Franz von Suppé
Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“
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Werkhintergrund:
Uraufführung 24. August 1846 im Theater an der Wien
Wer außer den Experten und historisch Interessierten hat schon gewusst, dass eine der berühmtesten Operettenouvertüren gar nicht aus einer Operette, sondern aus einem jener über 180 Bühnenwerken wie Lebensbilder, Lustspiele, Possen, Zauberspiele, Märchen, Schwänke, Schauspiele u.v.m. stammt, zu denen Suppé vor und während seiner "Operettenzeit" für das Wiener Volkstheater die Musik zu schreiben hatte. Und noch dazu hat er diese Ouvertüre gar nicht zu dem gleichnamigen Stück von Karl Elmar geschrieben, sondern, wie schon sein erster Biograph, der ihm anverwandte Otto Keller, zu berichten wusste, zu einem anderen Stück, mit dem sie zusammen durchfiel. Auch die Verwendung bei einem zweiten Stück erlitt das gleiche Schicksal. Und obwohl Direktor Franz Pokorny Suppé die weitere Verwendung dieser Ouvertüre untersagt hatte, setzte er sie bei „Dichter und Bauer“ erneut ein und hatte damit endlich Erfolg. Und danach machte er den gleichen Fehler wie so mancher berühmte Kollege vor ihm. Da er in dieser Zeit finanziell immer in der Klemme war, verkaufte er die Rechte an der Ouvertüre, nichts ahnend von ihrem künftigen Welterfolg, an den zufällig in Wien weilenden Münchner Verleger Josef Aibl, und der machte dann ein Vermögen damit.
Zum Lustspiel selbst komponierte Suppé zahlreiche Lieder, die lange nach Suppés Tod für diverse Umarbeitungen des Volksstückes in eine Operette unter Einbeziehung weiterer Musiktitel aus anderen Operetten Suppés Verwendung fanden.
Das Stück spielt in einer malerischen Gegend in Oberbayern. Hermine von Meyern, das Mündel des reichen Grundbesitzers Theophil von Salberstein, hat ein großes Vermögen geerbt, das von ihrem Vormund verwaltet wird. Das Testament hat jedoch die Klausel, dass Hermine entweder drei Jahre bis zum Antritt des Erbes warten oder aber Salberstein heiraten muss. Heiratet sie ohne dessen Einwilligung einen anderen, verfällt das Vermögen. Hermine liebt aber den Dichter Ferdinand Römer. Dieser aber ist aufs Land geflohen, weil er sich von Hermine verlassen wähnte. Nun widmet er der Bauerstochter Lieschen seine schwärmerische Lyrik. Die aber ist in den Bauern Konrad Maurer verliebt. Barbara, eine entfernte Verwandte Salbersteins, löst die Verwicklungen in Wohlgefallen auf. Sie kann ein schriftliches Heiratsversprechen Salbersteins vorweisen, und so bekommt am Schluss jeder den, den er verdient. (Quelle: Uwe Eisenpreis auf seiner Website über Suppé)
Seine Musik und insbesondere die Ouvertüre verbindet Wiener Eleganz mit italienischer Verve; offenbachische Spritzigkeit steht neben melodischem „Schmäh“ und zupackender, rossinihafter Dramatik.
In der Ouvertüre finden wir eine Lyrik, die aus Suppés Studien mit Donizetti (1797 - 1848) hervorgegangen ist, und einen rhythmischen Antrieb, der sich eindeutig aus der Durchsicht der Partituren von Gioachino Rossini (1792 - 1868) ergibt. Wie Rossini wiederholt Suppé melodische Ideen mit 8 oder 16 Takten und fügt jedes Mal Instrumente und Lautstärke hinzu, um die Intensität zu erhöhen.
Das Einführungssegment von Suppés Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“ beginnt mit einem Blechbläserchoral Andante maestoso T. 1-8), zu dem sich schließlich nach einem überraschenden Einsatz der Gran Cassa (T.10) zögerliche Streicher in ihren tiefen Lagen gesellen. Ein Solo-Cello schwebt herein (T.16 – 51), begleitet von Arpeggios der Harfe. Die Holzbläser kommentieren dieses Solo quasi mit ihren Einwürfen. Während dieses lyrische Thema fortschreitet, wird die Instrumentation (die restlichen Streicher, Holzbläser und die Hörner) und Textur bis zu einem Höhepunkt dichter.
Ein kräftiger Triller der Streicher im ff (Allegro strepitoso ab T. 52) kündigt dann den aggressiven Mittelteil der Ouvertüre an. Hier sollte bemerkt werden, dass „strepitoso“ lärmend, geräuschvoll, aber auch glänzend und rauschend bedeuten kann. Die verschiedenen Aufnahmen zeigen hier durchaus unterschiedliche Vorlieben.
Nach einigen einleitenden Takten hören wir eine vorantreibende Streichermelodie (Allegro ab T.78), die zunächst mit spannungsfördernden Pausen nach oben steigt um sich dann mit voller kinetischer Energie weiterzuentwickeln. Ein weiteres Thema schließt sich an (T.110), wiederum ff, diesmal durch Synkopen gewürzt und fast noch stärker vorantreibend.
Dies wird wiederum durch eine aufsehenerregende Walzersektion (Allegretto ab T.150) stark kontrastiert, die eine ruhigere Stimmung erzeugt und dessen thematisches Material mit Fug und Recht als Klassik – Hit bezeichnet werden kann. Die Noten dieses Walzers in Musik zu verwandeln gelingt in den 17 Aufnahmen auf nahezu 17 verschiedene Weisen. Dieses Thema wurde übrigens 1973 (von Freddy Breck dargeboten) in dem Schlager „Rote Rosen“ verwendet und erreichte so seine wohl größte Popularität.
Diese Stimmung ist jedoch kurzlebig, da das schnellere Material (ab T. 192 Tempo I) zurückkehrt, diesmal mit einer Konzentration auf die Anfangsteile des schnellen Materials, nicht auf das berühmte vorantreibende Thema.
Eine brüske Verlangsamung erfolgt während eines kurzen Intermezzos (Sostenuto ab T. 246) indem die Cellogruppe mittels einer elegischen Eintrübung eine sehnsuchtsvolle Erinnerung an das große Cellosolo zu Beginn anstimmt. Kaum begonnen, ist sie aber auch schon wieder zu Ende. Schließlich befinden wir uns hier in einem Lustspiel bzw. in einer Operette, da sollten die melancholischen Töne nicht überhandnehmen.
Wenn der Walzer (Allegretto ab T. 253) zurückkehrt, (es ist fast eine exakte Wiederholung) sorgt das wieder für einen drastischen Kontrast. Das schnelle Material gewinnt am Ende jedoch die Oberhand, da sich das vorantreibende Thema (ab T.310) mit voller Wucht durchsetzt und in Rossini ähnlicher Weise bis zum kraftvollen Ende gesteigert wird.
Überhaupt kann diese Ouvertüre eine große Ähnlichkeit (angefangen mit dem großen Cellosolo bis zur Schlusssteigerung) mit der „Wilhelm Tell“-Ouvertüre Rossinis nicht verhehlen, deren (erheblich) jüngeres Geschwisterchen sie fast sein könnte. Umso schöner, dass wir uns heute an beiden erfreuen können.
(Taktangaben der Studienpartitur von Edition Peters Nr. 823 entnommen, die beim Vergleich mitgelesen wurde.)
Zusammengestellt bis 19.1.2020

Vergleich:
5
Georg Solti
LPO
Decca
1951
8:06
Schon das beginnende Andante maestoso ist spannungsgeladen, das Cellosolo wird flott und sehr lebendig intoniert, es erscheint dennoch nicht leichtgewichtig, sondern durchaus mit Tiefgang. Die Bläsereinwürfe während des Solos wirken schon unterschwellig mächtig vorantreibend. Das schafft sonst keiner. Die umspielende Harfe ist gut hörbar aber verschwommen. Das Allegro strepitoso erklingt mit gespanntem Feuer in einem kaum gebändigten magyarischen sich fast überschlagendem Temperament. Die Übergänge lassen in der Spannung kaum nach. Der Allegretto-Walzer erhält viel tänzerischen Schwung und - das erscheint als große Kunst – hält die Spannung. Beim Tempo I lässt Solti die Funken fliegen. Das kurze Sostenuto ist eine kleine Oase der Innigkeit und Besinnung. Die Reprise des Walzers erklingt folgerichtig – obwohl es nicht explizit in der Partitur steht – mit deutlich gedämpftem Schwung nicht mehr so ungetrübt wie zuvor. Auch das hört man in dieser Ausprägung nur bei Solti. Der Rest des Stückes erklingt mit kaum überbietbarem überschäumendem Temperament. Bei Solti wird jede Gefühlsduselei im Keim erstickt und auch noch die kleinste Operettenseligkeit im Sturm hinweggefegt. Das Orchester wird, auf der vordersten Stuhlkante sitzend, zu einer Höchstleistung animiert. Bei den 1000 Volt, die Solti hier anlegte, hatte es wohl gar keine andere Möglichkeit. Der recht präsente Mono-Klang wirkt für sein Alter erstaunlich offen, brillant und differenziert. Dem Erleben der Musik stellte er sich zu keiner Sekunde hemmend in den Weg.
5
Georg Solti
WP
Decca
1959
9:08
Soltis Remake der Mono-Aufnahme - nun in Stereo und in Wien entstanden - zeigt zwar immer noch die typischen Eigenschaften des Dirigierstils des jungen Solti, wirkt aber insgesamt deutlich gemäßigter. Wohlgemerkt aber nur in Relation zu der 8 Jahre zuvor entstandenen, nicht gegenüber den Aufnahmen anderer Dirigenten. Diese Version überzeugt ebenfalls vollends.
Sofort bemerkt man die ausgereizten dynamischen Gegensätze und die lebendigen Crescendi. Das Cellosolo erklingt durch ein gegenüber 1951 deutlich langsameres Tempo noch etwas gefühlvoller. Das restliche Orchester tritt hier transparenter hinzu, vor allem die Harfe kommt nun klarer und genauer verfolgbar zum Zuge, ohne aber dem Cello die führende Rolle streitig machen zu wollen. Das Allegro strepitoso erklingt immer noch furios. Das folgende Allegro setzt den Siedepunkt ein paar Grad runter, klingt aber kaum weniger feurig. Der Allegretto-Walzer erhält ein gemächlicheres Zeitmass, als ob Solti nun auch die ältere Generation zum Tanz auffordern möchte. Der Sostenuto-Einschub ist wesentlich langsamer, geht aber nicht mehr so unter die Haut. Die Reprise des Walzers, noch etwas behutsamer als zuvor, ist ein einfacher aber inniger Tanz unter Liebenden. Ab Tempo I geht „die Post wieder richtig ab“, wobei die Wiener Streicher ihr ganzes Können brillant demonstrieren können. Das klingt fantastisch. Generell gibt Solti in dieser Version den cantabeleren Momenten nun mehr Gewicht und zügelt dafür ein wenig sein Feuer.
Der Klang ist naturgemäß viel weiträumiger, ziemlich knackig und geht schon schön in die Tiefe. Er hat aber nicht ganz die Präsenz der Paray-Aufnahme.
5
Paul Paray
Detroit SO
Mercury
1959
9:24
Beim beginnenden Choral lassen die Blechbläser aus der Autostadt etwas Schwerelosigkeit und Eleganz vermissen. Das Cello intoniert recht vibratoreich und vital mit eher leichtem, gut fokusiertem, klaren Ton.. Die Harfe perlt dazu schön präsent und nicht sfumatohaft, wie in etlichen anderen Versionen. Das Strepitoso gelingt auch hier sehr temperamentvoll und quirlig, fast schon hitzig, mit Attacke und Biss, ohne jedoch das wild lodernde Feuer von Solti (1951) zu erreichen. Der Walzer wird flott und beschwingt vorgetragen. Allegro und Tempo I sind rhythmisch geschärft und schön vorwärtsreibend. Der Sostenuto-Einschub gelingt wunderbar schwebend. Diese Aufnahme verbreitet genau das, was sie soll: Gute Laune. Sie ist tänzerisch beschwingt und involviert den Hörer auch in den abschießenden Freudentaumel.
Präsenz und Dynamik der Aufnahme überzeugen. Sie ist klar und lebendig. Der Bassbereich erscheint sehr „leicht“. Die Gran Cassa klingt aber tief, profund und für das Alter der Aufnahme auch gut fokussiert. Sie rauscht vernehmlich.
5
Herbert von Karajan
BP
DG
1970
9:44
Karajan nimmt die Ouvertüre sehr ernst. Ob er sie vielleicht zu ernst nimmt, mag jeder für sich selbst entscheiden. Die Vortrags- und Tempobezeichnungen werden jedenfalls genau beachtet. Das Orchester spielt hier mit vollem Engagement wie in einer eigenen Liga. Überhaupt scheint die Ouvertüre hier dem Sujet einer Operette nicht zuletzt durch das fantastische Spiel der Berliner enthoben zu werden. Mag es ihr vielleicht etwas an Leichtigkeit fehlen, so macht sie dies durch andere Qualitäten mehr als wett. Wenn die Paray-Aufnahme als Halbfett-Stufe gelten kann, so erklingt hier – wenn man das so formulieren darf - die Vollfett-Stufe. Schon der Choral reizt die verlangte Dynamik voll aus. Ein ff unterscheidet sich hier einmal tatsächlich deutlich von einem fff. Es bekommt hier immer noch einen Anstrich des Großartigen mit. Das Cellosolo erklingt hier besonders klangschön, nicht übertrieben rubatoreich und mit einem sehr geschmeidigem Legato. Die Harfe bleibt schön perlend im Hintergrund aber trotzdem gut hörbar. Das Strepitoso gelingt wunderbar lärmend, aber auch mächtig vorantreibend. Das Blech erklingt mit einer tollen Performance. Der Walzer ist wohl ein wenig zu langsam, zwar mit Raffinement aber doch etwas zu ausziseliert, Das Tempo I ist mitreißend gestaltet, die Reprise des Walzers wieder etwas zu erdenschwer, aber traumhaft gespielt. Im weiteren Verlauf wird ein Feuerwerk an glänzenden Farben geboten, gleichzeitig mitreißend und vielleicht auch ein wenig pompös. Manch einer würde vielleicht auch meinen: aufgeblustert. Wenn man die Aufnahme etwas lauter hört, erschließen sich der farbige, volle und sehr räumliche auch gut in die Tiefe gestaffelte Klang besonders gut. Die Dynamik ist stark geweitet. Wie oft bei Karajans DG-Aufnahmen ist die Akustik auch etwas hallig, aber immer noch plastisch. Weniger präsent und anspringend als bei Paray, dafür aber „süffiger“.
5
Neville Marriner
ASMF
Philips
1998
10:02
▼siehe unten
4-5
Leonard Bernstein
NYPO
CBS – Sony
1963
9:53
Bei Bernstein ist der einleitende Blechbläserchoral nicht ganz sauber. Die Gran Cassa in T.10 klingt angemessen voll und tief. Das Cellosolo erklingt bewegt und betont das klagende und melancholische Moment. Die Bläsereinwürfe erhalten eine schön kontrastierende kecke Note. Das bringt so kein anderer. Die Harfe dagegen perl nicht so schön wie zuvor, sondern wird recht dumpf abgebildet. Das Stepitoso kommt flott und feurig, die Kontraste zwischen pp und ff könnten allerdings noch dynamischer ausfallen. Das Walzerthema erhält fast einen Schuss Ironie, jedenfalls kommt es ein wenig ländlerhaft stampfend daher, geradeso wie man sich einen Walzer in dem bäuerlichen Umfeld vorstellen könnte. Im weiteren Verlauf lässt Bernstein der Virtuosität der New Yorker freien Lauf und lässt das Stück ausgesprochen vital, ja geradezu ausgelassen ausklingen. Er erweist sich als sehr einfühlsamer, das Rubato mit Bedacht nutzender Dirigent eines Orchesters, das sich in sehr guter Verfassung präsentiert. Die Aufnahme selbst ist räumlich, präsent und weist eine angenehme Bassgrundierung auf.
4-5
John Barbirolli
Hallé Orchestra
EMI
1957
9:52
Barbirolli legte eine in fast allen Belangen stimmige Interpretation vor. Sie ist vom Anfang bis zum Ende geschmack- und temperamentvoll. Sie geht aber auch differenziert mit allen Parametern um uns wirkt so von Beginn an symphatisch. Die Gran Cassa klingt für das Aufnahmejahr ausgesprochen voluminös und mit gutem Tiefgang. Das Cellosolo gefühlvoll aber keineswegs sentimental. Die Harfenuntermalung bleibt zurückhaltend. Das Allegro strepitoso klingt prononciert und knackig, fast fetzig. Das Walzerthema ist schön fließend und keinesfalls überstrapaziert, sprich „walzerselig“. Barbirolli lässt es auch nicht an deftigen Akzenten fehlen. Der Schluss ist ein rauschendes, wirbelndes Fest. Auch wenn das Orchester nicht unbedingt über die glanzvollste Virtuosität verfügt, war man hier ohrenscheinlich mit Freude bei der Arbeit. Der Klang ist durchaus wohlklingend, weich, aber im Hochtonbereich leicht angeraut. Er erscheint im ff auch leicht gepresst
4-5
Zubin Mehta
WP
Sony
1989
10:02
Der Bläserchoral zu Beginn ertönt sehr klangvoll. Die Dynamikkontraste erscheinen durchweg stimmig. Der Bläsersatz hat eine sehr gute Transparenz. Das Cellosolo erklingt mit recht herbem Ton und relativ weit ausschwingendem Vibrato. Das Strepitoso durchaus zupackend. Das Allegro vorantreibend und trotz seiner dichten Textur transparent. Hier könnten die Dynamikkontraste aber besser ausgespielt werden. Im Sostenuto plagen die Sorgen und Zweifel hier besonders stark. Der Walzer kommt gut charakterisiert aber ohne auffällige Besonderheiten. Der weitere Verlauf ist durchaus temperamentvoll, fast sogar ausgelassen, legt sein Hauptaugenmerk aber auf eine besondere Kultiviertheit. Klanglich ist die Aufnahme solide.
4-5
Neville Marriner
ASMF
EMI
1989
9:41
▼siehe unten
4-5
Neem Järvi
RSNO
Chandos
2012
9:32
Järvi legte hier eine gute Interpretation vor, die aber kleine Detailmängel aufweist. Einer sehr vollen sowohl tiefen als auch rund klingenden Gran Cassa (T.10) stehen leicht verschliffene ff und fff – Einsätze gegenüber. Das Cellosolo wird beinahe schon übertrieben gefühlvoll und vibratoreich intoniert. Die Harfe bleibt teilweise dabei zu leise und somit fast unhörbar. Der Allegretto-Walzer (T.150) erscheint flott und tänzerisch, keinesfalls gefühlig. Der Sostenuto-Einschub bleibt spannend, aber auch ohne besondere „Hinweisschilder“. Ab T. 330 geht es sehr temperamentvoll und dynamisch zur Sache. Das Orchester kann, was die Strahlkraft und die Spielkultur nicht ganz mit den anderen mithalten. Der Klang ist voll, rund und sehr temperamentvoll. Besonders gefällt hier die wuchtige Gran Cassa. Die Transparenz kann mit einer Mehrkanalwiedergabe noch gesteigert werden, denn diese Aufnahme liegt als SACD vor.
4-5
Neville Marriner
LPO
Philips
1977
10:05
▼siehe unten
4
Sir Thomas Beecham
RPO
EMI
1957
10:34
Im gleichen Jahr wie die Barbirolli-Aufnahme entstanden, erscheint die Beecham-Version ihr gegenüber vergleichsweise bedächtiger. Das gilt von Beginn an für die ganze Ouvertüre. Das Orchester macht allerdings einen noch ausgewogeneren, gepflegteren Eindruck als Hallé. Das Cellosolo ist hier verhallt und klingt weit nach hinten gerückt, was verwundert, ist die Klangtechnik sonst völlig frei von irgendwelchen Mätzchen. Die Wirkung des Solos wird so nachhaltig geschmälert. Die Qualität des Solisten hätte das auch nicht nötig gehabt, sie ist sehr gut. Der Walzer ist durchaus flott und wunderbar fein gezeichnet. Cantablere Stellen erhalten hier ein besonderes Gewicht, ff und fff-Stellen und flottere Tempi kommen dagegen nur gebremst heraus, die schnelleren Tempi leiden ein wenig am mangelnden Feuer.
4
Erich Kunzel
Cincinnati Pops
Telarc
1986
10:20
Kurios zu Beginn: Die Gran Cassa klingt so breit und tief, dass die drei Schläge fast zu einem einzigen werden. Das Cellosolo, mit angenehmem Vibrato aber recht geringem Klangvolumen vorgetragen, profitiert von der klanglich anschmiegsamen zurückhaltenden Harfe. Der Walzer wird ganz einfach und schlicht intoniert, nichts wird dazuinterpretiert. Klanglich und vom gefühlten Einsatz her kommt das Orchester nicht an die besten hier versammelten heran. Es fehlt an der Geschmeidigkeit der Streicher und am Glanz des Blechs. Vor allem aber auch am Impetus im Vortrag.. Klanglich ist sie Aufnahme präsent, differenziert und auffallend gut bassgrundiert.
4
Alfred Walter
Kosice PO
Marco Polo
1993
10:36
Wie in der Beecham-Aufnahme wird auch hier das Cellosolo weit hinten im Klangraum positioniert. Es klingt beachtlich und wird ohne Rubato wie auf einer Linie durchgespielt. Der Gestus erscheint auch durch das langsame Tempo weniger ausdrucksvoll, dafür fast wie entrückt. Die Harfe dagegen (eigentlich p gegenüber mf des Cellos)) wird sehr prononciert dargestellt und macht dem Cello so die Hauptrolle streitig. Das Orchester ist mit dem suppéschen Idiom bestens vertraut, wurde es doch zur bisher einzigen Gesamtaufnahme der Ouvertüren Suppés herangezogen. Trotzdem fehlt es ihm bisweilen an Kraft und Nachdruck, auch die letzte Präzision vermisst man gelegentlich. Zudem fehlt es bisweilen an Spritzigkeit und Temperament, an dem Zug nach vorne. Ein hohes Engagement lässt sich der Unternehmung aber nicht absprechen. Der Klang erfeut: Er ist sehr differenziert, recht weiträumig, klar und leicht hallig. Insgesamt angenehm samtig.
4
Charles Dutoit
OSM
Decca
1984
10:15
Dutoit lässt das Cellosolo rubato- und vibratoreich recht expessiv intonieren. Das Allegro strepitoso bleibt ziemlich distanziert, fast harmlos. Das Walzerthema bleibt für ein Allegretto etwas zu langsam. Dass es sich um eine neuere Aufnahme handelt merkt man eigentlich nur an der Gran Cassa in T. 10, sie ist tief und profund. Ansonsten bleibt sie kontrastarm und nicht sonderlich farbig. Das Orchester wirkt nicht gefordert oder besonders motiviert und tut anscheinend nicht viel mehr, als eine vertragliche Pflicht zu erfüllen. Diese Version ist zwar nicht lahm, aber auch nicht leicht und duftig ( was von Dirigent und Orchester bei anderer Gelegenheit schon unter Beweis gestellt wurde) oder gar prall – temperamentgeladen.
3-4
Otmar Suitner
SSD
Berlin Classics
1969
9:16
Dynamisch ist diese Version ziemlich eingeebnet. Das Cellosolo ist klanglich etwas unstet und im Ausdruck zurückhaltend, teilweise wirkt es sogar wie geleiert. Der Walzer wird im Rhythmus stark herausgestellt, so als wolle man wienerischer sein als die Wiener. Die schnellen Teile sind keineswegs temperamentlos, aber das Orchester verbreitet wenig Glanz, die Streicher wirken hochtonarm und matt. Die einzelnen Schallquellen werden weit auseinandergezogen. Die Bläser verlieren sich so fast im Raum. Das Blech klingt so nicht sonderlich antreibend oder gar knackig. Dieses eigentlich glanzvolle Orchester aus Dresden hat man in anderen Aufnahmen schon wesentlich besser gehört.
3
Janos Sandor
Orchester der Ungarischen Staatsoper
Laserlight
P 1987
10:01
Auch diese Version ist dynamisch stark eingeebnet. Das Cellosolo erklingt mit geringer Intensität und wirkt matt. Die begleitende Harfe ist zu leise und wenig brillant. Die Bläsereinwürfe kommen erdenschwer. Das Strepitoso ist weder schön lärmend noch glanzvoll. Der Walzer wirkt allenfalls gediegen. Dem Orchester fehlt es an Geschmeidigkeit und Temperament. Der Kehraus wirbelt lediglich auf Sparflamme. Der Klang der Aufnahme ist recht räumlich aber dumpf, weder dynamisch noch sonderlich farbig.
Soweit bekannt hat Neville Marriner als einziger Dirigent drei Aufnahmen der Ouvertüre vorgelegt. Die beiden ersten (1977 für Philips, 1989 für EMI) jeweils innerhalb einer Sammlung von verschiedenen Suppé – Ouvertüren auf einer CD, die dritte (1998) ist dann innerhalb eines Ouvertüren - Samplers gemeinsam mit Ouvertüren anderer Komponisten (erneut für Philips) zu finden. Man wundert sich, dass man dafür nicht, wie gemeinhin üblich, auf die bereits vorhandene Aufnahme zurückgegriffen hat, sondern sich die Mühe einer Neueinspielung gemacht hat. Die Mühe hat sich jedenfalls gelohnt, denn die jüngste Aufnahme von 1998 (mit der Academy) gefällt am besten. Das Cellosolo ist hier von allen drei Versionen das bewegteste und ausdruckvollste. Hier wird spannend erzählt. Die Harfe passt ganz wunderbar dazu. Das Strepitoso macht den wachesten Eindruck, es wirkt vorantreibend und spritzig. Das Orchester spielt auf höchstem Niveau zusammen und bietet eine brillante Darbietung. Lediglich die mit Rallentando überschriebene Stelle vor der Reprise des Walzers (T.250) ist zu laut, hier sollte nur pp gespielt werden. Diese Darbietung wirkt wie ein spritziger Champagner und trifft den Gestus der Ouvertüre genau. Die Klangtechnik ist zudem die präsenteste unter den Dreien, auch die beste in Hinsicht Differenzierung, Transparenz und Dynamik. Die EMI Aufnahme von 1989 (ebenfalls mit der Academy) steht der vorgenannten kaum nach. Das Cellosolo ist hier sehr cantabel, etwas schneller als 1977 und daher auch nicht so beschaulich geraten, zudem makellos in Intonation und Ausdruck. Auch hat das Allegro mehr „Schmiss“. Der Walzer ist pointierter im Rhythmischen als 1977. Das Sostenuto ist ein kurzes Intermezzo, dem nicht so viel Bedeutung beigemessen wird. Die 1989er Aufnahme zeichnet sich durch ein insgesamt sehr sauberes Spiel aus. Bei der 1977er schließlich mit dem LPO (Philips) wird in der Dynamik minutiös differenziert, das Cellosolo stellt sich nicht so sehr in den Vordergrund, wirkt bescheiden und ist vielleicht deshalb besonders anrührend. Das Allegro bietet von den dreien am wenigsten Feuer. Der Walzer ist nicht übermäßig pointiert, geht aber immer noch „ins Tanzbein“. Insgesamt ist auch sie eine in jeder Hinsicht ausgewogene Darstellung, die den Gehalt der Musik immer noch sehr gut wiedergibt. Überbordend temperamentvoll ist sie jedoch nicht. Ihr Klang (noch analog) ist weiträumig, weich, weniger brillant als vielmehr gedeckt im Hochton und in den Klangfarben. Sie weist einen besonders angenehmen, warmen Grundton auf.
Verwendete Abkürzungen: LPO: London Philharmonic Orchestra; WP: Wiener Philharmoniker; BP: Berliner Philharmoniker; RPO: Royal Philharmonic Orchestra London; ASMF: Academy of St. Martin in the Fields; NYPO: New York Philharmonic; RSNO: Royal Scottish National Orchestra; OSM: Orchestre Symphonique de Montréal; SSD: Sächsische Staatskapelle Dresden
19.1.2020