Maurice Ravel

Konzert für Klavier und Orchester G-Dur

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Werkhintergrund:

 

Maurice Ravel wurde am 7. März 1875 in Ciboure im Département Pyrénées-Atlantique geboren. Sein Vater stammte aus der Gegend von Genf und seine Mutter war Baskin. Sie sang ihm in seiner frühesten Jugend die Lieder ihrer Heimat vor, was ihn wohl geprägt hat. Maurice Ravel war gerade drei Monate alt, als seine Eltern mit ihm nach Paris zogen. 1889 begann er sein Studium am Pariser Konservatorium. Dieses Studium sollte in der Folge (alle Langzeitstudenten bitte mal wegschauen) 16 Jahre dauern. Seine Lehrer waren André Gédalge - bei dem auch Jacques Ibert, Arthur Honegger und Darius Milhaud studierten - und Gabriel Fauré.
Im Alter von 20 Jahren schrieb er das "Menuet antique", das er aber eher als eine Art Schülerarbeit empfand. Im gleichen Jahr entstand die "Habanera" für zwei Klaviere. Später verwendete sie Ravel als dritten Satz in seiner 1907-08 komponierten "Rhapsodie espagnole" für Orchester.
Nach seinem Studium betätigte sich Maurice Ravel als Pianist, Dirigent und Liedbegleiter seiner Werke. 1933 wurde diese Laufbahn durch eine Lähmung leider beendet, und Ravel widmete sich fortan nur noch der Komposition. Erste Anzeichen von pianistischen Problemen gab es bereits in der Vorbereitungsphase zur Uraufführung seines Klavierkonzerts in G-Dur.
Seine frühen Werke waren vor allem von Liszt, Chabrier, Fauré und Rimskij-Korsakow beeinflusst. Entscheidend für Ravels musikalische Entwicklung war aber sicher die Begegnung mit dem Impressionisten Claude Debussy (bei aller Verschiedenheit individueller Ausprägung). Vor allem Debussys "Prélude à l'après-midi d'un faune" beeindruckte Ravel.
Der Einfluss spanischer Folklore ist im Werk Maurice Ravels immer wieder zu spüren, sicher als Nachklang der baskischen Weisen aus seiner Kindheit. So komponierte er Orchesterwerke wie z.B. die "Rhapsodie espagnole" oder "Alborada del gracioso" oder aber die Kurzoper "L'heure espagnole" (Comédie musicale). Die Musik der spanischen Zigeuner regte ihn 1924 zu dem virtuosen "Tzigane" an, das er für Violine und Klavier (resp. für Luthéal [präpariertes Klavier]) schuf, von dem es aber später auch eine Orchesterfassung gab (siehe dazu den betreffenden diskographischen Vergleich).
Auch seinem Lehrer Fauré hat Ravel ein Werk gewidmet, die 1922 komponierte "Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré" für Violine und Klavier. Seine "Chansons madécasses" entstanden 1925/26 und widerspiegeln Ravels Interesse an der exotischen Thematik, wie auch der Liederzyklus und die Ouvertüre  „Sheherazade“. Ausgelöst wurde dieses Interesse wohl durch die Pariser Weltausstellung.
Als bekanntestes Werk darf sicher sein "Boléro" bezeichnet werden. 1928 eigentlich als Ballettmusik entstanden (1929 Choreographie: Bronislawa Nijinska) wird er heute auch in mannigfacher Bearbeitung immer wieder gespielt. Zu seiner Ballettmusik angeregt wurde er durch den berühmten russischen Ballettimpresario Sergej Diaghilew (1872-1929).
Fünfmal versuchte Maurice Ravel auch den unter den jungen französischen Komponisten begehrten sogenannten Rompreis zu gewinnen, doch jedes Mal wurden seine Kompositionen als zu avantgardistisch abgelehnt. Dieser Preis der französischen Akademie der Schönen Künste in Rom wurde 1803 von der Regierung gestiftet. Er sichert dem Gewinner für fünf Jahre ein Stipendium zu. Über drei Jahre darf dieser sich in der Villa Medici in Rom aufhalten, befreit von der Sorge, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Seine letzte Teilnahme vor Erreichen des Bewerbungshöchstalters ging Ravel 1905 an. Obwohl er als Favorit für den Preis galt, schied er wegen vieler Verstöße gegen Satz- und Kompositionsregeln schon in der Vorrunde aus dem Wettbewerb aus. Den Preis gewann Victor Gallois. Ravels „Fall“ löste eine heftige öffentliche Diskussion aus, weniger über die von ihm vorgelegten Kompositionen als vielmehr über die Frage, wie der Konservatoriums- und Wettbewerbsbetrieb eigentlich gehandhabt wurde. Der in der Presse als „Ravel-Affäre“ bezeichnete Skandal führte letztlich zum Rücktritt von Dubois als Direktor des Konservatoriums. Der Schriftsteller und Musikkritiker Romain Rolland schrieb am 26. Mai 1905 an den Direktor der Académie des Beaux-Arts, Paul Léon:

„Ich vertrete in dieser Affäre absolut keine Interessen. Ich bin kein Freund Ravels. Ich kann sogar behaupten, dass ich persönlich seiner subtilen und raffinierten Kunst keine Sympathie entgegenbringe. Aber der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass Ravel nicht nur ein vielversprechender Schüler ist, er ist heute schon einer der meistbeachteten jungen Meister unserer Schule, die nicht viele davon aufzuweisen hat. […] Ravel bewirbt sich um den Rompreis nicht als Schüler, sondern als ein Komponist, der sein Können bereits unter Beweis gestellt hat. Ich bewundere die Komponisten, die es gewagt haben, über ihn zu urteilen. Wer wird nun über sie urteilen?“

Aus Enttäuschung Ravels über die Ablehnung seiner - übrigens bemerkenswerten - Kompositionen bei der Vergabe des Rompreises, verschwanden diese für viele Jahrzehnte und wurden zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt. Mittlerweile wurden sie von musikwissenschaftlichen Archäologen teilweise wiedergefunden und aufgeführt.

Die musikalische Sprache des Jazz ist in Ravels Kompositionen ebenfalls zu spüren, z.B. in dem 1929/30 komponierten Klavierkonzert in D-dur für die linke Hand und in dem in G-Dur, dem wir uns etwas intensiver widmen wollen. Zahlreich sind auch Ravels Bearbeitungen für Orchester von Werken bekannter Komponisten wie Igor Strawinsky oder Modest Mussorgsky. So wäre z.B. die 1922 entstandene Bearbeitung von Modest Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" zu erwähnen.
Maurice Ravel blieb Zeit seines Lebens unvermählt und kinderlos. Eine (nicht ausgelebte) Homosexualität wird angenommen. Seit seiner Lähmung 1933 lebte er zurückgezogen als Komponist in einem kleinen Dorf. Trotz finanzieller Unabhängigkeit empfand er seine Einsamkeit immer mehr als quälend. 1937 starb Ravel an einem Gehirnleiden in Paris. Dies nur als Hinführung und Hintergrund zum eigentlichen Thema.

Maurice Ravel entschied erst spät in seinem Leben, für sich ein eigenes Klavierkonzert zu komponieren. Nach viel Klaviermusik, Kammermusik, Liedern, Balletten und sogar Opern fehlte im Werkkatalog dieses nicht zuletzt auch fabelhaften Pianisten bloß ein Werk für Klavier und Orchester.

Montfort L’Amaury. Eine kleine Stadt etwa 50 km entfernt von Paris. Die engen Strassen rufen die Atmosphäre des Anfangs des 20. Jahrhunderts wach. Auf dem Hügel steht ein Märchenschloss en minature. Die kleinen Zimmer haben etwas Gemeinsames: alle beinhalten kleine, exotische Gegenstände und sind mit außergewöhnlicher Präzision eingerichtet. In solchem Milieu hat Ravel simultan die beiden Klavierkonzerte geschrieben. Ravel ist nach dem ersten Weltkrieg, im Jahre 1921 in die Villa „Le Belvédere“, so der Namen des Schlösschens, gezogen.1929 nahm er zuerst das Konzert G-Dur in Angriff; es war auch als Referenz an Mozart gedacht und zählt heute zu den beliebtesten Klavierkonzerten überhaupt. Nun wollte es der Zufall, oder eigentlich: der Wiener Pianist Paul Wittgenstein, dass Ravel, kurz nachdem er mit der Arbeit an seinem G-Dur-Klavierkonzert begonnen hatte, ein weiteres, spezielles Werk für die Besetzung Klavier und Orchester schreiben sollte – allerdings eines für die linke Hand allein, da Paul Wittgenstein im grausamen 1. Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte.

So ergab es sich, dass Ravel gleichzeitig an zwei Konzerten arbeitete: Auf seinem Flügel lag links ein Packen Noten für das G-Dur-Konzert, rechts bewahrte er das linkshändige Werk auf. Man fragt sich: Warum nicht umgekehrt? Und obwohl kein Zweifel besteht, dass beide Werke ureigenster Ravel sind, könnten sie doch unterschiedlicher nicht sein – sowohl stilistisch als auch, klarerweise, spieltechnisch. Ravel selbst äußerte sich dazu im Juli 1931 in einem Interview für den Daily Telegraph: «Gleichzeitig zwei Konzerte zu konzipieren war eine interessante Erfahrung. Dasjenige, das ich selbst spielen werde [dazu sollte es nicht mehr kommen], ist ein Konzert im wahrsten Sinne des Wortes. Darunter verstehe ich, dass es im Geiste der Konzerte Mozarts und Saint-Saëns’ geschrieben ist. Meiner Meinung nach muss die Musik eines Konzerts leicht und brillant und nicht auf Tiefsinn und dramatische Wirkung bedacht sein […] Zuerst hatte ich gedacht, mein Konzert als ‹Divertissement› zu bezeichnen. Dann erschien mir dies aber als unnötig, weil der Begriff ‹concerto› selbst klar genug den Charakter des Werks erfasst. In mancher Hinsicht ist dieses Konzert nicht ohne Beziehungen zu meiner Violinsonate. Es enthält einige Anspielungen auf den Jazz, aber nicht viele.»

Ravel vertrat die Auffassung, dass Komponisten sich ihrer individuellen und nationalen Besonderheiten bewusst sein sollten und kritisierte an den amerikanischen Komponisten, dass sie die europäische Tradition nachahmten, statt Jazz und Blues als ihre eigene musikalische Tradition anzuerkennen. Als George Gershwin bei einer Begegnung bedauerte, nicht sein Schüler geworden zu sein, erwiderte Ravel: „Warum sollten Sie ein zweitklassiger Ravel sein, wenn Sie ein erstklassiger Gershwin sein können?“ Einflüsse von Gershwins Stil lassen sich in den beiden Klavierkonzerten Ravels feststellen.

Uns kommen die beiden Klavierkonzerte eher vor wie Licht und Schatten. So verschieden sie klingen, gehören sie doch zusammen. Dunkel koloriert, kraftvoll, massiv das eine (für die linke Hand), von fröhlicher, beinahe mühelos fließender, wie sonnendurchfluteter Brillanz und Leichtigkeit das andere (in G).

Maurice Ravel schrieb also das G-Dur-Konzert eigentlich für sich selbst – er war schließlich auch ein fabelhafter Pianist, der sich auf der Höhe seines Ruhmes befand. Allerdings erlaubte ihm seine sich langsam, aber stetig verschlechternde Gesundheit nicht mehr, die Uraufführung am 14. Jänner 1932 auch selbst zu spielen. Die mit Ravel lange Jahre befreundete Pianistin Marguerite Long saß bei der Premiere am Flügel, Ravel stand am Pult des Orchestre Lamoureux.

Emile Vuillermoz schrieb über den Abend: „Noch einmal möchte ich gegen die Angewohnheit protestieren, die immer mutiger um sich greift, nämlich einen Komponisten um jeden Preis vors Publikum zu bringen, und zwar in einer Rolle, die er nicht auszufüllen vermag. Ravel wird andauernd als Pianist herausgebracht, obwohl er doch in dieser Eigenschaft nicht brillieren kann. Der portugiesische Dirigent (Pedro de Freitas Branco) verhalf den von ihm geleiteten Werken zu viel größerer Wirkung als Ravel den ihm anvertrauten: seine Pavane war unsäglich langsam, sein Bolero trocken und schlecht ausbalanciert. Und die Begleitung des Konzertes ließ Klarheit und Elastizität vermissen. Dagegen verdient der Komponist volles Lob für all die delikaten und raffinierten Stücke, deren Orchestrierung von amüsanten und starken Erfindungen überschäumt und deren stilistische und gedankliche Originalität wirklich unnachahmlich ist… das neue Konzert ist der anderen Meisterwerke würdig, die wir Ravel verdanken... Das Werk ist sehr leicht verständlich und vermittelt den Eindruck außerordentlicher Jugendlichkeit. Es ist wunderbar zu sehen, wie dieser Meister mehr Frische und Inspiration besitzt als die jungen Leute heutzutage, die sich unnötigerweise kasteien, um mittels strapaziöser Komik oder Karikatur einen Humor sichtbar werden zu lassen, der ihrem Temperament überhaupt nicht entspricht."  Nach der Uraufführung gingen Ravel und Marguerite Long auf eine viermonatige Tournee. Das Werk wurde in mehr als zwanzig Städten aufgeführt, darunter in Brüssel, Wien, Bukarest, Prag, London, Warschau, Berlin, Amsterdam und Budapest. Die beiden Protagonist:innen haben das Werk wenig später auch für die Platte engespielt. Die Erstaufführung in der Schweiz wurde 1937 in Lausanne und Genf mit der Schweizer Pianistin, Jacqueline Blancard und dem Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von Ernest Ansermet. Die Pianistin hat das Werk später ebenfalls eingespielt.

Einen Meister der klingenden Masken nannte Theodor W. Adorno Maurice Ravel, „einen Todfeind dynamischen Wesens der Musik“, einen „letzten Antiwagnerianer“. Damit ist ein wesentlicher Zug der Musik Ravels benannt und auf den Punkt gebracht. Denn nicht Prozessualität, vorwärtsstrebende, zielgerichtete Entwicklung suggerieren die Kompositionen Ravels, ganz im Gegenteil: ihnen ist ein kühler, unbewegter, statischer, eben maskenhaft-künstlicher Duktus eigen. Dieser offenbart sich vor allem in den schnellen Ecksätzen des Klavierkonzerts in G, wo Ravel virtuos mit stilistischen Anleihen jongliert, wo er mit Blue Notes, Synkopen, Flattereffekten und Posaunenglissandi sich des musikalischen Vokabulars des Jazz´ bedient, und wo er sich der Musik Gershwins, Saint Saëns und seiner baskischen Heimat zu erinnern scheint und sich unvermittelt in die Nähe der klassichen Konzertform manövriert, ohne jedoch die dort vorgezeichneten Pfade der musikalischen Konfliktlösung zu beschreiten. Ravel bedient sich dieser unterschiedlichen Schreibweisen, um sich in teilweise ironischer Distanz dahinter zu verbergen, um nicht seine zerbrechliche und verletzliche Persönlichkeit preiszugeben, so hat es den Anschein. Dass aber Ravels Musik beileibe nicht so kühl ist, wie sie dem Hörer glauben machen möchte, darauf hat er selbst auch hingewiesen: „Ich habe immer gefunden, dass ein Komponist zu Papier bringen sollte, was er fühlt und wie er fühlt – ohne Rücksicht darauf, was der gängige Stil gerade sein mag. Große Musik…muss stets aus dem Herzen kommen. Musik, die nur von Technik und Gehirn geschaffen wird, ist das Papier nicht wert, auf das man sie schreibt. Dies war immer mein Argument gegen die sogenannte moderne Musik der jüngeren rebellischen Komponisten. Sie ist ein Produkt ihrer Köpfe und nicht ihrer Herzen.“

Und so gestaltet sich die Interpretation von Ravelscher Musik im Allgemeinen und des G-Dur-Konzertes im Besonderen, als eine Gradwanderung zwischen kühl kalkulierter Intellektualität und kaschierter, hinter den unterschiedlichen Masken verborgener Emotionalität, auf die es gilt zumindest andeutungsweise hinzuweisen, ohne die Distanz zu verlieren.

Der erste Satz führt als Tempobezeichnung „Allegramente“. Viele sind der Ansicht, das wäre gleichbedeutend mit „Allegro“. Es meint aber nicht allein, dass es rasch vorgetragen werden sollte, sondern zusätzlich auch mit einer munteren Laune, freudig, fröhlich und leicht. Er beginnt mit einem Peitschenschlag, auf den sofort über wirbelnden Klaviergirlanden die Piccoloflöte mit einem an ein baskisches Volkslied erinnernden Thema einsetzt. Schlag auf Schlag tauchen, enorm kunstvoll und doch mit scheinbar leichter Hand aneinandergefügt, gleich vier weitere Themen auf, die zunehmend von der Sphäre des Jazz beeinflusst sind. Formal wiederum bleibt Ravel im Kopfsatz der klassischen Form verpflichtet, wenn auch durch die abwechslungsreiche Instrumentierung so verschleiert, dass weder die ausgelassene Durchführung, noch die raffiniert sich einschleichende Reprise leicht auszumachen sind. Lauscht man jedoch genau, verrät eine zarte Passage mit glitzernden Harfen-Glissandi und die bald darauffolgende Klavier-Kadenz mit langen Trillerketten den Eintritt der Coda, die den Satz schließlich launig-lärmend beschließt. Die Idee zum ersten Thema soll Ravel auf einer Zugfahrt von Oxford nach London gekommen sein, nachdem er sein Ehrendoktorat der Universität Oxford entgegengenommen hatte – und in der Tat weckt dieser unmittelbar auf die zweite Takthälfte einsetzende Alla breve-Beginn (2/2) mit seiner unregelmäßig gebauten Periodik, mit seinen flirrend-flüchtig dahingleitenden gebrochenen Akkordkaskaden im Klavier und den unregelmäßig beinahe wie zufällig gesetzten akkordischen Stützen in den Streichern Assoziationen an einen über Weichen und Schienenkreuzungen ratternden Zug. Wenn da die Peitsche zu Beginn nicht wäre, wäre dem wohl vorbehaltlos zuzustimmen. Mit der Peitsche zusammen könnte es sich auch um eine zweifellos schnelle, für manch einen Pianisten und/oder Orchester zu schnelle Kutschfahrt handeln. Manch ein Pianist mokierte sich über die Harfenkadenz in diesem Satz, die sich pikanterweise auch noch vor der eigentlichen Klavierkadenz befindet (mit „Andante, quasi cadenza“ überschrieben). Sie benutzt das musikalische Material des Epilogs des zweiten Themas und hüllt es in ein flirrendes Glissando, einer von nicht wenigen mystischen Momenten in diesem Konzert. Der neutrale Hörer stellt fest, dass die Harfe hier einen Klangzauber entfaltet, an den ein Klavier (selbst wenn es von den Besten gespielt wird) einfach nicht herankommt. Sie ist höchstens ein formaler Skandal für wenig Innovative, für die eine Kadenz in einem Klavierkonzert nur vom Klavier gespielt werden darf. In Punkto Instrumentation kann aber, was wir als Gesetz hiermit festschreiben (obgleich ohne jede Ermächtigung), dem französischen Meister niemand etwas vormachen.

Eine Stelle (eine Kleinigkeit nur) hat sich im ersten Satz als besonders erheiternd herausgestellt, denn da machten die Orchester (oder die Dirigenten) was sie wollen. Vielleicht gibt es auch verschiedenen Ausgaben der Partitur? Wir warteten beim Abhören immer schon darauf, welch eine Version denn dieses Mal dran sein könnte. Es gibt drei verschiedene. Vier Takte vor Zf. 1 kommen zwei Triangel-Anschläge im p, der erste auf die 2, der zweite auf die 4. Ein Drittel der Ausführenden macht es richtig. Dann kommt ungefähr ein Drittel der Spieler mit ihrem Triangel auf die 2 und die 3. Die restlichen bringen zusätzlich zu den beiden notierten die beiden Triangel-Anschläge bereits 2 Takte früher, die aber gar nicht in unserer Partitur stehen. Sonderbar schon, aber einfach nicht wichtig genug, um daraus ein besondere Partiturtreue oder Partiturferne abzuleiten.

Wenn man sich die Partitur anschaut, fällt es dem Auge sofort auf, was für eine sparsame Besetzung Ravel benutzt. Klein aber „Oho“ könnte man bei diesem Orchester meinen. Er selbst unterstreicht dies auch in dem für das „Excelsior“ am 30. Oktober 1930 gegebenen Interview zum Konzert: „Ich forderte ein reduziertes Orchester: Zu den üblichen Streichern gesellen sich nur eine Flöte, Piccolo, Oboe, Englischhorn, zwei Fagotte, zwei Hörner, eine Trompete und eine Posaune.“ Die Instrumentierung des zweiten Satzes ist grundsätzlich auf den Bläsern, vor allem auf den Holzblasern aufgebaut. Der ganze Satz, Adagio assai, ist eigentlich ein Zwiegespräch zwischen dem Klavier und den Holzbläsern. Ravel hat ihn nach eigener Aussage nur unter großen Mühen geschrieben „Takt für Takt“ nach dem Vorbild des Larghettos aus dem Klarinettenquintett A-Dur KV 581 von Mozart. Für die Dauer dieses Satzes scheint Ravel alle Masken beiseitegelegt zu haben, hier scheint sich seine Persönlichkeit selbst zu offenbaren. Wenn man ihn jedoch oft hört meint man, dass doch wieder Masken im Spiel sind, wenn man einmal von der Einleitung (nur mit dem Klavier zu spielen) absehen will, nur sind sie besonders gut versteckt und kleiden sich bestens instrumentiert immer wieder um. Der Satz beginnt mit einer nocturneartig, weit ausschwingenden Melodie im ¾-Takt. Ihren eigenartig unsicheren Charakter bezieht die knapp dreiminütige Solo-Klavier-Einleitung aus einem metrischen Kunstgriff, dem Nebeneinander, oder besser Gegeneinander von einem großen Dreiertakt in der rechten Hand und einem kleinen Dreiertakt in der linken. Der letztere zieht sich durch den ganzen Satz. Zahlreiche Assoziationen stellen sich ein, etwa die eines nächtlichen Ständchens einer Singstimme und einer etwas unbeholfen begleitenden Gitarre. Schauen wir uns nun einmal mit den Augen von Marosvári Dorottya (die den Satz einmal genau analysiert hat, als sie noch an der Musikhochschule Szeged war) etwas genauer die Funktion der einzelnen Instrumente an, um dem Meister der Instrumentierung ein wenig über die Schulter zu schauen: „Die Streichinstrumente dienen im Allgemeinen der Begleitung. Sie stimmt fast immer mit der Verstärkung der linken Hand überein. Dies bedeutet aber nicht bedingungslos eine ständige Unterordnung, weil die Streicher und die linke Hand manchmal gleichberechtigt die Rolle des Begleiters spielen (Takte 36-45, Takte 62-65 außer 1. Violinen). Beim Takt 34 - am Ende des Klaviersolos - setzen die Streicher ein, und es ist genau festzuhalten, dass die Akkorde der linken Hand auf die verschiedenen Streicherstimmen verteilt sind: Die 2. Violinen spielen die Ober-, die Bratschen und die Celli die Unterstimme der linken Hand. Die 1. Violinen schließen im Takt 41 an, wenn der Klaviersatz vierstimmig wird, und spielen sinngemäß die Oberstimme. Nachher übernehmen die Bläser die Begleitung (Takte 46-52). Die Kontrabässe setzen erst im Takt 58 als Verdoppelung der Celli ein. Ab Takt 66 helfen die Streicher - parallel zu der vorherigen Bläser-Stelle - beim crescendo mit aufsteigenden Terzen. Es gibt eigentlich nur zwei solistische Stellen für die Streicher: erstens die Takte 62-65, wo die 1. Violinen die Variante der vorher vom Klavier vorgetragene Melodie bringen. Zweitens die Takte 103-105, wo vor dem Abschluss ein kurzes, mit espressivo bezeichnetes Bratschen-Solo auftritt. Die Bläser haben eine fast gleichwertige Rolle wie das Klavier, denn der Satz ist ein eigentliches Zwiegespräch. Der erste Einsatz der Bläser besteht aus mehreren Soli. Die Instrumente übergeben einander die Melodie und bilden eine Kette: die Flöte fängt an, dann folgen Oboe und Klarinette, schließlich kehrt die Melodie zur Flöte, den Kreis vollendend, zurück. An der nächsten Stelle übernehmen die Bläser die Rolle der Streicher und werden zu Begleitern. Es gibt eine sehr auffallende Klangfarbenänderung, wenn das Englischhorn, die Klarinette und das 2. Fagott das von den Streichern schon bekannte Begleitschema spielen. In den nächsten vier Takten (46-49) folgt eine Abdunklung aufgrund des Register- und Instrumentenwechsels (2 Fagotte und gestopfte Hörner) sowie der Sequenz der Melodie eine große Sekund tiefer. Umso grösser ist nachher die Aufhellung, wenn die Streicher als Begleiter zurückkehren. Für die nächste Stelle (Takte 58-61) bleibt die vorherige Verteilung der Bläser. Die Fagotte und Hörner beginnen mit den parallelen Quartsextakkorden, gefolgt von der aus Flöte, Oboe, Englischhorn und Klarinette bestehenden Gruppe. Der letzte Akkord des Taktes 71 ist die einzige Stelle, wo alle Instrumente gleichzeitig spielen. Für diesen Höhepunkt des Stückes benutzt Ravel Piccolo und sogar Trompete und Posaune, aber nur für einen Akkord! Ansonsten ist die Blechbläserfamilie nur durch die Hörner vertreten. Ab Takt 74 wird das Englischhorn zum bedeutendsten Instrument, weil es das 10 Takte verkürzte Hauptthema solistisch (es bleiben immer noch 23 Takte übrig, was durchaus zu Atemproblemen führen könnte) spielt. Hier hätte sich das Klavier unterzuordnen. Das bemerken längst nicht alle Pianist:innen und auch nicht alle Tontechniker. In der Reprise erklingen die Thema-Fragmente in verschiedenen Instrumenten: Flöte, Oboe, Englischhorn. Zum Schluss bringt das Fagott ein verirrtes Motiv (Takt 105), das eigentlich die um eine Terz tiefere Version der Mittelstimme der linken Hand darstellt. In diesem Satz sollte auch über das Klavier als Orchesterinstrument gesprochen werden. Es hat eigentlich drei verschiedene Rollen: Solist, Halb-Solist (gleichberechtigt mit dem Orchester) und Begleiter.

Wegen seiner zeitweisen Funktion als Begleiter kann das Klavier auch als Orchesterinstrument aufgefasst werden. An einigen Stellen übernimmt die Klavierstimme sogar die Rolle der Harfe. Die Sextolen - Figurationen wirken tatsächlich harfenähnlich. Unabhängig von der Rolle des Klaviers ist es Ravel gelungen, gleichzeitig den Solisten immer im Vordergrund zu halten, und trotzdem ein Gleichgewicht mit dem Orchester zu schaffen.

Wenn man die Partitur zum ersten Mai anschaut, ist es sehr erstaunlich, die 6/8 Unterteilung des Basses im 3/4 - Takt zu sehen. Sie verleiht dem Stück seine schwebende Atmosphäre. Die rechte Hand ist eigentlich eine Augmentation der linken (doppelte Werte). So ist das Verhältnis zwischen Sopran und Bass 1:2. Das Hauptthema ist sehr einfach, wirkt beinahe improvisiert. Während den 36 Takten gibt es keine einzige Wiederholung. Trotz der improvisatorischen Wirkung kostete es Ravel viel Kopfzerbrechen, dieses Klaviersolo aufs Blatt zu werfen, wie Marguerite Long erinnert.  Die Wichtigkeit der Melodie hat schon André Gédalge, Ravels Orchestrationsprofessor am Pariser Conservatoire, stets betont: „Welche Sosse man darüber gibt, ist eine Sache des Geschmacks. Wichtig ist nur die Melodielinie, und diese ist unveränderlich. Hier kann nicht nur der Einfluss Mozarts (Larghetto Klarinettenquintett) beobachtet werden, wie Ravel selbst zugegeben hat, sondern auch eine gewisse Einfachheit, wie sie bei Satie häufíg festzustellen ist. Die Trois Gymnopédies könnten als Inspiration gewirkt haben. Es ist immer eine gewisse Ähnlichkeit in der Melodie festzuhalten, und auch die Begleitung erinnert an das Mozart-Konzert c-Moll KV 491. Die linke Hand ist das einzige Element, welches den ganzen Satz über dabei ist, und auf welchem alles aufgebaut ist. Tatsachlich erinnern die Akkorde der linken Hand ans Barock und die Klassik (besonders an Mozart). Dieses Schema einer relativ sturen linken und einer relativ freien rechten Hand hat er aus der Barocken Tradition übernommen. Überraschend können einige Teile der Melodie sogar als typisch barocke Verzierungen aufgefasst werden“, soweit Marosvári Dorottya.

Der zweite Satz (Adagio assai) bildet also um zusammenzufassen zum ersten und auch zum dritten den denkbar größten Kontrast: Das Klavier alleine singt eine beinahe unendliche Melodie, die „an Mozart erinnert, den Mozart des Klarinettenquintetts …, das schönste Stück, das er geschrieben hat,“ meint Ravel, und fügt noch hinzu: „diese fließende Melodie! Wie habe ich um sie Takt für Takt gerungen! Fast hätte es mich umgebracht.“ Das Klavier behält dabei in der linken Hand eine lange gleichbleibende Figur bei, über der sich in der Folge nicht nur die rechte Hand mit immer neuen Figurationen erhebt, sondern auch die Holzbläser einige der schönsten Orchestersoli der Musikgeschichte beisteuern. Dieser Satz ist eines der zauberhaftesten Stücke der Musikgeschichte. Die perfekte Präzision der Harmonie und Form, brillante Orchestrationstechnik gepaart mit der sparsamen aber spürbaren Einwirkung anderer Komponisten aus der Vergangenheit und der damaligen Gegenwart. Nach dem Abhören so vieler Einspielungen scheint es, dass sich im vermeintlich technisch „leichtesten“ Satz die pianistische Spreu besonders deutlich vom Weizen zu trennen. Besonders in der vom Klavier alleine vorgetragenen Einleitung. Sie dauert ungefähr drei Minuten. Es ist fast nicht zu glauben, wie unterschiedlich diese drei Minuten klingen können. Viele Pianistinnen und Pianisten gehen mit einer geradezu erschreckenden Phantasielosigkeit an diesen Abschnitt heran und gehen mit einem monotonen Geklimper á la Clementi-Sonatine an dieses bezaubernde Stück Musik heran. Sie liefern gerade mal die richtigen Noten in der richtigen Länge und mit viel Glück passt auch noch die vom Komponisten geforderte Dynamik dazu. Sie glauben damit bereits genug getan zu haben, ihrer Interpretenpflicht genüge getan zu haben. Der mögliche Zauber stellt sich so nicht ein. Man sollte ihnen einmal die traumhaft gelungenen Versionen vorspielen und sie würden vor Scham versinken. Wir verraten noch nicht, welche das sind. Dabei liegt die gerade in diesem Abschnitt schon früh besonders gelungene Einspielung von Arturo Benedetti-Michelangeli bereits seit den späteren 50er Jahren vor, für (fast) jeden der später aufnahm nachhörbar. Einige eiferten ihm erfolgreich nach. Andere kommen zu ähnlich überzeugenden Lösungen. Verblüffen dürften in diesem Zusammenhang die beiden Pianistinnen Alicia de Larrocha und Alice Sara Ott, aber auch Fazil Say, die jeweils sowohl eine hervorragende „Handhabung“ dieser Passage aufzeichnen ließen als auch eine überraschend farblose und langweilige. Wir kommen im Text der jeweiligen Einspielungen auf diese für den Stimmungsgehalt der ganzen Einspielung so entscheidende Passage zurück.

Die ausgelassene Stimmung des ersten Satzes kehrt im Finale (Presto) zurück, allerdings noch deutlich knalliger und fixer. Der Gedanke an Strawinskis „Petruschka“ oder Saties „Parade“ liegt hier nahe, an eine Zirkus- oder Jahrmarktsszene also, vielleicht auch an einen ausgelassenen Kostümball?  Doch ist es letztlich die Welt des klassischen Rondo-Satzes, „im Geiste Mozarts und Saint-Saëns’“, dem das unglaublich rasch seinem Ende zurasende Presto, in verknappter, ausgelassener, jazziger Weise, folgt: Effektvollere, und dabei so leicht fließende Musik für Klavier und Orchester ist noch nie und wohl nie mehr wieder geschrieben worden (wir kennen mal keine). Einziges Manko: Der Satz ist viel zu schnell schon wieder vorbei. „Lieber Monsieur Ravel, das ist doch einfach viel zu kurz. Ihre Fans wollen mehr davon,“ möchte man ihm zurufen. Was würde er dann wohl lapidar antworten? Wir haben im Fortschritt Trost gefunden, denn ein Glück, dass es heutzutage die Repeat-Taste gibt und/oder die Fernbedienung. Und schon geht es wieder von vorne los.

Nun, Ravel selbst sollte sich an seinen beiden Klavierkonzerten nicht mehr allzu lange erfreuen dürfen. Das eigentlich für ihn selbst komponierte in G-Dur konnte er aufgrund seiner fortschreitenden Erkrankung nicht mehr aufführen – aber immerhin dirigierte er es selbst. Das Konzert für die linke Hand hörte er erst 1937, selbst längst arbeitsunfähig und gezeichnet vom unaufhaltbaren Verfall: «Ich habe noch so viel Musik im Kopf, ich habe noch nichts gesagt, ich habe noch alles zu sagen», klagte er, doch an Arbeit war nicht mehr zu denken. Seine letzten vollendeten Werke nach den beiden Konzerten waren 1932 die drei Lieder «Don Quichotte à Dulcinée». Nach Jahren des Leidens und einer zuletzt noch unternommenen, jedoch zwecklosen Gehirnoperation starb Ravel am 28. Dezember 1937. Sein Konzert in G-Dur gilt nicht nur in seiner einzigartigen Verbindung aus Witz, Spielfreude und melancholischen Momenten, tatsächlich im Geiste der großen Vorbilder Mozart und Saint-Saëns, als eine der gelungensten Schöpfungen auf dem Gebiet des Klavierkonzerts, sondern steht auch am Höhe- und gleichzeitig Schlusspunkt des einmaligen Schaffens von Maurice Ravel.

Maurice Ravel war einer der ersten großen Komponisten, dessen Werke schon zu Lebzeiten eingespielt wurden. Das G-Dur Klavierkonzert ist keine Ausnahme. Die erste Schallplatte wurde 1932, im Jahr der Uraufführung mit Marguerite Long und Ravel, gemacht. Wenigstens auf der alten Plattenhülle steht "unter der Leitung von Ravel". Es wurden aber zwei Augenzeugen gefunden, die bestätigt haben, dass es Pedro de Freitas-Branco war, der es tatsachlich - mit der aktiven Unterstützung des Komponisten - geleitet hatte. Es gibt zwei Anekdoten über diese Aufnahme. Beide sind leider englisch gefunden worden. Die erste ist von der Pianistin, Janine Weill, einer Studentin und Freundin Marguerite Longs: „Marguerite Long recalled a delightful incident at the recording session of the concerto in 1932. It had been decided that Ravel would conduct, but in the studio, Pedro de Freitas-Branco substituted for him, and only the „Pavane pour une Infante defunte“ was conducted by the composer. Ravel was in the recording booth. He was pitiless, Marguerite Long said, and she added: ’by two or three o'clock in the morning I was exhausted. Finally, it was done... When Ravel came out of the booth, ordering: we have to begin again! I could have killed him; nevertheless, I obeyed.'” Die andere Anekdote ist von Jean Bérard, den künstlerischen Leiter der Columbia Records in Frankreich: „We recorded Ravel's G Major Concerto with Marguerite Long. Freitas Branco actually conducted, as Ravel conducted poorly. The orchestra was composed of the best Parisian soloists. Ravel was present. The concerto took up five sides of three 78 rpm records. We decided to fill the remaining sixth side with the Pavane. Freitas-Branco asked Ravel, ’Maitre, would you indicate the tempo?' Ravel took the beginning so slowly, I estimated that the performance would last 6 to 7 minutes, when the maximum time possible on a 12-inch side was 4 minutes and 30 seconds. I took Ravel aside and suggested that we go to have a drink, to which he readily agreed. I took him to a bistro near the recording studio on rue Albert. When we returned, Freitas-Branco had already completed the record. A wax proof was replayed, which Ravel approved of, saying 'it's perfect.’. It was 4 minutes and 32 seconds, which was just right.” (Beide Zitate in Orenstein: A Ravel Reader: Correspondence, Articles, Interviews S. 53)

Die erste Aufnahme überhaupt und dann auch noch (fast) in der Besetzung der Uraufführung und vom Komponisten autorisiert, wenn das mal kein großes Glück für unseren Vergleich darstellt! Sie könnte den anderen Einspielungen als Vorbild gedient haben. Ob und inwieweit sie das war, wird zu klären sein. Und ob es in der ca. 90jährigen Aufnahmegeschichte alternative Sichtweisen von Rang gegeben hat natürlich auch.

Die Popularität des Werkes ist bis heute nicht zuletzt an den zahlreichen Einspielungen und Aufführungen messbar. Es ist im Repertoire fast aller namhaften Pianisten fest verankert. Es wirkt ausgesprochen reizvoll und sinnlich auf Pianist:innen und Zuhörer. Einzigartig dürfte auch die Faszination des Werkes sein, die es gerade auf Pianistinnen auszuüben scheint oder wie sollte der hohe Anteil an der Diskographie sonst zu erklären sein, die gerade von Pianistinnen eingespielt wurde? Nun, vielleicht mag es dabei auch eine Rolle spielen, dass Ravel selbst „nur“ über eine kolportierte Körperlänge von 1,58 m verfügt haben soll und zudem einen zierlichen, filigranen Körperbau gehabt haben soll. Photographien von ihm nähren diese Annahme jedenfalls. Da läge die Vermutung nahe, dass auch seine Hände recht klein gewesen sein mussten. Viele Pianistinnen-Hände könnten dann gut oder vielleicht sogar genau passen. Jedenfalls ist es zeitlos populär und gerade heutzutage besonders beliebt, wie an der hohen Zahl gerade an aktuellen Einspielungen abzulesen ist. Dabei sind einige Pianist:innen noch gar nicht in der Diskographie erschienen, die es aber ebenfalls verdient hätten, wie die Auswahl an Mitschnitten der diversen Rundfunkanstalten zeigt. So dürfte noch einiges auch in Zukunft zu erwarten sein. Könnte es in unserer merkantil geprägten Gesellschaft einen besseren Beweis der Wertschätzung geben, als diese Fülle an Aufnahmen?

 

(Die verwendete Partitur stammt von Durand, Paris und stammt von 1932. Da das Copyright mittlerweile anscheinend erloschen ist, kann man sie derzeit frei unter verschiedenen Adressen runterladen.)

 

 

Zusammelstellung beendet 28.2.2023

 

 

 

Maurice Ravel 1925, in vier Jahren wird er sein Klavierkonzert in G schreiben.

 

 

 

 

Übersicht über die am Vergleich beteiligten Einspielungen. Die detaillierten Rezensionen folgen im Anschluss:

 

 

5

Martha Argerich

Claudio Abbado

Berliner Philharmoniker

DG

1967

8:01  8:58  3:50  20:49

5

Julius Katchen

Istvan Kertesz

London Symphony Orchestra

Decca

1965

8:01 10:11 4:00 22:12

5

Krystian Zimerman

Pierre Boulez

Cleveland Orchestra

DG

1994

8:35  9:22  3:54  21:51

5

Stefano Bollani

Riccardo Chailly

Gewandhausorchester Leipzig

Decca

2012

8:08  8:28  3:56  20:32

5

Daniel Grosvenor

James Judd

Royal Liverpool Philharmonic Orchestra

Decca

2012 

8:14  8:14  3:50  20:18

5

Anna Vinnitskaya

Gilbert Varga

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

Naive

2010

8:13  8:46  3:52  20:51

5

Arturo Benedetti-Michelangeli

Ettore Gracis

Philharmonia Orchestra London

EMI

1957

8:27  9:20  3:49  21:36

5

Jean-Yves Thibaudet

Daniel Harding

Sinfonieorchester des BR

Direktübertragung des BR, unveröffentlicht

2019, Live

7:50  8:34  3:50  20:14

5

Florian Uhlig

Pablo Gonzalez

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern

Hänssler

2012

8:20  9:36  3:41  21:37

5

Zoltan Kocsis

Ivan Fischer

Budapest Festival Orchestra

Philips

1995

7:47  8:09  3:40  19:36

5

Roger Muraro

Hubert Soudant

Sinfonieorchester Basel

Accord

1999

8:19  9:03  3:54  21:16

5

Javier Perianes

Josep Pons

Orchestre de Paris

Harmonia Mundi

2017

8:59  9:00  4:04  22:03

5

Nicole Henriot-Schweitzer

Charles Much

Boston Symphony Orchestra

RCA

1958

8:13  8:55  4:14  21:22

5

Marguerite Long

Pedro de Freitas Branco

Ein Orchester

EMI, Intense Media

1932

7:21  8:38  3:56  19:55

5

Leonard Bernstein

auch Dirigent in Personalunion

Columbia Symphony Orchestra

CBS-Sony

1958

8:01  9:39  3:41  21:21

5

Eva Bernátova

Václav Smetácék

Prager Sinfonieorchester

Supraphon

1965

8:00  8:40  4:06  20:46

 

 

 

4-5

Fazil Say

Carlos Miguel Prieto

HR - Sinfonieorchester

Live-Übertragung des HR, unveröffentlicht

2013

8:33  9:42  3:42  21:57

4-5

Alice Sara Ott

Paavo Järvi

HR - Sinfonieorchester

Live-Übertragung des HR, unveröffentlicht

2009

8:15  8:02  3:48  20:05

4-5

Jean-Yves Thibaudet

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1995

8:30  9:50  3:55  22:15

4-5

Pascal Rogé

Bertrand de Billy

ORF Sinfonieorchester Wien

Oehms

2004

8:42  9:44  4:00  22:26

4-5

Oliver Triendl

Takao Ukigaya

Nationales Polnisches Rundfunk-Sinfonieorchester, Kattowitz

Thorofon

1994

8:33  9:10  3:52  21:35

4-5

Kirill Gerstein

Andris Poga

WDR Sinfonieorchester Köln

Live-Übertragung des WDR, unveröffentlicht

2023

8:06  8:04  3:55  20:05

4-5

Francesco Piemontesi

Jonathan Nott

Orchestre de la Suisse Romande

Pentatone

2022

8:20  8:41  3:56  20:57

4-5

Michele Campanella

Gianluigi Gelmetti

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

EMI

1992

8:16  9:07  4:02  21:25

4-5

Hélène Grimaud

Jesus Lopéz-Cobos

Royal Philharmonic Orchestra, London

Denon

1992

8:18  9:18  3:56  21:32

4-5

Hélène Grimaud

David Zinman

Baltimore Symphony Orchestra

Erato

1997

8:22  9:21  4:00  21:43

4-5

Louis Lortie

Heinz Holliger

Nederlands Radio Filharmonisch Orkest

Live-Übertragung des Niederländischen Rundfunks, unveröffentlicht

2009

8:00  9:32  3:55  21:27

4-5

Louis Lortie

Rafael Frübeck de Burgos

London Symphony Orchestra

Chandos

1989

8:42 10:44 4:06 23:32

4-5

Yu Kosuge

Mark Wigglesworth

BBC Symphony Orchestra London

CBS-Sony

1995

8:46  9:00  4:04  21:50

4-5

Alicia de Larrocha

Lawrence Foster

London Philharmonic Orchestra

Decca

1972

8:31 10:04 4:04 22:39

4-5

Samson Francois

André Cluytens

Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris

EMI

1960

7:38  8:34  3:49  20:01

4-5

Hüseyin Sermet

Emmanuel Krivine

Orchestre National de Lille

Naive

2012

8:28  8:54  3:52  21:14

4-5

Martha Argerich

Claudio Abbado

London Symphony Orchestra

DG

1984

8:38  9:28  3:50  21:56

4-5

Myung Whun Chung

auch Dirigent in Personalunion

Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken

Konzertübertragung des SR, unveröffentlicht

1989, Live

8:43  8:45  3:55  21:23

4-5

Leonard Bernstein

auch Dirigent in Personalunion

Philharmonia Orchestra London

RCA, Intense media, History

1946

7:40  9:11  3:35  20:26

4-5

Francois-Joel Thiollier

Antoni Wit

Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks Kattowitz

Naxos

1993

8:02  8:21  3:56  20:19

4-5

Martha Argerich

Charles Dutoit

Staatskapelle Dresden

Konzert-Übertragung des MDR, unveröffentlicht

2009, Live

8:16  9:42  3:53  20:51

4-5

Jean-Yves Thibaudet

Marek Janowski

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzert-Übertragung des RBB, unveröffentlicht

2014, Live

7:49  8:27  3:50  20:06

4-5

Martha Argerich

Jacek Kaspszyk

Orchestra della Svizzera Italiana, Lugano

Warner

2011, Live

8:18  8:54  3:45  21:07

4-5

Martha Argerich

Alexander Vedernikov

Orchestra della Svizzera Italiana, Lugano

Warner

2016, Live

8:20  8:50  3:50  21:00

4-5

Martha Argerich

Gary Bertini

WDR Sinfonieorchester Köln

Capriccio

1985

8:14  9:22  3:56  21:56

4-5

Inon Barnatan

Alan Gilbert

New York Philharmonic Orchestra

Eigenlabel des Orchesters

2015, Live

8:46  9:15  3:53  21:54

4-5

Vlado Perlemuter

Jascha Horenstein

Orchestre de l´Association des Concerts Colonne, Paris

Hänssler, vormals Vox

1955

7:58  9:25  4:09  21:32

4-5

Joaquin Achúcarro

Gilbert Varga

Euskadiko Orchestra Sinfonikoa (Baskisches Nationalorchester, San Sebastian)

Claves

2001

8:57 10:13 4:03 23:13

4-5

Bertrand Chamayou

Adris Poga

Stavanger Symphony Orchestra

Live-Mitschnitt des Norwegischen Rundfunks, gehört beim HR, unveröffentlicht

2022

8:02  8:55  3:54  20:51

4-5

Mitsuko Uchida

Colin Davis

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Live-Mitschnitt des BR

Ca. 1983 – 1992

8:12  9:35  3:53  21:40

4-5

Janusz Oleyniczak

Jerzy Maksymiuk

Sinfonia Varsovia

Sony

2012

8:27  9:06  4:03  21:36

4-5

Cecile Ousset

Simon Rattle

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

1990

8:34  9:50  4:03  22:27

4-5

Gabriela Montero

Carlos Miguel Prieto

The Orchestra of the Americas

Orchid

2018

8:44  8:49  3:55  21:28

4-5

Till Fellner

Stéphane Denève

Wiener Symphoniker

Live-Mitschnitt des ORF, unveröffentlicht

2013

8:47  9:38  4:05  22:30

4-5

Tzimon Barto

Toshiyuki Kamioka

Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken

Otto Braun One Point High Definition

2009, Live

8:46 10:51 3:58 23:35

4-5

Monique Haas

Paul Paray

Orchestre National de l´ORTF (heute: Orchestre National de France)

DG

1965

7:39  8:44  3:59  20:22

4-5

Pierre-Laurent Aimard

Pierre Boulez

Cleveland Orchestra

DG

2010

8:22  9:25  4:13  22:00

4-5

Vikingur Ólafsson

Elim Chan

Wiener Symphoniker

Live-Mitschnitt des ORF, unveröffentlicht

2022

8:54  9:34  3:54  22:54

4-5

Jacqueline Blanchard

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1953

8:26  9:00  4:10  21:36

 

 

 

4

Jean-Philippe Collard

Lorin Maazel

Orchestre National de France, Paris

EMI

1979

8:05 10:13 3:55 22:13

4

Andrew von Oeyen

Emmanuel Villaume

Prague Philharmonia

Warner

2016 (?)

8:38  9:14  4:00  21:52

4

Claire-Marie Le Guay

Louis Langrée

Orchestre Philhamonique de Liège

Accord

2015

8:10  8:45  3:50  20:45

4

Cédric Thiberghien

Francois Xavier Roth

Les Siècles

Harmonia Mundi

2021

8:08  9:25  3:57  21:30

4

Werner Haas

Alceo Galliera

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Philips

1969

8:16  8:42  3:54  20:52

4

Pascal Rogé

Charles Dutoit

Orchester Symphonique de Montréal

Decca

1982

8:13  9:52  3:52  21:57

4

Tzimon Barto

Andrew Davis

London Philharmonic Orchestra

EMI

1987

8:15  8:58  3:58  21:11

4

Yuja Wang

Lionel Bringuier

Tonhalle Orchester Zürich

DG

2015

8:12  8:10  3:51  20:13

4

Yundi Li

Seiji Ozawa

Berliner Philharmoniker

DG

2007

8:09  8:36  3:47  20:32

4

Denis Kozhukhin

Kazuki Yamada

Orchestre de la Suisse Romande

Pentatone

2017

8:32  9:18  3:54  21:44

4

Abdel Raman El Bacha

Marc Soustrot

Orchestre Philharmonique des Pays de Loire

Forlane

1984

8:16  8:39  4:00  20:55

4

Stephen Drury

Benjamin Zander

Boston Philharmonic Orchestra

Carlton

1999

8:16  9:04  3:40  21:00

4

Leonard Bernstein

auch Dirigent in Personalunion

Wiener Philharmoniker

DG

1971, Live

8:16 10:37 3:48 22:41

4

Basinia Schulman

Roland Freisitzer

The Moskow Orchestra

Classical Assembley

1995

7:53  7:49  4:25  20:07

4

Vanessa Benelli Mosell

Carlos Miguel Prieto

Royal Scottish National Orchestra

Decca

2019

8:25  8:56  3:47  21:08

4

Ekatarina Mechetina

Vladimir Lande

Sibirian State Symphony Orchestra

Melodija

2021

8:30  8:20  4:00  20:50

4

Martha Argerich

Ernest Bour

Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden

Classico Ivano, Doremi

1960

7:49  8:15  3:43  19:53

4

Ivan Moravéc

Jiri Belohlavek

Prague Philharmonia

Supraphon

2003, Live

8:30  9:02  3:50  21:22

4

Philippe Entremont

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS-Sony

1964

8:28  8:37  3:59  21:04

4

Alexis Weissenberg

Seiji Ozawa

Orchestre de Paris

EMI

1970

8:33  9:30  3:54  21:57

4

Daniel Varsano

Andrew Davis

Philharmonia Orchestra, London

Pro Arte

1984

9:10  9:35  4:20  23:05

4

Francois Dumont

Leonard Slatkin

Orchestre National de Lyon

Naxos

2015

8:22  9:24  4:03  21:49

4

Klara Würtz

Theodore Kuchar

Janacek Philharmonic Orchestra, Ostrava

Berlin Classic

2008

8:14  9:14  3:55  21:23

4

Francois René Duchable

Michél Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1995

8:13  9:45  3:54  21:54

4

Georges Pludermacher

Jean-Claude Casadesus

Orchestre Philharmonique de Lille

Harmonia Mundi

1992

8:02  8:40  4:03  20:45

4

Kun Woo Paik

Gary Bertini

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Pro Arte, Orfeo

1982

8:22  8:58  4:08  21:28

4

Andrew Litton

auch Dirigent in Personalunion

Bournemouth Symphony Orchestra

Virgin

1989

8:34  9:56  3:52  22:22

4

Anne Queffélec

Alain Lombard

Orchestre Philharmonique de Strasbourg

Erato

1975

7:58  9:29  3:54  21:21

4

Boris Krajny

Jiri Belohlavek

Prager Sinfonieorchester

Supraphon

1984

8:35  9:31  3:54  22:00

4

Michael Rische

Israel Yinon

WDR Sinfonieorchester Köln

Arte Nova

1999

8:36  9:28  3:55  21:59

4

Monique Haas

Hans Schmidt-Isserstedt

Sinfonieorchester des NDR, Hamburg

DG

1948

7:39  8:40  3:59  20:18

4

Aldo Ciccolini

Jean Martinon

Orchestre de Paris

EMI

1974

8:28 10:50 4:00 23:18

 

 

 

3-4

Yakov Zak

Yevgeny Svetlanov

Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

Melodija

1959

7:49  9:36  3:57  21:22

3-4

Fazil Say

Karl-Heinz Steffens

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

Live-Aufnahme des SWR

2015

8:39  9:24  3:55  21:58

3-4

Alice Sara Ott

Thomas Hengelbrock

NDR Sinfonieorchester, Hamburg

Live-Aufnahme des NDR, unveröffentlicht

2011

8:21  8:16  3:58  20:35

3-4

Simone Dinnerstein

Kristjan Järvi

MDR Sinfonieorchester

Sony

2014

8:45  9:46  3:59  22:30

3-4

Oren Shani

Lior Shambadal

Budapest Symphony Orchestra

Telos

2004

8:46  9:54  3:57  22:37

3-4

Mi (auch Mee) Chou Lee oder

Stefania Mormone

Anton Nanut oder

Marko Munih

Rundfunk-Sinfonieorchester des Slowenischen Rundfunks, Ljubljana

Vienna Master Series, Vienna Sound Classic, Classic Gala, Classical Masterworks, Zyx, Pilz, Onyx, Mediaphon

Geschätzt 1987, frühestes P 1991

8:39  8:39  4:01  21:19

3-4

Yukie Nagai

Junichi Hirokami

Malmö Symphony Orchestra

BIS

1991

8:44  9:17  4:04  22:05

3-4

Alicia de Larrocha

Leonard Slatkin

Saint Louis Symphony Orchestra

RCA

1993

8:10  9:45  4:08  22:03

3-4

Francois-René Duchable

Armin Jordan

Orchestre de la Suisse Romande

Erato

1986

8:05  9:18  4:04  21:27

3-4

Manana Doidschaschwili (auch Doidjashvili)

Djansug Kachidze

Tiflis Symphony Orchestra

HDC

vor 1994

9:02  7:53  3:57  20:52

3-4

Rolf-Dieter Arens

Heinz Rögner

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

VEB Deutsche Schallplatten, Edel

1987

8:34  1:40 3:58  24:12

3-4

Philippe Cabbard

Rico Saccani

Budapest Philharmonic Orchestra

BPO-Live Eigenlabel des Orchesters

1998

8:28  8:59  4:00  21:27

3-4

Yvonne Lefébure

Paul Paray

Orchestre Philharmonique de l´ORTF

Solstice – INA

1970

7:51  8:38  4:02  20:31

3-4

Jean Casadesus

Pierre Dervaux

Orchestre des Concerts de la Société du Conservatoire de Paris

Pathé-Marconi-EMI von einer LP der BnF überspielt

ca. 1958

7:40  8:31  3:55  20:06

3-4

Jean Doyen

Jean Fournet

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

CBS, Epic, Philips, Accord

1954

7:50  9:47  3:53  21:30

3-4

Francesco Tristano Schlimé

Mikhail Pletnev

Russian National Orchestra

Pentatone

2005

9:32 11:15 4:10  24:57

 

 

3

Estella Olevsky

Dennis Burgh

Radio Sinfonieorchester des Slowakischen Rundfunks, Bratislava

Opus

1990

8:48  9:09  4:13  22:10

 

 

Vergleich der gehörten Einspielungen:

 

 

5

Martha Argerich

Claudio Abbado

Berliner Philharmoniker

DG

1967

8:01  8:58  3:50  20:49

 

Bei Martha Argerich ist das Konzert bereits vom Beginn ihrer Karriere an fest im Repertoire verankert. In unserem Vergleich konnten wir auf sieben Einspielungen bzw. Mitschnitte zurückgreifen. Der erste datiert bereits von 1960, da war sie gerade einmal 19 Jahre jung. Er steht nur deshalb hinter den anderen zurück, weil der beteiligte SWF (heute SWR) zwar bereits damals auf ein gutes Orchester und einen guten Dirigenten (Ernest Bour) zurückgreifen, aber kaum einen Gesamtklang bieten konnte, der an die späteren Einspielungen heranreichen würde. Ihre beste Aufnahme, zumindest für unsere Ohren, ist ihr 67er Jahrgang. Er steht zwar klanglich etwas gegenüber der zweiten, ebenfalls mit Claudio Abbado für die DG gemachten Einspielung zurück, weiß aber musikalisch noch mehr zu überzeugen. Beiden Einspielungen gemein ist das herausragende Dirigat Abbados und die entsprechenden Glanzleistungen der beiden Orchester. Die anderen später entstandenen Einspielungen liegen in etwa dazwischen, unterscheiden sich ein wenig durch die momentane Befindlichkeit der Pianistin und die Qualität der Orchester, Dirigenten und der Aufnahmequalität. Alle Darbietungen Martha Argerichs sind aber an ihrem hinreißenden Spiel mit dem gewissen feurigen Etwas ziemlich leicht zu erkennen.

Das in unserem Werkhintergrund geschilderte „Problem“ mit dem Triangel-Einsatz bekommt in dieser Einspielung noch eine vierte Variante. Er ist nämlich überhaupt nicht zu hören. Darüber gehen wir einmal galant hinweg, denn wie bereits erwähnt macht da sowieso fast jeder, was er will oder kann. Ansonsten glaubt man übrigens kaum die Berliner zur besten Karajan-Zeit zu hören, denn so schlank und fein artikulierend, so offen und transparent klangen sie mit ihrem damaligen Chef nicht, zumindest ist uns keine Einspielung bekannt, weder auf DG noch bei EMI.

Doch nun zur Hauptsache: Das Klavierspiel atmet mit der Musik mit, jeder Anflug von Mechanik oder Maschinenhaftigkeit, die man manch einer Aufnahme (vielleicht sogar aus Ravels Sicht zurecht) anhört, fehlt völlig. Anschlagtechnisch und vom Klavierklang her hören wir allerhöchstes Niveau. Das klingt impulsiv, frisch, spontan und wo vom Komponisten gewünscht auch lyrisch oder aber kraftvoll. Obwohl der Gestus an den rechten Stellen richtig vorantreibt, spürt man keinerlei Hektik. Auch amerikanische Momente, die Jazz-Einflüsse oder Gershwin-Anleihen, kommen zu ihrem Recht, werden nicht an die große Glocke gehängt, aber auch nicht unterspielt. Eben sehr geschmackvoll eingewebt. In der Kadenz hören wir sehr schöne, gleichmäßige Trillerketten. Insgesamt begeistern auch der besonders klare Klang und das präzise Orchesterspiel bei dem Werk, dass den Philharmonikern damals sicher noch lange nicht so gut in den Fingern lag, wie eine Beethoven- oder Brahms-Sinfonie. Der Gestus wirkt insgesamt lebendiger als 1984 in der zweiten Aufnahme mit Abbado. Einziges kleines Manko im ersten Satz: Die Präsenz der Trompete bleibt ein wenig hinter den anderen Bläsersolisten und damit hinter den Erwartungen zurück. Sie klingt ein wenig zu „klassizistisch“, da wäre mehr Gershwin drin gewesen, wie wir an anderer Stelle (z.B. bei Chailly, Judd oder Kertesz) noch hören werden.

Die Klaviereinleitung zum zweiten Satz erklingt zu Beginn mit einem zarten p und mit aller Melancholie, die sich Ravel wahrscheinlich vorgestellt haben mag. Es ist kaum zu glauben, wieviel Pianisten aber auch Pianistinnen hier bereits mit einem unsensiblen mf oder sogar f beginnen. Wenn dann auch noch ein kaum gelungenes Legato und eine zermürbend einfallslose, sture linke Hand dazukommt ist das Fiasko vorgezeichnet. Besonders wenn dann auch noch die Dynamik in einem durchgeht. Aber das ist nur ein Exkurs, denn bei Martha Argerich klingt es zauberhaft-introvertiert und ausgesprochen nuanciert. Der Klang hat bei vielen älteren Einspielungen einen leicht verzerrten Klang, der an ein verstimmtes Klavier in einer New Yorker Hinterhof-Bar erinnert. Wir meinen, das wäre Ravel vielleicht doch etwas zu „jazzy“ gewesen, gerade in diesem Satz. Aber darüber können wir dann mutmaßen, wenn es soweit ist. Der DG-Flügelklang von 1967 war jedoch bereits deutlich über diesen Sound hinweg. Das Englischhorn im intimen Duo mit dem Klavier klingt kernig aber beherzt. In der späteren Einspielung mit Ozawa gefällt uns der Klang des Kollegen noch besser. Gerhard Stempnik hatte noch nicht den warmen, vollen und perfekt abgerundeten Klang von Dominik Wollenweber. Die Pianistin nimmt sich sagenhaft weit zurück, um dem Englischhorn (fast) die ganze Bühne zu überlassen. Das gelingt so gut nur den allerbesten, weil viele gar nicht so leise spielen können, was der Vergleich mehr als deutlich gemacht hat. Das macht Madame Argerich übrigens in allen Einspielungen so. Vielleicht ist sie darin sogar die Allerbeste. Auch in diesem Satz überrascht der sozusagen lichtdurchflutete schlanke Klang des Karajan-Orchesters.

Selbstverständlich liefern uns die Protagonisten mit dem dritten Satz den größtmöglichen Kontrast zum zweiten. Extrovertiert, laut und schrill. Das heikle Harfensolo (8 T. nach Zf. 14) ist sehr gut hörbar, das geht bei den meisten Einspielungen gänzlich unter (unisono mit den Celli). Noch besser kommt es allerdings bei Bernstein und dem Columbia SO heraus. Die Es-Klarinette katapultiert uns geradezu in eine Big-Band. Wunderbar schrill, geradezu „grazy“. Die „alt-ehrwürdigen“ Philharmoniker fast wie ein Jazz-Orchester, das macht richtig Laune. Und das besonders, weil alles sehr, sehr deutlich und sehr geschmeidig klingt. Und die Argerich spielt so feurig, dass es einen nur staunen lässt. Da kommt auch ein Katchen oder Zimerman nicht heran. Das alles bewegt sich für uns ganz nah am Ideal.  Das ideale Miteinander beim „concertare“ darf nicht unerwähnt bleiben.

Der Klang spielt ganz gut mit, wie bereits erwähnt klingt es in London 1984 noch etwas dynamischer und brillanter. Er ist aber transparent, präsent, dynamisch und farbstark. Im zweiten Satz ist ein leises Rauschen unüberhörbar, aber nicht lästig. Diese Einspielung ist ein echter Volltreffer.

Zur noch besseren Einordnung: Argerich spielt gerade den letzten Satz noch lebendiger und funkensprühender als Zimerman und Abbado lässt die Berliner pointenreicher und innerlich bewegter spielen als Boulez das mit den Cleveländern gelingt.

 

5

Julius Katchen

Istvan Kertesz

London Symphony Orchestra

Decca

1965

8:01 10:11 4:00 22:12

 

Das Klavierspiel von Julius Katchen mag man vielleicht nicht auf den ersten Blick als voll idiomatisch zum filigranen Komponier-Stil Ravels erachten. Ein wenig Brahms schwingt, wie auch schon bei Katchens Einspielung der „Rhapsody in Blue“ auch hier wieder im Klavier mit, aber wen sollte das ernsthaft stören? Pianistisch geht er ungeheuer souverän an das Konzert heran, mit einem Klang von großer Tragweite, kraftvoll und supergeschmeidig. Und eben auch mit der Wärme des großen Brahms-Spielers. Das Orchester konterkariert ein wenig, indem es besonders luzide klingt und auch perkussiv nichts anbrennen lässt. Die Bläser-Soli sind einen Ohrenweide, denn das LSO spielt wie entfesselt (1a Horn-Solo). Insgesamt spielt es mit Schneid und ansteckender Spielfreude. Die Kadenz bringt dann den souveränen, prallen Klavierklang wieder zu besonderer Wirkung, denn auch Katchen bleibt letztlich dem perkussiven Anspruch an seinen Part nichts schuldig, die gebotene Klangfülle mindert sie jedoch nur ein wenig ab, oder besser: sublimiert sie.

Im zweiten Satz wird ein langsameres Grundtempo bevorzugt als Ravel dies vorschwebte.  Mit Katchens intensivem Klavierspiel, dynamisch ausgereizt und nuanciert, hätte er sich sicher anfreunden können. Den metrischen Versatz zwischen rechter und linker Hand stellt der Pianist nicht heraus. Trotz des langsamen Tempos und des gut getroffenen Nocturne-Charakters möchte hierbei jedoch niemand einschlafen, was bei einigen anderen Einspielungen die bessere Lösung wäre. Katchen bleibt intensiv und hält Spannung. Beim Einsetzen des Orchesters vollendet sich dieser Satz in seiner Schönheit, denn so farbig und so einfühlsam-brillant hört man ihn nur ganz selten. Das Englischhorn-Solo, das sich mit der Klavieruntermalung zum Duo ergänzt, ist klanglich mehr als akzeptabel und klingt mit Katchens Klavierspiel verträumt und selbstvergessen. Das langsame Tempo unterstützt in diesem Fall eine entrückte Gesamtwirkung zusätzlich.

Der dritte Satz bietet Präsenz, Brillanz und Bravour an allen Pulten. Ein dreifaches Hoch auf die Bläser des LSO. Mit so einem „Schmackes“ geht es höchstens noch mit dem Gewandhaus und Chailly und vielleicht noch den Liverpoolern (und damit sind nicht die Beatles gemeint) zur Sache. Ein kunterbuntes Maskenspiel mit einer überbordenden Musikalität dargeboten, so etwa könnte man sich das Treiben vorstellen. Pointierter geht es kaum. Julius schüttelt die respektgebietenden Schwierigkeiten des Klavierparts locker aus dem Ärmel. Dennoch versteht er sich in diesem Satz mehr als Primus inter pares, als höre er dem virtuos brillierenden Orchester selbst gerne zu. Diese Einspielung springt einen schon fast an, das Zuhören ist ein besonders großes Vergnügen.

Der Decca-Klang ist eine Wucht, dagegen wirken die Berliner unter Abbado geradezu filigran. Das Orchester erklingt in einem weiten Panorama, ausgezeichnet durchhörbar, gut gestaffelt und mit einer mitreißenden Dynamik. Die hautnahe Präsenz involviert die Zuhörenden ungemein. Das farbige Klangbild wirkt so richtig prall und vollsaftig. Eine Einspielung für audiophil orientierte Hörer:innen, denen ein leichtes Analograuschen nichts ausmacht und die auf ein Höchstmaß an Musikalität und anspringende Präsenz nicht verzichten wollen.

Zur besseren Einordnung: Die fast 30 Jahre jüngere Einspielung mit Zimerman und Boulez wirkt dagegen zwar auch transparent aber zierlicher und klanglich wie eine Magerkur. Die musikalisch ähnlich mitreißende Einspielung mit Bollani und Chailly hat vom Klavierklang keine Chance gegen die Katchen/Kertesz, obwohl sie 47 Jahre später entstanden ist. Verblüffend, nicht wahr?

 

5

Krystian Zimerman

Pierre Boulez

Cleveland Orchestra

DG

1994

8:35  9:22  3:54  21:51

 

Selbst der akribische Boulez bringt den Triangel-Einsatz auf 2 und 3 (und nicht auf 2 und 4), zudem genauso bereits in Takt 10, wo er gar nicht notiert ist. Ein Schlaglicht auf die Klanglichkeit der ganzen Aufnahme wirft schon die Trompete mit ihrem warm-goldenen Klang. 2010 klingt sie (in der DG-Aufnahme mit Aimard und ebenfalls mit Boulez) dagegen silbrig-kühl. Auch das Englischhorn (besonders bedeutend natürlich im zweiten Satz) klingt ebenfalls wärmer. Und auch Zimermans Klavierklang wird deutlich wärmer als der Aimards. Zimermans Spiel perlt ungemein. Seinen Anschlag haben wir bereits bei Liszts „Totentanz“ ganz besonders bewundert. Gegenüber dem gestrengeren Aimard gestattet er sich mehr Rubato-Freiheiten, er atmet mehr mit der Musik und scheint geradezu mit ihr mitzuschwingen. Seine Präzision erscheint einfach als herausragend. Es fehlt weder an perkussiver Härte noch an lyrischer Weichheit, wo dies jeweils geboten erscheint. Das Orchester wirkt viel ausdrucksvoller, farbiger und lebendiger als 2010. Der Gestus ist vorantreibender in den schnelleren Partien und ausdrucksvoller im Lyrischen. Die Gershwin-Einflüsse haben den richtigen Slang, obwohl es durchaus auch noch „ordinärer“ vorstellbar ginge. Die Kadenz ist ein unvergleichliches Kabinettstückchen. Nirgends klingen die Trillerkaskaden so sagenhaft gleichmäßig und hell wie bei Zimerman. Er macht ihre exotische Herkunft aus dem Bereich der Musik des Fernen Ostens deutlicher als alle anderen. Wie Glöckchen klingen sie bei ihm. Selbstverständlich trägt schon alleine dieser helle Klangcharakter und das vollendete Ebenmaß zu einer sagenhaften Transparenz bei, sodass Melodie und Umspielungen absolut eigenständig und glasklar separiert voneinander zu Gehör kommen. Da darf man wohl schon von „Magie“ sprechen. Zimerman lässt seine Glöckchen dominieren, die Umspielungen sind nur Begleitung, bei vielen klingt es umgekehrt, so als wären die Umspielungen die Hauptsache. Wenn es so läuft klingt es flau. Bei Zimerman fast schon transzendent. Man merkt den Unterschied im späteren Vergleich sofort. Wenn man einmal Zimerman gehört hat, wird er für die Kadenz zur unüberwindlichen Grenze. Ab Zf. 29 geht „die Post“ ab. Viele übersehen bei Tempo primo den Zusatz p. Nicht so Zimerman, schon wieder entsteht pianistische Magie und ein perfekt gewölbter Spannungsbogen stellt sich zudem auch noch ein. Ganz anders als wenn man schon im f „losbrettert“. Das Orchester spielt perfekt.

Auch der zweite Satz wird bei Zimerman zu einem Highlight. Er gelingt ihm wunderbar nuanciert und gefühlvoll. Allerdings bedarf es der Erwähnung, dass Abbados Orchester (BP und LSO) noch wärmer und empathischer musizieren als es in dieser Einspielung klingt. Beim Duo mit dem Englischhorn spielt Zimerman bei aller Zurückhaltung vielleicht eine winzige Spur zu laut. Andererseits lässt er seine umspielenden Klaviergirlanden immer wieder bewegt aufblitzen, was viele erst gar nicht versuchen, dabei stehen die Crescendi klipp und klar in der Partitur. Knapper Vorsprung dennoch für Argerich/Abbado im zweiten Satz.

Im dritten Satz braucht es keine vielen Worte. Pianist und Orchester sind in Top-Form. Wir dürfen einem nuancierten, sogar humorvollem und jubelndem Kehraus zuhören. Allerhöchstes Niveau und pianistisch einfach ein Traum. An das Feuer der jungen Argerich von 1967 kommt aber auch ein Zimerman nicht ohne weiteres an.

Der plastischere Klang zeigt ungleich weichere, wärmere und vollere Klangfarben als die DG-Aufnahme an gleichem Ort von 2010 mit Aimard als Pianisten. Der Klangraum wirkt sehr gut ausgeleuchtet, transparent und weit aufgespannt, auch in die Tiefe hinein. Der Klang ist dynamisch und frisch und wirkt erheblich lebendiger und brillanter als 2010. Eine Entwicklung zurück, wenn man so will in Sachen Ravel bei der DG.

 

5

Stefano Bollani

Riccardo Chailly

Gewandhausorchester Leipzig

Decca

2012

8:08  8:28  3:56  20:32

 

Stefano Bollani nähert sich dem Konzert im Stile eines Jazz-Pianisten. Sein besonders frei wirkender Vortrag verfügt nicht über den superben Klang und die außerordentlich nuancenreiche Anschlagskultur von Argerich, Katchen oder gar Zimerman. Bei Bollani klingt es weniger brillant, mehr nach dem Klavier eines Bernstein, fülliger und weicher. Aber: Die Jazz-Elemente werden besonders deutlich und ungeschmälert vital herausgestellt. Eine improvisatorische Note wird intensiviert. Das ehrwürdige Gewandhausorchester spielt wie eine Big-Band mit Streichern, ungemein swingend. Das Blech, aber auch das Holz klingen herausragend leger und trotzdem mit Kraft und Timing. Im Gestus des rhythmisch ungemein Beweglichen und Drängenden sind sich Pianist und Orchester absolut einig. Man kann von einer Frischzellenkur für das Konzert sprechen. So klingt es wie ein Schwesterwerk der „Rhapsody in Blue“. Auch die Kadenz gelingt Bollani sehr gut, allerdings ohne die kabinettstückchenhafte Brillanz eines Zimerman. Chailly verzichtet also stilistisch genau wie Bollani auf eine Übergewichtung von französischer Élégance, allerdings unter Beibehaltung der Clarté. Die Blue Notes und die Frische des Wilden Westens kommen dafür kräftigend hinzu. Echt wild.

Im zweiten Satz verhindert schon alleine das zügige Tempo ein tiefes Abgleiten ins Romantische. Man vermisst hier ein wenig den klaren Anschlag von Zimerman, Argerich (67 und 84) oder Benedetti-Michelangeli. Eine sehr gesangliche Wirkung stellt sich ein, wenn das Holz zum Klavier hinzutritt. Nun hören wir auch die Streicher mit dem so geschätzten warmen Gewandhausklang, ebenso wie das exzellente Englischhorn, dem Bollani ähnlich wie Argerich galant den Vortritt lässt. Dieses Duo gehört zu den allerbesten überhaupt. Voll, geschmeidig und genau artikuliert, kantabel, unverzärtelt aber tief lotend.

Der dritte Satz gelingt dynamisch, mitreißend und ungemein packend. Das LSO von 1965 lässt über die Jahrzehnte hinweg grüßen. Perfekt auf den Punkt gebracht, aber nicht im Sinne von technisch perfekt, sondern auch auf eine menschlich warme und musikalisch-zugespitzte Art. Mittendrin statt nur dabei fahren wir mit dem Gewandhaus-Express auf Höchsttempo. Großer Spaßfaktor inklusive.

Der Klang wirkt enorm farbig, präsent und perkussiv, eher etwas kompakt als räumlich ausladend. Das passt zu dem kleinen Orchester ganz ausgezeichnet. Es wirkt so noch quirliger. Während die Transparenz ausgezeichnet ist, hören wir keine ausgeprägte Tiefenstaffelung. Die wird der unmittelbaren sozusagen hautnahen Präsenz untergeordnet. Die Dynamik begeistert. Dazu passt eine Gran Cassa mit Bärenkräften und wuchtigem Tiefgang.

 

5

Daniel Grosvenor

James Judd

Royal Liverpool Philharmonic Orchestra

Decca

2012 

8:14  8:14  3:50  20:18

 

Die Einspielung ist über das Aufnahmedatum hinaus auch musikalisch und klanglich stark mit der zuvor genannten Einspielung aus Leipzig verwandt (ebenfalls Decca!). Beide sind jeweils ein Ausbund an jugendfrischer Vitalität. Der Anschlag wirkt bei Grosvenor etwas präziser und fokussierter als bei Bollani, sein Ton jedoch nicht ganz so rund. Auch bei Grosvenor wirkt das Klavierspiel frei, spontan und teilweise poetisch. Die vorantreibenden Passagen lässt Daniel Grosvenor auffallend aufblitzen, fast schon mit einem leicht aggressiv-beherzten Unterton. Auffallend lässt er so manch eine Passage unvorhersehbar neu phrasiert erklingen. James Judd hält das Orchester an der berühmt-berüchtigten kurzen Leine. Es wirkt blitzschnell „auf Zack“ und sehr präzise. Aber nicht ganz so jazzig wie das Gewandhausorchester. Aber ebenso bunt. Die Glissandi und Tremoli werden wunderbar herausgestellt. Die Kadenz mit dem Prüfstein der Trillerkaskaden wird vom Pianisten exzellent hingelegt. An Zimermans Glanztat kommt jedoch auch der junge Brite nicht heran. Wie bei Bollani und Chailly erfasst uns in dieser Einspielung ein lustbetontes Musizieren, das sich voll und ganz auf die Zuhörerschaft überträgt. Der Satz wird so quasi zur Stimmungskanone.

Wie Bollani schlägt auch Grosvenor im zweiten Satz ein zügig fließendes Tempo an. Mit einem ebenfalls tendenziell zu lauten p und jedweden Zelebrierens denkbar abhold. Ober- und Unterstimme sind absolut selbständig zu verfolgen. Das Orchester verfügt über hervorragende Bläsersolisten, die mit wunderschönen Beiträgen glänzen. Das ausdrucksvoll und klangvoll gespielte Englischhornsolo wird vom jungen Pianisten klangstark umspielt, bleibt aber gerade noch so meistens als Solo spürbar. Eine gewisse Rivalität könnte aber schon hineininterpretiert werden, aber Duellanten sind die beiden noch lange nicht. Eine interessante alternative Herangehensweise.

Auch die Liverpooler Philharmoniker klingen im dritten Satz wie eine vergrößerte Jazz-Combo. Präsent, knackig, aufgekratzt und mit viel Spaß am Musizieren. Die Eloquenz der Bläsersolisten kann man nur als toll bezeichnen. Der Pianist spielt quirlig wie es nur ganz selten gelingt. Mit einem gewissen jugendlichen Draufgängertum. Der dritte Satz als Festival des Rhythmus. Klasse.

Auch aufnahmetechnisch bzw. klanglich sind sich die Liverpooler und Leipziger Einspielung ähnlich. Beide klingen sehr präsent, eher kompakt als ausladend räumlich (wenig Tiefe, sehr gut in die Breite gestaffelt), sehr dynamisch und knackig frisch.    

 

5

Anna Vinnitskaya

Gilbert Varga

Deutsches Sinfonieorchester Berlin

Naive

2010

8:13  8:46  3:52  20:51

 

High-Res-Download  In dieser Einspielung begegnet uns eine begnadete Pianistin mit einem Klavierklang, der eine nahezu einmalige Balance von harter Brillanz und weicher Rundung hören lässt. Sie spielt (wie auch das Orchester) frisch, perkussiv und sehr präzise. Und kaum jemand in diesem Vergleich vermag den Rhythmus so raffiniert zu akzentuieren. Bei ihr spielt auch einmal die linke Hand lyrisch versonnen, während die rechte eine gespannte Linienführung ins Klavier meißelt. Das Orchester gefällt mit ausdrucksvollem, flexiblem Spiel. Es vermag die schroffen Stimmungswechsel der Komposition besonders kontrastreich herauszustellen, was übrigens genauso für die Pianistin gilt. Die Amerikanismen kommen sehr gut apostrophiert und druckvoll.  Die Kadenz wirkt hervorragend proportioniert, farbenreich und ausdrucksvoll. Alle Ebenen sind gleichermaßen gut zu hören, ohne dass man sich dazu anstrengen müsste. Was für eine makellose Technik dieser Pianistin zur Verfügung steht! Ab Zf. 29 (Tempo primo) geht es mit ordentlichem Swing weiter, aber im Unterschied zu sehr vielen anderen, genau im vorgeschriebenen pp. So klingt es nicht bereits an dieser Stelle nach einer fast gewalttätigen Show, wie dies bei vielen anderen, besonders bei männlichen Kollegen der Fall ist. Die soghafte Schlussstretta hat es in sich. Diese Darstellung des ersten Satzes wirkt insgesamt etwas ernster als die Einspielungen von Bollani/Chailly und Grosvenor/Judd, ohne dass damit ein besser oder schlechter einhergehen würde.

Bei Anna Vinnitskaya spürt man von Beginn der Klavier-Solo-Einleitung des zweiten Satzes an, dass sie mit höchster Konzentration zu Werke geht. Das Tempo ist stimmig, der Klang trägt sehr gut. Ihre Artikulation gelingt sehr kantabel, eine Hürde an der viele Kollegen und Kolleginnen bereits zu scheitern scheinen, denn ihr Legato bindet die einzelnen Töne ausgezeichnet, obwohl sich der (von Ravel vorgesehene Gebrauch) des Pedals in wohltuenden Grenzen hält. Frau Vinnitskaya beginnt mit einem „Erzählton“, vertieft ihre Aussage jedoch während des Fortschreitens noch deutlich. Das Orchester zeigt sich sehr einfühlsam, geht auf das Spiel der Pianistin hervorragend ein. Die Bläsersoli sind ausgezeichnet gelungen, mit allem erdenklichen Feinschliff und nahezu makelloser Tonschönheit. Man traut sich als Zuhörender kaum einmal Luft zu holen, um das Spiel nicht zu stören. (Vorsicht neun Minuten werden lange, wenn man nicht atmet!) Tatsächlich ist man am Ende des Satzes eher beglückt, denn der schönste Teil kommt erst noch. Es ist das große Englischhorn-Solo, das durch die sagenhaft schöne, perlende Umspielung der Pianistin der klanglichen Vollendung sehr nahekommt. Dazu strengt sich der englischhornspielende Solist bzw. die Solistin auch besonders an, der Pianistin ein ebenbürtiges Spiel zu bieten. Es gelingt mit traumhaft schönem Klang und makelloser Phrasierung. Eine ganz besonders zauberhafte Passage, die man gehört haben muss. Beschreibende Worte sind kaum aussagekräftig genug. Eine der Argerich/Abbado-Version mindestens ebenbürtige Darbietung. Insgesamt ungemein atmosphärisch, stimmungsvoll und sehr romantisch im Ausdruck. Und klangtechnisch meisterhaft gelungen, bei klarer und freier Sicht auf die Dinge. Faszinierend.

Im dritten Satz herrschen Klarheit und Duftigkeit vor Rasanz und „Thrilling“. Hier kann man sich zunächst sogar noch ein wenig entspannen (vielleicht wirkt auch nur der zweite Satz noch etwas nach), bevor es dann immer mehr in einen exaltierten Spaß übergeht. Der Tanzcharakter wird soweit möglich deutlich gemacht. Hier liegt eine in jeder Hinsicht außerordentlich gelungene Einspielung vor. Keine der vielen Elemente, die Ravel in seiner Komposition „verbaute“, wird hier besonders favorisiert. Es klingt nicht besonders nach Gershwin, nicht besonders nach Satie, nicht besonders nach Saint-Saens oder nach Mozart. So klingt Ravel.

Aufhorchen lässt beim Klang der Aufnahme der hervorragende Klavierklang. Hier scheint sich (vom bewundernswerten Spiel der Pianistin einmal ganz abgehen) auch die höhere Auflösung bemerkbar zu machen. Besser könnte der Flügel auch in natura kaum klingen. Die Staffelung gelingt ebenfalls natürlich, das Instrumentarium wird schön tief abgebildet. Die Dynamik wirkt taufrisch. Die Balance ist toll gelungen. Und als Sahnehäubchen gibt es die Gran Cassa mit audiophilem Wumms zu hören.

 

5

Arturo Benedetti-Michelangeli

Ettore Gracis

Philharmonia Orchestra London

EMI

1957

8:27  9:20  3:49  21:36

 

Benedetti-Michelangelis Einspielung galt oder gilt immer noch vielen Musikliebhabern als Referenz. Sie hat unserer Meinung nach auch heute noch immer noch ihre Meriten, aber unangefochten an der Spitze steht sie mittlerweile nicht mehr.

Das Tempo im ersten Satz wirkt etwas verlangsamt, bei einigen klingt es mittlerweile spritziger. So wirkt das Orchester schon noch beschwingt, aber gegenüber dem Original von Freitas Branco oder auch den beiden ersten Einspielungen von Bernstein wirkt das Spiel des PO ein wenig gediegen. B.-Ms Klavierklang ist jedoch immer noch eine Ohrenweide, wenn auch sicher nicht unumstritten. Jedenfalls sehr charakteristisch. Er wirkt sehr schlank, sein Anschlag präzise, der Diskant leuchtend. Ob man ihn nun als sinnlich bezeichnen sollte, wagen wir nicht zu entscheiden. Wir bemerken zumeist eine etwas marmorhafte Blässe, es kommen uns jedenfalls oft diese griechischen oder italienischen Skulpturen in den Sinn, wenn B.-M. spielt. Wie dem auch sei, wir hören die hohe Kunst des Klavierspiels. Nuancenreich und dieses Mal kaum weniger dringlich wie die vorangehenden Berufs-Kollegen oder Kolleginnen. Das Orchesterspiel wirkt sehr sicher, teilweise sogar feurig und mit einem Schuss Italianità. Dass B.-Ms Aufnahme auch heute noch höchstes Niveau hat, kann man auch in der Kadenz hören. Man vergleiche dazu nur seine Trillerketten mit denen von Bernstein und weiß, bei allem Respekt, warum Herr Bernstein lieber als Dirigent und Komponist Karriere machen wollte. Bernsteins Aufnahme aus den 50ern wird uns ein wenig weiter unten schon bald begegnen.

B.-Ms Spielweise im zweiten Satz wirkt sehr ernst und konzentriert, so als ob es ihm überhaupt nicht darum ginge, „nur“ eine melancholisch eingefärbte Atmosphäre zu erzeugen. Er beginnt wie es sein soll im p. Sein Klang wirkt gegenüber dem ersten Satz gewandelt, nun weicher, voller und runder, jedoch immer noch leicht und pastellen. Er schattiert stark ab und wirkt phantasievoll, Die viel zitierte magische Anschlagsvielfalt mit schillernden Farben würden wir vielleicht nicht bemühen, aber der Satz verfehlt bei ihm sein traumhaft schönes Wesen nicht. B.-M. ist ein Verfechter der beiden divergierenden Klavierstimmen der rechten und linken Hand. Durch minimalen Versatz sucht er ihn sogar noch zu unterstreichen. Der ganze Satz scheint irgendwie zu schweben. Im großen Englischhorn/Klavier-Duo treffen die beiden Protagonisten die Balance sehr gut, dynamisch bleibt das Londoner Englischhorn leider allzu begrenzt und klanglich kommt es auch ziemlich hart. Die Flöte hingegen macht es auffallend besser.

Der dritte Satz klingt klassisch-brillant, auch das Orchester virtuos und präzise. Es zeigt durchaus, was es kann. Seltsamer Weise bringt B.-M. die Passage von Zf. 13 an nicht im vorgeschriebenen p. Die Harfe 8 Takte nach Zf. 14 fehlt ganz, zumindest konnten wir keine hören. Dass sie von vielen an dieser Stelle vergessen wird (trotz ihrer tollen Kadenz im ersten Satz!) macht die Sache nicht besser, denn das kostet Klangzauber.

Die Einspielung lag uns als EMI (Great Recordings oft the Century) und in einer Pressung von Intense Media vor (sehr billig zu haben, wahrscheinlich weil copyrightfrei). Bei EMI klingt es plastisch, großräumig, sehr transparent und wie mit feinem Pinsel gezeichnet. Das Klavier hat noch einen leicht scheppernden „Begleitklang“, den die Aufnahmebedingungen der damaligen Zeit wohl mit sich brachten. Wir glauben kaum, dass EMI ihrem Star-Pianisten einen scheppernden Flügel hingestellt hat. Für das AD ist die Dynamik sehr weit. Gegenüber Intense Media klingt die EMI viel farbiger, voller und körperhafter.

Bei Intense Media meint man zunächst eine Mono-Einspielung zu hören. Erst später kommt eine gewisse, allerdings reduzierte räumliche Differenzierung hinzu. Dann weitet sich der Klang auch etwas. Die Aufnahme rauscht in dieser Version deutlich mehr. Die EMI klingt voluminöser und offener. Bzgl. des Klavierklangs gibt es weniger große Unterschiede. Die EMI bleibt die ganz deutlich bessere Wahl.

 

5

Jean-Yves Thibaudet

Daniel Harding

Sinfonieorchester des BR

Direktübertragung des BR, unveröffentlicht

2019, Live

7:50  8:34  3:50  20:14

 

Bei dieser Direktübertragung liefen beim BR auch die Kameras mit, sodass man das Konzert auch heute noch via Streaming von der Website des BR (Mediathek) hören und sogar sehen kann. Es ist zu hoffen, dass das noch lange so bleibt, denn in dieser Güte dürfte man auch in München das Ravel-Konzert nicht alle Tage hören können. Jean-Yves hat ein besonderes Verhältnis zu diesem Konzert, denn mit ihm debütierte er (wenn man den Quellen glauben darf) bereits als Neunjähriger! Mit Elf ging es dann erstmal zum Studium nach Paris, und zwar zu Lisette Descartes, einer Schülerin von Maurice Ravel höchstselbst. Dort fanden sich Partituren mit vielen persönlichen Hinweisen von Ravel persönlich, die der Pianist auch heute noch nutzen dürfte. Von Thibaudet gibt es auch noch eine sehr gelungene CD-Einspielung für Decca (mit Charles Dutoit), eingespielt 1995, auf die wir später noch eingehen wollen.

In diesem Mitschnitt muss man keinerlei Abstriche gegenüber der CD machen. Im Gegenteil. Thibaudet spielt brillant und sogar noch geradliniger. Der Klavierklang ist voll. Das Orchester spielt spritzig, vorantreibend und lässt sich in bester Spiellaune hören. Das Horn spielt zwar mit einem kleinen Wackler (bei Zf. 25), da merkt man, dass es eine Direktübertragung war. Echtes Live-Feeling eben. Und nicht zusammengestückelt aus mehreren Mitschnitten und Proben, was dann auf CD immer noch Live genannt wird. Auch die Kadenz gelingt prachtvoll. Dem Orchester gelingt sogar eine gegenüber der CD (Orchestre Symphonique de Montréal) noch „ekstatischere“ Schlussstretta, mit noch mehr jugendlichem Überschwang.

Ohne Dutoit, der auch bei den anderen Aufnahmen, bei denen er beteiligt ist (mit Martha Argerich und Pascal Rogé) zumindest im zweiten Satz beim Tempo zu dominieren scheint, ist das Tempo nun zügiger. Mit Dutoit ist es in allen drei Aufnahmen immer sehr ähnlich langsam. Bei allen beteiligten Piani:innen jedoch immer anders, wenn er nicht dabei ist. Er wirkt nun in München nicht mehr so entrückt. Die Bögen aber werden so viel leichter mit Kantabilität gefüllt, die Nuancierungen bleiben jedoch voll erhalten. Thibaudet fasst nun mehr zusammen, hört nicht mehr so deutlich jedem einzelnen Ton nach. Er nähert sich der Aufnahme an, an der Ravel selbst beteiligt war. Die Bläser des SO des BR sind bekanntermaßen ausgezeichnet. Da macht das Englischhorn keine Ausnahme. Das traumhaft träumerische Duo gelingt noch besser als in Montréal, weil Thibaudet sich mehr zurücknimmt. Auch hier ist das Duo der Vollendung nahe.

Im dritten Satz schließlich wirkt das Klavierspiel noch ein wenig brillanter und zugespitzter als 1995, immer locker versteht sich. Den „schmutzig“ eingefärbten, herausragenden Eskapaden der Bläser hört man fast noch die Hinterhöfe New Yorks ein wenig an, allerdings zugleich klanglich sublimiert ins schicke München übertragen. In Leipzig und Liverpool klang es noch etwas urwüchsiger.

Wie immer bei Direktübertragungen spendiert der BR seinem Sinfonieorchester einen 5.1-Raumklang, damals noch in Dolby Digital. Räumlichkeit und Transparenz bewegen sich auf einem hohen Niveau. Der Klang ist recht offen, dynamisch und für eine 5.1-Wiedergabe ziemlich trocken. Tiefenstaffelung und Basswiedergabe sind sehr gut, letzteres sogar besser als bei der CD von 1995. Die Gran Cassa klingt straff und wie eigentlich immer beim BR nicht aufgebläht.

 

5

Florian Uhlig

Pablo Gonzalez

Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern

Hänssler

2012

8:20  9:36  3:41  21:37

 

Der deutsche Pianist Florian Uhlig dürfte den meisten Hörer:innen noch nicht so bekannt sein. Seine Darbietung macht in Verbund mit dem impulsiven, energisch-engagierten und dynamischen Orchesterspiel jedoch großen Eindruck. Er lässt einen guten, weniger feinen, nicht übermäßig weichen oder lyrisch gefärbten Klang hören. Bei ihm dominiert der kraftvolle, jedoch nuancierte Anschlag gemeinsam mit einem klaren und drängenden Gestus. Das Orchester, nun jedoch nicht Live und direkt wie bei der Einspielung mit Myung Whun Chung, klingt nun noch etwas sicherer. Es steht eben noch ein offenkundig ausgezeichneter Dirigent zur Verfügung, der sich in Vollzeit kümmert und nicht ein Pianist in Personalunion mit dem Dirigenten wie bei der Aufnahme mit Myung Whun Chung, auf die später noch einzugehen wäre. Auch bei den solistischen Bläsern hat das Orchester ein ganz ausgezeichnetes Niveau erreicht. Die Darbietung ist ausgesprochen vital, der Klangzauber völlig ungeschmälert. Bei der kristallklar vorgetragenen Klavier-Kadenz erhalten die Trillerketten eine leichte Betonung vor der thematischen Melodie und den Umspielungen. Ab Zf. 29 wird unwiderstehlich und vehement gesteigert. Insgesamt kommt man im mitreißenden ersten Satz, der auch von einem hohen Spannungsniveau geprägt ist, voll auf seine Kosten.

Lediglich die Klaviereinleitung im zweiten Satz scheint uns in dieser Darbietung ein wenig  abzufallen. Das Tempo mutet viel schneller an, als die Uhr es anzeigt, nämlich recht zügig. Die Folge ist, dass sich gemeinsam mit dem sonoren Klang ein weniger atmosphärisch-romantischer Ausdruck ergibt, als vielmehr ein unverzärtelt-zupackender. Es ist immer eine Gradwanderung denn schnell schlägt die evozierte Stimmung in den einen oder den anderen Bereich aus. Das makellose Holz bläst in dieselbe Kerbe, richtet sich wenig nach dem notierten p und baut auf volle sonore Klanglichkeit. Das Englischhorn-Solo gelingt in jeder Hinsicht ausgezeichnet, super differenziert, klanglich voll und sonor, aber auch bei aller süßer Melancholie lebendig im Vortrag. Herr Uhlig nimmt sein Klavierspiel sehr weit zurück, sodass das Englischhorn nicht zu forcieren braucht und entspannt bleiben kann, was den Ausdruck der „Gesangsszene“ ungemein befördert. Der Satz geht so schnell vorbei, dass man meint, er müsse doch wohl eine Minute weniger angedauert haben.

Im dritten Satz schreit mal eben eine schrille Es-Klarinette dazwischen, frech und erfrischend unkultiviert. Die Piccolo-Flöte, von Ravel „Ottavino“ genannt, kommt gar nicht so recht mit, wahrscheinlich ist es einfach nicht so aufmüpfig und frech eingestellt. Sehr virtuos, klanglich mit der gebotenen Härte im Zugriff und mit praller Dynamik leben sowohl das Klavier als auch das Orchester hier ein treibendes Tempo und einen offensiven Gestus voll aus. Neckisch pointiert und auch ein wenig albern riecht es hier nach purer Lebensfreude.

Der Klang der Aufnahme ist voll, offen und prall, präsent und unmittelbar, exzellent gestaffelt und versehen mit natürlichen Klangfarben. So hält auch der Gesamtklang mit den besten durchaus mit.

 

5

Zoltan Kocsis

Ivan Fischer

Budapest Festival Orchestra

Philips

1995

7:47  8:09  3:40  19:36

 

Zoltan Kocsis bietet ein sehr hohes Maß an pianistischer Perfektion und prickelnder Brillanz. Zudem gibt er sich auch als ein Poet am Klavier zu erkennen. Mit dem Orchester gemeinsam bietet diese Einspielung auch traumwandlerisch sichere Übergänge an, was natürlich auch dem Dirigenten ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellt.

Im zweiten Satz wirkt die Spielweise ein wenig referierend, überraschend wenig innig. Als ob ihm das zügige Tempo wichtiger wäre als die Erstellung einer träumerischen oder melancholischen Stimmung. Da denken wir an Marguerite Long und Freitas-Branco. Da aber sehr genau musiziert wird, entsteht keinerlei Langeweile (bei dem Tempo sowieso nicht), die Spannung fördert das akkurate Spiel des Pianisten jedoch auch nicht gerade. Vielleicht könnte man den Gestus noch am besten mit sachlich-klassizistisch beschreiben. Wir denken zurück: Das Vorbild für den Satz war Mozarts Klarinettenquintett. Mit dem Einsatz des großartigen Orchesters ändert sich die evozierte Gefühlswelt schlagartig. Auf einmal wird es innig und arios. Der Kontrast zur Solo-Einleitung könnte kaum größer sein. Das Duo mit dem Englischhorn profitiert vom ohrenfälligen aufeinander hören, einem fein austarierten Miteinander. Einschränkend ist allenfalls zu bemerken, dass das Englischhorn in seiner höheren Lage ein wenig „knödelig“ klingt.

Der dritte Satz wirkt ungemein lebhaft und forsch, dabei wird immer noch faszinierend locker gespielt. Die Virtuosität ist allgegenwärtig. Ein pointiertes, ja zugespitztes Maskenspiel mit einigen durchaus willkommenen Grellheiten.

Der Klang hat über die Jahre ein wenig Patina angesetzt. Die fabelhafte Präsenz der Aufnahmen mit Bollani oder Grosvenor oder sogar der weitaus älteren mit Katchen erreicht sie nicht. Auch die Transparenz der Einspielungen mit Argerich (DG) oder Zimerman bleibt vorbildhaft. Die Dynamik bleibt überdies deutlich hinter der Decca Katchens zurück. Sehr gut gefällt der warme Grundton und die sehr gute Tiefenstaffelung. Der Klang schwebt auch sehr schön, was nicht unbedingt an einem vernachlässigten Bassbereich liegt. Man sollte den Pegel gegenüber der üblichen Einstellung ein wenig anheben, damit die Darbietung nicht blass bleibt, was sie musikalisch absolut nicht ist. Dann erfreut man sich auch an einer tollen Gran Cassa.

 

5

Roger Muraro

Hubert Soudant

Sinfonieorchester Basel

Accord

1999

8:19  9:03  3:54  21:16

 

Erstaunlicherweise ist der französische Pianist im deutschsprachigen Raum bisher wenig in Erscheinung getreten. Er gilt als Spezialist für die Klavierkompositionen Olivier Messiaens. Diese Darbietung gelingt im ersten Satz mit Intensität, Verve und vorantreibender Leidenschaft. Der Klavierpart wird mit viel Spannung vorgetragen. Auffallend ist das Denken in großen Bögen, eigentlich ist fast der ganze Satz hier unter einem Bogen zu hören. Der Anschlag wirkt kernig, kraftvoll und wenn erforderlich mit viel „Schmackes“. Der dynamische Ambitus wirkt sehr weit. Stets hat man den Eindruck, dass Herr Muraro viel Spaß am musizieren mit einbringt. Das Orchester hält dieses Mal hervorragend mit. Bei seinem Beitrag zu unserem Vergleich zu Strawinskys „Sacre“ (mit Dennis Russell Davies) wirkte es ziemlich müde. Die Kadenz gelingt sehr lebendig, danach allerdings gerät ihm der Einsatz bei Zf. 29 im Eifer des Gefechts nicht im erforderlichen p. Dem perkussiven Anspruch an den Klavierpart wird Herr Muraro außerordentlich gut gerecht.

Im zweiten Satz überrascht der luftig eingefangene und schwerelos wirkende Klavierklang. Gemeinsam mit seinem „sprechenden“ Vortrag vermeidet der Pianist die Erdenschwere so vieler anderer Versionen sehr erfolgreich. Auf die Raffinesse die linke und rechte Hand völlig unabhängig voneinander darzustellen, verzichtet der Pianist jedoch. Dennoch wirkt seine Darbietung interessant und er fesselt die Zuhörenden nachhaltig. Der Pianist kann auch richtig leise spielen! Später beteiligt sich auch das Orchester sehr expressiv am Gelingen. Das Englischhorn erreicht klanglich nicht ganz die alleroberste Güte, aber schön gespielt ist es allemal. Leider will der Pianist ein wenig zu nachhaltig das fragile Duo dominieren. Das schmälert die Gesamtwirkung.

Der dritte Satz ist ein großer Spaß garniert mit einer richtig „fetten“, um einmal die Jugendsprache zu bemühen, Gran Cassa. Es mangelt weder an Tempo, Energie noch an pianistischer Substanz. Das Klavier leuchtet mit hoher Brillanz. Das Orchester zeigt was es drauf hat und lässt sich zu Höhenflügen verleiten. Eine Aufnahme, die einen weit höheren Bekanntheitsgrad verdient gehabt hätte.

Ihr Klang wirkt sehr dynamisch, offen, großräumig und plastisch. Raum und Präsenz sind gut ausbalanciert. Ganz empfindliche Ohren könnten sich vielleicht daran stören, dass das Klavier ein wenig zu groß abgebildet wird und ein wenig gegenüber dem Orchester dominiert.

 

5

Javier Perianes

Josep Pons

Orchestre de Paris

Harmonia Mundi

2017

8:59  9:00  4:04  22:03

 

Das Tempo und der Gestus in dieser Einspielung wirken maßvoll und gelassen. Ihre Hauptmeriten liegen in einer besonders liebevoll wirkenden Differenziertheit und einer wie von der Abendsonne besonders warm durchströmten Klanglichkeit. Hektik kommt niemals auf. Auch keine Härten oder Forcierungen. Der Einfluss des Jazz kommt nur sparsam heraus. Auch in dieser sehr genauen Einspielung ertönt die Triangel auf 2 und 3 und nicht auf 2 und 4. Der Klavierklang erscheint weich und gerundet, kaum brillant, als ob die höchsten Frequenzen fehlen würden (oder die Obertöne?). Ob das an der Akustik der neuen Pariser Philharmonie liegt? Des fiel an anderer Stelle auch schon auf. Das Spiel wirkt inspiriert und phantasievoll, gleichwohl recht gespannt, technisch locker. Der Gestus wirkt besonders spielerisch, obwohl die „gefährlichen Kurven“ bei der Bahnfahrt immer noch spürbar bleiben weiß man doch, ernsthafte Gefahren lauern nicht. Pianist und Dirigent bzw. Orchester sind sich spürbar einig. Die Präzision wird nicht uhrmacherhaft bis zum Exzess getrieben, eine warme Musikalität herrscht vor. Die Kadenz wirkt gleichwohl glasklar, die Glöckchen der Triller klingen fast so unbeschwert und hell wie bei Zimerman. Die Virtuosität drängt sich nie in den Vordergrund, ist lediglich ein Mittel um die gewünschte Stimmung zu erzeugen. Die Schlussstretta wirkt nicht so extatisch wie z.B. bei Pons´ Landsmann Pablo Gonzalez oder bei Bernstein (1946 und 1958).

Der zweite Satz ist ganz besonders stimmungsvoll geraten. Beide Stimmen des Klaviers werden sehr unabhängig voneinander gespielt. Der warme Klavierklang wird hier ohne jeden Zweifel, der im ersten oder dritten Satz möglicherweise noch aufkeimen könnte, als vorbildlich wahrgenommen. Das klingt einfach enorm schattierungsreich und so gefühlvoll, dass es zu Herzen geht. Das nuancenreiche Spiel des Pianisten beflügelt anscheinend auch das Orchester, das sich vorbildlich an die Dynamikangaben Ravels hält, und so eine perlmuttfarbene Klanglandschaft kreiert. Das Englischhorn wirkt ein wenig verschlafen, auch zu leise, sodass sich trotz aller Mühen Perianes´ drunter zu bleiben, kein vollkommener Gesamteindruck des Duos ergibt. Bei diesem Satz ist auch das letzte Quäntchen Kühle eliminiert worden.

Wenig exaltiert oder stürmisch wirkt auch der dritte Satz, es wird vielmehr ungemein duftig musiziert. Perianes sticht mit seinem prononcierten Leisespielen weit aus der Masse heraus. Das Harfensolo ist ausgezeichnet zu hören. Insgesamt ein vollkommen einmütiges Miteinander bei dem die Effekte nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Der Klang ist sehr transparent, die Farben wirken weich getönt und ein wenig gedeckt, was ein insgesamt sanftes Klangbild befördert. Die Gran Cassa im Schlusssatz genehmigt sich eine profunde Machtdemonstration, die ein wenig aus dem Zusammenhang herausfällt.

 

5

Nicole Henriot-Schweitzer

Charles Much

Boston Symphony Orchestra

RCA

1958

8:13  8:55  4:14  21:22

 

LP  Nicole Henriot-Schweizer und Charles Munch haben das Konzert 1968 erneut für die Platte eingespielt, dieses Mal mit dem Orchestre de Paris für EMI. Leider konnten wie der Einspielung für den Vergleich nicht habhaft werden.

Nicole galt als musikalisches Wunderkind. Sie wurde bereits mit Sieben Schülerin bei Marguerite Long und mit Acht gab sie ihr ersten Konzert an der Seite Ravels höchstselbst. Sie spielten gemeinsam „Ma mère l´oye“, zu Deutsch „Meine Mutter Gans“. Charles Munch lernte sie schon früh kennen und die beiden pflegten eine lebenslange Künstlerpartnerschaft, d.h. so lange der Dirigent lebte. Noch etwas Zeitgeschichte gefällig? Während des Krieges unterstützte Frau Henriot-Schweizer die Résistance. Bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung durch die GeStaPo erhielt sie durch einen Schlag mit dem Gewehrkolben eine Nierenverletzung und ihr wurde, wegen ihres Berufes, der bekannt war, die linke Hand gebrochen.

Das exzellente Orchester beginnt mit temperamentvollem und kraftvollem Elan. Unterschiedlicher könnten zwei Einspielungen kaum klingen als die von Pons und Munch. Herauszuheben wäre vielleicht die hervorragende Trompete. Es wird in weiten Spannungsbögen musiziert.

Die Pianistin zeigt sich einfühlsam und technisch versiert. Auch sie spielt mit Augenmaß und Verve. Der Klang des Klaviers erinnert an den von Bernstein (ebenfalls 1958) oder Benedetto-Michelangeli (1957), auch noch an den von Samson Francois (1960). Mit einer ganz leichten Verzerrung bei der Aufnahme des Instruments musste man damals offensichtlich noch leben. Münch wird den mysteriösen und geheimnisvollen Passagen gerecht wie kaum ein zweiter. Das Orchester macht zudem „große“ Kammermusik. Die Kadenz hört sich ein wenig wackelig an. Immer wieder kommt uns in den Sinn, Ravel könnte auch an Tiere und ihre Lautäußerungen gedacht haben wie in seiner Kurzoper „L´enfant et les Sortilèges“. In dieser Aufnahme kam der Gedanke besonders hartnäckig.

Auch in der Klaviereinleitung zum zweiten Satz denkt man an die Einspielung Benedetti-Michelangelis. Jedoch wirkt die Pianistin nicht ganz so differenziert, obwohl sie die Dynamik nie aus den Augen verliert. Aber richtig „schön“ wird es erst, wenn das Orchester einsetzt. Es stiehlt der Pianistin ein wenig mit seinen sehr gut herausgearbeiteten farbigen Soli die Show. Das Englischhorn wird nah mikrophoniert, weshalb es keine Mühe hat sich gegenüber den Umspielungen des Klaviers zu behaupten. Leider klingt es zeitgemäß recht dünn und auch nicht immer ganz intonationsrein.

Das Presto wirkt nicht gerade elementar schnell, aber pointiert und inspiriert. Die Bläser spielen in Top-Form. Die klar und luzid spielende Pianistin bringt auch im letzten Satz viele Nuancen ein. Französische Clarté par excellence.

Der Klang der LP ist sagenhaft präsent und dynamisch. Auch die Transparenz gefällt. Der Orchesterklang wirkt vollsaftig und prall. Das Klavier fällt da im Verhältnis zurück. Klavieraufnahmen waren nicht unbedingt eine besondere Domäne der „Living Stereos“. Wir hören ein leichtes Rauschen. Die Gran Cassa klingt voll und tief. Unglaublich in Anbetracht des Aufnahmedatums ist auch die Dynamik.

 

5

Marguerite Long

Pedro de Freitas Branco

Ein Orchester

EMI, Intense Media

1932

7:21  8:38  3:56  19:55

 

MONO  In beiden Ausgaben handelt es sich zweifelsfrei um dieselbe Einspielung, obwohl bei Intense Media das Lamoureux Orchester firmiert und als Dirigent Maurice Ravel selbst genannt wird. Da wir uns im „Werkhintergrund“ bereits schlau gemacht haben, wissen wir, dass es bei der Aufnahme nicht die Besetzung der Uraufführung war, sondern ein ungenanntes handverlesenes Pariser Adhoc-Ensemble war, das spielte und es Pedro de Freitas Branco war, der dirigierte. So steht es auch auf der EMI-CD. Maurice Ravel war anwesend und brachte zumindest die Pianistin schier zur Verzweiflung, so oft hatte sie einzelne Passagen zu wiederholen, damit der Meister mit der musikalischen Umsetzung des Werkes zufrieden war, das er eigentlich selbst spielen wollte. Es ist eine „Umsetzung“ voller Feuer und drängendem Tempo geworden, zumindest, was den Orchesterpart anlangt. Mit der Peitsche beginnt eine der rasendsten Kutsch- oder Zugfahrten unseres Vergleiches. Es gibt so gut wie kein Rubato, die Tempokonstanz wird eisern durchgehalten und wenn man sich das antiquierte Klangbild wegdenkt mit dem unvermeidliche Restrauschen und der verengten Perspektive, dann klingt das Werk tatsächlich enorm klar. Die rhythmische Perfektion ist staunenswert.  Nur bei Zf. 18 gerät das Holz fast aus dem Rhythmus. Das Horn-Espressivo ab Zf. 25 (Solo) wird unbarmherzig schnell und noch mit Vibrato geblasen, was heutigen Hornist:innen nicht mehr im Traum einfallen würde. Die Elemente zwischen den amerikanischen Anklängen an Gershwin werden klar herausgearbeitet, aber nicht überstrapaziert. Die Pianistin spielt trocken und nüchtern, eine gewisse Maschinenhaftigkeit, die man dem Spiel ablauschen kann, wird von dem trockenen und kargen Klang noch befördert. Es wird kein Moment von ritardando zugelassen, als ob dies als Moment der Schwäche (oder Faiblesse) missverstanden werden könnte. Die kernig-harte Wirkung hat jedoch nichts mit einer distanzierten Haltung zu tun.

Dem zweiten Satz geht der Klangzauber weitestgehend ab, was angesichts des gebotenen Klangs niemanden überraschen dürfte. Der leicht jaulende Klang (bei der Version von Intense Media) stört schon etwas. Das Englischhorn bewältigt die 23 Takte seines Soloauftritts nicht ganz ohne Atemprobleme. Auch wenn man sich das gehörte in einen neueren Klang „übersetzt“, wäre dieser Satz bar jeden romantischen Schwelgens.

Der dritte Satz versetzt uns in die Hektik der Großstadt, das Blech klingt bisweilen wie die Autohupen in Gershwins „Der Amerikaner in Paris“, der aber zum Zeitpunkt der Komposition und der Aufnahme noch lange nicht das Licht der Welt erblickt hatte. In dieser Ur-Einspielung werden der erste und der dritte Satz heute noch viele begeistere Zuhörer:innen finden, beim zweiten sollte man auch Zugriff auf Alternativen haben. Andererseits, welche andere Einspielung könnte sie ersetzen? Sie wirkt aus heutiger Sicht einseitig auf das Tempo und die Präzision fixiert. Dafür, dass es an Sinnlichkeit des Klanges mangelt, kann sie nichts.

Von den beiden CDs klingt die von Intense Media viel schärfer aber viel transparenter. Auch dynamisch wirkt sie gegenüber der EMI beflügelt. Sie klingt auch offener und hat mehr Bass.  Sie klingt trotz ihres Alters klar, was der Instrumentationskunst Ravels erneut ein bestes Zeugnis ausstellt. Das Rauschen wirkt heller als bei EMI. Leider ist das Klangbild nach links verschoben. Es sollte bei Monoaufnahmen genau mittig sein.

Bei EMI klingt die Aufnahme viel weniger dynamisch aber wärmer. Der Klang kommt genau aus der Mitte, wie es sich gehört. Das Rauschen klingt breitbandiger, lauter und störender. Insgesamt würde man sie dennoch als ausgewogener bezeichnen. Ihre grauen Klangfarben lassen sie jedoch älter wirken als die etwas farbigere Intense-Media-Version.

 

5

Leonard Bernstein

auch Dirigent in Personalunion

Columbia Symphony Orchestra

CBS-Sony

1958

8:01  9:39  3:41  21:21

 

Von Leonard Bernstein gibt es unseres Wissens drei Einspielungen, die auf kommerziellen Tonträgern erhältlich sind bzw. waren. Die erste mit dem Philharmonia Orchestra entstand bereits 1946, die letzte, ein Mitschnitt des ORF mit den Wiener Philharmonikern, auf DG veröffentlicht, 1971. In allen drei Fällen übernahm er den Klavierpart und die Orchesterleitung selbst. Die CBS-Aufnahme von 1958, er war gerade Chef der New Yorker Philharmoniker geworden, überzeugt musikalisch und vor allem klanglich am meisten. Zudem ist sie sehr partiturgenau.

Das Orchester fremdelt, anders als besonders die Wiener Philharmoniker überhaupt nicht dem Stück. Ganz im Gegenteil. Dies ist bereits lange vor den Einspielungen von Bollani/Chailly und Grosvenor/Judd die Einspielung, die die stilistische Vielfalt des Werkes mit am besten umsetzt und vor allem vor den Jazz-Einflüssen nicht nur nicht zurückschreckt, sondern sie ordentlich ausspielt.

Das Orchester beginnt bereits sehr akzentuiert. Der oder die Triangel schlägt seine Tönchen wieder auf 2 und 3 statt auf 2 und 4. „Cosi fan tutte“ könnte man fast sagen. Die Fagotte spielen ab Zf. 9 tatsächlich Vibrato, wie vorgeschrieben. Das machen nur zwei oder drei weitere Fagottisten-Paare. Der Anschlag des Pianisten Bernstein wirkt nicht sonderlich brillant (wie etwas bei Zimerman), lyrische Partien werden etwas im Tempo abgeschwächt und so stärker herausgestellt. Das Tempo wirkt insgesamt hellwach und aufgekratzt. Das Hornsolo im New Yorker Adhoc-Orchester (handverlesen, wie man hören kann) klingt fantastisch, genau wie die Harfenkadenz. Seltsamerweise klingt die immer super, bei fast allen Aufnahmen, egal ob von rechts oder von links. In der Kadenz kommt Bernstein nicht an den flirrenden Triller-Zauber der allerbesten heran. Ab Zf. 27 klingt das p der Streicher zu laut und ein crescendo bemerkten wie auch nicht. Die Trompete macht einen Klasse-Job. Die des Philharmonia Orchestra 1946 gefiel uns aber noch etwas besser, da brillanter.

Wie bereits bei den Aufnahmen mit Benedetti-Michelangeli (1957), Nicole Henriot-Schweitzer (ebenfalls 1958) oder Samson Francois (1960) scheppert das Klavier auch bei Bernstein, vor allem im f. Es schwingt auch nicht richtig frei. Ein Phänomen der Aufnahmetechnik jener Zeit. Über die Label und Kontinente hinweg. Klaviere oder Flügel sind eben sehr schwierig natürlich aufzunehmen gewesen. Es klingt auch immer ein wenig dumpf. Im zweiten Satz konzentriert man sich naturgemäß besonders darauf, es spielt zu Beginn nur der Flügel. Das Legato der rechten Hand kommt nicht so gut zur Geltung. Die linke hingegen präsentiert Bernstein für unseren Geschmack in der Einleitung zu perkussiv und gewichtig. Die Flöte kommt uns von den New Yorkern Philharmonikern schon sehr bekannt vor. Sehr voller Klang, viel Vibrato. Bernsteins Klavierklang klingt mit Einsatz des Orchesters viel geschmeidiger als noch zuvor und viel mehr untergeordnet. Jetzt wird Kammermusik gemacht. Das Duo mit dem Englischhorn gelingt ihm ausgezeichnet. Er ordnet sich sehr gut ein unter der Führung des Englischhorns. Es gibt einige wenige Pianist:innen, die im zweiten Satz ins schweben kommen, Bernstein gehört nicht unbedingt dazu.

Im dritten Satz spielt Bernstein zu Beginn zu laut, das p wird einfach übergangen. Damit ist er nicht alleine. Die Aufnahme ist aber auch sehr präsent, sodass unser Ohr hautnah dran ist am musikalischen Geschehen. Und manch ein p wurde damals angehoben, damit das Rauschen nicht so stark durchschlägt. Die frechen jazzigen Bläsereinwürfe gefallen so umso besser. Da wird vom Dirigenten Bernstein ein wunderbarer Wirbel entfesselt. Das Klavier hat vielleicht nicht immer die ultimative Präsenz, das Orchester dafür umso mehr. Das Harfensolo (8 T. nach Zf. 14), das bei fast allen Einspielungen hoffnungslos untergeht ist bei Bernstein präsent wie sonst nie. Es ist aber einfach die Spiellaune, die hier ungemein anpackt. Das erfüllt. Und ist noch frischer und knackiger als 1946 und als 1971 sowieso.

Der Klang wirkt, wenn man einmal vom Klavier ein wenig absieht, natürlich. In jedem Fall unmittelbar, sehr präsent, transparent und plastisch. Der Klang ist in der Breite exzellent aufgefächert. In der Tiefe weniger. Die Dynamik ist knackig. Einzelne Instrumente sind ganz hervorragend zu orten. Wie bereits erwähnt klingt das Klavier nicht ganz frei und etwas dumpf. Zumindest für die Freunde des klassischen Flügelklangs. Bei Freunden des Jazz-Pianos mag das schon wieder ganz anders sein. Bei Bernstein hört man das Klavier der New Yorker Hinterhof-Kneipe noch sehr gut heraus, dessen jazziges Spiel Ravel während seiner Tournee durch die Staaten kennenlernte und inspirierte.

 

5

Eva Bernátova

Václav Smetácék

Prager Sinfonieorchester

Supraphon

1965

8:00  8:40  4:06  20:46

 

Die eigentlich ungarische Pianistin ist uns noch vom Vergleich der Einspielungen des dritten Klavierkonzertes von Béla Bartok in bester Erinnerung. Auch dieses Mal sind Schwung und Dynamik ihres Klavierspiels von viel Leidenschaft geprägt. Gerade wenn man die zweite Einspielung von Alicia de Larrocha davor oder danach hört, kommt einem der Beginn mit Bernátova vor wie ein Überfall. Vor Zf. 4 hören wir einen deutlichen Schnitt. Das Englischhorn spielt nun plötzlich in einer anderen Akustik, und auch das Folgende in einer ganz intimen Atmosphäre. Das Klavierspiel klingt ausgesprochen klangvoll und ausdrucksstark. Da klingt Ravel fast schon wie ein Expressionist. Ein Schmankerl ist auch die Kadenz, in der alle Elemente gleichermaßen deutlich und klar herausgearbeitet werden. Das Orchester bewegt sich auf der Höhe der Pianistin, stürmisch, dringlich und mit sagenhaft präsenten Soli. Die Prager spielen Ravel, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätten. Hervorragend.

Sehr gutes Tempo im zweiten Satz, das leichte und behutsame Rubato lockert ungemein auf und befördert die Kommunikation zwischen Spielerin und Hörer:innen ungemein. An der Anschlags-Kultur spürt man den harten Zugriff der Bartok-Schule aus Budapest, wie auch einen enormen Nuancenreichtum, der dann doch eine kühle Ausstrahlung vermeidet. Die Bläser-Soli werfen teils ungewohnte Belichtungen auf die Musik, ohne dass man von einem tschechischen Dialekt sprechen könnte.  F und ff werden ungeniert ausgereizt. Das Duo mit dem Englischhorn gelingt zauberhaft, wenngleich sich das Blasinstrument nicht mehr ganz zeitgemäß anhört, denn das leichte Vibrato untersagt man sich heute meist. Es könnte aber auch die Herzen der Zuhörenden erobern, denn man spielt sublim. Die Pianistin stuft die Dynamik sehr gekonnt fein ab.

Wer dächte bei dieser jazzigen Es-Klarinette nicht an die Rhapsodie in Blue? So „jazzy“ bekommt das kaum eine andere hin. Das Presto mag ein wenig reduziert wirken, die Spielfreude ist jedoch enorm. Das Harfensolo 8 T. nach Zf. 14 ist immerhin angedeutet. Zu allermeist geht es total unter. Eine Darbietung enorm spannend und mit viel Hingabe gespielt. Bernátova ist eine der besten. Das Orchester wirkt etwas stämmig von seiner Klangcharakteristik her, sehr musikantisch aber vielleicht etwas weniger elegant. Sonst wäre die Einspielung vielleicht noch weiter oben zu finden.

Denn auch der Klang wirkt plastisch, voll, offen, farbig und sehr dynamisch. Sogar körperhaft, obwohl wir die Aufnahme nur gestreamt haben. Manchmal wechselt jedoch die Perspektive ein wenig, dann wurde (weniger gekonnt) geschnitten. Das leichte Rauschen im zweiten Satz informiert über das Alter der Aufnahme.

 

 

 

4-5

Fazil Say

Carlos Miguel Prieto

HR - Sinfonieorchester

Live-Übertragung des HR, unveröffentlicht

2013

8:33  9:42  3:42  21:57

 

Das Ravel-Konzert wurde mit Fazil Say mindestens zwei Mal im Radio übertragen. Zu dieser hier gelisteten gesellt sich noch eine Aufnahme mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, die vom SWR gemacht wurde und sich immer noch in der betreffenden Mediathek befindet. Dass es noch zu keiner Aufnahme auf kommerziellem Tonträger gekommen ist, muss man nur angesichts der Aufnahme des HR bedauern, die das „Zeug“ dazu hätte, denn im Mannheimer Rosengarten (SWR) wird das Konzert lediglich routiniert gespielt.

In Frankfurt spielt der Solist hingegen sehr inspiriert. Er spielt seinen Part ziemlich unabhängig und frei. So wird eine rhapsodische, fast improvisatorische Herkunft nahegelegt. Die Soli im Orchester wirken leider nicht immer deutlich genug, aber mit Charakter gespielt. Die Jazz-Elemente werden durchaus ausgespielt, aber nicht übertrieben. Ab Zf. 29 Tempo primo bekommt die Darbietung besonders viel Drive und wirkt mit kräftigen Akzenten sehr temperamentvoll.

Auch im zweiten Satz hat sich der Pianist besonderes einfallen lassen. Er macht aus dem Satz einen langsamen Walzer, gefühlt einen ganz langsamen Walzer. Er geht die Dynamik ganz leise an, spielt ganz weich und behutsam, bewahrt sich aber bei aller Zartheit einen sehr klangvollen und runden Ton. Er kreiert so eine besondere Entrückung, obwohl der Tanzcharakter noch bewahrt bleibt. Herrn Say gelingt es zudem gerade noch die Spannung zu halten, was aber eine untergeordnete Rolle spielt, da der meditative Aspekt dominiert. In Mannheim bleibt vom „Frankfurter Zauber“ übrigens nicht mehr viel übrig. Ab Zf. 2, wenn Ravel das neue mehr umspielende thematische Material einführt, wähl Say ein schnelleres Tempo. So hält er den Satz fließend. Dynamisch geht er äußerst differenziert vor. Bei der Umspielung des Englischhornsolos nimmt sich der Pianist die Freiheit, Ravels Anweisungen in der Dynamik deutlich zu überhöhen (was bei anderen im Gegenteil dynamisch meistens zu flach gerät). Zumeist überlässt er dem Englischhorn die Hauptrolle, dann zieht er aber mit einer überdeutlichen Verschärfung der Lautstärke an diesem vorbei. Das wirkt erneut unvorhergesehen und improvisatorisch frei. 2015 in Mannheim gestattete er sich auch diese Freiheit nicht mehr, spielt nur noch mainstreamhaft. Wir bevorzugen eindeutig seine Frankfurter Spielweise, die zwar extravagant wirken mag, aber nie langweilig und wirklich einmal eigenständig und neu gehört wirkt, zugleich aber die Partitur nie vergisst. Im Jahr der Aufnahme war Fazil Say beim HR SO Artist in Residence. Vielleicht hatte er dadurch einfach mehr Zeit oder Gelegenheit mit dem Orchester intensiv zu proben als in Mannheim?

Auch im dritten Satz wirkt die Darbietung tänzerischer als andere, wobei dieses Mal aber vielleicht mehr der Dirigent verantwortlich sein mag. Say gestaltet jedoch gleichgesinnt mit, flink und virtuos. Leider ist in Frankfurt im dritten Satz überhaupt keine Harfe hörbar und man ist nicht immer völlig präzise zusammen. Live und direkt eben.

Wie immer bei den Live-Übertragungen wird ein transparenter, beim HR meist ein wenig fülliger, großformatiger Klang in 5.1-Technik geboten. Die Staffelung wirkt tief, das Klavier und das Orchester leicht distanziert. Das Klavier bekommt ein wenig sfumato spendiert. Die Gran Cassa ist HR-typisch mächtig.

 

4-5

Alice Sara Ott

Paavo Järvi

HR - Sinfonieorchester

Live-Übertragung des HR, unveröffentlicht

2009

8:15  8:02  3:48  20:05

 

Auch mit Alice Sara Ott gab es innerhalb von wenigen Jahren zwei Übertragungen des Ravel-Konzertes im Rundfunk, die wir mitbekommen haben. Wie im Falle Say sind beide unterschiedlich gelungen. Die zweite mit Thomas Hengelbrock und dem NDR - Sinfonieorchester nur zwei Jahre später (2011) reicht an die von Paavo Järvi geleitete nicht heran. Vielleicht mag es auch in diesem Fall daran liegen, dass Alice Sara Ott im Jahr 2009 Artist in Residence beim HR SO war, und sich intensiver mit Werk und Umgebung beschäftigen konnte?

Ihre Frankfurter Darbietung hätte, wie auch die Says im gleichen Konzertsaal (Alte Oper) aufgenommen, eine Veröffentlichung auf Tonträger verdient. Frau Ott phrasiert weich, mit einem schönen, runden Legato und einem warmen Klang unterstreicht sie ihren kantablen Ansatz. Die lyrischen Passagen im ersten Satz nimmt sie etwas langsamer und gedankenvoll. Es gelingt so gut, diesen Stellen Tiefe zu verleihen. Sie hält die Spannung dabei sehr gut. Wie oft bei Rundfunkübertragungen leuchtet der Klavierton etwas matter. Ihre Phrasierung wirkt immer schlank und flink. Mit dem Orchester gemeinsam wird eine sehr schöne Atmosphäre erzeugt. Das Horn verwechselt ein gefordertes Espressivo leider mit f, es sollte jedoch p spielen. Das haben wir beim HR SO schon häufiger bemerkt. Die Kadenz bekommt bei Frau Ott einen ganz eigenen Charakter. Ihr Spiel wirkt gekonnt und die Stimmen sehr transparent, aber insgesamt wirkt die Kadenz fragil und zerbrechlich. Nicht auftrumpfend und nicht das große Schaulaufen, wie bei vielen anderen, besonders bei den männlichen Kollegen. Obwohl sie bei Zf. 29 kaum die harte Pranke ausfährt, klingt ihr Klavierspiel auch an dieser Stelle mitreißend und geschmeidig. Die besonders angezogene Schlussstretta Järvis wirkt zwar bravourös, aber etwas unorganisch angesetzt.

Im zweiten Satz gelingt auch Alice Sara Ott, wie bei Fazil Says Gastspiel an derselben Stelle, eine besondere, höchst eigenständige Darbietung des zweiten Satzes. Frau Ott trifft den Notturno-Charakter außerordentlich gut. Sie beginnt langsam und zögerlich, mit einem recht starken Versatz von rechter und linker Hand, der die beiden Stimmen fast voneinander separiert. Im Verlauf wird sie immer mutiger, engagierter, mit organischem Rubato und stets klarer Phrasierung. Die linke Hand wirkt sehr flexibel, die rechte   demgegenüber viel gewichtiger. Es kommt auch noch ein ganz zartes, wunderschönes Legato (das bereits im ersten Satz nicht zu überhören war) hinzu. Ihre Interpretation wirkt nicht sonderlich nachdenklich oder verträumt, sondern hellwach. Nicht verschlafen, sondern vielleicht eher tagträumerisch. Der ganze Satz wirkt empfindungsreich und sehr stimmungsvoll erzählt. Da bleibt von ihrer Seite kein Wusch offen. Das Orchester zieht weitestgehend mit. Das Englischhorn ein Takt nach Zf. 2 setzt ein Crescendo, wo gar keins sein sollte und auch das große Solo spielt es zwar klanglich gut (ein wenig matt), aber man hat es jedoch schon emphatischer gehört. Die Umspielungen von Frau Ott gelingen bestens. Brava! Von diesem Zauber konnten wir in Lübeck mit dem NDR SO und Thomas Hengelbrock zwei Jahre später nicht mehr viel entdecken.

In Frankfurt folgte ein dritter Satz mit einem anspringenden Tempo. Hier hätte man sich den Klavierklang etwas härter und brillanter gewünscht, da kommt die Pianistin an die Herren Zimerman, Katchen, Thibaudet oder Uhlig nicht ganz heran oder an die Pianistinnen Argerich, Vinnitskaya oder Bernátova, die aber alle „gemütlich“ im Studio saßen und nicht vor über tausend Zuhörern spielen mussten. Ihre geschmeidig-gelöste Spielweise klingt aber auch sehr gut und Järvi bietet mit ihr zusammen eine prima Steigerung in einem weiten Bogen. Der Drive von Martha Argerich und Claudio Abbado 1967 bleibt aber unerreicht.

Der Klang zeigt die gleichen Eigenschaften wie in der Darbietung von Say und Prieto vier Jahre später (ebenfalls 5.1). Typisch für den HR ist die Garn Cassa mit dem kräftigen Wumms. Staffelung, Räumlichkeit und Transparenz liegen erneut auf hohem Niveau. Dieses Mal erschien uns das Blech ein wenig weiter entfernter als 2013.

 

4-5

Jean-Yves Thibaudet

Charles Dutoit

Orchestre Symphonique de Montréal

Decca

1995

8:30  9:50  3:55  22:15

 

Der Klang des Klaviers wirkt in dieser Einspielung dem Klavierklang Pascal Rogés (ebenfalls Decca) ähnlicher als Thibaudets eigenem in der Aufnahme des BR mit Daniel Harding. Offensichtlich spielen also beim Endprodukt Klang des Klaviers nicht nur der Klavierbauer und der Spieler eine Rolle, sondern auch Mikrophone, Kabel, Schaltpulte u.s.w. bis hin zum Tontechniker. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, es fiel nur in diesem Zusammenhang wieder einmal besonders auf.

Thibaudet geht jedoch etwas sachlicher zu Werke als Rogé, nutzt weniger Rubato. Rogé spielt 1982 auch artifizieller als in seinem eigenen Remake beim ORF. Thibaudets Spiel wirkt absolut brillant. Die Kadenz klingt super, obwohl er die Trillerketten ein wenig vor Melodie und Umspielung bevorzugt. Das Orchester ist wie bereits 1982 mit spritziger Perfektion ein sicherer Partner. Genauso wie 1982: Gute Schlussstretta.

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, setzt Dutoit seine Tempovorstellung beim zweiten Satz durch, egal welchem Pianisten  oder welcher Pianistin (Argerich) er zur Seite steht. Thibaudet überzeugt trotz (oder auch wegen) des moderaten Tempos mit viel Feingefühl im Spiel und kerniger Substanz des Klangs. Er weiß das Legato sehr schön zu binden, ohne dass der (gewünschte) Pedalgebrauch überhandnimmt. Es zeigen sich reiche Farbvaleurs und die dynamische Differenzierung ist mehr als gekonnt. Das Orchester wirkt gegenüber 1982 verbessert. Auch das Englischhorn klingt im bestens abgestimmten Duo mit dem Klavier besser als 1982, aber immer noch ein wenig blass. Eine Domäne Thibaudets ist das Jeu perlé. Auch die Flöte klingt, nun mit weniger aufdringlichem Vibrato geblasen, noch schöner.

Der dritte Satz geht dem Pianisten flink und souverän von den Fingern. Sehr virtuos, locker und brillant. Das Orchester bringt hier viel Spannung und Verve mit ein. Das Harfensolo ist immerhin leise hörbar.

Das Orchester klingt präsenter, klarer und offener als 1982. Im Tutti wirkt die Einspielung immer noch ein wenig hallig, ein Eindruck, der sich allerdings während der leiseren Passagen gänzlich verflüchtigt. Das Klavier ist weniger deutlich hervorgehoben als üblich, wie in einem Konzertsaal, wenn man einen Platz ziemlich weit hinten erwischt hat. Der Gesamtklang ist gegenüber 1982 nun völlig befreit von der „Digitalitis“, die ihm 1982 noch anhaftete. Nun klingt es farbig und vor allem natürlich.

 

4-5

Pascal Rogé

Bertrand de Billy

ORF Sinfonieorchester Wien

Oehms

2004

8:42  9:44  4:00  22:26

 

SACD  Gegenüber seiner ersten Einspielung aus Montréal klingt Rogés Klavier nun fülliger aber auch nicht mehr ganz so leichthändig bedient wie noch 22 Jahre zuvor. Manches wirkt nun bewusster und ein wenig schwergewichtiger, umgekehrt klang es früher frischer aber auch einfacher, weniger raffiniert. Das Spiel erweckt nun zudem den Eindruck von mehr Autorität. Diesbezüglich kommt er an einen Katchen jedoch noch nicht ganz heran. Sein Flügel klingt aber auch erheblich lauter als 1982 und mit mehr Resonanz versehen, tiefer grundiert und sonorer, was den Eindruck von Gewicht und Autorität sowieso schon befördert. Die Harfenkadenz gelingt nicht mehr ganz mit dem Zauber von 1982, ist jedoch wie in allen Einspielungen ein Moment der Magie. Wem sonst außer Ravel wäre so etwas je einfallen?

Noch ein Wort zum Orchester: Es packt deftiger zu als die Montréaler 1982, spielt die Jazz-Elemente voll aus, die Schlussstretta gelingt rasant.

Bei Pascal Rogé ändert sich am Tempo im zweiten Satz gegenüber seiner alten Einspielung nicht viel. Das Klavier ist nun viel näher platziert, erscheint sogar wie in Großaufnahme. So wirkt der Beginn sehr groß trotz „kleiner“ Vortragsbezeichnung (p und pp). Herr Rogé nutzt die Möglichkeiten des Pedals weidlich aus. So steht der Klang sehr lange im Raum, der Bindebogen hält länger durch. So wie er es macht ist es aber bereits grenzwertig, da der Klang gerade schon beginnt leicht zu verschwimmen. Dennoch ist sein Spiel der 82er Version vorzuziehen, da es lebendiger und deutlicher wirkt. Das Holz wirkt nun ebenfalls nochmals präsenter als in Montréal und auch als im ersten Satz. Offensichtlich hat man für den zweiten Satz nach einer eigenen Mikrophon-Aufstellung gesucht, um sie speziell auf ihn zu optimieren, was auch gelungen ist. Im Englischhorn/Klavier-Duo wurde nun großes klangliches Gewicht auf die Umspielungen des Klaviers gelegt, das erschien uns ´82 ausgewogener gelungen.

Die SACD punktet im dritten Satz mit ordentlich Wumms bei der Gran Cassa. Auch die Bläsersoli kommen ausgesprochen „fett“ heraus, gespielt wird frech. Das Harfensolo ist hingegen gar nicht zu hören. Die Wiener Provenienz des Orchesters könnte man nicht heraushören, es klingt international und bringt auch alle Stile, die Ravel verschmolzen hat, gleichermaßen gut zur Geltung. Sehr vital und zugespitzt gelingt der dritte Satz von den dreien besonders gut.

Wir haben die SACD dieses Mal nur als CD gehört. Auch so klingt sie schon sehr viel offener, transparenter und präsenter als die Decca von 1982 und bietet ein viel größeres Klangbild. Sie wirkt zudem auch dynamischer und viel kontrastreicher. Besonders das Klavier klingt viel plastischer.

 

4-5

Oliver Triendl

Takao Ukigaya

Nationales Polnisches Rundfunk-Sinfonieorchester, Kattowitz

Thorofon

1994

8:33  9:10  3:52  21:35

 

Das polnische Kattowitz war uns nicht als Zentrum der Ravel-Exegese bekannt. Dennoch kam es in den Jahren 1993 und 94 zu zwei Einspielungen des Konzertes. Und beide sind mehr als gelungen. In der zweiten Einspielung spielt der französische Pianist Francois-Joel Thiollier. Auf sie kommen wir auch noch zu sprechen.

Dass man vom Pianisten aus Bayern nicht viel mehr gehört hat, muss nach Kenntnis dieser Einspielung sehr wundern. Sie wirkt durch und durch inspiriert und kompetent. Sein ebenso einfühlsames wie klares Spiel verfügt über einen kernigen Anschlag und einen gestochen scharfen Fokus. Es bietet viel motorischen Drive. Das temperamentvoll aufgeladene und durch und durch präzise Orchester überzeugt ebenso mit seinen farbigen, blitzblanken Beiträgen wie der Pianist. Leider wirken die Holzbläser ein wenig zu hintergründig, man war aber durch die vielen enorm präsenten Einspielungen (Triendl war die 92ste Einspielung, die wir hören durften) in diesem Bereich während des Vergleiches bereits sehr verwöhnt worden. Und zum Miterleben des Konzertes sind die Bläser generell in diesem Werk besonders wichtig. Die Kadenz von Herrn Triendl ist einfach exzellent gespielt. Hut ab! Ab Zf. 29 geht es mit vollem Tempo blitzschnell weiter, grifftechnisch absolut makellos und selbst im „Topspeed“ ungemein klar. Die Schussstretta gelingt dem Orchester mit Ukigaya noch temperamentvoller als mit ihrem Chef Antoni Wit ein Jahr zuvor.

Oliver Triendls Klavierklang ist auch im p und pp brillant. Er bevorzugt ein zügigeres Tempo als Herr Thiollier und ist kein Freund von divergierenden Stimmen. Trotzdem wirkt seine Solo-Einleitung überzeugend. Den Violinen würde (nur) im zweiten Satz etwas mehr Fülle ganz gut anstehen, besonders im f. Wie bei Wit spielt das Englischhorn klangvoll und mit schöner Phrasierung. Es sollte wohl derselbe Spieler gewesen sein. Triendl umspielt dabei etwas lauter als Thiollier, aber nicht aufdringlich. Insgesamt gefiel uns die Balance der beiden ungleichen Duopartner beim Franzosen etwas besser.  Triendl verfügt jedoch einfach über den brillanteren Klang, die wärmeren Klangfarben und insgesamt wirkt mit ihm der Satz weniger sachlich.

Im dritten Satz wirkt diese Interpretation etwas kerniger im Rhythmus und feuriger im Klavierspiel. Das gleiche Orchester wirkt noch etwas pointenreicher, das Zusammenspiel ist ebenso präzise. Die Mitwirkenden haben offenkundig eine klare Vorstellung, wie das Werk zu klingen hat und realisieren diese ohne nennenswerte Abstriche.

Der Klang ist bei Thorofon etwas offener und präsenter als bei Naxos. Das Klavier bekommt mitunter eine kleine Hallfahne mit, man könnte auch von einem „Halo“ reden. Wir fanden ihn nicht störend, aber da könnte man auch anderer Meinung sein. Beide Einspielungen sind ähnlich transparent. Dynamischer und farbiger ist jedoch der Thorofon-Klang. Die Gran Cassa klingt hingegen bei Naxos wuchtiger.

 

4-5

Kirill Gerstein

Andris Poga

WDR Sinfonieorchester Köln

Live-Übertragung des WDR, unveröffentlicht

2023

8:06  8:04  3:55  20:05

 

Am gleichen Konzertabend gab man auch noch das Konzert für die linke Hand. So dürften die Kölner Zuhörer ein ganz besonderes Bad im Klang nehmen.

Sehr musikalisch, pfiffig, intensiv und teils rasant ging der Pianist den ersten Satz an. Er nutzt zwar recht viel Pedal, aber verschwommen wird weder die lineare als auch die akkordisch geprägte Textur. Selbst das Legato wirkt sehr gut konturiert. Das sehr gute innige Spiel mit der schönen, weichen Melodiebildung kontrastiert sehr gut mit dem an anderer Stelle wieder besonders brillanten Anschlag. Das Hornsolo ist leider nicht ganz frei von Kickser, danach jedoch sehr ausdrucksvoll. Bei der Kadenz stellt Herr Gerstein die Trillerkaskaden etwas in den Vordergrund. Pianist und Orchester gefallen sehr gut, impulsiv und vehement gelingt ihnen die Stretta.

Ein zügig-fließendes Tempo herrscht im kompletten zweiten Satz. Der Anschlag ist dabei bestechend geschmeidig, das Spiel wirkt sowohl innig als auch duftig. Gerstein sucht kaum die romantische Verklärung (sonst hätte er ein versonneneres Tempo gewählt), er favorisiert in der Einleitung die Darstellung eines dezenten Entwicklungsverlaufes und einer lebendigen Auseinandersetzung. Zum guten Englischhorn gesellt sich eine sehr lebendige Klavier-Umspielung.

Das Presto des dritten Satzes wirkt energisch und vorantreibend. Andris Poga lässt die Militärtrommel mächtig krachen. Die Bläser liefern treffende und prompte Kommentare. Bisweilen mogelt sich das Klavier zu stark in den Vordergrund. Aber auch das Orchester zeigt viel Schwung und Biss. Der Satz wirkt musikantisch und mitreißend. Nach Alice Sara Ott und Fazil Say ist dies der dritte Artist in Residence, dieses Mal jedoch des WDR SO. Jedes Mal waren die jeweiligen Darbietungen Volltreffer. Ist anscheinend doch was dran, dass man es hört, wenn man sich gut kennt und noch besser, wenn man sich gut versteht.

Der Klang, obwohl ebenfalls in 5.1 (wie bei HR, MDR und BR) zu hören, wirkt ziemlich trocken, transparent und recht impulsiv. Insgesamt sehr ausgewogen, wenn man die phasenweise Dominanz des Klaviers im dritten Satz außer Acht lässt. Im langsamen Satz stört das unruhige Publikum (ein typisches Konzert im Winter, das wird meist ordentlich gehustet). Die Gran Cassa erfrischt und ist weniger bombastisch als beim HR eingefangen. 

 

4-5

Francesco Piemontesi

Jonathan Nott

Orchestre de la Suisse Romande

Pentatone

2022

8:20  8:41  3:56  20:57

 

Der junge Pianist stammt nicht, wie es sein Name vermuten ließe aus dem Piemont, sondern aus dem Tessin. Bevor wir zur Hauptsache kommen, sprechen wir kurz wieder vom Triangel. Der partiturgenaue Jonathan Nott bringt den bereits oft beschriebenen Einsatz bereits zwei Takte zu früh und den „richtigen“ Einsatz auf 2 und 3 statt auf 2 und 4, wenn wir uns nicht verhört haben. Dafür lässt er die Fagotte wie sonst nur Bernstein bei Zf. 9 mit viel Vibrato spielen. Alle andern ignorieren diese Partituranweisung. Auch achtet der sorgfältige Dirigent auf einen genau durchgezeichneten Bass. Das Orchester ist gut aufgelegt, die Bläsersoli sitzen, nur das große Hornsolo Zf. 25 zwischen der Harfen- und der Klavierkadenz klingt zu laut. Ab Zf. 25 Tempo primo geht es rhythmisch moderater zu als z.B. bei Fazil Say in Frankfurt. Auch in der Schlussstretta zeigt das Orchester erfreuliche Spiellaune.

Sehr gut schattiert der Schweizer Pianist den Walzerrhythmus der linken Hand im zweiten Satz ab. Deutlich mehr, als es die Partitur nahelegt. Der metrische Kunstgriff Ravels (großer Dreiertakt gegen kleinen Dreiertakt mit seinem Versatz) macht er deutlich. Damit ist von vorne herein für Spannung gesorgt, wo viele gähnende Langeweile walten lassen. Ein Ständchen mit einer unbeholfenen Gitarrenbegleitung ließe sich da gut vorstellen und auch seine Folgen. Das kann ja wohl nichts werden mit der/dem Geliebten… Oder etwas doch? Recht inspiriert und pianistisch und orchestral brillant stellt sich das weitere Procedere dar. Das plastisch hervorgehobene Englischhornsolo erklingt mit angenehmem Vibrato und in warmer Flexibilität. Es wird sehr schön mit der gebotenen Zurückhaltung und ungemein stimmig von Piemontesi untermalt. Alle weiteren Bläsersoli können begeistern, allen voran aber das Englischhorn.

Im dritten Satz bekommen die Bläsersoli eine besonders dialogisierende Note, als ob sich verschiedene Tierstimmen unterhalten würden (Erinnerung an „L´Enfant et les Sortilèges“ wird wach). Das wirkt durchaus amüsant. Auch in diesem hellhörigen Dirigat wird das Harfensolo gut hörbar gemacht (nun sind es schon drei Einspielungen, denen das gelingt und es werden auch nicht mehr viel mehr). Piemontesi bleibt seinem Part nichts schuldig.

Die Beurteilung der Klangqualität stellt sich als schwierig dar, denn uns lag nicht die originale SACD vor, sondern lediglich eine Sendung der Aufnahme durch den Rundfunk (BR). Sie wirkte dabei schon ziemlich transparent und farbenprächtig. Die Dynamik aber und Feinheiten wie etwa die Staffelung nach hinten werden durch den Durchgang durch das Nadelöhr der Rundfunkanstalt (Kabelstrecken, Geräte, Datenreduzierung) und den langen Weg via Satellit usw. und bis zur Empfangseinrichtung zu Hause deutlicher eingeebnet. So klingt die Einspielung im Original sicher noch frischer, farbiger, dynamischer und opulenter. Weich und sogar brillant klingt sie auch so schon. Wir wollten die Einspielung jedoch trotz der Widrigkeiten nicht unerwähnt lassen, dazu ist sie zu gut.

 

4-5

Michele Campanella

Gianluigi Gelmetti

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

EMI

1992

8:16  9:07  4:02  21:25

 

Der italienische Pianist erfreut durch eine trockene, äußerst transparente Spielweise und einer ungemein stimmigen Artikulation. Mit dem sehr virtuosen und farbig klingenden Orchester liegt es dabei genau auf einer Wellenlänge. Dem Orchester lassen sich Qualitäten bescheinigen, die einem sonst vor allem beim Cleveland Orchestra in den Sinn kommen. Ein gutes Zeugnis, das auch für den Dirigenten spricht. Die exzellent ausgeführten Trillerkaskaden der Kadenz lassen besonders auch an das zweite Saint-Saens-Konzert denken. Besonders die kraftvolle Tongebung und die schwungvolle Rhythmisierung begeistern beim Pianisten wie beim Orchester.

Der Pianist führt beide Stimmen unabhängig voneinander und es gelingt ihm, geschickte farbliche Abstimmungen in die ca. drei minütige Klaviereinleitung einzubauen. Das Orchester klingt wunderbar verträumt und poetisch. Die Einhaltung der von Ravel gebotenen Zurückhaltung und die notwendige Empathie führen zu diesem Ergebnis. Der Pianist spielt tatsächlich p wo p steht. Wenn man nun meint, das wäre doch nicht besonderes, so irrt man. Das ist sogar ziemlich selten, wenn man den Vergleich einmal Revue passieren lässt. Allerdings klingt es bei Zimerman noch brillanter, auf eine schwer zu beschreibende Art magischer, was auch für einige weitere Einspielungen gilt, die unter anderem deshalb weiter oben stehen. Das Englischhorn klingt ausgezeichnet, könnte aber gegenüber dem Klavier etwas lauter klingen, da das Klavier bereits zumeist, wie von Ravel gewünscht leise und zurückhaltend agiert.

Der dritte Satz wirkt ein wenig mechanisch, was zur Musik Ravels manchmal gut passt, zudem noch einige ungewöhnliche jedoch treffsichere Akzente gesetzt werden. Dem Orchester gelingt dieser Satz nicht ganz so virtuos wie dem Gewandhausorchester mit Chailly oder den Liverpoolern mit Judd, den Cleveländern (in der Aufnahme mit Zimerman) oder den beiden Orchestern, die von Abbado geleitet werden (BP und LSO). Auf jazzige Übertreibungen wird verzichtet, ein angenehm sachlich-neutraler Klang dominiert.

Der Klang der Aufnahme wirkt ausgesprochen transparent (holographisch wäre wohl die letzte Steigerung von transparent), aber nur wenn nicht gerade alle ff spielen. Besonders die weite Staffelung in die Breite überrascht. Ein trockener Charakter dominiert, dennoch wirken die einzelnen Instrumente körperhaft in den Raum gestellt und es stellt sich insgesamt ein natürlicher Eindruck ein.

 

4-5

Hélène Grimaud

Jesus Lopéz-Cobos

Royal Philharmonic Orchestra, London

Denon

1992

8:18  9:18  3:56  21:32

 

Von Hélène Grimaud liegen uns zwei Einspielungen vor, die im Abstand von nur fünf Jahren entstanden sind. Ein Labelwechsel hat wohl zu diesem schnellen Remake geführt. Die Unterschiede rühren mehr von den beiden Dirigenten und Orchestern her, als von der Pianistin, bei der die Unterschiede eher aus der Tagesform und der unterschiedlichen Aufnahmedisposition herrühren als von neuen Einsichten. Insgesamt gefiel uns die Londoner Aufnahme mit dem inspirierten Jesus Lopéz-Cobos etwas besser.

Die Partnerschaft zwischen den Beteiligten wirkt stimmig. Die engagierte Spielweise weist darauf hin, dass an diesem Tag alle richtig „auf Zack“ waren. Das hört sich frecher und jazziger an, als erwartet. Frech und frei werden die Soli punktgenau lanciert. Die Kadenz wirkt sehr gut proportioniert und klar. Ab Zf. 29 wird das Tempo primo auch von Frau Grimaud zu einer ordentlichen Attacke genutzt. Sehr virtuos und durchaus mitreißend, wenngleich man die „Pranke“ einer Argerich nicht wiederfindet.

Im zweiten Satz bringt auch Frau Grimaud die klangliche Unabhängigkeit der beiden Hände besonders deutlich heraus. Uns überzeugt diese Herangehensweise weit mehr als wenn beide Hände wie homophon genau zusammenklingen. Wie langweilig das zumeist dagegen wirkt, besonders wenn man es zugleich auch an der nötigen Differenzierung fehlen lässt. Anschlagtechnisch wirkt Frau Grimaud nicht ganz so nuancenreich wie Arturo Benedetti-Michelangeli, aber das Nicht-Passen der Melodie der Rechten zur Walzerbegleitung der Linken bringt die Pianistin noch besser heraus. Zudem sie wunderbar leise spielt. Eine magische Stimmung stellt sich ein, die vom ebenfalls sehr einfühlsam spielenden Orchester bruchlos weitergeführt wird. Die eigene Phantasie wird zum ungehinderten weiterschwelgen oder besser barrierefreien abheben veranlasst. Die sehr reizvolle Darbietung wirkt frisch und wie gerade erst erfunden.

Auch der dritte Satz wirkt stimmig, virtuos und geschmeidig, prononciert und geschmeidig. Leise erahnt man sogar das Harfensolo. Die pianistische Kraft von Katchen, Zimerman oder Argerich, Bernátova oder Triendl sollte man jedoch nicht erwarten.

Der Klang der Einspielung wirkt klar, deutlich, klangfarbenstark, weich getönt und dynamisch.

 

4-5

Hélène Grimaud

David Zinman

Baltimore Symphony Orchestra

Erato

1997

8:22  9:21  4:00  21:43

 

Wie bereits erwähnt unterscheiden sich beide Einspielungen der Pianistin nur subtil voneinander. So klingt die Piccolo-Flöte, von Ravel „Ottavino“ genannt, in Amerika müder als in London, kaum erreicht sie ein f. Frau Grimaud phrasiert nun etwas bewusster, nicht mehr so frisch und unbekümmert, was man wahrscheinlich nur bemerkt, wenn man beide Aufnahmen hintereinander hört. Das Orchester wirkt nun im solistischen etwas weniger profiliert. Die amerikanischen Einsprengsel kommen gut heraus. Die Kadenz wirkt noch besser austariert, die Trillerketten werden ausgezeichnet gespielt, die Umspielung ist bestens separiert und die Melodie kommt super heraus. Die Steigerung beginnt die Pianistin nun noch leiser (ab Zf. 29), was ihr bei beim Aufbau zunehmender Intensität noch mehr Luft verschafft und den Bogen noch besser spannt. Der Verlauf bis zur und die Stretta selbst gelingt dem Orchester sehr geschwind, aber das Stampfende der Londoner wirkt gemindert. Insgesamt wirkt es nun vielleicht etwas eleganter.

Erneut bringt Frau Grimaud die beiden Stimmen teils völlig unabhängig voneinander zum Klingen. Wieder gelingt es ihr durch die Betonung des leichten Versatzes von Melodie und Walzerbegleitung etwas Unbehagen in die träumerische Klanglandschaft zu träufeln, in die man wahrscheinlich gerade deshalb besonders leicht mit melancholischem Träumen versinken kann. Obwohl sie richtig leise spielt wird es nie konturlos. Der Klavierklang gefiel uns 1992 etwas besser. Ab Zf. 6 hören wir Englischhorn und Flügel in perfekt abgestimmter Äquilibristik. Ein Gedicht. Am Ende : Wunderbares Herausschleichen aus dem Satz durch perfektes lang anhaltendes Diminuendo.

Zum dritten Satz gibt es nicht viel anders zu schreiben als zur Londoner Aufnahme. Das Klavier könnte etwas luftiger klingen, ansonst klappt alles sehr gut.

Auch die Erato klingt sehr transparent, dafür sogst allein schon der Meister der Instrumentation selbst, Herr Ravel. Der Klangraum wirkt natürlich, mit viel „Luft“ zwischen den Instrumenten. Die Gran Cassa, die bei Denon nicht besonders auffiel wirkt nun erheblich wuchtiger, voluminöser und körperhafter. Beide Einspielungen Hélène Grimauds kann man nur als sehr gelungen bezeichnen.

 

4-5

Louis Lortie

Heinz Holliger

Nederlands Radio Filharmonisch Orkest

Live-Übertragung des Niederländischen Rundfunks, unveröffentlicht

2009

8:00  9:32  3:55  21:27

 

In beiden Aufnahmen, die uns von Louis Lortie zu Gehör kamen, konnte er uns bestätigen, dass er ein ganz hervorragender Pianist ist, was er uns bereits unter anderem beim Vergleich des zweiten Klavierkonzertes von Camille Saint-Saens oder beim ersten von Mendelssohn bewiesen hatte. Die 20 Jahre jüngere Aufnahme aus Amsterdam (Concertgebouw) gefiel uns von den beiden etwas besser, nicht zuletzt durch die etwas lebendigeren Tempi, die vielleicht aber auch auf die sehr unterschiedlichen Dirigenten zurückzuführen sind.

Erneut geht Louis Lortie das Konzert besonnen an, dem Leisen und Feinen verpflichtet, aber auch enorm luzide. Die beiden Fagotte bei Zf. 9 nutzen ihren Vermerk „Vibrato“ zu einem kleinen jazzigen Ausflug, sehr einfallsreich. Ab Tf. 10 geht dann “die Post“ ab. Das Orchester wirkt dabei nicht ganz so sicher und virtuos wie das des BR mit Thibaudet und Harding, zwischenzeitlich sogar ein wenig verwackelt, aber man muss bedenken, dass Holliger zu vollem Tempo animiert. Das Hornsolo klingt klasse, die Umspielungen der Holzbläser ebenso. Die grifftechnisch heiklen Oktavierungen der Solooboe, an denen sich die Studenten oft lange abmühen müssen (eine typische Probespielstelle), gelingt wie in fast allen Aufnahmen makellos. In der Kadenz hält Lortie auch Live das höchste Niveau, wie bereits in seiner 20 Jahre älteren Chandos-Aufnahme.

Erheblich zügiger läuft nun das Adagio assai ab. Über das „assai“ lässt sich vortrefflich streiten, denn was heißt schon genug? Die einen bekommen nicht genug vom Adagio, die andern haben schnell genug davon. Mit Frübeck de Burgos 1989 geht es schon sehr langsam dahin. Holliger zeigt hingegen Sinn für Proportionen und wählt (gemeinsam mit seinem Solisten, wie es bei ihm anzunehmen ist) geschickt ein mittleres Tempo. Lortie spielt darin wunderbar abgerundet und weich, baut erneut weite, nicht enden wollende, dieses Mal noch zwingendere Bögen auf. Sein schwebender Klang wirkt auch dank des guten Tempos nicht spannungslos, vielmehr schwebend und träumerisch. Auch die Holzbläsersoli klingen sehr schön und innig. Es hätte uns auch gewundert, wenn Holliger keinen genauen Blick auf ihr Tun geworfen hätte. Das Englischhornsolo gehört mit zu den besten, von Lortie in glänzender Meisterschaft feinfühlig und brillant umspielt.

Wie bereits 1989 gerät der dritte Satz nie plakativ Die Effekte sitzen dennoch punktgenau. Pianist und Dirigent zeigen bestes Miteinander, denn die Verzahnung der beiden Ebenen Klavier und Orchester passt. Das Holz kommt hier enorm transparent zur Geltung. Dies ist eine charakterlich scharf umrissene Darstellung mit eigenem Charakter. Anders als der Pianist befindet sich das Orchester jedoch nicht ganz auf dem allerhöchsten Niveau.

Das Klavier wirkt im Klangbild ein wenig zurückgesetzt, die Breitenstaffelung ist gut die Tiefenstaffelung lässt trotz 5.1. kanaligen Toms ein wenig zu wünschen übrig. Die Gran Cassa profitiert vom eigenen Bass-Kanal, klingt mächtig und fundamental. Der Klang wirkt angenehm, nicht unnatürlich, recht ausgewogen und warm, was für die geringe Datenrate schon viel bedeutet. Übermäßig brillant ist er nicht.

 

4-5

Louis Lortie

Rafael Frübeck de Burgos

London Symphony Orchestra

Chandos

1989

8:42 10:44 4:06 23:32

 

LP  Schon 1989 spielte Louis Lortie das Konzert auffallend feinsinnig und feingliedrig, enorm präzise und dem Moment nachspürend. Aber auch mit pulsierenden Rhythmen, immer sehr sensibel. Das Orchester, es ist dasselbe, das Abbado auch in der Aufnahme mit Martha Argerich zur Verfügung steht, spielt subtil und ausdrucksvoll. Die Clarté, die es mit Abbado fünf Jahre zuvor erreicht, wird nicht erreicht. Die Kadenz hat höchstes Niveau und ist in allen Bereichen gut durchhörbar. Ab 29 Tempo primo hat der Dirigent ein besonders waches Auge auf die Celli und Bässe. Die Perkussivität und Spiellaune wirken gegenüber Abbados Version reduziert, was auch für den dritten Satz gilt.

Noch mehr als 2009 fühlt sich der Pianist in dieser Einspielung und in diesem Satz dem Leisen und Lyrischen verpflichtet, spannt sehr weit die weiten und tragfähigen Legato-Bögen, die trotz des reduzierten Tempos nicht reißen. Das Englischhornsolo das sich mit den Umspielungen des Klaviers zu einem der schönsten Duos der Musikgeschichte weitet, klingt ausgeglichen, klang- und gefühlvoll. Die Balance ist ausgezeichnet. Das Klavier klingt brillant.

Auch der dritte Satz wirkt relativ leise, oft hintergründig, nie plakativ, immer locker. Das Harfensolo (8 Takte nach Zf. 14) wird fast so prominent herausgearbeitet wie bei Bernstein (CBS).

Weich, voll und abgerundet, sehr transparent und gut gestaffelt präsentiert sich das Klangbild. Entgegen vieler anderen Einspielungen des Labels jener Zeit klingt es nicht (über)hallig, sondern es wird eine stimmige Balance zwischen natürlicher Räumlichkeit und erlebnisreicher Präsenz erreicht. Die Gran Cassa wirkt vehement.

 

4-5

Yu Kosuge

Mark Wigglesworth

BBC Symphony Orchestra London

CBS-Sony

1995

8:46  9:00  4:04  21:50

 

Die Trompete, die ja nur Solo besetzt ist, klingt im ersten langen Solo nicht ganz souverän, was eigentlich schon der einzige ernste Einwand bei dieser vor allem auch klanglich erstklassigen Einspielung ist, die möglicherweise besonders für den japanischen Markt produziert wurde, denn sie war uns bis zur Recherche für diesen Vergleich völlig unbekannt.

Die Pianistin erfreut mit ihrem klaren, ausdrucksvollen Anschlag und subtiler Artikulation. Es fehlt ihr keinesfalls an Temperament und technisch sitzt alles punktgenau. Die Bläserglissandi klingen deftig, wie überhaupt das Orchester eine „sehr gute Figur“ macht. Bei ihrer Kadenz präpariert die Pianistin die drei Ebenen Melodie, Trillerkaskaden und Umspielungen nicht extra heraus, sie sind aber ausreichend gut herauszuhören.

Im zweiten Satz gelingt ihr eine lebendige, gesangliche Gestaltung, die in der Dynamik liebevoll abgestuft erscheint. Die eingesetzten Rubati (irgendwie essenziell bei der Gestaltung dieser Klaviereinleitung) werden subtil und ohne den „Versatz“ zwischen linker und rechter Hand zur Geltung gebracht. Auch so wirkt die erreichte Gestaltung einnehmend und wenn man so will hoch romantisch und mit Tiefgang. Das Englischhornsolo ist klanglich, dynamisch und artikulatorisch sehr gut gelungen, Frau Kosuge umspielt es ausgezeichnet differenziert.  Fein abgeschmeckt sozusagen. Das Orchester klingt wohl und schlank, spielt sehr partiturgenau und steht der Solistin auch in Sachen Differenzierung in nichts nach. Gutes Presto!

Der Klang besticht durch seine Dreidimensionalität, einem guten Panoramablick über das ganze Orchester oder besser durch das ganze Orchester. Er ist offen, voll und deutlich. Vor allem in der Breite zeigt sich eine ausgezeichnete Transparenz. Die Gran Cassa klingt mächtig. Der Bassbereich wurde nicht vergessen.

 

4-5

Alicia de Larrocha

Lawrence Foster

London Philharmonic Orchestra

Decca

1972

8:31 10:04 4:04 22:39

 

Alicia de Larrocha hat das Konzert mindestens zwei Mal eingespielt. Ihre Londoner Einspielung von 1972 übertrifft die spätere aus Saint Louis in fast jeder Beziehung.

Ganz anders als etwa Marguerite Long und Ravel selbst, geht die Spanierin das Konzert aus der Ruhe heraus an. Ihr voluminöser und warm getönter Klavierklang und das Orchester mit dem reichen Glanz und den vollen Farben korrespondieren sehr gut miteinander. Die Kadenz wirkt butterweich hingelegt zugleich aber auch natürlich und unaffektiert.  Man spannt fast den ganzen ersten Satz unter einen Spannungsbogen. Ansprechende Finalwirkung. Klangliche Härten und Grellheiten werden vermieden. Eine Einspielung für Genießer.

Das Tempo wäre angesichts der Metronomzahl zu langsam. Der warme, stark abschattierte Klavierklang überzeugt hingegen im langsamen Satz ganz besonders. Fließend und fast unnachahmlich zart nimmt Alicia de Larrocha das p und das pp ganz genau. Der Nocturne-Charakter wird vortrefflich getroffen. Zumal das Spiel durch die entspannte und liebevolle Diktion große Ruhe ausstrahlt. Das Orchester mag da nicht widersprechen und gliedert sich bestens ein. Es träumt sozusagen mit. Gleißendes Licht wird ebenfalls vermieden (z.B. Soli von Flöte und Klarinette), Claire obscure herrscht vor. Es wird aus großem Können und Wissen geschöpft.

Ohne großstädtischen „Megastress“ und mit locker gestimmter, geschmeidiger Virtuosität und sehr ausdrucksvollen Soli zeiht der dritte Satz viel zu schnell vorüber. Das Orchester ist in bester Spiellaune. Die Gran Cassa darf das Stück in dieser Version mit einem besonderen Schlusspunkt beenden.

Weich, gerundet, eben geschmeidig analog und sehr farbig wirkt der Klang der Aufnahme. Der groß wirkende Raum bringt etwas viel Hall mit. Die Staffelung überzeugt, vor allem die Tiefe wird gut ausgeleuchtet. Vielleicht ist der Decca-Klang dieses Mal nicht so präsent wie bei den besten Einspielungen aus diesem Haus (die Katchen-Einspielung gehört hinzu). Die Transparenz erreicht nicht ganz das Niveau der besten Digital- oder gar High-Res-Aufnahmen. Obwohl die Gran Cassa gar nicht einmal so dynamisch ausfällt, verursacht sie Beben. Dem zweiten Satz ist der Aufnahme ein ganz zartes Rauschen eigen.

 

4-5

Samson Francois

André Cluytens

Orchestre des Concerts du Conservatoire de Paris

EMI

1960

7:38  8:34  3:49  20:01

 

Es hat zumindest teilweise den Anschein, als träten Samson Francois und André Cluytens in die Fußstapfen von Marguerite Long und Freitas-Branco. Zumindest die Tempi sind ähnlich rasant. Francois artikuliert kurz und knapp, lakonisch bis skurril und mit viel Sinn für die Dynamik. Die Phrasierung und die Farbigkeit des Klavierparts sind überzeugend. Das Holz ist bedauerlicher Weise sehr leise abgemischt, sodass das Klavier immer als die Hauptsache wahrgenommen wird. Ab Zf. 29 Tempo primo wird das Spiel nachhaltig fetzig, Francois betont die tiefen Töne mit gehörigem Druck, sodass sich durch ihre gedankliche Aneinanderreihung sinnfällig noch eine Melodie ergibt. Andere erkennen sie nicht. Auch bei den Schlussakkorden haut Francois kräftig in die Tasten, sodass sie vielleicht auch wegen der prominenten Abmischung des Flügels immer herauszuhören sind, während sie in anderen Einspielungen vom Orchester überlagert werden. Im Orchester ergibt sich eher ein Mischklang, was nicht zuletzt von den distanzierten Bläsern herrührt. Außerdem hat man den Eindruck, dass Francois das Orchester ein wenig im Schlepptau hat. Er scheint zu führen, Cluytens und das Orchester scheinen ein wenig hinterher zu hecheln.

Ähnlich Arturo Benedetti-Michelangelo, jedoch nicht ganz so nuancenreich und fein artikuliert, lässt auch Monsieur Francois die linke und rechte Hand deutlichst unterscheidbar erklingen. So entgeht er einer allzu glatten Darbietung schon quasi a priori. Hinzu kommt dann noch die richtige und reichhaltige Dynamik und so entfaltet der Satz wie mühelos seine träumerische, sinnliche Wirkung. Die Holzbläser bleiben Geschmacksache, was vor allem auch das Englischhorn miteinschließt. Sehr dünn, schnarrend und schalmaiend vermasselt es trotz der weit nach hinten gerückten Position für uns die Stimmung. Dabei käme es durch die für die Holzbläser zu leisen Abmischung und gefühlten zu weiten Entfernung nicht zu seiner von Ravel vorgesehenen prominenten Wirkung.

Im dritten Satz entschädigt dann das hellwache und brillant zugespitzte Klavierspiel fast wieder für das (nur für heutige Ohren) kleine Malheur im Adagio assai. Auch das Orchester spielt durchaus pointiert. Er wird zum besten Satz der Einspielung, da hier auch das Orchester sehr gut auftritt und seine klanglichen bzw. die Nachteile der aufnahmetechnischen Disposition kaum ins Gewicht fallen. Die Tempi wirken nicht immer ganz gleichmäßig, auch dieses Mal hat man den Eindruck, dass sich Pianist und Dirigent beim Zepter-Schwingen abwechseln. So ließe es sich am besten erklären, dass das Orchester bisweilen Mühe hat, wem auch immer, zu folgen. Insgesamt gesehen hat diese Einspielung viel eigenes Profil, einen gewissen eigenen charmanten Charakter, den man bei keiner der so reichhaltig im Angebot zu findenden, untereinander teilweise so ähnlichen Einspielungen zu finden ist.

Der Klang wirkt weiträumig. Er wäre transparent zu nennen, wenn vor allem das Holz in Teilen auch das Blech nicht so weit zurückgesetzt wäre. Das Klavier besticht durch seine Präsenz, erscheint aber in der Relation zum Orchester eben zu weit nach vorne gezogen. Die Gran Cassa wirkt weich und ein wenig mulmig. Auch da merkt man der Einspielung ihr Alter ein wenig an. Musikalisch hingegen dürfte sie zeitlos sein.

 

4-5

Hüseyin Sermet

Emmanuel Krivine

Orchestre National de Lille

Naive

2012

8:28  8:54  3:52  21:14

 

Das Spiel des türkischen Pianisten besticht durch flüssige Legati, kurze und prägnant angeschlagene Staccati und vor allem gelingt ihm eine prägnante Imagination des spanischen oder baskischen Idioms, das in der Tonsprache Ravels generell und im Klavierkonzert ebenfalls einen prominenten Platz einnimmt. Man kann die Gitarren fast vor sich sehen, oder die Gitarrenklänge hören. Die Technik des Pianisten wirkt auf uns durch seine „impulsive Geschmeidigkeit“ glänzend. Das Orchester macht einen hervorragend vorbereiteten Eindruck, spielt sehr aufmerksam, ebenfalls geschmeidig und prägnant. Allerlei Akzente lassen aufhorchen. Die Kadenz spielt Herr Sermet mit viel Ruhe und Brillanz. Der Vortrag wirkt wie aus einem Guss, das Stück scheint dem Pianisten ganz besonders gut zu liegen. Manch anderer Vortrag mag jedoch spontaner wirken.

Die zarte, verbindliche Spielweise in Verbindung mit dem glücklich gewählten Tempo und der stark abgedämpften linken Handnimmt der Klaviereinleitung die Naivität, die sie bei vielen Kollegen und Kolleginnen erhält, die zu wenig in sie investieren. Das liedhafte wird so mehr betont als der Walzercharakter. Der Anschlag perlt nicht ganz so brillant wie bei den Besten. Im weiteren Verlauf setzt sich die Walzerbegleitung etwas mehr durch. Herr Sermet spielt beide Hände homogen zusammen, sodass sie miteinander klanglich sehr weit verschmelzen. Das Zusammenspiel mit dem Orchester gelingt dem Pianisten, der sich auch uneigennützig ganz zurücknehmen kann, sehr gut. Auch die Partiturtreue überzeugt. Es gelingt eine sehr schöne Harmonie im großen Englischhorn/Klavier-Duo. Erstes klingt weich und voll, zweites sanft und hervorragend anpassungsfähig. Eine traumhafte Wirkung stellt sich dann wohl zwangsläufig ein.

Der dritte Satz knüpft an den ersten an.  Ausgelassen, virtuos und sehr farbig ist dies eine Produktion, die keine der einkomponierten Stile bevorzugt, aber doch allen gerecht wird.

Der Klang wirkt natürlich, transparent, brillant, körperhaft und dynamisch. Man hat die Balance gut getroffen zwischen Weiträumigkeit und Präsenz.

 

4-5

Martha Argerich

Claudio Abbado

London Symphony Orchestra

DG

1984

8:38  9:28  3:50  21:56

 

Ein Vorteil gegenüber der älteren Berliner Einspielung Martha Argerichs ist die präsentere und lautere Trompete. Rhythmisch wirkt ihr Spiel weniger prägnant und klanglich ist sie weniger umrissscharf sogar wie in der Einspielung Longs, Bernsteins oder bei den Berlinern unter Abbado. Argerichs Tempi wirken nicht mehr so konzise und frisch wie 1967, eine gewisse Nachdenklichkeit hält Einzug. Diese Nachgiebigkeit wirkt in den lyrischen Partien im ersten Satz verträumter. Der Eindruck verstärkt sich, da der Klavierklang etwas weniger straff wirkt und die Agogik angestrengter bzw. weniger natürlich oder organisch scheint. Das Orchester klingt wie bereits die Berliner 17 Jahre zuvor erneut enorm klar und präzise, das macht Abbado so schnell niemand nach. Die schnellen Partien bekommen von Frau Argerich erneut ihr typisches Feuer mit, das im Übrigen alle ihre Aufnahmen des Konzertes, die uns bekannt sind, auszeichnet. Vielleicht nicht ganz so traumhaft sicher wie 1967. Die Harfenkadenz klingt in London fantastisch. Die Klavierkadenz lässt die Trillerkaskaden nun noch glöckchenähnlicher klingen, noch sauberer und gleichmäßiger. Vielleicht nun bewusster an die fernöstliche Musik erinnernd. Ab Zf. 29 Tempo primo klingt nun nicht mehr ganz so glänzend und feurig, jugendlich befreit und unbeschwert frisch wie ´67. Das Orchester klingt enorm tiefenscharf und klar, auch in den Klangballungen, wo andere Klangbilder bereits anfangen dicht zu werden. Einfach super. Die Stretta gelingt absolut feurig.

Der zweite Satz beginnt noch ein wenig deutlicher, oder besser nachdrücklicher nuanciert. Der p-Klang des Klavieres kann man nur als wunderschön bezeichnen, mit etwas mehr Volumen als noch in der älteren DG-Aufnahme.  Die Feinabstimmung bei den Holbläsern gelingt nicht ganz so traumhaft sicher wie bei den Berlinern. Da spielt die Flöte bei Zf. 1 viel lauter als das vorgesehene p und auch lauter als das p von Oboe und Klarinette. Die Violinen klingen nicht ganz so frei wie die der Berliner Philharmoniker, die Digitaltechnik hatte gerade bei dieser Instrumenten Gruppe noch viel Anfangsschwierigkeiten, einen natürlichen Klang zu reproduzieren. Das Englischhorn-Solo wird hervorragend gespielt und seine Dynamik variiert vorbildhaft. Das Klavier stimmt sich erneut hervorragend mit ihm ab, wie bereits in Berlin. Dies dürfte die einzige Einspielung sein, wo man behaupten darf, dass das Klavier sich phasenweise sogar etwas zu weit zurücknimmt. Jedenfalls hat das Englischhorn selten eine so geniale, rücksichtsvolle Pianistin als Partnerin. Der zweite Satz klingt auch in diesem Remake von Argerich und Abbado wie ein reines, Lied ohne Worte, allerdings mit viel Dialog.

Bravour an allen Pulten, auch auf dem Klavierschemel. Mit genau passender Härte und ausgelassenem Schwung. Da passt fast alles. Denn nur das Harfensolo gibt sich nicht richtig zu erkennen. Ungewöhnlich für den hellsichtigen Dirigenten.

Etwas halliger, mehr in die Tiefe reichender Raum und sehr gut ausgeleuchteter Raum. Supertransparent gestaffelt und dynamisch weiter gespreizt als ´67 in Berlin. Schlanker und sinnlicher Gesamtklang, der dem der Berliner Aufnahme trotz der spröderen Violinen leicht vorzuziehen ist.

 

4-5

Myung Whun Chung

auch Dirigent in Personalunion

Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken

Konzertübertragung des SR, unveröffentlicht

1989, Live

8:43  8:45  3:55  21:23

 

Der junge koreanische Musiker war vor seiner Dirigentenlaufbahn bereits als Pianist tätig und trat mit seinen beiden Schwestern auch im Klaviertrio auf. Er gewann 1974 den zweiten Preis beim Moskauer Tschaikowsky-Klavierwettbewerb. Das war das Jahr, als Andrei Gawrilow (auch Andrey Gavrilov geschrieben) den ersten Preis bekam. Er ist mit Leonard Bernstein und Andrew Litton der einzige Dirigent in diesem Vergleich, der das Konzert von Ravel auch als Pianist gab. Wir vermissen somit eine Einspielung des Alleskönners Daniel Barenboim. In Saarbrücken hatte Herr Chung seine erste Stelle als Chefdirigent und die geniale, feuerköpfige und blitzgescheite Art Musik in Bewegung auszudrücken, brachten ihm große Anerkennung bei Orchester und Publikum ein.

Sein Klavierspiel hört sich nicht so an, als würde ein Dirigent Klavier spielen. Sein Anschlag ist impulsiv und kernig, also keinesfalls verwaschen und weichlich wie bei anderen dirigierenden Pianisten oder klavierspielenden Dirigenten. Der Flügel kommt in Saarbrücken präsent zum Zuge, steht im Zentrum nicht nur des Klangbildes und der Klavierpart wird prägnant herausgearbeitet. Was da noch mehr möglich gewesen wäre, wenn jemand anderes dirigiert hätte, bleibt Spekulation. Jedenfalls werden im Orchesterpart keinerlei Halbheiten offenbar. Man meint sogar, dass das Orchester fast über sich hinauswächst, was es für diesen Dirigenten häufiger gemacht hat. Da wirkt nichts beiläufig, die Soli der Bläser kommen punktgenau und ungemein ausdrucksvoll. Hervorragend auch die erstklassige Trompete. Die Aufführung lässt an Präzision nichts zu wünschen übrig. Hochkonzentriert, spannend und mit ungezähmter Verve hören wir den ersten Satz. Die Harfenkadenz kommt besonders deutlich zum Zuge, sie wird zudem überraschend groß abgebildet. In der transparent gehaltenen Klavierkadenz werden alle drei Schichten sehr gut herausgearbeitet.

Das Adagio assai des langsamen Satzes wird zügig und unverzärtelt interpretiert, sodass der romantisch-sehnsuchtsvolle Ton zunächst gemäßigt bleibt. Stattdessen arbeitet Herr Chung das Tänzerische stärker heraus als üblich. Eigentlich haben wir ja auch tatsächlich einen langsam „zu tanzenden“ Walzer vor uns. Er nähert sich der Darbietung von Marguerite Long ziemlich weit an und vermeidet Monotonie, vom zügigen Tempo einmal abgesehen, durch einen hohen Differenzierungsgrad der Dynamik. Das Holz klingt etwas lauter als Ravel es mit seinen Angaben im Notentext wünscht. Das wird durch die ausgezeichnete Ortbarkeit des Instrumentariums noch gefördert. Der zweite Satz wurde von der Technik nämlich (rundfunktypisch) hörbar in der Lautstärke angehoben, was auch die Präsenz des Orchesters deutlich erhöht. Das gilt auch für das Klavier, sodass die Relationen unter den Instrumenten unverändert bleiben. Das Duo mit dem klanglich ausgezeichneten Englischhorn gelingt vorzüglich, der Pianist erweist sich wie sein Partner als sehr anpassungsfähig. Diese Passage darf als besonders gelungen gelten. Besser geht es kaum. Auch das Zusammenspiel mit dem Rest des Orchesters darf als inspiriert gelten.

Der dritte Satz wirkt sehr impulsiv und angesichts der Aufgabenteilung sehr präzise. Die Steigerung gelingt super. Ab Zf. 14 wird besonders ausgelassen und mitreißend musiziert.

Das Instrumentarium ist hervorragend ortbar und sehr präsent. Der Klang ist dynamisch und farbig, die Staffelung gut. Der Klang wirkt voller und praller als vom Rundfunk gewohnt. Die Gran Cassa klingt ziemlich satt. Auch das Technik-Team des SR hatte wohl einen besonders guten Tag.

 

4-5

Leonard Bernstein

auch Dirigent in Personalunion

Philharmonia Orchestra London

RCA, Intense media, History

1946

7:40  9:11  3:35  20:26

 

MONO  Leonard Bernstein war gerade einmal 28 Jahre alt, als er die Möglichkeit bekam, das Konzert mit dem gerade erst ein Jahr zuvor gegründeten Londoner Orchester einzuspielen. Man darf annehmen, dass er, der immer gut Informierte, die Aufnahme Marguerite Long kannte. Ähnlichkeiten sind vorhanden. Bernstein betont die Jazz-Einflüsse in besonderer Weise. Er prononciert den Rhythmus präzise, vermag es aber, seine Spielweise wie gerade frisch erfunden wirken zu lassen. Das Orchester, gerade erst aus den, nach Meinung seines Gründers Walter Legge, besten Musikern Großbritanniens zusammengezogen, befindet sich tatsächlich bereits in einem Top-Zustand. Es spielt wie elektrisiert und für die damaligen Verhältnisse außerordentlich präzise. Bernstein überspielt trotz des wahrscheinlich in ihm lodernden jugendlichen Feuers die lyrischen Partien nicht, lässt diese jedoch mit den „elektrifizierten“ Passagen kontrastierend aufeinanderprallen. Die Harfenkadenz klingt für das AD erstaunlich plastisch. Die Oboe spielt während des großen Hornsolos die schnellen Oktavierungen (die Probespielstelle) als eine der wenigen nicht ganz sauber (4 T. nach Zf. 25). Die Triller der Klavierkadenz gelangen Bernstein auch schon damals nicht ganz mit der Brillanz der besten Pianisten, die sich auf ihr Instrument beschränken (allen voran Zimerman). Insgesamt gelingt ihm eine sehr vitale Deutung, auch pianistisch voll auf der Höhe der besten der Zunft. Die aufgeheizte, fast schon ekstatisch anmutende Stretta macht ihm so schnell keiner nach.

Bernstein spielt die Klaviereinleitung des langsamen Satzes mit relativ viel Rubato, darin über das historische Vorbild Marguerite Long hinausgehend. Die tiefen Streicher könnten transparenter durchkommen. Die Höhepunkte werden exakt herausgearbeitet. Das Englischhornsolo gelingt noch nicht ganz ohne den Luftstrom an ungünstiger Stelle abbrechen zu lassen, also atemtechnisch ausbaufähig, aber das Bemühen nach Kräften abzuschattieren ist unüberhörbar.

Im dritten Satz behält der junge Bernstein alle Fäden in der Hand, lässt den Bläsersoli generös und werkdienlich den Vortritt, die ihre Freiheiten weidlich ausnutzen. Anscheinend war der Jazz auch im London der vierziger Jahre beim damals noch jungen und noch gar nicht so „ehrwürdigen“ Philharmonia keine Fremdsprache mehr. Trotz des hanebüchen aufgedrehten Tempos ist viel „Swing“ im Musizieren. Erhitzt und präzise, straff und strukturiert. Da wurde auch sehr sorgfältig geprobt. Macht aber auch musikalisch richtig an.

Die Intense Media Version (spottbillig als dicke Sammlung verschiedener Bernstein- Einspielungen der frühen Bernstein-Aufnahmetätigkeit) klingt von den drei vorhandenen am Räumlichsten. Auch die Transparenz ist am besten. Bei der originalen RCA-Version hört man noch Plattenknistern mit. Klangliche Wunderdinge darf man nicht erwarten. Dazu wähle man die 12 Jahre jüngere CBS-Studio-Einspielung.

 

4-5

Francois-Joel Thiollier

Antoni Wit

Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks Kattowitz

Naxos

1993

8:02  8:21  3:56  20:19

 

Wir hören ein klares, präzises Spiel vom Pianisten und vom Orchester. Leicht, luftig, grazil. Also zum Ravelschen Idiom durchaus passend. Insgesamt fällt die Ausstrahlung jedoch etwas zu kühl aus, um wirklich mitzureißen. Es fehlt die fetzige Dynamik und die Klangfarben erreichen nur ein etwas blasses Pastell. Der Pianist mit seiner lupenreinen Technik überzeugt auf seine Art und auch das Orchester klingt „französisch“ und wirkt „weltstädtisch“, wenn wir einmal etwas ausgetretene Etiketten verwenden dürfen.

Monsieur Thiollier ist kein Freund der Vereinzelung der Stimmen von rechter und linker Hand. Unverzärtelt und zügig, lässt er kaum romantisch-zarte Melancholie aufkommen. Der Umgang mit der Musik wirkt trotz des differenzierten Klavierspiels sachlich geprägt. Die Wirkung ist so ein wenig eindimensional und geht nicht so sehr in die Gefühlstiefe hinab. Da war vielleicht die Sorge zu groß es könne zu kitschig werden. Der Perfektionsgrad sowohl des Pianisten und Orchesters ist hoch und auch das Engagement weiß zu überzeugen. Trotzdem ist die Gesamtwirkung musikalisch und im Ausdruck ernst und kühl. Klanglich jedoch zart und duftig.

Die leichte Distanz des Klangkörpers durch die Aufnahmedisposition macht den Spielwitz des Orchesters nicht unmittelbar erfahrbar. Thiollier ist ein Klavierspieler von hohen Gnaden, virtuos und schlank aber ohne die ff-Pranke eines Katchen, Zimerman oder Barto.

Der Klang der Aufnahme ist für dieses Label sehr gut gelungen, auch hier macht sich die Meisterschaft Ravel in Sachen Instrumentation und Luzidität des Tonsatzes vorteilhaft bemerkbar. Er wirkt räumlich, weit und bietet eine sehr gute Übersicht (auch Fernsicht) über das Halbrund des Orchesters. Die Instrumente werden scharf abgebildet. Die Tiefenstaffelung ist gut ausgeprägt. Präsenz stand auf der To-do-Liste der Techniker nicht an erster Stelle. Insgesamt ist der Klang ausgewogen, klangfarblich jedoch, wie bereits erwähnt, kühl, aber nicht blass, wie sonst oft bei dem Label gehört. Eine gute Alternative im Low-Budget-Segment.

 

4-5

Martha Argerich

Charles Dutoit

Staatskapelle Dresden

Konzert-Übertragung des MDR, unveröffentlicht

2009, Live

8:16  9:42  3:53  20:51

 

Im Folgenden fassen wir nun einige Aufnahmen von Martha Argerich zusammen, die das Konzert wahrschein auf der ganzen Welt immer wieder vorgestellt hat. Das Niveau ist immer extrem hoch, die Aufnahmen klingen dennoch immer ein wenig unterschiedlich.

In Dresden, wo die Pianistin bisher nur sehr selten aufgetreten ist, fällt der besonders schöne Streicherklang der Staatskapelle sofort ins Ohr. Die Kapelle hinterlässt aber auch als Ganzes einen absolut CD-würdigen Eindruck, obwohl die Musik Ravels nicht unbedingt so zu ihrer DNA gehören dürfte, wie Strauss oder Wagner. In der Kadenz fallen wieder die besonders gleichmäßigen, leuchtenden Trillerkaskaden auf. Bei Zf. 29 (Tempo primo) werden die ersten vier Takte, die pp zu spielen wären, wieder mit einem griffigen f überspielt. Das machen fast alle so. Schwungvolles Finale.

Den zweiten Satz nimmt die Pianistin nun deutlich langsamer als noch mit Abbado. Das Tempo dürfte auf ihren dirigierenden Ex-Ehemann zurückgehen, der das langsamere Tempo auch in seinen beiden anderen Einspielungen bevorzugt bzw. durchsetzt. Martha Argerich setzt es mit viel Pedaleinsatz und einem sehr schönen Legato jedoch überzeugend um, selbst wenn es nicht ihrer Überzeugung entsprochen haben mag. In der Mitte der Einleitung wird sie etwas schneller, nur um etwas später zum vorherigen Tempo zurückzukommen. Auch diese kleine Dramatisierung kann der Wirkung nicht ernsthaft etwas anhaben. Von Monotonie kann bei Martha Argerich in keiner ihren Einspielungen auch nur ansatzweise die Rede sein. Die Holzbläsersoli sind bestechend rund und klangvoll ausgeführt (Es-Klarinette, Flöte, Oboe, Fagott). Das Englischhornsolo klingt in Dresden ebenfalls fantastisch, noch verträumter und klangvoller als beim WDR oder den beiden Schweizer Einspielungen aus Lugano.

Auch mit 68 Jahren zaubert die Pianistin erneut eine herausragend brillante Darbietung vom dritten Satz in die Semperoper. Fast unglaublich. Auch in diesem Jahr (2022), nun in ihrem 82sten Lebensjahr stehend, hat sie das Ravel-Konzert wieder in ihren Konzertprogrammen vorgesehen.

Live -Konzerte aus Leipzig oder Dresden werden vom MDR in 5.1 Technik übertragen. Der farbige Klang wirkt entsprechend großformatig und dieses Mal leicht hallig. Das Klavier wirkt ein wenig entfernt. Das Orchester klingt auch nicht besonders präsent aber plastisch. Gegenüber den meisten CDs wirkt der Klang nicht ganz so transparent, aber die Klarheit des Klangs bleibt beim ff immer noch genauso erhalten wie im p. Ein großer Vorteil. Die Dynamik ist sehr gut. Die Gran Cassa klingt dick und fett. Das ließe sich über den separaten Basskanal jedoch individuell anpassen. Genauso wie sich auch der Klavierklang lauter und leiser gegenüber dem Restorchester (Balance!) einstellen ließe. Das fünfkanalige Layout macht es möglich. Von der Möglichkeit machen wir jedoch bei den Vergleichen keinen Gebrauch, weil sich damit die Unterschiede zwischen den einzelnen Aufnahmen verwischen würden. Man sollte es jedoch im Hinterkopf haben, dass man als Hörer, wenn auch ganz begrenzt, Tontechniker spielen kann.

 

4-5

Jean-Yves Thibaudet

Marek Janowski

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzertübertragung des RBB, unveröffentlicht

2014, Live

7:49  8:27  3:50  20:06

 

Marek Janowski legt in dieser Darbietung aus dem Konzerthaus Berlin ein spurtstarkes, absolut geradliniges Tempo vor, dem das Orchester plastisch und gut akzentuiert folgen kann. Es bringt einen vollen, schattierungsreichen Klang mit, sodass es diesbezüglich durchaus mit dem SO des BR mithalten kann. Das Hornsolo (ohne Wackler) gelingt schön leise, die Umspielungen der Holzbläser passen sehr gut dazu. Allerdings wirkt es in Verbindung mit dem Dirigat ihres Chefs weniger nuancenreich und flexibel als das Münchner Orchester, dem Gelegenheit gegeben wird mehr Individualität mit einzubringen. Jean-Yves Thibaudet selbst spielt enorm sicher aber auch frisch, als würde man ihm der reiche Erfahrungsschatz der Jahrzehnte mit dem Konzert ein Leichtes. Im Tempo nähert es sich weitestgehend bereits in Berlin den Münchner Tempi an. An seiner Auffassung vom Werk gibt es im Wesentlichen nicht mehr viel zu rütteln, was nicht bedeutet, dass da nicht auch noch Platz für Spontaeität bleiben würde.

Das flotte Tempo im Adagio assai (ohne Dutoit) lässt bei ihm noch eine stark differenzierte Dynamik und ein nuancenreiche Phrasierung zu. Nie sentimental. Achtsam und zurückhaltend verhalten sich auch die Holzbläser, keines bricht zu einem Ego-Trip aus. Das Duo von Englischhorn und Klavier klingt zauberhaft. Klanglich ist das Englischhorn „allererste Sahne“, sehr nuanciert und ausdrucksvoll. Lediglich im f fehlt ihm der letzte Schub.

Im Presto klingt die Gran Cassa absolut auffallend. Einfach superb. Der Satz wirkt ausgesprochen vital und sehr beweglich. Mitreißend. Insgesamt gefiel uns sowohl die Realisierung des Klavierparts, als auch das auffallend flexiblere Orchesterspiel unter Harding jedoch noch besser.

Auch klanglich hat die Aufnahme aus dem Gasteig die Nase vorn. Das liegt auch am 5.1 Sound des BR, dem der RBB nur einen Stereo-Klang dagegenhält. Das Klavier in Berlin klingt deutlich halliger als in München, aber auch als das RSB in demselben Raum. Der Bassbereich ist dagegen sehr profund mit einer enorm wuchtigen Gran Cassa als glanzvollem Höhepunkt. Die Violinen stehen auffallend hinter dem viel präsenteren Klavier zurück. Der Klang des BR ist insgesamt deutlich differenzierter und räumlich besser organisiert. Auch daher gibt es für die BR-Aufnahme eine 5. Aber auch musikalisch hat der Münchner Mitschnitt die Nase vorn.

 

4-5

Martha Argerich

Jacek Kaspszyk

Orchestra della Svizzera Italiana, Lugano

Warner

2011, Live

8:18  8:54  3:45  21:07

 

Gegenüber den Einspielungen aus Berlin, London oder Dresden wirkt das Orchester nicht ganz so flink und behände, auch die Soli geraten nicht ganz so ausdrucksvoll wie in Berlin, London oder Dresden. Groß sind die Unterschiede jedoch nicht. Bei der Pianistin klingen die Trillerkaskaden in Lugano nicht so gleichmäßig wie noch in London oder Dresden. Bei Zf. 29 Tempo primo wird Argerichs p zu einem „vulkanesken“ Gefühlsausbruch im ff. Sollte sie jemand oder etwas wütend gemacht haben? Fünf Jahre später, nun mit Herrn Vedernikov an ihrer Seite spielt sie die gleiche Stelle viel zahmer und notengetreuer.

Auch die Klavier-Solo-Einleitung nimmt sie nun flotter und lauter als zuvor, in der Folge auch weniger besinnlich. Das Espressivo der gewünschten Spielweise wird beachtet, aber auch vergrößert. Fast jede Melancholie fällt so weg, die Wirkung bleibt etwas oberflächlicher. So bietet die Pianistin in diesem Satz fast kein p-Spiel mehr an. Man könnte nun annehmen, die Tontechniker hätten die Lautstärke für eine Rundfunkübertragung nivelliert, im weiteren Verlauf fällt dann allerdings auf, dass die lauteren Passagen nun entsprechend sehr laut werden. In der Relation stimmt es dann zumindest wieder. Das Englischhorn (auch in Lugano weiß man es kantabel und klangschön zu blasen) umspielt Frau Argerich erneut sehr geschmeidig und zurückhaltend, um dem Blasinstrument galant den Vortritt zu lassen. Das macht sie übrigens in allen Einspielungen so und man hat den Eindruck, dass ihr diese Passage beim Spielen besonders viel Freude macht. Sehr gute Holzbläser, gut klingende Streicher.

Im dritten Satz erneut schön treibendes Tempo. Das Orchester erreicht, wie so oft, wenn live aufgenommen wird, nicht die höchste Präzision, auch die Pianistin verliert etwas an Präzision gegenüber Berlin und London. Das merkt man beim direkten Vergleich. Der letzte Satz bleibt jedoch immer noch feurig und bewegend, dass muss betont werden, dass kein falscher Eindruck entsteht.

Der Klang der Aufnahme erscheint sehr präsent und transparent. Der Raum wirkt kleiner als in Berlin, London und Dresden. Vielleicht auch ein Grund, weshalb die Transparenz in lauteren Passagen merklich zurückgeht. Der Klang ist sehr plastisch bei den solistischen Darbietungen. Die Aufnahme klingt bassstark.

 

4-5

Martha Argerich

Alexander Vedernikov

Orchestra della Svizzera Italiana, Lugano

Warner

2016, Live

8:20  8:50  3:50  21:00

 

Martha Argerich geht auch 2016 unglaublich behände und absolut souverän mit ihrem Klavierpart um. Allenfalls wirkt ihr Anschlag nicht mehr ganz so spritzig wie zu früheren Zeiten. Er ist aber immer noch ausgewogen und brillant. Ihre Kadenz zeigt immer noch eine ausgezeichnete Äquilibristik zwischen Trillerkette, Melodie und Umspielung bei hervorragender Durchhörbarkeit.  Bei Zf. 29 beginnt sie nun wieder leise, fast vorbildlich leise und stürmt nicht los wie ein wilder Tiger. Das spannt den Bogen nur umso besser.

Auch den zweiten Satz spielt sie nun wieder inniger mit einem bestens abschattierten Klang. Sie separiert die Stimmen der rechten und der linken Hand ganz deutlich voneinander. Ein Zusammenklang wird so fast gänzlich vermieden.  Erneut erklingt ein sehr schönes Duo mit dem Englischhorn, in vollkommener Harmonie sozusagen.

Unglaublich beherzter Vortrag einer 75jährigen. Zurecht tobender Beifall.

Der Klang ist, wenig überraschend, dem von 2011 an gleicher Stelle ziemlich ähnlich. Dynamisch, transparent und ein wenig weiträumiger, jedoch immer noch dichter als in Berlin und vor allem bei der luftigen Londoner Einspielung.

 

4-5

Martha Argerich

Gary Bertini

WDR Sinfonieorchester Köln

Capriccio

1985

8:14  9:22  3:56  21:56

 

In dieser Einspielung klingt das Orchester nicht so scharf konturiert als in den beiden Einspielungen unter Abbado. Solange es keine Klangmassierungen gibt, und die gibt es in dem luziden Werk ziemlich selten, wirkt auch diese Einspielung feinsinnig. Der Triangel-Einsatz ist in Köln gar nicht hörbar. Der Klang wirkt sowieso mehr auf das Klavier ausgerichtet, damals war Frau Argerich längst ein großer Star im Konzertbetrieb und man war natürlich beim Sender besonders an ihrem Klavierspiel interessiert und weniger am heimischen Orchester, dem man ja immer lauschen kann. Die Kadenz spielt die Pianistin in Köln mehr nach der Berliner Art, weniger nach der Londoner, also mit unruhigeren, lebendigeren Triller-Kaskaden.  Bei Zf. 29 spielt sie gleich mit recht hoher Lautstärke.

Den zweiten Satz spielt die Pianistin nicht ganz mit der inneren Ruhe und Klarheit wie in London ein Jahr zuvor. Ansonsten sind die Unterschiede eher marginal. Besonders gelungen erneut das Duo mit dem Englischhorn.

Den dritten Satz spielen die WDR-Symphoniker fülliger und weniger straff, also weniger knackig als BP und LSO, aber auch das Orchester aus Lugano. Die Gran Cassa lassen die Kölner allerdings mächtig donnern. Es folgt noch eine weitere Einspielung der Pianistin mit Ernest Bour und dem SO des damaligen SWF, Baden Baden aus dem Jahr 1960, die in erster Linie aus klangtechnischen Gründen zurückstehen muss.

 

4-5

Inon Barnatan

Alan Gilbert

New York Philharmonic Orchestra

Eigenlabel des Orchesters

2015, Live

8:46  9:15  3:53  21:54

 

Der israelische Pianist spielt seinen Part eher schlank als kraftvoll-auftrumpfend. Die Kraft und auch die Eleganz einer Argerich oder eines Zimerman bleibt unerreicht. Sonst ist das Ergebnis von hoher Präzision und Schönheit geprägt, was genauso auch für das Orchester gelten darf. Nur in der Kadenz sind die Trillerkaskaden nicht nur nicht ganz gleichmäßig, sondern sogar ganz kurz unterbrochen zu vernehmen.

Beim Legato-Spiel im zweiten Satz überzeugt der Pianist mit schön gewölbten Spannungsbögen, wobei er die linke Hand sozusagen sehr weit „herunterdimmt“. Wenn sie monoton und nur gleichbleibend laut und recht aufdringlich ihren Dienst tut (z.B. Collard) wirkt das nicht nur monoton, sondern auch profan. Bei Inon Barnatan atmet die Phrasierung sehr gut mit und gemeinsam mit einer beträchtlichen Spannung und echtem p-Spiel wird eine tiefe Versenkung erreicht. Die modernen Englischhörner klingen mittlerweile natürlich auch durch die gute Ausbildung ihrer Spieler:innen weltweit sehr gut, wie unser Verglich gezeigt hat. Das New Yorker klingt etwas kerniger und obertonreicher als das von „Les Siècles“ und wird ebenfalls sehr gefühlvoll geblasen. Teils mit reichlich Vibrato.

Der dritte Satz wirkt stilvoll und geschmeidig. Die jazzigen „Amerikanismen“ hätten gerade vom amerikanischen Orchester besser ausgereizt werden können.

Der Klang wirkt offen, sehr transparent und gut tiefengestaffelt, zudem farbstark, körperhaft und brillant. Sehr hörenswert.

 

4-5

Vlado Perlemuter

Jascha Horenstein

Orchestre de l´Association des Concerts Colonne, Paris

Hänssler, vormals Vox

1955

7:58  9:25  4:09  21:32

 

MONO  Der Pianist, 1904 im heute litauischen Kaunas geboren (damals russisch) zog mit seinen Eltern bereits 1907 nach Paris. Dort wurde er Schüler von Alfred Cortot, wo er auch Ravel kennenlernte und sich eine Freundschaft mit ihm entwickelte. Er studierte bereits 1924-27 das gesamte Klavierwerk Ravels ein. Seinerseits wurde Monsieur Perlemuter später Lehrer von z.B. Christian Zacharias. Er darf als Gewährsmann Ravels gelten. Im ersten Satz wird auch ein ähnliches Tempo angeschlagen wie sonst nur bei Ravels Adlatus Freitas-Branco. Auch den „Schuss“ Aggressivität, der dort im Gestus auffiel, findet man 23 Jahre später hier wieder. Perlemuter fühlt sich jedoch freier in seinem erzählenden Ton und riskiert etwas mehr Rubato als Marguerite Long. Er atmet etwas mehr mit der Musik mit. Er lässt in den vorantreibenden Abschnitten Clarté walten und bringt drängende Energie mit ein. Das Orchester agiert hingegen nicht mit der wünschenswerten Transparenz, was aber wohl eher an der Technik liegt. Gegen die vorgenannte Einspielung aus New York könnte der Unterschied diesbezüglich kaum größer sein. An Agilität und Impulsivität mangelt es hingegen nicht. In der Kadenz werden die Triller kaum herausgestellt.

Im zweiten Satz klingt das Klavier erheblich weicher als im ersten, aber auch als bei Marguerite Long. Auch mit mehr Gefühl. Das Holz klingt von weiter Ferne, das Englischhorn sehr hart und dünn auch mit Intonationsmängel, erinnert es an eine Schalmei. Die Violinen klingen hingegen vergleichsweise weich.

Der Klang der Aufnahme, bereits viel räumlicher und ausgewogener als bei Long und Freitas-Branco, wirkt noch immer belegt, zumal in der Hänssler-Ausgabe. Die Gran Cassa hat immerhin schon etwas Vehemenz und Tiefgang. Die zwei Jahre ältere Einspielung mit Blancard und Ansermet (1953) klingt übrigens wesentlich besser.

 

4-5

Joaquin Achúcarro

Gilbert Varga

Euskadiko Orchestra Sinfonikoa (Baskisches Nationalorchester, San Sebastian)

Claves

2001

8:57 10:13 4:03 23:13

 

Joaquin Achúcarro bringt die Elemente der baskischen Musik (Spielarten des Gitarrenspiels, Imitation der Klänge und leichter improvisatorischer Einschlag beim Spiel) besonders ohrenfällig mit ein. Hierbei ist es offensichtlich kein Klischee, das der Pianist selbst Baske ist. Bei Zf. 9 klingen die beiden Fagotte mit Vibrato, einer der wenigen Dirigenten, die diese Anweisung Ravels befolgen ist Gilbert Varga. Warum hört man es so selten? Das Klavierspiel ist insgesamt deutlich und klar, auch pointiert. Das Orchester steht ihm dabei kaum nach. Die Kadenz wartet mit einer zunächst seltsam wirkenden Eigenheit auf: außergewöhnlich gestaltete Trillerkaskaden, die zwischendurch geradezu poltern. Da wir keine spieltechnische Unzulänglichkeit des Pianisten vermuten, scheinen die Triller für den baskischen Pianisten weniger aus der fernöstlichen (Gamelan-Musik?) zu kommen, als vielmehr Teil der polternden Zugfahrt zu sein, oder vielleicht auch Stromschnellen eine Wasserfalls, den man aus dem Zugfenster heraus beobachten kann. Das ist allerdings spekulativ. Phantasie wäre gefragt oder man sollte den Pianisten einfach fragen.

Im Tempo fast so gedehnt wie bei Wolf Dieter Arens, entwickelt Achúcarro jedoch einen angenehmen Erzählton, der auf einem warmen Grundton aufbaut. Der ändert sich auch nicht, wenn später das Orchester hinzukommt.  Der Ton wirkt in ähnlicher Form bekannt, nämlich von Artur Rubinstein, der Vorbild für den Pianisten war oder vielmehr wahrscheinlich noch ist. Trotz des bedächtigen Tempos wird es für die Zuhörenden nie langweilig, wenngleich wir in manchen Passagen gerne mehr vom Orchester gehört hätten. Die Streicher, insbesondere die Violinen spielen nicht immer mit der gleichen Präsenz, das wechselt teilweise unmotiviert. Das bisweilen eine Kleinigkeit zu laute aber bezaubernd gespielte Englischhorn-Solo wird gekonnt umspielt. Auf den Glitzerton von Argerich oder Zimerman brauchen wir dabei jedoch nicht zu warten.

Im dritten Satz beginnt Achúcarro zu laut. Es wird eine Stimmung wie bei einem Volksfest verbreitet, bei dem der Pianist etwas schwerfällig aber mit viel Musikalität agiert. Nicht gerade feurig, aber doch mit viel Rhythmus und dringlich.

Der Klang der Aufnahme ist zumeist transparent, immer offen, dynamisch und vor allem das Orchester sehr präsent. Besonders gefällt auch die Wucht der Dynamikspitzen.

 

4-5

Bertrand Chamayou

Adris Poga

Stavanger Symphony Orchestra

Live-Mitschnitt des Norwegischen Rundfunks, gehört beim HR, unveröffentlicht

2022

8:02  8:55  3:54  20:51

 

Der französische Pianist macht einen guten Eindruck, leicht, brillant und mit Verve stellt es das Werk in Norwegen dem Publikum vor. Der hellhörige, aufmerksame und sorgfältige Dirigent begegnet uns nun zum zweiten Mal, dieses Mal dirigiert er das Orchester, anders als in Köln, als Chef. Das Orchester klingt mit einem schönen, offenen und erstaunlich brillanten Klang. Der Triangel-Einsatz kommt an der richtigen Stelle, aber auch zusätzlich schon zwei Takte zu früh. Das Vibrato für die beiden Fagotte unterbleibt. Der Pianist erreicht in der Kadenz ein ausgewogenes Verhältnis aller Stimmen, auch sie klingt brillant. Zf. 29 Tempo primo bringen die Mitwirkenden mit viel Temperament und Leidenschaft.

Das Gegeneinander des großen und kleinen Dreiertaks wird sehr gut deutlich gemacht, das Klavierspiel wirkt gut abschattiert, nicht ganz so fantasievoll wie bei Say oder nicht ganz so rund wie bei Piemontesi, um einmal bei ähnlich jungen Kollegen zu bleiben. Allzu biedere „Walzerseligkeit“ wird vermieden, der Stimmungsgehalt gut wiedergegeben. Das Englischhorn klingt in seinem großen Solo, das sich durch die differenzierte Umspielung des Klaviers zum Duo weitet, sehr angenehm warm, aber nicht besonders füllig. Chamayou zeigt sich etwas weniger anpassungsfähig als Argerich oder Say. Andris Poga passt sich seinen Solisten im Tempo geschmeidig an. Bei Kirill Gerstein war er ca. 50 Sekunden schneller.

Das Presto lassen die Musiker als leicht, locker mit frechem Holz sportlich und pointiert erklingen. Die Mitwirkenden haben sich sehr gut auf das Ravelsche Idiom eingestimmt. Vor allem, wer hätte den norwegischen Musikern so ein heißsporniges Musizieren zugetraut? Den warmen Orchesterklang nehmen wir nach Kenntnis von vielen anderen skandinavischen Orchestern fast schon als nordische Eigenheit hin.

Ausgewogen, brillant und transparent kommt der Klang dessen ungeachtet an den 5.1. Sound von Eigenproduktionen von WDR, MDR, HR oder BR (Thibaudet, nicht Uchida) nicht ganz heran.

 

4-5

Mitsuko Uchida

Colin Davis

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Live-Mitschnitt des BR

Ca. 1983 – 1992

8:12  9:35  3:53  21:40

 

Da es sich hier um einen älteren Mitschnitt handelt, wurde er höchstwahrscheinlich noch nicht mit 5.1-Technik aufgezeichnet. Die Sendung erfolgte jedenfalls in Stereo. Der Beginn kommt noch seltsam schlaff aus den Lautsprechern, was jedoch sehr schnell einer sehr guten dynamischen Entwicklung Platz macht. Der Klavierklang der japanischen Solistin wirkt sonor, farbig und klar, hervorragend phrasiert, sensibel und einfühlsam, aber auch durchaus temperamentvoll und kontrastreich. Ab Zf. 25 wird das Hornsolo über Gebühr durch das Horn selbst dominiert, die umspielenden Holzbläser sind nicht gut zu „verstehen“. Die Kadenz serviert die Pianistin herausragend konzise und souverän, bestechend klar und superhomogen im Klang. Bei Zf. 29 Tempo primo werden die tiefen Töne ordentlich betont. Die Schlussstretta klingt wenig exaltiert, mehr kontrolliert und auf klangliche Wucht ausgelegt.

Durch den warmen und weichen, sehr subtilen Anschlag Frau Uchidas wird die Klaviereinleitung zu einem besonderen klanglichen Genuss. Sentimentalität wird vermieden, man verweigert sich aber einem tiefsinnig-romantischen Ausdrucksgehalt keineswegs. Dynamisch spielt die Pianistin äußerst genau. Das Duo Englischhorn/Klavier überzeugt auf der ganzen Linie.

Wunderbar, fast in einem Bogen gesteigert folgt dann der dritte Satz. Freudig und jubelnd, ausdrucksstark. Das gerade noch hörbare (immerhin!) Harfensolo wird dennoch von den Celli fast überdeckt. Die Jazzeinflüsse kommen ein wenig zu kultiviert zu Gehör. Ansonsten ist dies eine erfüllte Darbietung voller Valeurs und Nuancen, aber sehr wenig knallig.

Klanglich transparent und recht gut gestaffelt lässt sich die Gran Cassa nur gezähmt hören. Durchweg hören wir ein leichtes Rauschen. In den Satzpausen wird das Ravel-Konzert zu einem Hustenkonzert.

 

4-5

Janusz Oleyniczak

Jerzy Maksymiuk

Sinfonia Varsovia

Sony

2012

8:27  9:06  4:03  21:36

 

Das Klavier des polnischen Pianisten klingt ganz besonders schön, nie hart, aber auch alles andere als weichlich. Er spielt, wie die alte Schule gerne einmal, zudem mit besonderem virtuosem Aplomb. Auch das Orchester erscheint erstklassig, sehr farbig und rund klingend. Man hat sich bei Sony anscheinend besonders viel Mühe gemacht, die jeweils besten Mikrophone auszuwählen und sie genau an der richtigen Stelle aufzustellen. Die Kadenz wirkt stimmig und strahlend. Insgesamt wird auch ab Zf. 29 Tempo primo zwar souverän gestaltet, aber doch nicht ganz so bissig und vorantreibend feurig wie bei den besten. Die jazzige Gershwin-Seite der Komposition wird indes nur wenig beachtet. Ein durch und durch europäischer Ravel.

Die hohe pianistische Qualität schlägt sich auch im zweiten Satz nieder. Beste Anschlagskultur, schwebender Klang, sanfter jedoch nicht verzärtelter Gestus mit einem reichen Angebot an Nuancen sorgen dafür. Die Simmen der linken und rechten Hand werden sorgfältig getrennt und doch immer wieder zusammengeführt, das Spiel wirkt insgesamt sehr inspiriert. Die Hörenden könnten hier ganz wunderbar ins Träumen kommen. Auch das Englischhorn/Klavierduo überzeugt klanglich und im Zusammenspiel voll.

Auch im dritten Satz hat man alles bestens im Griff. Der Vortrag ist lebendig und pointiert. Es fehlt allenfalls der letzte Drive und der Geschwindigkeitsrausch der jüngeren Pianisten. Der Pianist hatte sein sechstes Jahrzehnt zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade erreicht. Stattdessen ist das Spiel differenziert und besonders klangschön.

Sony nimmt seit vielen Jahren weltweit auf, oder besser lässt aufnehmen von diversen Studios. Da kommen Aufnahmen zustande, bei denen man merkt, dass keine Routine, sondern Enthusiasmus hinter der Arbeit der Tontechniker steckt. Dies ist so ein Fall. Offen, sehr klar, sehr gut tiefengestaffelt, sehr räumlich, nur minimal hallig und präsent genug klingt es hier. Das Klavier ragt nochmals etwas heraus, klingt sagenhaft sonor und füllig, also mit viel Körper, von dem so ein Flügel ja einigen mitbringt. Die Gran Cassa klingt rekordverdächtig gewichtig, dynamisch, gewaltig. Der gesamte Bassbereich ist ausgezeichnet durchhörbar. Wie oft wird er sonst stiefmütterlich vernachlässigt? Der Kompromiss zwischen schlanker Transparenz und sinnlicher Opulenz darf als ideal gelten. Ein audiophiler Geheimtipp, denn diese Einspielung ist kaum bekannt geworden und entsprechend selten.

 

4-5

Cecile Ousset

Simon Rattle

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

1990

8:34  9:50  4:03  22:27

 

Frau Ousset überzeugt mit natürlich wirkenden, rhythmisch-eleganten Klavierspiel mit viel Fingerspitzengefühl. Das Orchester wirkt schlank und spritzig, garniert mit zauberhaften Momenten (Harfenkadenz) und auch das eruptiv-ordinäre kommt nicht zu kurz. Sehr gute Bläser. Die Kadenz meistert Madame Ousset wunderbar durchhörbar, mit bewusst perlenden Triller-Ketten, nicht ganz mit dem einmalig gebliebenen Glöckchenglanz von Krystian Zimerman. Ab Zf. 29 impulsiver Drang.

Im zweiten Satz sehr schön differenziertes, kantables Klavierspiel mit herrlich gelungenen Bläsersoli. Erfülltes Musizieren, vielleicht beim Orchester noch ein bisschen mehr als bei der Pianistin. Das Duo Englischhorn/Klavier profitiert von ausgezeichnetem Zusammenspiel und klangschöner, differenzierter Gestaltung. Zur Begeisterung fehlt beim Englischhorn nur etwas mehr Körper und Wärme im Ton. Wir hören ein romantisches Tempo.

Im dritten Satz folgt ein pointiert zugespitztes Maskenspiel, nicht zu hart, sondern mit Geschmack. Hervorragende Steigerung in einem weiten Bogen.

Das Klangbild wirkt sehr gut gestaffelt auch in die Tiefe hinein, offen, großräumig, nicht hallig. Für eine natürliche Präsenz ist gesorgt. Die Violinen (nur die) wirken allerdings ein wenig körperlos und schweben mehr als der Rest des Orchesters.  Die Gran Cassa verbreitet Autorität.

 

4-5

Gabriela Montero

Carlos Miguel Prieto

The Orchestra of the Americas

Orchid

2018

8:44  8:49  3:55  21:28

 

Den Dirigenten erlebten wir bereits mit Fazil Say und dem HR SO (2013) und werden ihm erneut bei Vanessa Benelli Mosell (2019) mit dem Schottischen Nationalorchester begegnen. Das mexikanische Orchester wirkt nicht ganz so sicher und virtuos wie die beiden europäischen. Gabriela Montero spielt mit viel Rubato, schon fast improvisatorisch wirkend, aber auch mit viel vorantreibendem Drive, Temperament und virtuos. Ihre Ruhepole wirken sehr bewusst eingestreut. Ihr Spiel erinnert von weitem an Martha Argerichs Einspielungen, an deren atemberaubendes Feuer sie jedoch nicht ganz herankommt. Die Kadenz ist technisch perfekt und wirkt ausdrucksvoll.

Der zweite Satz beginnt lebendig und abwechslungsreich-inspiriert. Sie zieht das zügige Tempo nicht in einem durch, sondern variiert es fein und lässt auch in der linken Hand immer wieder eine Melodie „der tiefen Töne“ durchschimmern. Dem Orchester liegt der langsame Satz deutlich besser als die beiden Außensätze. Da wirkt alles stimmig, ausgewogen und klangschön.

Im dritten Satz gibt es generell weniger Überraschungen als im zweiten, der von den drei Sätzen die größte interpretatorische Bandbreite bietet. Und von den beiden schnellen eher noch der erste. Das Klavier erscheint auch in dieser Einspielung enorm spielfreudig, das Orchester locker und vital.

Der Klang lässt sich sehr gut hören. Er wirkt tief gestaffelt und doch präsent.

 

4-5

Till Fellner

Stéphane Denève

Wiener Symphoniker

Live-Mitschnitt des ORF, unveröffentlicht

2013

8:47  9:38  4:05  22:30

 

Die Wiener Symphoniker, das Orchester der Stadt Wien, haben keine Probleme mit dem Orchesterpart des Klavierkonzerts. Die Holzbläser könnten jedoch viel besser zur Geltung kommen, es fehlt generell etwas Transparenz, was wir jedoch eher dem Technik-Team „in die Schuhe schieben“ wollen, wenngleich es einen gut differenzierten Bassbereich hinbekommen hat und das solid-virtuose Klavier sehr angemessen eingefangen hat.  Der Klavierpart wird sogar für einen Mitschnitt mit recht geringer Datenrate sehr gut zum Leuchten gebracht, Besonderheiten gibt es jedoch nicht zu berichten. Die Kadenz bringt sehr gut austarierte Stimmen.

Im zweiten Satz hören wir ein völlig entspanntes Tempo, dennoch ein recht spannendes, sehr gut ausbalanciertes Spiel mit weichem jedoch gut fokussiertem Anschlag und warmem Klang. Nicht allzu verträumt, bleibt Herr Fellner sozusagen bei der Sache, ohne jedoch neutral zu werden. Langweilig ist sein Spiel nie. Auch die Symphoniker klingen im zweiten Satz schön voll und edel. Das Englischhorn-Solo sogar berückend schön, zudem makellos und zurückhaltend von Fellner umspielt. Insgesamt durchaus einnehmend.

Im dritten Satz hören wir extravagante Soli der Holzbläser. Das Harfensolo ist sogar gut hörbar. Der Satz läuft nicht besonders schnell oder gar wild ab, wird aber pfiffig gespielt. Er erscheint von den dreien als besonders gelungen.

Der Klang wirkt recht füllig, die Violinen warm, aber mit wenig Glanz. Die Garn Cassa klingt wie enthemmt, mit elementarer Wucht. Mit dem HR scheint man sich die Leidenschaft für gewaltige Tiefen zu teilen, Der Bassbereich wirkt ohnehin schon ziemlich deftig. Insgesamt gut ausbalanciert lässt nur die Transparenz (besonders im ersten Satz) zu wünschen übrig.

 

4-5

Tzimon Barto

Toshiyuki Kamioka

Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken

Otto Braun One Point High Definition

2009, Live

8:46 10:51 3:58 23:35

 

Ähnlich einer Live-Konzertübertragung ist dies ebenfalls eine ungeschnittene Direktaufnahme ohne doppelten Boden. Sie entstand 22 Jahre nach der Londoner Studio-Aufnahme. Das differenzierte Klavierspiel erscheint seither gereifter, mit viel Sinn für die eleganten und melancholischen Zwischentöne, hat aber nichts von dem immens kraftvollen Zugriff verloren. Generell bringt der Pianist mehr donnerndes Martellato ein als man es von anderen Einspielungen gewohnt ist. Das Orchester hält gut mit, immerhin hören wir live und ungeschnitten zu. Es bietet angesichts der teils starken klanglichen Übermacht des Flügels viel Klangzauber, Dynamik und solistischen Glanz.

Im zweiten Satz (Adagio assai) schlägt sich Mister Barto ins Lager der Langsamspieler. Das kommt in seinem Fall einer Vertiefung der Betrachtungsweise zugute. Er spielt nun mit äußerster Behutsamkeit, durch einen gefühlvollen Rubato-Einsatz lebendig und vortrefflich abschattiert. Das Resultat ist alles andere als kitschig und gefällt viel besser als im Londoner Studio. Anders als bei Wolf Dieter Arens kommt es zu keinem Spannungsabriss, wenngleich der Bogen weit gespannt wird. Bei Zf. 2 und 3 verlangsamt man das Tempo nochmals ein wenig. Auch Barto nimmt sich bei der Umspielung des Englischhornsolos uneitel ganz weit zurück. Klanglich vermag auch dieses Saarbrücker Englischhorn, wie bereits das des RSO bzw. der DRP, sehr zu gefallen.

Das Presto gelingt rhythmisch akzentuiert und animiert. Während die Orchestereinwürfe nicht so deutlich wie gewohnt durchkommen, steht das Klavier ziemlich majestätisch weit vorne. Enorm kraftvoll und sehr engagiert.

Lauter und viel weiter im Vordergrund als in London hören wir in dieser Einspielung den Flügel Bartos. Das Orchester, vor allem die weiter hinten platzierten Bläser sind deutlich weiter entfernt, besonders wenn der Pianist ordentlich in die Tasten hämmert. Die Klangfarben wirken natürlich, die Dynamik des Klaviers ist enorm, die des Orchesters wirkt leicht reduziert. Das hängt mit dem verwendeten Aufnahmeequipment zusammen, das in erster Linie lediglich aus zwei Mikrophonen besteht. Ohne weitere Stützmikrophone werden sie Laufzeiten der weiter von den Mikros entfernten Instrumente ohne Korrektur weitergeleitet. Da unsere Ohren auch keine „Stützohren“ in der Nähe der Bläser zur Verfügung haben, kommt der Höreindruck dem Live-Konzert-Eindruck näher als der anderer Aufnahmen mit mehreren oder gar vielen Mikrophonen und aufwendiger Laufzeitkorrektur. In dieser Aufnahme passen die aufgezeichneten Klangverhältnisse am besten zum langsamen Satz.

 

4-5

Monique Haas

Paul Paray

Orchestre National de l´ORTF (heute: Orchestre National de France)

DG

1965

7:39  8:44  3:59  20:22

 

Von Monique Haar gibt es zwei Einspielungen bei der DG. Während sich die ältere von 1948 nicht so lange im Repertoire hielt, ist ihr 65er Jahrgang eigentlich seit seinem Erscheinen immer in wechselnden verschiedenen Ausgaben verfügbar gewesen. Auch sie scheint sich in mancher Hinsicht an der „Uraufnahme“ von Marguerite Long, Ravel und Freitas Branco zu orientieren, Die Artikulation von Madame Haas erscheint betont flüssig, für unseren Geschmack teilweise schon flüchtig. Im Orchester kommt das hellfarbige Holz sehr gut durch. Bei der Harfenkadenz kommen wir in den ganz seltenen Genuss, zugleich mit der Harfe auch einmal die Celli zu hören, die dem Klangbild sozusagen eine Grundierung oder einen Rahmen gibt. Hier zeigt sich der Dirigent Paul Paray als sehr hellhörig. Bei Zf. 25 überzeugt ein besonders gefühlvolles Hornsolo. Bei Zf. 29 bringen sowohl die Pianistin als auch das Orchester mehr Attacke mit ein, als es in der 48er Version gelingt. Bereits der erste Satz zeigt jedoch, dass die Aufnahme aus Paris bereits zwei Jahre später von Martha Argerichs „Jahrhundert-Aufnahme“ überholt wurde. Eigentlich in jeder Hinsicht. Ihr fehlte jedoch das „Klavierkonzert für die linke Hand“, was wahrscheinlich neben den musikalischen Meriten, die die Pariser Einspielung zweifellos immer noch hat, am meisten dafür gesprochen haben könnte, dass der Ravel-Freund bzw. die Ravel-Freundin dennoch zur Einspielung von Monique Haas gegriffen haben mag.

Den zweiten Satz geht Madame Haas wie bereits 1948 zügig an, immer noch sehr klar, nun aber nuancenreicher und damit gefühlvoller. Das gilt auch für das Orchester und für den ganzen Satz, der immer belebt bleibt. Das Englischhorn klingt immer noch dünn, hart und besonders im f schalmaienhaft. Frau Haas müsste sich noch mehr zurücknehmen, denn das Englischhorn wirkt dynamisch sehr zurückhaltend. Sie müsste passagenweise noch drunter bleiben, was ihr unter den gegebenen Voraussetzungen nicht so recht gelingt.

Mit leichter, flinker Hand aber besonders mit meist herbem Zugriff geht die Pianistin und das Orchester den dritten Satz an. Wenn man sich die Argerich/Abbado-Einspielung aus Berlin dagegen vergegenwärtigt, so lüftet sich ein Vorhang.

Gegenüber 1948 wirkt der Klang hingegen ungleich klarer und deutlicher, was wohl niemanden überraschen dürfte. Er wirkt offen, könnte aber weicher klingen und mehr Staffelung bieten. Der Klavierklang ist hingegen kaum besser geworden. Er war zwar bereits 1948 erstaunlich gut für seine Zeit, wirkt 1965 immer noch leicht belegt. Der Gesamtklang wirkt bei leichtem Rauschen recht brillant.

 

4-5

Pierre-Laurent Aimard

Pierre Boulez

Cleveland Orchestra

DG

2010

8:22  9:25  4:13  22:00

 

Auch Boulez lässt den Triangel bereits bei T. 10 zwei Mal klingen, bei uns in der Partitur stehen sie erst bei T. 12. Er bleibt also dabei, wie bereits 16 Jahre zuvor mit Herrn Zimerman am Klavier. Das Klavierspiel von Pierre-Laurent Aimard wirkt ausgesprochen klar und präzise, aber besonders vom Intellekt geprägt. Teils wirkt sein Klang schwebend, teils im Charakter drängender, aber immer ziemlich einfarbig, höchstens einmal pastellfarben. Spannung will und soll wohl nicht so recht aufkommen. Die Musik soll aus sich selbst heraus wirken, Zutaten von außen werden rausgehalten. Die Noten werden exakt wiedergegeben. Das wirkt technisch souverän und stets locker-kontrolliert. Das Orchester passt sich dem Gestus exakt an, wirkt genauso nur pastellfarben und im Ausdruck erheblich neutraler als 16 Jahre zuvor mit einem eben auch 16 Jahre jüngeren Pierre Boulez. Mitunter wird das Klavier trotz seines ff vom Orchester zugedeckt. Die Harfenkadenz klingt hingegen wunderbar perlend und klar, da wirkt er wieder, der märchenhafte Zauber Ravels. Die Trillerkaskaden wirken bei Zimerman überzeugender (das ist aber auch seine Domäne).  Dass bei Zf. 29 das Tempo primo pp beginnt wird weitgehend beachtet. Bei mach einer Argerich-Einspielung bricht hier der Tiger hervor und es donnert und prescht ungeduldig mit einem f oder ff heraus. Die folgende Steigerung ist gut, aber Martha spielt hier ein mitreißenderes Tempo und mit viel mehr espressivo.

Im Adagio assai wird nun seitens des Orchesters mehr Wärme zugeführt, obwohl das Holz weitestgehend auf Rubato oder Vibrato verzichtet. Der Klavierklang wirkt stets klar und ein wenig anämisch. Er lädt wenig zum Träumen ein. Vorzüglich allerdings das Englischhornsolo. Da stimmen Klang, Phrasierung, Atmung und Intonation. Aimard umspielt erheblich lauter als Argerich, die dem Englischhorn das Solo viel mehr zu gönnen scheint.

Im Presto lehnt man sich ein wenig zurück. Das klingt zwar ausgesprochen präzise und gelassen, auf die feurige Note muss man jedoch verzichten. Wie gemütlich es hier zugeht, merkt man wenn man sich an die Abbado-Aufnahmen oder an Freitas Branco erinnert. Auch die Holzbläser-Soli könnten bisweilen etwas besser durchkommen. Der Steigerungsbogen passt, das Temperament wirkt jedoch gezügelt. Gegenüber der virtuoseren Martha spielt Pierre-Laurent filigran und ein wenig farblos, es fehlt auch die Wucht und die Pranke. Irgendwie ziemlich entemotionalisiert allerdings auf sehr hohem Niveau.

Der Klang ist zwar schlank und transparent, wirkt jedoch kühl und vom Farbspektrum her „entsättigt“. Wirkt das CO 1994 mit Zimerman noch farbenfroh-bunt, so hat sich nun ein transparenter Grauschleier drübergelegt. Der Bassbereich ist wenig durchgezeichnet. Dynamisch für das AD eher lau.

 

4-5

Vikingur Ólafsson

Elim Chan

Wiener Symphoniker

Live-Mitschnitt des ORF, unveröffentlicht

2022

8:54  9:34  3:54  22:54

 

Das Spiel des jungen isländischen Pianisten erklingt noch nicht mit dem Feuer einer Argerich, der Eloquenz eine Zimmerman oder der sanguinischen Präsenz eines Katchen. Kühl, beherrscht aber punktgenau scheint nach dem hören dieses Mitschnitts seine Devise Nr. 1 zu sein. Sein Anschlag ist sehr gut fokussiert und durchaus brillant. Die Jazz-Elemente sind bei ihm (wie auch die anderen Elemente der Komposition) gut aufgehoben. Die Trillerkaskaden wirken wunderbar ebenmäßig. Ab Zf. 29 geht das Tempo primo mit deftigem Martellato beinahe schon im Zuschnitt einer Argerich weiter. Das Orchester klingt nicht immer mit der wünschenswerten Transparenz. Das große Hornsolo wird jedoch sehr gut hervorgehoben und super geblasen. Auch die Dirigentin bringt die Jazz-Anleihen überzeugend heraus.

Die Bindebögen im Adagio assai werden wunderbar gehalten, der Pianist ist eines sehr guten substanzreichen p fähig. Sein Vortrag wirkt mit zurückhaltendem Rubato verlebendigt. Auf das Divergieren der linken und rechten Hand verzichtet der Pianist. Sein Klavierton wirkt eher warm und schattierungsreich. Das Englischhorn-Solo klingt wie bereits in der Aufnahme mit Fellner und Denève sehr gut, nur bleibt Ólafsson in diesem Fall im Verhältnis viel zu laut. Das ist schade, denn so spielt das Englischhorn nur die „zweite Geige“. Auch die Triller ab Zf. 10 klingen ebenfalls viel zu laut.

Auch dieses Mal hören wir im Presto wieder eine paar Eigenwilligkeiten in der Phrasierung des Orchesters, was bereits 2013 auffiel. Sie fallen zwar auf, verändern aber die Werksubstanz nicht nachhaltig. Auch im dritten Satz wirkt das Klavier im Verhältnis zum Orchester ungewöhnlich laut, was nicht am Orchester liegt, sondern eher an der Aufnahmetechnik. Es spielt nicht immer ganz präzise zusammen (ist ja auch live). Der Klavierpart klingt auch nicht ganz perfekt, aber mit anspringender Virtuosität.

Das Holz wirkt ein wenig zurückgesetzt. Damit fällt die Aufnahme klanglich ziemlich deutlich gegenüber Fellner/Denève ab, die neun Jahre früher mit den Wiener Symphonikern entstanden ist. (Nur noch 2.0 über Satellit, statt 5.1 bei Fellner.)

5.1 gibt es vom ORF nur noch über das Internet. Das ist anscheinend billiger.

 

4-5

Jacqueline Blanchard

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1953

8:26  9:00  4:10  21:36

 

MONO  Die Pianistin der Schweizer Uraufführung bleibt ihrem Part kaum etwas schuldig, sie gestaltet plastisch, ist einem leichten Rubato nicht abgeneigt und setzt es auch sinnfällig ein. Das Orchester macht einen sehr motivierten Eindruck und befindet sich in bester Spiellaune. Die Darbietung ist für ihr Alter ganz erstaunlich klar. Die jazzigen Einsprengsel kommen gut hörbar und pointiert an, genau wie die Anklänge an die baskischen Gitarrenklänge. Die Pianistin liefert ihre Kadenz in Perfektion ab.

Im Adagio assai betont sie den Walzerrhythmus ziemlich stark, dennoch gelingt es ihr weitgehend, Monotonie zu vermeiden. Ihr Klavier klingt in den höheren Lagen erstaunlich brillant. Das Duo mit dem Englischhorn (zeitgemäß schalmaienhaft) bringt sie in eine gute Balance.

Das Presto-Tempo wirkt ein wenig gebremst, man nutzt das zu einer charmanter als üblich und verspielt-grazil wirkenden Darstellung.

Die Klangqualität erscheint sehr gut restauriert, sehr transparent und mit einer erstaunlich knackigen Dynamik. Das Klavier klingt meist etwas dumpf, beim Orchester spürt man davon fast nichts.  Nur im zweiten Satz wird ein ganz leichtes Rauschen hörbar.

 

 

 

4

Jean-Philippe Collard

Lorin Maazel

Orchestre National de France, Paris

EMI

1979

8:05 10:13 3:55 22:13

 

Der Klang von Monsieur Collards Klavier wirkt kühl und leicht blechern, dabei jedoch durchaus brillant und seine Technik erlaubt ihm eine teils rasante Lesart. Das Orchester agiert mit elementarem Schwung, Verve und Zuspitzung und wie der Pianist (wie sollte es anders sein, wenn es passen soll) ebenfalls teils rasant. Obwohl das Duo Monique Haas/Paul Paray mit dem gleichen Orchester 14 Jahre zuvor ein noch schnelleres Tempo vorlegt, erscheint es mit Maazel, der damals übrigens sein Chefdirigent war, mit mehr Spielfreude dabei zu sein. Das Ergebnis ist einfach stürmischer, um nicht zu schreiben beinahe aufgebracht. Die Amerikanismen, wenn wir die jazzigen Elemente einmal so nennen wollen, wirken geglättet.

Das gemächliche Tempo führt in der Klavier-Einleitung zu einem entkräfteten oder laschen Eindruck, der vielleicht auf einen depressiven Gemütszustand hinweisen soll. Auch im Adagio bleibt der Klang des Klaviers kühl. Nicht zuletzt durch das langsame Tempo bedingt, kommt eine Bogenbildung nicht so recht zustande. Auch dem Orchester kann man keinen warmen Klang attestieren, der unserem Protagonisten Trost zusprechen könnte. Das Englischhorn klingt jedoch nun viel runder und weicher als bei Haas/Paray 14 Jahre zuvor. Das Duo mit dem Klavier könnte ein magischer Moment der Einspielung sein, wäre etwas mehr Wärme im Spiel.

Im Presto spürt man, dass Maazel dem Orchester viel Transparenz entlocken kann, die jedoch von der Klangtechnik hellhöriger hätte umgesetzt werden können. Pianist und noch mehr das Orchester wirken nun brillant, sogar recht forsch. Schade, dass die Technik nicht so recht mitspielt. Musikalisch (bis auf den zweiten Satz) sehr frisch und ansprechend, die jazzigen Elemente auch im Presto ein wenig geglättet.

Der Klang der Einspielung lässt das Orchester gut in den Raum gestaffelt hören. Klarer als bei der DG-Aufnahme mit Haas, aber auch bei der internen Label-Konkurrenz mit Ciccolini/Martinon oder Weissenberg/Ozawa. Im ff klingt es noch leicht diffus., besonders im ersten Satz. Auch die Gran Cassa wirkt im ersten mulmiger, im dritten deutlich straffer und kräftiger. Das Klavier steht nicht groß vor dem Orchester, sondern wird eingebettet und klingt eher etwas zu klein. Der Klang wirkt kühl, als wäre bereits digital aufgenommen worden. Entsprechende Hinweise fehlen jedoch.

 

4

Andrew von Oeyen

Emmanuel Villaume

Prague Philharmonia

Warner

2016 (?)

8:38  9:14  4:00  21:52

 

Gut gefällt die Gestaltung im ersten Satz. Der Zugriff von Pianist und Orchester wirkt recht packend, dynamisch und virtuos. Der Klavierklang wirkt klar und gut, aber auch austauschbar, hat also wenig Individuelles.

Im Adagio assai lockert der Pianist die Walzerbegleitung durch Rubato etwas auf, die Dynamik wirkt straff und direkt, sodass der Gestus kaum einmal träumerisch erscheint, eher wie ein Selbstgespräch zu dem sich später (mit den Solisten des Orchesters) Dialogpartner gesellen. Die Holzbläser wissen klanglich zu begeistern, tonlich und artikulatorisch einfach traumhaft schön: Oboe, Fagott und Englischhorn. Leider bleibt von Oeyen bei seinen Umspielungen teilweise zu laut, insgesamt passt das Duo aber gut zusammen. Es wird weniger verspielt als mit einem geradlinigen Zugriff musiziert.

Der dritte Satz wirkt sehr ansprechend. Kecke Es-Klarinette, weiter Bogen. Das Presto wirkt nicht ganz ausgereizt, da man das Gefühl hat, es wäre noch etwas mehr drin gewesen.

Der Klang bietet ein weites Klangpanorama mit einer guten Tiefenstaffelung. Das Klavier wirkt sehr präsent, das Orchester transparent und präsent um es herumgruppiert. Diese Aufnahme bot den besten Klang von den rund 20 Einspielungen, die wir im Streaming gehört haben. Insgesamt gefällt der Orchesterklang noch besser als der Klavierklang.

 

4

Claire-Marie Le Guay

Louis Langrée

Orchestre Philhamonique de Liège

Accord

2015

8:10  8:45  3:50  20:45

 

Die Pianistin überzeugt im ersten Satz mit einem teils sinnlich-kontemplativen, teils rasant-vorantreibenden Spiel und einem kräftigen und beherzten Anschlag. Die Amerikanismen werden gut zur Geltung gebracht aber nicht zur Schau gestellt. Nachteilig macht sich das recht weit entfernte Holz bemerkbar, denn so wirkt die Farbigkeit des Konzertes in diesem Satz geschmälert, was ihm einen Teil seines Reizes nimmt.

Der zweite Satz wirkt auch diesbezüglich einnehmender. Zunächst erfreut das gute Legato der Pianistin, die einer monotonen Gestaltung durch Betonung der rechten Hand sehr gut entgeht zumal ihr Rubato gefühlvoll und organisch wirkt. Der Klang des Klaviers hat nicht den Glanz von Argerich oder Zimerman. Das Spiel gefällt aber durch reiche Nuancierungen und seine gefühlvolle Aura. Das Holz kommt nun ungleich besser zur Geltung als im ersten Satz, kein Wunder, seine Präsenz wurde merklich erhöht. Leider bleibt Madame Le Guay beim Duo mit dem Englischhorn meist zu laut, sodass das Solo teils stark bedrängt erscheint. Schade, denn sie spielt dabei besonders schön perlend. Da hätte die Aufnahmetechnik regulierend eingreifen müssen. Der Zauber der Stelle entbehrt so eines Teils seiner Magie.

Im Presto werden wir wieder zum Orchesterklang des ersten Satzes zurückgeführt. Wegen der geringen Transparenz der Holzbläser wirkt er zwar rasant und temperamentvoll, aber weniger mitteilsam als sonst. Das Orchester reicht an die Präzison der besten nicht heran.

Der Klang der Aufnahme wirkt leicht hallig, weiträumig, recht transparent (mit den genannten Einschränkungen) und gut tiefengestaffelt. Der gute Klavierklang wirkt präsent, das Orchester etwas zurückgesetzt. Im Ganzen etwas glanzlos, wir hörten die Aufnahme allerdings im Streaming. Die Interpretation der Solistin hätte ein noch besseres klangliches Ambiente verdient. Die Einspielung wäre dann eine Stufe höher einzuordnen.

 

4

Cédric Thiberghien

Francois Xavier Roth

Les Siècles

Harmonia Mundi

2021

8:08  9:25  3:57  21:30

 

Wie immer werden bei den Einspielungen des Orchesters „Les Siècles“ Originalinstrumente der Zeit, in der die Komposition in etwa das Licht der Welt erblickt hat, also dürften die Instrumente aus der fulminanten Einspielung von Strawinskys „Sacre“ wieder mit dabei gewesen sein. Aber man darf nicht vergessen, dass nicht nur die Instrumente den Klang (und vor allem die Musik) machen, sondern die Musiker im Verbund mit Ihnen. Damit verraten wir zwar keine neue Weisheit, aber so kommt es, dass man beim Klavier zumindest in erster Linie einen Verlust verspürt. Es wird ein Pleyel-Flügel von 1892 verwendet, dem die Brillanz heutiger Konzertflügel weitestgehend abgeht. Der Klang ist weicher und sehr gedeckt, weniger strahlend. Das setzt das Werk zwar in ein anderes Licht, aber wir bezweifeln, dass Ravel diesen Flügel ausgesucht hätte. Dazu höre man sich einmal die Aufnahme mit Marguerite Long an. Man muss sich jedenfalls umstellen, um dem Pianisten gerecht zu werden, denn die mangelnde klangliche Brillanz und Resonanz ist ihm sicher weniger anzulasten als dem Instrument. Letztlich wirkt es jedenfalls asketisch. Insgesamt wirkt auch das Orchester auf uns etwas weniger sinnlich als sonst.

Auch im Adagio assai macht sich der Klang des Flügels kontraproduktiv bemerkbar, denn sein Klang trägt nicht hinreichend genug, dass sich ein rundes gut bindendes Legato ergeben könnte. Die rechte Hand wirkt zudem ein wenig gestelzt, wenig raffiniert und überhaupt nicht „sublimiert“. Das Klavierklang erinnert fast an den Klavierklang Bernsteins. Vom jungen Franzosen hätten wir auch eine fantasievollere Gestaltung erwartet, vielleicht hat ihm das Instrument jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Englischhorn klingt hingegen wunderbar voll, grundtönig und warm. Es wird zudem sensibel und nuancenreich geblasen. Hier kann sich Herr Thiberghien wunderbar zurücknehmen und das Solo des Englischhorns bestens umspielen. Dabei dürfte ihm sein Instrument vortrefflich entgegenkommen, ist es doch gegenüber heutigen Konzertflügeln viel leiser. Diese Passage ist herausragend gelungen.

Der dritte Satz darf in dieser Einspielung als der beste gelten. Temperamentvoll, farbenreich, virtuos und sehr fröhlich klingt es nun. Auch die Gran Cassa kommt nun gut zur Geltung. Klanglich ist diese Einspielung einzigartig, interpretatorisch geht sie aber nicht über das Gewohnte hinaus.

Die letzten Akkorde der drei Sätze klingen jeweils hallig, wovon der Rest der Aufnahme glücklicherweise frei ist. Präsenz, Klarheit und Transparenz herrschen vor. Der Gesamtklang wirkt gegenüber den anderen Aufnahmen auffallend dunkel eingefärbt und dunkel leuchtend.

 

4

Werner Haas

Alceo Galliera

Orchestre National de l´Opéra de Monte-Carlo

Philips

1969

8:16  8:42  3:54  20:52

 

Der leider viel zu früh bei einem Autounfall in Elsass-Lothringen (heute: Grand Est) verstorbene deutsche Pianist war unter anderem Schüler von Walter Gieseking am Konservatorium in Saarbrücken. Vielleicht hat er von ihm seine Leidenschaft für die Musik von Debussy und Ravel übernommen? In Deutschland weitgehend unterschätzt hielt man ihn in Frankreich für einen der besten, vor allem auch für die französische Musik. Hätte man ihm bei Philips ein besseres Orchester zur Seite gestellt, die Einspielung von Werner Haas müsste deutlich besser platziert werden. Sein Klavier wirkt durch einen klaren Anschlag und mit einem geschmeidigen, körperhaften, leuchtenden Klang expressiv und dennoch für diese Komposition auch leicht und flexibel genug. Oboe, Englischhorn und Fagott verfügen noch über den besonders dünnen und hellen Klang der damaligen französischen Spielweise. Keinerlei Probleme gibt es mit der Kadenz bei der wir uns in Spanien wähnen dürfen. Die dynamischen Abstufungen sind sehr reichhaltig. Ab Zf. 29 vorantreibend.

Im Adagio assai trennt Herr Haas die rechte ganz deutlich von der linken Hand. Man hört die Töne nicht als gemeinsame Akkorde, sondern als separate Linien. Partiturgenau ohne etwas hinzuzuerfinden, einfach und erhaben und keinesfalls einfältig klingt die Klaviereinleitung dieses Mal.

Schade, dass das Englischhorn durch den starren, ausgesprochen dünnen und schnarrenden Ton den Holzbläsersatz weit über Gebühr beherrscht und leider auch das Duo mit dem Klavier. Kaum dynamisch differenzierend macht es fast die ganze schöne Stimmung kaputt. Da hat auch das sensible Klavierspiel von Werner Haas keine Korrekturmöglichkeiten. Die Klangtechnik hätte das Holzblasinstrument besser ein wenig runterdimmen sollen.

Das Presto erklingt pianistisch pointiert, aufgeweckt, zugespitzt und voller Spielfreude. In diesem Satz gefällt auch das Orchester weitaus am besten.  Und man merkt, dass der Dirigent alles bestens im Griff hat. Insgesamt ist diese Einspielung pianistisch deutlich besser als orchestral gelungen, besonders wegen der klanglichen Disposition der Holzbläser. Wie schade!

Der Gesamtklang wirkt plastisch, recht körperhaft und präsent, jedoch nicht optimal durchhörbar. Dynamik und Farbenpracht sind in Ordnung. Besonders während der Klaviereinleitung rauscht es vernehmlich. Das Klavier klingt sehr gut fokussiert und außerordentlich klar.

 

4

Pascal Rogé

Charles Dutoit

Orchester Symphonique de Montréal

Decca

1982

8:13  9:52  3:52  21:57

 

Die erste Einspielung Pascal Rogés wirkt weniger selbstbewusst als seine zweite mit Bertrand de Billy 22 Jahre später. Sein Klavierspiel wirkt generell weniger brillant als das seines Lehrers Julius Katchen. Er kann aber mit seinem Part spielen, recht rubatoreich atmend und ziemlich virtuos. Das Orchester spielt animiert, akzentreich, konzentriert und aufmerksam. Die Bläsersoli sitzen allesamt gut. Die Harfenkadenz ist klanglich besonders gut gelungen (sie klingt aber in fast allen Einspielungen sehr gut). In der Kadenz legt der Pianist vor allem die Melodie plastisch offen. Als ganzes wird sie ganz gut durchgezeichnet. Ab Zf. 29 drängendes Tempo, schließlich sehr gute strettaartige Schlusswirkung.

Im Adagio assai recht betuliches von Dutoit geprägtes Tempo. Das Klavier agiert zurückhaltend, bildet mit dem Englischhorn ein ausgewogenes Duo. Insgesamt stimmig, aber nicht herausragend. Flöte sehr vibratoreich. Will sich da wieder jemand vormogeln?

Besondere Stringenz wird im Presto nicht erreicht. Flinke, sehr gelenkige Finger sind zu hören, erneut wird die Brillanz von Lehrer Katchen oder Zimerman nicht erreicht. Das Harfen-Solo wird immerhin angedeutet hörbar.

Das Orchester ist zwar etwas hallig, aber in guter Übersicht, auch im klanglichen Souterrain (Bass) zu hören. Die Dynamik kann sich hören lassen, wirkt aber nicht besonders frisch. Die Violinen wirken leicht belegt und als Ganzes ist die Aufnahme nicht ganz frei von „Digitalitis“. Das Klavier klingt im Hochton ebenfalls nicht ganz frei aber recht voluminös. Nicht gerade saftig, etwas wabbelig. Es könnte straffer klingen, was der ganzen Einspielung Stringenz kostet.

 

4

Tzimon Barto

Andrew Davis

London Philharmonic Orchestra

EMI

1987

8:15  8:58  3:58  21:11

 

Herr Barto hat von EMI einen recht kühlen Klavierklang mit auf sein Tonträgerdebut mitbekommen. Auch die Anschlagskultur steht hinter den Größen wie Zimerman oder sein Impetus hinter dem einer Argerich zurück. Er wirkt dagegen noch vergleichsweise hölzern. Im Saarbrücker Live-Mitschnitt gelangen ihm gerade die poetischen, lyrischen Abschnitte viel besser. Auch die Perfektion des Orchesters steht hinter den besten zurück, gerade im Zusammenspiel. Der Klavierkadenz fehlt noch die letzte Klarheit.

Die Klaviereinleitung des „Adagio assai“ meistert er mit viel Pedal (Pedal ist auch gefordert) sehr leise, zurückgezogen aber ohne das Metrum aus den Augen zu lassen. Dass es auch mit weniger Pedal geht, zeigen Benedetti-Michelangeli, Argerich und Zimerman, um nur ein paar zu nennen. Bei Barto bleibt es geradlinig, aber man freut sich ja schon, wenn die p-Vorschrift ernst genommen wird. Im Orchester wird das „Leisetreten“ aufgenommen, schade, dass es dabei zu einem Verlust der Konturen kommt. Damit sie nicht zu sehr verschwimmen, müsste man den Lautstärke-Pegel erhöhen. Die Stimmung wirkt aber passend. Warum nur spielt Barto vor Zf. 6 ein so deutliches Ritardando? Das macht sonst jedenfalls niemand. Spannender wirkt diese Passage so nicht.

Im Presto agiert der junge Pianist kraft- und effektvoll und auch sehr virtuos. Der Pianist überzeugt hier voll. Bei Zf. 2 klingt die Piccoloflöte viel zu leise. Im Ganzen wirkt der Duktus jedoch (wegen des Orchesters) weniger straff und präzise als bei den besten.

Die Aufnahme lässt sowohl den Pianisten als auch das Orchester etwas entfernt klingen. Vor allem das Orchester könnte mehr Präsenz vertragen. Vor allem bei Holz und Schlagzeug wäre ein Feldstecher für die Ohren keine schlechte Erfindung. Die Staffelung überzeugt in der Breite voll und ganz. Die Transparenz ist allgemein gut, nur bei den seltenen Klangmassierungen lässt sie zu wünschen übrig.

 

4

Yuja Wang

Lionel Bringuier

Tonhalle Orchester Zürich

DG

2015

8:12  8:10  3:51  20:13

 

Diese Einspielung richtet sich vor allem an die Freund:innen eines leichten, duftigen Klavierspiels und -klanges. Die „Pranke“ der zierlichen Pianistin aus China ist ausgesprochen flink, aber gegenüber der eines Katchen, einer Argerich oder des zuvor genannten Barto doch deutlich weniger durchschlagskräftig. Das Orchester klingt teilweise eher relaxt als umtriebig oder gar mitreißend. Klanglich macht es hingegen einen sehr guten Eindruck, auch solistisch. Die Kadenz klingt gut, aber nicht aufsehenerregend. Ab Zf. 29 spielt auch Frau Wang vorantreibend und mit bestechend klarer Technik.

Im Adagio assai hören wir ein gutes, stimmiges Tempo, fein abgestufte Dynamik, die p und pp gut unterscheidet, aber leider auch eine schlichte, einfallslos spielende linke Hand, die gerade einmal den Notentext realisiert. Das klingt einfach belanglos. Das Orchester klingt nun auch ein wenig unpassend dick. Sehr gute Balance beim Duo mit dem sehr schön geblasenen Englischhorn-Solo. An des suggestiven Perlenglanz einer Vinnitskaya kommt Yuja Wang noch nicht heran. Auch diese Passage wirkt in unseren Ohren ein wenig zu flüchtig und erneut zu beiläufig.

Im dritten Satz ist die Pianistin voll in ihrem Element (motorisch und durchzugsstark jedoch weniger differenziert als z.B. Grimaud, die sie klaviertechnisch sogar überragt), während es dem Orchester etwas am leichten Esprit mangelt. Die Klangtechnik bzw. der Aufnahmeraum dürfte an diesem Eindruck nicht ganz schuldlos sein. Das Orchester wirkt ziemlich brav um nicht zu schreiben: beinahe schon bieder.

Der Klang der Aufnahme wirkt ebenfalls etwas distanziert, es ergibt sich keine prickelnde Nähe zum Geschehen. Das Klavier wird dabei noch ein wenig besser behandelt, indem es leicht vor das Orchester „gezogen“ wird. Was für ein Unterschied zur Aufnahme von Katchen/Kertesz! Und die ist 50 Jahre älter. Die Gran Cassa wirkt ein wenig labberig,

 

4

Yundi Li

Seiji Ozawa

Berliner Philharmoniker

DG

2007

8:09  8:36  3:47  20:32

 

Um Klassen besser als das Orchester in der zuvor genannten Einspielung sind die Berliner Philharmoniker. Teils drastisch ausformulierte, hervorragende Bläsersoli, delikate Einsätze der Streicher, sehr suggestiv und mitreißend, nuanciert und mit einer fantastischen Innenbalance lassen sie die Herzen der Orchester-Aficionados höherschlagen. Beim Pianisten sieht es leider anders aus. Er bleibt rein technisch seinem Part nichts schuldig, ein Freund differenzierter Zwischentöne ist er nicht. Er frönt vielmehr dem athletisch-sportlichen Zugriff und nutzt Schnelligkeit und Kraft bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Zwischen seinem ff und dem seiner Landsfrau Yuja Wang oder auch zu dem von Alice Sara Ott liegt ein wahrlich fundamentaler Unterschied. Aber wo ist bei der Kadenz der Glöckchenglanz? Wo ist bei Zf. 29 zu Beginn das mysteriöse pp? Wir haben davon nichts gehört. Dann kontrastiert dazu wieder die überragende Spielfähigkeit und idiomatische Spielfreude des temperamentvoll aufgeladenen Orchesters mit einer substanzreichen Durchschlagskraft sondergleichen. Das Orchester de Paris in Ozawas Aufnahme mit Alexis Weissenberg macht gegen diese Glanzleistung keine gute Figur.

Zum langsamen Walzer des Adagios fällt Yundi Li nicht viel ein. Er spielt noch nicht einmal richtig leise, ganz besonders monoton und anscheinend ohne jede innere Beteiligung. So hören wir ein unmotiviert teigiges Mezzoforte ohne echte Kantabilität. Sofort als sich die Solobläser des Orchesters hinzugesellen geht sozusagen die Sonne auf, d.h. es stellt sich eine innige Stimmung ein, besonders wenn das Klavier schweigt. Beim wundervoll gespielten Englischhornsolo, das klanglich noch weit über die 1967er Version mit Abbado hinausgeht und bei dem einfach alles stimmt, untermalt der Pianist immerhin einigermaßen zweckdienlich aber doch unbeteiligt und kalt.

Beim dritten Satz fühlt sich der Pianist ungleich wohler, wenngleich er sein p zu Beginn des Satzes auch wieder viel zu laut spielt. Akustisch finden wir uns im sofortigen Anschluss an den ersten Satz. Nun wieder leicht hallig, wovon im mittleren Satz keine Spur zu finden war. Absolut passgenaue Soli, pointierter geht es kaum, wunderbar drastisch. Serviert in bester Spiellaune.

So steht ein pianistisch inspirationsloser Mittelsatz zwei guten Außensätzen gegenüber. Nur dem Orchester obliegt es hier, feinsten Spielwitz zu verbreiten und sonnigen Glanz in die Darbietung zu zaubern. Dies allerdings ganz hinreißend. Orchester 5, Pianist 3-4.

Der Klang: Zu Beginn noch etwas hallig und später im dritten Satz auch wieder ein wenig. Bis zum f sehr transparent, darüber geht die Transparenz ein wenig zurück. Sehr dynamisch, weites Orchesterhalbrund, sehr präsent, sehr farbig, fast knallig, was zur Komposition sehr gut passt. Sehr gut durchgezeichneter Bassbereich. Bis zum f auch sehr plastisch und körperhaft.

 

4

Denis Kozhukhin

Kazuki Yamada

Orchestre de la Suisse Romande

Pentatone

2017

8:32  9:18  3:54  21:44

 

High-Res-Download  Klanglich ist das Orchester mittlerweile sehr gut, der Gestus wirkt jedoch wenig dringlich oder gar drängend. Der Pianist erfreut mit einem (durch die High-Res-Auflösung sicher beförderten) ganz ausgezeichneten Klang seines Klaviers. Brillant, makellos. Im Gestus bleibt er jedoch stets sehr kontrolliert, mehr zurückhaltend als stürmisch. Ein Gestus, der besser zum zweiten Satz passen würde und auch das Orchesterspiel betrifft. Es fehlt an Sturm und Drang. Clarté ist eingelöst, aber der Charme fehlt, es wirkt distanziert und clean. Nie hat man das Gefühl, dass sowohl der Pianist auch das Orchester einmal richtig aus sich herauskommt. Kein Sinn für die jazzigen Einsprengsel, Finale ohne stürmischen Drive.

Im Adagio assai wirkt das Tempo langsamer als es ist. Die Töne können sich gerade bei der Melodie der rechten Hand nicht zu einem richtigen Legato verbinden, bei dem begleitenden Walzerrhythmus der linken Hand gelingt das seltsamerweise viel besser, sogar vorbildlich. Wunderschön gelungenes Englischhorn-Klavier-Duo. Das Englischhorn (es wird derselbe Spieler sein wie in der 22er Aufnahme) mit schönem Ton, bester Artikulation und sehr nuancenreich.

Gegenüber den besten fehlt hier viel von der Emphase, z.B. von Katschen/Kertesz oder viel vom Feuer Argerichs. Es wirkt so locker und flockig, schnell aber auch mit wenig Ausdruck und letztlich doch ziemlich brav.

Insgesamt herrschen hier mehr penible Sorgfalt und Transparenz, kontrolliert und analytisch. Mehr lässig als stürmisch und bisweilen auch dem Sujet gegenüber distanziert.

Der Klang der Aufnahme zeigt eine ganz hervorragende Tiefenstaffelung und wirkt sehr leicht und lichtdurchflutet. Transparenz in Perfektion. Die Gran Cassa bringt referenzverdächtigen „Wumms“ in Spiel, besonders tief und dynamisch. Ausgezeichneter Gesamtklang. Vor allem das Klavier klingt wie „in Natura“. Die moderne audiophile Empfehlung, wenn die Musikalität nicht oberste Priorität hat.

 

4

Abdel Raman El Bacha

Marc Soustrot

Orchestre Philharmonique des Pays de Loire

Forlane

1984

8:16  8:39  4:00  20:55

 

Diese Einspielung, bei der der Pianist gerade einmal 26 Jahre jung war, zeichnet sich durch einen ganz eigenen Charakter aus. Sowohl Klavier als auch das Orchester klingen sehr filigran, sehr präzise und weich getönt. Das Spiel gerade des Pianisten erweist sich als so fein und fast schon preziosenhaft hingezirkelt, dass von einem ff keine Spur mehr zu finden ist. Man denkt dabei auch an Ravels Sammlung von Spieluhren. Fein, präzise, leise. Auch die Gran Cassa reiht sich da mit wenig Tiefgang und Dynamik ein. Das Hornsolo hingegen und die Umspielung durch die Holzbläser klingen toll. Die Kadenz des Klaviers hat man wohl kaum einmal so superdeutlich und penibel ausgewogen gehört wie hier. Die hohe Kunst des Klavierspiels. Andererseits findet keinerlei Dramatisierung statt, die Perkussivität fehlt fast ganz und eine temperametvolle brillante Glut auch. Von der Stilvielfalt Ravels bleiben so Mozart und die charmant-französische Clarté übrig, vom baskisch-spanischen wie auch vom jazzig-amerikanischen hört man nicht viel.

Im Adagio assai passen Tempo und Dynamik hingegen ausgezeichnet, zumal die rechte und linke Hand völlig unabhängig und ohne verbindlich-verschmelzende Akkorde zwischen den Stimmen auskommt. Sehr sanftmütig, introvertiert, lyrisch und poetisch klingt die Klaviereinleitung nun. Zudem leuchtet der Klavierklang zurückhaltend in Perlmutt. Der Pianist kann sich sehr weit zurücknehmen das Duo klingt wie aus einem Guss. Wenn man das Pastellfarbene in Kauf nehmen will, eine ausgezeichnet Alternative für den zweiten Satz, der für sich genommen ein 5 verdient hätte.

Im Presto wirkt dann alles Grelle im Orchester wie weggefiltert. Das Klavier wird nun zum Teil sogar vom Orchester überdeckt. Das ist dann doch zu viel der Defensive. Zudem kommen auch noch kleine Abstriche bei der Präzision des Orchesters hinzu.

Beim Klavierpart darf man von einer eigenständigen Interpretation eines absoluten Könners schreiben. Schön und einseitig. Mozart in Frankreich ohne die Anwesenheit Gershwins und ohne das Feuer des Südens sozusagen.

Der Klang bietet eine sehr breite und tiefe Abbildung, einen „Panoramablick“ über das ganze Orchester. Die Präsenz fällt hingegen gering aus, das Klangbild wirkt fast schon ein wenig entrückt. Sauber und klar. Die Transparenz geht jedoch etwas „zu“, wenn es einmal lauter werden sollte. Die Farben wirken wie mit dem Weichzeichner „pastellisiert“. Das Grelle wird gänzlich vermieden.

 

4

Stephen Drury

Benjamin Zander

Boston Philharmonic Orchestra

Carlton

1999

8:16  9:04  3:40  21:00

 

Im Zusammenspiel mit dem halbprofessionellen Orchester gibt sich der hierzulande relativ unbekannte Pianist keine Blöße. Das Zusammenspiel befindet sich anders als zu vermuten wäre, eigentlich auf einem hohen professionellen Niveau. Das Orchester könnte noch exponierter herauskommen, besonders die Bläsersoli wirken zurückhaltender als sie tatsächlich gespielt werden, wenn die Klangtechnik mitmachen würde. In der Kadenz gelingt dem Pianisten ein hervorragendes Herausarbeiten der drei Ebenen, bei einer leichten Betonung der Trillerkaskaden. Das Orchester spielt erneut mit einigem Enthusiasmus, kommt aber an seine verblüffende Leistung bei Strawinsky „Sacre“ nicht heran.

Im Adagio assai spielt Mister Drury mit äußerster Zurückhaltung, dynamisch differenziert und mit viel Gefühl. Auf das differenzierte Herausarbeiten der Stimmen der rechten und linken Hand verzichtet er. Insgesamt wird wenig Aufwand betrieben, dennoch oder gerade deshalb wirkt das Ergebnis natürlich, aber nicht simpel. Das Englischhornsolo mit der perfekten Balance zu den Umspielungen im Klavier ergeben eine nahezu perfekte Balance. Das wird nur dadurch erklärlich, dass die Solostellen mit Professoren des New England Conservatory oder aus dem Boston Symphony Orchestra besetzt werden.

Sehr beschwingt läuft das Presto ab. Dabei hat man nicht den Eindruck, dass trotz des erstaunlichen Tempos gehetzt werden würde. Man erreicht ein absolut professionelles Niveau, das manchen Profis zu wünschen wäre.

Der Klang der Aufnahme wirkt etwas flächig, also räumlich nicht besonders strukturiert. Das Klavier wirkt profilierter als das Orchester, was sich im Laufe des Stückes jedoch bessert. Der Gesamtklang ist nicht ohne Glanz.

 

4

Leonard Bernstein

auch Dirigent in Personalunion

Wiener Philharmoniker

DG

1971, Live

8:16 10:37 3:48 22:41

 

Hier liegt eine Live-Aufnahme des ORF vor, der nicht so recht an die professionellen Aufnahmen der Schallplattenfirmen heranreicht. Musikalisch liegt jedoch erneut, d.h. wie bereits 1946 und 1958 eine impulsive und vorantreibende Umsetzung des Notentextes vor. Der Klavierklang könnte man sogar als verbessert gegenüber der ´58er CBS-Aufnahme bezeichnen, denn das Scheppern ist nahezu gänzlich verschwunden. Das Klavier ist quasi aus dem New Yorker Hinterhof als Instrument der sog. Hochkultur etabliert worden. Leider klingt der Flügel deutlich weiter entfernt. Die Temporelationen sind prima, da gibt es kaum Unterschiede zu ´46 oder ´58. Bernstein treibt die Bläser hörbar an den Rand ihrer Virtuosität, besonders das Blech und da wieder besonders die Trompete. Die Wiederholung des bitonal gefärbten 1. Themas in der Trompete macht dem wohlerzogenen Philharmoniker aus Wien zwar hörbar Freude, aber auch Probleme. Die Glissandi in der Posaune sind hingegen voll überzeugend. Aufgrund der Halligkeit der ORF-Aufnahme kommt es bisweilen sogar zu leichten Überlagerungen. Mehr klangliche Trockenheit wäre der Aufnahme und dem musikalischen Endergebnis sehr zuträglich gewesen. Der Harfenklang kommt auch in dieser Live-Einspielung besonders schön an. Die Darbietung ist insgesamt Bernsteintypisch sehr kontrastreich. Das Hornsolo klingt exzellent, die Umspielungen der Bläser gefallen ebenso, sogar die technisch so schwierig zu greifenden Oktavierungen der Oboe machen offensichtlich keinerlei Probleme. Die Schlussstretta sollte man einmal gehört haben, da war der Ekstatiker wieder am Werk.

In Wien und nun vielleicht auch gereift lässt sich Mister Bernstein deutlich mehr Zeit für den zweiten Satz. Er formt den Klavierpart nun poetischer aus, dynamisch deutlich intensiviert. Im Anschlag (natürlich) ähnlich wie in der CBS-Aufnahme eher weich konturiert, aber auch nicht samtig. Dem Flügel wird erneut ein Rest vom Klang eines Klaviers in einer Bar mitgegeben. Das scheint Bernstein sehr wichtig zu sein. Manche Passagen wirken nun sogar deutlich verlangsamt gegenüber früher. Das wirkt freier aber auch sentimentaler. Bernstein wird im weiteren Verlauf zu einem Primus inter pares. Das hervorragend geblasene Englischhornsolo mit seiner fantastisch schönen Legato-Linie aber einem kernigen fast schon saxophonähnlichen Sound wird von Bernstein etwas zu laut umspielt. Für Feinheiten wie dieser bleibt bei Rundfunkdirektübertragungen oft keine Zeit und auch generell die Möglichkeit darauf einzugehen. Naturgemäß klingt es dann auch pauschaler als im Studio.

Im Presto kommen die kapriziösen Bläser der Wiener mit viel Spielfreude zum Zuge. Das Harfensolo ist leider ziemlich misslungen (8 T. nach Zf. 14). Bernstein (als Pianist und als Dirigent) wirkt hocherhitzt. Entsprechend auch das Orchester.

Die ist eine Einspielung mit viel Eigenprofil. Sie hebt sich noch deutlicher als die beiden anderen Bernstein-Einspielungen von der autorisierten Einspielung von Marguerite Long ab. Unsere bevorzugte Bernstein-Aufnahme ist die Studioaufnahme der CBS von 1958.

Leicht hallig, großräumig und dynamisch klingt die Aufnahme. Sie ist fast durchgängig mit Publikumsgeräuschen garniert. Die männlichen Huster dominieren übrigens deutlich. Sie wirkt lange nicht so knackig, präsent und transparent wie Bernsteins ´58er Jahrgang. Das Holz ist zu weit entfernt.

 

4

Basinia Schulman

Roland Freisitzer

The Moskow Orchestra

Classical Assembley

1995

7:53  7:49  4:25  20:07

 

Weder von der Solistin noch vom Orchester oder dem Dirigenten lässt sich viel in Erfahrung bringen. Selbst das Label scheint bisher nicht sonderlich in Erscheinung getreten zu sein.  Produziert wurde jedenfalls gewissenhaft, wenngleich ein unschöner Schnitt bei Zf. 4 stehen geblieben ist. Die Pianistin ist technisch versiert, sie bleibt dem ersten Satz nicht viel schuldig. Sie zeigt ein teilweise heißblütiges Spiel und auch der Kadenz fehlt nicht viel, wenngleich ein Achucarro noch mehr Nuancen hervorzaubern konnte. Das Orchester macht einen sehr guten Eindruck, selbst wenn es speziell für die Aufnahme zusammengezogen worden sein sollte, hat man ein glückliches Händchen bei der Besetzung der Bläsersolisten gehabt.

Im Adagio assai wird die Tempoanweisung in ein flüssiges Andante umgebogen, rekordverdächtig schnell. Die linke Hand erhebt die Beiläufigkeit zum Gesetz und man fragt sich, wie man aus dem zauberhaften Satz die Besinnlichkeit, Selbstreflektion oder Melancholie so restlos austreiben kann. Man fragt sich zudem, warum nicht noch ein Cembalo als Instrument gewählt worden ist, das wäre noch nähmaschinenhafter gewesen. Ab Zf. 1 kommt dann das Orchester sehr farbig und mit einer ganz ungewohnten Dominanz zu seinem Auftritt. Es kann die Stimmung natürlich rückwirkend nicht mehr retten, aber es fügt durch die hohe Dynamik immerhin ein gehöriges Maß an Dramatik hinzu. Ansonsten wäre der Satz geprägt von einer geradezu sinnentleerten Flüchtigkeit. Zumal das Klavier ohne jede Nuancierung in einem durch gespielt wird. Extrem nebensächlich und oberflächlich lässt es das Orchester über Gebühr und vorrangig in Erscheinung treten. Das ist so konsequent gemacht, dass man schon fast ein Konzept dahinter vermuten muss.

Im Presto verfährt man nun genau gegenteilig. Nun drückt man auf die Bremse. Die Musik klingt aber rhythmisch betont, gar stampfend. Das Orchester zündet erfolgreich ein Feuerwerk mit allerlei Raketen und deftigen Böllern aus der Gran Cassa. Teils bekommt der Satz sogar einen Dreh ins Marschartige. Der erste Weltkrieg war ein ganz entscheidendes Erlebnis für den Komponisten, aber ob er im dritten Satz seines Klavierkonzertes tatsächlich an einen Marsch gedacht hat, wollen wir lieber nicht beantworten. Seltsam unkonventionell das Ganze.

Der Klang der Aufnahme ist weiträumig und gut in die Tiefe hinein gestaffelt, recht transparent und mit einer frischen Dynamik ausgestattet.

 

4

Vanessa Benelli Mosell

Carlos Miguel Prieto

Royal Scottish National Orchestra

Decca

2019

8:25  8:56  3:47  21:08

 

Nach den Aufnahmen mit Fazil Say und Gabriela Montero ist dies die dritte, die der mexikanische Dirigent Carlos Miguel Prieto als Dirigent betreut. Die italienische Pianistin überzeugt im ersten Satz mit ihrem weichen, abgerundeten Klavierklang und durch ihr sehr geläufiges, ausdrucksvolles Spiel durchaus. Sie lässt sich genug Zeit, die lytischen Partien auszuformulieren und beachtet die Anweisungen des Komponisten auch in der Dynamik. Das Spiel erreicht jedoch weder das ungezwungen wirkende jugendliche Feuer der jungen Argerich, den höchsten Perfektionsgrad eines Zimerman, die Wucht eines Katchen oder die Brillanz und Differenzierungskunst von Anna Vinnitskaya ganz. Dem Orchester fehlt das freche, jazzige Element um vollauf zu begeistern.

Im zweiten Satz, den das Klavier zu Beginn ganz für sich alleine hat, klingt das Klavier ein wenig glanzlos, was der Stimmung noch entsprechen könnte. Obwohl die Dynamik ganz gut abschattiert wird, wirkt der Vortrag doch ein wenig einförmig. Mit der klaren Differenzierung der beiden Stimmen und der Verweigerung des Zusammenklangs wirkt die Klaviereinleitung zumeist viel lebhafter, interessanter und vielschichtiger (z.B. Benedetto-Michelangeli oder Hélène Grimaud). Darauf verzichtet Signora Benelli Mosell jedoch. Die Pianistin weiß sich generell gut zurückzunehmen, aber gerade bei der Umspielung des etwas trocken gespielten Englischhornsolos, spielt sie fast durchweg zu unsensibel und zu laut. Die anderen Holzbläser blasen ihre Soli sehr schön.

Gegenüber der frechen Argerich und erst recht gegenüber den „Jazzern“ Bollani, Bernstein und Grosvenor wirkt der Presto-Satz lange nicht so exaltiert-fröhlich. Es wird jedoch im großen Bogen gesteigert und die anfängliche Zurückhaltung lässt im Laufe des viel zu kurzen Satzes nach. Zwischen den Polen Baskisch/Französisch-Amerikanisch/Jazzig und Klassisch/Mozartisch betont Signora Benelli Mosell die Seite von der Mozart in das Werk Ravels hineinschaut am deutlichsten.

Der Klang der Aufnahme ist plastisch und offen, von hoher Transparenz und sehr guter Dynamik.

 

4

Ekatarina Mechetina

Vladimir Lande

Sibirian State Symphony Orchestra

Melodija

2021

8:30  8:20  4:00  20:50

 

Bei der Klarinette merkt man, dass Sibirian doch ziemlich weit weg vom New Yorker Hinterhof entfernt ist, das Tremolo kommt zu schwach und nicht überzeugt von seiner jazzigen Herkunft. Ansonsten überzeugt das Orchester mit einer sehr guten Dynamik, nicht zuletzt nimmt man auch das p sehr ernst. Der Klang des Klaviers wirkt ein wenig kühler als gewohnt, aber gut konturiert. Die Gitarrenanklänge werden deutlich gemacht und die Kadenz ist sehr gut durchhörbar.

Im Adagio assai hören wir ein zügiges Tempo und ein sehr gut dynamisch abschattiertes Spiel, das ein p von einem pp bestens zu unterscheiden vermag. Das ist viel weniger häufig der Fall wie man meinen könnte, so einfach sich das auch anhört. Diese Pianistin kann es. In Sachen Anschlagvaleurs macht sie hingegen, na sagen wir einmal nur das Nötigste. Ein wärmerer Klang wäre wünschenswert, aber da spielt vielleicht auch die Aufnahmetechnik nicht mit. Sie nutzt aber auch sehr wenig Pedal. Es ergibt sich wenig Klangzauber. Die Partiturtreue überzeugt auch beim Orchesterspiel völlig.

Im dritten Satz hören wir von der Pianistin ausgezeichnetes Staccato-Spiel, klar und brillant und überhaupt wird der Klavierpart mit einer Sauberkeit realisiert, die einen staunen lässt. Jetzt profitieren auch die Bläser von ihrer klanglichen Präsenz und lassen ein knackig-direktes Spiel hören. Ihre nationale russische Bläserschule, die man in den 60er bis 80er Jahren noch hören konnte ist weitgehend verschwunden. Da hat man den Sprung in die Weltoffenheit gewagt.

Der Klang der Aufnahme ist transparent. Die Studioaufnahme hat wenig natürlichen Raum, klingt aber auch nicht erbarmungslos trocken. Die Holz- und die Blechbläser sind sehr präsent und nah dran am Klavier und am Ohr der Hörenden. Die Gran Cassa klingt saftig.

 

4

Martha Argerich

Ernest Bour

Sinfonieorchester des SWF, Baden Baden

Classico Ivano, Doremi

1960

7:49  8:15  3:43  19:53

 

MONO  Die blutjunge Pianistin, die erst 1965 den Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau gewinnen sollte, war im Jahr dieser Aufnahme gerade einmal 19 Jahre jung. Das merkt man der Einspielung teilweise auch an, denn sie wirkt noch ein wenig weniger ausgewogen wie die Sternstundenaufnahme in Berlin 1967. Sie hatte mit Ernest Bour einen seinerzeit sehr geschätzten Ravel-Dirigenten an ihrer Seite. Das Orchester hält auch mit dem jugendlich-feurigen Gestus der Pianistin erstaunlich gut mit. Es hängt keineswegs so sehr im Schlepptau, wie das Pariser Conservatoire-Orchester hinter seinem Pianisten Samson Francois in der EMI-Aufnahme aus demselben Jahr. Das Orchester klingt auch recht deutlich, so wie es der Stand der Rundfunkaufnahmetechnik eben damals erlaubte. Z.B. das Tam-Tam bei Zf. 20 hört man glasklar. Auch die Bläsertremoli kommen pointiert. Die Pianistin hält sich mit ihrem Temperament kaum zurück. Bei Zf. 10 wird der Tiger freigelassen, da geht schon einmal richtig „die Post“ ab. Die Kadenz spielt sie hingegen ausgesprochen gefühlvoll. Sauber und plastisch spielt sie immer. Ab Zf. 29 Tempo primo wird erneut der feurige Tiger rausgelassen, aber auch das subito p spielt ihr so schnell keiner nach. Auch die Trompete sollte ein Extralob erhalten.

Das Rauschen und ein gewisser Grauschleier wirken im leisen langsamen Satz deutlicher als zuvor. Offensichtlich wurde das Mikro eigens weiter aufgedreht. Der Klavierklang wirkt nun topfiger als es im bewegten schnellen Satz zuvor aufgefallen war. Die Pianistin hebt die rechte Hand deutlich hervor und umgeht so ein Dominieren der monotonen linken Hand, die hier als bloße Begleitung deutlich in die Schranken gewiesen wird. Dynamische Vorschriften werden minutiös beachtet, besonders bei der Pianistin, aber später auch vom Orchester. Das bedeutet hier auch, dass das ff voll ausgefahren wird. Das Englischhorn, damals noch schalmaienhaft-urig kommt trotz Mono-Technik deutlich heraus und schon damals begleitet die Pianistin sehr anschmiegsam und zurückhaltend, lässt ihm den Vortritt. Sie nimmt ihr p völlig uneigennützig sehr ernst. Nur das Grau des Klangs nimmt der Szenerie die leuchtende Farbigkeit und das Stumpfe nimmt dem Zauber die Brillanz.

Im Presto gehen die jungen Pferde der Pianistin noch einmal ein wenig durch, sonst wäre es kaum zu erklären, dass sie aus ihrem p ein ff macht. Dieses Feuer ist dann auch kaum noch einzudämmen. Der Steigerungsbogen wirkt so jedoch recht abgeflacht. Zu Beginn bereits zu hoch gepokert. Aber keine Frage, da brach sich ein Jahrhunderttalent Bahn. Übrigens: In der Aufnahme mit Jacek Kaspszyk verfuhr sie später ganz ähnlich, vielleicht aus einer spontanen Wallung heraus? Das Orchester schlägt sich wacker und geht gut mit.

Der Klang ist leider die Crux bei der Einspielung. Das Rauschen ist kontinuierlich mittellaut um im langsamen Satz lästiger zu werden. Das Grau der Farben haben wir bereits angesprochen. Andererseits haben die Techniker viel versucht, um sogar schon eine gewisse Tiefenstaffelung zu erreichen, das klappte sogar im Ansatz, nur dass sich die Instrumente sozusagen genau in der Mitte relativ dicht hintereinander aufreihten. Und es gelang, die Partitur komplett hörbar zu machen, was sicher auch der tollen Instrumentierung Ravels geschuldet ist. Es handelt sich anscheinend um eine Studio-Aufnahme, denn es sind keinerlei Publikumsgeräusche zu hören. Ein sehr interessantes Dokument.

 

4

Ivan Moravéc

Jiri Belohlavek

Prague Philharmonia

Supraphon

2003, Live

8:30  9:02  3:50  21:22

 

Der tschechische Pianist war dem Werk eng verbunden, denn es existieren noch eine Live-Aufnahme mit der Tschechischen Philharmonie und Juri Simonov und eine Video-Aufnahme mit demselben Orchester und Vaclav Neumann, von denen uns noch nicht einmal die Aufnahmedaten bekannt sind. Es sollten frühere Aufnahmen sein, denn bei der uns vorliegenden war der Pianist bereits stolze 73 Jahre alt. So verwundert es vielleicht auch nicht, dass er nur ein gezügeltes Temperament an den Tag legt. Teils spielt er sogar so langsam, dass man fast mitschreiben könnte. Das bringt den Vorteil mit sich, dass einem kein Detail entgeht, das sonst vielleicht einmal unter die Räder kommt. Sein Spiel wirkt artikulatorisch „gesetzt“ und er lockert sein Spiel kaum mit Anschlagsvarianten auf. Die Kadenz wirkt sogar ein wenig diffus, denn er unterscheidet recht wenig zwischen Melodie, Umspielung und Trillerkette. Bei Zf. 29 wirkt sein Tempo primo ohne Zug, fast schon träge. Die Inspiration seiner aus Ungarn stammenden späteren „Landsfrau“ Eva Bernátova vermisst man genauso wie den gallischen Esprit. Da konterkariert auch Belohlaveks Dirigent nicht viel.

Vergleichsweise flott geht Herr Moravec hingegen das Adagio assai an. Nun gestaltet er sehr differenziert, mit einem klang- und glanzvollen p-Klang. Da hört man den Könner ganz deutlich durch. Er gefällt nun viel besser als im ersten Satz, zudem spielt das Orchester ausdrucksvoll und mit viel Wärme. Der dritte Satz bringt einen temperamentvollen Abschluss.

Der Klang der Aufnahme bietet eine gute Staffelung auch in die Tiefe und eine zumeist gute Transparenz. Diese ist allerdings nicht gleichbleibend. Das Klavier steht prominent im Mittelpunkt, das Orchester wirkt linkslastig, denn Holz, Blech, Schlagzeug, die Violinen und das Klavier scheinen alle links positioniert gewesen so sein. Kaum vorstellbar, dass man so ein Orchester auf dem Konzertpodium aufstellt. Viel wahrscheinlicher ist ein Fauxpas im Mischpult und eine laxe Kontrolle beim Abhören.

 

4

Philippe Entremont

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS-Sony

1964

8:28  8:37  3:59  21:04

 

Die Einspielung von Philippe Entremont, der in den 60ern viel mit Ormandy und Bernstein zusammen aufnahm, ist stilistisch das genaue Gegenteil der Einspielung El Bachas. Hier spielt der Pianist vergleichsweise aufdringlich und großsprecherisch, dicht am Ohr seiner Zuhörer:innen zu Hause. Und laut, sehr laut. Das Orchester spielt erneut in der Luxusklasse. Es beginnt schon überfallartig, sodass man sich an Geshwins „Der Amerikaner in Paris“ erinnert fühlt, der allerdings erst in einigen Jahren das Licht der Welt erblicken sollte. Mitten in den Großstadtdschungel hineingeworfen, es fehlen nur noch die Autohupen.  Das Instrumentalkolorit der Komposition wird so etwas überzeichnet oder auch meisterhaft nachgezeichnet, je nachdem, welchen Betrachtungswinkel man einnehmen möchte. Das Orchester pfeffert seine Soli nur so heraus. Dynamisch, rasant, virtuos. Dieses Spiel versucht der Pianist aufzugreifen, aber sein Klang wird dabei sehr hart, sein Zugriff wirkt derb. Nicht ohne Unebenheiten, die vielleicht der Rasanz geschuldet sein mögen. Das Harfensolo (mit dem Status einer Kadenz) füllt die ganze linke Seite aus, man gönnt ihr ein Spiel im Spotlight. Die drei Violoncelli, die sie unterlegen, hört man nirgends so deutlich wie in Philadelphia. Das Hornsolo wird bestens austariert.  Wie erwartet poltert der Pianist bei Zf. 29 Tempo primo bereits im f los. Bekanntlich sollte hier p gespielt werden. Effektvolles Spiel, das sich rasanter anhört als es ist. Partiturtreue scheint ihm Nebensache. Vom Gestus her besonders „amerikanisch“, aber viel weniger „jazzy“ als bei Bernstein. Ravel mit dem Achtzylinder-Chevy sozusagen statt im Oldtimer.

Monsieur Entremont spielt zu Beginn des langsamen Satzes gewiss kein p. Sein Tempo ist eher ein Larghetto als ein Adagio assai. Er zeigt aber seine gefühlvolle Seite und schattiert im Folgenden ganz gut ab. Die linke Hand, die „Walzerbegleitung“, klingt bei ihm ziemlich plump. Insgesamt wirkt der Klavierklang etwas spröde, was zum Teil sicher auch der Aufnahmetechnik anzulasten wäre. Das Englischhornsolo klingt ebenfalls laut, wird aber nicht laut geblasen, sondern technisch quasi herangezoomt. Da kann Herr Entremont ohne sich anstrengen zu müssen, denn leise zu spielen ist nicht gerade „sein Ding“, locker drunter bleiben.

Das Presto startet ebenfalls nicht im p, daran sind wir mittlerweile schon gewöhnt. Das Orchester begegnet uns wohlgelaunt, zeigt mit viel Freude seine Virtuosität, wunderbar freche Glissandi setzen dem extrovertierten, schwungvollem Spiel die Krone auf. Auch hier dürfen wir an einer flotten Fahrt mit einem hubraumstarken Achtzylinder teilnehmen. Das klingt alles ein wenig zu „Big“, macht aber trotzdem viel Spaß. Diese Einspielung ist besonders oder wegen der Orchesterleistung auch heute noch hörenswert.

Der Klang der Konkurrenz im eigenen Label, die 58er Bernstein-Einspielung, klingt ungleich transparenter und besser aufgelöst. Das Orchester in Philadelphia sitzt irgendwie viel dichter und enger zusammengedrängt aufeinander, so suggeriert es der Klang. Das bessert sich, sobald der Orchestersatz lichter wird. Der Gesamtklang ist sehr dynamisch und unmittelbar, sehr farbig, wirkt jedoch wie Breitwandkino, also eher schlecht gestaffelt und eher wenig idiomatisch für das Werk. Präsenz und Schlagkraft wirken ganz speziell, eben typisch „Philadelphia Orchestra“ und typisch „Ormandy“. Trotzdem: Immer noch faszinierend.

 

4

Alexis Weissenberg

Seiji Ozawa

Orchestre de Paris

EMI

1970

8:33  9:30  3:54  21:57

 

Seiji Ozawa ist mit der 2007er Einspielung für die DG gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern für eine der besten Darstellungen des Orchesterparts mit verantwortlich. Davon kann man bei seinem 1970er Jahrgang mit dem Orchestre de Paris nicht reden. Er selbst beginnt die Zugfahrt ziemlich bedächtig, wenn man im Bild bleiben will, ist in der Dampflok noch nicht genug Wasserdampf im Kessel. Es fehlt der Druck. Den Klangpart haben wir schon mit einem klareren Anschlag und fokussierter gehört. Schnelle Finger und eine behände Phrasierung lassen sich dem Pianisten jedoch kaum absprechen. An die Vorgänger-Aufnahmen bei EMI kommt er nicht ganz heran (Benedetti-Michelangeli 1957 und Samson Francois 1960). Die Kadenz wird von den Trillern beherrscht, die Melodie und die Umspielungen treten weit zurück. Ab Zf. 29 geht es bei Weissenberg besonders rasant weiter, nun sitzen wir in einem modernen Zug mit „Hyperschall“-Antrieb, naja zumindest in einem Schnellzug, bei dem Ozawa in der Schlussstretta noch gehörig eins draufsetzt.

Im langsamen Satz arbeitet Monsieur Weissenberg die Unabhängigkeit der Stimmen sehr gut heraus, der Anschlag wirkt jetzt weich und zart, aber auch ein wenig teigiger als bei Arturo Benedetto (oder bei Zimerman). Das Legato könnte noch mehr gebunden werden, dann wäre die Stimmung noch intimer. Auch das Englischhorn wirkt letztlich zart, nicht zuletzt, weil es sehr weit weg vom Klavier intoniert wird. Da Weissenberg sein p auf ein Minimum reduziert, sind beide gleichermaßen gut hörbar, das Duo klingt so stimmig. Leider gesellt sich nun mit dem in der Relation zum (sehr leisen) Nutzsignal der Musik ein dritter Partner hinzu: das Rauschen.

Im Presto kommen die Bläsersoli zwar klanglich profiliert, wir haben sie jedoch schon viel frecher intoniert gehört. Die klangtechnische Distanzierung trägt das Ihrige dazu bei. Das Klavier haben wir im dritten Satz schon glanzvoller gehört.

Das Orchester spielt wie so oft bei den EMI-Aufnahmen aus Paris in jener Zeit in einem sehr weiten Halbrund und zudem ziemlich eingehallt. Die Instrumente werden bei weitem nicht so umrissscharf abgebildet wie 2007 in Berlin, aber auch nicht so klar wie in den genannten EMI-Vorgängeraufnahmen von 1957 und 1960. Das Klavier wirkt wie wattiert, das Holz sitzt eng beisammen, da, wie in Prag bei Moravec, allesamt links platziert erscheinen. In Paris sitzt das Blech immerhin rechts. Im Ganzen weniger gut konturiert und leicht nebulös. Das war 1957 und 1960 besser. Wir haben zwar keine Hinweise gefunden, dass es sich bereits 1970 um eine Quadroaufnahme gehandelt haben könnte, aber ähnlich hört sich die ehemals als originale Quadroaufnahme produzierte Aufnahme an, die vier Jahre später mit Ciccolini und Martinon ebenfalls von EMI in Paris eingespielt wurde. Davon weiter unten mehr.

 

4

Daniel Varsano

Andrew Davis

Philharmonia Orchestra, London

Pro Arte

1984

9:10  9:35  4:20  23:05

 

LP  Von dem französischen Pianisten weiß man heutzutage nicht mehr viel. Er konnte nicht viele Tonträger produzieren, denn er ist bereits 1988 im Alter von 34 Jahren an AIDS gestorben. Andrew Davis hingegen wird 1987, also drei Jahre später, das Konzert erneut mit Tzimon Barto aufnehmen. Die Gangart im ersten Satz wirkt auffallend gemächlich, ungezwungen, „ohne Stress“ und Aufregung wendet sich der Pianist locker den Details zu. Das Muntere, das mit  „Allegramente“ ja auch gemeint ist, tritt so etwas in den Hintergrund zugunsten einer innigeren Reisebeschreibung, wahrscheinlich der damals tatsächlich erreichbaren Geschwindigkeit durchaus angemessen. Andrew Davis scheint sich seinem Pianisten flexibel anzupassen, denn diesmal dauert die Fahrt eine Minute länger als mit Tzimon Barto als Maschinist.

Die Klavier-Solo-Einleitung wirkt etwas monochrom und einfach gestrickt, dynamische Schattierungen wirken nicht besonders ausgeprägt, ein verlebendigendes Rubato fehlt weitgehend. Das Hervorheben eines tänzerischen Charakters (Walzer) unterbleibt auch. Das Duo mit dem Englischhorn leidet etwas unter dem zu leise ins Bild kommenden Blasinstrument und dem im Verhältnis dazu zu lauten Klavier.

Der dritte Satz ist zugleich auch der dritte im Bunde, der ein zurückhaltendes Tempo verpasst bekommt. Behäbig wirkt es jedoch noch nicht, aber eben auch ohne loderndes Feuer. Ohne die pianistischen Fähigkeiten gering schätzen zu wollen, ist der dritte Satz zu den beliebiger sich anhörenden zu zählen. Die rhythmische Akzentuierung ist gut und die Bläser klingen voll und rund.

Die Aufnahme klingt offen, transparent, gut in die Breite und weniger gut in die Tiefe gestaffelt und recht präsent. Die Oberfläche der LP wirkte sehr ruhig.

 

4

Francois Dumont

Leonard Slatkin

Orchestre National de Lyon

Naxos

2015

8:22  9:24  4:03  21:49

 

High Res-Download  Auch Leonard Slatkin lässt den Triangel zu Beginn vier Mal schlagen. Der Pianist mit seinem angenehm klaren und brillanten Klang nutzt die dynamische Palette weitgehend aus. Das Orchester geht zum Teil recht großzügig mit den Angaben Ravels um. Während des Hornsolos wechseln sich Fagott, Flöte, Piccoloflöte, von Ravel Ottavino genannt, mit gleichlautenden Umspielungen ab, die sollten alle gleich laut spielen und alle p, das wurde in Lyon nicht gut aufeinander abgestimmt. Ausgerechnet die Oboe mit den technisch schwierigen Oktavierungen spielt p, bei ihr sollte es ein jedoch mf sein. In der Klavierkadenz erscheinen die drei Ebenen (Trillerkette, Melodie, Umspielungen) gut abgewogen. Das Orchester macht generell einen guten Eindruck, die Feinheiten der Details hätte der Küchenchef jedoch besser „abschmecken“ können.

Das Adagio assai wirkt in dieser Einspielung etwas zu langsam, das Legato mit den Bindungen funktioniert jedoch gut, d.h. die Töne reißen nicht ab, der Klavierklang wirkt schön, weich aber nicht mulmig. Das Duo mit dem Englischhorn, dem etwas mehr Fülle gut anstehen würde, wirkt gut abgestimmt. Sehr schön gelingt das langsame Verschwinden aus dem Satz.

Im Presto beachtet Monsieur Dumont das p zu Beginn sehr gut, während sich das Orchester nicht immer so hellhörig erweist. Nicht nur sein ff wirkt zurückhaltend, sodass sich der Satz fast wie ein schattenhafter Geistertanz anhört. Mit einem Maskenball hatten wir ja auch schon geliebäugelt. So klammheimlich hörte er sich allerdings bisher noch nicht an. Nichts mit einem orchestralen Leuchtfeuer von Holz und Blech. Der Spuk wirkt wenig überdreht. Eine insgesamt neutral wirkende Darstellung, die stilistisch weder die Elemente der französischen, baskischen, amerikanischer oder mozartischen Musik hervorhebt. Der Pianist überzeugt mehr als das Orchester.

 

4

Klara Würtz

Theodore Kuchar

Janacek Philharmonic Orchestra, Ostrava

Berlin Classic

2008

8:14  9:14  3:55  21:23

 

Das Klavier von Klara Würtz der Ehefrau des Besitzers von Brilliant klingt kaum einmal richtig p. Die poetischen Passagen wirken seltsam ungegliedert, die Staccato-Partien liegen ihr ungleich besser, denn sie verfügt über einen kräftigen, farbigen Anschlag, dem nichts teigiges eigen ist. Das Hornsolo lassen die Slowaken recht laut klingen, es sollte im Wesentlichen p sein. Die Kadenz gelingt der Pianistin gut austariert, wobei die Trillerkaskade nicht sonderlich brillant wirkt. Die abschließende Stretta hat ordentlich Zug, wobei sich der Klang des Orchesters leicht verdichtet.

Die Klaviereinleitung des langsamen Satzes erklingt nicht im Flüsterton, immer im vollen Klang, hat also weder eine schattenhafte noch eine besinnliche oder melancholische Note. Die Stimme der linken und rechten Hand klingen immer zusammen als Akkord, sie werden also nicht explizit getrennt. Das Klavier wirkt so wenig variantenreich, bei einer allerding gut beachteten Dynamik. Auch beim Duo mit dem Englischhorn stimmen die dynamischen Relationen. Das Englischhorn selbst klingt jedoch wenig warm, farbig, weich oder anschmiegsam. Da klingt noch die Schalmei durch. Eine schwere Hypothek für den Klangzauber.

Auch das Presto beginnt wieder einmal zu laut. Hier ist die Verführungskraft des f anscheinend einfach zu groß. Man will ja als Pinist:in gut dastehen oder noch besser groß rauskommen. Gerade am Satzanfang, genau wie am Schluss. Die dynamischen Unterschiede schwinden so aber bei Klara Würtz auf ein Minimum. Auch die Holzbläser lassen teilweise die Partiturtreue vermissen. 4 T. nach Zf. 14 gefällt das Blech jedoch durch gute Pointierung.

Sehr hoher Aufsprechpegel. Da ist von vorne herein ein p schon ein mf. Entsprechen wenig kontrastreich bleibt die Dynamik tatsächlich. Das Klavier steht immer deutlich vor dem Orchester (es spielt ja auch die Frau vom Chef). Die Violinen bleiben wenig warm. Das Holz ist deutlich vor dem Blech positioniert. So wie in Natura. Insgesamt eine modern und gut proportionierte Aufnahme. Selten genug wird eine Aufnahme von Brillant einmal bei einem anderen Label veröffentlicht.

 

4

Francois René Duchable

Michél Plasson

Orchestre du Capitole de Toulouse

EMI

1995

8:13  9:45  3:54  21:54

 

Der französische Pianist wurde zwei Mal zu Aufnahmen der Klavierkonzerte Ravels herangezogen. Die ist nach der Genfer Einspielung mit Armin Jordan von 1986 für Erato seine zweite Einspielung. Diese übertrifft die erste vor allem klanglich deutlich aber auch musikalisch wirkt die neuere lebendiger.

Michel Plasson lässt das Orchester bereits mit einem getriebeneren, dringlicheren Impetus beginnen. Es wirkt temperamentvoller und griffiger. Dem schließt sich auch die Spielweise des Pianisten an. Das Orchester zeigt in dieser Aufnahme ein sehr hohes Niveau, weiß „seinen“ Ravel mit eloquenten Soli zu spielen. In der Kadenz spielt Monsieur Duchable erneut schöne Trillerketten, vernachlässigt dabei aber Melodie und Umspielung ein wenig. An Zf. 29 Tempo primo geht es drängender voran als in Genf. Die Partnerschaft mit Michel Plasson wirkt auch auf den Pianisten anscheinend befeuernd. In Toulouse schlagen die Wellen ungleich höher als am Genfer See.

Der langsame Satz erwies sich in der Einspielung von 1986 als Problem. Allzu glatt und einfallslos wirkte der Klavierpart heruntergespielt. Diese Mal spielt der Pianist erneut als würde es sich um eine Etüde für Anfänger handeln. Erneut denkt der Pianist beide Hände zusammen, entsprechend langweilig klingt es auch. Und gewöhnlich. So kann sich nur ganz wenig Zauber einstellen. Beim Orchester sieht es hingegen besser aus. Es verbreitet mit einigem Engagement eine sinnliche Stimmung. Das Klavier kann auch im weiteren Verlauf des Satzes nicht recht begeistern, es klingt erstaunlich lasch und schlapp. Sicher wie bereits 1986 mit irgendeinem Konzept, dem wie uns jedoch nicht so recht anschließen können.

Im Presto sind mehr Kraft und Ausdruck mit von der Partie als 1986. Wir hören prononciertes Spiel, viel drängender auch beim Orchester. Was für ein guter Steigerungsbogen! Wäre der weniger als laue zweite Satz nicht, wäre eine 4-5 locker drin gewesen.

Es klingt nun auch erheblich präsenter und dynamischer, praller als beim Orchestre de la Suisse Romande, Armin Jordan und Erato. Auch transparenter und brillanter aber lange nicht mehr so räumlich weit ausgreifend. Ein wenig seltsam ist, dass das Klavier wie in einem eigenen Raum zu spielen scheint. Die Gran Cassa bringt nur wenig Wucht mit ein.

 

4

Georges Pludermacher

Jean-Claude Casadesus

Orchestre Philharmonique de Lille

Harmonia Mundi

1992

8:02  8:40  4:03  20:45

 

Zu Beginn wirkt die Trompete (ab Zf. 2) nicht ganz präzise und der Klavierpart ein wenig beiläufig, das bessert sich im Verlauf zwar, aber richtig prägnant erscheint er nicht. Ein leicht flüchtiger Gestus bleibt erhalten. Das Orchester wirkt pastellfarben und sehr leichtgewichtig (ein Gestus, der auch dem Klavier eigen ist), mit einer nonchalanten Eleganz. Das Klavier klingt zudem ein wenig nähmaschinenhaft, bleibt aber die letzte Präzision schuldig.

Die Klaviereinleitung zum Adagio assai, deutlich zügiger als bei Duchable wird ebenfalls einfach nur durchgespielt, ohne Finessen und uninspiriert wirkt sie wie „leergefegt“ in einem leichten, total unverbindlichen Klang. Das Orchester wirkt dagegen im weiteren Verlauf viel ausdrucksvoller. Das Englischhornsolo, klanglich wenig überzeugend und schon gar nicht luxuriös, verbindet sich durch das zurückhaltende, nun empfindsamer wirkende Klavierspiel immerhin zu einem passablen Duo.

Der dritte Satz, der ein Klavierspiel ohne besonderen Aplomb zeigt, überrascht mit einem ausgezeichnet hörbaren Harfensolo. Das werden vielleicht jetzt fünf Einspielungen sein, die es gut hörbar werden lassen. Pludermacher entpuppt sich als ein „Leisespieler“ mit guter Technik, als eine Art „Antivirtuose“. So als wolle er hier auf leisen Sohlen geheime Botschaften verteilen.  Eine schlanke schleichende Raubkatze ohne Zähne. In diesem Sinne eigenständig und nicht unsympathisch.

Schlank, leichtgewichtig und luzide, aber auch farbschwach präsentiert sich der Klang der Aufnahme. Er scheint zu schweben, was auch an dem fehlenden Bassfundament liegen könnte. Das Klavier bietet selbst im ff keinen echten Widerpart zum Orchester, obwohl auch das wenig klangsatt klingt.

 

4

Kun Woo Paik

Gary Bertini

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Pro Arte, Orfeo

1982

8:22  8:58  4:08  21:28

 

LP  Der Orchesterpart erfährt in dieser Einspielung eine gewisse klangliche Aufwertung gegenüber dem Klavierpart. Das hat mehr Nachteile als Vorteile. Das Orchester spielt, obwohl ein Roger Norrington erst in weiter Ferne wartet, sehr schlank. Dennoch überdeckt es das Klavier punktuell. Der koreanische Pianist spielt technisch sehr versiert, der Ausdruck hält sich der klangtechnischen Rolle gemäß, die es in dieser Aufnahme zu spielen hat, zurück. Das Klavier steht im allerdings farbigen Schatten des Orchesters. In der Aufnahme, die der Dirigent für den WDR drei Jahre später mit Martha Argerich aufnahm, trifft er auf eine persönlichkeitsstarke Pianistin, die ihren Part mit mehr Überzeugung verteidigt.

Auch bei Kun Woo Paik klingt der langsame Satz ziemlich neutral. Einfallslos spielt auch er nur die richtigen Noten in der richtigen Länge. Jede Innigkeit geht seinem Spiel ab und auch das Orchester klingt matter als erwartet. Das Englischhorn-Klavier-Duo sticht angenehm heraus, es wird mit viel Gefühl und klangschön geblasen und die perlende Brillanz des Pianisten erscheint im passenden Maß untergeordnet.

Das Presto klingt entspannt, fast lässig-verspielt. Die Bläser spielen sehr deutlich und akzentuiert. Über weite Strecken gefällt das Orchester, fast durchweg sogar, besser als das Klavier.

Das Klavier erscheint ins Orchester eingebettet, also nicht vorgezogen. Es wirkt so präsenter als das Klavier. Es kann seiner kompositorischen Rolle so nicht gebührend gerecht werden. Das Orchester selbst ist gut durchhörbar, besonders der Streicherapparat klingt außergewöhnlich differenziert.

 

4

Andrew Litton

auch Dirigent in Personalunion

Bournemouth Symphony Orchestra

Virgin

1989

8:34  9:56  3:52  22:22

 

Der klavierspielende Dirigent liefert eine betont weiche, entspannt wirkende Lesart des ersten Satzes. Sein Klavierklang betont so die lyrisch-poetische Seite deutlich. Seinem noch gerade nicht stumpfen Anschlag fehlt es jedoch entschieden an Brillanz, den zweifellos reich vorhandenen perkussiven Passagen an Biss. Gerade wenn man bedenkt, dass das Orchester mit einem Teilzeitdirigenten auskommen muss, muss man seine Leistung loben. Die Kadenz spielt der dirigierende Pianist langsamer als sonst, vor allem aber bedächtiger, anscheinend damit ihm kein Fehlgriff passiert. Klanglich wirkt sie gut. Zweifelsohne ist Mister Litton ein guter Pianist. Insgesamt fehlt es dem Satz jedoch an der kaleidoskopischen Farbenpracht und an der motorisch bewegten Dringlichkeit.

Im langsamen Satz, der tatsächlich seinen Namen verdient, scheint der Pianist einseitig auf den schönen Klang fixiert zu sein. Er zeigt sich nachgiebig im Tempo, dynamisch gut aber ohne agogische Finessen. Insgesamt bewegt er sich deutlich im leisen Bereich. Sowohl im Klavier als auch im Orchester wird mit viel Wärme gespielt. Mit zunehmender Dauer wird der Satz aber zu einem laschen, antriebslosen Stück, das wie ein Meditationsobjekt wirkt. Ecken und Kanten werden weggespült. Der besondere Zauber bleibt auf der Strecke. Das Englischhornsolo könnte kaum schöner klingen, aber die Spannung hängt nicht nur bei dieser Passage durch. Kunstgewerblich?

Beim Presto zeigt der Pianist Litton seine beträchtliche Virtuosität, auch die Spielweise des Orchesters wirkt souverän und locker, offenbart hohe Qualitäten. Es spielt immer durchsichtig und präzise. Im Ausdruck wirkt es jedoch stark gebändigt und trotz des Tempos klingt es einem Divertissement ähnlich unverbindlich. Da trifft man sich mit Ravels ursprünglicher Absicht der Benamung seines Konzerts als: „Divertissement“. Nur ist er von dem Titel abgekommen.

Der Klang der Aufnahme wirkt räumlich, recht warm und transparent. Das Klavier steht nicht gerade an vorderster Stelle und wirkt auch nicht so sehr präsent. Das Orchester klingt gut aufgefächert wirkt aber noch ein Stückchen weiter zurückgesetzt. Die Gran Cassa hat ordentlich „Wumms“.

 

4

Anne Queffélec

Alain Lombard

Orchestre Philharmonique de Strasbourg

Erato

1975

7:58  9:29  3:54  21:21

 

Die Pianistin mit dem bretonischen Namen war unter anderen Schüler bei Alfred Brendel. Sie spielt erheblich vorantreibender und virtuoser als ihr Landsmann Pludermacher, mit mehr f und ff, jedoch ebenfalls mit einem eher gedeckten als brillantem Klang. Im Orchester fällt die Hervorhebung des Tanbouro auf (Militärtrommel). Wenn im Gegenzug nicht die Trompete so hintergründig und weit entfernt ins Bild käme, sondern ebenso prominent wie das Schlaginstrument, man käme auf die Idee, dass das Militär in diesem Satz eine größere Rolle zu spielen hätte. Im Verlauf wird die Trompete dann auch noch präsenter. Das Orchester hinterlässt einen guten Eindruck, spielt präziser als man es mit demselben Dirigenten kennt, Sogar die Blue Notes und Posaunenglissandi kommen überzeugend. Die Violinen sind nicht ganz champions league reif.

Im zweiten Satz wirkt der Klavierklang weich und gerundet aber auch stumpf und wie in Watte gepackt. Die Pianistin verwechselt entspannt und defensiv nicht mit lasch und langweilig auch ohne das rhythmische Gegeneinander der beiden Stimmen zu verdeutlichen. Ihre recht flexible Dynamik zeugt von einer gewissen Empathie. Die Holzbläsersoli sind nicht vom Feinsten.

Im Presto könnte die flotte Motorik für unsere Ohren ein wenig mehr wilde Virtuosität vertragen, sowohl beim Flügel, als auch beim Orchester.

Der Klang ist mäßig transparent, räumlich großzügig bemessen, wenig luftig und wenig brillant, aber mit analoger Wärme versehen. Klavier und Orchester sind in guter Relation abgebildet. Ein leichtes Rauschen fällt nur im 2. Satz auf. Insgesamt könnte es etwas farbiger klingen.

 

4

Boris Krajny

Jiri Belohlavek

Prager Sinfonieorchester

Supraphon

1984

8:35  9:31  3:54  22:00

 

Dem Klavierspiel Boris Krajnys haftet etwas Robustes aber auch Hölzernes an. Der Klavierklang als solches ist gut. Das Orchester spielt deutlich, es will sich aber keine Ravel-Stimmung einstellen.  1965 gab es diese „Sprachschwierigkeiten“ in der Aufnahme mit Bernátova und Smetacek nicht. Die Violinen klingen seifig, das Schlagzeug teilweise schrill.  Die Kadenz wirkt etwas undeutlicher als von den meisten Einspielungen gewohnt.

Im Adagio assai klingt das Klavier wenig elegant, das Englischhorn lässt ab T. 1 nach Zf. 2 ein „Meckervibrato“ hören, während es im großen Solo auf dergleichen verzichtet (ein Glück!). Das Orchester spielte unter Smetacek 1965 generell besser. Der Gestus im zweiten Satz schrammt nahe an der Langeweile entlang.

Im Presto wirkt das Orchester aufgeweckter, die Gran Cassa erschien uns sogar als die lauteste des gesamten Vergleichs. Das Fagott lässt sehr laute Klappengeräusche hören. Die Gran Cassa ganz am Schluss übertrifft sich dann sogar noch selbst mit einem (mindesten) dreifachen f. Da sollte man eine Sturmversicherung für das Eigenheim abgeschlossen haben und sich in einer Wohnung auf  klopfende oder besorgt klingelnde Nachbarn einstellen.

Der Klang der Aufnahme ist trocken, enorm präsent und recht hart, jedoch sehr transparent und enorm dynamisch. Die Gran Cassa spielt extrem heftig.

 

4

Michael Rische

Israel Yinon

WDR Sinfonieorchester Köln

Arte Nova

1999

8:36  9:28  3:55  21:59

 

Michael Risches Klavierspiel zeigt einen erstaunlich geringen Unterschied von p und f. Sonderlich souverän kommt es uns auch nicht vor. In der Kadenz könnten die verschiedenen Ebenen plastischer herausgearbeitet werden. Das Orchester macht einen recht gut vorbereiteten Eindruck, es spielt einerseits nicht ganz perfekt, andererseits schreckt es vor dem vollen Ausspielen der Jazz-Elemente auch nicht zurück. (Tremoli und Glissandi der Bläser in f und ff ).  Die Schusssteigerung wird nicht schlecht aufgebaut, klingt aber auch nicht überragend.

Der zweite Satz enttäuscht nicht, ist aber in diesem Umfeld auch keine pianistische Offenbarung. Es werden immerhin ein paar Bläserstimmen offengelegt, die sonst eher untergehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Presto. Pianistisch und orchestral gut.

Der Klang ist transparent und offen, eher fein gestrickt als saftig. Es wurde eine gute Balance gefunden zwischen Klavier und Orchester. In Anbetracht des Aufnahmedatums könnte das Klavier brillanter klingen.

 

4

Monique Haas

Hans Schmidt-Isserstedt

Sinfonieorchester des NDR, Hamburg

DG

1948

7:39  8:40  3:59  20:18

 

Dass man die Trompetenstimme mit einer Deutschen Trompete spielen lässt, fällt sofort auf. Es ist das einzige Mal, dass keine Trompete der französischen Bauart (oft gerade in Deutschland auch „Jazztrompete“ genannt) genutzt wurde,zumindest hatten wir diesen Eindruck. So klingt die Trompete hier ganz besonders weich, aber leider auch wenig genau. Das Spiel der Pianistin, deren zweite Einspielung von 1965 aus Paris uns klanglich und vom Orchester her deutlich besser gefiel, zeigt sich weniger subtil. Sie spielt mehr auf die große Linie bedacht, ohne die Details zu vernachlässigen. Sie scheut nicht davor zurück, das Klavier auch als Percussion-Instrument zu benutzen. Ihr Staccato wirkt dezidiert. Die Kadenz der Harfe bekommen wir in Großaufnahme serviert. Bei Zf. 29 Tempo primo spielt sie 1948 weniger vorantreibend, eher kühl, sie beginnt aber wie gewünscht sehr leise.

Den zweiten Satz versucht Madame Haas nicht interessanter zu machen. Ihr Fehlgriff in Takt 12 blieb unkorrigiert. Der Klang des Klaviers ist keinesfalls blechern, sondern bereits erstaunlich klar und rund. Eine zauberhafte Stimmung wird jedoch nicht hervorgerufen, vielleicht liegt damals auch klangtechnisch so relativ kurz nach dem Krieg noch zu viel im Argen. Das Englischhorn klingt noch schalmaienhaft, wird aber zurückhaltend gespielt, die Triller klingen noch uneben. Da liegt noch wenig Duft, wenig Aroma in der Luft.

Dem Orchester merkt man gerade im dritten Satz an, dass das Werk viel von ihm verlangt, ihm fehlt die Clarté. Madame Haas ist von den Schwierigkeiten wenig irritiert, sie artikuliert mit makellosem Feinschliff und tollem Zugriff. Eindeutig ihr bester Satz von den dreien.

Der Klang ist wenig transparent, viele Details, auch der Bläser, werden „geschluckt“. Das Blech wirkt sehr weit entfernt. Wir hören so ziemlich alles in einer Lautstärke. Die Balance von Klavier und Orchester ist jedoch schon stimmig. Das Rauschen nimmt man naturgemäß besonders im 2. Satz deutlich wahr. Den Klavierklang haben wir bereits gelobt.

 

4

Aldo Ciccolini

Jean Martinon

Orchestre de Paris

EMI

1974

8:28 10:50 4:00 23:18

 

Die Crux dieser Einspielung ist ihr Klang. Das Klavier klingt recht hart und leidet unter der Halligkeit der Aufnahmedisposition besonders, denn die Töne ziehen quasi einen Hallschweif hinter sich her, wie eine Sternschnuppe ihre Leuchtspur. Zauberhaft wirkt dies bei der Harfenkadenz, zumal die Harfe sehr groß abgebildet wird. In der Klavierkadenz wirkt die Trillerkette etwas unstet. Das Orchester wirkt mitunter zu monumental-großartig oder großspurig, das ist Ansichtssache. Uns erscheint dies auch angesichts der absichtlich klein gewählten Besetzung bei diesem Stück fehl am Platz. Das Blech ist zudem zu weit entfernt und daher undeutlich. Das kommt mitunter einer Zirkus- oder Jahrmarktsmusik schon recht nahe. Die Stretta am Ende klingt diffus und unorganisiert-klotzig.

Obwohl der zweite Satz feinfühlig intoniert wird, erklingt er nicht mit dem weichen Glanz der besten. Dem Legato fehlt die Bindung (oft, wenn das Tempo zu langsam gewählt wird, „verhungern“ die angeschlagenen Töne, ein Klavier ist eben kein Streich- oder Blasinstrument). Die gebotene Ruhe weicht einem meditativen Charakter bei dem fast nichts mehr passiert. Das Englischhorn-Klavier -Duo ist fast schon keines mehr, so weit wird das Blasinstrument in den Hintergrund verwiesen. Es müht sich sehr, aber letztlich erfolglos. Die Produzenten und Techniker müssen sich fragen lassen, wie die von Ravel gewünschte Intimität hier hergestellt werden soll, wenn die beiden Protagonisten gefühlt dutzende Meter voneinander entfernt sind? Das Ende vom Lied ist, dass der Satz ziemlich zäh und langweilig wirkt.

Der dritte Satz zeigt dann wieder, dass Musiker von hoher Kompetenz am Werk sind. Wo hat man bisher die Streicherpizzicati so schön herausgearbeitet gehört, dass sie selbst uns als Gitarrenanklänge auffallen? Dafür, dass es an der gewünschten klanglichen Präzision und Trockenheit fehlt, können die Musiker am wenigsten. Die aufnahmetechnische Disposition hatte wohl mehr die Inszenierung eines staatstragenden Festaktes vor Augen, als die Realisierung von rasanter größerer Kammermusik. Der letzte Schlag der Gran Cassa klingt wie ein Kanonenschlag, die letzte Bestätigung, dass alles zu groß und mächtig geraten ist. Diese Einspielung kann allenfalls den Freund:innen des exzessiven Raumklangs ein freudiges Ereignis sein und demzufolge nur ihnen empfohlen werden.

Der Klang wirkt tendenziell distanziert und tendenziell ganz gut tiefengestaffelt. Allerdings je weiter es nach hinten weg geht, desto halliger wird die Akustik. Beim Blech wirkt sich das besonders stark aus. Wir können uns einen riesigen, unbedämpften, also leeren Konzertsaal vorstellen (oder noch naherliegender: eine leere Lagerhalle, bei der auf Akustik keinen Wert gelegt wurde). Etwas mehr Trockenheit hätte die Präzision des Klangs deutlich gefördert. Die Herkunft „Quadro-Aufnahme“ ist deutlich spürbar, obwohl wir eine Stereo-CD abgehört haben. Vielleicht auch durch den Hall verursacht, schleicht sich zudem eine gewisse Verfärbung ein; die Dynamik wirkt geweitet im Sinne von aufgebläht. Deutliches Rauschen im 2. Satz.

 

 

 

3-4

Yakov Zak

Yevgeny Svetlanov

Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

Melodija

1959

7:49  9:36  3:57  21:22

 

MONO  Die Trompete spielt sehr gut, ansonsten kann das Orchester seinen russischen Akzent nie ganz ablegen. Der Dirigent schlägt ein ungestümes Tempo an und der Pianist ist mit einer sehr guten Technik ausgestattet, verfährt mit der Dynamik aber ziemlich sorglos. Das Horn muss, wegen der hohen Lage, sein Solo etwas pressen. Die Stretta ist dem Klangbrei ziemlich nah.

Der zweite Satz verströmt wenig Klangzauber. Trotz relativ guter dynamischer Abstufungen wirkt der Klavierklang ziemlich unsensibel. Dazu ist das Klavier einfach zu laut und zu aufdringlich eingefangen worden. Durch den monotonen Walzer-Rhythmus der linken Hand vor dem der Pianist kein Entkommen sucht und den topfigen Klang entsteht keine adäquate Stimmung.  Auch das Orchester klingt nicht immer ausgewogen, es neigt zum Dramatisieren. Das Englischhorn klingt noch nicht top und die Umspielungen des Klaviers bei seinem großen Solo wirken diffus. Das gelingt in sehr vielen Einspielungen viel besser.

Der dritte Satz ist der weitaus beste. Nun zeigt das Orchester was es drauf hat. Das klingt vorantreibend und sehr akzentuiert, die Soli klingen drastisch, allen voran die hervorragende Trompete, die auch im ersten Satz schon ein Trumpf war. Wir hören ein gutes auch gut hörbares Harfensolo, wer hätte das gedacht? Das Klavier wirkt in diesem Umfeld eher unauffällig, aber im besten Sinn. Das Orchester trumpft auf und zieht einfach mehr Aufmerksamkeit auf sich.

Nur mäßig transparent wirkt der Klang. Die Dynamik wirkt groß aber auch recht grob. Der Klang insbesondere der Violinen wirkt etwas ausgezehrt. Der Gesamtklang bleibt etwas blechern, die Klangfarben kühl bis kalt. Die Wärme Südfrankreichs oder des Baskenlandes kann man sich mit anderen Aufnahmen besser vergegenwärtigen. Insgesamt trotz Remasterings von fast historischer Klangqualität. Die Gran Cassa klingt schlapp.

 

3-4

Fazil Say

Karl-Heinz Steffens

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

Live-Aufnahme des SWR

2015

8:39  9:24  3:55  21:58

 

Bei diesem Konzert, bei dem die Ludwigshafener im benachbarten Mannheimer Rosengarten zu Gast waren, kommen die Bläsereinwürfe lange nicht so gut durch wie bei der anderen Aufnahme mit Fazil Say mit dem HR Sinfonieorchester. Immer wieder stolpert man auch über kleine Ungenauigkeiten im Zusammenspiel, das insgesamt weniger organisch wirkt und ebenfalls deutlich hinter dem HR SO zurücksteht. Auch im solistischen Spiel der Bläser selbst wirkt diese Aufnahme weniger überzeugend. Der Pianist kommt kaum an seine Glanzleistung in Frankfurt heran. Die Kadenz wirkt trillerlastig und daher weniger ausgewogen.

Im zweiten Satz erklingt das Klavier mit viel weniger Körper und „Duft“ eingefangen. Die Tempogestaltung wirkt etwas zügiger, dynamisch aber weniger nuanciert und monochromer. Das Orchester spielt sehr leise. Bei den Umspielungen des Englischhorns bringt der Pianist längst nicht mehr die drastischen Dynamikschwankungen, gefühlvollen Aufwallungen ähnlich, wie noch in Frankfurt. Deutlich am Mainstream angepasst, sanftmütiger und insgesamt lange nicht mehr so inspiriert wirkt sein Klavierspiel in Mannheim. Das Englischhorn-Solo selbst kommt ebenfalls nicht ganz an sein Frankfurter Pendant heran.

Kaum jemand spielt den Beginn des Presto so leise wie Say. Im Verlauf bleibt die Darbietung etwas gröber als die in Frankfurt, auch die Spannungskurve wird nicht so straff gespannt wie beim HR SO. Pianistisch wirkt Herr Say an diesem Abend etwas müder und nicht so präzise.

Auch der Klang wirkt blasser und weniger körperhaft als in Frankfurt. Die Bläser agieren weiter im Hintergrund, das Klavier wirkt ebenfalls weniger präsent eingefangen. Auch die Brillanz und Transparenz stehen zurück. Man hat den Eindruck, dass der Rosengarten schwierigere Bedingungen bietet als die Alte Oper oder dass sich Aufnahmeleiter und Tontechniker nicht so viel Mühe machen wollten. Diese Aufnahme kann man immer noch in der ARD-Mediathek finden.

 

3-4

Alice Sara Ott

Thomas Hengelbrock

NDR Sinfonieorchester, Hamburg

Live-Aufnahme des NDR, unveröffentlicht

2011

8:21  8:16  3:58  20:35

 

Frankfurt scheint ein „gutes Pflaster“ für Ravels Klavierkonzert in G zu sein. Wie Fazil Say kommt auch Alice Sara Ott in ihrer zweiten Aufnahme unseres Vergleiches nicht an ihre glanzvolle Darbietung in der Alten Oper heran. Dieses Mal ist die Musik- und Kongresshalle Lübeck Ort des Geschehens. Das Orchester des NDR, damals noch ohne den Namenszusatz „Elbphilharmonie“, wirkt bemühter und schwerfälliger als das HR SO unter Paavo Järvi. Frau Ott geht schon zu Beginn nicht ganz mit derselben Klarheit und Poesie zu Werke, auch wirkt der Klang weniger schwerelos als in Frankfurt, was natürlich auch am Aufnahmeequipment gelegen haben mag. Das Orchester spielt die Anklänge an den Jazz deutlich weniger drastisch aus. Das Horn bei seinem großen Solo spielt allerdings vorbildlich leise, sodass die Umspielungen der Holzbläser besser herauskommen. Beide Kadenzen (Harfe und Klavier) wirken weniger glitzernd. Die Triller der Klavierkadenz klingen weniger transparent.

Im Adagio assai geht die Begleitung der linken Hand einfach so durch, ohne die Frankfurter Finesse, wirkt sie wie dahingeleiert, dynamisch kaum schattierungsreich und einfallslos. Das Solo des Englischhorns kommt hingegen deutlicher zur Geltung als in Frankfurt, auch in der Phrasierung und klanglich darf man es als „Volltreffer“ bezeichnen. Frau Ott umspielt es liebevoll bleibt aber nur sehr undeutlich hörbar.

Die Bläsersoli werden im Presto deutlich hervorgehoben. Trotz des beachtlichen Tempos will sich kein mitreißender Drive einstellen. Auch in diesem Satz hören wir das Klavier mit weniger Klangfarben als in Frankfurt. Vielleicht hatte Frau Ott einen schlechteren Tag erwischt oder die Harmonie mit dem Dirigenten oder Orchester passte an diesem Abend nicht so recht. Wir wissen es nicht.

Der NDR sendete nur Stereo. Der Klang erscheint weniger brillant, die Raumanmutung weniger großzügig, insgesamt blasser im Ganzen. Übrigens gibt es das ganze Konzert über seltsame Geräusche zu hören, als ob ein Fuß rhythmisch gegen einen Mikrophonständer oder ähnliches schlagen würde. Wie konnte das passieren? Einen Tonträger vom Frankfurter Konzert wäre nicht nur musikalisch sondern auch aus klanglicher Sicht sehr zu begrüßen, während der Lübecker Mitschnitt schon alleine wegen der nachhaltig gestörten Aufführung gar nicht erst in Frage käme.

 

3-4

Simone Dinnerstein

Kristjan Järvi

MDR Sinfonieorchester

Sony

2014

8:45  9:46  3:59  22:30

 

Das Klavier spielt nicht immer p, wo p in den Noten steht, auch das Orchester braust achtlos über die eine oder andere leise Passage hinweg. Die Gershwin-Hommagen kommen gut heraus. Das Hornsolo ab Zf. 25 ist auch wieder viel zu laut (es sollte p gespielt werden). Dies ist die einzige Einspielung, in der die Probespielstelle für die Oboe, die schnellen Oktavierungen, die sehr schwierig zu greifen sind, überhaupt nicht zu hören ist. Die Spotlights werden in der Kadenz ganz hell auf die Pianistin gerichtet, so groß und laut hört man sie sonst nie. Auch sie sollte im p beginnen. Auch davon ist nichts zu hören. Uns schien schon zu diesem Zeitpunkt sicher, dass diese Einspielung nicht für Partiturleser gemacht wurde, sondern für den Hörerkreis, der entweder generell nur flüchtig hinhört oder sich an eine stark nivellierte Lautstärke gewöhnt hat, wie sie z.B. von den Popsendern gepflegt wird. Auch wenn diese These bei Zf. 29 mit einem p-Einsatz widerlegt wird, ist dies eine außerordentlich extrovertierte, im wahren Wortsinn übermütige Darbietung, die Schwächen im Detail zugunsten eines etwas pauschalen Furors gerne in Kauf nimmt. Das sich Zurücknehmen ist weder Sache der Pianistin, noch des Dirigenten.

Im zweiten Satz geht es sinngemäß so weiter. Kein p, schon gar kein pp, wenig Ruhe, keine geheimnisvolle Stimmung. Stattdessen bleibt alles im Hier und Jetzt, diesseitig, konkret und ohne jeden Zauber. Die Soli im Orchester sind erneut viel zu laut, müssen sie aber auch, sonst würden sie nicht zu Simone Dinnersteins Klavierspiel passen. Das schöne Englischhorn-Solo wird ohne Sinn fürs Duospielen viel zu laut umspielt. Ein Ravel für Schwerhörige anscheinend. Auch am Ende wird es nicht richtig leiser, hier verschwindet der letzte Ton überhaupt nicht im Nichts, wie Ravel es möchte. Er schreibt perdendo zur letzten Note hinzu, also allmählich schwächer oder leiser werdend.

Auch im Presto spielt das Klavier kontinuierlich zu laut, bisweilen wenig elegant, bisweilen gar grob. An Temperament und Schwung mangelt es nicht, wohl aber an den Zwischentönen, die bekanntlich erst die gute Musik ausmachen. Uns erinnerte das Spiel ein wenig an das von Philippe Entremont.

Der Klang passt dazu. Vollmundig, sehr laut und prall. Der Aufsprechpegel ist sehr hoch, das Klavier stets sehr präsent. Es fehlen die leisen Töne, sodass sich eine dynamische Nivellierung einstellt. Ravel für eine neue Generation von Hörer:innen, die „ihre“ Musik möglichst laut serviert haben wollen. Vielleicht zur Verwendung im Auto, beim Rasenmähen oder in der U-Bahn.

 

3-4

Oren Shani

Lior Shambadal

Budapest Symphony Orchestra

Telos

2004

8:46  9:54  3:57  22:37

 

Das Trompetensolo zu Beginn wirkt ziemlich unsicher, das Tempo wirkt so getrieben, dass es sowohl den Pianisten als auch das Orchester nicht souverän wirken lässt. Der Gestus wird durch eine nicht durch die Partitur zu belegende Martellato-Spielweise einem der beiden früheren Bartok-Konzerte angenähert. Ob Ravel bei der Komposition an die gedacht hat, wäre ihm zwar zuzutrauen, belegt ist es nach unserem Wissen nicht. Der Klavierpart wirkt so ungeschliffener als üblich, wilder, zerzauster. Die Dynamik wird recht kontrastreich herausgestellt, was zu einer unebenen Spielweise führt. Wenn das Orchester vielleicht auch Mühe mit dem Tempo hat, so werden doch viele Details, nicht zuletzt durch die Präsenz der Aufnahme, besser hörbar als sonst. Die Amerikanismen werden sehr deutlich gemacht. Wie bereits angedeutet ist Präzision nicht eine der Stärken dieser Einspielung.

Auch im Adagio assai beachtet Herr Shani die vorgegebene Dynamik durchaus, allerdings wenig schattierungsreich und wenig einfühlsam. Der Pianist macht es sich dann doch zu einfach, um die Geheimnisse der Klaviereinleitung zu lüften. Der Tresor bleibt sozusagen geschlossen. Wenn dann auch noch das viel zu laute Orchester einsteigt, geht auch noch der letzte Rest an Stimmung „flöten“. Man bewegt sich an der Schwelle zum Plumpen. Dies ist kein ungarischer Bauerntanz. Was ein Tristano Schliemé geschmäcklerisch zu leise spielt, spielt Oren Shani einfach fast schon protzig zu laut. Das Englischhorn verwechselt Espressivo mit Vibrato, zudem spielt Herr Shani die Umspielungen ebenfalls viel zu laut. Um das geschriebene noch eine wenig plastischer zu machen: Der langsame Satz ist in dieser Einspielung tatsächlich lauter als der erste. Das hat noch keine andere geschafft. Und es war die 77ste Einspielung, die wir gehört haben. Es sollte auch keine weitere mehr kommen, die das geschafft hätte.

Der dritte Satz darf als der beste gefeiert werden. Das Klavier spielt nun frisch und ausgelassen, das Orchester gefällt durch ausgelassene, durchaus zu drastischer Äußerung fähige Musikalität. Es fehlt ihm aber auch jetzt noch der letzte Schliff. Insgesamt wirkt die Darbietung zu handfest. Ein wenig mehr Eleganz hätte ihr nicht geschadet. Dazu hätte, so hat es den Anschein, etwas mehr geprobt werden müssen.

Klanglich sieht es bei der Aufnahme so aus, als hätte man sich auf eines der beiden frühen Bartok-Konzerte eingestellt. Sehr präsent, kaum Staffelung in die Tiefe, dynamisch. Besonders die Bläser sind extrem präsent, hautnah trifft es gut. Sie rücken dem Klavier und der Hörerschaft direkt auf die Pelle, Manchmal kam es uns sogar so vor, als säßen sie auch vor dem Klavier oder dicht darüber. Diese Aufnahmedisposition erinnerte uns klangtechnisch an die Bartok-Aufnahme der DG mit Anda und Fricsay von 1960.

 

3-4

Mi (auch Mee) Chou Lee oder

Stefania Mormone

Anton Nanut oder

Marko Munih

Rundfunk-Sinfonieorchester des Slowenischen Rundfunks, Ljubljana

Vienna Master Series, Vienna Sound Classic, Classic Gala, Classical Masterworks, Zyx, Pilz, Onyx, Mediphon

Geschätzt 1987, frühestes P 1991

8:39  8:39  4:01  21:19

 

Bei dieser Einspielung ist uns die Mitwirkung der genannten Musiker nicht eindeutig klar geworden. Bei Discogs gab es die beiden Namen der Pianistinnen in freier Kombination mit den beiden Namen der Dirigenten. Das „oder“ ist also kein ausschließendes „oder“, sondern im Sinne von sowohl als auch zu verstehen. Die Aufnahme wurde im Dunstkreis des dirigierenden Produzenten Alfred Scholz gemacht, der es bei der Vermarktung seiner Produktionen mit den Namen der Mitwirkenden nicht so genau nahm. Auf unserer CD war der Namen der chinesischen Pianistin Lee und von Anton Nanut vermerkt. Wenn wir nicht nach einem verlässlichen AD gesucht hätten, wäre uns nicht aufgefallen, dass es zu dieser Konfusion beim Gesamtangebot gekommen ist. Ein AD war übrigens auf keiner der zahlreichen Editionen vermerkt.

Die Pianistin und das Orchester bieten eine solide Darbietung des Werkes. Mitunter trüben kleinere Präzisionsprobleme und kleinere Unebenheiten im Zusammenspiel den Hochgenuss, aber die Einspielung gerade des ersten Satzes ist gut geeignet, wenn man das Stück erst einmal kennenlernen möchte. Vor allem leistet man sich keine gravierenden Nachlässigkeiten gegenüber den niedergeschriebenen Wünschen des Komponisten, die in der Partitur vermerkt sind. Ab Zf. 29 agiert man durchaus mit Schwung und Temperament.

Der zweite Satz wirkt bei zügigem Tempo (ziemlich konform mit der Metronomangabe) etwas zu geradlinig durchgespielt. Die Geheimnisse Ravels werden zwar gezeigt aber nicht gelüftet. Im Duo mit dem Englischhorn dominiert die Pianistin über Gebühr. Man vermittelt den Eindruck, dass sie sich kaum für ihren Duo-Partner zu interessieren scheint. Da wäre mit mehr Einfühlungsvermögen mehr drin gewesen.

Das Presto zeigt ein hinreichend vitales Spiel aller Beteiligter ohne dass es besonders brillant oder virtuos zuginge. Die Einspielung wirkt insgesamt besonders unauffällig, was hier kein Gegensatzpaar sein soll.

Vielleicht hätten wir einen Unterschied zwischen der Chinesischen und der Italienischen Pianistin ermitteln können, wenn uns mehrere Editionen vorgelegen hätten. Allzu neugierig, es genauer zu erfahren, sind wir jedoch nach Kenntnis der vorhandenen Version nicht geworden. Klanglich erscheint die Einspielung bei guter Transparenz gut in die Breite gestaffelt, recht offen, farbig und dynamisch. Es gibt auch hier kaum Gründe enttäuscht oder aber begeistert zu sein.

 

3-4

Yukie Nagai

Junichi Hirokami

Malmö Symphony Orchestra

BIS

1991

8:44  9:17  4:04  22:05

 

Die japanische Pianistin betont die lyrischen Elemente im ersten Satz des Konzertes ziemlich deutlich. Bei den temperamentvolleren Partien nimmt sie sozusagen die Luft aus den Segeln heraus. Ihr Anschlag wirkt ein wenig weichlich. Die angedeuteten Gitarrenklänge hätten ein wenig mehr Härte in der Tongebung durchaus vertragen können. Auch im Orchester bleiben die jazzigen Elemente unterbelichtet und zu zahm. Die Trompete des Orchesters gefällt in diesem Satz am besten. Obwohl sowohl im Orchester und auch bei der Pianistin mit viel Feinschliff gearbeitet wird, bleibt der große Wurf aus. Es fehlt dazu an Temperament und wenn man so will auch an Frechheit. Es klingt zu brav.

Brav beschreibt auch die Klaviereinleitung des zweiten Satzes ganz gut. Der Gestus bleibt auch im weiteren Verlauf äußerst zurückhaltend, sanft und wenig farbig. Durchaus schön und gut anzuhören, besonders im Dynamischen jedoch sehr stark nivelliert. Die in gelungeneren Versionen hervortretenden charakteristischen Besonderheiten des Satzes kommen nicht in vollem Umfang zur Geltung und man könnte sie leicht überhören, wenn man das Werk nicht schon besser kennen würde.

Satztypisch wird im Presto mehr Schwung geboten und auch mit einem etwas kräftigerem Zugriff in die Tasten gegriffen. Ein Feuerwerk an Farben ist auch er nicht geworden, lediglich die Trompete und die Posaune leuchten aus dem eingedunkelten „nordischen“ Klangbild hervor.

Räumlich ausladend und transparent, recht dunkel, weich und warm präsentiert sich der Klang der Aufnahme. Flügel und Orchester wirken jedoch zu distanziert und es fehlt einfach ein Schuss Brillanz. Das Klangbild schwebt schwerelos dahin, auch weil man von einer Bassgrundierung kaum reden kann.

 

3-4

Alicia de Larrocha

Leonard Slatkin

Saint Louis Symphony Orchestra

RCA

1993

8:10  9:45  4:08  22:03

 

Das Spiel der Pianistin ist nach wie vor, auch gegenüber ihrer ersten Aufnahme von 1972, sehr sauber. Es hat aber an Wärme und vor allem Spannung eingebüßt. Es wirkt nun zwar noch nicht lasch oder lustlos, aber doch etwas müde und routiniert.  Auch das Orchester sitzt nicht auf der vordersten Stuhlkante, bietet lediglich eine ruhige und solide Darstellung. Die Kadenz offeriert eine sehr plastische Herausarbeitung der Trillerkaskaden.

Noch deutlicher gegenüber 1972 fallen die Unterschiede im Adagio assai aus. Ohne Raffinesse und Charme geht es nun gerade durch die Klaviereinleitung. Zwar klangschön aber dynamisch und in der Phrasierung so monoton, als wäre es ein Anfängerstück von Muzio Clementi. Erst mit dem Orchester wird es gefühlvoller, aber auch langsamer. Im Duo mit dem Englischhorn nimmt sich die Pianistin gut zurück, jedoch wirkt ihr Spiel dabei fast etüdenhaft und gelangweilt, was ebenso dem generell langatmigen Duktus anzulasten wäre, der wahrscheinlich vom Dirigenten eingebracht wird, denn auch in seiner späteren Naxos-Einspielung (mit Francois Dumont) schlägt er erneut dieses Tempo an. Beim Spieler oder der Spielerin des Englischhorns muss man Sorge haben, dass er oder sie bald einschläft. Man soll als Spieler:in das Träumerische ausdrücken, aber doch nicht selbst damit beginnen.

Auch das Presto wirkt verhältnismäßig wenig spritzig und wenig kontrastreich. Inspiriert und „auf Zack“ sind unsere Musiker hier nicht unbedingt. Eher phlegmatisch. Vor allem von der Pianistin hätten wir einen entschiedeneren Zugriff erwartet.

Das Klavier hat von der Tonregie einen Vorzug vor dem Orchester erhalten. Eine gute Abbildung der Orchesterinstrumente ist besonders dann leicht und gut zu hören, wenn das Klavier pausiert.

 

3-4

Francois-René Duchable

Armin Jordan

Orchestre de la Suisse Romande

Erato

1986

8:05  9:18  4:04  21:27

 

Die erste Einspielung des französischen Pianisten ähnelt der zweiten aus Toulouse mit Michel Plasson relativ deutlich, zumindest was das Klavierspiel betrifft. Es ist beherrscht und im besten Sinn uneitel, ein p in der Partitur ist tatsächlich p auf der Aufnahme, ohne dass Rhythmus und Perkussivität dadurch vernachlässigt werden würden. Trotzdem kommt in der Einspielung mit Armin Jordan der mozartische Geist vor allen anderen Stilelementen zum Tragen. Die Farbgebung wirkt ungleich pastellfarbener, die Dynamik ist zurückhaltender als in Toulouse. Wir hören ein klares und feines Jeu perlé. Zur prallen und kontrastreichen Gestaltung und Klangentwicklung eine Bollani, Grosvenor , Zimerman oder einer Argerich fehlt demnach ein großes Stück, andererseits wirkt es auch nicht ganz so filigran. In der Kadenz bietet Monsieur Duchable hervorragend klare Trillerketten, eine gute Clarté stellt sich jedoch nicht ein, weil die Melodie und die Umspielungen kaum hörbar bleiben. Trotz des eigentlich ganz flotten Tempos fehlt der soghaft-temperamentvolle Zug, den Michel Plasson viel besser umsetzen konnte.

In der Klaviereinleitung des zweiten Satzes hat man den Eindruck, dass der Pianist, selbst total entspannt, nun völlig gelangweilt die Tasten drückt, fantasielos und ohne jede Brillanz. Dabei ist das Tempo gar nicht einmal so langsam, man liegt nur recht knapp unter der Metronomangabe. Leider vermag auch das Orchester im Folgenden keine Glanzlichter zu setzen. Auch das Ende des Satzes könnte subtiler gestaltet sein. Bei guten Einspielungen wird das perdendo deutlicher durch ein bruchloses Verschwinden des letzten Tons in der Lautlosigkeit. Das gelingt hier nicht so recht.

Die gute und konsequente Beachtung der leisen Dynamikvorgaben gefällt, ansonsten klingt der Satz unaufgeregt bis harmlos. Erneut gutes Jeu perlé. Erst spät wirkt das Spiel belebter, insgesamt bleibt es jedoch wenig spritzig. Kein Harfensolo hörbar. Also: Keine Champagnerlaune im Presto.

Das Orchester klingt sehr gut gestaffelt in einem zwar etwas entfernten aber weitem Panorama. Es verliert so deutlich an Präsenz, auch gegenüber dem deutlich präsenteren Klavier. Etwas matt und stumpf und in Verbindung mit der zurückhaltenden Musikalität und Dynamik wirkt der Klang der Einspielung „clean“ und sogar etwas „steril“.

 

3-4

Manana Doidschaschwili (auch Doidjashvili)

Djansug Kachidze

Tiflis Symphony Orchestra

HDC

vor 1994

9:02  7:53  3:57  20:52

 

Der Klavierpart wird kompetent bewältigt, wirkt insgesamt jedoch zu dominant. In der zart klingende Klavierkadenz werden die Trillerkaskaden zu dominant gegenüber der Melodie in der linken Hand . Bei Zf. 29 auch bei Frau Doidjashvili kein pp. Es folgt jedoch eine kräftige Attacke. Insgesamt auch im Orchester zu wenig nuanciert (stets zu hoher Lautstärkepegel) und zu einfarbig (das Holz mit seinen reichen Klangfarben kommt nicht gut genug durch). Daher insgesamt wenig schillernd.

Im Adagio assai wird die Klaviereinleitung sehr zügig gespielt. Das Tempo erscheint uns als zu schnell, was dem Satz viel von seiner verträumten, innigen Tiefe nimmt. Er wird so einfach und wenig raffiniert durchgespielt. Beim Duo mit dem Englischhorn wirken die Klavierumspielungen zu laut, sodass das Bläsersolo nicht gut durchkommt. Der Klang des Englischhorns wirkt zudem sehr „offen“ und schalmaienhaft. Die Flöte fällt durch ein starkes Vibrato aus dem sonst homogenen Holzbläsersatz heraus. Sehr gut gelingt das Verschwinden des Streicherklangs im Nichts am Ende des Satzes.

Im Presto: Sehr gewandtes Klavierspiel, das erneut die Dynamik Ravels nicht immer hinreichend nachvollzieht. Nur selten wirkt es ein wenig hölzern. Holz und Blech hörten wir schon plastischer. Und: Wo ist das Harfensolo 8 Takte nach Zf. 14 geblieben? Insgesamt fehlt es ein wenig an Eleganz und Clarté. Vor allem das Orchester wirkt bisweilen grob und auch der freche jazzige Slang kam schon deutlicher heraus.

Die Konzerthalle in Tiflis macht einen großen, unbedämpften (also leeren) und entsprechend halligen Eindruck. Die Raumanmutung wirkt großzügig und plausibel. Das Klavier erklingt überaus präsent und sehr dynamisch, das Holz wirkt zurückgesetzt, die Tiefenstaffelung enorm. Die Trompete wirkt bei ihren Soli sehr präsent, den Violinen fehlt es an Schmelz und vor allem in ff und im Tutti leidet die Transparenz.

 

3-4

Rolf-Dieter Arens

Heinz Rögner

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

VEB Deutsche Schallplatten, Edel

1987

8:34  1:40 3:58  24:12

 

Das Klavier klingt zwar expressiv, jedoch unter Verwendung von romantisierender Rubatoseligkeit. Wenn man dies mit Ravels Auffassung, die man in der Einspielung von Marguerite Long ganz gut ablesen kann, vergleicht, dürfte der Ansatz Arens´ diesem diametral gegenüberstehen. Ansonsten befinden wir uns bei dieser Zugfahrt im Komfortabteil bei moderat empfundenen Tempi. Die Präzision im Zusammenspiel spricht dieses Mal nicht gerade für die deutsche Gründlichkeit. Die Oboenprobespielstelle (Oktavierungen) am Ende des Hornsolos klingt viel zu leise, sie soll sich gerade von den anderen Holzbläser-Umspielungen durch ein mf von deren p absetzen. In der Klavierkadenz sind die Triller zu laut, selbst wenn man sie hier als die Hauptsache sehen könnte, dürfen sie doch die Melodie und die Umspielungen nicht völlig überdecken. Da leidet auch die Clarté, was bei jeder Art von Musik von Nachtei, bei Ravel aber beinahe schon sündhaft ist. Insgesamt wirkt der erste Satz (bei aller orchestralen Opulenz) ziemlich gesoftet, weichgezeichnet und domestiziert.

Das Tempo im zweiten Satz wirkt schon mehr als verträumt, vielmehr verschlafen oder in Agonie verfallen. Trotz schönem Anschlag und weichem Legato droht die Melodie in Einzelteile zu zerfallen. Sollte der Pianist kein Metronom zur Hand gehabt haben? Das hätte ihm einen gefahrenloseren Weg durch den Satz gewiesen. Er hat das „Assai“ vielleicht auch missverstanden oder glatt übersehen. Als Hörer steht man schließlich vor einem Satz, der vielfach zu Bruch gegangen ist. Klanglich wären die besten Voraussetzungen für ein Gelingen gegeben. Es klingt weich, rund und perlend, einfach schön eben. Die VEB-Klangtechnik sorgt zudem für ein warmes Klangbild. Das Englischhorn hingegen wurde weit vom Klavier entfernt positioniert und es klingt ohne Dynamik. Alleine schon wegen der räumlichen Entfernung ist das Duo-Spiel deutlich erschwert. Insgesamt wirkt der Satz oberflächlich betrachtet meditativ. Ein Ersterben in Schönheit durch Zerbrechen der Melodie hatte Ravel nicht im Sinn (siehe erneut die Aufnahme von 1932).

Auch im Presto perlt das Spiel von Herrn Arens schön, das Tempo passt nun besser, dem Satz fehlt jedoch die pianistische Attacke. Auch hätte das Orchester härtere Konturen vertragen können. An den wenigen Klangballungen fehlt auch im dritten Satz die Clarté und Durchzeichnung.

Der Klang der Aufnahme wirkt sehr räumlich und sonor. Die Tiefenstaffelung ist enorm, sie raubt dem Blech, das wie so oft ganz hinten sitzt, Transparenz. Orchester und Flügel sind beide etwas zu entfernt. Trotzdem wirkt der Klang aufgeräumt, gut aufgefächert, natürlich, voll und klar. Auch die heiklen Violinen klingen weich. Die Klangqualität wäre sehr gut geeignet für die audiophil Hörenden. Nicht aber für diejenigen (z.B. Jazzliebhaber:innen), die den Sound knackig und impulsiv mögen. Die Gran Cassa schließlich klingt vollmundig und tief.

 

3-4

Philippe Cabbard

Rico Saccani

Budapest Phiharmonic Orchestra

BPO-Live Eigenlabel des Orchesters

1998

8:28  8:59  4:00  21:27

 

Wir hören eine Live-Aufnahme aus der Ungarischen Staatsoper. Der Pianist spielt mit einer technisch soliden Artikulation, die wenig differenziert und die Dynamik nicht sonderlich kontrastreich hervorhebt. Der Gestus wirkt hektisch, bis zur Harfenkadenz gibt es keinen echten Ruhepol. Das Orchester macht einen engagierten Eindruck, spielt aber etwas pauschal und kann nicht zuletzt wegen der ungünstigen Akustik keine echten Glanzlichter setzen.

Der zweite Satz beginnt sehr leise und wenig präsent, was von den Technikern offensichtlich zu spät bemerkt wird, trotzdem, es ist ja live, fühlen sie sich ermutigt bei laufender Darbietung den Pegel zu erhöhen. Aufmerksam Hörenden fällt das jedoch sofort auf. Dennoch verbleibt das Klavierspiel auf einem angemessen leisen Pegel, es missfällt hingegen die stumpfsinnige Gleichförmigkeit bei der Gestaltung des Spieles der linken Hand. Andere haben sich da viel mehr überlegt und sind zu überzeugenden Ergebnissen gekommen. Dem ganzen Satz (Flügel und Orchester) fehlt der Glanz, wenig Clarté, wenig Duft. Das Englischhornsolo hört sich an, als wäre es von einem Saxophon gespielt worden, so ähnlich sind sich die Timbres. Es ist auch klanglich sehr weit entfernt, das Klavier dimmt sich jedoch so weit hinunter, dass es trotzdem irgendwie zusammenpasst. Im Presto warten keine neuen Erkenntnisse.

Der Klang der Aufnahme ist nur leidlich transparent mit einer Tendenz zum Verschwimmen. Die MP3-Herkunft, mit der das genutzte Streaming-Portal aufwartet, ist in diesem Fall nicht zu verleugnen. Man hört es auch an den seifigen Violinen.

 

3-4

Yvonne Lefébure

Paul Paray

Orchestre Philharmonique de l´ORTF

Solstice – INA

1970

7:51  8:38  4:02  20:31

 

Die französische Pianistin formuliert ihre Phrasen nicht immer komplett aus und von dynamischer Differenzierung hält sie auch nicht viel.  Das Orchester spielt nicht immer ganz präzise, das Holz bleibt unter seinen Möglichkeiten, das Englischhorn zeigt sich bereits im ersten Satz indisponiert. Es stellt sich insgesamt kein Zauber der Perfektion, der Vollkommenheit ein. Die Triller in der Klavierkadenz hören sich schwierig an, es wird auch nicht die Transparenz der Stimmen untereinander erreicht, wie wir sie von anderen kennengelernt haben. Wenn wir uns an die etwas ältere Einspielung Parays mit Monique Haas erinnern, fallen die ähnlichen Tempi ins Auge, die in diesem Fall die Pianistin bis an den Rand ihrer Fähigkeiten führen.

Im Adagio assai bietet die Pianistin kein Schwelgen im Klang, das Legato könnte weicher geformt sein, die Walzerbegleitung ist lasch und spannungslos. Es liegt keinerlei schimmernder Glanz in der Klavierstimme. Das Englischhorn steht auf dem klanglichen Stand der 50er Jahre. Es reißt aus allen Träumen. Sobald das Klavier begleitende Funktionen zu erfüllen hat, spielt es zwar leise, aber auch sehr undeutlich. Im Presto spielt auch Madame Lefébure zu laut, so laut, dass sie die Soli von Klarinette, Horn und Ottavino stört. Dynamisch geht es nur einförmig vorwärts. Das Harfensolo ist sehr gut hörbar (8 Takte nach Zf. 14). Sehr viele Prest-Sätze wirken sicherer, virtuoser, farbiger und pointierter. Die Läufe gefallen besser als die akkordisch geprägten Passagen. Kein großer Wurf aus dem Heimatland des Komponisten.

Gerade noch hinreichend offen und transparent. Das Klavier wird ins Orchester eingebettet.

 

3-4

Jean Casadesus

Pierre Dervaux

Orchestre des Concerts de la Société du Conservatoire de Paris

Pathé-Marconi-EMI von einer LP der BnF überspielt

Ca. 1958

7:40  8:31  3:55  20:06

 

MONO  Jean Casadesus ist der älteste Sohn von Robert und Gaby Casadesus. Während es von Robert nur Einspielungen des Klavierkonzertes für die linke Hand gibt, hat Jean beide Konzerte eingespielt. Der Vater ist der wesentlich bekanntere Pianist, was nicht zuletzt daran gelegen haben mag, dass Jean bereits im Alter von 45 Jahren bei einem Autounfall in Kanada verstorben ist, ein halbes Jahr vor seinem Vater.

In seiner Einspielung sind noch Elemente der Ur-Einspielung zu erkennen, unter anderem der zügige, trockene jedoch nicht undifferenzierte Duktus, der sich auch im Orchester wiederfindet. Dieses bleibt aber technikbedingt sehr wenig aufgelichtet und ziemlich glanzlos. Es geht kaum über die allerdings gut restaurierte Einspielung von de Freitas Branco und Ravel hinaus, obwohl 26 Jahre dazwischen liegen.

Leider scheint Herrn Casadesus zur Klaviereinleitung nur wenig eingefallen zu sein, denn er bietet nur die klanggewordenen Noten. Immerhin bietet es noch die passende Dynamik dazu. Der schalmaienhaft-schnarrende und wenig intonationssichere Klang des Englischhorns, das zudem auch nur von weiten zu hören ist, vermag die Hörerschaft auch nicht gerade in eine zauberhafte Stimmung zu versetzen.

Das Presto wird pianistisch und orchestral einwandfrei und schön locker gespielt. Der schlechte Klang vermag hier die Stimmung kaum so nachteilig zu beeinflussen wie im zweiten Satz. Das selten gut zu hörende Harfensolo ist trotz der schlechten Aufnahme gut hörbar. Wer hätte das gedacht?

Die LP der Bibliothèque National de France lässt teils heftige Zisch- und Zerrgeräusche hören. Gerumpelt wird auch. Die Transparenz lässt zu wünschen übrig, das Holz bleibt undeutlich, der dynamische Ambitus bleibt gering. Der Gesamtklang macht keine Freude und lässt am Aufnahmedatum zweifeln und minimiert das Hörvergnügen. Vielleicht ist die Aufnahme nur für die Klavierenthusiasten empfehlenswert, die sich an den früh verstorbenen Pianisten erinnern und ihn damit ehren wollen.

 

3-4

Jean Doyen

Jean Fournet

Orchestre des Concerts Lamoureux, Paris

CBS, Epic, Philips, Accord

1954

7:50  9:47  3:53  21:30

 

MONO  Jean Doyen, kaum jemand wird ihn in Deutschland kennen, studierte u.a. bei Marguerite Long am Conservatoire de Paris und war auch deren Nachfolger als Professor ebendort.

Das Orchester beginnt mit hoher Dringlichkeit und Rasanz. Monsieur Doyen spielt ein hart angeschlagenes Legato, also recht perkussiv und durchaus brillant. Das Orchester scheint auf der vordersten Stuhlkante zu sitzen. Das Hornsolo spielt, da ein espressivo vorgegeben ist, mit Vibrato. Heute wäre das undenkbar, damals war es ein legitimes Gestaltungselement. In der Kadenz hören wir gute Arpeggien während die Trillerkette ungleichmäßig wirkt.

Monsieur Doyen hebt im Adagio assai die rechte Hand deutlich hervor, allerdings zu laut, zu wenig legato und zu hart. Insgesamt, wenn es auch damals für eine Sachlichkeit bar jeder romantischen Apostrophierung gehalten wurde, wirkt das Spiel heute anfängerhaft uninspiriert und hölzern, zumal der Zauber von einigen Referenzaufnahmen und von vielen sehr guten Einspielungen mittlerweile intensiv zum Leuchten gebracht wurde. Dabei wären das klassische Muster bereits vorhanden (Long) und es hätte nur noch wenige Jahre zur ersten Referenz gedauert (Benedetti-Michelangeli). Das Holz ab Zf. 1 klingt ebenfalls viel zu laut und uninspiriert. Klavier und Orchester sind eigentlich fast kontinuierlich nur im f zu hören. Das Englischhorn bei seinem epochalen Solo (wo gibt es ähnlich gewichtiges für das Instrument, außer in Dvoraks Neunter?) wirkt gelangweilt. Von inniger Stimmung keine Spur. Kleines Abstimmungsproblem noch bei den Hörners, sie sind gegenüber der Posaune zu leise.

Im Presto könnte das Klavier viel feiner differenzieren und geschmeidiger wirken. Der Gestus ist einseitig auf „Power“ angelegt.

Der Klang: Hoher Aufsprechpegel, hohe Präsenz vor allem des Orchesters, keine Staffelung, kaum Rauschen hörbar.

 

3-4

Francesco Tristano Schlimé

Mikhail Pletnev

Russian National Orchestra

Pentatone

2005

9:32 11:15 4:10  24:57

 

SACD  Dies ist die erste von drei SACDs, die Pentatone seit Bestehen des Labels von dem Konzert veröffentlicht hat. Es folgten Kozhukin und Piemontesi. Ein weiteres Zeichen, wie beliebt das Konzert gerade heutzutage immer noch ist.

Der luxemburgische Pianist tritt mittlerweile medienwirksam nur noch mit seinem zweiten Vornamen „Tristano“ auf. Sein Tempo, oder wenn wir den Dirigenten gleich miteinschließen wollen, ihr Tempo wirkt stark reduziert. Der Pianopart wird gefühlvoll „rezitiert“. Details werden so deutlicher hörbar. Aber teilweise wird es dann so langsam, dass der gespannte Bogen überspannt und ins Gegenteil umschlägt. Also Spannungsverlust. Der erste Satz bekommt so schon eine melancholische Note, die wir in keiner anderen Einspielung so wahrgenommen haben. Die Zugfahrt erfolgt sozusagen im Schlafwagen. Der Klavierpart verliert seine sonst so prononciert zu hörende Zuspitzung. Wenn wir es nicht besser wüssten, könnte man auch vermuten Pianist und Dirigent könnten nicht schneller. Die Tremoli von Holz und Trompete ab Zf. 24 kommen sehr bewusst, also ganz untypisch für den Jazz, der es doch liebt, aus dem Gefühl heraus zu intonieren. Oder zumindest sollte es doch so wirken. Die Klavierkadenz haben wir schon transparenter, die Melodie schon deutlicher herausgearbeitet gehört. Die Dynamik darin wirkt stark geglättet, also eingeebnet. Ab Zf. 29 hören wir allerdings einen vorbildlich leisen Beginn, aber in der Entwicklung bis zur Stretta fehlt einfach jeder Übermut.

Das Tempo im Adagio assai wirkt sehr langsam. Nun wird der Klang nach allen Regeln der Kunst nur noch zartest hingehaucht. Dabei wird die von Ravel notierte Dynamik weitestgehend ignoriert, zugunsten einer schier endlosen Monotonie, die keine Schattierungen duldet. Nichts darf diese vollkommene Glätte bewegen. Auch das Orchester wirft, um im Bild zu bleiben keinen Stein in den starren, unbeweglich daliegenden See, damit es nur keine Wellenbewegung gibt. Das Orchester zeigt dabei beste Qualitäten, wie man mit substanzreichem Klang sehr sehr leise spielen kann. Das Crescendo von 1 T nach Zf. 5 bis 5 T. nach Zf. 5 ff ist ganz schwach. Das Englischhorn bewegt sich gerade noch an der Grenze zum Spielbaren, bringt dabei sogar noch ein klanglich gutes Ergebnis zustande, aber von Spannung kann da schon längst keine Rede mehr sein. Aus dem Adagio assai wird ein nicht genug bekommen vom Adagio.

Der Flügel bleibt auch im sonst so wunderbar furiosen Presto zart, fast schüchtern, handzahm und ohne Drängen. Das Orchester schließt sich diesem Gestus an und kommt gar nicht erst in Fahrt. Es kann es sich bequem machen. Das ist ein Ravel auf Sparflamme. Immerhin durchaus eigenständig.

Die SACD haben wir nur als CD gehört, Sie bietet auch so schon eine ausgezeichnete Tiefenstaffelung, eine sehr gute Transparenz. Sie klingt weich und ist mit einem matt schimmernden Glanz versehen. Dynamisch wirkt sie nicht auffallend geweitet, wie sollte sie auch, wenn fast nur leise gespielt wird. Der Klang ist sehr ausgewogen, die Balance zwischen Klavier und Orchester bleibt gewahrt. Die Gran Cassa klingt ohne Pepp.

 

 

 

3

Estella Olevsky

Dennis Burgh

Radio Sinfonieorchester des Slowakischen Rundfunks, Bratislava

Opus

1990

8:48  9:09  4:13  22:10

 

Die Pianistin spielt recht sorgfältig. Man hat das Gefühl, dass sie sich wacker hält, Funken vermag sie jedoch nicht aus ihrem Part zu schlagen. Das Orchester lässt es an der erforderlichen Präzision fehlen, das Holz klingt hart.

Der langsame Satz wird dann leider einfallslos heruntergeklimpert. Zudem hört es sich an wie ein Klavier aus einem Western-Saloon. Zu viel der (unfreiwilligen) Reminiszenz an die Jazz-Musik der zwanziger und dreißiger Jahre. Insbesondere die Klaviereinleitung erfordert viel mehr, als nur die Noten abzuspielen. Den ganzen Satz hören wir die monotone linke Hand mit der Walzerbegleitung. Das wirkt penetrant. Es wäre höchst verwunderlich, wenn Herr Ravel, der für seinen überaus verfeinerten Geschmack bekannt war, sich seinen langsamen Satz so banal in die eigenen Finger geschrieben hätte. Das Orchester klingt auch klangfarblich nicht überzeugend, kann also nichts mehr hinbiegen, was ohnehin kaum möglich gewesen wäre.

Der Klang der Aufnahme: Die Violinen klingen scharf, das Klavier weit entfernt und wenig sonor. Das Frequenzspektrum scheint in die höhere Region emporgerutscht zu sein. Für die Mitten bleibt nicht viel, für die Bässe gar nichts mehr übrig. Demgemäß klingt es auch verfärbt. Das Gesamtklangbild wirkt hart, wenig plastisch und diffus. Zu allem gesellt sich auch noch eine starke Linkslastigkeit, recht scheint die Klangbühne weitgehend geräumt. Die Gran Cassa wirkt körperlos. Schlechtester Klang des gesamten Vergleichs.

 

 

Vergleich abgeschlossen am 8.3.2023