei manchen Kolleg/innen mitunter geradezu aufblühenden Kantilenen, aber im Ganzen ließ er uns nicht unbeteiligt, denn die Darstellung wirkt sehr sanft und der Charakter wirkt erzählend-poetisch.

Im dritten Satz erscheint das Spiel durchaus pointiert, jedoch im Orchester mehr als bei der Solistin. Insgesamt spielt das Orchester genau aber doch ein wenig zu unaufdringlich und hintergründig.

Der Klang der Geige wirkt schlank, der des Orchesters ebenso. Leider wirkt das Orchester auch noch weggerückt. Dennoch übertönt es mitunter die Violine, die nämlich im p wie von Geisterhand bewegt von der Rampe wegrutscht. Besonders dem Orchester hätte mehr Körper gutgetan. Die Akustik erinnert in vielem an das Erlebnis in einem weniger guten Konzertsaal, das legendäre Studio mit der legendären Akustik hätte eigentlich die Chance geboten, es besser zu machen.

 

 

4

Thomas Albertus Irnberger

Doron Solomon

Israel Symphony Orchestra

Gramola

2015

8:52  7:54  7:22  24:08

Bei dem international gegenüber dem Israel Philharmonic Orchestra weniger bekannten Klangkörper handelt es sich um das Orchester der Oper in Tel Aviv.

Herr Irnberger legt eine expressive Darstellung in durchweg zügigen Tempi vor. Technisch gibt es wenig Probleme, hörbar sind sie erneut während der üblichen Passage von Zi.6 bis Zi. 10 (einschließlich) in Form von leichten Schleifgeräuschen. Andere Figuren klingen bei ihm auffallend beiläufig. Da er eigentlich sonst alles „im Griff“ hat, nehmen wir an, dass diese phasenweise Beiläufigkeit zur Gestaltung gehört. Das Orchester wirkt sehr weich und stark untergeordnet, man könnte in diesem Fall fast schon „devot“ schreiben. Es wirkt ebenfalls beiläufig und farbschwach. Man könnte den Eindruck gewinnen, als würde es den Solisten so bewundern, dass es seinen Aufgaben nur noch wie unbewusst wahrnehmen kann. Spieltechnische Einschränkungen sind nicht erkennbar, die hätten also ohne weiteres „mehr“ drauf.

Im zweiten Satz findet Herr Irnberger zu einer ziemlich eigenen Interpretation indem er das Rezitativische deutlicher als üblich dem Sprechgesang annähert. Bei den gesanglichen Passagen fallen die Unterschiede hingegen weniger stark auf. Um die Expressivität zu steigern ist bei ihm viel Vibrato im Spiel. Seinem Klang ist bei allem Schmelz doch wenig vereinnahmende „Süße“ eigen. Wahrscheinlich war weder eine Stradivari noch eine Guarneri „del Gesù“ mit im Spiel. Herrn Irnberger sammelt zwar, wie verschiedentlich zu lesen ist, gerne Instrumente, aber geschrieben wurde mehr von Tasteninstrumenten. Sein Spiel wirkt auf uns mehr bewusst und intellektuell gesteuert als gefühlvoll und empathisch.

Auch im dritten Satz könnte das Orchester mehr Farbe und Spielwitz beitragen. Insgesamt wirken andere Darbietungen spritziger und überraschender. Irnberger scheut hingegen vor einer mitunter leicht gequält wirkenden Tongebung nicht zurück.

Der Klang wird vor allem von der präsenten Violine dominiert, das Orchester wird zwar großzügig in die Breite gestaffelt, aber es bleibt zu passiv und kann dem Gesamtergebnis keine Glanzlichter aufsetzen.

 

 

4

Andrew Haveron

RTÉ Concert Orchestra

John Wilson

Chandos

2015

8:55  8:26  7:09  24:30

Diese Einspielung fand im Studio 1 des Irischen Rundfunks „Radio Teilifis Éireann“ in Dublin statt. Der Solist machte zunächst als Konzertmeister in London (beim BBC Symphony Orchestra und beim Philharmonia Orchestra) Furore, ist aber seit 2013 in ebendieser Funktion beim Sydney Symphony Orchestra engagiert. Zudem ist er Erster Geiger beim Brodsky Quartett. Seit er in Sydney spielt, steht ihm eine ans Orchester verliehene Guadagnini zur Verfügung.

Im ersten Satz operiert man mit teils verschärften Tempi, die die Virtuosität des Solisten bis zur Grenze fordern. Meist bevorzugt er jedoch einen lyrisch-erzählenden Ton, der passagenweise mit viel Temperament verlassen wird.

Klanglich fehlt ihm die verschwenderische Klangfülle der besten Guarneris oder auch der besten Stradivaris. Bei der Kadenz zeigt Herr Haveron keine Schwächen.

Ganz anders als bei Heifetz klingt der zweite Satz. Er spielt zwar ebenfalls schlank und geradlinig, aber die Grundstimmung ist eine ganz andere. An den Nuancenreichtum und die kantable Verführungskunst von Gluzman, Dueñas, Lee, Frang oder Ehnes und natürlich Heifetz selbst kommt er nicht heran. Es fehlt jedoch gar nicht so viel. Besonders schön klingt es auch bei ihm mit der Sordine.

Das Finale klingt verspielt aber nicht mit exzessivem Humor oder gar exaltiert. Das Orchester zeigt wenig von einem eigenen Gesicht, es könnte mehr Eigenprofil entwickeln und einfach besser herauskommen. Dies ist eine insgesamt geradlinige aber etwas schmucklose Darstellung.

Wie so oft klingt auch bei dieser Aufnahme die Geige prominent und das Orchester etwas zu weit im Hintergrund. Es ist aber klar und gut gestaffelt zu hören. Es fehlt ihm entschieden die Brillanz der Londoner und Wiener Aufnahmen mit Previn und Gergiev und anderer.

 

 

4

Arabella Steinbacher

Lawrence Foster

Orquestra Gulbenkian

Pentatone

2012

9:53  9:13  7:35  26:41

Mit Arabella Steinbacher liegen uns außer dieser Einspielung auf SACD zwei Radiomitschnitte (von 2013 und 2023, beide aus Wien) vor, die das 2012 in Lissabon Aufgenommene größtenteils bestätigen. Bis 2021 spielte sie noch die Stradivari „Booth“, die sie an die verleihende Institution (Nippon Music Foundation) zurückgeben musste. Auf ihr spielt nun Minami Yoshida. Im Gegenzug gelang es ihr, gleichwertigen Ersatz zu bekommen. Den Mitschnitt von 2023 spielt sie daher schon auf der Stradivari „ex Benno Walter“ auf der bereits Josef Szigeti spielte. Allen Darbietungen gemeinsam sind die auffallend langsamen Tempo in allen drei Sätzen.

In ihren ersten beiden uns vorliegenden Einspielungen klingt der Klang der Violine etwas voller, dunkler und runder als auf dem Mitschnitt von 2023, der mit der „neuen“ Geige gemacht wurde. Ihr Spiel ist stets dem Schönklang verpflichtet, das Tempo wirkt allerdings etwas zögerlich bis träge. In Sachen Engagement ist ihr Anne-Sophie Mutter in ihrer Einspielung deutlich voraus. Ihre Technik wirkt hingegen einigermaßen sicher und ziemlich anmutig, ihrem Spiel geht jedoch die Entschiedenheit und Leidenschaft ihrer Landsfrau weitgehend ab.

Die Romance wird noch etwas zügiger genommen als 11 Jahre später in Wien, der Satz wirkt jedoch schon ziemlich ermattet, das Spiel geradezu schlaff. Wohlgemerkt immer im Vergleich zu den anderen gehörten Einspielungen. Im Konzert mag das gar nicht einmal so auffallen.

Nicht nur im dritten Satz sind ihr Dirigent und Orchester aufmerksame Begleiter. Gegenüber der „Ur-Aufnahme“ mit Heifetz scheint es sich Frau Steinbacher regelrecht bequem oder „gemütlich“ gemacht zu haben. Wie bereits gesagt, im Konzert, ohne die Möglichkeit zum direkten Vergleich, erscheint das Spiel immer noch virtuos und fast makellos. Es könnte wirklich temporeicher und mit deutlich mehr Brisanz gespielt werden. Der Klang schmeichelt dem Werk und dem Hörer in jedem Fall, auch wenn der musikalische Aspekt nicht gerade über die Maßen begeistert. Der dritte Satz gefiel von den dreien noch am besten.

Klanglich steht es ungleich besser als um die beiden ORF-Mitschnitte mit Frau Steinbacher. Es klingt bei Pentatone ungleich voller, körperhafter, kräftiger, breitbandiger, brillanter, räumlicher, farbiger, besser gestaffelt und ebenfalls sehr transparent. Allerdings steht die Geige noch stärker im Vordergrund als bei den Radiomitschnitten. Wir haben uns allerdings nur die Stereo-Spur der SACD in CD-Qualität angehört. Bei der Neuauflage der Aufnahme ist nämlich nur noch diese übrig geblieben. Sowohl das Mehrkanal-Erlebnis als auch die höhere Auflösung der DSD-Aufnahme ist nun auf der „reinen“ CD nicht mehr zu genießen. Was für eine Verarmung, die wahrscheinlich viel zu wenigen Käufern überhaupt auffallen wird.

 

 

4

Ulrike-Anima Mathé

Andrew Litton

Dallas Symphony Or-chestra

Dorian

1994

9:17  8:53  6:54  25:08

Die deutsche Geigerin studierte bei Dorothy Delay an der Juilliard in New York und bei Tibor Varga in Detmold. Ihre verwendete Geige ließ sich leider nicht ermitteln. Ihr Klang wirkt in diesem Umfeld wenig brillant, wenn auch noch nicht dumpf. Sie spielt den ersten Satz eher in die Breite hinein in einem ziemlich langsamen, verträumt wirkenden Tempo. Da wo Heifetz vorantreibt, ist es ihr wichtig, dass die Musik atmen kann. Nie wirkte es bei Heifetz so introvertiert und suchend. Bei Chantal Juillet wirkte es ähnlich. Dabei spielt Frau Mathé technisch recht sicher, sicherer als John Liebeck, der allerdings live aufgezeichnet wurde oder als Madame Juillet. Das Orchester tritt wieder einmal, wie so oft in der Aufnahmegeschichte des Werkes gegenüber der Geige stark zurück, als ob es von geringerer Bedeutung wäre. Litton lässt es allerdings auch ziemlich träge und eintönig klingen. In diesem Fall trägt die Klangtechnik nicht die Schuld. Die Kadenz hat wenig Schwung, wie der Rest des Satzes wirkt alles zart und ohne Biss, zerfließt sozusagen in sanfter Melancholie.

Im zweiten Satz nimmt der Grad des in Träumen versunkenen oder des in Nostalgie verlorenen eher noch zu. Die „Romance“ wirkt zärtlich und liebevoll gespielt, wie „der Welt abhandengekommen“. Das wirkt durchaus atmosphärisch, sodass die „Romance“ durchaus anrührt. Das Orchester profitiert nun von der ausgezeichneten Transparenz der Aufnahme. Man lässt sich genug Zeit zum Durchatmen und das musikalische Verständnis von Solistin und Dirigent treffen sich mit den Bedürfnissen des zweiten Satzes am besten.

Die Solistin spielt das „Finale“ sehr temperamentvoll, was selbstverständlich auch auf das flotte Tempo zurückzuführen ist. Das Orchester wirkt trotzdem etwas schwerfällig. Dies ist insgesamt eine sehr wenig „aufdringliche“ Einspielung, des damals fast noch als Rarität auf dem Plattenmarkt geltenden Werkes. Sie wirkt besonders dezent und durchaus geschmackvoll und hätte dem Werk zur Zeit des Erscheinens viele neue Freud/innen bringen können, wenn auch die Label-Politik nicht so zurückhaltend gewesen wäre.

Die klangliche Balance zwischen Violine und Orchester darf als sehr gelungen, sehr angenehm und natürlich bezeichnet werden. Die Geige steht nun einmal nicht als Riesin vor dem Orchester, die Relationen stimmen. Die Aufnahme wirkt labeltypisch großräumig, warm aber etwas entfernt. Das Konzert wirkt in dieser Einspielung besonders weich und rund, ohne Ecken und Kanten und besonders lieblich. Ein Nachteil dieser Disposition ist das doch ziemlich lasche Orchester, das zwar voll und warm klingt, wenn es darauf ankommt, dem aber jeder Anflug von Temperament und „Attacke“ abgeht.

 

 

4

John Liebeck

Paul Watkins

Ulster Orchestra

BBC Music

2010, live

8:45  8:05  7:31  24:21

John Liebeck gewann im Jahr der Einspielung den „Classical Brit Award“ für „Junge britische Interpreten“. Er spielt die „ex Wilhelmj“, aber nicht die Stradivari gleichen Namens, sondern die gut 60 Jahre jüngere Guadagnini. Ob er die bereits 2010 zur Verfügung hatte, lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten. In seiner Live-Aufnahme kommt er (wie sollte es anders sein) in der „Teststrecke“ zwischen den Ziffern 6 und 10) bisweilen an seine Grenzen. Er pflegt in diesem Auftritt ein generell zu lautes p, was zu einem generell eher geringen dynamischen Ambitus führt. Sein Ton hört sich vergleichsweise silbrig-hell an. In der Kadenz bekennt er sich zu einem voll ausgespielten Glissando. 1 T vor Zi. 27 verzichtet er dann allerdings darauf. Den anderslautenden Bemerkungen Frau Mutters zum Trotz hört man dem Violinpart auch im weiteren Verlauf bisweilen an, dass er schwierig sein muss, gerade die Oktavverdopplungen klingen ein bisschen gequält. Das Ulster Orchestra aus Belfast verbreitet hingegen durchweg Wohllaut.

Im zweiten Satz, der „Romance“, erscheint Mister Liebecks Ton nun substanzreicher und ausdrucksvoll, gerade die langsamen, kantablen Passagen. Wenn es um kleine dynamische Nuancierungen geht, bemerkt man jedoch, dass er da noch nicht vorbehaltlos darauf eingehen möchte (oder kann). Die Flageoletts bei T. 48 gelingen nicht ganz sauber.

Auch wenn der junge Mann gegenüber Heifetz´ Tempo im „Finale“ weit zurückbleibt, herrscht ein fröhlicher Gestus vor. In den Girlanden hört man nun auch nicht die traumhafte Sicherheit des Ersteinspielers. Die Technik wirkt immer ein wenig bemüht. Die „Transzendenz“ eines Heifetz bleibt unerreicht. Dabei muss man immer bedenken: Es ist eine live-Aufnahme.

Der Klang der Aufnahme ist glasklar und räumlich. Selten ist das Orchester so gut durchhörbar, ganz besonders im zweiten Satz. Nicht ganz kommt sie da an die Wiener mit Znaider oder die Rotterdamer mit Capucon heran, die waren allerdings auch nicht live. Die Violine wird nicht „monstermäßig“ groß abgebildet wie bei Heifetz und sehr vielen anderen, sondern in der Größe wie man sie von einem gute Konzertsaal her kennt.

 

 

 

 

 

Vom Rundfunk gesendete Konzertmitschnitte:

 

 

5

Vadim Gluzman

Tugan Sokhiev

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

RBB, unveröffentlicht

2013, live

8:42  8:03  6:45  23:30

Drei Jahre nach der Einspielung bei BIS stellte Vadim Gluzman das Korngold-Konzert dem Berliner Publikum vor. Dabei werden geringfügig flottere Tempi angeschlagen. Aber mehr noch als die Tempi aussagen, wirkt das Orchesterspiel behänder und vor allem agiler als beim Residentie Orkest in Den Haag unter Neeme Järvi. Dem erneut herausragenden Solisten wird nun nicht nur ein „gemachtes Bett“ bereitet, sondern es wird ein gewisses, aufmerksames Concertare mit dem Solisten entwickelt. Keinerlei Abstriche muss man beim Solisten machen, die Live-Darbietung ist genauso perfekt und brillant im Technischen, klangschön und reich an Ausdruckskraft wie unter Studiobedingungen. Natürlich war Gluzmans „ex Leopold Auer“ auch in Berlin dabei.

Noch kraftvoller in den leidenschaftlichen Aufschwüngen als in Den Haag klingt der zweite Satz, besonders in der Satzmitte. Die Live-Situation scheint diesen Geiger eher noch zu beflügeln.

Der dritte Satz, von Korngold einfach „Finale“ genannt, wirkt so noch lebendiger und virtuoser als 2010, sogar die sagenhafte Feinheit und Abrundung der einzelnen Töne in den ganz schnellen Passagen kommen nicht abhanden, sie verliert jedoch einen Gran der fast schon unmenschlichen Vollkommenheit, was in der Natur der Sache liegen dürfte, der Mann hat sicher auch Nerven…

Ansonsten ist seine Darbietung genauso irisierend klangschön wie die CD-Aufnahme. Auch das komödiantische Element, das kichern und veräppeln kommt ebenso gut durch wie der Perpetuum-Mobile-Charakter. Selbstbewusst, lebendig und auch mal auftrumpfend kommt das sehr aufmerksame Orchester hervorragend aus seiner Begleiter-Rolle heraus, zumindest immer da, wo es die Komposition erlaubt. Es klingt, gerade für Rundfunkverhältnisse sehr plastisch.

Der Klang wirkt sehr dynamisch, was eher musikalische als klangtechnische Gründe haben dürfte. Allerdings wirkt der Klang der Aufnahme sowohl schön transparent als auch voll und rund. Es geht vom Orchester bei aller kompromisslosen Nähe zum Solisten auch ein erheblicher Klangzauber aus. Die Balance von Violine und Orchester ist ganz ausgezeichnet gelungen. Auch die Aufnahmen des RBB aus der Philharmonie klingen nicht alle gleich.

 

 

5

James Ehnes

Nicolas Carter

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Deutschlandradio Kultur, unveröffentlicht

2023, live

8:37  8:18  7:04  23:59

17 Jahre nach der CD-Produktion aus Vancouver stimmen James Ehnes und Nicolas Carter die Tempi in allen drei Sätzen ebenfalls etwas zügiger an. Gegenüber der Münchner Aufnahme mit Maria Dueñas und Manfred Honeck aus demselben Jahr wirkt Ehnes´ Ton (der „ex Marsick"-Stradivari) noch etwas voller, zudem betont er die Linie mehr, während die Spanierin noch etwas mehr Nuancen in ihr Spiel einbringt. Die Geige klingt wirklich super, saftig, voll und rund mit einem besonders reichen, tiefgründigen Klang. Es scheint sich um ein besonders edles Instrument zu handeln. Live spielt Mister Ehnes fast so vollkommen wie unter Studiobedingungen, die „Teststrecke“ erklingt makellos, wie bei Vadim Gluzman. Das Orchester spielt ganz exzellent, begleitet kongenial und bringt seine Einsätze sehr farbig auf den Punkt. Das Violinkonzert wirkt in den aufgezeigten Spitzenaufnahmen viel transparenter und „meisterhafter“ instrumentiert und sogar komponiert als in minder gelungenen Einspielungen. Ehnes´ Kadenz wirkt leidenschaftlich und technisch ungemein geschliffen. Er spielt expressiv ohne Hochdruck aufbauen zu müssen. Die Aufführung hat einen besonders natürlichen Fluss, der den Zuhörern die Musik besonders nahebringt. Man nimmt sehr gerne Anteil an ihr und das Werk erscheint zu einem Meisterwerk erhoben. Das gilt allerdings für alle Aufnahmen, die es in die 5er Kategorie geschafft haben.

Im zweiten Satz, der „Romance“ bleibt eigentlich kein Wunsch offen, es wird makellos und traumhaft schön gespielt und man kommuniziert zusammen.

Ausgezeichnet gelungen ist auch das „Finale“, da hört man viel Spielfreude und zupackenden Drive mit ordentlich Biss. Während man die herausragenden Leistungen des Solisten bereits von seiner CD kennen, übertrifft das Berliner Orchester das kanadische um einiges. Völlig zurecht gab es in der Berliner Philharmonie Ovationen für die Darbietung.

Auch diese Aufnahme aus der Philharmonie ist ungemein gelungen, Solist und Orchester sind gleichermaßen plastisch, farbig und räumlich abgebildet. An der Dynamik hapert es wie so oft bei den Übertragungen im Radio ein wenig, da hatten wir die zehn Jahre ältere mit Gluzman und dem DSO als dynamischer in Erinnerung.

 

 

5

María Dueñas

Manfred Honeck

Münchner Philharmoniker

BR, unveröffentlicht

2023, live

10:22  9:06  7:12  26:40

Dieses Konzert fand in der Isar-Philharmonie in München statt. Frau Dueñas spielte es auf der Stradivari „Duc de Camposelice“, eine Leihgabe der Nippon Music Fondation, die zuvor schon von Vasa Prihoda und Josef Suk gespielt wurde. Allerdings klang das Instrument in den alten Aufnahmen ganz anders als in den Händen der Spanierin. Der Ton der Geige wirkt nun eher schlank, das Vibrato recht stark, eher schnell und sehr intensiv. Hervorstechend am Klang der Geige ist jedoch die selten so zu hörende Abschattierungskunst, die natürlich in erster Linie auf die Geigerin selbst zurückzuführen ist. Ähnliches konnte man in den alten Aufnahmen der beiden genannte Vorbesitzer nämlich nicht in diesem Maß erkennen. Die Spielweise wirkt zudem besonders frei und besonders ausdrucksvoll, dabei wird ein Überdramatisieren wie bei Frau Mutter gänzlich vermieden. Herr Honeck passt den Orchesterklang hervorragend an die sensible Vortragsweise der Solistin an. Man musizierte schon häufiger zusammen, das merkt man. Die Kadenz wird bei ihr nicht stumpf durchgezogen, sonders ebenfalls wunderbar abschattiert und mit sinnvollem Rubato aufgelockert. Frau Dueñas spielt alle vorgesehenen Glissandi. Trotz des eigentlich langsamen Tempos entsteht keine Sekunde Langeweile, denn es gibt immer wieder was zu entdecken.

Ganz anders als bei Heifetz klingt die „Romance“ nun verträumt und ganz besonders gefühlvoll. Hinweisen müsste man auf die vielen p und pp die besonders liebevoll gespielt werden, andere segeln leichtfertig darüber hinweg. Selten klingt der 2. Satz, der sich ohnehin dazu anbietet, so detailreich, ohne dass es sentimental werden würde. Man gewinnt den Eindruck, dass Engel zu uns sprächen, die schwindelerregenden Tonhöhen der Violine, stets immer intonationsrein getroffen, legen dies nah. Natürlich braucht das etwas mehr Zeit als üblich, sie wird so gut ausgefüllt, dass man die Tempowahl als richtig empfindet, während ähnliches bei Frau Steinbacher zu Durchhängern führt. Das Orchester kann seine durchaus üppig vorhandenen sinnlichen Reize voll ausspielen, ein exzellentes, aber immer noch dezentes Spiel wie bei Mariss Jansons und dem BRSO.

Das „Finale“ verlässt den immer noch vorliegenden eher behutsamen Gestus nicht. Frau Dueñas spielt dennoch brillant, aber nie lauter, als es die Komposition erlaubt. Sie ist dem aberwitzig virtuosen, humorigen „Geschnatter“ oder Gekicher bestens gewachsen, lässt ihre Virtuosität aber nirgends raushängen, wirkt angemessen verspielt. Angesichts der gebotenen Qualitäten wird man bei der DG-Exklusiv-Künstlerin wahrscheinlich nicht mehr lange auf eine Veröffentlichung des Korngold-Konzertes warten müssen.

Die BR-Techniker sorgen auch in der Isar-Philharmonie für eine gelungene Balance und Transparenz von Solistin und Orchester. Das Klangbild wirkt weit, gut aufgefächert und räumlich.

 

 

5

Hilary Hahn

Kent Nagano

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

RBB, DG

2004, live

8:34  8:01  7:11  23:46

Hilary Hahn spielt eine Vuillaume-Geige aus dem Jahr 1864 (Kopie II „Cannone“ Guarneri), die früher dem russischen Geiger Samuel Lande gehörte, der mit Klara Berkovich, Hahns erster Lehrerin, befreundet war. Hahn verwendet Dominant-Saiten und Bögen der französischen Bogenbauer Paul Jombar und Emil Miquel (Zaustinsky 1999). Da war die Website einmal auskunftsfreudig.

Hilary Hahns Lieblingsgeige soll jedoch ein anderes großartiges Instrument sein, das ebenfalls vom renommierten französischen Gitarrenbauer Jean-Baptiste Vuillaume gefertigt wurde. Vuillaume wurde 1798 geboren und erlangte Berühmtheit für seine außergewöhnliche Fähigkeit, die Meisterwerke von Antonio Stradivari und Guarneri  "del Gesu" nachzubilden. Die Geige, die Hahn spielt, ist ein Vuillaume-Modell, inspiriert von der berühmten „Soil“ Stradivari. Die „Soil“ Stradivari, 1714 von Antonio Stradivari kreiert, wird für ihren satten, resonanten Klang und ihre exquisite Handwerkskunst gewürdigt. Vuillaume, der die Brillanz von Stradivaris Werk damals schon erkannte, replizierte das „Soil“-Modell akribisch, erfasste dessen Essenz und trug zum Erbe dieser ikonischen Geige bei. Die originale „Soil“, wir erinnern uns, wurde ehemals von Yehudi Menuhin und Itzhak Perlman gespielt.

Der Ton der Geige von Hilary Hahn weist jedoch lange nicht sie „Süße“ von Gil Shaham, Vadim Gluzman oder James Ehnes auf, anscheinend klingen die Villaume-Geigen doch nicht genauso wie die echten Guarneris oder Stradivaris oder aber sie wird von Hilary Hahn anders gespielt. Wahrscheinlich kommt beides zusammen. Aber wie immer macht ja Gefallen „schön“. Frau Hahn spielt absolut intonationsgenau und auffallend dynamisch. D.h. sie kann auch sehr leise. Ihre Technik erscheint völlig unanfechtbar. Sie scheint sogar dem „Übergeiger“ Jascha Heifetz nah zu kommen, auch in dem recht flotten Tempo, das allerdings nicht ganz mit Heifetz´ „Speed“ vergleichbar ist.

Hilary Hahn wirkt im Vergleich zu Frau Mutter ausdrucksvoller und leichter zugleich. Ihr Vibrato nervt nicht, ihr Bogendruck ist flexibler. Und es gibt kein nerviges Dauerespressivo.

Die „Romance“ weist enorme Brillanz und Ausdruckstiefe auf. Der dritte Satz, das „Finale“, wirkt farbenprächtig, fast schon saftig und prachtvoll, aber eben auch reichhaltig. Mit viel Tempo und ordentlich „Schmackes“ zeigt Frau Hahn eine fesselnde, superbrillante Virtuosität, fesselnd und nie aufdringlich. Solistin und Orchester befeuern sich gegenseitig. An Unterstützung des Orchesters fehlt es jedenfalls nie. Das Spiel von Solistin und Orchester ist sehr gut miteinander verzahnt, das Zusammenspiel sehr präzise.

Dies ist eine sehr gute Live-Aufnahme der damals gerade frisch fusionierten Sendeanstalten SFB und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg. Auch hier findet sich wieder eine gute Balance von Geige und Orchester, die Philharmonie scheint das Korngold-Konzert zu mögen. Nicht ohne Grund wurde ein Video-Mitschnitt des Konzertes, das Fernsehen war anscheinend bei der Aufnahme auch dabei, der Video-Produktion der DG: „Hilary Hahn – A Portrait“ mitgegeben. Auch 2024, so war es dem Konzertkalender der Künstlerin zu entnehmen, ist sie wieder mit dem Korngold-Konzert unterwegs.

 

 

5

Leonidas Kavakos

Mariss Jansons

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR, unveröffentlicht

2016, live

8:58  8:40  6:49  24:27

Diese Aufnahme entstand im Herkulessaal der Münchner Residenz. Seit 2017 spielt Kavakos die „Willemotte“ -Stradivari von 1734, die er vom in London und New York ansässigen deutschen Geigenbauer, Händler und Experten Florian Leonhard erworben hat. Kavakos hatte zuvor seit Februar 2010 die „Abergavenny“-Stradivari von 1724 gespielt mit der er auch das Konzert in München gegeben haben sollte. Er verkaufte zudem die „Falmouth“ -Stradivari von 1692 und eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini (Turin) aus dem Jahr 1782 um die „Willemotte“ zu finanzieren. Kavakos besitzt jetzt nur noch die „Willemotte“ und drei moderne Violinen, darunter eine, seit dem 4. September 2010, von Florian Leonhard.

Zu dem Kauf gibt es eine kleine Geschichte, die wir nicht vorenthalten wollen, auch⁴ wenn es eigentlich zu weit führt: Die „Willemotte“ Stradivari von 1734, benannt nach dem Sammler Charles Willemotte von Antwerpen, ersetzt also die „Abergavenny“ Stradivari von 1724, die Leonidas Kavakos in den letzten acht Jahren gespielt hat. Die Abschlusskonzerte seiner Artist-in-Residence-Saison beim New York Philharmonic Orchestra im Mai 2017 spielte er bereits mit der Willemotte-Geige. In New York war es auch, dass er dieses Instrument vor 23 Jahren kennenlernte, während der Ausstellung vor allem von Guarneri del Gesù-Geigen am Metropolitan Museum.

„Ich fragte, ob ich ein paar Töne spielen dürfte. Das werde ich niemals vergessen! All die Süße des Stradivari-Klangs war da, aber kombiniert mit einem beeindruckendem Klangvolumen und einer tiefen und dunklen Färbung, die man nicht unbedingt mit dem Stradivari-Klang verbindet.“

Mehr als zwanzig Jahre später traf er wieder auf die Geige, diesmal beim Geigenhändler Florian Leonhard im Norden von London.

“Ich begann sofort wieder auf ihr zu spielen. Während die „Abergavenny“ einen weichen, großen, runden Ton hat, machte mich die Elektrizität und Intensität, die die zugrundeliegende Tiefe der „Willemotte“ krönen, sprachlos. Sie ist so schnell und reaktionsfähig, dass man sich fast schon zurückhalten muss. Und trotzdem sind Farben und Eleganz da und warten nur darauf, erkundet zu werden. Dieser Klang kombiniert das Beste von Stradivari und Guarneri. Ich fühle mich geehrt, mit diesem großartigen Instrument Musik machen zu können und neue Klänge zu erkunden.“ Soweit der Geiger.

Bereits 2016, also ein Jahr vor seinem großen Kauf spielte er seine Geige nie auftrumpfend, aber selbstbewusst, sehr geschmeidig mit einem differenzierten Ton in idealer Balance. Auch technisch ist das Spiel ziemlich beeindruckend. Jedoch, wenn man die Violinklang-Fanatiker Vadim Gluzman, James Ehnes oder auch die Spanierin Maris Dueñas dagegen nimmt, so wird der Wunsch nach der neuen Geige, der „Willemotte“, durchaus noch verständlich. Da klingt es zwar weniger offen, aber noch geschmeidiger, tiefgründiger und sämiger. Das Orchester klingt sehr transparent und das Zusammenspiel klappt hervorragend. Jansons achtet sehr darauf, dass der Geiger nie zugedeckt wird. Ein Orchester, das sich so zurücknehmen kann und trotzdem fast jede Nuance zu Gehör bringt, kommt selten vor. So kommt das gefühlvolle Spiel des Geigers überall im Auditorium an, für die Radiohörer gibt es ebenfalls keine Einschränkungen.

Beim zweiten Satz besticht das nahtlose Miteinander und das gemeinsame „Atmen“, wobei sowohl das Orchester als auch der Solist die Anweisungen des Komponisten rigoros umsetzen, z.B. die Misterioso-Stelle kurz vor Zi. 49. Die rhythmisch vertrackten Passagen klingen ungewöhnlich deutlich und wir kommen in den Genuss der kompletten dynamischen Bandbreite. Die Grundstimmung wirkt nachdenklich, ohne dass es je pathetischen werden würde.

Das Finale wirkt beschwingt-temperamentvoll, ja burschikos. Erneut gefällt das eng miteinander verzahnte Musizieren besonders.

Der Klang vermittelt erneut, wie nun schon häufig bei Rundfunkaufnahmen, eine ausgezeichnete Balance des Solisten und des Orchesters, allerdings muss man das Produkt ja später auch nicht unbedingt starorientiert verkaufen, wie bei den kommerziellen Produktionen. Das in bester Perfektion spielende Orchester ist sehr gut durchhörbar und wird zu einem gleichberechtigten Partner.

 

 

 

 

4-5

Carolin Widmann

Kirill Karabits

Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg

SWR, gesendet von Deutschlandradio Kultur, unveröffentlicht

2011, live

8:53  8:32  7:15  24:40

Dies ist ein Mitschnitt aus dem Konzerthaus Freiburg. Frau Widmann spielt eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahr 1782. Wir hören einen besonders ruhigen, abgeklärten Einstieg von ihr, mit einem sehr zurückhaltenden Vibrato. Ihr Vortrag wirkt sehr deutlich und klar, aber auch ein wenig bewusst und intellektuell. Damit einher geht eine bemerkenswerte Partitur-Genauigkeit. Rein klanglich fehlt ein wenig die besondere Fülle eines Heifetz, Capucon oder Shaham, eines Gluzman, Ehnes oder die bewegliche Fragilität im Spiel einer Maria Dueñas. Manchmal hat man durchaus den Eindruck, dass der Kult um die besten Guarneris oder Stradivaris seine Berechtigung hat, auch wenn etliche Koryphäen behaupten, dass der aufgerufene Preis keinem Blindvergleich standhalten würde. Auf den berühmt gewordenen Blindvergleich mit Isaac Stern und Pinchas Zukerman in der Carnegie Hall sind wir in unserer Arbeit über die „Symphonie Espagnole“ Lalos eingehender eingegangen.

Auch in der „Romance“ wirkt der schlanke Ton der Violine schlicht und klar, nicht zuletzt durch das auch bei den Kantilenen zurückhaltende Vibrato. Deshalb wirkt der Satz nicht weniger beeindruckend in seiner Mitteilungskraft. Man merkt aber schon, dass die Historische Aufführungspraxis bei Frau Widmann auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Der Klang mit der Sordine empfanden wir als berückend schön.

Im „Finale“ gehen ein paar Pizzicati von Frau Widmann unter, das ist eben eine echte Livesituation ohne doppelten Boden und ohne Fangnetz. Um gute Laune muss man sich nicht sorgen, die wird frei Haus geliefert.

In dieser Darbietung wird die Violine ins Orchester eingebettet, das anscheinend größer klingt, als es tatsächlich besetzt wurde. So nehmen wir es mal an, aber eine Videoaufzeichnung wäre zur Verifizierung hilfreich gewesen. Es klingt ein wenig einheitlich, nicht zuletzt, weil man andere Aufnahmedispositionen bereits verinnerlicht hat.

 

 

4-5

Kristóf Baráti

Jaime Philipps

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern

SWR, SR, unveröffentlicht

2014, live

8:15  8:24  6:58  23:37

Diese Aufnahme entstand im SWR-Studio in Kaiserslautern unter Anwesenheit von Publikum. Sie entstand im gleichen Jahr wie die CD-Einspielung des Geigers, sodass wir annehmen dürfen, dass er dieselbe Geige spielte. Sein Spiel im ersten Satz wirkt „glühend“-intensiv, also mit hochemotionaler Wirkung. Dazu dient in nicht unerheblichem Maß auch sein schnelles Vibrato. Sein Geigenklang ist eher hell, aber substanzreich. Da er den Bogendruck nicht über Gebühr zum Erreichen des gewünschten Ausdrucks braucht, entfällt auch das Beben, dass bei der Darbietung von Frau Mutter so sehr auffällt und das auf Dauer überexpressiv und ermüdend wirkt. Technisch kommt er, wohlgemerkt live, fast völlig unbeschadet durch die „Teststrecke“. Durch die hohe Intensität und das ambitionierte Tempo kommt es nur zu einem leichten Quietschen. Ansonsten werden die schnellen Läufe mühelos und souverän hingelegt. In der Kadenz spart erspart er sich das Glissando. Das Orchester wirkt ganz besonders vital, klangvoll und differenziert. Das hohe Engagement dieses Orchesters fällt bei fast jeder Aufnahme sehr angenehm auf. Da sind Enthusiasten am Werk. Weiter so!

Leider gefällt der zweite Satz nicht ganz so gut, denn das p des Geigers ist viel zu laut. Sicher spielt dabei auch der kleine Aufnahmeraum oder eine recht dichte Mikrophonierung eine gewisse Rolle, aber als gewiefter Instrumentalist sollte man seine Lautstärke in gewissen Grenzen auf den Raum anpassen können. So klingt das erste Thema nun ziemlich aufdringlich. Das ist schade, denn es fehlt auch an der nötigen Differenzierung (besonders nuancenreich dagegen: Maria Dueñas). Bei diesem Konzert hat Herr Baráti seine Sordine anscheinend vergessen, denn eine Klangveränderung lässt sich nicht bemerken. Die dynamischen Kontraste bleiben relativ schwach ausgeprägt, da die Dynamik im Verlauf ebenfalls in Richtung f verschoben wird. Das Orchester differenziert da deutlich besser aus.

Im „Finale“ zieht der Geiger dann allerdings alle Register, denn er spielt mit viel Saft und Kraft. Vivacissimo heißt hier wirklich sehr temperamentvoll und quirlig. Das Orchester wirkt immer wieder befeuernd ein, meist legt jedoch Herr Baráti vor. Hier wird ein virtuoses Feuerwerk abgebrannt, aber auch das Espessivo kommt nicht zu kurz, wenn es sein muss auch mit bebender Saite bei Zi. 93. Dieser Satz ist der beste dieser Aufführung und wäre locker eine 5 „wert“ gewesen. Die „Romance“ leider nicht.

Auch dieser Mitschnitt ist sehr gut ausbalanciert, recht plastisch und recht gut gestaffelt. Der Geigenton ist sehr präsent. Das fast ebenso präsente Orchester umschließt den Geiger akustisch recht eng, aber beides kommt gut zur Geltung.

 

 

4-5

Gil Shaham

Zubin Mehta

Berliner Philharmoniker

RBB, unveröffentlicht

2015, live

9:35  8:46  7:29  25:50

Dieser Mitschnitt mit Gil Shaham, nun 44jährig, ist unser ältester in der Sammlung von drei. Er hatte das Konzert auch 2023 wieder im Programm und aus diesem Jahr sind Mitschnitte in Wien (mit Oksana Lyniv) und Stockholm (mit Hannu Lintu) entstanden.

Auffallend, gerade nach Kristóf Baráti, ist es, wie leise Gil Shaham das Konzert spielen kann. In der Kadenz schreckt Herr Shaham auch nicht vor dem Glissando zurück, es steht ja schließlich in der Partitur. Blue Notes fallen nicht ins Ohr. Er spielt 21 Jahre nach seiner CD-Einspielung mit André Previn immer noch genauso schlackenlos wie damals. Zubin Mehta lässt die Philharmoniker schillern und trifft im ersten Satz einen sanft melancholischen Ton ausgezeichnet. Ein gutes Concertare ist möglich, da der Solist nicht überproportional abgebildet wird.

In der „Romance“ lässt Herr Shaham dann doch seinen großen „süßen“ Ton sprechen, der aber auch ganz weich und grazil, sanft und dolce flüstern kann. „Großes Kino“, per RBB frei Haus geliefert.

Das „Finale“ wird wunderbar gemeistert. Allerdings klingt das Orchester für diesen rasanten Satz in unseren Ohren ein wenig zu schwerfällig. Da könnten die Funken höher fliegen (siehe DRP in der Rezension zuvor). Das ändert nichts an den Ovationen des Berliner Publikums. Dieses Konzert wird vom RBB übrigens immer wieder gerne gesendet.

Auch dieser Mitschnitt aus der Philharmonie erfreut durch die gute Balance von Violine und Orchester. Er ist sehr gut durchhörbar, die Violine erscheint gegenüber 1994 (London) noch etwas weiter zurückgenommen. Das gibt dem Orchester genügend „Luft“. Die Dynamik ist für einen Radio-Mitschnitt gut.

 

 

4-5

Gil Shaham

Hannu Lintu

Schwedisches Radio-Sinfonieorchester Stockholm

Sveriges Radio, gesendet von Deutschlandradio Kultur

2023, live

9:13  9:11  7:37  26:01

Diese Aufnahme erfolgte in der Berwaldhalle in Stockholm. Hannu Lintu lässt den ersten Satz etwas zügiger spielen als Zubin Mehta. Er scheint den Filmmusikelementen freieren Lauf zu lassen, zumindest wenn er auf den Solisten keine Rücksicht nehmen muss, ohne dass es zuckrig klingen würde. Er lässt sehr genau spielen und sehr leise. Wie im Mitschnitt aus Wien aus demselben Jahr scheint Shahams Ton nur an wenigen Stellen gegenüber der Studioaufnahme aus London von 1994 und der Berliner Aufnahme aus Berlin von 2015 an Leichtigkeit und an der unerschütterlichen Sicherheit eingebüßt zu haben. Im Ganzen klingt es immer noch traumhaft schön. Mehr „Dolce“ lässt sich wohl kaum aus einer Geige herausholen. Das schwedische Orchester spielt mitunter vortrefflich leise und gefällt uns besser als die Wiener Symphoniker.

Im „Finale“ hat der Perpetuum-Mobile-Charakter über die Jahre etwas nachgelassen, der „Nobile“-Charakter dagegen zugenommen.

Der Mitschnitt sollte noch in der Mediathek des Senders abrufbar sein, sehr lange sicher nicht, denn es handelt sich um eine Austauschkonzert der UER, das nach einiger Zeit wieder verschwindet. Die Geige würde in der schwedischen Aufnahme gegenüber dem Orchester nochmals etwas mehr zurücktreten, aber Hannu Lintu dämpft das Orchester soweit ab, dass die Relationen ausgesprochen stimmig erscheinen. Das geht manchmal so weit, dass man ein paar Details beim Orchester gar nicht mehr deutlich zu hören bekommt, dieses Mal, weil es so leise spielt. Gute Dynamik, guter Klang dank ziemlich hoher Datenrate beim Deutschlandradio Kultur.

 

 

4-5

Gil Shaham

Oksana Lyniv

Wiener Symphoniker

ORF, unveröffentlicht

2023, live

9:26  9:03  7:27  25:56

Gegenüber den anderen Live-Mitschnitten scheint der Geigenklang Gil Shahams ein wenig an „Süße“ und sonorer Samtigkeit verloren zu haben. Dafür ist aber vielleicht nur die geringe Datenrate des ORF schuld, die er seinen Hörern zumindest über Satellitenempfang noch spendiert. Das Orchester spielt klangschön, sein Klang wirkt angemessen transparent.

Beim zweiten Satz haben viel mehr und viel deutlichere Atemgeräusche des Geigers den Weg in die Mikrophone gefunden. Der Orchesterklang wirkt schlanker als bei den Berlinern, ähnlich wie bei den Schweden. An der Darbietung Shahams (mittlerweile 52) hat sich gegenüber Stockholm nichts Nennenswertes geändert.

Auch der ORF lässt den Geiger in Konzertsaalproportionen spielen, also kein riesenhaftes Aufblähen wie in mancher CD-Produktion. Davon profitiert der Orchesterpart merklich. Dynamisch ist die Aufnahme ziemlich schwach, besonders das Orchester. Das ist man von den ORF-Übertragungen schon gewöhnt.

 

 

4-5

Kristóf Baráti

Tarmo Peltokoski

NDR-Radiophilharmonie Hannover

NDR, unveröffentlicht

2023, live

9:08  9:22  7:12  25:42

Während der junge Dirigent aus Finnland während dieses Konzertes sein Debut beim Orchester aus Hannover feiert, war der Geiger immer wieder gerngesehener Gast in der Niedersächsischen Landeshauptstadt. Unserer Information nach spielt Herr Baráti immer noch die „Lady Harmsworth“ von Antonio Stradivari und auch der aufgezeichnete Klang lässt nicht daran zweifeln.

Das Spiel des Geigers ist über die Jahre langsamer, gefühlvoller, weicher, runder, aber auch ein wenig sentimentaler geworden. Die schnellen Passagen wirken jedoch nun weniger präzise. Im Verlauf wirkt das Spiel nicht mehr ganz so souverän. Diesen Eindruck von einem Konzert sollte man jedoch nicht verallgemeinern. Denn auch das Orchester aus Hannover hat weniger Drive und weniger „Biss“ als die DRP vor 9 Jahren.

Die „Romance“ klingt nun langsamer, verträumter aber auch klarer als zuvor. Jetzt hören wir die deutlich unterschiedenen p-Passagen, die 2014 noch kaum auszumachen waren. Eine deutliche „süße Melancholie“ macht sich nun breit, die man gemeinhin mit dem Satz verbindet. Die Darstellung wirkt gegenüber 2014 etwas facettenreicher und gereift. Gegenüber 2014 schon fast „entkräftet“ und „verloren“ wirkend. Ein ziemlich deutlicher „Kurswechsel“ also.

Der dritte Satz, das „Finale“, klingt erneut beschwingt, lässt sich jedoch (gefühlt) viel mehr Zeit und zeigt weniger „Biss“ und geigerische „Attacke“ als zuvor.

In der Aufnahme des NDR wirken sowohl die Violine als auch das Orchester distanzierter als in Kaiserslautern. Die Aufnahme wirkt jedoch großräumiger und räumlich differenzierter. Es klingt in Hannover deutlich mehr nach Cinemascope als in Kaiserslautern, wo man dicht dran ist an den Hauptdarstellern, wie im Autorenkino.

 

 

4-5

Simone Lamsma

Tarmo Peltokoski

Rotterdamer Philharmoniker

Niederländischer Rundfunk, vom SWR gesendet, unveröffentlicht

2023, live

9:41  8:40  7:18  23:39

Bei Simone Lamsma ist es nicht sicher, welche Stradivari sie in Rotterdam gespielt hat, denn sie ist mit drei verschiedenen bei „Tarisio“ gelistet und man weiß nicht so recht, welche davon die aktuelle Geige ist. In ihrer Homepage fanden wir diesbezüglich keinen Vermerk. Bei einem Konzert (allerdings in Los Angeles) im gleichen Jahr spielte sie die Stradivari von 1718 „Mlynarski“, die zuvor bereits von Rudolf Kolisch gespielt wurde. Laut „Tariso“ spielte sie bereits auf der „Guitar, Braga, Chanot-Chardon“ von 1726, die auch schon einmal Joshua Bell gehörte und auf der „Habeneck“ von 1734, die unter anderen bereits von Christopher Warren-Green gespielt wurde.

Bei ihrem Konzert in Rotterdam lässt die niederländische Geigerin mitunter an Anne-Sophie Mutter denken, denn auch sie nutzt reichlich Vibrato und einen recht hohen Bodendruck um ihr gewünschtes Espressivo zu erzielen. Sie spielt sehr gesanglich und auf Linien bezogen und wirkt daher deutlich weniger detailaffektiert als Carlin Widmann, Hilary Hahn oder ganz besonders Maria Dueñas. Klanglich spielt sie in einer der obersten Klassen, erreicht aber nicht die Zone der Außergewöhnlichkeit, in der man den Geiger oder die Geigerin sofort erkennen kann. Im zweiten Satz muss sie allerdings auch ziemlich laut spielen, denn das Orchester setzt bereits so laut ein (sollte p sein), als ob es diese Vortragsbezeichnung gar nicht kennen würde. Vielleicht auch ein Faux-Pas der Aufnahmeleitung. Das regelt sich nämlich im Laufe der Zeit.

Auch im „Finale“ lässt Herr Peltokoski das Orchester immer wieder kräftig durchscheinen, nicht immer so leise, wie es der Notentext eigentlich vorsieht. Die Schlusswirkung gelingt den Rotterdamern jedoch sehr prägnant und präzise. Da erinnerten wir uns daran, dass das genauso bereits in der Rotterdamer Einspielung mit Yannick Nézet-Seguin war. Simone Lamsma spielt auch im letzten Satz (wie in den beiden zuvor) mit vollem Einsatz, dabei jedoch weniger schlackenlos als Hilary Hahn, Maria Dueñas, Carolin Widmann oder auch Leonidas Kavakos oder Gil Shaham.

Wie bei den anderen Aufnahmen der diversen Rundfunkanstalten klingt auch die niederländische Einspielung sehr ausgewogen. Die Geige klingt zwar, wie es sein sollte deutlich hervor, das Orchester wird aber nie abgehängt.

 

 

 

 

4

Rosanne Philippens

Leo Hussain

Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz (seit 2024: Bodensee Philharmonie)

SWR, unveröffentlicht

2023, live

8:57  7:55  7:18  24:10

Dieses Konzert fand anlässlich des Bodensee-Festivals entweder im Konzil Konstanz oder im Milchwerk Radolfzell statt. Da man das Konzert häufiger spielte und sogar eine kleine Tournee anschloss, gibt es tatsächlich mehrere Möglichkeiten. Sicher ist es deshalb nicht, weil der Moderator der Sendung den Termin des Konzertes in Konstanz genannt hat, aber den Ort Milchwerk Radolfe5iozell. Wenn wir das klangliche Ergebnis zugrunde legen wäre das Milchwerk Favorit. Letztlich ist es aber unerheblich, wo gespielt wurde. Es fehlt dem klanglichen Ergebnis in jedem Fall an einer großzügigen Räumlichkeit bei Solistin und Orchester, obwohl der Gesamtklang (mit einem gewissen Hall) einen recht großen Raum suggeriert. Rosanne Philippens, wie Frau Lamsma ebenfalls Niederländerin, spielt die Stradivari „Barrère“, die zuvor 15 Jahre lang von Janine Jansen gespielt wurde. Ihr Spiel wirkt nicht ganz so souverän wie bei den Besten, sie zeigt aber keine größeren Unsicherheiten. Das Zusammenspiel erscheint nicht ganz nahtlos und die häufig „opulent-schimmernden“ Einlassungen des Orchesters wirken wenig brillant und entbehren der klanglichen Tiefgründigkeit, wie wir sie von den besten Orchestern kennen. Es fehlt auch die gewisse Opulenz, die man aber auch eher von einer Philharmonie erwarten würde, als von einem Milchwerk. Bei der Kadenz vermissten wir die Staccato-Attacke.

Im zweiten Satz spielt das Orchester, wie in vielen Aufnahmen einfach zu laut, was dem Satz viel von seiner Intimität nimmt. Frau Philippens trifft die Stimmung hingegen viel besser.

Im dritten Satz spielt sie die kaskadenähnlichen Läufe sehr gewandt, aber nicht so blitzsauber, wie wir das von den allerbesten Einspielungen kennen.

Klanglich erscheinen Violine und Orchester dichter zusammengerückt als sonst, da macht das Milchwerk als Konzertsaal einen eher kompakten Eindruck, viel weniger generös als man das von den nur der Musik gewidmeten, großen Sälen kennt. Für einen ungedämpften Saal spricht der eher hallige Klangeindruck, obwohl es besonders dem Orchester an aufnahmetechnischer Präsenz nicht mangelt.

 

 

4

Arabella Steinbacher

Bertrand de Billy

Wiener Symphoniker

ORF, unveröffentlicht

2013, live

9:44  9:31  7:02  26:17

Ein Jahr nach ihrer CD-Aufnahme in Lissabon präsentierte sich Arabella Steinbacher mit dem Korngold-Konzert in Wien. Dabei spielte sie allem Anschein nach ebenfalls ihre Stradivari „Booth“ auf der zuvor bereits 15 Jahre lang Julia Fischer musizierte. Auch live bevorzugt sie langsam wirkende Tempi. Das schützt jedoch nicht vor teils deutlichen Schleif- und Pfeifgeräuschen in unserer schon oft zitierten „Teststrecke“ Korngolds zwischen Zi. 6 bis Zi. 10 (einschließlich). Live, wie zu erwarten, deutlich mehr als in Lissabon unter Studiobedingungen, bei der uns davon nichts aufgefallen ist. Dass Frau Steinbacher in diesem Mitschnitt über alle technischen Schwierigkeiten erhaben wäre, lässt sich nicht behaupten. Das „Risoluto“ der Staccato-Passage der Kadenz haben wir ebenfalls schon erheblich resoluter gehört. Den großen Bogen vermissen wir ebenfalls. An Vibrato hingegen wird nicht gespart. Selbstverständlich klingt ihr Instrument auch live sehr schön. Ihr Klang per se betrachtet, falls man ihn von den anderen Parametern des Geigenspiels einmal ausnahmsweise abstrahieren möchte, dann wäre er hier das Beste davon.

Dem zweiten Satz begegnet Frau Steinbacher erneut mit reichlich flackerndem Vibrato, also versehen mit einer hohen Amplitude. Das muss man mögen, genau wie das erneut expansive Tempo. Das Orchester nutzt das Tempo immerhin um ihr einen ausladenden Klangteppich zu bereiten.

Im „Finale“ wirkt es dann so, als hätte man den Schongang eingelegt, zumindest einmal gegenüber Heifetz, Gluzman oder auch Anne-Sophie Mutter. Der Charakter des Satzes wird nicht zugespitzt, sondern im Gegenteil abgemildert und vergleichsweise energiearm, ohne ihn zur Gänze zu verfehlen. Es fehlt jedoch an Spritzigkeit und Vitalität, auch beim Orchester, das ja irgendwie zur Solistin passend gemacht werden muss. Fröhliche Bravo-Rufe von den zahlreichen Fans der Geigerin.

In der 5.1 Aufnahme des ORF erscheint das Orchester noch klar durchgezeichnet. Dank Subwoofer-Unterstützung wird der Bassbereich sehr prominent verstärkt. Ihn nach eigenem Gusto einzustellen bleibt dem Hörer überlassen. Auch in Wien ist die Balance Violine/Orchester gelungen. Die Dynamik aus den fünf Lautsprechern ist erfreulich.

 

 

4

Arabella Steinbacher

Santtu-Matias Rouvali

Göteborger Symphoniker

ORF, unveröffentlicht

2023, live

10:27  9:33  7:40  27:40

Wie bereits unter Arabella Steinbacher/Lawrence Foster erwähnt musste die Geigerin ihre „Booth“ Stradivari an die verleihende Institution zurückgeben (die Nippon Music Foundation). Es gelang ihr jedoch gleichwertigen Ersatz zu erhalten, nämlich die Stradivari „ex Benno Walter“, die zuvor bereits Joseph Szigeti gute Dienste geleistet hatte. Auch mit dieser Geige ist Frau Steinbachers Klang sehr schön, absolut intonationssicher (wie zuvor auch schon), schlank, strahlend und mit einigem spezifischen Flair versehen. Mit dem schwedischen Orchester befand sie sich auf Tournee und Wien war, glücklicherweise für uns, ebenfalls Station. Glücklicherweise deshalb, weil der ORF auch Konzerte von Gastorchestern überträgt, was bei einigen Sendern der ARD nur eine seltene Ausnahme darstellt. Bei den meisten ARD-Sendern passiert es sogar nie. Es sei denn, man bedient sich bei der UER und tauscht Konzertaufnahmen mit anderen europäischen Sendeanstalten aus.

Dieses Mal traf man sich im Musikvereinssaal. Das Tempo ist in den letzten zehn Jahren bei Arabella Steinbacher nicht schneller geworden, im Gegenteil, noch langsamer. Der Vortrag der „Teststrecke“ gelingt vielleicht deshalb viel besser als 2013 an gleicher Stelle. Das Tempo ermöglicht ein deutliches und exaktes Ausformulieren auch der vertrackteren Rhythmen. Auf der anderen Seite begünstigt so ein langsames Tempo bei diesem bei vielen unter „Überzuckerung-Verdacht“ stehenden Konzertes, gerade in diese Falle zu laufen.

Im zweiten Satz ist Frau Steinbacher dem Tempo von 2013 treu geblieben. Sie lässt sich sehr viel Zeit, nutzt sie zu ihrem erzählenden Auftritt, bei dem es unserer unmaßgeblichen Meinung nach aber bereits zu Auflösungserscheinungen kommt. Ein Andante sollte kein Adagio sein. Es macht sich eine lähmende Stimmung breit, als ob das Wetter ebenso heiß wie schwül gewesen wäre und man eigentlich nur noch in der Hängematte Zuflucht findet. Kein Lüftchen geht, das etwas mehr Bewegung in die Musik hauchen könnte.

Im „Finale“ geht es ebenfalls zu gelassen zu. Weit entfernt von dem kecken Charade-Spiel der filmischen Vorlage. Statt jugendlichen Ungestüms, gibt es nur gebremsten Schaum. Viele Besucher des Konzertes schätzen, wie man dem Applaus entnehmen kann, die grazil-anmutige Spielweise der Solistin, die bereits aus dem ersten Satz bekannt ist. Zart, fragil und verlangsamt. Unser Herz schlägt hingegen mehr für die flotte, die beherzte Gangart, die in der Lage ist, dem Konzert mehr Energie einzuflößen und ihm virtuose Glanzlichter aufsetzen kann. Herr Rouvali konnte die Tempi sicher mittragen, denn bei der Aufnahme mit Baiba Skride ging es auch nicht viel schneller zu, aber geigerisch entschieden beherzter und mit einem ganz anderen Energielevel.

Leider hat der ORF vor einigen Jahren die 5.1-Kanal-Ausstrahlung über den Satelliten eingestellt. Da klang es noch transparenter und fülliger. Nun muss man mit einer geringen Datenrate und mit recht dünnem Klang vorliebnehmen, der vielleicht noch dokumentieren kann, was im Konzertsaal passiert ist, aber einen sinnlichen Genuss bereitet er nicht mehr.

 

 

8.9.2024