Claude Debussy
Ibéria
Nr. 2 der Images pour Orchestre
______________________
Werkhintergrund:
Debussy lehnte für seine Musik zwar die Bezeichnung „impressionistisch“ ab, doch in manchen Punkten stand er der Ästhetik der impressionistischen Malerei durchaus nahe, und oft ließ er sich auch durch bildliche Vorstellungen zu seinen Werken inspirieren. Den Titel „Images“ (Bilder) verwendete er zunächst für einen zweibändigen Zyklus von Stücken für Klavier zu zwei Händen. Ihm wollte er eine Fortsetzung für Klavier zu vier Händen folgen lassen, doch aus dem bereits skizzierten Material wurde schließlich ein Orchesterzyklus. Er umfasst drei Werke, die jeweils mehr oder weniger folkloristische „Szenen“ aus einem bestimmten Land in Musik übersetzen. Das erste, „Gigues“ überschrieben, hat England zum Thema; Debussy begann die Arbeit 1909 und ließ die Instrumentierung drei Jahre später von seinem Schüler André Caplet ausführen. Das Mittelstück „Ibéria“ stellte er bereits 1908 fertig, und die abschließenden „Rondes de printemps“ mit französischer Thematik ließ er 1909 folgen. „Ibéria“ ist von den drei Stücken das umfangreichste; es setzt sich seinerseits aus drei Teilen zusammen, die unterschiedliche Facetten Spaniens beschreiben, ohne jedoch authentische spanische Volksmusik zu zitieren.
Es scheint uns heute verwunderlich, dass eines der bedeutendsten Werke Debussys zunächst nicht allgemein den ihm gebührenden Anklang fand. Einerseits wurde Debussy für seine Kühnheit kritisiert, andererseits wurde ihm vorgeworfen, sich zu wiederholen. Vor allem folkloristische Züge und spanisches Kolorit wurden dem Komponisten nach der Uraufführung (am 2. Februar 1910 in einem Concert Colonne unter der Leitung von Gabriel Pierné) zum Vorwurf gemacht. In der Tat widersprach er hier der von ihm selbst postulierten These, dass Elemente der Volksmusik nichts in einem sinfonischen Werk zu suchen hätten. Was ferner Kritik hervorrief und einige Musiker als befremdlich empfanden, war der Plan, nach dem jedes der drei „Images“ in einem für das entsprechenden Land typischen musikalischen Idiom geschrieben war: In „Gigues“ war das Idiom englisch (englische Herbstlandschaft, der ursprüngliche Titel war „Gigues tristes“, traurige Gigues). Der Aufbruch des französischen Frühlings in „Rondes de printemps“ (mit dem Motto eines volkstümlichen Mailiedes versehen, das angeblich zur Zeit Dantes in der Toskana gesungen wurde!) und in den drei Teilen der „Iberia“ die „Vision von spanischer Landschaft, spanischen Treibens, spanischer Atmosphäre“ (Heinrich Strobel). Und das alles ohne Tonmalerei, ohne die von „La mer“ gewohnten ungreifbaren, stimmungshaften Klänge, dafür mit einem Orchester, das „klingt wie ein Kristall“ (Debussy) und „leicht wie eine Frauenhand“ (Debussy) daherkommt.
Die Klänge sind jetzt das Ergebnis einer präzisen Einzelcharakteristik der Instrumente, je nach deren Eigenart. Tänzerische Rhythmik ist vorherrschend und es bilden sich härtere Konturen, die manche Anhänger Debussys dazu veranlassten, im vorzuwerfen, er ahmte Ravel nach (dem übrigens vorgeworfen wurde, er würde Debussy nachahmen). Ja, Debussy übertrifft an thematischer Konzentration alles, was die sinfonische Technik hervorgebracht hat, ohne dass er sich ihrer bedient hätte. Was er übrigens in seinem letzten Werk für Orchester „Jeux“, allerdings als Ballett konzipiert und zunächst nicht für den Konzertsaal vorgesehen, noch weiter auf die Spitze treiben sollte. Das führt zu einer Art epischer Ruhe, daher wohl auch der Titel „Images“, „Bilder“, der auf Zustandsschilderungen abzielt. Ferner warf man ihm vor, er wäre zu scholastischen Formen zurückgekehrt. „Dies waren die Anhänger von Vincent d´Indy, welche die strengen Grundsätze der von d´Indy geleiteten „Schola Cantorum“ zu ihren eigenen gemacht hatten (Gigue und Rondo sind alte Tänze). Die Mehrzahl der anderen Komponisten setzte sich allerdings energisch für Debussy ein, wie zum Beispiel Manuel de Falla, der besonders den authentischen Charakter des spanischen Idioms in „Iberia“ rühmte, sowie Ravel (Debussys vermeintlicher Rivale), der den Komponisten in seinen Artikeln gegen unreflektierte Angreifer verteidigt.“ (Rollo Myers im Vorwort der Eulenburg-Partitur zu „Ibéria“ 8010)
Die Partituren der „Images pour Orchestre“ sind eines der besten Beispiele für Debussys unübertroffene Instrumentierungskunst und die Komposition als Ganzes zeichnet sich durch einen unvergleichlichen Reichtum an Ideen aus.
Wir wollen uns in unserem anschließenden Vergleich ausschließlich dem mittleren Stück „Ibéria“ widmen, denn es gibt einige bedeutende Dirigenten (unter anderen Claudio Abbado, Sergiu Celibidache (2x), Jean Fournet, Gustavo Gimeno, Jesus Lopéz-Cobos, Eduardo Mata, Lorin Maazel, Dmitri Mitropoulos, Eugene Ormandy, Paul Paray, Josep Pons, Leopold Stokowski, Francois Xavier Roth oder Fritz Reiner), die sich und uns die beiden übrigen Stücke „Gigues“ und die „Rondes de Printemps“ vorenthalten haben und die, wenn wir Vollständigkeit fordern würden, außen vor bleiben müssten. Auch im Konzertsaal dürfte „Ibéria“ (alleine) nach „La Mer“ und „Prélude à l´après-midi d´un Faune“ und noch vor den „Trois Nocturnes“ das meistgespielte Orchesterwerk Debussys sein. Nicht zuletzt favorisieren wir es ganz persönlich von den „Trois Images pour Orchestre“ ganz besonders. Wegen der rhythmischen Verve und dem tollen Übergang von den schweren „Düften der Nacht“ zum folgenden Festtag, über den Debussy selbst gesagt hat: „Das wirkt nicht, als ob es komponiert wäre…Und die ganze Steigerung, das Erwachen der Leute und der Dinge…ein Melonenverkäufer, Kinder, die pfeifen. Ich sehe sie ganz deutlich.“ Debussy strebte damals ganz besonders danach, seinen Kompositionen den Charakter von Improvisationen zu geben und so wenig wie möglich von der gekonnt-raffinierten Komposition spüren zu lassen. Da gelang es ganz besonders gut.
Debussy war übrigens nur ein einziges Mal in Spanien und es hat ihm dort nicht gefallen. Es wäre furchtbar gewesen und er hätte Kakerlaken im Beet gehabt. Schnell wollte er nur noch nach Hause. Ob er überhaupt auch nur eine Nacht in Spanien verbracht hat, ist – wegen der Kakerlaken – ungewiss. In seiner Komposition geht es ihm nicht um Spanien als Reiseland, sondern um das Spanien seiner Träume und seiner Fantasie.
Überhaupt ist es auffallend, dass so viele französische Komponisten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts dazu neigten, das Tonbild ihrer Partituren durch neue Rhythmen und starke Klangfarben von jenseits der Pyrenäen zu beleben. Bei Edouard Lalos „Symphonie Espagnole“ durften wir bereits darauf hinweisen. Erwähnen wir des Überblicks wegen auch noch George Bizet („Carmen“), Emanuel Chabrier („Espana“) und natürlich Maurice Ravel (L´Heure Espagnole“ oder „Rhapsodie Espagnole“), die alle das musikalische Idiom Spaniens so gut beherrschten, dass ihre spanische Musik nicht weniger authentisch klang als die der spanischen Komponisten, und das ohne Spanien je besucht zu haben, wie Ravel, oder nur ein einziges kurzes Mal, wie Claude Debussy. Manuel de Falla sagte einmal über Debussys „La Soirée dans Grenade“ von 1903, dass das ganze Stück bis ins letzte dem Hörer das Wesen Spaniens vermittele. Unter Debussys Kompositionen im spanischen Stil ist jedoch das zweite Stück der „Images pour Orchestre“, „Ibéria“, sein Meisterwerk. Zur iberischen Halbinsel gehört eigentlich Portugal noch dazu, in das Debussy jedoch nie auch nur einen Fuß gesetzt hat. Es ist anzunehmen, dass er es mindestens unschicklich fand, seinem Orchestertriptychon ebenfalls den Namen „Espana“ zu geben, nachdem das Stück von Chabrier bereits in der 1880er Jahren veröffentlicht wurde und sich größter Beliebtheit erfreute. Übrigens, dies als kleiner geographischer Exkurs, Iberien, also auch Iberia bezeichnet im Deutschen nicht die iberische Halbinsel, sondern einen antiken Staat in Georgien (Kaukasus).
In „Ibèria“ überträgt Debussy die dreiteilige Gliederung der „Images pour Orchestre“ auf die interne Gliederung. „Ibéria“ ist also ein Triptychon innerhalb eines Triptychons. Dietmar Holland schreibt dazu: „Die beiden hellen Außenteile, der erste im Bolero-Rhythmus, der letzte als näher rückender Marsch gestaltet, stehen einem atmosphärischen Mittelteil gegenüber, bei dem eine zeitlupenartig gedehnte Habanera die Zeit anhält und die „Düfte der Nacht“ Spaniens einsaugt, freilich wie stets bei Debussy und im strengen Gegensatz zu Ravel („Rhapsodie Espagnole“, 1907) – ohne den Menschen als Spiegel. Eine undurchdringliche Distanz ist auskomponiert. Alle drei Teile gehen ineinander über. War Debussy zum musikalischen Naturalisten geworden? Was meint er damit, wenn er von „Bildern als Wirklichkeit“ spricht?“ Er fährt aber fort: „Die Dummköpfe nennen das „Impressionismus“, ein Begriff, der so schlecht angewandt ist wie nur irgend möglich, besonders von den Kunstkritikern, die sogar Turner damit belegen, den größten Mystiker, den es im Bereich der Kunst gibt.“ Da haben wir es: Es geht nicht um Abbildung, sondern um „Évocation“ (Heraufbeschwörung, Wachrufen); das folkloristische Lokalkolorit ist kaum entscheidend, auch wenn Debussy – wiederum im Gegensatz zu Ravel – auf bewusste (oder unbewusste) Melodiezitate nicht verzichten wollte (oder konnte).“
Nicht in allem mag man Holland folgen, so geht das erste keinesfalls ins zweite Bild nahtlos über. Das ist dem nahtlosen Übergang von zweiten ins dritte Bild vorbehalten. Von allen gehörten Einspielungen des Vergleichs ist es nur Alexander Rahbari, der alle Sätze in einander übergehen lässt. Bei ihm gibt es nur einen Track für alle Sätze. Und dass Debussy seine Kompositionen ohne Menschen als Spiegel komponiert hätte mag vielleicht für „La mer“ gelten, nicht aber für „Ibéria“, wo es vor Spaniern und wahrscheinlich Spanierinnen (auf Straßen und Wegen, ich der Nacht und auf den Festen) nur so wimmelt, sogar Melonenverkäufer und Kinder auf dem Fest sehen wir, dank Debussy, vor uns. Ohne die könnte Debussy die „Évocacions“ gar nicht so und nicht anders in uns entstehen lassen. Und in manchen Quellen, sieht man nicht den Marsch im dritten Satz als beherrschende Tanzart, sondern die „Sevillana“, die vorherrschende Tanzart Andalusiens. Die „Banda de guitarras“, die man zwei Mal explizit, wenn auch von den Geigern imitiert, zu hören bekommt, weil die in Debussys Fantasie im erträumten Fest in Sevilla auftreten, weist ebenfalls darauf hin.
Zunächst bietet sich „Auf den Straßen und Wegen“ (so lässt sich der Titel des ersten Teils, „Par les rues et par les chemins“, übersetzen) ein ganzes Panorama unterschiedlicher Episoden. Mit dem Glanz der mediterranen Sonne und den kräftigen Farben wird das lebhafte Treiben plastisch gemacht. Immer wenn man in einen neuen Weg oder eine neue Straße einbiegt, ergeben sich völlig neue Ansichten. Zusammengehalten werden sie durch einen Bolero-Rhythmus, der wie der Refrain eines Rondos immer wieder aufscheint. In diesem Rhythmus spiegelt sich Leidenschaft und Sehnsucht, die der Nordländer, und da können wir Debussy als Nordfranzose (und wir uns selbst) getrost dazuzählen mit Spanien, Klischee hin, Klischee her, nun einmal verbindet. Bis vor wenigen Jahren kamen noch nicht zuerst knochentrockene Wälder, Wassermangel und Brandgefahr in den Sinn, wenn man an Spanien dachte. Das Pizzicato der Streicher, das Klappern der Kastagnetten und das rhythmische Gerassel des Tambourins tragen ihren Teil zu dem in kontrastreichen, üppigen Farben gemalten Tongemäldes bei. Fragmente von Themen werden von unterschiedlichen Instrumentengruppen aufgegriffen, Aufregung und Spannung wachsen, bis die Stimmung wieder ruhiger wird und der Satz in wundervoller Stille verklingt, mit drei pianissimo wiederholten Noten auf der Harfe, mit dem Pizzicato der Streicher und den Kastagnetten, dem Geflüster von zwei Klarinetten, einem Anschlag des Tambourins und einem fast unhörbaren Trommelschlag.
Dass man beim Hören von Musik Farben sehen kann, leuchtet uns unmittelbar ein, denn uns geht es nicht anders. Dass sie aber auch Gerüche, oder besser „Düfte“ hervorruft? Auf einer Habanera basiert der Mittelsatz „Les parfums de la nuit“ („Düfte der Nacht“). Allerdings wird der Rhythmus dieses Tanzes sehr langsam gespielt; die Zeit scheint in traumhafte Sequenzen gedehnt und fast außer Kraft gesetzt. Ein typisches Nachtstück, wie wir es bereits in de Fallas „Nächte in Spanischen Gärten“ kennengelernt haben. Auch da war der mittlere Satz von dreien nächtlichen Stimmungen zugedacht, mehr noch als die beiden übrigen. Der typische Habanera-Rhythmus mit seinen schwingenden Synkopen hält den Hörer trotz oder gerade wegen der Stille in seinem Bann. Manche Dirigenten (allen voran Sergiu Celibidache) lassen die Metronom-Angaben des Komponisten außeracht und dehnen, wahrscheinlich der „Atmosphäre“ wegen das Zeitmaß über alle Maßen hinaus. Aus einem prägnanten Kurzfilm wird dann gewissermaßen Spielfilmlänge. Das dürfte nicht im Sinne Debussys gewesen sein, kann aber mitunter dennoch faszinieren. Gerade bei diesen „Long-Playern“ hat man jedoch genug Zeit herauszufinden, wie Debussy sein Parfum der spanischen Nacht zusammenstellt. Wie ein Parfümeur (in Deutschland übrigens kein Ausbildungsberuf) aus verschiedenen Ingredienzien. Es sind meist kleine Melodiestückchen (1), damit man genug nichts Greifbares hat, um in der Schwebe zu bleiben. Hinzu kommen als „Exoten“ unter den Instrumenten Celesta und Xylophon (2), natürlich um sogar einer dunklen Nacht noch Glanz zu verleihen. Da nimmt er auch gerne noch Flöte und Piccoloflöte hinzu. Stellen wir uns hierbei vielleicht einen leuchtenden Vollmond und ein brillant glitzerndes Sternenzelt vor. Das ist schon ganz schön raffiniert. Ein kleines Motiv (3) schickt er auf und ab, um wie eine schwache Brise die Nacht zu beleben. Dann kommen die sechsfach geteilten Violinen (4) hinzu, die gemeinsam hoch und runterrutschen dürfen. Was man damit assoziieren möchte, bleibt wohl besser jedem selbst überlassen. Es muss auch gar nichts frivoles sein. Es können auch die typischen mediterranen Bäume sein, vielleicht Pinien, die sich in einer nächtlichen Brise sanft hin und her bewegen und dabei ihre typischen ätherischen Düfte verströmen. Bis jetzt ergibt sich schon, wenn die Aufnahmetechnik und das Orchester mitspielen ein wundervoller, verführerischer Klangzauber. Damit aber noch nicht genug, da zupft auch noch der Kontrabass (5) herum, ein „liegengebliebener“ Musikant vielleicht, der die letzte Kutsche nicht mehr rechtzeitig erreicht hat oder dem sein Esel weggelaufen ist und der so nicht mehr heimgefunden hat? Wie auch immer, es gibt immer einen Grund für Melancholie. Und dann als letztes vielleicht noch das baskische Tambourin (6), das wir zwar schon vom ersten Bild her kennen, aber hier sorgt es meist nur ganz leise für eine mysteriöse Grundstimmung und irgendwie auch für räumliche Weite (Fetzen von Tanzmusik von weit her). Und der Clou ist dabei: Alles sollte so leise bleiben und sich als Detail kaum ausmachen lassen und vor allem nicht in den Vordergrund schieben. Raffinement pur.
Wenn Debussy Parfümeur gewesen wäre, könnte er seinen Mix analog zu Chanel No. V, Debussy „Six for One“ (natürlich englisch wegen des Weltmarktes) oder ähnlich nennen. „The Spanish Six“ käme vielleicht auch noch infrage. Für ein paar klingende Gespenster (oder Fledermäuse) der Nacht in Form von aufschreckenden hohen Violinen hat Debussy auch noch Platz gelassen. Dann wäre der Name vielleicht doch besser „Only Seven in Spain“. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.
Die Überleitung zum dritten Teil beruht auf einer subtilen enharmonischen Verwechslung. Man kann sie nur als meisterhaft bezeichnen. Manche Dirigenten machen viel draus, andere gehen einfach weiter ohne das kleine Wunder zu bemerken oder gar zu genießen. Im Ganzen gesehen ist dies natürlich nur ein kleines Detail, das man nicht überbewerten sollte. Vielleicht ist es auch nur für uns so eine große Sache. Der letzte Satz oder das letzte „Bild“ (selbst eigentlich wie in den anderen beiden Bilder auch, eher eine rasche Folge von Bildern) sollte laut Vorschrift im Rhythmus eines fröhlichen, lebhaften, aus der Ferne gehörten Marsches gespielt werden. „Le matin d’un jour de fête“, beschreibt den Morgen eines spanischen Festtags: immer deutlicher erkennt man Marschrhythmen und Glockengeläut, und mit etwas Phantasie vielleicht sogar jene Melonenhändler und pfeifenden Gassenjungen, die Debussy beim Komponieren vor seinem inneren Auge sah, obwohl er Spanien aus eigener Anschauung kaum kannte. Wir dürfen ja eigentlich „nur“ teilnehmen an seinem Traum von Spanien. Bald sind die Festlichkeiten im vollen Gange, mit klingenden Glocken und gezupften Gitarren. Gitarren im Orchester? Jein! Die Geiger werden aufgefordert, ihre Instrumente „quasi guitara“ unter dem Arm gehalten zu spielen. Es ergibt sich eine quasi orchestergroße Gitarre aus Streichern. Oder eine „Banda de guitarras“. Nach verschiedenen Episoden, die sich nicht zuletzt durch die Verwendung von Solovioline, Solooboe und Englischhorn auszeichnen, erreicht der Marsch seinen triumphalen Höhepunkt. Mit einer ähnlichen Konzeption ging Debussy bereits in dem mittleren der „Trois Nocturnes“ vor, bei dem wir uns ebenfalls nach und nach immer näherkommend schließlich mitten in einer Festgesellschaft befinden. Auch da konnte der mit Debussy befreundete Manuel de Falla übrigens nicht widerstehen und schuf ein ähnlich mitreißendes Szenario im dritten Garten seiner „Nächte in Spanischen Gärten“. Das war ein paar Jahre nach „Ibéria“. Den Effekt mit den Gitarren imitierenden Violinen finden wir ebenfalls beim Spanier wieder. De Falla und Debussy waren gut befreundet. Als de Falla zu Studienzwecken in Paris weilte, wurde ihm Debussy einer der liebsten der gesamten „Gang“, die sich mit dem stillen Spanier in den Pariser Salons rumtrieb.
Überblick über die weiter unten angefügten Rezensionen:
5
Paul Paray
Detroit Symphony Orchestra
Mercury
1955
6:05 7:28 4:07 17:40
5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1957
6:55 7:59 4:25 19:19
5
Claudio Abbado
London Symphony Orchestra
DG
1986
6:59 7:21 4:27 18:47
5
Ataulfo Argenta
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1957
6:28 7:08 4:07 17:43
5
Jean Fournet
Tschechische Philharmonie Prag
Supraphon
1965
7:08 8:15 4:22 19:45
5
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1957
6:47 9:00 4:30 20:17
5
Lorin Maazel
Cleveland Orchestra
Decca
1978
6:34 8:11 4:38 19:33
5
Heinz Holliger
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
2012
7:00 8:10 4:24 19:34
5
Pierre Monteux
London Symphony Orchestra
Philips, neuerdings unter dem Label Decca
1963
7:11 8:05 4:46 20:02
5
Desiré-Emile Inghelbrecht
Orchestre au Théâtre des Champs-Elysées oder
Orchestre National de la Radiodiffusion Francaise (heute: Orchestre National de France)
Westminster, RCA lizensiert von Ducretet-Thomson, Pathé Marconi, EMI, Testament
1954 (?)
7:14 8:39 4:12 20:05
5
Pierre Monteux
San Francisco Symphony Orchestra
RCA
1951
6:39 7:53 4:16 18:48
5
Eduard van Beinum
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
BnF – Philips
1956
6:39 7:56 4:07 18:42
4-5
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1988
7:20 8:16 4:23 19:59
4-5
Bernard Haitink
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
Philips
1977
6:46 8:34 4:23 19:43
4-5
André Cluytens
Orchestre da la Société des Concerts du Conservatoire (heute: Orchestre de Paris)
EMI
1963
7:06 8:02 4:20 19:28
4-5
Josep Pons
Orquesta National de España
DG
2010
8:01 9:39 4:55 22:35
4-5
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1961
6:47 7:10 4:09 18:06
4-5
Pierre Boulez
Cleveland Orchestra
DG
1991
6:42 7:30 4:11 18:23
4-5
Pierre Boulez
Cleveland Orchestra
CBS-Sony
1968
7:05 8:11 4:20 19:36
4-5
Serge Baudo
Tschechische Philharmonie
Supraphon
1977
6:42 8:20 4:06 19:08
4-5
Michael Tilson Thomas
Boston Symphony Orchestra
DG
1970
7:10 9:40 4:27 21:17
4-5
Francois Xavier Roth
Les Siècles
Actes Sud - Harmonia Mundi
2012-2014, live
7:13 8:05 4:19 19:37
4-5
James Levine
Berliner Philharmoniker
Sony
1992
7:21 7:43 4:26 19:40
4-5
Michael Tilson Thomas
San Francisco Symphony Orchestra
SFS Media (Eigenlabel des Orchesters)
2014
7:05 8:46 4:38 20:29
4-5
Stéphane Denève
Royal Scottish National Orchestra
Chandos
2012
7:20 8:28 4:18 20:06
4-5
Sir Mark Elder
Hallé Orchestra, Manchester
Hallé Concerts Society (Eigenlabel des Orchesters)
2019
7:30 8:44 4:37 20:51
4-5
Jun Märkl
Orchestre National de Lyon
Naxos
2008
7:04 9:17 4:29 20:52
4-5
Leopold Stokowski
Orchestre National de la Radiodiffusion Francaise (heute: Orchestre National de France)
EMI
1958
6:37 9:01 4:06 19:44
4-5
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1989
7:07 9:16 4:18 20:41
4-5
Manuel Rosenthal
Orchestre National de l´Opéra (comique) de Paris
Adès, Praga
1957
7:22 8:22 4:24 20:08
4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1958
6:48 9:38 4:05 20:31
4-5
André Previn
London Symphony Orchestra
EMI
1979
7:20 9:56 4:51 22:07
4-5
Sylvain Cambreling
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Hänssler
2001
7:04 8:55 4:33 20:32
4-5
Yan-Pascal Tortelier
Ulster Orchestra, Belfast
Chandos
1989
6:42 7:22 4:27 18:31
4-5
Esa-Pekka Salonen
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1996
6:58 9:25 4:28 20:51
4-5
Libor Pesek
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1989
6:52 9:02 4:18 20:12
4-5
Armin Jordan
Orchestre de la Suisse Romande
Erato
1988
7:10 8:15 4:26 19:51
4
Sergiu Celibidache
Münchner Philharmoniker
EMI
1992, live
8:48 13:27 5:11 27:26
4
Leonard Bernstein
Orchestra dell´ Academia Nazionale di Santa Caecilia
DG
1989, live
7:10 8:33 4:29 20:12
4
Hans Zender
Bundesjugendorchester
DHM-Deutsche Welle
1993, live
7:18 7:27 4:27 19:12
4
Emmanuel Krivine
Orchestre Francais des Jeunes
Adès
1989
6:48 8:22 4:06 19:16
4
Emmanuel Krivine
Orchestre National de France
Erato-Warner
2017
6:39 7:52 4:21 18:52
4
Emmanuel Krivine
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Timpani
2009
6:37 7:44 4:28 18:49
4
Jukka-Pekka Saraste
Rotterdam Philharmonic Orchestra
Virgin
1990
7:01 7:32 4:17 18:50
4
Eduardo Mata
Dallas Symphony Orchestra
Telarc
1981
6:50 7:42 4:36 19:08
4
Jesus Lopez-Cobos
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
2001
6:46 7:48 4:20 18:54
4
Ernest Ansermet
Philharmonia Orchestra London
BBC Live
1958, live
6:49 6:58 4:16 18:03
4
Arturo Toscanini
NBC Symphony Orchestra
RCA
1950
7:06 6:48 4:28 18:22
4
Gustavo Gimeno
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Pentatone
2016 oder 2018
7:12 7:44 4:44 19:40
4
Louis de Froment
Orchestre de Radio Luxembourg (heute: Orchestre Philharmonique de Luxembourg)
Vox, Moss, Membran
AD?
6:59 7:56 4:11 19:06
4
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1951
6:56 7:51 4:29 19:16
4
Daniele Gatti
Orchestre National de France
Sony
2011
6:44 7:22 4:27 18:33
4
Jos van Immerseel
Anima Eterna, Brügge
Outère
2012, live
7:46 10:40 4:38 22:54
4
Antal Dorati
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
RCO Live
1987, live
7:14 7:37 4:35 19:36
4
Sergiu Celibidache
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
DG
1980
8:03 12:52 4:47 25:42
3-4
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Orchestra
Urania, AS Disc
1954, live
7:11 6:12 4:28 17:51
3-4
Lan Shui
Singapore Symphony Orchestra
BIS
2009
7:09 9:41 4:36 21:26
3-4
Alexander Rahbari
BRT Philharmonic Orchestra Brussels (heute: Brüsseler Philharmoniker)
Naxos
1992
7:30 9:30 4:39 21:39
3-4
Charles Munch
Orchestre National de l´ORTF (heute: Orchestre National de France)
Concert Hall, Nonesuch, RCA, Auvidis-Valois, Festival Classique, Guide international du Disque
1966
7:57 10:18 4:24 22:39
3-4
Jean Martinon
Orchestre National de L´ORTF (heute: Orchestre National de France)
EMI
1974
7:16 9:06 4:17 20:39
3-4
Theodore Bloomfield
Rochester Philharmonic Orchestra
Everest
1960
7:03 8:26 4:23 19:52
3-4
Daniel Barenboim
Orchestre de Paris
DG
1981
7:35 9:23 4:42 22:40
3
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1950
6:51 7:20 4:24 18:35
Live-Aufnahmen aus dem Radio, die bis jetzt unseres Wissens allesamt unveröffentlicht geblieben sind, obwohl es die eine oder andere durchaus verdient hätte:
5
Pablo Heras-Casado
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks (kurz: BRSO)
Aufnahme und Sendung des BR
2015, live
6:57 8:20 4:20 19:37
4-5
Serge Baudo
HR-Sinfonieorchester
HR
2011, live
6:52 8:05 4:22 19:19
4-5
Francois-Xavier Roth
Berliner Philharmoniker
RBB
2018, live
7:12 7:58 4:19 19:29
4-5
Mathias Pintscher
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Deutschlandfunk Kultur
2024, live
6:53 7:48 4:18 18:59
4-5
Serge Baudo
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
SWR
2010, live
7:06 8:11 4:18 19:35
4-5
Josep Pons
BBC Symphony Orchestra
Aufnahme der BBC, gesendet vom BR
2023, live
8:05 10:13 4:34 22:52
4-5
Jonathan Stockhammer
Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern
SR
2017, live
6:38 7:53 4:27 18:58
4-5
Alan Gilbert
Berliner Philharmoniker
RBB
2018, live
7:36 8:50 4:25 20:51
4-5
Fabrice Bollon
Philharmonisches Orchester Freiburg
SWR
2011
7:10 9:27 4:15 20:52
4-5
Ion Marin
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
RBB
2003
7:20 8:15 4:10 19:45
4-5
Susanna Mälkki
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
SWR
2013
7:26 8:51 4:33 20:50
4
Junajo Mena
Orquesta Sinfónica de Radio Televisión Española, Madrid
Aufnahme von RTVE, gesendet vom SWR
2022, live
7:09 8:15 4:30 19:54

Claude Debussy ca. 1908, dem Jahr der Komposition von "Iberia". Foto von Nadar, Paris.
Die Rezensionen im Detail:
5
Paul Paray
Detroit Symphony Orchestra
Mercury
1955
6:05 7:28 4:07 17:40
Paul Paray, Jahrgang 1886 und folgerichtig zur Zeit der Aufnahme knackige 69 Jahre jung, war von 1952 bis 1963 Musikdirektor in der zu dieser Zeit noch boomenden amerikanischen Autostadt. Er erreichte übrigens ein biblisches Alter und verstarb 1979, 93jährig in Monte-Carlo. In seiner Zeit in Detroit war er neben Antal Dorati einer der beiden wichtigsten Protagonisten der „Living Presence“-Ära von Mercury. Während man, grob vereinfacht, dem Ungarn mehr die Einspielung der Werke osteuropäischer Komponisten (z.B. Tschaikowsky, Rachmaninoff oder Mussorgsky) anvertraute, übergab man dem Franzosen, was läge näher, das französische Repertoire (Ravel, Debussy, Saint-Saens). Nur das „deutsche“ Repertoire teilte man unter den beiden auf (so wurde Paray Schumann anvertraut, Dorati bekam Brahms). Seine bedeutendsten Einspielungen gelangen Monsieur Paray ohne Frage während der Zeit in Detroit, denn nach seiner Rückkehr nach Frankreich 1963 musste er mit meist mittelklassigen französischen Orchestern aufnehmen und war selbst auch schon recht betagt. Einige der amerikanischen Einspielungen gelten auch heute noch als Referenz. Oder besser gesagt: müssten als Referenz gelten, wenn man sie noch kennen würde. Diese Einspielung von „Ibéria“ aus der Zeit als die Stereophonie noch in den Kinderschuhen steckte, gehört dazu.
Beinahe ohne Vergleich ist die atemlose, überaus freudig erregte, sagenhaft energetische Turbulenz mit der uns Monsieur Paray auf die Straßen und Wege Spaniens schickt. Das Spiel des Orchesters, das man nie zu den Besten Amerikas zählte, wirkt dieses Mal nichtsdestotrotz sehr rhythmisch, mitreißend und spontan. Es erreicht, so wie es in seinen Aufnahmen dokumentiert ist, tatsächlich beileibe nicht immer dieses Niveau, was uns daher an eine Sternstunde denken lässt. Man eilt voller Abenteuerlust und voller brennender Wissbegierde von einer Kreuzung zur nächsten und hat keine Zeit und wohl auch keine Lust auch nur mal kurz eine kleine Weile innezuhalten. Paul Paray hält das musikalische Geschehen wie unter einem einzigen weit gespannten Bogen. Es würde uns kaum wundern, wenn man es vergäße, die gedrängten sechs Minuten über Luft zu holen.
Tatsächlich wirken die „Parfüms“ im zweiten Satz, selbst wieder wie eine schnelle Abfolge von mehr oder weniger kurzen, aber intensiven Eindrücken, in Detroit ausgesprochen duftig und leicht. Da muss man die Aufnahmetechnik schon jetzt loben, denn einen so von aller Schwere losgelösten Klang bekommen nur die wenigsten Aufnahmen hin. Man bedenke: Wir befinden uns in der Steinzeit der Stereophonie und man erreicht diesbezüglich bereits höchstes Niveau! Wenn man die Oboe des Orchestre de la Suisse Romande unter Ansermet von 1950 noch im Ohr hat, so zieht man vor der nur leicht dünnen Oboe in Detroit den Hut. Bei Ansermet wird die nächtliche Stille bzw. Dunkelheit durch sie nämlich zerschnitten wie mit Laserlicht. In Detroit jagt hingegen nur fünf Jahre später bereits ein Ohrenschmaus den nächsten. Es gelingen dem auch schon sehr hart gehörten Orchester (unselig: Ravels „Le Tombeau de Couperin“) butterzarte Klänge und äußerst plastisches Musizieren. Obwohl man die Tempovorgabe Debussys beherzigt (keiner wird wohl je schneller sein als Paray) kommt keinerlei Hektik auf (wie noch 1950 und weit weniger 1961 bei Ansermet), ganz im Gegenteil: Die Musik strahlt sogar Ruhe aus. Man spürt, dass diese Musik den Musikern wohl eine Herzensangelegenheit gewesen ist.
„Am Morgen eines Festtages“, dem dritten Satz schlägt man ein fast aberwitziges Tempo an. Der Morgen geht angesichts dieses pulsierenden hocherhitzten Temperaments viel zu schnell vorbei und man müsste Debussy den Vorwurf machen, wieso er ihn so knapp komponiert hat. Er würde sagen, dass in der Kürze die Würze liegt, aber er kannte die Darbietung von Paul Paray nicht, obwohl eine Begegnung der beiden durchaus möglich gewesen wäre. Aus „Ibéria“ wird Gänsehautmusik pur. Aber wir dürfen die Kritik angesichts der Begeisterung nicht vergessen, obwohl sie förmlich an die Wand gespielt wird: Das Glockenspiel klingt uns zu schwach, denn es ist kaum hörbar. So verschenkt man Raumeindruck und „Atmosphäre“. Und das Klarinettensolo, das „fröhlich und sehr heraus, indem die Akzente übertrieben werden“ zu spielen wäre, so einmal ziemlich wörtlich übersetzt, bleibt diesbezüglich deutlich hinter der 61er Ansermet-Version zurück. Den Maßstab setzt übrigens, wo wir gerade schon dabei sind, der Klarinettist in der Prager Einspielung von Jean Fournet und bei den Radio-Mitschnitten die Aufnahme aus Freiburg mit Susanna Mälkki am Dirigentenpult. Keine andere Stereoaufnahme, allenfalls noch Charles Munch, aber nur 1957 in Boston und nicht mehr 1966 in Paris, kommt an den besonders improvisatorisch frischen Eindruck Parays wieder heran. Das superpräzise CSO unter dem superexakten Fritz Reiner in ihrer ebenfalls hervorragenden, brillanten Einspielung von 1957 übrigens auch nicht, obwohl da das noch präzisere Orchester spielt.
Die Mercury-CD klingt glasklar, superräumlich und wie der Aufdruck „Living Presence“ auf Platte und CD schon suggerieren soll, tatsächlich mit hautnaher Präsenz. Das Orchester klingt plastisch, körperhaft und sehr brillant, die einzelnen Schallquellen sind punktgenau ortbar. Seltsamer Weise ist trotz des hohen Alters der Aufnahme dieses Mal kein Rauschen zu hören.
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5
Charles Munch
Boston Symphony Orchestra
RCA
1957
6:55 7:59 4:25 19:19
Von Charles Münch gibt es von „Ibéria“ außer dieser mittleren Einspielung als „Living Stereo“-RCA noch eine frühere Einspielung (1947) aus London, allerdings mit dem Pariser Orchestre du Conservatoire, die für Decca entstand und eine spätere ursprünglich für Concert Hall aufgenommene mit dem Orchestre National des französischen Rundfunks. Auf die erste mussten wir in unserem Vergleich leider verzichten.
Die RCA nahm 1957 Charles Munchs Darbietung im gleichen Jahr auf wie die Fritz Reiners. Allerdings spielte der Franzose aus dem Elsass in Boston die kompletten „Images“ ein, Fritz Reiner (wie Paul Paray auch) nur „Ibéria“.
Sie wirkt nicht ganz so turbulent und im Tempo eine Spur zurückhaltender als Paray. Aber sehr impulsiv und ebenfalls sehr gespannt. Vor allem wegen des Holzes erreichen die Bostoner dieses Mal nicht ganz die Präzision der Chicagoer, sie stehen sogar überraschenderweise dem Orchester aus Detroit in seiner Sternstunde etwas nach. Auffallend ist die hohe Dominanz von Oboe und Englischhorn im Holzbläsersatz. Ihr dünner, wenig substanzreicher Klang verhindert die Mischbarkeit mit anderen Instrumenten. Auf die kommt es bei Debussy gerade besonders an, obwohl es natürlich durchaus auch reizvoll sein kann, wenn die unisono geführten Oboe und Viola sich nicht mischen. In diesem Fall handelt es sich jedoch, wie wir meinen, um die Stimme eines Muezzins, der gerade ruft, denn wir sind gerade ins „Quartier arabe“ eingebogen, die gibt es ja im Süden Spaniens in vielen Städten, wegen der Eroberungsfeldzüge der Araber (beginnend im 8. Jahrhundert bis ins 15. Jahrhundert hinein blieben die Araber in „Hispanien“). Wenn sich beide nicht mischen, dann würde der Muezzin mit zwei Stimmen rufen. Hier hört man mal die Oboe, mal die Viola stärker, durchaus auch gleichstark aber eben nicht gemischt. Das wollen wir jedoch nicht auf die Goldwaage legen, es soll nur eine kleine Fußnote sein angesichts eines fulminanten ersten Satzes.
Die Düfte im zügig, sehr plastisch und mit sprechender Artikulation präsentierten zweiten Satz wirken ebenfalls duftig und verströmen viel „Atmosphäre“. Nun kommen auch die tiefen Streicher gut durch, was der Nacht gegenüber der Einspielung Parays mehr Dunkelheit verleiht. Selten wirkt die exzellente Orchestrierung Debussys so belebt wie hier. Die Streicher erzeugen einen fantastisch filigranen und körperlichen, aber zarten Klangteppich, allen voran: die sechsfach geteilten Violinen.
Der Duft geht weiter, überdauert noch ein wenig den Morgen und lässt uns einen langsam heraufziehenden Morgen erleben, der sich allerdings sehr leidenschaftlich entwickelt. In Boston werden die Glocken toll aufgenommen und bestens ins Klangbild integriert. Die Solovioline spielt besser als die Reiners. Der Verlauf wirkt sehr spannend und mitreißend ausgeführt. Ganz herausragend gelungen ist schließlich die Gestaltung des Schlusses. Bei Munch wird er gestaltet, als zerplatze gerade der Traum Debussys von seinem ersehnten Spanien wie eine Seifenblase, die man zuvor noch spannend zur Maximalgröße gebracht hat, mit einem lauten Knall. Die Einspielung steht zwischen der Parays und der Reiners. Nicht ganz so spontan wie Paray, etwas weniger akribisch als Reiner. Für viele dürfte genau das die goldene Mitte sein.
Es standen uns von der Einspielung eine japanische XRCD und eine SACD zur Verfügung. Die XRCD klingt besonders knackig, dynamisch und klar, offen, sehr differenziert und glanzvoll, hat aber nicht ganz die Tiefe und ultimative Transparenz wie die Aufnahme Reiners aus demselben Jahr, die uns ebenfalls als XRCD vorlag. Leider wirkte der Klang ein wenig nach links verschoben. Der letzte Satz machte auf uns einen nochmals etwas plastischeren und körperhafteren Eindruck.
Die SACD bietet die Aufnahme original in der nur für ein paar Jahre genutzten Dreispur-Technik. Man gab sie wieder auf, weil sich das Magnet-Tonband im heimischen Bereich nicht durchsetzten konnte, nicht zuletzt weil die bespielten Bänder sehr teuer waren und es nicht gelang, drei unabhängige Spuren in der Rille der LP oder auch im Abtaster unterzubringen. Die drei Kanäle waren übrigens Links-Mitte-Rechts. Die Balance erscheint jetzt nicht mehr nach links verschoben, man bemerkt mehr räumliche Tiefe, vor allem beim Holz. Die Aufnahme wirkt ebenfalls schön impulsiv aber noch etwas weiträumiger, wärmer und weicher, insgesamt plastischer, dreidimensionaler und körperhafter was aber auch an der erhöhten Auflösung der SACD und weniger an der Dreispur-Technik liegen könnte. Dies bekommt vor allem dem zweiten Satz ganz besonders gut. Die Abbildung selbst wirkt allerdings nicht mehr so punktgenau wie von der XRCD. Letzteres mag aber an unserer eigenen Wiedergabetechnik liegen. Die Tendenzen sollten aber dessen ungeachtet aufgezeigt worden sein.
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5
Claudio Abbado
London Symphony Orchestra
DG
1986
6:59 7:21 4:27 18:47
Die Einspielung Claudio Abbados ist die einzige Digitalaufnahme unter den ersten Sieben was man durchaus als einen Hinweis darauf nehmen kann, dass es „früher“ bereits gute Dirigenten und hervorragende Orchester gab und man bereits mit relativ wenig Aufwand aber mit Expertise, Leidenschaft und viel Fingerspitzengefühl exzellente Aufnahmen machen konnte.
Abbados Einspielung besticht mit temperamentvollem Spiel ohne Verlust an Eleganz und Clarté. Das was unter anderen Paray noch nicht so gut gelang, die Mischbarkeit einzelner Instrumentalfarben, das gelingt den Londonern schon sehr gut. Das war sicher nicht einfach, denn die Ortbarkeit der einzelnen Instrumente gelingt der DG dieses Mal bestechend gut und wenn die Solo-Viola mit der Oboe unisono den Gesang des Muezzins nachempfinden, dann sind da schon einige Meter Distanz zwischen den beiden Solisten zu überbrücken. Sehr gut hört man auch, wenn sich das Englischhorn als dritte Stimme hinzugesellt. Überhaupt ist das Orchester solistisch hochklassig aber auch sehr ausgewogen besetzt was nicht zuletzt am hervorragend kammermusikalischen Spiel zu bemerken ist. Der Satz wirkt temperamentvoll angetrieben, aber nicht so turbulent wie bei Paray, sehr stimmungsvoll, feingliedrig und duftig. Da entsteht noch kein Eindruck von Hochgeschwindigkeits-Verkehr mit jeder Menge PS, sondern man sieht die Verkehrsmittel der Zeit vor dem geistigen Auge, ohne dass man meint, es ginge gemütlich oder gar unlustig zu.
Der zweite Satz bietet ungefilterten Klangzauber pur, und das auch noch sehr klar. Das heißt kein Sfumato, keine schweren Düfte, Leichtigkeit und Transparenz herrschen vor. Selten gelingen die Passagen, in denen Debussy Rubato vorschreibt so gekonnt und gefühlvoll. Bestechend die Genauigkeit und Leuchtkraft der einzelnen Stimmen mit ihrem nebeneinander, miteinander oder auch gegeneinander. Die mehr als zahlreichen Vortragsbezeichnungen und Beschreibungen (übrigens meist französisch, ab und zu jedoch italienisch) werden mustergültig umgesetzt. Man braucht es kaum zu erwähnen, dass sich so Debussys Klang- bzw. Duftvorstellungen am besten nacherleben lassen. Allerdings sollte man sich zuvor noch einmal gründlich die "Nase" putzen um dem mediterranen Flair ungehindert Einlass zu gewähren.
Den Morgen des Festtages erleben wir mit Abbado mit mitreißend animierter Beschleunigung, die Klarinette klingt keck, das ganze Orchester spielt außerordentlich rhythmisch, da wirkt nichts verschliffen. Auch das Holz klingt sehr gut, die harten Londoner Oboen und Englischhörner hatten 1986 bereits ausgedient. Wir erinnern uns an die Bemerkung Debussys, die klingt wie ein kleines Anforderungsprofil an „sein“ Orchester: „Klar wie ein Kristall, leicht wie eine Frauenhand“. Als ob er Abbados Einspielung bereits gehört hätte! Wir dürfen ergänzen: Auch noch mit Saft und Kraft und erfüllt von Esprit und Feingeist.
Die Aufnahme steht der Interpretation nicht im Weg. Sie klingt luftig, großräumig, nur ein klein wenig hallig bei guter Präsenz, sehr transparent und leicht bei bester Ortbarkeit. Gegenüber der Gesamtaufnahme der Mendelssohn-Sinfonien Abbados mit ihrer Prärie-Akustik eine deutliche Verbesserung. Frühdigitale Kinderkrankheiten fallen nicht ins Gewicht.
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5
Ataulfo Argenta
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1957
6:28 7:08 4:07 17:43
Aufnahmen mit dem Orchester aus Genf entstanden in den 50er und 60er Jahren in aller Regel mit Ernest Ansermet, seinem Gründer und Leiter. Ansermet und Argenta waren jedoch gut befreundet und der Spanier war oft in der Schweiz zu Gast, um das Orchester zu dirigieren. Ansermet sah in dem deutlich jüngeren Spanier seinen Nachfolger, aber wie so oft hatte das Leben etwas dagegen. Ataulfo Argenta starb bereits gerade einmal 44jährig im Januar 1958.
Von Ansermet selbst gibt es zwei Aufnahmen von Ibéria (eigentlich von allen drei „Images“) aus den Jahren 1950 und 1961. Dazwischen spielte Argenta ebenfalls für Decca die drei „Images“ ein. Das Orchester ist unter seiner Leitung kaum wiederzuerkennen. Die Musik wirkt rhythmischer, wird mit ständigem Energiefluss unter einen Bogen gespannt und nicht zuletzt spielt es gegenüber der Aufnahme von 1950 um mehr als eine Klasse besser. Als ob ein kräftiger Ruck, einer Erleuchtung gleich, durch es hindurchgegangen wäre.
Im zweiten Satz spielt sogar die Oboe gefühlvoller und tatsächlich wie „abgeschlafft“ („un peu trainé“), müde, die Hängematte aufsuchend. Der Satz klingt deutlich atmosphärischer und obwohl Argenta fast das gleiche Tempo vorgibt wie Ansermet, kommt beim Spanier keinerlei Hektik mit ins Spiel. Die Artikulation wirkt „verständlicher“, der Sprache angenähert. Das Zusammenspiel ist plötzlich sehr präzise und wie eng miteinander verzahnt und läuft nicht so nebeneinander her wie beim Schweizer. Man kann es kaum glauben, dass man 1950 und 1957 das gleiche Orchester hört. Auch bei den Ruhestellen und den Passagen der Steigerung des Ausdrucks wirkt das Musizieren viel selbstverständlicher und weniger ruckartig. Der Übergang zum dritten Satz wirkt sehr gelungen.
Völlig verblüfft registriert man, dass das Orchester im dritten Satz wie ein Eliteorchester spielen kann, geschmeidig, präzise, mit überzeugendem Rubato und mitreißendem Drive. Übrigens kann man in kaum einer Einspielung das kleine kadenzartige Fagottsolo ab zwei Takte vor Zi. 61 hören, auch nicht bei Argenta. Wir wollen darauf hinweisen, wenn es mal hörbar sein sollte. Aber das Glück der Hörerschaft hängt gewiss nicht von ihm ab.
Als normale CD gehört ist der Klang in der Genfer Victoria Hall schon sehr präzise, räumlich und gut gestaffelt eingefangen worden, den Glanz und die Luftigkeit der Ansermet-Einspielung von 1961 erreicht sie jedoch noch nicht. Das Orchester klingt aber bereits sehr viel besser als in der Ansermet-Einspielung von 1950. Auch schon weniger hell. Als XRCD wirkt der Klang dreidimensionaler, jedoch seltsamerweise nicht mehr so luftig. Das Orchester hört sich jedoch straffer und satter an, dynamischer und körperhafter. Die XRCD vermittelt mehr vom erstaunlich schlanken Mittentonbereich der Röhrenaufnahme, brillant, aber ohne eine übermäßige Hochtonlast tragen zu müssen. Das Timbre des Orchesters wirkt angenehmer, die Farben wirken kräftiger. Die ultimative Transparenz der Abbado-Aufnahme erreicht sie auch als XRCD nicht ganz.
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5
Jean Fournet
Tschechische Philharmonie Prag
Supraphon
1965
7:08 8:15 4:22 19:45
Auch in Prag hat man ein Faible für die Musik Debussys. Meist lud man sich, wenn es um Musik französischer Provenienz ging, französische Gastdirigenten ein. Alleine mit der Tschechischen Philharmonie liegen uns drei Einspielungen vor. Die nun vorliegende mit Jean Fournet von 1965, dann 1977 mit Serge Baudo nun in der damals modernen Quadro-Technik und dann 1988 (leider muss man sagen) bereits digital aufgenommen mit Libor Pesek. Von den dreien favorisieren wir die älteste Aufnahme mit Jean Fournet.
Von Jean Fournet gibt es übrigens noch eine weitere Einspielung von „Ibéria“, 1974 für Decca im Phase 4 Stereo Aufnahmeverfahren mit der Niederländischen Radiophilharmonie eingespielt. Sie lag uns leider nicht zum Vergleich vor.
Fournet macht aus den „Straßen und Wegen“ eine Art Schlangentanz mit einem fast schon beschwörend wirkenden Rhythmus. Weniger quirlig als Paray oder Munch, jedoch impulsiv, lebendig und sehr deutlich. Das Orchester präsentiert sich in Höchstform, die Hörner begeistern wieder einmal besonders, während die Oboen immer noch ziemlich hart klingen. Der Musik merkt man jederzeit an, dass sie von einem „Insider“, einem intimen Kenner dirigiert wird, der die Musik sozusagen im Blut hat, wenn man das heutzutage noch schreiben darf. Das Orchester rückt zusammen zu einer hervorragend gespielten Kammermusik. Trotzdem hat man jederzeit einen tollen Überblick über den Verkehr in den Straßen und Wegen Spaniens. Klasse!
Im zweiten Satz werden wir von einer sehr schön ausgebreiteten aber immer sehr bewegten Atmosphäre eingesaugt, wenig lastend aber ruhig, ohne die Hektik die Ansermet hier verbreitet. Diese Parfüm-Creation wirkt nicht einschläfernd oder gar betäubend. Das Spiel der Tschechen klingt hellwach und die Oboe, im ersten Satz noch ein klein wenig getadelt, gibt sich nun zu nächtlicher Stunde sehr viel Mühe weich und leise zu klingen. Es gibt in dieser Darbietung kein Forcieren. Sehr gerne überlässt man sich dem musikalischen strömen lassen, einer Musik die wunderbar detailreich klingt und ein schillerndes Klanggewebe ergibt. Leise und behutsam gespielt, kann sich trotzdem ein großer Klang entfalten. Einer der besten zweiten Sätze überhaupt. Man merkt, dass Fournet gefühlvoller an die Musik hergeht als Paray, Munch oder Reiner. Kritik erscheint eigentlich nur bei den Violinen angebracht, denn sie stehen doch etwas zu sehr im Vordergrund und klingen einfach zu hell für die nächtliche Szenerie. Nachts scheint nun einmal einfach keine Sonne, man sollte sie also auch nicht unbedingt hören, wenn man es vermeiden kann.
In allen drei Sätzen wirkt die Musik spannend dargeboten und, das ist besonders wichtig, ohne jemals bierernst zu wirken. Im letzten Satz klingt sie dann spritzig und fröhlich. Ein ganz besonderes Lob wollen wir dem Klarinettisten aussprechen. Es ist eigentlich das beste Solo (ab 3 T. nach Zi. 57) überhaupt, denn da kommt endlich mal wirklich einer aus sich heraus (was Debussy ja bei einigen Soli explizit fordert aber er schreibt p oder sogar pp dazu, wie soll das dann zusammen gehen?). „Trés en dehors en exérant les accents“, also sehr aus sich herauskommen und die Akzente übertreiben. Hier darf man auch mal f spielen und das wird alles vollständig umgesetzt. Der Klarinettist kniet sich förmlich richtig hinein. Da mussten wir aber wirklich lange darauf warten (die 51. Aufnahme) und auch danach kam niemand mehr so recht an dieses Solo heran. Klanglich schon, aber nicht im Ausdruck. Der schön trockene (séc!) Schlussakkord wirkt auch so, aber so schön wie bei Munch, als zerplatzender Traum wirkt er bei Fournet nicht. Dies ist eine insgesamt besonders spritzige und geistreiche Darbietung und wir wollen es nicht verhehlen, sie gehört zu unseren ganz persönlichen Favoriten.
Der Klang der Supraphon-Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren fällt höchst unterschiedlich aus. Diese gehört zu den allerbesten. Sie ist sehr klar und deutlicher, farbiger, präsenter und plastischer als die beiden späteren Einspielungen unter Baudo und vor allem unter Pesek. Vor allem klingen die Streicher viel freier als 1988 unter Pesek, der mit einer unausgereiften Digitaltechnik „geschlagen“ war. Sehr gute, lebendige Dynamik. Fast schon wieder eine Sternstunde.
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5
Fritz Reiner
Chicago Symphony Orchestra
RCA
1957
6:47 9:00 4:30 20:17
1957 war ein gutes Jahr für „Ibéria“, liegt doch nun bereits die dritte Einspielung aus diesem Jahr vor uns. Und auch auf diese möchten wir nicht verzichten, bringt sie doch wieder andere Akzente mit nach Spanien. Den motorischen Überschwang mit dem rückhaltlos quirligen Verkehr Parays bietet Reiner nicht an. Hier hört man exzellentes Orchesterspiel mit einer über jeden Zweifel erhabenen Präzision. Die Klangfarbenmischungen werden superb angerührt, sie wirken aber nicht so sinnlich und anziehend wie zum Beispiel bei Abbado. Der Gestus ist weniger spielerisch-turbulent als dramatisch und geschärft. Das sind aber wirklich nur kleine Unterschiede auf höchstem Niveau. Und es versteht sich eigentlich von selbst, wenn die Perfektion dermaßen auf die Spitze getrieben wird, kann es nicht mehr besonders spontan wirken.
Im zweiten Satz wirkt Reiner dann auch mal weniger streng und lässt das CSO eine irisierende Farbenpracht in einem besonders schwebenden Klang entfalten, die man nicht unbedingt von ihm erwartet hätte. Sollte da etwa mitten in der Nacht die „Sonne im Herzen“ aufgegangen sein? Wir wollen es mal nicht übertreiben, aber der Klang des Orchesters wirkt tatsächlich warm und emotional. Die Oboe trägt etwas viel Vibrato auf (auch ungewöhnlich bei Reiner). Es ergibt sich ein großer Klangzauber und das langsamere Tempo scheint gegenüber dem schnelleren bei Paray dabei nicht zu schaden. Glasklar, wie ein schimmernder Edelstein klingt das Orchester hier. Debussy hätte vermutlich seine helle Freude daran gehabt. Solistisch klingt es noch etwas voller und runder als in Detroit. Ein kleines Beispiel: Die Trompete spielt 1 T. nach Zi. 52 ein schönes, substanzreiches pp, wo es in Detroit laut und wenig subtil klingt. Debussy gibt auch hier pp vor aber gleichermaßen auch „en dehors“, also nach draußen, was so etwas wie betonen, also etwas extrovertierter als üblich bedeutet. Gar nicht einfach. Jedenfalls sollte nicht unbedingt ein f daraus werden, das hätte Debussy dann auch notiert.
Auch der dritte Satz wirkt bei Reiner klarer und noch besser geordnet, aber nicht so wild und spontan wie bei Paray. Der tänzerische Charakter bleibt auch bei Reiner gewahrt. Die Glocken klingen viel besser als in Detroit. Das Geigensolo ist wiederum in Chicago erstaunlich wenig präsent und zu hintergründig. Das Chicagoer Blech klingt einfach grandios, besonders die superben Trompeten.
Auch diese Einspielung konnten wir als XRCD hören. Sie klingt sehr prägnant, äußerst dynamisch, sehr impulsiv und glasklar. Jedes Schallereignis ist hervorragend ortbar, die Präsenz hautnah. Eine der wenigen legendären Aufnahmen des Werkes, die, neben den anderen bereits gelisteten, ihren Ruf in jeder Hinsicht bestätigt.
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5
Lorin Maazel
Cleveland Orchestra
Decca
1978
6:34 8:11 4:38 19:33
Mit dem Eliteorchester aus Cleveland liegen uns noch zwei weitere gelungene Einspielungen von 1968 und 1991 mit Pierre Boulez als Dirigenten vor. Die nun vor uns liegende mit Lorin Maazel, dem Musikdirektor von 1972 bis 1982, steht zeitlich zwischen den beiden mit Pierre Boulez. Sie bringt ebenfalls viel Liebe zum Detail mit und wirkt minuziös ausbalanciert, bettet sie zahlreichen Details aber sehr schön in eine fließende Bewegung ein. Das Spiel ist wie beim Chicago Symphony Orchestra sehr sauber, hochvirtuos und pulsierend. Und wie bei Reiner klingt sie nicht so sehr französisch-spontan oder inspiré wie z.B. bei Abbado, dazu läuft das Spiel einfach zu perfekt und glatt. Aber an feinen Mixturen und an kammermusikalisch verinnerlichtem Spiel macht den Cleveländern niemand was vor.
Der wunderschön geschmeidige und biegsam-weiche Klang kann man im zweiten Satz noch besser bewundern. Die nächtliche Atmosphäre wirkt glaubhaft und gut in Gefühl übersetzt, wenn auch nicht so superplastisch wie bei Stokowski zu dessen Einspielung aus Paris wir erst später kommen, weil ihr nicht alles gleichermaßen gut gelingt. An die umwerfende Natürlichkeit Fournets kommt Maazel nicht heran, dazu wirkt es noch ein wenig zu sehr „gemacht“.
Die eigentliche Überraschung ist der dritte Satz, der wirkt nämlich fröhlich, sehr charmant und gewissermaßen mit einem Lächeln im Gesicht musiziert. Da wird nichts überstürzt, es klingt aber sehr kontrastreich und solistisch und orchestral erreicht man höchstes Niveau. Und die sonst fast immer „unhörbare“ Fagott-Einlage im f und zu zweit (vor Zi. 61) kann man hier endlich einmal hören, das kam nur noch ein paar weitere Male vor. Die Einlage hat zwar höchstwahrscheinlich nur koloristische Bedeutung, aber wenn man sie nicht hören soll, warum hat sie Debussy dann überhaupt mit reinkomponiert? Der Satz wirkt trotz höchster Perfektion sogar noch ein wenig verspielt und spontan.
Der Decca-Klang ist klar, weich, geschmeidig, sinnlich, präsent und sehr gut ausbalanciert. Er geht, obwohl jünger (!) noch über Ansermet (1961) hinaus, verlängert die „goldenen“ Decca-Jahre der Analog-Ära noch weit in die 70er hinein. Er ist besonders angenehm, farbenfroh und dynamisch, da platzt nichts heraus und durch die „analoge“ Wärme bekommt man gleich noch audiophiles Flair mitgeliefert.
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5
Heinz Holliger
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Hänssler
2012
7:00 8:10 4:24 19:34
Bei dieser Aufnahme handelt es ausnahmsweise um keine Produktion aus der Liederhalle in Stuttgart sondern aus der Stadthalle Sindelfingen. Obwohl ein näherer Vergleich mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Sylvain Cambreling naheliegen würde, erschien sie uns mit der Einspielung mit dem CSO unter Fritz Reiner ziemlich ähnlich zu sein. Sie entstand zu einer Zeit, als sich das Orchester im letzten Jahr der Ägide Roger Norringtons befand. Ein schlanker, strenger und vibratoarmer Klang wäre für das Orchester also kein Problem.
Das Orchester spielt aber unter dem Multitalent Heinz Holliger auffallend aufgeweckt, gefühlvoll und punktgenau. Das hervorragende Spiel der Holzbläser, aber auch des Blechs und der Streicher fällt sofort auf. Die Artikulation wirkt kontrastreicher, das Spiel allgemein spannender als bei Cambreling. Das alles, vor allem die auffallende Präzision lässt an die alte Reiner-Aufnahme zurückdenken. Der Muezzin im Quartier arabe einer Südspanischen Stadt (eine Kombination aus Oboe und Solobratsche, später ergänzt um das Englischhorn) singt aber inniger als in Chicago. Das Blech klingt strahlend.
Auch in Stuttgart klingen die nächtlichen Parfüms sehr atmosphärisch und transparent und mit einer perfekten Balance aus Präsenz und Räumlichkeit. Das Spiel des Stuttgarter Orchesters wirkt bestechend präzise, aber nicht preußisch exerziert, es wirkt recht frei und ein wenig wie improvisiert, genau wie es Debussy vorgeschwebt haben mag. Das Horn bekommt sogar seine kleine Echostelle mit der gewünschten dynamischen Abschattierung hin. Auch die beiden Rubato-Passagen gelingen kraftvoll und nicht verzagt, aber nicht aufdringlich oder gar schwülstig. Ein Parfüm das extrem gut ausbalanciert wirkt, mit das Beste, das in unserem Vergleich angerührt wurde.
Der Morgen eines Festtages wirkt noch etwas angetriebener und bewegter als bei Cambreling und wird durchweg superb gespielt. Die schon angesprochene kleine, sonst meistens unhörbare Fagottkadenz kann man bei Holliger leise durchschimmern hören, immerhin. Auch bei Holliger ist jedoch nicht alles Gold, was glänzt. Der Schlussakkord ist nicht ganz „séc“ (also trocken) und man lässt Debussys Traum auch nicht effektvoll wie eine Seifenblase zerplatzen.
Die Aufnahmetechnik hat (obwohl in einer „schnöden“ Stadthalle eingespielt) einen noch etwas luftigeren und präsenteren Klang als im Freiburger Konzerthaus bei Cambreling erzielt. Er wirkt für eine Funkaufnahme richtig voll und strahlend. Insgesamt eine klare Empfehlung für Heinz Holliger, wenn es eine Einspielung aus dem Südwesten Deutschland sein soll. Da kombiniert man die Sonne und Wärme Andalusiens mit französischem Einfallsreichtum, mit Deutscher Gründlichkeit des Orchesters und der Schweizer Präzision des Dirigenten. Musikalität bringen alle vier Provenienzen mehr als genug mit ein.
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5
Pierre Monteux
London Symphony Orchestra
Philips, neuerdings unter dem Label Decca
1963
7:11 8:05 4:46 20:02
Pierre Monteux war von 1960 bis zu seinem Tod 1964 Chefdirigent des Orchesters. Eine Anekdote, die immer wieder gerne erzählt wird ist, dass er sich beim Abschluss seines Vertrages eine Laufzeit von 25 Jahren erbeten hat, bei der Aufnahme war er unserer Recherche nach 87 oder 88 Jahre alt. Und hatte immer noch den Schalk im Nacken. Man könnte vermuten, dass er nicht mehr im Vollbesitz seiner dirigentischen Fähigkeiten war, man muss aber wissen, dass er von seinem Orchester verehrt oder gar geliebt wurde und es bereit war, in jede Presche zu springen, die sich da vielleicht auftun sollte. Ähnliches (wenn vielleicht auch ohne die „Liebe“) hörte man in jener Zeit auch vom Verhältnis Philharmonia Orchestra und seinem betagten Leiter Otto Klemperer von dem uns leider keine Einspielung eines Werkes von Debussy bekannt geworden ist.
Von Pierre Monteux sind mindestens zwei (Studio)Einspielungen von „Ibéria“ bekannt und beliebt geworden. Die erste entstand 1951 mit dem San Francisco Symphony Orchestra für RCA. Auf sie kommen wir gleich noch zu sprechen.
Der Grundtenor in Monteuxs neuerer Aufnahme ist lange nicht so hektisch oder betriebsam wie die von Paray, Munch oder auch Reiner und natürlich seiner eigenen von 1951. Es mag sein, dass das Alter dabei doch eine gewisse Rolle gespielt hat. Entspannt und ein wenig gemütlich, aber eben auch sehr charmant geht es hier auf den Spanischen Straßen und Wegen zu. Es pulsiert aber und die Musik wird sehr gut akzentuiert. Das Orchester spielt prima und vor allem mit viel Herzenswärme, die man bei der 51er Einspielung noch vermisst und die man den übrigen genannten amerikanischen Aufnahmen voraushat. Die Ausgestaltung der solistischen Passagen begeistert restlos. In Sachen Präzision muss man dem CSO oder auch den Detroitern ein wenig den Vortritt lassen.
Im zweiten Satz, bei dem es vordringlich um Nächtliches und mehr oder weniger Geruchsintensives gehen sollte, liegt Monteuxs Einspielung ganz vorne. Vor allem atmosphärisch begeistert die Aufnahme sehr. Es gibt subtile Nuancen en Masse und bei aller Prägnanz klingt es doch organisch, ausdrucksvoll und einfach zauberhaft. Wenn man es gern spannend mag, sollte man besser zu Paray oder Munch greifen.
Der dritte Satz klingt beschwingt und sehr animiert und wir können uns einfach nicht vorstellen, wie das Orchester so tolle Rubati ohne einen Dirigenten hinbekommt, der weiß wie es geht. Trotz des reduzierten Tempos pulsiert doch das pralle Leben und vor allem der Klang blüht sehr schön auf. Darin müssen sich die Jungs in Amerika (Paray,69, Munch,66 und Reiner, ebenfalls 69) einfach geschlagen geben, aber auch Monteux selbst hatte als jugendlicher 76jähriger in San Francisco dafür noch wenig Sinn. Da dominiert noch die Spannung und die hart-glänzende Brillanz der Amerikaner. Nun klingt es erheblich differenzierter, wärmer und körperhafter. Uns erschien es während des Vergleiches so, dass sich manch spätere Einspielung von der zweiten Produktion Monteuxs gerade gestisch stark inspirieren ließ.
Die Aufnahme ist räumlich weit und ziemlich ausladend geworden, luftig, rund und recht plastisch. Sie hört sich eher wie eine brillante und recht vollmundige Aufnahme der Decca an wie nach einem Eigenprodukt von Philips. Sie bietet einen wärmeren Grundton als die 51er RCA mit Monteux aber auch als die 61er Decca mit Ansermet. Es ist leises Bandrauschen zu hören. Ein Klassiker.
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5
Desiré-Emile Inghelbrecht
Orchestre au Théatre des Champs-Elysées
Orchestre National de la Radiodiffusion Francaise (heute: Orchestre National de France)
Westminster, RCA lizensiert von Ducretet-Thomson
Pathé Marconi, EMI, Testament
1954 (?)
7:14 8:39 4:12 20:05
MONO Von Monsieur Inghelbrecht schienen zunächst zwei Einspielungen vorzuliegen aus verschiedenen Quellen. Das Herausfinden der jeweiligen Aufnahmedaten stellte sich leider als ziemlich unklar bis unmöglich dar, aber der Vergleich der Spielzeiten und natürlich der Aufnahmen selbst zeigte letztlich, dass es sich um die gleiche Einspielung handeln sollte. Die Spielzeiten waren in allen drei Sätzen sekundengleich. Und obwohl der Klang sehr unterschiedlich war (die obere lag nur als digitalisierte Schallplatte aus Beständen der Bibliothèque National de France vor mit heftigen Abspielgeräuschen, die untere als rauschfreies Remaster neueren Datums) könnte man die Hörerlebnisse in einem Text verarbeiten.
Übrigens ist das oben genannte Orchestre au Théâtre des Champs-Elysées nicht mit dem erst 1991 von Philippe Herrweghe gegründeten „Orchestre des Champs Elysées“, das auf Originalinstumenten spielt, zu verwechseln. Von Zeit zu Zeit hatte das 1913 fertiggestellte Theater in Paris (Uraufführung von Debussys „Jeux“ und Strawinskys „Le Sacre du printemps“ im Jahr 1913) eigene Orchester, aber seit seiner Gründung 1934 ist das Orchestre National de France dort beheimatet, damals lautete sein Name allerdings noch anders (siehe oben). Möglicherweise hat man das Orchester einfach aus vertragsrechtlichen Gründen anlässlich der ersten Veröffentlichung auf Ducretet-Thomson umbenannt. Wäre ja nicht das erste Mal.
Desiré-Emile Inghelbrecht (1880-1965) war der Gründungsdirigent dieses französischen Rundfunk-Orchesters. Er leitete es von 1934-1944 und dann noch einmal von 1951-1958. Er war zuvor lange Orchestergeiger und als Dirigent Autodidakt, außerdem Komponist zahlreicher Bühnenwerke. Er leitete die Uraufführung von Florent Schmitts „La Tragédie de Salomé“ und war der Chordirigent bei der Uraufführung von Debussys „Le Martyre de Saint Sébastien“. Aus seiner Bewunderung für den Komponisten entwickelte sich eine tiefe Freundschaft.
Unter den von französischen Orchestern gespielten Aufnahmen von „Ibéria“ gefällt uns diese zeitlich gesehen erste am besten. Das Orchester spielt sehr gut, besser als später unter Jean Martinon und viel lebendiger als das Orchestre de Paris unter Barenboim, um nur einmal zwei der zahlreichen Aufnahmen französischer Provenienz zu erwähnen. Man meint, wenn man diesen „alten Schinken“ hört und ihn mit den neueren und ganz neuen Hochglanzproduktionen vergleicht, die Pariser Orchester hätten den „richtigen Debussy-Ton“, so wie ihn Inghelbrecht trifft, mittlerweile verlernt. Das Orchester musiziert mit großer Selbstverständlichkeit, wirkt sehr gut geprobt (!) und fleißig geübt, man macht richtig Musik. Der große Eifer und einige Raffinesse sprechen für ein ambitioniertes Verhältnis zum aufgeführten Werk. Der erste Satz klingt sehr lebendig, pulsierend und flexibel. Das Blech spielt mitunter noch mit einem leichten Vibrato, wen wundert´s die Hörner zählten damals in Frankreich noch zum Holz! Insgesamt kann man den Orchesterklang als typisch für den französischen Klang der 50er Jahre bezeichnen (dünne Oboe), aber das Zusammenspiel wirkt, anders als oft gehört, präzise. Der Dirigent legt großen Wert auf die einzelnen Stimmungen und hebt den koloristischen Effekt stark hervor, was angesichts der damals noch weniger farbigen Klangtechnik sehr löblich erscheint. Bei kaum einer Aufzeichnung hört man die meist mehr als stiefmütterlich behandelten Fagotte so gut wie bei Monsieur Inghelbrecht. Man bringt die frische Stimmung sehr gut rüber. Und gegenüber Reiner in Chicago fehlt jede Pedanterie.
Im zweiten Satz wirkt das Spiel sehr viel poetischer als noch bei Ansermet (vor allem bei seiner 50er Einspielung), man vermeidet jede steife Phrasierung und spielt weich und geschmeidig. Die Oboe wirkt glücklicherweise zurückgesetzt, sie würde die nächtliche Stimmung zunichtemachen, da hatten unter anderen die Techniker der Martinon-Aufnahme mit dem gleichen Orchester ca. 20 Jahre später weniger Skrupel. Zudem bemüht sie sich erfolgreich wirklich leise zu spielen. Allerdings wird so die Stimme teilweise von den Streichern „überschwemmt“, sodass man sie nicht bruchlos verfolgen kann. Generell investiert man viel Mühe in subtile Klanggebung und sprechende Phrasierung. Das gelingt nur, wenn man weiß, worum es geht. Als Hörer hat man das Gefühl: Hier geht es einmal tiefer, unter die sonst oft zu hörende pure schöne Oberfläche.
Im schnellen dritten Satz sind die Geigen bei den schwierigen Passagen nicht ganz zusammen, aber insgesamt kann man sich über die gute Qualität des Orchesters nur wundern. Es geht ziemlich treibend vorwärts und eine ausgelassene Fröhlichkeit bricht sich Bahn. Man scheint die Musik zu lieben und das hört man auch. Ziemlich aufregend. Kleine Randnotiz: Bei Zi. 46 scheint die Solovioline verdoppelt zu sein. Dies ist die beste Darstellung der „amtlichen“ Sachverwalter Debussys vom Französischen Nationalorchester.
Beim Klang müssten wir zwischen dem LP-Rip der alten Platte und dem modernen Remaster unterscheiden. Von der knackenden LP gehört klingen die Kastagnetten isoliert, das Orchester insgesamt nicht sauber abgebildet (angesichts der „beknackten“ LP, die als Quelle diente, gar kein Wunder, denn außer dem Knacken bietet sie auch noch ein Sammelsurium an Schleifgeräuschen. Die Musik klingt allerdings präsenter und hochtonreicher, insgesamt frischer und knackiger als vom neuen Remaster.
Das Remaster selbst weist überhaupt keine Störgeräusche auf, klingt nicht so präsent wie die Platte, aber transparenter, die Kastagnetten wirken nun ein wenig besser ins restliche Orchester integriert. Es klingt nun viel ausgewogener und zurückhaltender. Insgesamt ist dies die empfehlenswertere der beiden gehörten Versionen dieses bei uns fast vergessenen Meilensteins der französischen Debussy-Interpretation.
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5
Pierre Monteux
San Francisco Symphony Orchestra
RCA
1951
6:39 7:53 4:16 18:48
MONO 1951 war Monsieur Monteux gerade einmal jugendliche 76 Jahre jung, was man am sehr rhythmischen und lebendigeren Musizieren als 1963 leicht erkennen kann. Ein Musizieren, leidenschaftlich und mitreißend wie aus einem Guss. Trotz der ebenfalls quäkenden Oboe in San Francisco kann das Orchestre de la Suisse Romande der 1950er Einspielung angesichts der gebotenen Qualität nur neidisch über den großen Teich blicken. Dabei bescheinigte man dem Orchester von der Westküste damals nur eine eher mittelmäßige Qualität. Das lässt sich angesichts der Qualität, die es in „Ibéria“ an den Tag legt, nicht unterstreichen. Es ist auch nicht bei allen Einsätzen völlig präzise, aber angesichts des Erwarteten spielt es fast schon sensationell.
Im zweiten Satz, das ist der mit den „nächtlichen Gerüchen“, wirkt das Orchester für den einen damals nutzbaren Ton-Kanal sagenhaft sinnlich. Gerade wenn man Ansermet aus dem Jahr 1950 noch gut im Ohr hat. Das Spiel wirkt sehr gefühlvoll und belebt. Und Herr Monteux wählt ein ideales Tempo. Leider wirkt die Oboe klanglich für dieses Ambiente zu hart und unflexibel. Immerhin phrasiert sie gut.
Im dritten Satz fällt das herzhafte Schlagzeug besonders ins Ohr und ab Zi. 56 geht auf dem Fest unwiderstehlich „joyeuse“ die Post ab. Das Rubato wirkt gekonnt und von Zi. 63 an wartet das Orchester nochmals mit einer wunderbaren Beschleunigung auf. Monteux ist 1951 für die Spritzigkeit entscheidende Sekunden schneller als 1963, aber nicht zuletzt aufgrund des 63 verbesserten Klangs und der, nennen wir es einmal spirituellen Versenkung, haben wir 63 einen nicht zu unterschätzenden Gewinn an herzergreifender Wärme.
Der Mono-Klang ist sehr präsent, es wird uns sogar eine (ziemlich geringe) Räumlichkeit suggeriert. Die Dynamik ist faktisch bescheiden, was aber angesichts des knackigen, spritzigen Gesamtklangs gar nicht so sehr auffällt. Transparenz und Brillanz sind für 1951 sehr gut, nur im ff nicht. Die 63er ist in Sachen Transparenz jedoch viel besser.
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5
Eduard van Beinum
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
BnF – Philips
1956
6:39 7:56 4:07 18:42
MONO „1929 erhielt van Beinum die erste Einladung des Concertgebouw-Orchesters Amsterdam, 1931 rückte er dort auf die freigewordene Stelle des Zweiten Dirigenten. Van Beinum wurde schnell von den Orchestermusikern verehrt, da er sie als Partner sah und ihnen nicht seinen eigenen Willen aufzwang wie Chefdirigent Willem Mengelberg. Das Publikum war zu dieser Zeit allerdings weniger von van Beinum überzeugt, da sie eine unbedingte Persönlichkeit wie Mengelberg gewohnt waren und van Beinums objektive Lesarten im Verhältnis zu Mengelbergs kalt und oberflächlich fanden. Van Beinum erhielt laufend Angebote für Chefdirigentenposten anderer niederländischer Orchester; als 1937 das Residentie Orkest Den Haag, das damals als das zweitbeste in den Niederlanden nach dem Concertgebouw-Orchester galt, anfragte, war van Beinum zunächst nicht abgeneigt. Die Musiker und die Verwaltung des Concertgebouw-Orchester wollten ihn aber unbedingt halten und machten ihn zum Zweiten Chefdirigenten neben Mengelberg. Nachdem gegen Mengelberg aufgrund seiner Deutschland-freundlichen Haltung während des Krieges in den Niederlanden 1945 ein sechsjähriges Exil verhängt wurde, blieb die Rolle des nunmehr einzigen Chefdirigenten bei van Beinum. Daneben hielt er den gleichen Posten 1948 und 1949 beim London Philharmonic Orchestra. Bereits in dieser Zeit litt van Beinum an Herzproblemen, sodass sich dieses Orchester einen anderen Dirigenten suchte. Während der Saison 1950/51 konnte er kaum auftreten. Von 1956 bis zu seinem Tode war er auch Musikdirektor des Los Angeles Philharmonic Orchestra. Van Beinum starb 1959 während einer Probe von Brahms’ 1. Sinfonie mit dem Concertgebouw-Orchester an einem Herzinfarkt. Er wurde an seinem Wohnort in dem Dorf Garderen in der Veluwe-Region beigesetzt. Als Nachfolger beim Concertgebouw-Orchester hatte er (nicht offiziell) Bernard Haitink vorgesehen.“ (Wikipedia) Der es dann ja auch tatsächlich wurde, zunächst noch mit Eugen Jochum gemeinsam.
Die Darstellung von „Ibéria“ weist Züge einer typischen Interpretation der 50er Jahre auf. Die Dynamik wirkt eruptiv. Die wiederkehrenden f-Schläge des Orchesters klingen bei ihm (und nur bei ihm) wie Peitschenhiebe. Der Gestus wirkt dynamisch, vorantreibend und dramatisch. Lebendig und vor Temperament berstend wie allenfalls noch bei Paul Paray und Charles Munch. In Sachen Präzision kommen die Amsterdamer damals noch nicht ganz an die Amerikaner der 50er Jahre heran (vor allem nicht ans CSO unter Reiner), aber doch in Sachen stilistischer Kompetenz und evozierter Atmosphäre. Klangtechnisch fällt diese Produktion leider deutlich ab, der Vorsprung der Amerikaner in der frühesten Zeit der Stereophonie war, wie man sehr leicht hören kann, eklatant, denn bei Philips verharrte man noch bei der monauralen Aufnahme. Das sollte sich allerdings schon bald ändern.
Im zweiten Satz lässt van Beinum die Spannung, trotz des lyrischen Inhalts, nie abbrechen. Es gibt keinen Zerfall in einzelne Episoden wie beispielsweise bei Daniel Barenboim, man ist entscheidend schneller und bringt eben mehr Spannkraft mit ein. Die Streicher können trotz des lauen Mono-Klangs bereits einen schönen Klangteppich knüpfen. Das Holz spielt angenehm leise, aber nur weil es von der Technik zurückgesetzt wurde, dadurch wird seine Härte verschmerzbar. Mit wunderbaren Kantilenen („expressif et passioné“) zieht van Beinum geschmackvoll am Kitsch vorbei. Er hält am gewählten recht flotten Tempo fest und spielt nur da Rubato, wo Debussy es explizit fordert. Da verschwimmt nichts und es gibt auch keinerlei Anflug von Romantisieren. Trotz fehlenden Klangzaubers bleibt der Satz kurzweilig.
Im dritten Satz bietet van Beinum und sein Orchester anspringende Bildhaftigkeit und einen fast unnachahmlichen Schwung. Trotz der immer mal wieder den ausgewogenen Holzbläsersatz störenden Oboen wird dem wagemutig-geradlinigen, lustvollen Orchesterspiel kein Abbruch getan. Wir erleben höchste Intensität, bei der gallischer Feingeist gegenüber der überschwänglichen Feierlaune stark zurückbleibt. Selten erlebt man das (heute) königliche Orchester einmal so extrovertiert, wie man es von einem spanischen (klischeehaft) erwarten würde. Leider wurde die Musik, die wir von dieser Einspielung hören konnten wieder von einer alten LP aus den unerschöpflichen Beständen der Bibliothèque national de France digitalisiert. Der Klang und der Zustand der LP ist zwar deutlich besser als bei Inghelbrecht, aber die sinnliche Verführungskraft einer gut gelungenen Stereo-Einspielungen geht ihr weitgehend ab. Die Streicher stehen ziemlich stark im Vordergrund, Holz, Blech und Schlagzeug relativ weit zurück. Die Dynamik wirkt erfreulich weit, vielleicht wird man aber auch vom entfesselten Temperament einfach mitgerissen. Der Plattenlauf bringt nur sehr wenige und wenn dann nur sehr leise Störgeräusche mit. Die Aufnahme ist auch heute noch gut anhörbar, wenn sich der sinnliche Genuss auch in Grenzen hält. Eine klangliche Konkurrenz für die ersten Pionier-Stereoaufnahmen aus Amerika (Paray, Munch, Reiner) oder auch Europa (Argenta) ist sie wie auch die Einspielung Inghelbrechts nicht.
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4-5
Charles Dutoit
Orchestre Symphonique de Montréal
Decca
1988
7:20 8:16 4:23 19:59
Bei Charles Dutoit beginnt das Werk weit entfernt von der quirligen Turbulenz der vorherigen Generation (Monteux 51, Paray 55, Munch 57 oder Ansermet 61), nun klingt es leger und elegant, doch rhythmisch und insgesamt deutlich und transparent. Der besonders klagende Muezzin, zu hören, wenn wir die Abbiegung ins Quartier arabe (das arabische Viertel, das es fast in jeder größeren Stadt Südspaniens gibt, denn Spanien erlebte einst eine Einnahme durch Araber) hinter uns gebracht haben, wird hier von zart und leise zu hörenden Solisten (Oboe und Viola) gespielt. Insgesamt stellt man fest, dass der lässig-gekonnte Zugang ebenfalls gut zum Werk passt. Da braucht man keine Angst vor Zusammenstößen mit anderen „Verkehrsteilnehmern“ zu haben, denn ein jeder ist ein absoluter Könner auf seinem Gebiet und weiß seinen Wagen sicher zu manövrieren. Das Lässige wirkt gerade noch nicht glatt. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Maazel-Einspielung aus Cleveland ist nicht zu überhören.
Der stimmungsvolle zweite Satz profitiert von den formidablen Holzbläser-Solisten, dem sehr schönen, fein gewebten Streicherteppich und dem generell gefühlvollen Spiel. Die Artikulation bzw. Phrasierung wirkt sprechend, lebendig und lässt den Satz nicht in Episoden zerfallen. Das nächtlich-geheimnisvolle kommt nicht zu kurz. Das Horn spielt sein leises Solo sogar mit einer gewissen Echowirkung, wenn man ganz genau zuhört. Das Rubato der Violinen (bei Zi. 45) wird nicht spürbar. Der heikle Streicherabgang gelingt auch dem sonst sehr genau spielenden Orchester nicht ganz präzise. Bei Zi. 49 wird die Lautstärke nicht, wie bei einigen anderen z.B. sogar bei Ansermet oder auch bei Stokowski nicht wie beim Einzug in Walhalla zur maximal möglichen Dynamik ausgereizt, sondern man bleibt angemessen zurückhaltend. Damit bricht man nicht aus der vorgegebenen Stimmung aus, was wir bei manch einer Einspielung als unpassend empfanden. Es steht auch nur f da und nicht ff oder gar fff. Die Taktwechsel gelingen perfekt.
Der Morgen zu einem Festtag hat nichts Verschlafenes, sondern startet bereits alert, d.h. aufmerksam oder aufgeweckt. Ohne das Tempo übermäßig anzuziehen erreicht man eine temperamentvolle, fröhliche Stimmung. Stürmisch soll es aber nicht werden. Irgendwie haben wir den Eindruck, dass Monsieur Dutoit nicht ins Schwitzen geraten möchte. Dies ist ein heller, im zweiten Satz wenig mysteriöser Debussy, der viel von der fabelhaften Instrumentierung Debussys hören lässt und viel unaufgeregte Brillanz verströmt. Souverän gemeistert.
Der Klang ist offen, brillant und klar, räumlich, recht körperhaft, ziemlich plastisch, differenziert und sinnlich sehr ansprechend. Von der noch recht frühen Digitaltechnik bleibt eine gewisse leichte Glasigkeit, die man aber nur bemerken dürfte, wenn man genau darauf achtet.
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4-5
Bernard Haitink
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
Philips
1977
6:46 8:34 4:23 19:43
Bernard Haitink legt im ersten Satz ein flottes und temperamentvoll gestaltetes Tempo vor. Rhythmisch ist die Einspielung auf den Straßen und Wegen nicht so scharf umrissen wie bei Abbado und atmet auch nicht ganz dasselbe spanische Lokalkolorit. Haitink und seine Techniker gewähren uns auch nicht ganz den „hellhörigen“ Durchblick durch den Klang des Orchesters und die Detailakribie des Italieners mit dem LSO erreicht man auch nicht ganz. Das Amsterdamer Orchester spielt virtuos und macht einen bestens vorbereiteten Eindruck. Die einzelnen Soli klingen ausgezeichnet und die Zeiten, in denen eine dünne Oboe den Holzbläsersatz über Gebühr dominierte waren 1977 auch in Amsterdam vorbei. Haitink bietet einen knackig-temperamentvollen Überblick über die von Debussy erträumten Straßen und Wege Spaniens. Es wird nichts verheimlicht.
Im zweiten Satz gefällt das Oboensolo sehr gut, obwohl es vielleicht eine Winzigkeit zu laut ist, das braucht man aber nicht auf die Goldwaage zu legen, denn das sich anschließende Solo des Englischhorns erfreut ebenfalls mit einer gegenüber älteren Einspielungen neu gewonnenen, weichen und sonoren Klangqualität. Ein Vergleich mit der Einspielung van Beinums beweist es. Die Phrasierung wirkt gefühlvoll, die Streicher bringen ein hohes Maß an warmer Klangschönheit in ihren Klangteppich mit ein. Eine tropische Nacht (über 20 Grad Celsius) sollte auch entsprechend warm klingen. Der nächtlichen Atmosphäre wird genau so viel Glanz verliehen, dass der nächtliche Rahmen nicht gefährdet erscheint. Der Vortrag hat nicht ganz die Präzision, die Abbado dem seinen angedeihen lässt, aber kurioserweise zugleich auch nicht ganz dessen „Freiheit“. Er wirkt etwas fester, wenn auch lange nicht steif. Wie improvisiert wirkt es bei Haitink jedoch nicht. Bei Haitink stellt sich das Gefühl eines etwas zu schnell gewählten Tempos ein, ohne dass man behaupten oder gar beweisen könnte, Haitink hätte ein zu schnelles Zeitmaß gewählt. Das bemerkt man wahrscheinlich nur, wenn man einen direkten Vergleich anstellt. Es fehlt das Gefühl des „Ruhevollen“. Innerhalb des erzeugten atmosphärischen Ausdrucks erscheint dies als kleiner Verlust, der von der Wärme des Klangs fast wieder ausgeglichen wird.
Im dritten Satz begrüßt man schon ziemlich laut den Morgen des Festtages, das zauberhaft-mysteriöse des Übergangs steht etwas zurück. An Temperament im Verlauf mangelt es Haitink dieses Mal gewiss nicht. Er legt ein offensives Tempo vor. Das uns noch schneller erschien als es in Sekunden zu messen war, denn zuvor haben wir die beiden Einspielungen Celibidaches gehört, bei dem die Uhren mal wieder deutlich auf „zum Raum wird hier die Zeit“ eingestellt sind. Die Klarinette bei 4 T. nach Zi. 57 gefällt sehr gut. Der ganze Satz wirkt einfach hochklassig.
Der Klang bei Haitink wirkt warm, transparent und plastisch, präsent und gut gestaffelt, voll, sonor und brillant, natürlich und sehr dynamisch. Wir konnten eine älteres und eine neueres Remaster hören, wobei das neuere etwas aufgelichteter, voller und brillanter wirkte. Das waren aber nur Nuancen. Man hört in beiden Fällen eine exzellente Analog-Aufnahmen mit audiophilem Anspruch durch.
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4-5
André Cluytens
Orchestre da la Société des Concerts du Conservatoire (heute: Orchestre de Paris)
EMI
1963
7:06 8:02 4:20 19:28
Jüngeren Lesern dürfte der Name des belgisch-französischen Dirigenten vielleicht gar nicht mehr bekannt sein. Ab 1932 dirigierte er vor allem in Frankreich, am Théâtre du Capitole de Toulouse, an der Opéra National de Lyon und an der Opéra-Comique (Paris), wo er 1946–1953 Chefdirigent war. 1945 nahm Cluytens die französische Staatsbürgerschaft an. Seine internationale Karriere begann 1944 mit seinem ersten Dirigat an der Pariser Opéra Garnier. Als Nachfolger von Charles Münch war er 1949–1960 Chefdirigent des Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire. Ohne seine privilegierte Beziehung zu dem Pariser Orchester aufzugeben, war er von 1958 bis zu seinem Tod 1967 Chefdirigent des Belgischen Nationalorchesters in Brüssel, das er als offizielles Hauptstadtorchester neu aufstellte.
Monsieur Cluytens war ein gut beschäftigter Schallplattendirigent, wobei besonders die Einspielungen mit Musik französischer Komponisten (Debussy und Ravel) die Zeit überdauert haben.
Das Orchester befindet sich in sehr guter Verfassung und zeigt beispielsweise ein viel besseres Zusammenspiel als das Nationalorchester des Rundfunks mit Jean Martinon oder einen viel lebendigeren Gestus als Barenboim mit dem direkten Nachfolgeorchester des Conservatoire-Orchesters, des Orchestre de Paris. An die Qualität der zeitgenössischen Einspielungen der amerikanischen Orchester oder an die Tschechische Philharmonie mit Jean Fournet 1965 kommt es nicht ganz heran. Besser vergleichbar wäre es mit dem Orchestre de la Suisse Romande in der (besseren) Aufnahme mit Ansermet von 1961.
Der Gestus im ersten Satz wirkt ziemlich bewegt, aber nicht spielerisch oder quirlig, eher beherrscht und kontrolliert, aber durchaus stimmungsvoll. Das Spiel wirkt also lange nicht so spontan, frisch oder frei wie bei Paray oder Münch (nur in Boston).
Die Präsenz des Orchesters im zweiten Satz legt gegenüber dem lauteren ersten Satz deutlich zu. Das ganze Orchester rückt näher. Da hat man sich die bereits vorliegenden Einspielungen von Paray und Munch offenbar sehr gut angehört, denn dort frönte man förmlich einer orchestralen Innenschau aus der Dirigentenperspektive. Der Streicherklang ist sehr gut, nicht so hell und viel wärmer und runder als bei der Nachfolge-Aufnahme bei EMI mit Jean Martinon. Leider konnte der Dirigent nicht mäßigend auf die Solooboe einwirken, denn sie spielt der wie herangezoomten Nähe nun viel zu laut und vertreibt die von den Streichern mit Leichtigkeit aufgebaute Klangmagie ziemlich nachhaltig. Über die nun einmal richtig gut hörbaren beiden Harfen kann man sich dafür umso mehr freuen, allzu oft werden sie, so wichtig sie in diesem Satz auch sind, von der Klangtechnik sträflich vernachlässigt. Wenn die Oboe nicht spielt stellt sich ein sehr schöner Klangzauber ein. Selten klang ein Pariser Orchester der 60er Jahre so gut wie in dieser Einspielung und in diesem Satz. Das ist fast schon großes Gefühls-Kino.
Der dritte Satz wird mit Schwung und Klasse gegeben, das Holz ist gut und sogar die kleine Fagottkadenz erreicht die Ohren der Zuhörerschaft. Das ist selten (bei T.1 und 2 vor Zi. 61). Es wird gut gesteigert bis zu ausgelassener Fröhlichkeit. Kritikpunkt: Die Hörner klingen etwas zu hintergründig. Gut: das präsente Glockenspiel.
Der Klang der Aufnahme ist klar, offen, räumlich exakt umrissen, präsent, plastisch recht körperhaft und ziemlich dynamisch. Sogar eine gewisse Tiefenstaffelung konnte mit eingebracht werden. Die 63er EMI klingt viel besser als die elf Jahre später entstandene EMI mit Jean Martinon.
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4-5
Josep Pons
Orquesta National de España
DG
2010
8:01 9:39 4:55 22:35
Nach seiner Zeit als Chefdirigent in Sevilla 1994-2004 war Josep Pons 2003-2012 Musikdirektor des Spanischen Nationalorchesters. In dieser Zeit kam es zu der bei uns wenig bis gar nicht beachteten Einspielung mit Werken von Ravel und Debussy bei der DG, die auch Debussys „Ibéria“ beinhaltet. Seit 2012 bis 2026 ist Señior Pons Musikdirektor des Gran Teatre del Liceu in Barcelona. Ab 2025 wird er Pietari Inkinen als Chef der Deutschen Radiophilharmonie folgen. Aus dem Jahr 2024 liegt uns auch noch ein Mitschnitt der BBC aus London vor, den wir in einer separaten Liste mit Rundfunk-Mitschnitten untergebracht haben.
2010, Josep Pons war da 53 Jahre alt, klingt der erste Satz intensiv, aber nicht wie in der Rush-Hour übermäßig turbulent oder folkloristisch quirlig. Man behält stets die Übersicht über jede Stimme und alle Motive. Das Orchester spielt tadellos mit einer inzwischen international üblichen vollmundigen Tongebung. Hier wird ganz genau hingesehen. Einen nationalen Charakter beim Orchesterklang kann man nicht mehr heraushören. Oberflächlich gehört scheint es dem Spiel in Madrid ein wenig an Temperament zu mangeln, aber die Phrasierung wirkt sprechend und z.B. der Gesang des Muezzins, wenn wir gerade ins arabische Viertel einbiegen, klingt sehr klangschön und kantabel. Seine Stimme besteht vor allem aus dem Unisono von Solo-Viola und Oboe, was man genau heraushören kann. Das Spiel des spanischen Orchesters wirkt besonders empathisch, detailreich und charakterscharf. Das wiegt, unserer unmaßgeblichen Einschätzung nach, den sprudelnden Verlauf vieler anderer Einspielungen, der vordergründig mehr Feuer offeriert, durchaus auf.
Im zweiten Satz schlägt der Spanier ein eigentlich zu langsames Tempo an, wenn man die Metronom-Angaben der Partitur zugrunde legen will. Den matten, „abgeschlafften“ Gesang der fein intonierenden Oboe kann man so hervorragend zur Geltung bringen. Das unterlegte Streichergeflecht wirkt sehr fein gewoben und wird beweglich ausgebreitet, die Phrasierung wirkt dabei akribisch-exakt. Auch im weiteren Verlauf nimmt man sich viel Zeit um die Themen und Motive der Parfümzusammenstellung richtig wirken zu lassen. 14 Jahre später in London bei den Proms wird man sich noch etwas mehr davon gönnen. Die solistischen Darbietungen sind eloquent, man spürt, dass jede(r) sein bzw. ihr Bestes gibt. Der musikalische Fluss bleibt jederzeit gewährleistet, Pons legt es also nicht darauf an, die Zeit aus der Betrachtung herauszunehmen und sie still stehen zu lassen, wie Celibidache, vor allem in München. Der Satz wirkt so jedoch erheblich melancholischer und schmerzlicher, als wenn man ihn zwei Minuten schneller spielen lässt. Debussy schwebte ein deutlich schnelleres Tempo vor. Er mochte es keinesfalls sentimental.
Die Überleitung vom zweiten zum dritten Satz wird organisch und mit viel Gefühl vorgetragen. Der Verlauf wird mit einem gebremsten Tempo sehr deutlich und eindrücklich gespielt. Mit relativ wenig Verve. Der folkloristische Anteil der Komposition steht nicht im Zentrum der Betrachtung, vielmehr geht es bei Pons darum, die überreiche Detailfülle der Komposition in größtmöglicher Klarheit auszubreiten und wirken zu lassen. Das gelingt auf das Schönste.
Der Klang der Einspielung ist sehr gut und stand einer weiteren Verbreitung der bei uns in Deutschlang völlig untergegangenen Produktion sicher nicht im Weg. Er ist sehr detailreich, sehr transparent, körperhaft und zeichnet sich durch klare, leuchtende und satte Farben aus. An der Dynamik gibt es nichts auszusetzen.
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4-5
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1961
6:47 7:10 4:09 18:06
Ansermets erste Einspielung der „Images pour Orchestre“ entstand bereits 1950 noch als Mono-Aufnahme. Jetzt geht es um die zweite Einspielung Ansermets, die ebenfalls von Decca in der Genfer Victoria Hall bereits als Stereo-Aufnahme eingespielt wurde. Das war 1961. Die Victoria Hall war schon früh auch zur Verwendung als Studio fest eingerichtet worden. Das Orchester spielt nun viel präziser und klangschöner, die Klangmischungen passen viel besser zusammen, besonders die Intonation konnte erheblich verbessert werden. Das klanggewordene Ergebnis wirkt nun viel souveräner. Aber die typischen Anweisungen Debussys „doux, sensible oder sans rigeur“ sind immer noch nicht die Sache des Orchesters, was ein Vergleich z.B. mit dem LSO unter Abbado sinnfällig unterstreicht.
Besonders stark hebt sich der zweite Satz von der eigenen Einspielung von 1950 ab. Für das (vermeintlich) langsame und verträumte Nachtstück schlägt Ansermet, inzwischen 78 Jahre alt, ein sehr schnelles Tempo an und die klagenden Untertöne werden stark betont, aber der Klang erklingt nun in bestechender Transparenz und sehr körperhaft. Das Orchester wirkt aufmerksamer und aufgeschlossener. Das Schlagwerk tönt viel deutlicher, der differenzierte Klang hüllt den Hörer nun sehr gut ein. Was dem Satz gegenüber 1950 erhalten bleibt ist die zumindest sehr belebte, aber auch nervöse Unruhe. Es gelingen dem Orchester jetzt auch überzeugende eindringlich zarte Momente.
Auch der dritte Satz klingt nun viel präziser und klangvoller. Die Gitarrenimitation der Streicher bei Zi. 56 gewinnt so erheblich an souveräner Durchschlagskraft. Die kleine Fagottkadenz vor Zi. 61 bleibt jedoch, wie bei den allermeisten anderen Aufnahmen auch, immer noch unhörbar. Vor Zi. 68 steigert Ansermet mit viel Temperament. Insgesamt hören wir eine kaum für möglich gehaltene Verbesserung von Orchester- und Klangqualität innerhalb von nur 11 Jahren.
Der Klang der Aufnahme ist wunderbar räumlich, präsent, bereits körperhaft und plastisch, sehr gut gestaffelt, auch in die Tiefe, sehr dynamisch und frisch. Der Gesamtklang wirkt erheblich wärmer als 1950, durch die individuelle Charakteristik der Klangfarben der Instrumente dieses Orchesters jedoch immer noch hell timbriert.
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4-5
Pierre Boulez
Cleveland Orchestra
DG
1991
6:42 7:30 4:11 18:23
Dies ist die zweite Einspielung von „Ibéria“ von Pierre Boulez. Sie entstanden beide als Teil der „Images pour Orchestre“. Bereits 1968 gelang ihm eine klangschöne, klare Aufnahme mit demselben Orchester für CBS (später Sony).
1991, Monsieur Boulez war 66 Jahre alt, klingt „Ibéria“ noch etwas klangschöner, sozusagen „farbreiner“ als 1968. Der Muezzin kommt mit seinem Ruf aus Oboe und Solo-Viola nun deutlicher aus dem sonstigen Orchesterklang heraus. Das Orchester wiederholt die große Selbstverständlichkeit der virtuosen Darbietung von 1968. Das Tempo wird noch etwas risoluter durchgezogen. Bei T. 204 sind die Klangverhältnisse jetzt genau umgekehrt wie vor 23 Jahren, jetzt übertönt allerdings die Trompete die Oboe bis zur Unhörbarkeit, was auch nicht gut, aber nicht ungewöhnlich ist, denn es wird vielerorts so praktiziert. 1968 war es genau umgekehrt.
Im zweiten Satz spielt die Oboe (es könnte sogar der gleiche Oboist wie 1968 sein, so ähnlich klingen sich die beiden Darbietungen) wie übrigens das ganze Orchester etwas zurückhaltender, nicht im Tempo (da ist Boulez sogar noch etwas zügiger), aber in der Lautstärke. Es weht nun ein laues Sommerlüftchen durch die nächtliche Szenerie und vertreibt die schwül-warmen Düfte, die 68 noch spürbarer waren. Das Horn spielt nun etwas lauter, aber ebenso wie 1968 „doux et mélancholique“ (zart und melancholisch), gibt dem Spiel so etwas mehr Ausdruck. Es soll p sein. Es fällt also schwer zu sagen, was besser ist. Die Streicher spielen jedoch etwas präziser (z.B. bei Zi. 47). Insgesamt fiele es schwer, sich für die eine oder andere Einspielung entscheiden zu müssen.
Im dritten Satz ist übrigens auch bei dem meist als so genau beschriebenen Boulez die kleine Fagottkadenz nicht zu hören, in beiden Aufnahmen nicht. Die Fröhlichkeit wirkt gebremst, trotz des Tempos fehlt es etwas an Schwung, an Überschwang mag man gar nicht denken. Der letzte Akkord soll „séc“, also trocken sein, auch das hat Monsieur Boulez nicht als so wichtig erachtet, denn alle Instrumente lassen lange nachschwingen. Er bringt übrigens mehr von den notierten Streicherglissandi als früher zu Gehör. Bei einigen anderen Dirigenten wirkt der Satz anschaulicher. Der letzte Satz hat uns ein klein wenig enttäuscht.
Auch klanglich kann von großen Unterschieden zwischen den beiden 23 Jahre entfernten Einspielungen keine Rede sein. 1991 ist das leise Restrauschen verschwunden. Räumlich und transparent sind beide Aufnahmen gleichermaßen. Auch die Staffelung ist bei beiden Aufnahmen sehr gut und sogar in Sachen Dynamik fällt es schwer bei einer den beiden Aufnahmen Vorteile zu erkennen. Die DG-Aufnahme mag etwas brillanter und noch ein wenig farbiger sein, aber schon ein minimaler Dreh am Lautstärke-Poti könnte die Verhältnisse verändern. Den zweiten Satz haben wir allerdings mit der 68er Analog-Aufnahme magischer erlebt.
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4-5
Pierre Boulez
Cleveland Orchestra
CBS-Sony
1968
7:05 8:11 4:20 19:36
1968 war George Szell gerade noch Musikdirektor des Cleveland Orchestra und der Dirigent noch eher ein dirigierender Komponist als ein komponierender Dirigent, zählte gerade einmal 43 Lebensjahre.
Der erste Satz klingt leicht, locker und luzide, nicht mit dem Drang der großen Landsmänner Paul Paray, Pierre Monteux (1951) oder Charles Munch (1957). Die Lebendigkeit wirkt nun reduziert. Man spielt, was in der Partitur steht, durchaus pointenreich, noch temperamentvoll und vielleicht sogar etwas verspielt, vor allem aber klar und deutlich und gewissermaßen entschlackt. Letzteres hört man besonders deutlich, wenn wir uns ins Quartier arabe hineinbewegen, wo uns der Muezzin bereits singend erwartet, da gibt es keinerlei Mysterium mehr. Das Orchester spielt ausgezeichnet, aber es ist nicht so, dass man alle Anweisungen Debussys beachten würde, so spielt die Oboe bei T. 204 statt des angegebenen p lauter als die Trompete mit ihrem angegebenen mf. 1991 wird dieser Fauxpas zwar irdenwie korrigiert, aber die Trompete schmettert nun in stolzem f. Auch nicht besser.
Im zweiten Satz gibt Monsieur Boulez der Oboe mehr Raum zur Entfaltung, wodurch das „un peu trainé“ (ein wenig abgehängt oder „abgeschlafft“) besser zur Geltung kommt. Der Satz erhält eine tolle Aura, beflügelt vom exzellenten Spiel des Orchesters und von einer hervorragenden Klangtechnik, die die nur wenige Jahre ältere gute Bernstein-Aufnahme von CBS noch übertrifft. Wenn bei den Soli „espessif et penetrant“ in einem p gewünscht ist (also ausdrucksvoll und deutlich hervorkommend, nicht unbedingt penetrant, das hätte im Deutschen einen negativen Beigeschmack), entscheidet man sich dafür, das p wegzulassen. Da geht etwas atmosphärische Magie verloren. Überhaupt erweist sich die Dynamik bei näherem Hinsehen als nicht immer partiturkonform. Aber Genauigkeit überwiegt bei weitem. Man hat Boulez vielfach nachgesagt, sein Dirigieren würde zu unbeteiligten und kalt wirkenden Ergebnissen führen. Wenn Debussy aber „avec une grande intensité“ wünscht, dann wird sie auch geliefert. Zumindest einmal bei „Ibéria“. Der zweite Satz gefällt uns klanglich noch besser als 1991, er wirkt noch transparenter und luftiger, irgendwie feiner und sinnlicher, obwohl wir eingestehen müssen, dass wir immer noch keine Düfte wahrgenommen haben. Am Klang kann es nicht gelegen haben, der ist großartig.
Bereits 1968 wirkt der letzte Satz ein klein wenig enttäuschend. Er könnte temperamentvoller und transparenter klingen, der Schlussakkord wirkt noch weniger „séc“ als 1991, also trocken, wie beim Champagner, also kein Nachgeschmack. Das gelingt hier nicht. Wenn die Cleveländer nicht trotzdem noch so gut spielen würden, man müsste schreiben, dass der letzte Satz ein wenig fade und charakterarm gegenüber den beiden anderen wirken würde.
Der Klang der Analogaufnahme wirkt sehr klar, dreidimensional und offen. Er geht weit über die zehn Jahre ältere Bernstein-Einspielung hinaus. Er wirkt noch etwas weicher im Klang der Violinen und überhaupt im ganzen Orchester als die digitale Aufnahme der DG von 1991. Vielleicht etwas weniger knallige Brillanz, aber mehr schimmernde Glut, wenn man so will.
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4-5
Serge Baudo
Tschechische Philharmonie
Supraphon
1977
6:42 8:20 4:06 19:08
Von Serge Baudo existiert außer der tschechischen Aufnahme aus Prag noch eine spätere für EMI produzierte mit dem London Philharmonic, die uns aber nicht vorlag. Sie ist die mittlere der drei Aufnahmen von „Ibéria“, mit der die Tschechische Philharmonie unseren Vergleich bereichert. Hinzu gesellen sich noch die Aufnahmen von Fournet 1965 und Pesek 1989, beide ebenfalls von Supraphon produziert.
Sie beginnt nicht ganz mit dem Esprit und der Clarté Fournets, wirkt etwas weniger detailreich und aufmerksam, aber unforciert und sehr gut ausbalanciert. Das Orchester zeigt in allen drei Einspielungen seine hervorragende Qualität und spielt besser als die allermeisten französischen Ensembles.
Im zweiten Satz triumphiert der warme, weiche Analogklang der Violinen ganz besonders, die prickelnde Atmosphäre von Fournet erreicht man jedoch nicht mehr. Insbesondere das nächtliche Ambiente trifft man jedoch ganz hervorragend. Die Holzbläser-Solisten klingen von weit her. Bei dieser Aufnahme könnte man fast sagen: “Nachts sind alle Katzen grau“. Es klingt weniger farbig als bei Fournet und Pesek.
Der dritte Satz klingt temperamentvoll und fröhlich. Das exzellente Holz gefällt, auch der substanzreiche Klang der Oboe.
Zu LP-Zeiten erschien die Aufnahme als „Quadraphonic“-LP. Dieses Aufnahmeverfahren mag der Grund dafür sein, dass man die anspringende Präsenz und die ultimative Transparenz der zwölf Jahre älteren Aufnahme mit Fournet nicht mehr erreicht. Es klingt nun auch weniger luftig, im Gegenzug klingen die Streicher (besonders die Violinen) weicher, voller und runder. Das ganze Orchester klingt weiträumiger. Darin und in der ausgeprägten Tiefenstaffelung mag man die ehemals quadrophone Aufnahme noch am ehesten erkennen. Eine Panorama-Aufnahme. Sie wirkt weit weniger lebendig und weniger brillant als die 65er mit Fournet und ähnelt eher der 89er mit Pesek, wobei bei Baudo die Violinen viel wärmer klingen als beim durch die harte Digitaltechnik behelligten Klang bei Pesek. Also, um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Baudo klingt warm und angenehm, aber weniger frisch und knackig als Fournet und wirkt klanglich gesoftet, da höhenbeschnitten. Die französische Clarté ist abhandengekommen und der gebotene Klang würde besser zu einer Dvorak-Sinfonie passen.
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4-5
Michael Tilson Thomas
Boston Symphony Orchestra
DG
1970
7:10 9:40 4:27 21:17
Als MTT Assistent beim Boston Symphony Orchestra war, wirkte William Steinberg als Musikdirektor des Orchesters. Zu dieser Zeit kam es zu einigen Aufnahmen mit verschiedenen Dirigenten in Boston, auch mit dem Chef, William Steinberg, aber auffällig viele auch mit Gästen wie z.B. Eugen Jochum, Rafael Kubelik oder Claudio Abbado. MTT wurde, 1970 gerade einmal 26 Jahre jung mit wichtigen Projekten betraut, so spielte er u.a. „Le sacre du printemps“, Tschaikowsky „Winterträume“ oder eben Debussys „Images“ ein. Ob er dabei für den Chef einspringen musste (bzw. durfte) entzieht sich unserer Kenntnis. Wie dem auch sei, in allen Fällen legte er damals bereits reife Zeugnisse seiner Arbeit ab. Er spielte die „Images“ 2014 ein weiteres Mal ein, mit dem San Francisco Symphony Orchestra im dann schon reifen Alter von 70 Jahren. Die Unterschiede zwischen beiden Aufnahmen sind vielleicht sogar überraschend, denn er dirigiert 1970 den zweiten Satz deutlich langsamer als 2014. Doch eins nach dem anderen.
Trotz des minimal langsameren Tempos wirkt der Beginn frischer und vitaler, er klingt pointierter und mit mehr Spannung. Mit einer unbekümmerten, abenteuerlustigen und weniger auf süffigen Klanggenuss abzielenden Haltung. Er scheint noch mehr darauf zu brennen, uns eine Geschichte zu erzählen. Die jugendliche Ungeduld passt sehr gut zum ersten Satz.
Im zweiten Satz wird das Tempo 1970 deutlich langsamer angeschlagen als 44 Jahre später in San Francisco. Obwohl man die Orchester als ebenbürtig bezeichnen könnte, geht durch das langsame Tempo in diesem Fall seltsamerweise Atmosphäre verloren. Trotz des offenen, plastischen Klangs und des ausgezeichneten Spiels der Bostoner. Vielleicht mag die Verschiebung des Klangs ins Helle hinein in Boston gegenüber der dunkel-sonoren Aura in San Francisco dabei die Hauptrolle gespielt haben. Fest steht jedoch, dass MTT auch mit 26 bereits weiß, wie er das Orchester zu höchster Präzision zu führen hat, die dynamischen Kontraste gelingen stärker als 2014.
Auch die Übergänge weiß er bereits geschmeidig zu gestalten, auch den Übergang zum dritten Satz. Die erhöhte Präsenz der alten Bostoner Aufnahme vermittelt mehr Saft und Kraft im Spiel, die Klarinette klingt frech, die Charakterisierung der einzelnen Schlaglichter treffender als später in San Francisco. Wie spöttisch doch die Geigen vor Zi. 59 klingen können! Da machen die Bostoner den Kollegen aus SF richtig was vor, aber auch den eigenen Kollegen von den Fagotten und Hörnern, die die gleiche Phrase auch schon spöttisch hätten spielen sollen. Meistens, nicht nur hier in Boston bekommen es die sechs Geiger besser hin. Das Finale ist erheblich schmissiger als 2014.
Die Kastagnetten sind besonders gut zu hören, aber auch das übrige Schlagwerk wird nicht versteckt. Der gesamte Orchesterklang wirkt in Boston griffiger und dynamischer, sehr plastisch, präsenter, knackiger und straffer. Allerdings haben wir die 2014er SACD nur als Stereo-Stream hören können, da bekommt man nicht das ganze Potential der Aufnahme zu hören. Die Kehrseite ist: In Boston klingt es auch halliger (die leere Bostoner Symphony Hall), weniger weich und rund und kantiger, auch brillanter, wobei die Brillanz schon fast ins Grelle geht (auch im zweiten Satz, wie bereits geschrieben, wirkt der Klang ziemlich hell). Durchweg heller als in SF. Die 70er Aufnahme aus Boston wirkt für damalige Verhältnisse fast schon spektakulär räumlich.
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4-5
Francois Xavier Roth
Les Siècles
Actes Sud - Harmonia Mundi
2012-2014, live
7:13 8:05 4:19 19:37
Das AD der Aufnahme ließ sich nicht genau bestimmen, denn die CD verweigert eine genauere Angabe, sie besteht aus verschiedenen Live-Aufnahmen aus verschiedenen Sälen und zu verschiedenen Gelegenheiten. Man verheimlicht zudem, welches der drei Werke an welchem Ort aufgenommen wurde. Warum man sich beim Herausgeber nicht mehr Mühe gegeben hat, während die Musiker stets ihr Bestes geben, ist uns schleierhaft. Darüber sollte man mal nachdenken. Das AD ist bei diesem Label, dessen Aufnahmen mittlerweile zu einem großen Teil bei Harmonia Mundi gelandet ist, falls überhaupt korrekt angegeben, zudem immer besonders gut versteckt. Vielleicht ist es für das Gros der Käufer einfach nicht wichtig? Während nicht wenige Käufer jedoch danach schauen, weil sie eine möglichst aktuelle (und vermeintlich bessere) Einspielung kaufen möchten, ist es für aus chronologischer Sicht wichtig. Wir wollen einfach keine Falschangabe in unser Kästchen eintragen. Nehmen wir es jetzt einfach mal hin, wie es ist.
Wie viele Musikfreunde bereits wissen, handelt es sich bei dem französischen Ensemble um ein sogenanntes Originalklang-Ensemble, das die Instrumente passend zur Zeit der Entstehung bzw. der Uraufführung der jeweils aufgeführten Werke wählt. Es gibt bei „Ibéria“ nur noch eine weitere Einspielung eines Originalklang-Ensembles, die mit Anima Eterna und Jos van Immerseel. Auf den Dirigenten F.-X. Roth kommen wir später bei den Rundfunkaufnahmen nochmals zurück, da konnten wir ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern mit in unseren Vergleich aufnahmen.
Das Orchester spielt in Top-Form. Es spielt allerdings nicht mit der zackigen Präzision der Amerikaner aus den 50er Jahren, jedoch partiturgenau, liebevoll phrasiert und mit viel Wärme im weichen Klang der Originalinstrumente. Man geht nicht so draufgängerisch an die Musik heran, wie einst die Landleute Paray, Monteux (1951) oder Munch (1957). Als Vorbild käme unter den Landsleuten eher Monsieur Inghelbrecht infrage oder Monsieur Monteux, aber nur 1963. Bemerkenswert ist der besonders reizvolle Blick ins „Quartier arabe“, da lässt Roth und das Orchester die Musik schön atmen. Ohne viel Druck entströmt der Darbietung viel Ruhe und Übersicht. Nicht nur das pralle und gedrängte Leben auf Spaniens Straßen und Wegen also, man schaut schon sehr genau hin, was sich da so alles abspielt.
Dem zweiten Satz kommen die mitunter auch „nur“ nach altem Vorbild rekonstruierten Instrumente mit ihrer leichten Ansprache und ihrem leiseren kammermusikalischeren Ton sehr entgegen. So klingen die „Parfums“ schön dunkel und atmosphärisch. Der ganze Satz wirkt wie ein lebender Organismus. Die Oboe klingt sehr schön und „klagend“, sie muss sich nicht übermäßig bemühen, leise zu spielen und es gelingt ihr leicht „über der Zeit zu spielen“, also ein wenig den Taktstrichen enthoben („sur le temps“). Die Musik wirkt übrigens viel langsamer als die Uhr es suggeriert. Ein Zeichen für die große Ruhe, die sie ausstrahlt. Auch das „Rubato“ gelingt schön organisch. Wenn wir das Stück zuvor nicht schon 24mal gehört hätten, würde die Musik noch spontaner gespielt wirken. Zu dieser Spontaneität gehört großes Können und Vertrauen in die Schlagtechnik des Dirigenten. Bei Roth bleiben die wenigen f tatsächlich f und werden nicht zu einem ff hochgepuscht oder zu einem fff ausgewalzt. Selten passt das dann noch zu diesem „Nachtstück“ richtig dazu. Debussy wusste genau, was er tat, das dürfte eigentlich keinen Dirigenten überraschen und Zweifel daran erscheinen gänzlich unangebracht. Aber manche wollen es einfach besser wissen, oder sie sind einfach nur vergesslich. Wenn man es mit nur einem Wort beschreiben dürfte, dann träfe „charmant“ vielleicht für diese Interpretation noch am besten. Mache holen mehr Effekte aus der Musik heraus. Aber so ergibt sich von A bis Z eine runde Sache.
Beim Klang der Aufnahme verhält es sich ähnlich. Andere klingen großräumiger und spektakulärer. Es klingt jedoch sehr transparent, akkurat und natürlich. Der Klangcharakter ist nicht zuletzt wegen der verwendeten Instrumente, die nicht so viel Dynamik erzeugen können als moderne, weich und sanft, eher samtig und dunkel, als hell und brillant. Die Aufnahme geht nicht auf Distanz zum Orchester, hautnah ist sie jedoch ebenfalls nicht. Der Farbenreichtum begeistert, wenn man „sein Spanien“ etwas dunkler sehen möchte. Die Staffelung ist exzellent, die Dynamik ist werkdienlich, aber möchte wohl kaum zu „Demozwecken“ dienen.
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4-5
James Levine
Berliner Philharmoniker
Sony
1992
7:21 7:43 4:26 19:40
Aufnahmen mit Musik von Debussy oder Ravel mit James Levine gibt es nicht viele. Von Ravel ist uns eigentlich nur je eine Einspielung von „Daphnis und Cloé“ mit den Wiener Philharmonikern und dem Boston Symphony Orchestra bekannt (siehe Besprechung der Suite Nr. 2 daraus) und „Tzigane“ innerhalb eines Samplers mit Anne-Sophie Mutter (ebenfalls bereits besprochen). Und von Debussy gibt es außer etwas Kammermusik nur „Images“ mit den Berlinern. Letzteres auch noch mit Elgars „Enigma-Variationen“ kombiniert. „Passender“ könnte diese Kombi wohl kaum gewählt worden sein. Einmalig ist sie auch. Gegenüber der Einspielung mit Paul Paray könnte der Kontrast kaum größer sein.
Nun hat man das Gefühl, dass das grelle, mediterrane Licht mit Schlagschatten aus Detroit durch Berliner Schleierwölkchen etwas weicher geworden ist. Zudem geht es recht langsam (aber keineswegs lahm) und vor allem sehr komfortabel über die Straßen und Wege Spaniens. Das Orchester spielt sonor und geschmeidig auch im Rhythmischen und mit dem vollen, substanzreichen und farbigen Klang, den man von ihm erwartet. Technisch makellos und ambitioniert. Allerdings wirkt das Werk in der von uns als 46ste Einspielung gehörten Version ziemlich ungewohnt. Das mag daran liegen, dass der Klang nicht gerade von lockerem Esprit erfüllt ist. Der Muezzin (Unisono von Solo-Viola und Oboe) klingt so schön wie selten, als ob er sich auf einen Gesangswettbewerb vorbereiten würde, mit perfeter Intonation und größter Klangschönheit. Das Blech begeistert mit seinem vollen Glanz. Dass man das Fagott überhaupt hört ist schon selten und dann auch noch so makellos und saftig, ist bemerkenswert. Im ersten Satz verbindet sich so eine gewisse geschmeidige Eleganz mit der üppig-luxurösen Klanggebung, die die Berliner sich damals noch aus der Karajan-Zeit erhalten haben, ohne jedoch gleichermaßen in Sfumato zu verfallen.
Im zweiten Satz wird großer Klangzauber entfacht, jedoch weniger filigran und licht als üppig und klangsatt. Man spielt natürlich, geradlinig und unsentimental, nicht in die Länge gezogen aber auch nicht zu zügig. Jeder Solist darf gebührend hervortreten und mit klanglicher Exzellenz begeistern. Man bleibt „im Bilde“ und übertreibt es auch nicht mit dem f.
Auch der letzte Satz besticht durch instrumentale Makellosigkeit, die komponierten Rubati wirken gekonnt, die gewünschte spöttische Artikulation bringen auch bei den Berlinern die sechs Streicher besser heraus als die etwas zu zaghaften Bläser (Horn und Fagott), da hätte der Dirigent vielleicht etwas mehr animieren müssen. Levine kommt ohne Übertreibungen oder Amerikanismen aus. Es klingt nicht nach Disney. Das Finale klingt enorm prachtvoll nicht zuletzt dank des hervorragend exponierten Blechs.
Die Sony-Aufnahme wirkt sehr übersichtlich, natürlich und angenehm. Die Klangfarben wirken recht kräftig und satt, das Orchester ist gut gestaffelt. Der Gesamtklang klar und frei von frühdigitaler „Digitalitis“. Sony hatte gerade die Auflösung zumindest bei der Aufnahme auf 20 Bit erweitert.
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4-5
Michael Tilson Thomas
San Francisco Symphony Orchestra
SFS Media (Eigenlabel des Orchesters)
2014
7:05 8:46 4:38 20:29
MTT, wie Michael Tilson Thomas auch gerne genannt wird, war von 1995 bis 2020 Musikdirektor des Orchesters von der Westküste. Bei seiner zweiten Einspielung der „Images“ war er 70 Jahre alt. Er nimmt den ersten Satz vital, aber nicht hektisch. Die sehr guten Instrumentalleistungen z.B. von Englischhorn und Fagott nehmen für sich ein uns verhelfen, ähnlich wie bei der vorgenannten Einspielung der Berliner Philharmoniker, zu einer gediegen-einschmeichelnden Atmosphäre. Dass es auf diesen Straßen oder Wegen zu einem Unfall kommen könnte, ist kaum vorstellbar. Bei Paul Paray oder Charles Much sähe es da ganz anders aus. Der Verschmelzungsgrad von Solo-Viola und Oboe ist so hoch, dass die beiden Instrumente nicht mehr einzeln erkennbar sind. Es ergibt sich ein Mischklang, den es so ohne weiteres zuvor so noch gar nicht gab. Den Compositeur hätte es gefreut. Das Orchesterspiel wirkt hellwach und klanglich perfektioniert. Man merkt ihm an, dass nicht nur der Dirigent mit Herz und Seele bei der Arbeit ist.
Im zweiten Satz gibt es kein „impressionistisches“ Verschwimmen, trotzdem erleben wir Klangzauber pur. Das Holz erklingt zwar in Nahaufnahme, sodass die Soli sehr deutlich sind und die süße Melancholie ins Herz treffen kann. Die Rhythmen bleiben fest und die Akustik wirkt enorm hellhörig. Der Raum wirkt gegenüber dem ersten Satz nochmals geweitet und man sitzt mittendrin. Das Spiel des Orchesters ist subtil und detailreich, die Rubati in Perfektion realisiert. Der Satz strahlt Ruhe aus, wirkt wegen des eigentlich recht flotten Tempos (darin partiturgenauer als 1970) nicht gedehnt. Eine sinnlich-lebendige Darbietung (wunderschöne Celesta und ebensolche Harfen), nicht von der mediterranen Hitze zum Stillstand gezwungen.
Beim dritten Satz fehlt hingegen der rechte Schwung, aber man erfreut sich an der vollwertig hörbaren Fagottstimme und an der einnehmenden Transparenz. Das spöttische Rubato der Flöten und Fagotte (4 u. 5 nach Zi. 58) bleibt leider eine Fehlanzeige. Die kleine Fagottkadenz (t. 1 und 2 vor Zi. 61) ist ganz leise hörbar. Der Schluss wirkt leider wenig pointiert, da zerplatzt kein Traum und die Instrumente schwingen für den gewünschten trockenen Schlussakkord viel zu lange nach. Ansonsten wirkt die Darbietung tänzerisch in allen drei Sätzen, ganz besonders farbenreich und leuchtend, brillant und präzise.
Den Klang dieser SACD haben wir leider nur als Stereo-Stream hören können. Er ist aber auch in dieser reduzierten Form bereits sehr räumlich und dreidimensional aufgefächert, voluminös, weich und warm, farbenreich und farbkräftig. Er verleiht dem Werk verführerische Sinnlichkeit und mediterranen Glanz. Er wirkt süffiger als der DG-Klang von 1970 und erheblich dunkler schimmernd. In Boston klingt es im Gegenzug erheblich spritziger und hemmungsloser und noch ein wenig vitaler.
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4-5
Stéphane Denève
Royal Scottisch National Orchestra
Chandos
2012
7:20 8:28 4:18 20:06
Die Einspielung der Orchesterwerke Denèves entstand zum 150. Geburtstag Debussys. Es war zugleich das letzte (2005-2012), was Monsieur Denève in Glasgow aufnahm, bevor er nach Stuttgart zum RSO wechselte.
Tempo und Temperament erscheinen im ersten Satz eher gemäßigt. Das Orchesterspiel wirkt gegenüber den Zeiten mit Neeme Järvi durchaus verbessert, man musste ja auch nicht diese reiche Anzahl an Aufnahmen mehr bewältigen. Klar und gekonnt. Jeder spielt in Hochform. Dennoch in den schwierigen Passagen nicht immer ganz präzise. Man befleißigt sich des von Debussy gewünschten leisen Spiels, was eigentlich eine große Besonderheit ist, aber mitunter geht dem Rundgang auf den Straßen und Wegen etwas die Luft aus. Als Vorbild für die Einspielung könnte die 63er von Pierre Monteux gedient haben, mit genug Zeit die Musik strömen, aber auch „trällern“ zu lassen. Die Farbmischungen gelingen sehr schön. Denéve verleugnet einen romantischen Gehalt der Musik viel weniger als Monteux (51), Paray, Munch, Boulez oder Reiner.
Im zweiten Satz verströmt auch diese Einspielung stimmungsvollen Klangzauber (wieder liegt eine hochauflösende Aufnahme im SACD-Format vor). Die Gelassenheit nimmt gegenüber MTT noch etwas zu, das Spiel des Orchestern wirkt fein-perlend und anmutig-weich. Gefahren werden kaum spürbar. Allerdings klingt es nicht immer transparent genug und ein paar Nebenstimmen fallen weg, wenn man ganz genau hinhört. Sehr gut macht sich die gewählte deutsche Sitzordnung mit den antagonistischen Violinen, die an manchen Passagen die Transparenz sogar noch verbessert, anscheinend jedoch nicht überall.
Das Tageserwachen gelingt Denève sehr gefühlvoll. Das Tempo beim Rubato geht etwas auseinander. Es fehlt im letzten Satz auch etwas an gallischer Verve, die bei Monteux (51) oder bei Munch (57) sogar ein wenig ins aufmüpfig-anarchische geht. Aber das ist schon Jahrzehnte her.
Der Klang der Aufnahme vermittelt ein sehr gutes Raumgefühl und wirkt sonor, voluminös, voll, rund und bestechend transparent Klangtechnisch gesehen, musikalisch nicht immer. Es klingt fast schon opulent. Die Staffelung wirkt realistisch. Halligkeit kommt nicht mehr auf. Der Klang ist sehr gut ausbalanciert und geschmeidig. Die dynamische Bandbreite ist sehr groß, da man es verstanden hat, das Orchester besonders leise klingen zu lassen. Davon war man bei den vitalisierenden Aufnahmen in den 50ern und 60ern noch ziemlich weit entfernt.
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4-5
Sir Mark Elder
Hallé Orchestra, Manchester
Hallé Concerts Society (Eigenlabel des Orchesters)
2019
7:30 8:44 4:37 20:51
Sir Mark Elder ist von 2000 bis 2024 Musikdirektor des ehemaligen Barbirolli-Orchesters in Manchester. Zurzeit als die Aufnahme in den BBC Studios zu Salford entstanden war er 72 Jahre alt.
Das Orchesterspiel erfreut mit großer Souveränität, vielen Details und hoher Sorgfalt und einem schönen Rhythmusgefühl. Der Musizierstil wirkt gediegen, was im ersten Satz von Ibéria so viel bedeutet wie: Es gibt kein Gewusel auf den Straßen und Wegen Spaniens, wie es noch zu Zeiten von Paray, Münch (1957) oder Monteux (1951) vorherrscht. Wer hat „Recht“? Gegenüber den Tempoangaben Debussy „Trés vite“ (Metronom 176 Schläge/Minute für die Achtel) ist Elder einfach zu langsam, was eben auch bedeutet, dass die intendierte Dringlichkeit und eine gewisse Rastlosigkeit, die mit dem Tempo einhergeht, einfach abhandengekommen ist. Tempo alleine bedeutet aber noch lange nicht Temperament, aber eine Dauer von um die 7 Minuten (und darunter) hat sich als günstig erwiesen.
Die Holzbläsersoli sind im zweiten Satz sehr deutlich geraten, da die Instrumente von der Studiotechnik sehr dicht mikrofoniert werden und nicht zuletzt deshalb leider auch etwas zu laut wirken. Es ergibt sich aber sowohl durch die Klasse des Orchesters als auch durch die ansonsten vorzügliche Aufnahmequalität ein sehr stimmungsvoller Klangzauber. Leider findet aber eine Unterscheidung von pp gegenüber p so gut wie überhaupt nicht statt.
Im dritten Satz bemerkenswert ist das Hörbarmachen der kleinen Fagott-Kadenz (vor Zi. 61), die sonst kaum einer braucht, da sie leicht von den gitarrenimitierenden Streichern übertönt wird. Nur ganz leise, aber immerhin zu hören, wenn man gut aufpasst. Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse am Morgen des Festtages aus dem von Spanien träumenden Zentrum Englands.
Die Studioaufnahme ist klar und räumlich, aber nicht luftig. Sie klingt sehr präsent, vor allem das Holz, das man in Nahaufnahme wie auf einem Silbertablett präsentiert bekommt. Sie wirkt weniger sonor, aber sehr dynamisch und durch das tendenziell vorwitzige, aber dadurch ungemein deutliche Holz weniger ausgewogen. Kein Gewinn ohne Verlust, wie man so schön sagt. Die Musiker scheinen viel dichter beisammen zu sitzen wie z.B. in der Aufnahme aus Schottland mit Denève.
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4-5
Jun Märkl
Orchestre National de Lyon
Naxos
2008
7:04 9:17 4:29 20:52
Die Aufnahme aus Lyon gefällt und besser als viele der Einspielungen aus der Hauptstadt Frankreichs. Bei Märkl werden alle Stimmen souverän zusammengehalten. Er schlägt ein gutes, wenn auch nicht berauschendes Tempo im ersten Satz an, eher weniger quirlig als wohlgeordnet. Das Orchester präsentiert sauberes Spiel, d.h. gute Intonation und hochklassiges, eng miteinander verzahntes Zusammenspiel, was man aus Paris nicht immer hören konnte. Zu denken wäre da an die Einspielung mit Martinon (1973) oder Charles Munch (1966). Das Atmosphärische incl. des Abstechers ins Quartier arabe wird detailreich evaluiert. Es gibt wenig bis gar nichts herumzukriteln, höchstens , dass man die Klangfarben schon einmal kräftiger gehört hat.
Das macht sich auch im Nachtstück bemerkbar, bei dem die Farbenfülle ebenfalls nicht überbordend wirkt, aber nachts konzentriert man sich sowieso mehr auf den Gehörsinn, oder wie Herr Debussy auf seinen Geruchssinn. Man spielt mit viel Ruhe (die Uhr täuscht dieses Mal nicht), Einfühlungsvermögen und klangvoll. Durch die warme und geschmeidige Klanggebung wirkt die Nacht schwülwarm und exotisch, wozu die ausgezeichneten solistischen Darbietungen wesentlich beitragen. Man höre nur die mit sanft-geschmeidiger Stimme singende Oboe! Besonders der zärtlich-anschmiegsame Klang macht das Hören des zweiten Satzes in dieser Einspielung zu einem großen Genuss und die Zeit, die sich Märkl nimmt wird sehr gut ausgefüllt. Es ergibt sich so keine Sekunde Langeweile.
Angenehme Klangverhältnisse auch im dritten Satz. Die Übersichtlichkeit bzw. Klarheit des Klangbildes sind sehr beachtlich. Hohe Detailakkuratesse steht mehr im Vordergrund als sinnliche Verführungskraft.
Der Klang der Aufnahme ist sehr klar, die Details wirken fein gesponnen, die Staffelung wirkt dreidimensional, die Ortbarkeit der einzelnen Instrumente und -gruppen ist exzellent. Der Gesamtklang könnte noch einen kleinen Schuss Brillanz vertragen und er könnte noch ein wenig dynamischer, lebendiger und körperhafter sein, wenn man die Messlatte ganz hochlegen möchte.
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4-5
Leopold Stokowski
Orchestre National de la Radiodiffusion Francaise (heute: Orchestre National de France)
EMI
1958
6:37 9:01 4:06 19:44
Als Mister Stokowski „Ibéria“ einspielte war er bereits 76 Jahre alt. Dass er sich das französische Orchester dafür aussuchte kann man verstehen, wenn man die noch etwas ältere Einspielung von Monsieur Inghelbrecht kennt, wovon man bei EMI ausgehen kann, denn man hat die Aufnahme später in den eigenen Katalog überführt, wann genau, das entzieht sich allerdings unserer Kenntnis, denn auch andere Labels bedienten sich ihrer, da Ducretet-Thomson was die Produktion von Tonträgern anlangt, nicht viel Durchhaltevermögen an den Tag legte. Damals gab es ja noch kaum Einspielungen von „Ibéria“. Man kann davon ausgehen, dass jeder Produzent den Markt genau kannte. Außerdem war und ist man erstaunlich oft der Meinung, dass es ein guter Gedanke wäre, wenn das Orchester aus derselben Nation kommt wie der Komponist. In Paris ist man dessen ungeachtet sowieso immer mal gerne, das wird Herr Stokowski sicher ebenso gesehen haben.
Im ersten Satz sprechen noch die turbulenten 50er Jahre aus dem Gestus der Musik. Aufgeregt, abenteuerlustig und temperamentvoll setzt man die Anweisungen des Komponisten in Klang um, ist dabei viel schneller als Munch mit demselben Orchester ein paar Jahre später (1966, live). Es spielt aber noch viel besser. Es zeigt noch den Enthusiasmus der Einspielung mit Inghelbrecht. In den „Ballungsgebieten“ der Musik gewordenen Straßen und Wegen ist der Klang nicht immer ganz transparent, dennoch liegt hier eine ganz erstaunliche Klangqualität vor, an der sich auch die 15 Jahre später entstanden Einspielung der EMI mit Jean Martinon eine dicke Scheibe abschneiden könnte.
Die große Stunde der Einspielung Stokowskis schlägt im zweiten Satz. Das Orchester und der Klang der Aufnahme wachsen gleichermaßen über sich hinaus. Hört man überhaupt in einer anderen Einspielung die für den zauberhaften Aspekt jeder Musik so wichtigen Celesta so schön deutlich? Wir können uns nicht daran erinnern. Und spielt das Englischhorn jemals so ausdrucksvoll? Alle Ingredienzien des Parfüms werden wunderbar plastisch gemacht. Das Tempo muss man angesichts des anschmiegsamen Spiels und des ungeheuer sinnlichen Klangs unkritisiert durchgehen lassen. „Doux“ (zart) klingt auch „doux“ und das beim Orchester des Pariser Rundfunks! Bei Martinon (1973) wagt man davon nicht einmal mehr zu träumen. Besonders atmosphärisch klingt das bei Stokowski. Und besonders viel zur „Sphäre“ tragen auch die beiden Harfen bei, gemeinsam mit der Celesta die „himmlischen“ Instrumente. Wir können uns nicht daran erinnern, jemals eine so körperhafte, transparente und sinnliche Aufnahme der EMI aus den 50ern gehört zu haben. Selbstverständlich spielt ein Stokowski die Glissandi (z.B. 3 vor Zi. 43) noch voll aus. Bei ihm wirkt es noch nicht einmal deplatziert, denn es passt zum geschaffenen Ambiente einfach dazu. Allerdings und da werden sich die Hörer/innen, die den Dirigenten schon besser kennen auch gar nicht wundern, beim Rubato 2 T. vor Zi. 45 steht eigentlich nur ein simples f, aber der Altmeister (1882 geboren, da lebten Brahms und Tschaikowsky noch eine ganze Weile) kommt nun mal aus einer anderen Zeit, donnert es ungeniert und gekonnt zu einem fff auf. Da bleibt nun, obwohl mitten in der Nacht, wirklich kein Auge mehr zu. Das Orchester kommt in Sachen Präzision auch bei Stokowski nicht ganz an die Amerikaner jener Zeit heran, aber wen sollte es stören und viel besser als bei Munch und Martinon klingt es allemal. Ein toller Parfüm-Satz. Absolut hinreißend, aber nichts für Puristen. Warum man den Dirigenten bereits zu Lebzeiten als Klang-Magier bezeichnete leuchtet anhand dieser Aufnahme sofort ein.
An gelungenen Effekten mangelt es auch dem dritten Satz nicht, z.B. die Gitarrenimitation der Streicher (auch beim zweiten Mal bei Zi. 64). Oder das Klarinettensolo bei dem man die Akzente überbetonen soll. Sehr gut aber nicht ganz so frech wie bei Fournet. Der Verlauf ist sehr belebt. Richtig toll wird es dann bei „vif et nerveux“, da gibt der 76jährige nochmal richtig Gas und pointierter lässt sich ein Traum wohl kaum platzenlassen wie bei Stokowski. Wie eine Seifenblase, die immer dicker wird, aber der wahre Könner des Aufblasens und ein solcher ist Herr Stokowski, weiß genau, wie weit er gehen kann und er reizt diesen eigentlich unspektakulären Vorgang aus bis zur Rekordgröße, nur damit der Knall noch explosiver wird. Wir waren lange geneigt diese Einspielung in die 5er Gruppe aufzunehmen, aber wenn man eine weniger subjektive Sichtweise einnimmt, muss man auch ins Kalkül ziehen, dass es manchmal doch ein wenig nach Disney klingt. Was andererseits wieder für die große Bildhaftigkeit der Musik spricht.
Der Klang der Aufnahme ist erstaunlich offen, transparent, körperhaft und dreidimensional. Er ist sehr großräumig aber nicht hallig. Besonders bemerkenswert sind die greifbaren Harfen und die himmlische Celesta im zweiten Satz. Wieder einmal eine Referenzaufnahme aus der mittleren Steinzeit der Stereophonie. Das ausgezeichnete Remastering sollte ebenfalls gelobt werden.
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4-5
Simon Rattle
City of Birmingham Symphony Orchestra
EMI
1989
7:07 9:16 4:18 20:41
Als die Welt der Musikliebhaber noch in Ordnung war und klassische Musik auf Tonträgern produziert und ver- bzw. gekauft werden konnte, konnte man bei EMI alle fünf bis zehn Jahre mit einer neuen „Ibéria“-Produktion rechnen. 1954 war es Inghelbrecht, obwohl die nur zugekauft war, 1958 Stokowski, 1963 Cluytens, 1974 Martinon, 1979 Previn und 1989 durfte dann der neue, junge Star Simon Rattle mit 34 Jahren ran. Die Produktion von 1992 mit Celibidache fällt aus dem zeitlichen Rahmen, erschien erst viel später und hatte ursprünglich nichts mit EMI zu tun.
Die Atmosphäre wirkt nun in Birmingham ein wenig gedämpft, das Orchester klingt ein bisschen weniger brillant als in den Produktionen zuvor, spielt aber in einer brillanten Verfassung. Das Zusammenspiel ist sehr gut und ohne die Kontraste zu überzeichnen, wechseln sich Sonnenschein und Schatten sehr schön ab.
Das langsame Tempo im zweiten Satz lädt um verweilen ein, führt aber auch zu leichten Durchhängern was den Spannungsverlauf anlangt. Indizien dafür, dass Debussy das so wünschte, lassen sich in der Partitur durchaus finden. Das Tempo sollte aber eigentlich zügiger sein. Dieses „Durchhängen“ war zehn Jahre zuvor bei Previn noch nicht zu spüren. An den solistischen Darbietungen bei Rattle liegt es sicher nicht, eher schon an der sehr gut getroffenen nächtlich-schwülen Stimmung. Man spielt nämlich sehr leise, phrasiert zurückhaltend, spannt feine Farbmixturen, pardon es sind ja Duftmixturen und letztlich spielen auch die Violinen sehr subtil und gefühlvoll. Ein überzeichnen des f mit der Brechstange gibt es bei Rattle nicht. Die Tempogestaltung wirkt geschmeidig und gekonnt, was nicht nur für den plastisch gestalteten Übergang zum dritten Satz gilt.
Der dritte Satz gelingt Rattle viel zügiger und vitaler als Previn, damit auch temperamentvoller, aber auch lärmender. Er lässt es ziemlich unbekümmert, ja zugespitzt klingen, sodass man sich der Fröhlichkeit kaum entziehen kann. Dynamisch ziemlich zügellos zupackend klingt es auch mal ein wenig deftig. Es muss ja nicht immer nur elegant sein, nur weil der Komponist ein Franzose war.
Der Klang der Aufnahme wirkt weniger forciert im Hochton und daher etwas milder und wärmer als die zehn Jahre ältere Aufnahme mit André Previn. Sie bleibt jedoch detailreich. Der Sony-Klang der Berliner mit Levine aus dem gleichen Jahr wirkt dagegen ungleich üppiger und luxuriöser. Die Klangfarben wirken bei Rattle jedoch nicht blass. Staffelung und Transparenz sind noch etwas besser als beim diesbezüglich schon gut aufgenommenen Previn.
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4-5
Manuel Rosenthal
Orchestre National de l´Opéra (-comique) de Paris
Adès, Praga
1957
7:22 8:22 4:24 20:08
MONO Der letzte Schüler von Maurice Ravel, Manuel Rosenthal, hat seine Einspielung von „Ibéria“ mit 53 Jahren gemacht. Er war Assistent von Inghelbrecht beim Pariser Rundfunkorchester, zeitweise auch sein Chefdirigent, nach dem Krieg, 1945-47, als Inghelbrecht vom Amt pausierte. 1948-51 war er Chef in Seattle, danach im belgischen Liège (Lüttich). Ihm haben wir die melodienselige und zündende Zusammenstellung aus Stücken von Jacques Offenbach zu verdanken, die „Gaieté Parisienne“.
Seine Darbietung ist sehr lebendig und kontrastreich. Das Orchester der Pariser Opéra (comique? das ist leider nicht ganz klar geworden) zeigt keine Schwächen, die Intonation ist gut. Das Opernorchester und das Rundfunkorchester (das spätere Nationalorchester) erreichten damals, nach den hier gehörten Aufnahmen ein erfreulich hohes Niveau. Man spielt voller Verve und auffallend dynamisch, was die starken Kontraste erst so richtig befeuert und die dann wie Schlagschatten wirken. Man spielt ähnlich wie das Rundfunkorchester unter Inghelbrecht empathisch und farbig.
Im zweiten Satz macht man sich erfolgreich frei vom nächtlichen Stress, das Tempo wirkt jedoch noch etwas zügiger als es die Uhr suggeriert, da der Gestus stets bewegt bleibt. Es klingt lauter als es die Partitur allenthalben nahelegt und es wird außerordentlich plastisch musiziert. Die unter anderem bei Martinon so starre, harte und helle Oboe stört bei Rosenthal überhaupt nicht die nächtliche Anmut, sondern passt sich noch nicht einmal unauffällig gut der Stimmung an.
Der dritte Satz wirkt, mit eloquenten Soli garniert, sehr dynamisch und frisch.
Der originale Mono-Klang wurde von Praga sehr gut bearbeitet. Mitunter glaubt man einer Stereo-Aufnahme zuzuhören. Es wurde sehr laut überspielt, was die Aufnahme bei normalem Abspielpegel sehr plastisch erscheinen lässt. Sie klingt, wie es in der 50ern nun einmal war, recht hell, aber offen und transparent, gut durchhörbar und sehr präsent, sehr dynamisch und schon erstaunlich knackig.
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4-5
Leonard Bernstein
New York Philharmonic Orchestra
CBS-Sony
1958
6:48 9:38 4:05 20:31
LB hat die „Images pour Orchestre“ zwei Mal eingespielt, beide haben ihre Meriten. In der ersten war der Dirigent 40 Jahre jung, in der zweiten, die dann für sein zweites Label, der DG, 1989 entstand dann 71.
1958 war er gerade Chef der New Yorker Philharmoniker geworden bringt er viel Verve und Brio in den ersten Satz mit ein, an den Schwung von Munch (57) oder gar Paray kommt er jedoch nicht ganz heran. Es klingt aber durchaus drängend, rhythmisch betont und drängend. Das Orchester spielt mit der zu erwartenden Perfektion. Das Holz wirkt ungewohnt hintergründig, da Bernstein es genauso leise spielen lässt, wie es Debussy vorsah. Etwas mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Technik wäre hier erforderlich gewesen. Ein wenig mehr Präsenz hätte schon gereicht. Manchmal klingt es ganz leicht nach Gershwin, was bei Bernstein etwas deutlicher wird als sonst. Die Bezüge sind da, denn Gershwin hörte sich die Musik nicht nur bei seinem Paris-Aufenthalt sehr genau an, wenn er auch als Schüler bei Ravel abgeblitzt ist. Mach eine Wendung oder Instrumentierung wird er übernommen haben. In erster Linie vermittelt Bernstein aber gallischen Esprit.
Sehr erfreulich ist es, dass man den zweiten Satz einmal genauso aufgenommen hat wie den ersten, also nicht am Aufnahmepoti gedreht hat. Zumeist bemerkt man bei den älteren Einspielungen eine Veränderung, wahrscheinlich um das Nutzsignal (die Musik), das im zweiten Satz zumeist leise und sehr leise ist, gegenüber dem Bandrauschen und den unvermeitbaren Abspielgeräuschen der damaligen Schallplatten zu erhöhen. Die Folge ist eine mitunter stark spürbare Präsenzänderung. Bei Bernstein wurde das unterlassen oder aber für den CD-Transfer wieder rückgängig gemacht. Es stellt sich aber trotzdem ein schöner Klangzauber ein. Der Streicherteppich wirkt feingliedrig und zartschmelzend und sehr weiträumig. Die Bläsersoli, allen voran, die diesbezüglich kritische Oboe, die man sehr schön leise zu hören bekommt. Die Phrasierung wirkt einfühlsam. Je weniger man sieht, desto besser scheint man zu hören, diesen Eindruck von Nacht vermittelt auch diese Einspielung sehr gut. Der Effekt geht in erster Linie auf Debussys geniale Komposition und besonders auf seine Instrumentierung zurück. Das Orchester spielt besser als das Orchestre de Paris unter Barenboim bei ganz ähnlichem Tempo. Es klingt bei Bernstein atmosphärisch, aber nicht so schwülstig wie bei Barenboim oder auch Celibidache in München. An die besten Einspielungen kommt man jedoch nicht heran. Wir hätte uns ein etwas schnelleres Zeitmaß gewünscht.
Der Übergang zwischen den Sätzen zwei und drei (das Erwachen des neuen Tages) ist bei Bernstein in den besten Händen. Sehr gut wirkt der Kontrast zum dann hellerstrahlenden Fest, das dann rhythmisch, temporeich und vorantreibend klingt. Besonders gut in dieser Einspielung gefallen die Glocken und die Hörner. Seltsam mutet es dagegen an, dass Bernstein die Violinen bei Zi. 59 „pos. ordinaire“ also beim einfachen einnehmen der normalen Position plötzlich glissando spielen lässt. Das gibt es in keiner anderen Einspielung, auch nicht in Bernsteins Remake 1989 in Rom.
Die Aufnahme klingt, in den USA war man im Gegensatz zu Frankreich (Rosenthal 1957) 1958 schon seit ein paar Jahre bei Stereoaufnahmen angelangt, sehr transparent, präsent, sehr gut gestaffelt in Breite und Tiefe und großräumig. Die Illusion eines auf der Bühne spielenden großen Orchesters war schon sehr gut gelungen und wirkte natürlich. Und was für ein Unterschied zur 56er Einspielung van Beinums. Mercury 1955 und RCA (mit Munch und Reiner, beide 1957) klingen noch etwas brillanter, lagen uns aber z.T. auch als SACD bzw. XRCD vor, was den Vergleich schon etwas verzerrt.
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4-5
André Previn
London Symphony Orchestra
EMI
1979
7:20 9:56 4:51 22:07
Bei dieser Einspielung aus dem Studio No. 1, Abbey Road zu London handelt es sich um die erste Digitalaufnahme der EMI zumindest einmal auf dem deutschen Markt. Leider verspielte die LP, die die Aufnahme damals noch tragen musste (die CD kam erst später) durch eine ziemlich lausige Pressqualität viel von der gewonnenen neuen Klarheit. Die weiteren frühen Digitalaufnahmen der EMI klangen meist schlechter als dieser Erstling. Doch zunächst einmal zur musikalischen Seite der Aufnahme.
Previn erweckt den ersten Satz sehr schön zum Leben. Sein Gestus wirkt bewegt, die Soli sind prima, das Orchester spielt engagiert und verliert sich nicht in Details. Man formt einen guten Spannungsbogen.
Der zweite Satz klingt erheblich plastischer als der erste. Der Dirigent beherzigt das leise, dunkle Ambiente gut, allerdings stören die von der unausgereiften Digitaltechnik besonders in Mitleidenschaft gezogenen hart klingenden Violinen nun erheblich mehr als im ersten Satz. Previn zeigte bereits wie in Ravels „Le Tombeau de Couperin“ (siehe Vergleich dort) viel Einfühlungsvermögen und lässt sich viel Zeit zur Ausgestaltung von Details ohne dabei den Roten Faden zu verlieren. Die Oboe gefällt sehr gut durch ihr zurückhaltendes Spiel, sie beweist dadurch, dass sie weiß, wo sie sich befindet und die örtlichen (Spanien) und zeitlichen (Nacht, Sommer) Begebenheiten respektiert. Sie spielt erheblich subtiler als üblich. Dafür drehen die Violinen im f oder gar ff mächtig auf. Da kommt Leidenschaft auf. Previn als Romantiker. Ihm gelingt auch ein fantasievoller Übergang vom zweiten zum dritten Satz.
Der dritte Satz selbst beginnt dagegen etwas lahm und träge, man ist anscheinend von der tropischen Nacht doch noch verschlafen oder wenig ausgeruht und frisch. Das Wachwerden ist anschaulich, man wird immer aktiver. Die Tempi werden organisch gestaltet, jedoch nie übermäßig temperamentvoll. Man lässt sich auch jetzt noch viel Zeit für das schön ausgespielte Detail. Die Spanier zeigen sich hier als ein sehr sogfältiges Völkchen, weniger heißblütig und fröhlich als in anderen Einspielungen. Ob Herr Previn die Noten von Pierre Monteux genutzt hat? Falls man sie eingelagert haben sollte, wären sie sicher die 16 Jahre seit der Einspielung nicht verlorengegangen. Gerade der letzte Satz legt den Verdacht nahe. Die Einspielung Monteuxs selbst dürfte er sich in jedem Fall angehört haben.
Den Violinen merkt man die „Digitalitis“ der Frühzeit dieser Aufnahmetechnik am stärksten an, sie klingen gläsern, wenig warm und hart. Gut ist hingegen die Ortbarkeit gelungen, wenn auch nicht so punktgenau wie in vielen älteren Analogaufnahmen. Im ff wirkt der Klang ein wenig gepresst, die Transparenz ist gut, aber keineswegs so fabelhaft, wie uns das damals die Werbung weismachen wollte. Es legt sich ein dünner, leichter Vorhang über den Klang. Die Staffelung in Breite und Tiefe kann überzeugen.
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4-5
Sylvain Cambreling
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
Hänssler
2001
7:04 8:55 4:33 20:32
Sylvain Cambreling war von 1999-2011 der vorletzte Chefdirigent des Orchesters. Die Aufnahme wurde im Konzerthaus Freiburg gemacht.
Der erste Satz erschein geschmeidig, elegant und wenig turbulent. Der Muezzin im Quartier arabe ruft mal mehr mit der Stimme der Viola, mal stärker mit der Stimme der Oboe. Das Englischhorn mischt sich auch noch ein. Die Instrumente sind also deutlich voneinander abzugrenzen. Eine schillernde Persönlichkeit, dieser Muezzin.
Der zweite Satz wirkt schön leise mit einer sanft-bewegten, duftigen Atmosphäre. Das Tempo wirkt gerade noch fließend, die Textur nimmt man als ein fein gesponnenes Gewebe wahr, der Satz ist klanglich sehr gelungen. Man meint, dass das Orchester spiele „französischer“ als die meisten französischen Orchester heutzutage spielen, sehr gefühlvoll, leicht und mit einigem rhythmischen Raffinement.: Bravo.
Leider ist der letzte Satz ein wenig flügellahm geraten, statt sich mitten drin zu fühlen, bekommt man den „Morgen eines Festtages“ nur erzählt. Das Klarinettensolo gelingt allerdings schön frech. Zum gedämpften Temperament passt der lange Nachhall, denn auf einen „secco“-Schlussakkord hat man nicht geachtet.
Der Klang der Aufnahme ist weiträumig und klar, das Orchester erscheint sehr gut gestaffelt; luftig wirkt das Klangbild nur im pp und p. Die Präsenz könnte hautnaher sein, da sind beispielsweise beide Boulez-Aufnahmen knackiger geraten.
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4-5
Yan-Pascal Tortelier
Ulster Orchestra, Belfast
Chandos
1989
6:42 7:22 4:27 18:31
Monsieur Tortelier, Sohn des bekannten Cellisten Paul Tortelier, war in den Jahren 1989 bis 1992 Dirigent des Ulster Orchestra, bevor er für elf Jahre bis 2003 Dirigent des BBC Philharmonic in Manchester wurde. Von 2005 bis 2008 war er Gastdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra. Seit 2009 war er der Dirigent des brasilianischen Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo (OSESP). Seine Nachfolgerin in São Paulo war ab 2012 die amerikanische Dirigentin Marin Alsop. Von 2016 bis 2019 war er Chefdirigent des Isländischen Sinfonieorchesters. Seine Nachfolgerin in Reykjavik ist seit 2020 die finnische Dirigentin Eva Ollikainen. Bei der Aufnahme in der Ulster Hall in Belfast war er 42 Jahre alt.
Seine Herangehensweise an den ersten Satz wirkt recht turbulent, dynamisch und energisch. Sie lässt fast an die Einspielungen der Dirigenten denken, denen wir die großen Aufnahmen der 50er Jahre zu verdanken haben. Sein Tempo wirkt erheblich akzentuierter und ambitionierter als bei Salonen, auch vorantreibender und erfrischender. Das Orchester ist zwar gut in Form, wenn es auch nicht ganz mit der Geschlossenheit und Virtuosität der Philharmoniker aus Los Angeles in der Aufnahme mit Salonen mithalten kann. Es klingt aber offener und vor allem spritziger.
Das Tempo im zweiten Satz wählt der französische Dirigent partiturgerecht. Es wirkt recht zügig, um nicht zu sagen flott, aber das ist uns eigentlich lieber als die lastenden 9-12 Minuten mach anderer Einspielung. Bei so einer komplexen Duftkombination muss einfach alles aufeinander abgestimmt sein, das Tempo allein führt noch nicht zum Erfolg, wie schnell oder langsam es auch immer sein mag. Wie immer sind die Extremwerte besonders gefährlich. Bei einem schnellen Tempo wirkt die Nacht nicht so dunkel oder gar finster, sie neigt auch nicht so sehr zum mysteriösen und die Melancholie bricht sich nicht über alle Maßen Bahn. Die Nacht wirkt einfach belebter, zumal wenn sich das Ortchester keine Blöße gibt wie in Nordirland, weder im nahtlosen Zusammenspiel, noch beim Ausdruck oder im Klang der Soli (keine vorlaute Oboe!). Die heiklen Streicherpassagen in diesem Satz, die manchmal die Präzision der Orchester stark herausfordern, wirken beim Ulster Orchestra stimmig und gekonnt, wie der ganze Satz. Anscheinend fühlte man sich der Sehnsucht nach dem Spanien aus Debussys Träumen sehr verbunden.
Das Tempo im finalen Satz wirkt ebenfalls gut gewählt, nicht übertrieben folkloristisch, aber durchaus mit Schmiss und perkussiver Härte. Allerdings würden wir den letzten Satz nicht unbedingt den „Erbsenzählern“ empfehlen.
Der Klang der Chandos-Aufnahme ist ein wenig hart, die Tiefenstaffelung ist gut, jedoch erscheint die Ortbarkeit etwas diffus. Die einzelnen Stimmen fließen ziemlich stark ineinander. Die Kastagnetten klingen ein wenig verhangen. Die Aufnahme hat einen hohen Aufsprechpegel und wirkt sehr dynamisch.
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4-5
Esa-Pekka Salonen
Los Angeles Philharmonic Orchestra
Sony
1996
6:58 9:25 4:28 20:51
Herr Salonen war von 1992-2009 Musikdirektor des Orchesters, bis er von Gustavo Dudamel abgelöst wurde. Zur Zeit der Einspielung war er 38 Jahre alt. Obwohl sein Tempo im ersten Satz an die Aufnahmen aus den 50er Jahren denken lässt, wirken die Straßenverhältnisse in LA wenig turbulent und schon gar nicht von einer rasanten Drastik geprägt. Hier verläuft vielmehr alles in seinen wohlgeordneten Bahnen. Das Orchester besticht mit einem perfektionieren Ensemblespiel, bringt das Stück aber seltsam kühl zu Protokoll. Sie Solisten sind hingegen hervorragend, so ist der Muezzin nicht nur bestens bei Stimme, das heißt die beiden Solisten von Viola und Oboe spielen sehr klangschön, seine beiden Seelen sind sich auch besonders einig, d.h. intonationsgenau und absolut synchron. Die Temporelationen werden wenig effektvoll ausgereizt, sondern eher subtil und unmerklich gehandhabt.
Im zweiten Satz erscheint das gewählte Grundtempo Salonens wie bei vielen anderen neueren Einspielungen als zu langsam. Atmosphärisch wirkt sie so schwül und lastend, die Düfte stehen in der Luft, kein Lüftchen regt sich. Obwohl die Hörner reinen guten Eindruck hinterlassen und intonationsgenau zusammenspielen, gelingt es dem Solohorn nicht eine Echowirkung mit einzubauen. Die Violinen klingen sehr weich und voll. Insgesamt blüht der Klang sehr schön auf, man kann schon von einem Luxusklang fast wie so intensiv und kräftig bei den Berlinern reden. Sehr klangsinnlich, aber auch leicht einschläfernd.
Beim dritten Satz dreht das Orchester leider nicht voll auf, da hätte etwas mehr Esprit oder Verve nicht geschadet. Beim Unisono von Flöte und Fagott fragt man sich, ob sich die beiden Solisten die Mühe gemacht haben die französische Spielanweisung zu übersetzen, denn nach „un peu moqueur“ klingt das nicht. Das Deutsche lässt noch wenigstens an „sich mokieren“ denken, da bräuchte man eigentlich gar kein Wörterbuch. So lasch wird an dieser Stelle selten artikuliert, nämlich einfach gerade durch. Trotz gutem Tempo wirkt das LAPO im letzten Satz wenig spritzig.
Die Aufnahme entstand in einem Studio und vermittelt einen luftigen, räumlichen Klang der sehr gut ausbalanciert erscheint. Das Orchester wirkt voll, transparent, farbstark, körperhaft, voluminös aber auch präsent. Die einzelnen Instrumente sind sehr gut ortbar, bei Abbado gelang dies jedoch noch punktueller. Die Brillanz wirkt natürlich. Zum audiophilen Highlight fehlt dem Klang allenfalls noch die lebendige Spritzigkeit und die unvermittelte Dynamik.
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4-5
Libor Pesek
Tschechische Philharmonie, Prag
Supraphon
1989
6:52 9:02 4:18 20:12
In der dritten und neuesten, nun aber auch schon 35 Jahre alten Einspielung der Tschechischen Philharmonie beweist das Orchester erneut, dass es sich auf das französisch-spanische Idiom versteht. Die Darbietung zeigt durchaus Feingefühl und es wird mit Spielfreude und Spielwitz musiziert. 1989 verschwand so langsam der Eiserne Vorhang, sodass man sich darauf freuen konnte, auch außerhalb von Gastspielreisen ins Ausland fahren zu dürfen, nach Frankreich oder auch nach Spanien, dem Sehnsuchtsort von Debussys Träumen. Ob die Vorfreude darauf dazu geführt hat, dass die Kastagnetten so laut im Vordergrund stehen dürfen? Gestört hat es offenbar niemand. Auch die anderen Stimmen erklingen deutlich
Der zweite Satz, das Nachtstück, erklingt leise und stimmungsvoll. Der grundsätzlich warme und dunkle Klang des Orchesters, mittlerweile auch der Oboe, kommt der kompositorischen Gestaltung sehr entgegen. Es gibt keine vorwitzigen Soli, die sich schrill oder scharf in den Vordergrund schieben, wie z.B. bei Martinon. Der Gestus, nicht zuletzt wegen des recht langsamen Tempos, das die Anweisungen Debussys heruntersetzt, erscheint mit einer gewissen Müdigkeit, aber nie träge oder gar langweilig. Das Orchester spielt motiviert und mit hoher Präzision.
Im dritten Satz, dem „Morgen eines Festtages“, beherzigt man die leise Gangart, die die Komposition nahelegt und die einem effektvollen Rausschmeißer eigentlich zuwiderläuft, fast durchweg. Bemerkenswert sind, wie fast immer bei dem tschechischen Elite-Orchester, die ausgezeichneten Hörner. Der lange Nachhall der Aufnahmedisposition steht dem gewünschten eher trockenen, fröhlichen Charakter des Stückes mit dem lakonischen Schluss nicht gut an. Der Schlussakkord, der „séc“, also trocken zu klingen hat, steht so noch viel zulange im Raum. Also kein effektvolles Zerplatzen in Prag.
Wie häufig bei Digitalaufnahmen von Supraphon aus den 80er Jahren stört der harte Hochtonbereich der Aufnahme, wie immer ganz besonders bei den Violinen, aber auch beim Schlagwerk (Tambourin, Militärtrommel und Becken). Da sind nicht nur empfindliche Ohren betroffen. Ansonsten wirkt die Aufnahme klar und gut gestaffelt, wenn das Holz auch ein wenig zu weit hinten platziert erscheint (dem zweiten Satz tut das gut, den anderen beiden weniger). Das Orchester wirkt eigentlich brillant, von den Einschränkungen beim Hochton einmal abgesehen. Die musikalische Darstellung lässt die Schwächen der Aufnahme jedoch immer wieder vergessen, besonders die Violinen und ganz besonders wenn sie f oder gar ff spielen, reißen aber immer wieder aus allen Träumen. Besonders deutlich hört man dieses Phänomen, wenn die CD in der Tschechoslowakei oder im ganz frühen Tschechien produziert wurde. In den 90ern wurde es schnell besser.
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4-5
Armin Jordan
Orchestre de la Suisse Romande
Erato
1988
7:10 8:15 4:26 19:51
Mit dieser vierten Einspielung von „Ibéria“ (übrigens immer als Teil der „Images pour Orchestre“) dürfte das Schweizer Orchester Rekordhalter sein zumindest einmal außerhalb von Paris. Das Orchestre National de France (zuvor Orchestre National de l´ORTF und weitere Namen) kommt allerdings auf sechs Einspielungen innerhalb unseres Vergleiches (Inghelbrecht, Stokowski, Much, Martinon, Gatti, Krivine).
Armin Jordan war der fünfte Chef des Schweizer Orchesters, Zwischen Ansermet und ihm arbeiteten Paul Kletzki, Wolfgang Sawallisch und Horst Stein in dieser Position. Gegenüber der letzten Aufnahme des Orchesters von 1961, noch mit Ansermet am Dirigentenpult, zeigt es sich weiter verbessert. Es gibt keine Intonationstrübungen mehr im Holz und die allgemeine Spielperfektion ist inzwischen ein Level höher. Monsieur Jordan, wie Ansermet Schweizer, war bei der Einspielung 56 Jahre alt. Er nimmt die Partitur ernst und erlaubt sich wenig Eigenmächtigkeiten, so spielt man wirklich nur f, wenn f dasteht und nicht ff, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Tempo stimmt, der Ausdruck ist im ersten Satz gelassen und entspannt, wenig turbulent aber auch weniger tänzerisch. Das Spiel des Orchesters wirkt klar und sicher, es klingt schön und ausgeglichen. Die Ansermet-Einspielung ist im Vergleich jedoch lebendiger und wirkt farbiger.
Auch im zweiten Satz werden die Anweisungen der Partitur strikt befolgt. Die nächtliche Atmosphäre wirkt stimmungsvoll, viel weniger schwül oder tropisch als bei den meisten langsameren Darbietungen. Subtil und feingliedrig werden die schön gespielten Soli, die auch klanglich nichts zu wünschen übriglassen, in den Orchesterklang eingewoben. Das klingt weitgehend delikat und ausgewogen, lässt aber auch keinen Spielraum für spontanes, überraschendes. Monsieur Jordan erscheint als idealer Sachverwalter der Partitur.
Auch der dritte Satz wirkt weitgehend luftig, leicht und sachte. Die Feierlaune der Spanier wirkt ungewöhnlich kultiviert. Für einen richtig schönen Festtag mit seiner fröhlichen Stimmung könnte er etwas plakativer oder knalliger klingen. Auch das Klarinettensolo wirkt nur wenig frech und die Streicher spielen nun nicht immer top. Schließlich könnte auch der Schlussakkord noch trockener klingen, gut betont, wie ein platzender Traum ist er.
Die Aufnahme dürfte eine der leisesten des ganzen Vergleiches sein. Sie klingt weich, fast sanft, aber dennoch transparent und räumlich. Besonders die Violinen könnten etwas wärmer und schmelzender klingen. Die Farben des übrigen Orchesters wirken ebenfalls nicht üppig oder besonders bunt, eher pastellfarben, aber nicht matt. Den Poti kann man getrost etwas weiter nach rechts stellen, um der Einspielung gerecht zu werden, sonst könnte sie etwas blass wirken.
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4
Sergiu Celibidache
Münchner Philharmoniker
EMI
1992, live
8:48 13:27 5:11 27:26
Mit Sergiu Celibidache gibt es zwei Einspielungen. Die erste entstand 1980 in einem der letzten Jahre in denen er mit dem RSO Stuttgart zusammenarbeitete. Zuerst als ständiger Gastdirigent, dann zugleich als „künstlerischer Leiter“ war er ihm bis 1979 verbunden. Er wurde von der DG veröffentlicht. Wenn das Orchester (resp. die Klarinetten) im ersten Satz nicht „out of order“ gewesen wären, hätte uns der Stuttgarter Mitschnitt besser gefallen als der Münchner. Denn in München ist das Werk geradezu aus dem Leim gegangen, und zwar mächtig, wie der aufmerksame Beobachter schon an der in Anspruch genommenen Spielzeit erkennen kann. Aber wir sind es ja gewöhnt, dass die innere Uhr des Rumänen anders tickt als bei allen anderen und dass auch die Komponisten seiner Autorität gegenüber, was die Tempoangaben oder gar die Metronomangaben betrifft, nicht viel zu melden haben.
Das Tempo im ersten Satz ist noch etwas langsamer geworden als zwölf Jahre zuvor in Stuttgart, und vor allem wirkt es erheblich schwerer. Man fragt sich unwillkürlich, ob da nur noch Modelle der S-Klasse eines Stuttgarter oder der 7er Baureihe eines Münchner Herstellers auf Spaniens Straßen und Wegen kreuzen. Jedenfalls sind sie zu groß und zu schwer, für die schmalen Gässchen und die noch schmaleren Wege in Debussys Partitur. Ein Missverhältnis tut sich auf. Dessen ungeachtet ist Herr Celibidache ein ausgezeichneter Dirigent, der sein Orchester hervorragend im Griff hat. Die Musik wirkt etwas inspirierter als in Stuttgart und der Gestus ist wesentlich gespannter. Er wird ins Dramatische gewendet. Das Orchester selbst spielt souveräner als die Stuttgarter, süffig und ein bisschen breit im Klang, aber die Stimmenvielfalt bringt es gut heraus. An Detailgenauigkeit mangelt es absolut nicht, wenn man einmal von den Metronomangaben gegenüber völlig verfehlten Tempi absieht, was übrigens für alle drei „Bilder“ gilt. Wo, außer bei Celibidache, hört man überhaupt einmal das notierte Posaunenglissando bei Zi. 23? Das Spiel wirkt generell äußert farbstark, klang- und kraftvoll. Der typisch „deutsche“ Orchesterklang, für dessen Aufbau und Bewahrung sich der Dirigent verantwortlich sah und für den er das Münchner Orchester (und mait auch sich selbst) rühmte, klingt ähnlich wie bei den Berliner Philharmonikern bei diesem Werk ziemlich ungewohnt. Von der leichten, eleganten Clarté eines Claudio Abbado ist man denkbar weit entfernt. Der warme Bruckner- und Brahmsklang der Münchner lässt sich nicht von einem Komponisten zum anderen einfach „umswitchen“, was Celi sicher auch gar nicht wollte. Das sollte man wissen, bevor man sich dieser Einspielung, durchaus mit Gewinn, zuwendet.
Noch doller wird es im zweiten Satz denn da mischt der Dirigent mit seinem Orchester eine ganz schwere Mischung aus den verschiedenen Ingredienzien zusammen. Dass man die Luft überhaupt noch atmen kann grenzt an ein Wunder. Es ist die tropischste Nacht des ganzen Vergleiches, Schwüler geht es nicht mehr. Celi nimmt sich sechs Minuten mehr Zeit als Paul Paray. Das sind über 40 % mehr. Ein „erleichterndes“ Gegengewicht zum nahezu stillstehenden Tempo bildet allerdings die vollkommene Transparenz des gesamten Orchestersatzes. Sie wird allerdings durch eine Erhöhung des Grundpegels gegenüber dem ersten Satz „erkauft“, sodass das pp bereits recht laut wirkt. Eine der grössten Qualitäten des Orchesters, das extreme Leise-Spielen, wird so konterkariert. Bei 4 T. nach Zi. 40 vermissen wir den Einsatz des Xylophons, das dann auch nicht mehr kommt. Das Tempo ist für viele der Soli einfach zu langatmig, noch nicht einmal vom blastechnischen ausgesehen, das schaffen die tollen Solisten noch, aber von der Melodieentfaltung hergesehen, die mitunter geradezu versiegt. Auf der anderen Seite bekommt man wirklich freie Sicht auf die Faktur des Werkes, die bloßgelegt wird und nichts wirkt vage oder verschwommen. Jedes Detail bekommt sein Gewicht. Auch eine Folge des einzigartigen Tempos.
Wer sich im dritten Satz auf einen flotten und fröhlichen Kehraus gefreut hat, sieht sich getäuscht. Wie in Stuttgart gibt es ein laaaangsames Wachwerden am Morgen, was nach dieser schwülen Nacht nicht wirklich verwundert. Die wunderbar fließenden Übergänge sind gekonnt, die Soli der verschiedenen Bläser und der Violine sehr gut. Der Satz wirkt klangsensitiver als sonst und im Gegensatz zum zweiten auch ziemlich spannend. Am Ende bricht man den letzten Akkord ein wenig zu schnell ab, entweder möchte man den Schlussakkord im Nachhinein noch „séc“, also trocken machen, oder man wollte den allzu schnell losbrausenden Applaus noch rechtzeitig kappen. So oder so keine gute Entscheidung. Da hätte man subtiler nachbearbeiten müssen. Eine insgesamt extreme und sehr exzentrische Einspielung, die die Diskographie des Stückes jedoch durchaus bereichert.
Der Klang wirkt noch etwas körperhafter als in Stuttgart, ebenfalls transparent zudem noch weicher und runder. Auch die Tiefenstaffelung gelingt überzeugender. Der Orchesterklang wird sehr warm, voll und sonor wiedergegeben (er ist es ja auch) mit einer Tendenz zum fülligen. Dunkle, kräftige Farben werden stark bevorzugt. Der Gesamtklang hat durch die gute Grundierung neben den anderen bereits genannten Eigenschaften auch etwas Erdverbundenes und Bodenständiges.
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4
Leonard Bernstein
Orchestra dell´ Academia Nazionale di Santa Caecilia
DG
1989, live
7:10 8:33 4:29 20:12
Vor uns liegt nun ein Live-Mitschnitt aus Bernsteins vorletztem Lebensjahr. Sie entstand 31 Jahre nach der ersten Aufnahme, der Dirigent war mittlerweile 71 Jahre alt.
Das Tempo ist ein wenig langsamer geworden, die Musik wirkt immer noch impulsiv, aber nicht mehr ganz so funkensprühend. Der Glanz der vollen Mittagssonne in einer Stadt im Süden Spaniens stellt sich aber immer noch ein. Genau wie auch Bernsteins kraftvoll-lässiger Zugang jederzeit immer noch spürbar bleibt. Nach wie vor nimmt Bernstein die Nebenstimmen sehr genau, der Gang ins arabische Viertel wirkt nun weniger mysteriös, da spielt das Orchester einfach zu laut. Es spielt zwar gut, aber keineswegs besser als die New Yorker Philharmoniker 1958, eher etwas ruppiger, weniger geschmeidig und weniger virtuos. Die New Yorker Einspielung wirkt auf uns im ersten Satz etwas atmosphärischer und mitteilsamer.
Im zweiten Satz bleibt das grundsätzliche p wie bereits in New York gewahrt. Untypisch für die späten Jahre in Bernsteins Dirigentenleben, die mit einer teilweise enormen Verlangsamung vor allem der langsamen Sätze einher ging, nimmt er das Tempo dieses Mal schneller als 1958, was dem Satz sehr gut bekommt. Die Soli wirken mit ihrer gekonnten Artikulation ausdrucksvoll. Klanglich sind sie gut, aber nicht so formidabel gelungen, dass man verzückt wäre. Dem Orchester fehlt die letzte Intonationsreinheit um mit den besten mitzuhalten, z.B. mit den Chicagoern unter Reiner oder den Londonern unter Abbado, aber auch in diesem speziellen Fall mit dem Orchester aus Detroit. Bernstein lässt ziemlich romantisch spielen, was wahrscheinlich für unseren längst zu Aphorismen neigenden und punktuell komponierenden, den Wagner-Kult längst hinter sich lassenden, antiromantisch eingestellten Skeptiker von Komponisten, schon zu viel wäre.
Den gekonnten, frei und improvisatorisch wirkenden Übergang macht Bernstein so schnell niemand nach. Er gestaltet ihn erheblich langsamer als in New York. Wirkt der Beginn noch sorgfältig, dreht der 71jährige im Verlauf jedoch noch ordentlich auf. Die 1958 noch seltsam und einzigartig wirkende Artikulation mit den Glissandi der Violinen bei Zi. 59 wird jetzt wie sonst überall üblich normal artikuliert. Der Schlussakkord im ssf überzeugt mit sehr starker Bläserbeteiligung und nicht zuletzt ist er schön trocken. Zu erwähnen wäre noch, dass die Harfen ab T. 100, die pp spielen sollten, lauter zu hören sind als die nachfolgenden kompletten Streicher im f (allerdings pizz, T. 104, Zi. 65). Man freut sich die Harfen überhaupt einmal so prominent zu hören, aber so deutlich wie mit einem dicken Werbeschild versehen, sollte es nicht sein. Zu Gut halten muss man, dass die Harfen thematisches Material spielen, während die Streicher „nur“ Akkorde zupfen.
Der Klang der Aufnahme wirkt ebenfalls großformatig und etwas präsenter als die New Yorker Aufnahme. Sie bringt also genau das ein, was dem 58er Jahrgang noch gefehlt hat. Er ist transparent und räumlich, farbig, recht weich und recht warm, plastisch und recht körperhaft. Klangtechnisch kann man also von einer kleinen Verbesserung gegenüber 1958 sprechen.
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4
Hans Zender
Bundesjugendorchester
DHM-Deutsche Welle
1993, live
7:18 7:27 4:27 19:12
Während in der Jungen Deutschen Philharmonie junge Musikstudenten von 18 bis 28 Jahren proben und musizieren, sind im Bundesjugendorchester die 14 bis 19jährigen meist noch Schüler zugange. Das Ergebnis der projektbezogenen Zusammenkünfte hängt dabei nicht nur vom Können und Fleiß der jungen Musiker und Musikerinnen ab, sondern auch von Dirigenten, den man dazu verpflichten konnte.
1993 war es der 57jährige Hans Zender, der vielen noch von seiner Zeit in Kiel, Saarbrücken oder Hamburg bekannt sein dürfte.
Man empfindet sein Tempo als gemäßigt und wenig turbulent. Man spürt bereits im ersten Satz den feinen Nuancen nach, mehr als man das sonst zu hören bekommt, auch das deutliche und sehr exakte Spiel (genauer als bei vielen Profis). Der Vielstimmigkeit wird man ganz besonders gerecht, was sowohl auf eine gute Probenarbeit hinweist, als auch auf die Handschrift des Dirigenten. Man trumpft nie auf und dass die allermeisten Noten im p und pp stehen, hört man auf dieser Aufnahme sehr gut.
Die Detailakkuratesse setzt sich im zweiten Satz fort und obwohl das Musizieren sehr bewegt erscheint, bei einem ziemlich flotten Tempo wie bei Paul Paray, kommt doch die leise Melancholie gut zum Tragen. Man hat viel zu erzählen. Die Soli werden bemerkenswert gekonnt und voller Selbstbewusstsein vorgetragen. Das Unisono von Solovioline, Fagott und Flöte gelingt perfekt. Leider lässt es die Aufnahmetechnik an der Präsenz der besten Einspielungen fehlen, sondern verändert die Einstellungen gegenüber dem ersten Satz nicht. Das ist ehrlich und für die Puristen der einzige gangbare Weg, aber man verschenkt so jedoch etwas Atmosphäre und anheimelnden Effekt, sonst wäre es auch nicht so häufig und von prominenten Labeln praktiziert worden.
Das heikle Klarinettensolo im dritten Satz, das allzu oft nur stoisch runtergeblasen wird gelingt sehr gut, nämlich „gaiement, et trés en dehors en exagérant les accents“, was so viel bedeutet wie „fröhlich und stark herauskommen, indem die Akzente übertrieben werden“. Das nehmen sich sogar die Hörner zu Herzen, bei der Oboe und dem Englischhorn fehlt uns die Anweisung „gai et fantastique“ jedoch „heiter oder vergnügt und fantastisch“, da ist die Oboe jedoch in bester Gesellschaft, denn das bringt eigentlich niemand so recht heraus. Ist vielleicht von Monsieur Debussy auch einfach zu viel verlangt. Wie soll man auf der Oboe fantastisch spielen? Vergnügt wäre hingegen weniger ein Problem. Leider fehlt es dem Gestus im dritten Satz einfach ein wenig am Temperament und an der Freude an Kontrasten. Das sollte der Dirigent verantworten. Unserem Eindruck nach hätte es das begabte und hingebungsvolle Orchester draufgehabt.
Angesprochen haben wir bereits, dass der Klang vor allem im zweiten Satz präsenter sein könnte, da rutscht das Orchester sogar noch ein wenig weiter nach hinten. Ansonsten gibt es wenig Einwände. Es klingt transparent und luftig, weich, rund und geschmeidig. Allenfalls könnte der Klang der Aufnahme noch etwas voller und dynamischer sein.
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4
Emanuel Krivine
Orchestre Francais des Jeunes
Adès
1989
6:48 8:22 4:06 19:16
Das französische Äquivalent zum Bundesjugendorchester ist das „Orchestre Francais des Jeunes“. Hier ist man großzügiger was die Altersgrenze anlangt, denn es dürfen junge Menschen von 16 bis 25 Jahre mitspielen, nach einem anspruchsvollen Probespiel versteht sich, wie später in der rauen Wirklichkeit, auf die das Orchester letztlich vorbereiten soll. In Frankreich scheint man statt Studentenorchester und Schülerorchester nur eines finanzieren zu wollen oder zu können. Den Dirigenten erleben wir noch in zwei weiteren Aufnahmen mit Profi-Orchestern gleich im Anschluss. Dies ist die erste Aufnahme, da war er 42. Sie gefällt uns nicht zuletzt wegen ihres jugendlichen Elans am besten.
Der qualitative Unterschied der beiden Jugendorchester aus Deutschland und Frankreich ist denkbar gering. Genauso gut hätten wir das französische Orchester vor dem deutschen platzieren können. Wir haben den jüngeren einmal den Vortritt gelassen. Es ist eher der Dirigent, der den Unterschied macht. Das Spiel im ersten Satz ist sehr belebt und temperamentvoll, es wirkt straff, klar und dynamisch. Die Orchesterqualität ist sehr gut. Man spielt nie massiv, alles wirkt schön leicht, „wie die Hand einer Frau“, wie Debussy einmal bemerkte wie seine Komposition klingen soll. Das arabische Viertel klingt etwas exotischer als sonst, denn Viola und Oboe sind nicht immer ganz sonor, was die Exotik eher noch erhöht. Je länger der Satz andauert, desto drängender wird sein Charakter. Statt der liebevollen Detailakkuratesse wie beim DJO, setzen die Franzosen mehr Augenmerk auf den Drive. Da ist doch mehr jugendlicher Schwung spürbar.
Dass auch im französischen Jugendorchester sehr gute Holzbläsersolisten sitzen, bemerkt man im zweiten Satz noch besser. Der Klang der Oboe ist voll und sonor, der des Englischhorns steht ihm in nichts nach. Mit Flöte, Klarinette und Fagott tragen sie maßgeblich zur duftenden Stimmung des Satzes bei. Auch die Bässe sind bemerkenswert gut hörbar, die Streicher mit dem klaren, fein gewebten sanften Klangteppich haben natürlich den gleichen Anteil daran. Wenn die Hörner zu viert spielen sind sie gerne mal zu laut, meist spielen sie aber genau, wie das ganze Orchester. Auch wenn das Solohorn die Echowirkung nicht sinnfällig macht herrscht ein absolut professionelles Niveau.
Der dritte Satz entfacht nach dem plastischen Erwachen nach dieser angenehmen Nacht mehr frischen Schwung und Dynamik als bei Hans Zender. Leider gelingen die Gitarrenimitationen der Streicher nur sehr schwach. Das Klarinettensolo gefällt uns nach dem tschechischen bei Jean Fournet mit am besten. Es klingt „schön frech“ und rotzig laut. Auch das deftige Zerplatzen des Traums wird sinnfällig dargestellt.
Die Aufnahme klingt präsenter als die des DJO und die Schallereignisse sind besser ortbar, Im Gegenzug klingt das Tutti beim deutschen Orchester klarer. Wie das Orchester so kann man die Aufnahmequalität genauso als professionell und vollgültig bezeichnen.
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4
Emanuel Krivine
Orchestre National de France
Erato-Warner
2017
6:39 7:52 4:21 18:52
Monsieur Krivine war nach seiner Zeit als Chef in Luxemburg von 2017-2020 Chefdirigent des französischen Nationalorchesters. Zur Zeit der Aufnahme war er 70 Jahre alt.
Man hört nun in einer modernen Aufnahme mit viel Schwung präsentere Kastagnetten. Das sehr gute Orchester ist seit 1974 (Martinon) nicht mehr wiederzuerkennen, denn es spielt immer noch detailreich, aber nun auch klanglich ausgewogen und absolut perfekt. Die dynamischen Abstufungen werden exzellent realisiert. Die Musik ihres Nationalkomponisten (mit Ravel gemeinsam) scheint den Musikern mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen zu sein bzw. in ihrer Ausbildung vollgültig vermittelt worden zu sein. Der Gang ins arabische Viertel zeigt immer noch exotisches, die Viola und die Oboe spielen nun perfekt zusammen.
Auch dieser zweite Satz klingt wieder lauter als vom Komponisten „erlaubt“, nicht nur die Solooboe, auch die Streicher, was besonders bedauerlich ist, denn die könnten ja wirklich leise spielen, ohne viel Mühe. Diesbezüglich spielt das BJO dem französischen Nationalorchester den Nationalkomponisten mal korrekt vor. Besonders die Oboe trägt dieses Mal zu stark auf. Sie scheint sich mitten in der Nacht an ihrem eigenen, zugegebenermaßen sehr schönen Klang sonnen zu wollen. Bis Zi. 43 wird so verfahren. Debussy hat mit diesem Satz kein Oboenkonzert geschrieben! Auch später spielt sie bei keinem Solo p, wie sie es sollte! Sehr viel besser das Solo-Horn. Dieses Mal hat der Dirigent wirklich nicht aufgepasst und es kam anscheinend auch kein guter Tipp vom Aufnahmeleiter. Schade, Krivines Aufnahme mit dem Jugendorchester ist da näher dran an der kompositorischen Absicht.
Ziemlich prachtvoll dagegen der dritte Satz, bei dem der realisierte Gestus dann wieder passt. Zum prachtvollen Orchester kommt auch noch ein luzides Klangbild. Die kleine (unbedeutende) Fagottkadenz bringen jedoch auch die Pariser nicht zu Gehör. Die Oboe dominiert aber auch 43 Jahr nach der Martinon-Einspielung den Holzbläsersatz, sie ist deutlich lauter als Flöte und Klarinette und noch sehr viel lauter als das Fagott. Sollte da jemand das Mikrophon verrückt haben? Ein Trost ist es, dass sie 2017 bei ihrer Dominanz viel schöner klingt als 1974. Sie strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, aber selbst wenn es gerechtfertigt ist, zieht es die Gesamtqualität des Orchesters runter. Dieses Mal gibt es kein Nachklingen der Streicher beim trockenen Schlussakkord wie in Luxemburg.
Beim Klang der Einspielung hat man eine perfekte Balance zwischen halliger Großräumigkeit und trockener Präsenz getroffen. Das Orchester klingt plastisch, sehr präsent und dreidimensional und geht über das in Luxemburg erreichte noch hinaus. Es klingt sehr dynamisch und es ist keine Frage, dass dies klanglich die beste der drei Aufnahmen Krivines ist.
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4
Emanuel Krivine
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Timpani
2009
6:37 7:44 4:28 18:49
Krivine war von 2006-2015 Chefdirigent des Luxemburger Orchesters, dem er bereits seit 2001 als Gastdirigent verbunden war. Seit Eröffnung der Luxemburger Philharmonie 2005 konnte man das Niveau verbessern, was auch der Vergleich mit der älteren noch von Louis de Froment geleiteten Einspielung zeigt. Man verpflichtet immer häufiger auch prominente Gastdirigenten. Bei seiner mittleren Einspielung war Monsieur Krivine 62 Jahre alt.
Wie in Paris übertrifft man den Auftritt des Jugendorchesters an Temperament und Kraftentfaltung, denn das hier virtuos aufspielende Orchester befindet sich auf einem guten Niveau und klingt farbig, sinnlich und recht leidenschaftlich.
Wie in Paris spielt die Oboe bereits acht Jahre zuvor in Luxemburg die Spielverderberin im zweiten Satz, denn sie kennt kein p. Sie spielt viel lieber mindestens mit einem bequemen, satten mf. Da sich ähnliches in Paris wiederholt, scheint uns der Dirigent doch die entscheidende Rolle bei dem Missverständnis zu spielen. Sie soll ja expressiv sein, aber p steht nun mal dabei und weil es Debussy wichtiger war zuerst, „espessif“ steht erst danach. Wie dem auch sei, man verspielt so die Ruhe und die Stimmung, die der Satz als Nachtstück zu allererst transportieren sollte. Manchmal wird tenuto als glissando missverstanden, bei tenuto stützt man sich auf der betreffenden Note ab, beim glissando gleitet man bruchlos von der einen zur anderen Note rüber. Da ein Dirigent vom Kaliber Krivines das natürlich weiß, könnte man sich die Verwechslung nur durch unterschiedliche Partituren oder durch Sehprobleme erklären. In Paris fällt die Verwechslung dann nicht mehr auf.
Der letzte Satz gefällt wieder viel besser. Das Tempo Rubato gelingt, der spöttische Ausdruck gelingt ganz gut, immerhin kann man ganz leise die kleine Fagottkadenz hören, die anscheinend keiner so richtig braucht und ein improvisatorischer Charakter kann wenigstens angedeutet werden. Leider klingen bei Schlussakkord die Streicher zu lange nach, da wird der Nachklang nicht abgestoppt. Seltsamerweise klingt vom Blech und vom Schlagwerk nichts nach. Das mindert den sehr guten Gesamteindruck des letzten Satzes.
Gegenüber 1989 gibt es mehr Dynamik, der Klang hat gleichsam mehr „Fleisch auf den Rippen“ und erscheint plastischer. Er wirkt transparent aber doch relativ kompakt, es gibt also keine ausufernde Räumlichkeit. Die Präsenz ist sehr hoch. Das Holz erscheint so relativ nah. Das Orchester wird warm und sonor wiedergegeben.
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4
Jukka-Pekka Saraste
Rotterdam Philharmonic Orchestra
Virgin
1990
7:01 7:32 4:17 18:50
Der erste Satz wirkt weniger hektisch und das quirlige Treiben hält sich gegenüber den Aufanhmen aus den 50er Jahren in Grenzen. Saraste ist mehr an einem leidenschaftlich vorantreibenden Spiel gelegen. Die zahllosen Details erfreuen sich weniger einer genauen Betrachtung. Sie dienen nur als kleines, unbedeutendes Element des ganzen „Tongemäldes“. Die von Debussy vorgestellten Personen, Situationen oder Handlungen stehen so mehr im Vordergrund als ihr Empfinden. Der Dirigent koordiniert bestens und das Orchester ist in guter Form. Es gibt kein Grund zur Beanstandung. Dem Concertgebouw-Orchester mit Haitink steht die Nr. 2 der Niederlande kaum noch nach, allenfalls ein wenig in Fülle und Glanz.
Im zweiten Satz, dem Nachtstück, wird schon alleine wegen des langsameren Tempos mehr Wert auf das eloquente Detail gelegt, wiewohl Saraste den Satz sehr zügig nimmt. Der Klang des Orchesters überrascht positiv, auch die Oboe weiß zu begeistern, wenngleich sie die p-Region bisweilen verlässt. Die sehr präsenten Glöckchen bringen Licht in die Dunkelheit. Der Satz mutet viel zügiger an als beispielsweise bei Previn oder Rattle, die zwei Minuten mehr benötigen, was den Satz kurzweiliger macht, aber auch sachlicher wirken lässt. Besonders auffallend ist dies gegen Ende des Satzes, wo man nur einen völlig unromantischen und fantasielosen Übergang zum dritten Satz zu Hören bekommt. Die Magie dieses Übergangs wird gründlich verschenkt. So „einfach“ und trocken hat sich das Debussy dann sicher auch nicht vorgestellt.
Im dritten Satz geht es geradlinig und vorantreibend weiter, nur in den solistischen Passagen wird es ausdrucksvoller. Wir hören dann eine sehr sportliche Schlussstretta und einen etwas plumpen Schlussakkord, der kaum an einen zerplatzenden Traum denken lässt. Der letzte Satz, aber in Teilen auch die beiden Sätze zuvor wirken eher wie eine sachlich-sportliche Auseinandersetzung mit dem Werk als eine musikalisch-poetische und gerät etwas flüchtig.
Der Klang der Aufnahme wirkt weich, plastisch und recht dynamisch. Die Schallquellen sind gut aber nicht punktgenau ortbar, das Klangbild wirkt ein wenig zu einheitlich und flächiger, d.h. es gibt eine geringere Staffelung in die Tiefe als beispielsweise bei Previn oder Rattle.
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4
Eduardo Mata
Dallas Symphony Orchestra
Telarc
1981
6:50 7:42 4:36 19:08
Eduardo Mata war von 1977-1993 Musikdirektor des Dallas Symphony Orchestra. Zur Zeit der Einspielung war er 39 Jahre jung. Leider werden nicht alle Dirigenten mit einem hohen Alter gesegnet. 1995 kam er bei einem Flug von Venezuela, wo er künstlerischer Berater des Simon Bolivar Youth Symphony Orchestra war, nach Dallas bei dem Absturz der von ihm selbst gelenkten Privatmaschine ums Leben. Seine Einspielung von „Ibéria“ gleicht der 20 Jahre später beim gleichen Label veröffentlichten Einspielung mit Jesus Lopez-Cobos klanglich und musikalisch. Im ersten Satz geht es mit Herrn Mata aber nicht ganz so kerzengerade durch wie beim Spanier. Er wirkt auch eine Spur subtiler, da die zahllosen Details ein wenig deutlicher gemacht werden. Er hatte in Dallas den Auftrag, das Orchester an die Weltspitze heranzuführen. Das ist ihm vier Jahre nach der Übernahme der Direktorenstelle berieits weitgehend gelungen.
Der zweite Satz ist bei Eduardo Mata und dem Orchester aus Texas in guten Händen, das Tempo ist gut gewählt, man spielt mit der gebotenen Zurückhaltung, die Solo laufen gut und es gibt weiter nichts besonderes zu berichten. Einfach gut gemacht, aber nicht besonders gut. Herr Mata lässt etwas freier musizieren als der noch perfektere Lopez-Cobos. Auch die klanglichen Ähnlichkeiten sind groß, nicht zuletzt, da Telarc bereits in den Kindertagen der Digitaltechnik durch Verwendung des Soundstream-Aufnahmeverfahrens weit weniger von den Kinderkrankheiten betroffen war als die meisten anderen Labels.
Im dritten Satz ist Mata der gegenüber Lopéz-Cobos geduldiger ausharrende Dirigent bei der Verwandlung der Nacht in den Morgen. Aber auch derjenige, der dann lustvoller an den Festtag herangeht. Er lässt die Blase aus Träumen am Ende effektvoll platzen.
Im weit wirkenden Aufnahmeraum wird das Orchester sehr räumlich und voluminös abgebildet. Der Klang ist transparent und plastisch, auch voluminös. Die Tiefenstaffelung ist sehr gut. Wir hörten auf der LP, die die Digitalaufnahme in ihrer Rille beherbergt, keine digitalen Härten.
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4
Jesus Lopez-Cobos
Cincinnati Symphony Orchestra
Telarc
2001
6:46 7:48 4:20 18:54
Auch in Deutschland war der Spanier ein geschätzter Dirigent, denn er war von 1981 bis 1990 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin und von 1984 bis 1988 darüber hinaus Musikdirektor des Spanischen Nationalorchesters. 1986 bis 2000 war Jesús López Cobos Chefdirigent des Cincinnati Symphony Orchestra, sowie von 1990 bis 2000 Chefdirigent des Orchestre de Chambre de Lausanne. Von 2002 bis 2010 war er Musikdirektor des Teatro Real in Madrid.
Er lässt den ersten Satz ziemlich schnell und gerade durch musizieren. Das Orchester folgt ihm mit einem hohen Perfektionsgrad, sein Spiel wirkt jedoch wenig spontan und seine Erkundungen wirken weniger abenteuerlustig als kalkuliert. Da wurde die Reise komplett minutiös durchgeplant. Was für ein Unterschied zur Rallye über Stock und Stein bei Paul Paray, dem eleganten Abenteuer bei Claudio Abbado oder auch dem Trip mit Herz beim Landsmann Ataulfo Argenta. Die Sonne scheint jedoch auch bei Señor Lopéz-Cobos hell und lässt die Farben sehr schön erstrahlen.
Im zweiten Satz spielt die Aufnahmetechnik ihre ganze Klasse aus. Selten klingt der Satz einmal so räumlich, brillant und perlend, was natürlich die Stimmung (günstig) beeinflusst. Hinzu kommt das hervorragend kolorierende und plastische Orchesterspiel, das sehr anschaulich vor Ohren, äh Augen führt, dass es hier um Gemälde in Tönen und Klängen geht. Man nimmt sich genug Zeit zur Entfaltung einer atmenden Phrasierung, sodass man überzeugt sein kann, dass der Satz keinesfalls zwingend über 13 Minuten dauern muss, wie bei Herrn Celibidache. Die Dynamik wird nicht ins riesenhafte gesteigert wie z.B. bei Ansermet (1961), schließlich ist es mitten in der Nacht und da ist man müde und gerade vor der Morgendämmerung noch sehr schläfrig. Sehr gutes Zusammenspiel im Orchester.
Im dritten Satz wird sehr gut gegliedert und, wie bereits im ersten, ein strahlender Sommertag in Spanien evoziert bzw. das Gefühl, das er in uns hervorruft. Das Tageserwachen und das Näherkommen des Festes wird anschaulich gemacht, das Finale könnte jedoch temperamentvoller gesteigert werden. Das Holz gefällt sehr gut, die kleine, bereits oft angesprochene kleine Fagottkadenz ist jedoch auch mit der brillanten, hellhörigen Klangtechnik Telarcs nicht hörbar zu machen. Debussy deckt sie ja selbst mit laut spielenden Streichern zu, sodass es vielleicht eine spezielle Aufgabe für die Schatzgräber unter seinen Interpreten sein soll, ihn zu bergen. Dazu brauchen die beiden Musiker/innen an den beiden Fagotten kräftige Lungen und der Aufnahmeleiter einen sicheren Blick für die Kleinigkeiten der Partitur.
Der Klang ist trotz des sehr gut klingenden Orchesters der Star dieser Einspielung. Der zweite Satz verdient das Prädikat „Extraklasse“, die beiden anderen klingen immer noch weich, voll, geschmeidig, rund und farbig, klar und gut gestaffelt. Die Dynamik weiß auch zu gefallen. Und schließlich ist der Klang sehr plastisch und körperhaft. Wir hatten nur eine CD zur Verfügung, die Einspielung wurde jedoch ebenso als SACD veröffentlicht.
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4
Ernest Ansermet
Philharmonia Orchestra London
BBC Live
1958, live
6:49 6:58 4:16 18:03
MONO Diese Einspielung entstand live in der Usher Hall Edinburgh und lässt den langjährigen Leiter des OSR einmal mit einem anderen Orchester hören. Obwohl „Ibéria“ für das Philharmonia Orchestra damals sicher noch kein Standardrepertoire war, spielt es mit virtuoser Geläufigkeit, klanglich durchgeformt und ohne nennenswerte Intonationsschwächen. Also viel besser und ausgewogener als das OSR im Genf des Jahres 1950, der Aufnahme, die das Ende unseres Vergleiches ziert. Eine gewisse Strenge ist dem Gestus jedoch nicht abzusprechen und ein paar kleinere Wackler sind sicher der Live-Situation geschuldet. Bei unserem Muezzin im arabischen Viertel wirkt das Unisono von Viola und Oboe nicht immer ganz synchron, an der Exotik ändert dies jedoch wenig. Ansermet geht den Satz erneut flott und konzise an und das Resultat ist sehnig, gespannt und knackig im Rhythmisch, besonders beim gut gelaunten Blech. Bemerkenswert ist, dass Ansermet dieses schwierige Stück als erstes auf das Programm gesetzt hat, zum Einspielen gibt es wahrlich geeignetere Werke. Das Londoner Orchester muss bei Ansermet ein sehr hohes Ansehen genossen haben, dass er es ihm zu Beginn schon zutraute.
Im zweiten Satz ist Ansermets Tempo erneut sehr flott, denn er beherzigt die Metronomangaben der Partitur. So gibt es keinerlei Sentimentalitäten und Romantisieren bleibt ein Fremdwort. Ganz im Gegenteil die Phrasierungen wirken etwas steif und kantig, so dass sich, verstärkt durch den eher kargen Monoklang, keine Sinnlichkeit einstellen möchte. Von erotisch angehauchter Sinnenfreude, die so manch ein Duft hervorzurufen vermag, ganz zu schweigen. Die klanglich wie damals gewohnt noch sehr dünne Oboe leidet wunderbar, obwohl sich gar keine drückende Schwüle einstellt. Hauptmanko der Einspielung ist jedoch, dass man überhaupt keinen Drang verspürt leise spielen zu wollen. Auch die Streicher langen ziemlich ungeniert zu, besonders natürlich an den Stellen, wo sie es sollen. Bei Ansermet ist viel los in der spanischen Nacht. Den Übergang zum dritten Satz gibt es ohne improvisatorisch anmutendes Auskosten. Sehr sachlich folgt auf die Nacht nun ein neuer Morgen. Weiter nichts.
Der dritte Satz selbst wird zum Höhepunkt der Aufführung, denn da brodelt es förmlich und Ansermet treibt die Londoner energisch an. Er lässt sozusagen die Funken fliegen. Das Orchester hat also bereits damals Debussy „voll drauf“, Monsieur Ansermet sowieso, auch live.
Die Aufnahme rauscht vernehmlich, klingt aber sehr präsent und wurde sehr laut überspielt. Die Live-Klangtechnik der BBC steht dem Decca-Klang der 61er-Aufnahme sehr weit nach, sogar die von 1950 wäre (aber nur klangtechnisch!) vorzuziehen.
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4
Arturo Toscanini
NBC Symphony Orchestra
RCA
1950
7:06 6:48 4:28 18:22
MONO Angesichts der messerscharfen Präzision (gerade gegenüber der zeitgleich entstandenen Einspielung mit Ansermet und dem OSR in Genf), die das NBC Symphony Orchestra in New York 1950 an den Tag legt, muss diese Aufnahme damals als sensationell empfunden worden sein. Im Hinblick auf die etwas später entstandenen Aufnahmen der 50er Jahre mit Monteux, Paray oder Munch wirkt das Tempo des bereits 80jährigen Toscanini erstaunlich „mild“, obwohl die Musik immer noch vorantreibend erscheint. Die einzelnen Figuren erscheinen meist deutlich, mitunter fehlt es den Nebenstimmen an der gewohnten Präsenz. Die Artikulation beim Blech wirkt teils drastisch (z.B. die Hörner bei Zi. 30).
Beim besonders träumerischen zweiten Satz verhindert der eindimensionale, harte Klang viel von der live im Konzert möglichen Atmosphäre. Da sollte die Aufnahme ja möglichst nahe herankommen. Toscanini legt zudem ein Tempo vor, dem jede Ruhe abgeht. Auch im zweiten Satz wirkt es vorantreibend. Die Struktur wirkt hingegen wie in Marmor geschlagen, aber dass es hier um Düfte gehen soll, käme uns bei Toscanini nie und nimmer in den Sinn. Es wird zwar nicht grob gespielt, aber auch nicht sonderlich gefühlvoll. Die Musik wirkt in diesem Satz sehr sachlich und allzu distanziert. Bei Toscanini zählt die Spannung, und die ist sehr hoch, zu hoch.
Im dritten Satz scheint der italienische Superstar der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wieder viel mehr in seinem Element. Sehr deutlich, sehr rhythmisch und mit Verve, die Deutlichkeit bleibt durch das nicht verhetzte Tempo sehr gut gewahrt. Charaktervoll.
Der Klang der Aufnahme wirkt etwas spitz und scharf und wenig sinnlich. Die Transparenz geht angesichts des Alters der Aufnahme in Ordnung. Die Violinen wirken nicht gepresst, der Gesamtklang des Orchesters wirkt natürlich, was man längst nicht von allen Aufnahmen Toscaninis behaupten kann.
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4
Gustavo Gimeno
Orchestre Philharmonique de Luxembourg
Pentatone
2016 oder 2018
7:12 7:44 4:44 19:40
Der bei der Aufnahme 40 oder 42 Jahre alte spanische Dirigent ist seit 2015 Musikdirektor des Luxemburger Orchesters, das hiermit seine dritte Einspielung des Werkes vorlegt. Für die Werke auf der SACD gibt es nur eine summarische Angabe der Aufnahmedaten, dies lässt verschieden Optionen zu, denn theoretisch könnten alle Werke ebenfalls sowohl 2016 als auch 2018 (in mehreren lang auseinanderliegenden Sitzungen) aufgenommen worden sein.
Die Reise nach Spanien wirkt ein wenig gemütlich. Das inzwischen makellose Spiel des Orchesters bei bestechender Transparenz wirkt fast betulich. Abenteuerlust ist da Fehlanzeige. Man möchte eine möglichst objektive, bestmöglich exakte Darlegung bei hervorragendem Klang zur Diskographie des Werkes beisteuern. Man schlittert dabei am absichtslosen strömen lassen der Musik gerade noch so vorbei. Der Dirigent macht so vermeintlich durch keinerlei Direktive auf sich aufmerksam. Dabei ist es ein hoher Verdienst, wenn ein Orchester ein nicht eben einfach zu realisierendes Werk so perfekt spielt, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre. Knisternde Spannung kommt dabei allerdings nicht auf.
Bei dieser Darstellung des zweiten Satzes straft die Uhr das Empfinden von Tempo in der Musik wieder einmal Lügen. Nie und nimmer hätten wir auf eine Zeit unter acht Minuten getippt, die fein ziselierte Klangkultur, die leise, sanfte, subtile und geschmeidige Art des Musizierens lässt uns auf ein viel langsameres Tempo tippen. Was letztlich entscheidend ist, es wird ausgefüllt und lässt auf einen sehr „relaxten“ Zugriff auf diesen Satz schließen. Das strömen lassen wirkt sich günstig auf die Stimmung aus und der leicht ätherische Charakter des Luxemburger Spiels lässt sehr gut an „Parfums“, also Gerüche denken.
Im dritten Satz outet sich der Dirigent mehr als ein „Klangfarben-Ästhetiker“ als ein Dramatiker und bestärkt die Vermutung, die im ersten Satz bereits aufgekeimt ist. Alles klingt zudem dynamisch, aber ein drängender Charakter selbst beim ausgelassenen Fest dabei zu sein, stellt sich nicht ein. Wehmütig denkt man an die Spitzigkeit eines Paray oder Munch (nur 1957) zurück. Debussy vor allem als klangkulinarisches Drei-Gang-Festmenü.
Der Klang ist die eigentliche Attraktion der Einspielung. Sehr räumlich, sehr präsent, sehr transparent, sonor, luftig, mit einer halografischen Staffelung ausgestattet, körperhaft, brillant und warmtönend. Eine audiophile Meisterleistung, schon im Stereo-Modus.
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4
Louis de Froment
Orchestre de Radio Luxembourg (heute: Orchestre Philharmonique de Luxembourg)
Vox, Moss, Membran
AD?
6:59 7:56 4:11 19:06
Louis de Froment war von 1958-1980 Chef in Luxemburg und danach noch erster Gastdirigent. Aus dieser Zeit sollte die Aufnahme stammen. Wir schätzen sie auf die frühen 70er Jahre, ein genaues Datum wurde unseren Ermittlungen nach anscheinend auf keiner der Veröffentlichungen vermerkt. Das Orchester macht den Eindruck, als sei es schon lange sehr gut mit dem Stück vertraut. Es spielt temperamentvoll, detailliert und durchaus tänzerisch akzentuiert. An die Brillanz, Virtuosität und Präzision der Chicagoer, Londoner oder Bostoner Symphoniker, um nur einige zu ennen, kommt es jedoch nicht heran. Die Passage mit dem Muezzin wird in dieser Einspielung vom Englischhorn dominiert, wenn es das Unisono von Viola und Oboe einmal bereichert.
Den zweiten Satz spielt das Orchester gefühlvoll ohne Strenge („sans rigeur“), wie es Debussy hätte hören wollen. Die für die Zeit zwar französisch, aber intonationsfest und durchaus nicht schrill klingende Oboe stört den intimen Charakter des Bildes aus Klang nicht sonderlich, sehr gut kommen Celesta und die beiden Harfen ins Bild. Die Streicher sind nicht immer ganz zusammen.
Schön ist es auch, dass man die Glocken gut ins Bild setzt. Ansonsten fehlt es dem Satz etwas an Durchhörbarkeit. Das Rubato, das etwas spöttische von Flöte und Fagott, das gelingt einigen anderen besser.
Der Klang zeigt eine luftig-weite Akustik und eine erstaunlich tiefe Staffelung des Orchesters. Die alten Platten erschienen noch im Quattro-Format, was übrigens ebenfalls auf ein Aufnahmedatum Mitte der 70er Jahre hinweist. Die Streicher könnten mehr Volumen vertragen und wirken oft nach hinten gerückt. Die Aufnahme klingt von CD abgespielt viel besser als von der alten LP.
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4
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra
CBS-Sony
1951
6:56 7:51 4:29 19:16
Von 1936 an war Eugene Ormandy zunächst Assistent sowie Ko-Dirigent von Leopold Stokowski beim Philadelphia Orchestra und erhielt zwei Jahre später das Chefdirigat. Unter seiner Leitung intensivierte das Philadelphia Orchestra den bereits zuvor mit Stokowski erworbenen ausgezeichneten Ruf. Ormandy und das Orchester wurden zu einem der meistaufgenommenen Ensembles der Tonträgergeschichte. Es fehlt bei kaum einem Vergleich. Meist ist man sogar mit mehreren Einspielungen aus verschiedenen Jahrzehnten vertreten. Sein Interpretationsstil ging als „Philadelphia Sound“ in die Geschichte ein. Er leitete das Philadelphia Orchestra bis 1980. Von „Ibéria“ haben wir nur eine einzige Einspielung finden können, die Werke von Claude Debussy und Maurice Ravel standen überhaupt weniger im Fokus des Interesses.
Das Orchester aus Pennsylvania spielte 1951 bereits noch geschmeidiger als das San Francisco Symphony Orchestra in der Aufnahme mit Pierre Monteux, die im gleichen Jahr für das amerikanische Konkurrenz-Label RCA entstand. Besonders die Violinen machen im Vergleich das Rennen. Die Präzision ist für ein Orchester Anfang der 50rt Jahre ganz erstaunlich. Sehr stark im Vordergrund stehen die „spanischen“ Instrumente, die Kastagnetten und das „Tambour de basque“. Nicht überraschend sind die wenig irisierenden „Klangflächen“, die aufgrund der Monoaufnahme noch nicht einmal flächig, geschweige denn räumlich wirken. Gegenüber der Einspielung Monteuxs (1951, 1963 wird der Unterschied noch krasser) wirkt Ormandy weniger charmant und weniger subtil. Man denkt sehr viel öfter als üblich an Gershwins „Amerikaner in Paris“.
Auch im zweiten Satz muss sich Ormandy in Sachen „Klangzauber“ gegenüber der 51er Monteux geschlagen geben, der einfach sinnlicher wirkt. In San Francisco ist das Wetter und das Klima in etwa wie in Spanien, das merkt man. Die Oboe wirkt etwas schwerfällig, was den Wünschen Debussys zu Beginn voll entsprechen dürfte. Aber dass auch noch ein bräsiger, schneidender Klang hinzukommt, wahrscheinlich weniger. Auch die Flötenstimme wurde schon subtiler ausgestaltet (Zi. 46), die Klarinette gefällt demgegenüber besser. Auffallend ist, dass der Klang der einzelnen Instrumente nirgends zu Klangmischungen führt, alles klingt deutlich separiert. Summa summarum: Dies ist eher eine kühle Sommernacht in Pennsylvania als eine warme in Spanien, sie verströmt wenig sinnliche Düfte und wirkt weniger verträumt als vielmehr hellwach. Wenig Einfühlungsvermögen bei technisch hochklassigem Spiel.
Im dritten Satz heizt der bei der Einspielung 52jährige Ormandy nicht so ungestüm an, wie man das vielleicht vermutet haben könnte. Zumindest einmal bis Zi. 56. Dann hat die Klarinette kein Problem, ihr Solo nach Zi. 57 herrlich frech zu artikulieren. Auch die Rubatostellen werden perfekt inszeniert, jedoch weniger erfühlt. Bei orchestralen „Ballungen“ lässt die Transparenz des Orchesters spürbar nach, sodass manch ein Einsatz von Holz und Blech nicht hörbar sind. Bei der Schlusswirkung lässt sich der Effektmagier, der Eugene Ormandy ebenfalls sein konnte, dafür war er berühmt (und bei manchen berüchtigt), nicht lumpen. Er zögert den Knalleffekt so lange heraus bis es nicht mehr geht, so lässt man einen Traum platzen! Er ist aber mit das Beste an einer ansonsten zwar virtuosen, jedoch eher wenig atmosphärisch prickelnden Darbietung.
Der Klang mutet für eine Mono-Aufnahme sehr transparent an, transparenter als so manch eine Aufnahme in Stereo. An die Präsenz der direkten Konkurrenzaufnahme mit Monteux (1951) kommt sie nicht ganz heran, sie ist erstaunlich dynamisch und wirkt schon erstaunlich blitzeblank. Sie rauscht stärker als die Monteux-Aufnahme.
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4
Daniele Gatti
Orchestre National de France
Sony
2011
6:44 7:22 4:27 18:33
Daniele Gatto war von 2008-2016 Musikdirektor des Orchestre National de France und somit indirekter Nachfolger von Inghelbrecht und Rosenthal. Dass er von den altvorderen die Kunst des Debussy-Spiels „geerbt“ hätte, lässt sich nicht unbedingt bestätigen. Er war übrigens bei der Einspielung 50 Jahre alt.
Er lässt das Orchester zwar schneller spielen als ein Charles Dutoit, aber nicht in der charmant-legeren Art wie der Schweizer. Bei ihm klingt das französische Nationalorchester eher deutsch, nicht protzig oder gar plump, aber doch deutlich schwergängiger und schon gar nicht mit der mitreißenden Turbulenz der älteren Generation. Das Orchester spielt zwar gut, man vermisst jedoch die feine, geschmeidige Art eines Cleveland Orchestra oder des LSO bei Abbado oder bei Monteux. Auch das Hineinhören in die Details, die man so schön und delikat in Monteuxs zweiter Einspielung zu hören bekommt, gelingt bei Gatti nicht so erfolgreich.
Im zweiten Satz vermisst man die Ruhe, die geheimnisvolle Stimmung, alles wird wie ins Taghelle gesetzt. Die Soli rezitieren instrumental sehr gelungen, aber was? Beim Horn-Solo vermisst man die Echowirkung (wie so oft). Bei Zi. 46 spielen die Flöten ihre Passage nur runter und wirken nicht expressiv dabei. Bei Zi. 48 setzt Gatti schon viel früher mit dem Rubato ein als es Debussy hinschreibt und bauscht mächtig auf, besonders in der Lautstärke. Diese nächtlichen Düfte konnten uns weder berauschen noch begeistern.
Der dritte Satz beginnt wenig alert und noch verschlafen. Später wird es dann doch flotter, aber auch hier vermisst man eine gewisse Eleganz. Vielleicht denkt sich Signore Gatti auch, dass es ja um Spanien geht und wozu braucht es dann französische Eleganz? Nun am spezifischen Raffinement fehlt es ebenfalls. Im dritten Satz ist die einkomponierte Rubato-Stelle nicht spürbar. Und schließlich sind 2 T. vor Zi. 59 Xylophon und Violinen auseinander.
Der Klang der Einspielung wirkt voller als die Aufnahme bei Charles Dutoit, auch erscheinen die einzelnen Soloinstrumente größer abgebildet, die Transparenz ist sehr gut, auch wirkt der Klang sehr luftig. Das Schlagwerk wird in Paris deutlich hinter dem restlichen Orchester platziert. Sonst geht die Aufnahme eher wenig in die dritte Dimension.
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4
Jos van Immerseel
Anima Eterna, Brügge
Outère
2012, live
7:46 10:40 4:38 22:54
Jos van Immerseel gründete das Originalklangensemble Anima Eterna 1987. Lange Jahre war er der Dirigent des Orchesters, seit 2020 arbeitet das Orchester mit Gastdirigenten zusammen, von denen auch Jos van Immerseel noch einer ist. Zur Zeit der Einspielung war Herr Immerseel 67 Jahre alt. Das Orchester sucht sich in Instrumentenwahl und Besetzungsstärke den Erfordernissen des Stückes in besonderer Weise anzupassen. Von daher ist dies ein ganzähnlicher Ansatz wie bei Les Siècles und Francois-Xavier Roth.
Sofort zu Beginn fallen die weich timbrierten Streicher und das sanft klingende Holz ins Ohr. Erheblich auffallender und ungewöhnlcher als bei Les Siècles. Die Hörner spielen zwar gut, könnten jedoch mehr herauskommen aus dem Gesamtklang. Den Beginn des Satzes nimmt Immerseel recht schwungvoll aber nicht rasant. Mitunter wird rhythmisch geprägt gespielt, dann aber gibt es Passagen, denen es durchaus an Raffinesse fehlt. Der Muezzin im Quartier arabe bringt die Oboe lauter zu Gehör als die Viola, beide sind auch nicht immer synchron (live) und recht weit entfernt. Im Tempo bleibt Herr Immerseel mitunter im weiteren Verlauf des Satzes hinter dem gewohnten zurück. Die Anweisung „expressif et souple“, ausdrucksvoll und geschmeidig oder flexibel wird sehr gut deutlich gemacht. Dagegen können wir bei der Oboe nicht unbedingt ein „gaiement“, fröhlich, erkennen. Ansonsten wird sorgfältig und genau gespielt. Das spezielle Flair, den die rasant aufgedrehten Einspielungen hier einbringen, das Abenteuer verheißende, bunte Treiben und das leicht chaotische, sympathisch anmutende Durcheinander geht weitgehend verloren.
Im zweiten Satz hingegen klingt es sehr stimmungsvoll. Ein „Klangzauber“ wollte sich jedoch nicht einstellen. Die „von Natur aus“ leiser spielenden Bläser passen sehr schön ins stimmungsvolle Ambiente hinein, das die Streicher teilweise gut aufbauen. Sie platzen nie aus der Stimmung heraus. Die Streicher wirken meist schön filigran und samtig, manchmal sehr schlank und phasenweise ein wenig mager. Generell fehlt ihnen der Glanz, der zu einem großen Teil für den „Klangzauber“ verantwortlich ist. Im Tempo erreicht Immerseel fast schon celibidachehafte Ausprägungen. Der durchweg leise Ton bekommt dem Satz aber gut, da geben die Dynamikanweisungen einfach recht. Bei Roth klingt der Satz deutlich bewegter.
Der dritte Satz erklingt in einem durchaus angemessenen Tempo, nicht knallig aber farbenfroh. Roth klingt in der anderen Einspielung mit Originalinstrumenten spannender und hatte mehr Nuancen zu bieten.
Insgesamt klingt die Darbietung recht leise aufgenommen, farbig und transparent, zumeist nicht dünn, ein paar Streicher mehr hätten aber gewiss nicht geschadet. Die Einspielung Roths klingt noch farbiger, plastischer, räumlicher und präsenter.
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4
Antal Dorati
Concertgebouw-Orchester Amsterdam
RCO Live
1987, live
7:14 7:37 4:35 19:36
Diese Aufnahme liegt der CD-Box „The Radio Legacy 1980-1990“ des COA bei. Antal Dorati war bereits 81 Jahre alt und starb im folgenden Jahr. Zu Beginn seiner Schallplattenkarriere war er bei Mercury unter Vertrag und da übergab man das „französische Repertoire“ lieber an Paul Paray. Erst in der Zeit bei Decca kam es zu einer Einspielung von „Ibéria“ alleine, 1975 eingespielt mit dem National Symphony Orchestra of Washington zu jener Zeit also, als er dort Musikdirektor war, die uns leider nicht zum Vergleich vorlag.
Im Amsterdam klingt es nun recht breit und füllig, erheblich weniger spritzig als bei Bernard Haitink zehn Jahre zuvor. Gelassenheit angesichts des Verkehrs auf Spaniens Straßen und Wegen erschien dem Dirigenten also als sicherer Weg, um unfallfrei durchzukommen. Wir bekommen dabei übrigens alles mit, was da vorgeht. Gänzlich temperamentlos wirkt die Darbietung nicht.
Angemessene Lautstärkerelationen liegen im zweiten Satz vor, der wunderbar leise und auf eine mystische Art stimmungsvoll erscheint. Er wirkt jedoch nicht transparent genug und nährt das Klischee vom verschwommenen, unklaren Impressionismus.
Die Morgenstimmung im dritten Satz wird gut dargestellt, während das Fest selbst etwas temperamentarm erscheint. Das Orchesterspiel ist exzellent, das starke, mitunter beachtenswert auftrumpfende Blech verleiht besonders dem letzten Satz einigen Glanz. Ein paar nun „keifende“ Klarinettenpassagen sind in anderen Einspielungen kaum aufgefallen.
In diese Aufnahme wirkt das Orchester leicht nach hinten versetzt, aber deutlich und gut in die Breite gestaffelt, für eine Rundfunkaufnahme ist die Staffelung nach hinten ebenfalls beachtenswert. Der Klang ist weniger brillant als warm und voll. Die Ortbarkeit der einzelnen Instrumente könnte besser sein, ist aber rundfunktypisch in Ordnung. Sie wirkt deutlich weniger dynamisch als die Einspielung Haitinks im selben Konzertsaal. Während des zweiten Satzes gibt es ein paar störende Hustenattacken im Publikum zu hören.
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4
Segiu Celibidache
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
DG
1980
8:03 12:52 4:47 25:42
Nach dem unerwarteten Tod des damaligen Chefdirigenten Hans Müller-Kray im Jahr 1969 begann für das Stuttgarter Orchester eine Zeit von Gastdirigenten. Sergiu Celibidache, der den Klangkörper erstmals in der Saison 1958/59 als Gast leitete, hatte von 1972 bis 1979 ein ständiges Gastdirigat inne und fungierte als „künstlerischer Leiter“ des Orchesters. Warum er nicht als Chefdirigent eingesetzt werden oder so genannt werde wollte, entzieht sich unserer Kenntnis. De facto war er in jener Zeit der Chef. Darüber hinaus sollte er von 1979 bis 1982 dem Orchester weiterhin verbunden bleiben. Beobachtern zufolge rangierte es seinerzeit hinter den Berliner Philharmonikern, die Celibidache in der Nachkriegszeit ein paar Jahre geleitet hatte, an zweiter Stelle in der deutschen Orchesterlandschaft. Seinem Ruf das zweitbeste Orchester Deutschlands zu sein wird es in dieser Einspielung nicht unbedingt gerecht. Die Einspielung von „Ibéria“ entstand als Live-Mitschnitt in der Stuttgarter Liederhalle.
Zunächst bemerkt man, dass es langsamer zugeht auf spanischen Straßen als beispielsweise bei Abbado. Das turbulente Gewusel das vom LSO entfacht wird, bleibt weitgehend aus. Der Gestus wirkt weicher, gemütlicher, gar träger. Aufgeschreckt wird man bei Zi. 2, denn die Klarinetten (alle drei) erweisen sich als so unsicher, dass sie ihren Einsatz komplett verpassen. Eine Unsicherheit, die sich möglicherweise auf das Orchester überträgt und z.B. beim Rubato bei Zi. 23 das Zusammenspiel erneut gefährdet. Natürlich wird trotzdem hochklassig Musik gemacht, denn Celi setzt deutlichere Kontraste als Abbado und baut stärkere Tempounterschiede ein. Dass dadurch ein höheres Spannungsniveau erreicht werden würde, lässt sich indes nicht behaupten.
Durch die nahezu einzigartige Tempovorstellung Celibidaches wird der zweite Satz in Stuttgart von sehr schweren Düften beherrscht, die bereits eine bedrohliche Wirkung aussenden. Der Oboist zeigt viel Geschmack, denn obwohl er „penetrant“ zu spielen hätte, entscheidet er sich für das gleichermaßen vorgeschriebene p und bleibt angenehm, durchbricht nicht die mysteriöse Nachtstimmung. Er spielt wie immer sehr klangschön. Vor lauter „Atmosphäre“ geht die Spannung allerdings ziemlich „flöten“. Bei „Un peu allant“, was soviel bedeutet wie „Ein wenig schwungvoller“ bleibt das Tempo immer noch zäh. Celibidache schreitet allenfalls noch sehr, sehr getragen durch die Nacht, eigentlich nimmt er das Bewegungselement fast schon aus der Musik heraus. Lässt die große Hitze nicht mehr zu? Wirkt es nun suggestiv oder einfach nur langatmig? Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt.
In Stuttgart schleicht man sich ganz langsam aus der Nacht in den nächsten Morgen eines Festtages, das gelingt nun wirklich sehr suggestiv. Der Festtag selbst wird recht lebendig dargestellt. Die Klarinette hat ihr Malheur aus dem ersten Satz überwunden und zeigt sich in Topform und spielt schön frech, indem sie die Akzente zwar nicht übertreibt, aber doch gut hervorhebt. Das Holz musiziert allgemein sehr plastisch aus. Celi sieht das Stück anscheinend ebenfalls als ein Traum von Spanien, darin ist er sich mal mit Debussy einig, denn am Ende lässt er den Traum tatsächlich platzen wie eine Seifenblase. Der Steigerungsverlauf wird da ausgereizt und die ssf wirken markig. Das gelingt nun fraglos erneut suggestiv, aber an die blendende Virtuosität, die Abbado den Londonern entlockt, kommen die Stuttgarter in dieser Aufnahme nicht heran. Dazu mussten erst 32 Jahre ins Ländle ziehen und ein Heinz Holliger ans Dirigentenpult treten.
Der Klang der Live-Aufnahme wirkt sehr klar, warm, relativ weich und abgerundet. Dem gegenüber wirkt die Tiefenstaffelung weniger ausgeprägt. Dennoch erscheint das Orchester plastisch und leuchtkräftig. Im zweiten Satz stören zahlreiche Huster.
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3-4
Dmitri Mitropoulos
New York Philharmonic Orchestra
Urania, AS Disc
1954, live
7:11 6:12 4:28 17:51
Unseren Ermittlungen nach hat Dmitri Mitrpoulos weder die „Images“ noch „Ibéria“ allein jemals für sein Hauslabel Columbia bzw. CBS eigespielt. In der Gesamtausgabe aller Einspielungen des Griechen bei dieser Plattenfirma ist „Ibéria“ zwar vertreten, wird aber als einziges Werk der 69 CD umfassenden Box von Eugene Ormandy dirigiert. Schon immer wurde „La mer“ mit Mitropoulos mit „Ibéria“ unter Ormandy auf einer LP kombiniert und genauso kam die Kombination in die Box. Dass es trotzdem eine Aufnahme mit ihm gibt, muss an einem Rundfunkmittschnitt liegen, der von Urania veröffentlicht wurde. Der Klang der Rundfunkaufnahme leidet unter einer ziemlich historischen Klangqualität, die an die anderen Einspielungen der frühen 50er Jahre nicht herankommt.
So klingen die Kastagnetten im ersten Satz wie ein kleiner Schwarm startender Hirschkäfer. Die Tempi sind straff, das Schlagwerk betont, das Musizieren leidenschaftlich.
Auch der zweite Satz wird sehr zügig angegangen, ohne gänzlich auf nächtliche Stimmungen zu verzichten. Trotz der bescheidenen Live-Klangqualität gelingt ein plastisches Herausarbeiten der Soli. Auch das generell hochklassige, emotionalisierte Spiel des Orchesters dringt gut durch. Verblüffend ist, dass trotz des schnellen Grundtempos keine Hektik verbreitet wird, wie wir sie in Ansermets Beitrag von 1950 zu hören bekommen, sondern große Leidenschaft.
Der dritte Satz wirkt légère, aber auch temperamentgeladen und sehr klar. Sehr gutes Rubato. Diese Einspielung ist musikalisch eine 5, klanglich leider nur eine 2, höchstens.
Wie bereits eingangs erwähnt kommt die Live-Rundfunkaufnahme (oder der private Mitschnitt, das wissen wir nicht genau) nicht an die zeitgenössischen Mono-Studioaufnahmen unter Monteux, Ansermet oder Ormandy heran. Der klangsensualistische Effekt hält sich in engen Grenzen, dabei ist er noch nicht einmal stumpf, sondern eher brillant, also am Hochton mangelt es nicht. Die Farben wirken klar und die Aufnahme hört sich wegen des musikalischen Impetus dynamischer an, als sie objektiv ist. Klanglich ist die Aufnahme die schlechteste des ganzen Vergleiches.
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3-4
Lan Shui
Singapore Symphony Orchestra
BIS
2009
7:09 9:41 4:36 21:26
Dies Aufnahme entstand in der Esplanade Concert Hall zu Singapur. Herr Shui war von 1997 bis 2019 Musikdirektor des Orchesters, seitdem fungiert er als Ehrendirigent. In Europa leitete er von 2007-2015 die Kopenhagener Philharmoniker.
Das Tempo, das Herr Shui vorlegt, passt gut zum ersten Satz. Er wirkt eher légère als tumultös, die Transparenz des Orchesters nicht immer top, obwohl die Klangtechnik zu den allerbesten gehört. Es ist nicht immer möglich, die Phrasen bis zum Ende zu verfolgen, da sie zuvor bereits von anderen Stimmen überdeckt werden. Die Phrasierung wirkt zudem nicht immer subtil und das Tutti gerät leicht ein wenig klobig. Die solistischen Leistungen sind hingegen tadellos. Der Klang des Orchesters (oder der sehr individuell gestalteten Konzerthalle, die in manchen Ansichten völlig durchsichtig erscheint, also mithin viel Glas in die Bausubstanz einbringt) wirkt etwas hart und wenig warm.
Beim zweiten Satz erscheint das Tempo als zu langsam. Es wirkt wenig belebt und was den Hörer noch eher trifft, wenig belebend. Der Satz könnte sehr gut beim sanften Einschlummern unterstützen. Es wird nun meist subtil gespielt, mitunter sehr, sehr leise, breit und romantisierend. Stokowski ließe grüßen, aber der hatte nicht mit einem gewissen Spannungsverlust zu kämpfen und verfuhr beim Farbauftrag großzügiger, verschwenderischer. Um nicht zu sagen, er trug „dicker“ auf. Mister Shui riskiert am Ende fast den Stillstand. Vielleicht ist er am Ende der Nacht sogar wirklich eingeschlafen, das wäre dann echte, gelebte Interpretation.
Zu Beginn des dritten Satzes wird man jedenfalls noch nicht richtig wach, erst nach und nach werden die musikalischen Kräfte des Orchesters wieder aktiv. Und erst ganz zum Schluss richtig munter, dann wenn die Violinen in den Gitarrenmodus übergehen. Dann merkt man, dass viel Temperament in ihm steckt.
Die Aufnahme wirkt sehr großräumig, klar, sehr gut gestaffelt, sehr transparent und sehr gut aufgefächert. Der spektakuläre Konzertsaal (2002 eröffnet) scheint dann doch über eine sehr gute Akustik zu verfügen. Vorherige Zweifel erscheinen nach Kenntnis der gesamten Einspielung als unangebracht. Die Dynamik ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern, den ausschließlich von uns gehören Stereoklang der SACD kann man nur als sehr gelungen bezeichnen. Dass das Orchester mitunter so kühl klingt, könnte wie bereits vermutet weniger an ihm selbst oder an der Aufnahmetechnik liegen, als am Konzertsaal selbst. Diese kleine Schwäche scheint ihm doch anzulasten zu sein. Man müsste eben doch mal selbst in ihm Platz nehmen können. So bleibt es nur eine Mutmaßung angesichts des großzügig verbauten Glases. Die Architekten und Akustiker werden seinen Effekt jedoch sicher bedacht und kompensiert haben.
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3-4
Alexander Rahbari
BRT Philharmonic Orchestra Brussels (heute: Brüsseler Philharmoniker)
Naxos
1992
7:30 9:30 4:39 21:39
Der persische Dirigent, 1948 in Teheran geboren, studierte bei Gottfried von Einem und Hans Swarovsky. Er war 1988-1996 Chef des Belgischen Rundfunksinfonieorchesters, 1997-1999 Musikdirektor der Zagreber Philharmoniker und 2000-2004 Chef des Orquesta Filarmónica de Malaga. 2005 kehrte er in den Iran zurück. Nach wenigen Monaten musste er wieder aus seinem Heimatland verschwinden, da er „keine Arbeitsgrundlagen vorfand“. 2015 wurde er erneut zum Chefdirigenten des Teheraner Sinfonieorchesters ernannt, bereits nach einem halben Jahre resignierte er und trat wegen unmöglicher Arbeitsbedingungen von seinem Amt zurück.
Den ersten Satz erleben wir in dieser Einspielung als etwas betulich, weniger quirlig, aber doch kontrastreich, sorgfältig und genau gespielt. Der schwache Klang der Hörner enttäuscht, da durchaus gewandt gespielt wird. Manchmal bedenkt die Technik den indirekten Klang der Hörner nicht und steuert nicht hinreichend dagegen. Die Phrasierung hört sich einfühlsam an und, wie könnte es verwundern, der Dirigent hat ein offenes Ohr für die Geschehnisse im „Quartier arabe“.
Im zweiten Satz, den „Parfums de la nuit“ klingt es sehr laut und es geht sehr langsam voran. Vor allem die Streicher legen laut los, da gibt es kein pp, auch die Oboe bringt kein pp oder p zu Gehör. Allerdings, und das minimiert das Ungemach ein wenig, spielt sie weich, klangschön und mit einem langen Atem. Und sie wird recht weit nach hinten versetzt. Die Szenerie klingt immerhin noch recht plastisch, zauberhafter wäre sie jedoch gelungen, wenn man etwas mehr Mühe auf das leise Spiel verwendet hätte. Rahbari macht eine „große“ Erzählung daraus. Die Violinen sind nicht immer zusammen und sie klingen auch noch hart, man hatte die „Digitalistis“ bei Naxos anscheinend 1992 noch nicht ganz überwunden.
Auch in Brüssel braucht man im dritten Satz etwas Zeit, um „warm“ zu werden. Das Tempo wirkt wenig anspringend und ist kaum als rasant zu bezeichnen. Die Solo-Violine tritt stark aus der Gruppe hervor, auch das Englischhorn und die Oboe klingt nun viel präsenter als in den Sätzen zuvor. Die Gitarrenanklänge wirken dennoch allzu betulich und brav.
Der Klang der Aufnahme ist räumlich, klar und recht differenziert, wenig warm und noch etwas hart. Insgesamt präsentiert er sich wenig präsent. Die Violinen wirken nochmals etwas weiter zurückgesetzt und dem Blech geht es nicht viel anders. Es wird gut in die Breite, aber wenig in die Tiefe hinein gestaffelt. Es könnte körperhafter klingen und der Bass kommt nur schwach ins Bild, zudem legt sich ein leichter Schleier über das Orchester, was der Brillanz nicht gerade guttut und die punktuelle Ortbarkeit erschwert.
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3-4
Charles Munch
Orchestre National de l´ORTF (heute: Orchestre National de France)
Concert Hall, Nonesuch, RCA, Auvidis-Valois, Festival Classique, Guide international du Disque
1966
7:57 10:18 4:24 22:39
Zur Zeit der Aufnahme in Paris war Charles Munch 75 Jahre alt. Gegenüber der neun Jahre zuvor in Boston entstandenen wirkt sie in Sachen Schärfe und Klarheilt deutlich abgemildert und vor allem weniger spritzig. Das Orchester macht keinen guten Eindruck und 1974 bei Martinon wird es noch nicht anders sein. Die Soli wirken ungelenk und wenig intonationssicher, das nahtlose Zusammenspiel erscheint öfter mal gefährdet. Es wirkt fast so, als ob nicht geübt worden wäre oder man sich gerade mal zu einer ersten Verständigungsprobe getroffen hätte. Dann ist normalerweise aber kein Publikum dabei und man fertigt auch keine Aufnahme zum Zweck einer Veröffentlichung an. Man könnte den gegenüber 1957 in Boston herabgesetzten Impetus durchaus damit erklären, dass Monsieur Munch aus Rücksichtnahme auf das Orchester das Tempo reduziert hat. Wäre eine Erklärung. Es hat jedoch nicht viel genützt, denn das Orchester spielt auch langsam ziemlich unpräzise. Das Holz hört sich komplett sehr dünn an, die Oboen wieder einmal ganz besonders. Die Klangfarben gehen keine Mischungen ein, oft passen die Linien eben auch nicht nahtlos über- oder zueinander. Bei Monsieur Inghelbrecht ist dies viel weniger aufgefallen. Auch die Steigerungsverläufe wirken nun ziemlich bedächtig im Tempo, aber immerhin mit einiger Vehemenz ausgespielt. Im Gestus war vielleicht so etwas wie die Monteux-Einspielung von 1963 das Ziel, aber dazu fehlte das LSO. Heute würde man diesem Orchester eine „Plattentauglichkeit“ nicht mehr attestieren können.
Im zweiten Satz überraschen die eklatanten Intonationsprobleme der Solooboe bereits nicht mehr besonders, die waren zu erwarten, das flackernde Vibrato überrascht schon eher, denn dafür gab es im ersten Satz noch keine Gelegenheit. Instrumentale Mixturen bleiben auch im langsamen Tempo, wo man sich doch besonders darauf konzentrieren könnte, weitgehend aus, man hört bei unisono geführten Stimmen immer die beteiligten Stimmen überdeutlich heraus, z.B. Englischhorn mit Horn oder Piccoloflöte und Horn, was allerdings schon eher exotische Mischungen sind. Debussy war da sehr erfinderisch. „Düfte“ dieser Art gab es zuvor noch nie. Die Stimmung bleibt immer dann auf der Strecke, wenn die Oboe spielt. Dem Horn gelingt das atmosphärische Spiel viel besser, obwohl auch ihm das p schwerfällt. Den Streichern scheint der Ton an den Saiten hängenzubleiben. Trotz des langsamen Tempos wirkt der Satz wenig ruhevoll.
Gegenüber Munchs Bostoner Einspielung wirkt die aus Paris wenig brillant und betulich. Gegenüber dem RSO Stuttgart mit Celibidache (1980), um einmal eine weitere Live-Aufnahme zu vergleichen, fällt das Orchester weit ab. Es gab in Paris auch nur lauwarmen Applaus zu hören. Auf den alten Platten kann man sogar noch die aufgedruckte Plakette des „Grand Prix du Disque Académie Charles Gros“ erkennen. Vielleicht galt er dem Partnerwerk auf der Rückseite der LP, also dem Werk von Albéniz gleichen Namens.
Der Klang der Aufnahme weiß ebenfalls nicht zu entzücken. Er ist ziemlich dünn geraten, allerdings sehr transparent und luftig. Das Holz wird sehr direkt aufgenommen, die Streicher (vor allem die Violinen) wieder einmal viel weiter entfernt. Innerhalb der einzelnen Gruppen fehlt es dem Klang an Fluktuation und Rundung. Im zweiten Satz gibt es allerlei Störungen durch Husten und Räuspern, was beides ebenfalls sehr transparent eingefangen wird. Der Clou im zweiten Satz sind jedoch die laut knarrenden Stühle der Musiker auf dem Podium.
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3-4
Jean Martinon
Orchestre National de L´ORTF (heute: Orchestre National de France)
EMI
1974
7:16 9:06 4:17 20:39
Gegenüber der Einspielung mit Charles Much acht Jahre zuvor klingt der erste Satz mit Jean Martinon etwas lebhafter aber auch mehr durcheinander bis verklumpt, was sicher auch mit dem halligen und nebligen Klang der Aufnahme zu tun hat, aber auch mit der geringen Verzahnung der einzelnen Stimmen, denen es an Bindung untereinander fehlt. Es gibt kein echtes p. Und wir hören das typisch französische Holz der 50er und 60er Jahre, das uns vor allem von der Munch-Aufnahme sehr bekannt vorkommt. Bei Inghelbrecht machte es ca. 1954 noch einen besseren Eindruck. Bei Munch wirkte das Orchester (live) noch intonationsschwächer als bei Martinon, aber der Gesamtklang wirkte harmonischer und wärmer. Bei Martinon lassen vor allem die Violinen viel an Wärme und Anmut zu wünschen übrig. Die Violinen klingen übrigens nicht von vorne, sondern aus der Mitte des Orchesters. Auf den Klang gehen wir wie üblich später noch etwas genauer ein.
Im zweiten Satz durchbricht die intonationsschwache, helle und dünn klingende Oboe die nächtliche Stimmung sehr unsanft, während das Tempo nächtliche und schwüle Trägheit suggeriert. Die Violinen korrespondieren mit ihrem ebenfalls dünn und hell gewebten Klang, sodass dem Klang alles Dunkle abgeht. Dies ist eine der wenigen Aufnahmen, bei der die Violinen ihre Glissandi deutlich hörbar ausspielen. Leider wird dadurch eine Hingabe an die nächtlichen Düfte und Stimmungen auch nicht besser möglich.
Im dritten Satz stimmen Temperament und Spielfreude besser mit den Erfordernissen der Komposition überein. Das Orchester wirkt nun etwas gelöster, aber in die erste Reihe spielt es sich immer noch nicht. Wir hören nun jedoch den besten Satz der Einspielung, jedoch verhindert auch hier die mangelnde Transparenz echten gallischen Esprit.
Die Aufnahme könnte von einem hohen Aufsprechpegel profitieren, jedoch ist sie stark linkslastig. Die lautesten und die meistbeschäftigten Instrumente werden alle links platziert, sodass es keine adäquaten Gegenspieler mehr für die rechte Seite gibt. Die Instrumente der Mitte (Holz) wirken zudem ebenfalls nach links verschoben. Die Einspielung wirkt zwar großräumig aber auch noch hallig und leicht diffus. Die einzelnen Instrumente sind nicht besonders gut ortbar. Ein klares Bild vom Orchester ergibt sich nur im p. Die Aufnahme wurde als LP ursprünglich im Quadro-Format vermarktet, was auf eine entsprechende Aufnahme schließen lässt. Ein Erbe, das ihr heute noch ungut anhängt.
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3-4
Theodore Bloomfield
Rochester Philharmonic Orchestra
Everest
1960
7:03 8:26 4:23 19:52
Der Dirigent dürfte heute nur noch den wenigsten Musikfreunden bekannt sein. Er war Student bei Pierre Monteux an der Juilliard School und Dirigent der Uraufführung des bereits 1906 komponierten, aber erst 1946 uraufgeführten Stückes „The Unanswered Question“ von Charles Ives. Von 1959-1963 leitete er das Rochester Philharmonic Orchestra. 1966 war er Nachfolger von Lovro von Matacic an der Oper Frankfurt (allerdings nur für ein Jahr) und von 1975 bis 1982 Chefdirigent der Berliner Symphoniker. Ob das Orchester das gleiche ist, das seinerzeit (also um 1960) einige Einspielungen für Mercury machte (damals Eastman-Rochester Orchestra genannt, vor allem unter Frederick Fennell und Howard Hanson), konnten wir nicht mit Sicherheit klären.
Das Orchester ist von guter Qualität. Es erreicht zwar nicht die Klasse von Chicago, Boston oder Detroit, ist aber besser als das Pariser Orchester unter Munch oder Martinon). Man hat jedoch das Gefühl, dass zu sehr eine Episode an die nächste gereiht wird und dass kein übergreifender Boden über den ersten Satz gespannt wird. Der Pointilismus innerhalb der Szenen wird ebenfalls nicht spürbar überformt. Der Satz wirkt wenig formal geordnet, wenig „lebensnah“ und wenig spontan empfunden.
Der Klang im zweiten Satz erreicht nie die Großzügigkeit der Monteux-Einspielung von 1963 in London. Das Zusammenspiel ist jedoch gut, die Soli intonationssicher, aber doch immer ziemlich gerade heraus und klanglich ein wenig schmal geraten. Es fehlt die „Klangwolke“ (analog zur „Duftwolke“) und damit auch ein gewisser Teil der Stimmung, die nur ein sinnlicher Klang hervorbringen kann. Man spielt sachlich und genau, nicht weniger, aber leider auch nicht mehr. Man kommt einfach nicht ins „Schweben“, dazu ist der Klang einfach zu trocken. Die Einspielung versteht es so nicht, eine eigene „Duftmarke“ zu setzen, wirkt zu clean, um richtig stimmungsvoll zu wirken oder gar Leidenschaft zu erwecken.
Der dritte Satz wirkt weniger impulsiv und tänzerisch als die Besten. Die Phrasierung wirkt holzschnittartig und man kommt nie so richtig aus sich heraus. Die Musik wirkt nie sanguinisch.
Der Klang ist sehr präsent, aber auch sehr trocken. Die Transparenz ist hoch, der Klang wirkt aber platt, weil nur in die Höhe und Breite gestaffelt wird, die Tiefe wird nicht hinreichend spürbar, damit von einem dreidimensionalen Raum die Rede sein könnte. Alle „Schallquellen“ sind stark voneinander separiert. Mischklänge ergeben sich nur sehr schwer, eigentlich überhaupt nicht. Die Farben wirken nicht blass, aber auch nicht gerade verschwenderisch. Man hört vom Werk eigentlich alles, die „Darreichungsform“ wirkt jedoch speziell. „Sudioatmosphäre“ in Reinkultur.
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3-4
Daniel Barenboim
Orchestre de Paris
DG
1981
7:35 9:23 4:42 22:40
Daniel Barenboim war von 1975-1989 als Nachfolger Georg Soltis Chefdirigent des Orchestre de Paris, das seinerseits aus dem Orchestre du Conservatoire de Paris hervorging. Der Dirigent war zur Zeit der Einspielung 39 Jahre alt.
Einen scharf umrissenen Charakter vermag Herr Barenboim dem ersten Satz nicht zu verleihen. Vergleichsweise langsam und bedächtig klingt er bei ihm. Das Gegenteil des quirligen Tumultes bei Pierre Monteux (nur 1951), Paul Paray oder Charles Munch (nur 1957). Es fehlt die typische Leichtigkeit „einer Frauenhand“ oder auch der „Klang eines Kristalls“, kurzum, es fehlt am gallischen Esprit. Insgesamt klingt es auch weniger nach einem sonnigen Sommertag in Spanien also nach einem Wolkentag in Paris. Sogar im arabischen Viertel klingt es eher preußisch-akademisch durchdekliniert als „librement espressif“. Das Orchester spielt jedoch gut, jedenfalls präziser als erwartet. Die Phrasierung wirkt jedoch oft lasch, der Rhythmus eher weich ausgespielt als geschärft.
Durch das langsame Tempo wird die leise Melancholie im „Satz der nächtlichen Düfte“ stark hervorgehoben. Die Phrasierung hilft dabei noch ordentlich nach. Retardierendes Voranschreiten würde die Bewegungsform ganz gut beschreiben. Der Gestus geht in die Breite und muss auf das Suggestive bei Celibidache verzichten, sofern man es denn hören kann oder will. Ein Zerfallen in kleine Episoden droht bei Herrn Barenboim, was uns bei Celibidache weniger in den Sinn kam. Die Violinen wirken im f nicht gerade homogen und sogar etwas gequält. Bei Zi. 47 gelingt der Abstieg der Violinen nicht gerade präzise. Eine durchgängig schwebende „Atmosphäre“ stellt sich nicht ein.
Der dritte Satz beginnt noch sehr verschlafen und kann im Verlauf einen laschen Grundcharakter nie verlassen. Die Militärtrommel („Tambour militaire“) spielt viel zu laut, sie sollte p spielen. Die Violinen passen oft schlecht zusammen. Das Glissando der Posaunen klingt hingegen sehr deutlich. Es fehlt eine übergreifende Spannung. Der Schlussakkord ist alles andere als „séc“ (trocken). Man spürt kaum eine besondere Affinität des Dirigenten zur Musik. Es blieb konsequenterweise bei Herrn Barenboim bei dieser einzigen Einspielung des Werkes.
Der Klang der Einspielung wirkt räumlich, leicht hallig aber sehr transparent und vor allem in der Breite gut gestaffelt. Sie wirkt nicht sonderlich brillant. Sehr gut gelingt es, die Violen und Celli aus dem Gesamtklang der Streicher herauszuhören.
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3
Ernest Ansermet
Orchestre de la Suisse Romande
Decca
1950
6:51 7:20 4:24 18:35
MONO Bei seiner ersten Einspielung von „Ibéria“ (als Teil der „Images pour Orchestre“) war Monsieur Ansermet bereits 67 Jahre alt. Das Orchester hat 1950 noch deutlich zu hörende Schwächen im Zusammenspiel und vor allem beim Holz allerlei Intonationsprobleme. Als sehr störend empfanden wir die hauchdünn klingende Oboe und ein dazu passendes hauchdünn klingendes Englischhorn. Beide lassen Klangmischungen mit anderen Instrumenten kaum zu, so „charakterstark“ ist ihr Eigenklang. Die große Zeit der Oboe schlägt, wenn wir sie gemeinsam unisono mit der Soloviola im „Quartier arabe“ hören, exotischer geht es kaum noch, denn die Anklänge an die arabischen Gegenstücke zur Oboe, ob nun Mizmar oder Zurna, könnten kaum treffender klingen. Die Pentatonik ist da nur noch das i-Tüpfelchen. Für die Stimme eines Muezzins kann man sie jedoch nicht mehr halten. Die Kastagnetten sind nicht immer gut zu hören, als das Instrument Spaniens käme ihr jedoch eigentlich im ersten Satz eine hervorgehobene Bedeutung zu. Besonders in Erinnerung bleiben vom ersten Satz leider das wackelige Zusammenspiel und die miese Intonation.
Als besonders störend erweist sich die Oboe im zweiten Satz, die die nächtliche Stimmung mit ihrem ersten Ton bereits gründlich vermiest. Sie kann einfach nicht leise spielen. Was übrigens ebenfalls und fast noch deutlicher für das Englischhorn gilt, während man vom Horn im p kaum noch etwas hört. Durch das schnelle Tempo in diesem Satz stellt sich eine nervöse, eher anstrengend-nervende Stimmung ein. Es klingt einfach nicht schön genug, um ins Träumen zu kommen. Da passt wenig zusammen und „lent et revêur“ (langsam und verträumt) klingt der Satz überhaupt nicht.
Die guten Ansätze beim dritten Satz werden durch die mangelnde Präzision des Orchesterspiels leider schon früh relativiert. Wenn die Geiger ihre Instrumente unter den Arm nehmen sollen, wie eine Gitarre, spielen sie ziemlich durcheinander. Insgesamt klingt das Spiel in diesem Satz ziemlich grob und derb, was allerdings zum dritten Satz noch besser passt als zum zweiten. Wäre diese Einspielung eine moderne Rundfunkaufnahme, so wäre sie nach heutigen Maßstäben nicht mehr sendbar, allenfalls noch zu dokumentarischen Zwecken.
Die Präsenz der Aufnahme ist bemerkenswert, ebenso die Transparenz. Wir hörten eine CD aus Australien, der anscheinend eine aktuelle Neuabmischung zuteilwurde. Sie ist bereits erstaunlich dynamisch. Die Neueinspielung 1961 stellt jedoch in jeder Hinsicht eine große Verbesserung dar und selbstverständlich gilt ihr die Empfehlung wenn es eine Aufnahme mit Ansermet sein soll, noch vor der interessanten Live-Aufnahme aus London mit dem Philharmonia Orchestra.
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Live-Aufnahmen aus dem Radio, die bis jetzt unseres Wissens allesamt unveröffentlicht geblieben sind, obwohl es manch eine durchaus verdient gehabt hätte:
5
Pablo Heras-Casado
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks (kurz: BRSO)
Aufnahme und Sendung des BR
2015, live
6:57 8:20 4:20 19:37
Der zur Zeit der Aufnahme 38jährige Dirigent ist, so wie es aussieht, bisher ohne festes Engagement als Chefdirigent ausgekommen. Er scheint sich nicht binden zu wollen. Als Gastdirigent ist er allerdings sehr begehrt. So auch 2015 beim Open Air auf dem Münchner Odeonplatz.
Da geht es beschwingter, ja feuriger zu als bei z.B. bei Susanna Mälkki. Der Klang des Orchesters begeistert durch die schlanke und luftige Spritzigkeit. Man spielt rhythmisch leicht geschärft und locker. Die luzide wirkende Leichtigkeit mit der die Virtuosität präsentiert wird, begeistert. Die Klangtechnik des BR ist auch Open Air aufmerksam, die besonders wichtigen Kastagnetten und das baskische Tambourin werden schön deutlich gemacht, ohne sie über Gebühr in den Vordergrund zu setzen. Der Muezzin bestehend aus Soloviola und Oboe singt einträchtig mit einer Stimme und auch die weiteren Stimmenbeteiligungen auf dem Basar (?) wirken außerordentlich klar und deutlich. Um nicht zu sagen rhetorisch geschult. Die dynamischen Verhältnisse sind akkurat, da wird kein bisschen geschludert. Das Spiel wirkt brillant und wie von jedem Ballast befreit.
Im zweiten Satz sind die solistischen Leistungen hervorragend. Allerdings entscheidet sich die außerordentlich klangvoll und akzentuiert spielende Oboe bei „espressif et pénetrant“ für das gute Herauskommen und gegen das leise spielen. Wie soll man das auch unter einen Hut bringen? Da könnte nur die Klangtechnik mit einem klanglichen Oboen-Spotlight helfen. Dann könnte sie leise spielen und trotzdem groß herauskommen. Angesichts der Live-Situation und dann auch noch Open Air erscheint die betont ausdrucksvolle „Performance“ als goldrichtig. Es stellt sich Klangzauber ein, noch besonders verstärkt durch die bestens ins Bild gesetzten Harfen und Celesta. Die nächtliche Stimmung passt, ohne dass man als Zuhörer selbst einzuschlafen droht. Es bleibt spannend und klanglich brillant.
Der Übergang der Nacht zum Tag gerät bei Señor Heras-Casado eindrucksvoll belebt und leitet auch gleich über zu einem der eindrucksvollsten Festtage unseres Vergleiches. Er muss es ja eigentlich auch wissen, denn im Gegensatz zu Monsieur Debussy, der aus dem Norden Frankreichs kommt, stammt er selbst aus dem Süden Spaniens. Das Fest erklingt feurig, mit Tempo und Esprit. Das Orchester wird zu einer Meisterleistung angespornt. Es klingt kammermusikalisch beweglich, virtuos und grob- und feindynamisch mitreißend.
Der Klang geriet den Technikern des BR auch Open Air sehr klar und deutlich, brillant, warm timbriert und dynamisch. Ein ganz leichtes Raunen liegt über der Aufnahme, das man jedoch nur in ganz leisen oder stillen Momenten mitbekommt. Es stammt wohl von der riesigen Menschenmenge, die in so einem Ambiente nie ganz mucksmäuschenstill bleibt. Das stört nicht weiter, bringt sogar noch eine gewisse Spannung mit ein.
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4-5
Serge Baudo
HR-Sinfonieorchester
HR
2011, live
6:52 8:05 4:22 19:19
Serge Baudo, beim Konzert selbst mittlerweile bereits rüstige 83, sprang bei diesem Konzert 2011für seinen Nachfolger beim Orchestre National de Lyon, Emanuel Krivine (das war allerdings 1988) ein und feierte sein Debut beim Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, das damals noch Paavo Järvi als Chefdirigent hatte.
Monsieur Baudo hatte sich bereits als Dirigent von zwei Platteneinspielungen in jüngeren Zeiten als Kenner von „Ibéria“ zu erkennen gegeben und so ist es keine Überraschung, dass er die komplexe Polyphonie mit Weitblick, Gelassenheit und Präzision zur Geltung bringt. Die Musik erklingt flüssig, pulsierend und flott, detailreich, aber den großen Bogen nicht außeracht lassend. Der Muezzin ruft mal mehr mit der Oboe, mal mehr mit der Viola, dann wieder schön gemischt. Das hört sich so an, als sei das so gewollt. Das Blech wird prominent herausgestellt, die Streicher klingen warm und rund, das Holz beredt und beweglich. Das ganze Orchester spielt dynamisch sehr gut abgestuft und temperamentvoller als das RSO Stuttgart bei Baudos Gastdirigat in der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt gerade mal ein Jahr zuvor, auf das wir ebenfalls noch kurz zu sprechen kommen wollen.
Der zweite Satz, das Nachtstück des Werkes klingt fein gesponnen. Die Oboe spielt wie bereits in Stuttgart sehr klangschön, noch etwas voller im Ton, jedoch nicht ganz so prononciert bei den gestischen Feinheiten. Beide Orchester verfügen jedenfalls über hervorragende Solooboist/innen. In Frankfurts Alter Oper wird noch etwas mehr Klangzauber entfacht als in Stuttgart. Man spielt spannend aber auch schön poetisch. Anscheinend spielte man sehr gern unter dem französischen Altmeister, der seinerseits seinen ganzen Erfahrungsschatz dienstbar machen konnte.
Der dritte Satz wird sehr lebendig und pointenreich gespielt. Baudo und das Orchester gehen in Sachen Abenteuerlust noch etwas über die Stuttgarter Einspielung heraus. Wenn der Eindruck nicht täuscht ist das Orchester an diesem Abend mit besonderer Spielfreude dabei. Man traut seinen Ohren kaum, und wenn das Alter des Dirigenten nicht beim „Pausencafé“ zur Sprache gekommen wäre, man würde es angesichts des entfachten „Drives“ auf keinen Fall erraten.
Der Klang aus der Alten Oper ist in unseren Vergleichen bereits genügend oft gehört und besprochen worden. Auf die Techniker des HR ist Verlass, es klingt auch dieses Mal fein, recht plastisch, weich, voll und räumlich.
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4-5
Francois-Xavier Roth
Berliner Philharmoniker
RBB
2018, live
7:12 7:58 4:19 19:29
In Frankreich werden lange Namen einfach abgekürzt, von Personen aber auch von Firmen oder Institutionen. Da gibt es dann viele Doubletten und man weiß dann oft gar nicht mehr von wem oder was die Rede ist. In Frankreich nennt man den Dirigenten dessen ungeachtet oft einfach „FXR“. Das Zusammentreffen des Dirigenten mit dem Berliner Nobel-Orchester fand anlässlich des Berliner Musikfestes 2018 in der Philharmonie statt. Kein besonderer Einfall war dabei, dass man die drei Stücke der „Images pour Orchestre“ nicht in der vom Komponisten gewünschten Reihenfolge aufführte, sondern „Ibéria“ an den Schluss setzte. Das wird relativ häufig so gemacht. Doch damit nicht genug, es wurden auch noch die beiden bekanntesten Werke Ligetis „Lontano“ und „Atmosphères“ dazwischengeschaltet. So ergab sich ein neues Hörgefühl, das man oft erhält, wenn man die bekannten Pfade verlässt und neue Zusammenhänge schafft. Den Philharmonikern dürfte „Ibéria“ allerdings sowieso nicht so geläufig sein, dass man von eigefahrenen Pfaden sprechen könnte, denn zumindest an Plattenaufnahmen gibt es außer der Einspielung mit Levine nichts vorzuweisen. Kurios, dass es eine weitere Aufnahme der „Images“ aus demselben Jahr 2018 gibt, wenn auch aus einer anderen Spielzeit, nun von Alan Gilbert geleitet. Aus „kurios“ wird schnell ein „na klar“, wenn man sich vergegenwärtigt, dass 2018 ein Debussy-Gedenkjahr war (100jähriges Todesjahr). Von der Aufnahme mit Alan Gilbert später noch etwas mehr.
Die Kastagnetten werden schon einmal sehr gut hörbar gemacht, sie sind ja auch für das Gefühl von Spanien, das uns Debussy vermitteln wollte, besonders wichtig. Das Tempo wirkt wie in der Aufnahme Roths mit „Les Siècles“ ein paar Jahre zuvor eher behutsam als draufgängerisch. Man entschädigt dafür mit berückenden Klangwirkungen und Mixturen, z.B. bei der Instrumentenkombination Viola und Oboe.
Im zweiten Satz werden die Düfte sehr zart verbreitet, man lässt sich (und uns) geradezu in die Melancholie der Nacht hineinfallen. Sie Instrumentalsoli sind wunderschön (Oboe!, die lange Kantilene ohne Atemunterbrechung), die Mixturen changieren geheimnisvoll oder schillern bunt. Der Klangzauber wirkt geradezu verschwenderisch, teils lässig, teils spannend. Die Steigerungen vor Zi. 45 fallen ausgeprägter aus als mit „Les Siècles“.
Das Überblenden des zweiten zum dritten Satz erfolgt ganz langsam, wird aber nicht zelebriert. Der volle Sound stimmt vergnüglich, das Spiel der Glocken überzeugt besonders.
Der Klang der Aufnahme verschafft einen sehr guten Überblick über das Orchesterhalbrund. Er wirkt sehr klar, recht dynamisch, plastisch und ausgewogen.
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4-5
Mathias Pintscher
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Deutschlandfunk Kultur
2024, live
6:53 7:48 4:18 18:59
Mathias Pintscher übernahm das Konzert Anfang des Jahre 2024, das eigentlich sein ehemaliger Professor und Mentor Peter Eötvös hätte dirigieren sollen, mitsamt dessen neu komponierten Harfenkonzerts. Im März 2024 verstarb Peter Eötvös. Mathias Pintscher wird 2024 übrigens Music Director des Kansas City Symphony Orchestra in Missouri. Ebenso als Komponist bekannt möchte er seine Tätigkeit als Dirigent anscheinend weiter intensivieren. Er begegnete uns bereits bei unserem Vergleich von Darbietungen von Ligetis „Atmosphères“.
Der erste Satz beginnt pulsierend, die große Linie stärker betonend als dem einzelnen Detail nachzuspüren. Der Muezzin ruft mit leidenschaftlicherer Stimme als gewöhnlich, das Orchester bietet dabei eine sehr schöne, gut abgestimmte Klangmischung von Viola und Oboe. Man kommt nie in die Nähe eines Romantisierens, wenngleich die von Debussy gewünschten Rubati exzellent gelungen sind. Das Tempo wird konzise behandelt. Allerdings haben wir die einzelnen Soli durchaus schon besser aus dem Gesamtklang herausgelöst gehört als hier.
Ebenfalls exzellent: die weich und rund klingenden Oboen- und Englischhornsoli. Da fallen die anderen großen Berliner Orchester gegenüber den Philharmonikern kaum oder gar nicht mehr ab. Recht laut abgestimmt erscheint hingegen der oszillierende Streicherteppich. Das Tempo wirkt zügig, da wird nicht unnötig lange verweilt, was der atmosphärischen Stimmung jedoch keinen erheblichen Abbruch tut. Man findet einen sehr gelungenen Kompromiss von nächtlicher Stimmung und untergründiger Leidenschaft.
Wie in filmischer Überblendtechnik kommt Herr Pintscher nach dem flotten Tagesanbruch gleich zur Sache. Das Treiben ist rege, die Festlichkeiten im vollen Gange. Sehr gutes Klarinettensolo. Die Bläsersoli kommen nun übrigens generell besser durch als im ersten Satz. Vielleicht hat der Aufnahmeleiter ein wenig nachjustieren lassen.
Das Klangbild ist fein, plastisch und körperhaft. Das Orchester gut gestaffelt, großräumig, farbig und dynamisch abgebildet. Die Datenrate bei DLF Kultur ist vor ein paar Jahren deutlich angehoben worden, was sich genauso deutlich positiv bemerkbar macht. Gegenüber der Berliner Konkurrenz vom RBB hat man sich dadurch deutlich abgesetzt. Nur der BR hält bei der Datenrate mit. Die anderen Sender der ARD haben „abgespeckt“. Die stark besetzten Streicher wirken klanglich einen Hauch gegenüber den Bläsern bevorzugt, weshalb die Bläsersoli oft ein wenig hintergründig klingen. In der Philharmonie mag das sogar realistisch sein. Auf Tonträger geht man oft näher an die Individualisten (Bläser) heran, was der Präsenz guttut. Auffallend ist das von weit entfernt hereinklingende Schlagwerk. Da würden wir Nachbesserungsbedarf anmelden.
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4-5
Serge Baudo
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
SWR
2010, live
7:06 8:11 4:18 19:35
Ein Jahr vor seinem Einspringen in Frankfurt war Serge Baudo „regulär“ beim RSO Stuttgart zu Gast in der Stuttgarter Liederhalle. Damals war Roger Norrington noch Chefdirigent des Orchesters. Das Orchester klingt im ersten Satz auch recht schlank, aber gerauso recht locker und rhythmisch durchaus ein wenig angeschärft.
Der zweite Satz erklingt durchweg mustergültig leise, die tragenden Soli von Oboe und Englischhorn werden wie in Frankfurt exzellent geblasen, sogar noch ein wenig differenzierter. Das Orchester spielt mit hoher Präzision und das Holz nutzt es weidlich aus, dass der Chef nicht am Dirigentenpult steht und belebt seinen Klang mit ziemlich viel Vibrato.
Der 82jährige Franzose erweckt im dritten Satz mehr Feuer als der erheblich jüngere Ion Marin, auf dessen Darbietung wir etwas weiter unten noch kurz eingehen wollen. Bei Baudo gelingt dem Orchester sogar die spöttischen Einsprengsel gut (vor Zi. 58), die Rubato-Stellen werden gut gemeistert. Die Beschleunigungen wirken beherzt.
Auch die Aufnahme des SWR bracht sich nicht zu verstecken. Damals spendierte man noch eine höhere Datenrate als heute. Das Orchester klingt klar, offen, gut aufgefächert und luzide, lässt also viel der französischen Clarté zur Geltung kommen, die das Orchester anliefert.
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4-5
Josep Pons
BBC Symphony Orchestra
Aufnahme der BBC, gesendet vom BR
2023, live
8:05 10:13 4:34 22:52
Für die DG hat der spanische Dirigent „Ibéria“ 2012 bereits eingespielt. Der Live-Mitschnitt entstand 2023 während eines Konzertes der BBC-Proms in der Royal Albert Hall.
Erneut ist der Wechsel von Entschlossenheit und Zögern charakteristisch für Pons´ Darstellung, wobei nun manches schon sehr zögerlich wirkt. Eindringlich und anschaulich wirkt es jedoch immer noch. Wer sollte es aber besser wissen, wie es auf spanischen Straßen und Wegen zugeht, als Josep Pons, der immerhin aus der Umgebung Barcelonas stammt, nicht ganz der Süden Spaniens, aber immerhin? Der folkloristisch angehauchte Elan und die Hervorhebung der Details gefährden nie die Geschlossenheit der Darstellung. Der Orchestersatz wirkt besonders aufgelichtet, sodass man auf neue Korrespondenzen im Stimmengeflecht aufmerksam wird.
Der mittlere Satz wirkt sehr atmosphärisch, leise und geheimnisvoll, allerdings langsamer als von Debussy vorgesehen. Das Orchester ist mit herrlich klingenden Violinen ausgestattet, die Bläsersoli werden sehr deutlich hervorgehoben und klingen ausgezeichnet. Der Satz wird in seinen Besonderheiten sehr plastisch durchgeformt und man hat das Gefühl, dass es in Spanien auch nachts ausdrucksvoll und intensiv zugeht. Das Einschlafen wäre hier zumindest ein klangsinnlicher Hochgenuss. Aber auch beim BBC SO klappt live nicht alles perfekt: Ab 3 Takte vor Zi. 52 sind Flöte, Fagott und Solovioline nicht gut zusammen.
Der letzte Satz wirkt stringent, souverän musiziert und brillant im Klang, auch ganz ohne Hochgeschwindigkeit.
Der Klang der Aufnahme ist klar, räumlich und trotz des riesigen Saals der Royal Albert Hall nicht hallig. Die Kastagnetten klingen besonders präsent. Während des zweiten Satzes spürt man den großen Raum noch am ehesten, da kann man einschätzen wo das Orchester spielt. Das Orchester klingt plastisch, aber nicht übermäßig dynamisch.
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4-5
Jonathan Stockhammer
Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern
SR
2017, live
6:38 7:53 4:27 18:58
Ähnlich wie Pablo Heras-Casado ist auch Jonathan Stockhammer bisher einem festen Engagement als Chefdirigent aus dem Weg gegangen. Anzunehmen ist es wohl, dass es an Anfragen bisher nicht mangelte. Manch einer fühlt sich als Freelancer einfach wohler. Zur Zeit der Aufnahme war er 48 Jahre alt.
Er lässt den ersten Satz fast schon so stürmisch und drängend spielen wie die großen Alten in den 50er Jahren. Sogar noch ein wenig drängender als Señor Heras-Casado. Die sf werden relativ stark ausgeprägt. Details werden in den turbulenten Drang integriert, weniger als Einzelereignisse herausgestellt. Der Muezzin ist gut bei Stimme, laut und deutlich hebt er sich vom übrigen Getümmel im Basar des „Quartier arabe“ ab. Die DRP spielt übrigens dieses Mal nicht ganz mit der gleichen Klarheit und Präzision des BRSO.
Im zweiten Satz wird die Dynamik zum Lauten hin verschoben. Beim Rundfunk macht man das sowieso gerne, anscheinend damit man auch während der Autofahrt mit all ihren Nebengeräuschen die Musik noch halbwegs gut verfolgen kann. Besser eignet sich für diesen Zweck Musik, die gar keine Dynamik hat, d.h. immer gleich laut ist, wie Popmusik. Wenn man sie erträgt. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Wir sahen jedoch während des Vergleiches, dass auch viele Platten- und CD-Produzenten in diesem Satz zur Anhebung der Lautstärke tendieren. Früher sagte man dazu „Loudness-Effekt“. Insofern steht man beim SR nicht allein. Die Oboe begegnet uns mit einem gesunden mf, satt es mit dem richtigen p oder gar pp zu halten. Es soll ja auch „espessif“ sein, gleichzeitig auch „un peu traîné“ (ein wenig erschlafft) und dann noch leise… Dann wird es schwer sich zu entscheiden. Die Saarbrücker Oboe ist jedenfalls richtig gut trainiert und fit wie immer. Später bei „espressif et pénetrant“ langt sie ebenfalls voll zu. Wie gesagt, alles andere ist auch zum Lauten hin verschoben. Die Streicher hängen sich auch voll rein und das Horn pflegt beim p ein volles, rundes mf. Man ist sich also einig. Das passt auch gut zum recht flotten Tempo, also da ist wirklich richtig was los in der Saarbrücker „Spanischen Nacht“. Die Leidenschaften brodeln. Bei dem wenig zaghaften, leidenschaftlichen Musizieren schläft so schnell sicher niemand ein.
Im dritten Satz werden die Tempokontraste sehr gut herausgearbeitet, das Musizieren wirkt deutlich, die heterogenen Elemente werden plastisch gemacht und man lässt keinen Effekt aus.
Der Klang der Aufnahme ist transparent und wie meistens aus Saarbrücken nicht besonders weiträumig. Die hohe Präsenz entschädigt dafür aber mehr als genug. Die „spanische“ Percussion ist erfreulich deutlich geraten.
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4-5
Alan Gilbert
Berliner Philharmoniker
RBB
2018, live
7:36 8:50 4:25 20:51
Nachdem er seinen Posten bei den New Yorker Philharmonikern 2017 hinter sich gelassen hatte und kurz bevor er seine neue Position als Chefdirigent beim NDR Elbphilharmonie Orchester antrat, stellte sich Herr Gilbert bei den Berliner Philharmonikern vor. Passenderweise im Debussy-Gedenkjahr 2018 (100jähriges Todesjahr) mit den „Images pour Orchestre“.
Bei ihm klingt der erste Satz der „Ibéria“ tänzerisch, aber wenig zugespitzt. Minuziös werden allerdings die noch so kleinen Dynamikunterschiede beachtet, besonders die im leisen und ganz leisen Bereich. Das hat zur Folge, dass man sogar einmal das Kontrafagott zu hören bekommt. Ein ganz seltenes Vergnügen. Die Klangmixtur von Soloviola und Oboe gelingt gut. Insgesamt erscheinen die einzelnen Stimmen nicht ganz mit derselben Klarheit wie beim Konzert mit FXR in demselben Jahr. Herr Gilbert legt, wenn man diese Aufnahme zugrunde legen möchte, mehr Wert auf den Schmelzklang oder passiv ausgedrückt, es gerät ihm zum Schmelzklang.
Im „Nachtstück“ kann man sich sehr gut an den schönen Klangmixturen erfreuen. Der warme, volle Klang des Berliner Vorzeige-Orchesters lädt auch besonders dazu ein. Da muss man einfach gekonnt „abschmecken“ oder wie bei der hohen Kunst Essenzen zu Parfums zu mischen, eine feine „Nase“ nutzen, wenn man vor so einem prächtigen Klangkörper steht. Die Anleitung dazu hat Debussy mit der Partitur mitgegeben. Die Oboe klingt hier wirklich einmal „müde“. Insgesamt wirkt die Gestaltung deutlich verschieden von der FXRs. Es fällt eine laut klingende Celesta auf, die eigentlich nur p spielen sollte und bei Roth kam das Horn viel besser zum Zuge. Die Flöte hat sich das Prädikat „Sonderklasse“ verdient. Leider sieht man am Radio nicht, wer sie gespielt hat. Bei Zi. 49 gibt es bei Gilbert die ganz große Aufwallung, die über ein einfaches f hinauszugehen scheint.
Sehr geringe Unterscheide beim letzten Satz. Da klingt die Klarinette etwas frecher und das Rubato etwas spöttischer als bei Roth. Das merkt man nur im direkten Vergleich.
Beim Klang konnten wir keinen signifikanten Unterschied zur Aufnahme mit FXR erkennen.
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4-5
Fabrice Bollon
Philharmonisches Orchester Freiburg
SWR
2011
7:10 9:27 4:15 20:52
Wenn man diese Aufnahme aus dem Konzerthaus Freiburg hört, die der SWR auf einem unscheinbaren Programmplatz gesendet hat, kann man sich kaum vorstellen, dass das Freiburger Orchester nur der TVK B angehört. Vielleicht hat die Konkurrenz mit dem damals noch ebenfalls vor Ort konzertierenden Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg beflügelt? Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Das gilt anscheinend auch bei Orchestern. Angesichts der bei „Ibéria“ gezeigten Spielfähigkeit darf man jedenfalls respektvoll den Hut ziehen. In unserem Vergleich merkt man ihm nicht an, dass es dem Papier nach nicht zur internationalen Spitzenklasse gehört.
Das Spiel wirkt flott und impulsiv und vor allem, es wirkt inspiriert. Der Gesang des Muezzins wird dieses Mal mehr von der Oboe geprägt, die unisono spielende Soloviola fällt ihr gegenüber weniger ins Gewicht. Das Orchester unterscheidet sehr gut in seiner Spielweise zwischen leger und zupackend, beherzt wirkt es jedoch immer. Vielleicht war es für das Orchester auch etwas Besonderes, dass man vom Rundfunk aufgenommen wurde und von daher entsprechend hoch motiviert?
Im „Nachtstück“ hört man bei den Violinen gute Glissandi, was sich viele ganz sparen. Die Oboe klingt sehr schön, voll und rund und der Klang der Violinen ist erstaunlich geschlossen (der Streicher überhaupt), es klingt einfach ausgezeichnet, sodass man auch im hellhörigen zweiten Satz nie auf die Idee käme einem TVK B-Orchester zuzuhören. Insgesamt gerät der Satz etwas zu langsam, jedoch sehr stimmungsvoll. Er wird dadurch jedoch melancholischer als von Debussy gewünscht. Auf romantisieren wird verzichtet.
Aufgeweckt, spannend, dynamisch und animiert erklingt der dritte Satz. Sogar die Violine bei ihrem Solo traut sich mit Glissando zu spielen. In anderen Aufnahmen traut man sich das schon gar nicht mehr. Wahrscheinlich fürchtet man, es könne als „anrüchig“ gelten. In der Partitur steht es jedenfalls drin. Wir hören eine kundige, temperamentvolle und geschmackvolle Interpretation des Stückes. Gerne hätte wir in Freiburg den Schlussapplaus gehört, aber leider kamen die „Rondes de Printemps“ noch hinterher, sodass gar nicht geklatscht wurde.
Der Klang der Aufnahme zeigt ein schön präsentes Schlagwerk, wirkt sehr transparent und gut gestaffelt. Er offenbart ein fein gesponnenes Netz aus Orchesterstimmen, jedoch voll und rund, insgesamt sehr werkgerecht und brillant.
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4-5
Ion Marin
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
RBB
2003
7:20 8:15 4:10 19:45
Mit Ion Marin haben wir nun schon den dritten „Freelancer“ unter den Dirigenten von „Ibéria“ in unserem Vergleich. Er ist allerdings seit 2020 Inhaber der Claudio-Abbado-Stiftungsprofessur der Universität Mozarteum.
Hier hören wir reduzierte Turbulenzen auf Spaniens Straßen und Wegen. Sehr schön klingen besonders die Violinen und die Holzbläsersoli kommen sehr prägnant. Nicht nur aufnahmetechnisch, sondern auch rhythmisch und rhetorisch. Das wirkt poetisch. Im Großen und Ganzen gleitet man recht komfortabel über Kopfsteinpflaster und Feldwege, nein, eher schon über den frisch aufgezogenen Asphalt. Eine tolle Leistung des Orchesters, wenngleich es uns etwas rustikaler besser gefällt.
In dieser Aufnahme hören wir wirklich einmal ganz leise Soli von Oboe und Englischhorn. Das Tempo ist wohl insgesamt etwas langsamer als von Debussy metronomisiert, die nächtliche, leicht geheimnisvolle Stimmung wird sehr schön wiedergegeben. Der Satz klingt so ziemlich verträumt und mit süßer Melancholie durchsetzt. Möglicherweise wirkt das romantischer und „impessionistischer“, als es Debussy selbst vorgeschwebt haben mag. Da müsste man ihn wirklich mal fragen.
Der dritte Satz hat uns nicht so sehr überzeugt wie die beiden Sätze zuvor. Die Rubato-Stelle mit Flöte und Fagott wirkt überhaupt nicht spöttisch und es geht auch schon einmal auseinander, z.B. wenn die Streicher mit dem Xylophon sowieso schon gegeneinander arbeiten (vor Zi. 59) läuft es auseinander. Die zwei Trompeten klingen viel zu leise (ab 3 T. nach Zi. 64), sie sollten bereits f beginnen und noch lauter werden. Das ist immer eine ganz wichtige Stelle für uns, auf die wir schon warten, denn die Trompeten stehen markant über den gerade zu Gitarren mutierten Violinen. Das Tempo wäre eigentlich gut, der Uhr nach zu urteilen ziemlich flott, seltsamerweise wirkt es jedoch weniger temperamentvoll. Die Darstellung wirkt eher subtil als agil und energiegeladen.
Der Klang der Aufnahme gelang offen, räumlich und luftig. Es wird vor allem ein ausladend breites Panorama geboten und wie meistens wenn der RBB aus der Philharmonie überträgt, klingt es weniger präsent. Dynamisch wirkt die Aufnahme, wie bei aufgezeichneten Konzerten im Radio üblich, ein wenig zurückhaltend.
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4-5
Susanna Mälkki
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg
SWR
2013
7:26 8:51 4:33 20:50
Susanna Mälkki wirkte von 2002 bis 2005 als Chefdirigentin des Stavanger Symphonieorchesters. Von 2006 bis 2013 leitete sie das Pariser Ensemble Intercontemporain. Als Spezialistin für Neue Musik brachte sie in dieser Zeit zahlreiche neue Kompositionen zur Uraufführung und wirkte an Musiktheaterproduktionen mit Werken von Kaija Saariaho und Morton Feldman mit. Es folgte ein Engagement als Erste Gastdirigentin des Gulbenkian-Orchesters Lissabon, das auch heute noch besteht. 2014 wurde sie zur Chefdirigentin der Helsinkier Philharmoniker ernannt, als erste Frau in dieser Position. Ihr Vertrag lief von 2016 bis Sommer 2023. Zudem war sie von 2016 bis 2022 Erste Gastdirigentin beim Los Angeles Philharmonic. (aus Wikipedia)
Im ersten Satz legt die Dirigentin ein konsequent mäßiges Tempo vor, das auf uns weder quirlig noch energisch oder gar feurig, sondern fast schon ein wenig träge wirkt (immer im Vergleich zu bereits Gehörtem). Dem Klischee vom temperamentvoll-belebten Süden gibt sie sich nicht hin. Vielleicht wirkt der Gestus auch deshalb weniger sanguinisch als gewohnt, weil die hohen Temperaturen aufs Temperament drücken? Recht spannend wirkt es trotzdem. Es ergibt sich jedoch eine seltene Klarheit. Selten hat man die Unisono-Kombination aus Soloviola und Oboe so synchron gehört. Das Orchester klingt weich und anschmiegsam. Ein ganz anderes Spanien wird uns da offeriert als es noch bei den Einspielungen der 50er Jahre suggeriert wurde.
Eine wahrlich tropische Nacht lässt uns Frau Mälkki im zweiten Satz hören, sehr langsam durchpulst wirkt das Tempo, ziemlich kraftlos und behäbig. Zweifellos ist man bereits auf eine luftdurchlässige Hängematte angewiesen. Die Glissandi werden, wie heutzutage üblich, auch bei Frau Mälkki nicht hörbar gemacht. Das Orchester, die ehemalige „Perle des Südwestens“, nutzt die Zeit für ein fein ziseliertes, ausdruckstarkes Spiel innerhalb eines introvertierten Gestus. Sehr präzise und atmosphärisch und angesichts der Metronomangaben etwas zu langsam. Trotzdem empfinden wir die Darstellung der „Parfums de la Nuit“ als sehr gelungen.
Im dritten Satz erwartet uns, ähnlich wie im ersten, eine etwas reduzierte Verve. Das Klarinettensolo erfreut außerordentlich, denn es klingt fröhlich, und die Akzente werden wunschgemäß etwas übertrieben. Die Darstellung gelingt für eine Live-Aufnahme ungewöhnlich präzise, aber kommt in Sachen Ausdruck nicht so recht aus sich raus, bleibt zu wohlgesittet. Erst ab Zi. 68 kommt Temperament mit ins Spiel. Beim letzten Akkord, den Debussy gerne trocken gehabt hätte („séc“) schwingen einige Instrumente zu lange nach.
Der Klang hat sich gegenüber der nur zwei Jahre älteren Aufnahme mit den Freiburger Philharmonikern kaum geändert, denn es wurde erneut im Konzerthaus Freiburg aufgenommen. Der Orchesterklang wirkt erfreulich warm, transparent und räumlich, wie wir das vom SWR gewöhnt sind. Besonders erwähnenswert ist der kräftige Bass.
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4
Junajo Mena
Orquesta Sinfónica de Radio Televisión Española, Madrid
Aufnahme von RTVE, gesendet vom SWR
2022, live
7:09 8:15 4:30 19:54
Das Spanische Rundfunksinfonieorchester wurde 1965 gegründet, laut Wikipedia auf Initiative von Igor Markevitch. Señor Mena ist, wie Pablo Heras-Casado, Jesus Lopéz-Cobos und Josep Pons ebenfalls Spanier, in diesem Fall genauer gesagt Baske. Er war 1999-2008 Chefdirigent in Bilbao und von 2011-2018 Chef des BBC Philharmonic in Manchester. Er wählte das Werk 2016 auch für sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern aus. Auf YouTube gibt es von „Ibéria“ mit ihm sowohl einen Mitschnitt von den BBC Proms von 2011 mit dem BBC Philharmonic, als auch den Mitschnitt des Konzertes, das uns nun als Radiomitschnitt vorliegt, zu hören und zu sehen. Es wurde in der Hauptspielstätte des Orchesters, dem Teatro Monumental in Madrid aufgenommen. Bei dem spanischen Orchester ist Señor Mena seit 2016 „Director Asociado“ (Hauptgastdirigent).
Was man am Radio so ohne weiteres nicht mitbekommen würde, wird im Video bei YouTube klar. Es handelt sich um ein Konzert unter „Corona-Bedingungen“, die den Streichern und Schlagzeugern Masken beschert und große Abstände, bei den Bläsern kleinere (beim Holz) und größere Trennwände (beim Blech und beim Schlagzeug, da die besonders „viel Wind“ machen) aus Glas oder Plexiglas.
Das Tempo ist ähnlich wie bei Frau Mälkki gemäßigt, der Gestus noch einigermaßen temperamentvoll und recht spannend. Das Orchester ist von guter Qualität und verfügt über gute Holzbläser(innen). Das Zusammenspiel ist nicht immer ganz perfekt, z.B. ein paar Takte vor Zi. 19 die Hörner und die Klarinetten oder später bei Zi. 23 die Oboen und Trompeten. Wen wundert es angesichts dieser erschwerenden Bedingungen? Auch klanglich erscheint das Orchester nicht als die erste Wahl, was aber genauso gut an der Aufnahmequalität oder an den in den Weg gestellten Hindernissen liegen könnte.
Im zweiten Satz ist das klangvolle Holz sehr um leises Spiel bemüht und auch recht erfolgreich darin. Es klingt angemessen müde, auch ein wenig verschlafen. Die Streicher agieren im weiteren Verlauf nicht immer ganz lupenrein (Zi. 47 ff), die Parfüms verlieren so bereits ein klein wenig “verunreinigt“ einigen Zauber. Darin absolut vorbildlich unter den Radio-Mitschnitten: Das BRSO mit Pablo Heras-Casado.
Während der Corona-Zeit waren nur wenige Leute in Feierlaune (ausgenommen die Bewohner und Mitarbeiter in Downing Street No. 10), sodass man sich über das spanische Rundfunkorchester nicht zu wundern braucht. Es spielt nicht sonderlich spritzig. Es wird zumeist sauber gespielt, aber immer wieder retardierend, wo andere (vor Corona) noch mit Esprit glänzen konnten (z.B. Heras-Casado oder Jonathan Stockhammer).
Der Klang ist klar und gut aufgefächert, die Violinen wirken distanzierter als der Rest des Orchesters, obwohl sie eigentlich vorne zu hören sein sollten. Auf dem Video sieht man sie auf ihrem gewohnten, angestammten Platz. Die Aufnahme klingt zumindest in der vom SWR gesendeten Form nicht sonderlich dynamisch.
17.7.2024